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Strategie und Organisation | APuZ 38/1957 | bpb.de

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APuZ 38/1957 Strategie und Organisation Parlamente, Priester und Propheten

Strategie und Organisation

HENRI A. KISSINGER

Die beiden folgenden Beiträge von Henri A. Kissinger und Ahmed S. Bokhari wurden mit freundlicher Genehmigung des Verlages der amerikanischen Zeitschrift „FOREIGN AFFAIRS", April 1957, entnommen.

Welchem Problem auch immer sich das Atomzeitalter gegenübersieht, sei es nun unsere militärische Strategie, unser Bündnis-System oder unsere Beziehungen zum Sowjetblock, so bedarf es doch in allererster Linie der Herausarbeitung einer umfassenden Gesamtkonzeption. Heute, wo uns die Technologie die Herrschaft über die Natur in einem bisher ungeahnten Ausmaß ermöglicht hat, drängt . sich uns die Erkenntnis auf, daß unser ganzes Wohl und Wehe davon abhängt, ob wir unsere Macht auch mit der nötigen Umsicht und mit dem nötigen UInterscheidungsvermögen zu nutzen wissen. Wenn es an klaren Konzeptionen über Wesen und Sinn der Macht, sowie über das Verhältnis von Macht zu Politik fehlt, dann wird der Besitz dieser Macht unter Umständen nur zu einer Lähmung der Entschlußkraft führen.

Alle schwierigen Entscheidungen, vor die uns das Atomzeitalter stellt — so etwa in der Frage nach den verschiedenen Waffentypen, nach den Risiken, die auf dem Gebiet der Diplomatie eingegangen werden dürfen, sowie schließlch nach den Zielen, um die gekämpft werden soll — müssen zunächst erst einmal im Bereich der Konzeption gefällt werden, bevor man sie in technischer Hinsicht einer Lösung näherbringen kann.

Im besonderen Maße gilt diese Feststellung für den Bereich der militärischen Strategie. Weil wir unsere Gegner in zwei Weltkriegen durch unsere materielle Überlegenheit in die Knie gezwungen haben, neigen wir dazu, eine militärische Überlegenheit mit einer materiellen und technischen gleichzusetzen. Die Geschichte lehrt uns jedoch, daß die bessere strategische Konzeption mindestens genau so oft die Ursache von Siegen gewesen ist, wie eine materielle Überlegenheit. Mit Hilfe einer besseren Konzeption vermochten die Deutschen im Jahre 1940 eine alliierte Armee zu besiegen, die ihnen zahlenmäßig überlegen, und mindestens auf dem gleichen Stand der militärischen Ausrüstung war, die aber krampfhaft an veralteten Auffassungen der Kriegsführung festhielt. Napoleon errang seine Siege vor allem auf Grund einer Überlegenheit in der Beweglichkeit seiner Streitkräfte, eines besseren Einsatzes seiner Artillerie sowie eines besseren Verhältnisses zwischen Feuer-und Stoßkraft. Ganz ähnliche Beispiele liefern uns die Siege der römischen Legionen über die Phalanx der Mazedonier, sowie der englischen Bogenschützen über die Ritterheere des Mittelalters. In allen diesen Fällen trug nicht die materielle Überlegenheit den Sieg davon, sondern die bessere strategische Konzeption: Der jeweilige Sieger verfügte nämlich über die Fähigkeit, den überlieferten Rahmen zu sprengen und den Gegner mit Möglichkeiten zu konfrontieren, die dieser bis dahin noch nicht einmal theoretisch erwogen hatte.

Nur mit Hilfe einer strategischen Konzeption wird aus Macht ein echtes Mittel der Politik. Ob nun die Ziele eines Staates offensiver oder defensiver Natur sind, ob dieser Staat einen Wandel herbeizuführen oder aber gerade zu verhindern wünscht: auf jeden Fall muß eine strategische Konzeption vorhanden sein, die darüber entscheidet, welche Ziele einen Einsatz wert sind, und welches Kräftepotential zur Erreichung der jeweiligen Ziele entwickelt werden muß. Wenn eine strategische Gesamtkonzeption vorhanden ist, so kann man die verschiedenen Möglichkeiten des Handelns sozusagen „durchspielen", bevor Krisen eintreten; dafür wird dann eine Großmacht in die Lage versetzt, „Herausforderungen“ des Gegners zielbewußt zu begegnen. Verfügt eine solche Großmacht jedoch nicht über eine strategische Konzeption, dann wird sie ständig der Spielball der Ereignisse bleiben. Die Sicherheit Amerikas erfordert daher vor allem eine adäquate strategische Konzeption. Natürlich kann man das Argument ins Feld führen, daß die Entscheidungen der Stabschefs Mitglieder dieser Führungsgremien den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, administrative Reibungsflächen sowohl in-

INHALT DIESER BEILAGE:

Henri A. Kissinger Strategie und Organisation Ahmed S. Bokhari Parlamente, Priester und Propheten (S. 625)

nerhalb ihrer eigenen Behörde, wie im Verhältnis ihrer Behörde zu den anderen Ämtern auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Behörden-chefs sind dem Getümmel bürokratischer Kämpfe keineswegs entzogen, sondern verkörAuffassungen einer Behörde manchmal absichtpern diese im Grunde. Tatsächlich werden die lieh überpointiert vertreten, um das Zustande-der drei Wehrmachtsteile und des Nationalen Sicherheitsrates, nach denen sich der Kongreß bei seiner Festsetzung der Soll-Stärken unserer Streitkräfte richtet, im Grunde ja das Vorhandensein einer strategischen Konzeption der Vereinigten Staaten beweisen. Die Entscheidungen heitsrates vermitteln jedoch den völlig falschen Eindruck einer in sich geschlossenen Zielsetzung. Die beamteten Persönlichkeiten, aus denen sich diese beiden Gremien zusammensetzen, stellen entweder — wie im Falle der drei Stabschefs — die militärische Spitze, oder aber, wie im Falle des Nationalen Sicherheitsrates, die Spitze der Ministerien dar. Als Leiter von sehr komplizierten Verwaltungs-Apparaturen müssen die kommen eines Kompromisses zu erleichtern.

Aus diesem Grunde sind die jeweiligen Entscheidungen sowohl der drei Stabschefs wie des Nationalen Sicherheitsrates in erster Linie Ausdruck eines noch erreichbaren Minimums an Übereinstimmung zwischen voneinander völlig unabhängigen Behörden, und nicht so sehr Ausdruck einer Führung im echten Sinne des Wortes. Da man in diesen Gremien eine Überein-stimmung oft nur dadurch erzielen kann, daß man Beschlüsse in eine sehr allgemein-gehaltene Sprache kleidet, wird interministeriellen Kontroversen durch Entscheidungen der drei Stabschefs und des Nationalen Sicherheitsrates in keiner Weise ein Ende gesetzt. Die Dinge werden vielmehr auf die Ebene der Auslegung von Direktiven verlagert. Behörden oder Wehrmachtsteile aber, durch deren Meinungsverschiedenheiten die Ausarbeitung einer echter Konzeption von Anfang an unmöglich gemacht wird, eignen sich für gewöhnlich diejenige Auslegung an, die dem von ihnen ursprünglich eingenommenen Standpunkt am nächsten kommt.

Die scheinbare Einstimmigkeit unserer, die Richtlinien der Politik bestimmenden Gremien gewährt uns in unserem Dilemma hinsichtlich einer Konzeption im Grunde nur so lange einen Aufschub, bis eine erneute Überprüfung der Lage durch das Eintreten einer Krise, oder aber auch durch die Verabschiedung des Bundes-Haushaltes zwangsläufig herbeigeführt wird.

Innerhalb des Verteidigungs-Ministeriums werden die Probleme noch dadurch kompliziert, daß die funktionelle Trennung der einzelnen Wehrmachtsteile völlig veraltet ist, sowie dadurch, daß fiskalische Erwägungen bei der Festsetzung der Soll-Stärken eine überragende Rolle spielen. Die durch die Tradition gebotene, funktionelle Trennung wurde noch 1948 durch die sogenannte „Übereinkunft von Key West“ bekräftigt: Jeder der Wehrmachtsteile solle auch weiterhin seine Hauptaufgabe darin erblicken, das feindliche Gegenstück zu vernichten; so sei es die Aufgabe der Luftwaffe, sich die Luft-herrschaft zu sichern, die Aufgabe der Marine, die Meere zu kontrollieren und schließlich Aufgabe der Amee, die Bodentruppen des Gegners zu schlagen.

Bis zum Ende des 2. Weltkrieges spiegelte diese Rollenverteilung klar voneinander zu unterscheidende strategische Möglichkeiten wider:

So war die Armee tatsächlich im Bereich der Meere, außerhalb der Reichweite der ihr unterstehenden Küstenartillerie völlig machtlos. Die Marine ihrerseits konnte nicht sehr tief ins Feindesland hinein operieren. Damals hatte die Luftwaffe noch keinen unabhängigen Status; auch war der Operationsradius der Flugzeuge noch so klein, daß eine funktionelle Unterscheidung zwischen Marine-und Armeeluftstreitkräften in Anlehnung an die Aufgabenverteilung der beiden älteren Wehrmachtsteile noch möglich war.

Bei dem heutigen Stand der Waffentechnik führt die traditionelle Aufteilung der wichtigsten militärischen Aufgaben praktisch dazu, daß jeder Wehrmachtsteil auf der Entwicklung einer eigenen Kapazität für eine totale Kriegführung besteht. Die Herrschaft über den Luftraum läßt sich ja schließlich nur durch einen Großangriff auf das Vergeltungspotential des Gegners sichern, wodurch aber ganz zweifellos ein totaler Krieg entfesselt würde. Gleichermaßen setzt eine Herrschaft der Meere die Zerstörung von industriellen Anlagen und Nachschub-Basen tief im Inneren des feindlichen Landes voraus, wie Admiral Burke vor dem Symington-Ausschuß des US-Kongresses eindeutig festgestellt hat. Lind schließlich hat die Armee erklärt, daß z. B. ein Geschoß mit einer rund 2000 km

Reichweite für die Erfüllung ihrer Aufgaben absolut unerläßlich sei. Eine saubere funktio- nelle Trennung der Wehrmachtsteile hat nur dann einen Sinn, wenn diese verschiedenen Funktionen klar voneinander abgrenzbare, strategische Aufgaben widerspiegeln. Wenn aber jeder der drei Wehrmachtsteile bei der Durchführung seiner primären Aufgaben zwangsläufig in das Aufgabengebiet eines anderen Wehrmachtsteiles übergreifen muß, dann werden sich die Energien aller Beteiligten in zunehmendem Maße in Kompetenz-Streitigkeiten verzetteln. Dieses ganze Problem kann auch nicht durch einfache Verwaltungsanordnungen umgangen werden, wie man dies wiederholt versucht hat. Die Rivalitäten zwischen den Wehrmachtsteilen liegen in der Struktur ihrer jeweiligen Aufgabenbereiche begründet. Sie ergeben sich ganz zwangsläufig, wenn man den einzelnen Wehrmachtsteilen auf Grund ihrer verschiedenen Waffentechnik verschiedene Aufgaben zuweist, obwohl unser technologisches Zeitalter allen derartigen Unterscheidungen im Grunde Hohn spricht.

Starre Trennung der Funktionen

Da es somit zu keiner Übereinstimmung in bezug auf eine Gesamtkonzeption kommt, kann keiner der drei Wehrmachtsteile fest damit rechnen, daß sich die Auffassungen der anderen über das, was ein vordringliches militärisches Ziel darstellt, mit seinen eigenen Auffassungen decken. Aus diesem Grunde setzt sich dann auch in jedem der drei Wehrmachtsteile die Über-zeugung fest, daß er niemals die Kontrolle über irgendeine Waffe aus der Hand geben darf, die er zur Erfüllung seiner eigenen Mission für wichtig hält. Lim ganz sicher zu gehen, daß die ihm „zugeteilten“, feindlichen Ziele auch tatsächlich angegriffen werden, muß daher jeder Wehrmachtsteil alle Waffen zu erhalten suchen, die sich gegen diese feindlichen Ziele einsetzen lassen, — selbst wenn solche Waffen in den anderen beiden Wehrmachtsteilen bereits in Gebrauch sind.

„Wenn ich“ — so erklärte General Twining in der öffentlichen Sitzung des Symington-Ausschusses über das Luftkriegspotential der Vereinigten Staaten, „bei einem gegen Rußland durchzuführenden militärischen Angriff durch die Luftwaffe sicher wäre, daß die Flugzeugträger der Marine dem Chef des Strategischen Bomber-Kommandos, General Le May, unterstellt würden, dann wäre alles bestens. Das ist aber nicht der Fall, und ich weiß nicht, wo sich diese Flugzeugträger im Falle X tatsächlich befinden werden . . . aus diesem Grunde muß das Strategische Bomber-Kommando (Strategie Air Command) ganz unabhängig von diesem Beitrag der Flotte genau so groß, stark und ständig auf alle Eventualitäten vorbereitet sein“. — „Die wichtigste Funktion der Luftwaffe“ — so erklärte General Taylor, als er die Entwicklung eines 2000 km Geschosses verteidigte, „muß in der Zerstörung der feindlichen Luftmacht liegen, die der Marine in der Zerstörung der feindlichen Flottenmacht. Wenn Sie die Tatsache akzeptieren, daß die Daseinsberechtigung der Armee in der Zerstörung der feindlichen Landstreitkräfte zu suchen ist, dann sollten alle Geschosse, die zur Vernichtung gegnerischer Bodentruppen dienen können, der Armee zur Verfügung gestellt werden.“

Die starre Trennung der Funktionen führt daher zu einer Verschärfung der Auseinandersetzungen zwischen den drei Wehrmachtsteilen. Da kein Wehrmachtsteil seine Hauptaufgabe erfüllen kann, ohne den Feind völlig zu vernichten, wird er immer die ihm zugesprochene Soll-Stärke für unzureichend halten und davon überzeugt sein, daß einer der Gründe für diese Unzulänglichkeit in der Einmischung anderer Wehrmachtsteile in seinen Kompetenzbereich zu erblicken ist. Hinzu kommt, daß die derzeit gültige Rollen-Verteilung in einigen Fällen zu Überschneidungen in dem Gebrauch von Waffentypen führt, andererseits aber auch manche Waffen sozusagen zwischen zwei Stühle fallen. Die Auseinandersetzungen zwischen Armee und Luftwaffe über die Bedeutung von Luftbrücken veranschaulicht diesen Zustand besonders gut:

Die Luftwaffe, die die feindliche Luftmacht zerstören soll, muß in der Produktion von Flugzeugen ohne jede strategische oder taktische Kampfkraft eine Verzettelung der zur Verfügung stehenden Mittel erblicken. Hingegen kann die Armee ihren Aufgaben nicht gerecht werden, wenn sie nicht in die Lage versetzt wird, möglichst schnell die ihr zugedachten Ausgangsstellungen einzunehmen. Die derzeitige Trennung der Funktionen führt daher entweder zu Liberschneidungen, oder aber dazu, daß die Wehrmachtsteile ihre jeweiligen „Wunschlisten“ nicht unter dem Blickwinkel einer Gesamtstrategie aufzustellen vermögen. Ein weiterer, der Entwicklung einer strategischen Gesamtkonzeption entgegenstehender Faktor ist damit gegeben, daß man in unserer ganzen Verteidigungsplanung fiskalischen Erwägungen den Vorrang einräumt. Dabei handelt es sich keineswegs immer um eine bewußt betriebene Politik. Die starke Betonung fiskalischer und technischer Gesichtspunkte erklärt sich zum Teil daraus, daß bislang die fiskalischen immer klar umrissen, und die technischen in ihrer zwingenden Logik äußerst beeindruckend gewesen sind. In dem Prozeß der Koordinierung verschiedener Zielsetzungen — und darin besteht ja die Hauptaufgabe des Nationalen Sicherheits-Rates — gibt es immer eine fest umrissene Finanzpolitik, und zwar vor allem deshalb, weil die Existenzberechtigung des sogenannten Budget-Büreau (des Haushalts-büros) in einer gesamtwirtschaftlichen Planung der Regierung liegt, und weil nur eine einzige Behörde — nämlich das Schatzamt (Treasury Department) — für die Aufstellung von Haushaltsansätzen verantwortlich ist. Sehr selten — vielleicht sogar überhaupt nicht — gibt es nun aber demgegenüber eine ebenso festumrissene Politik der nationalen Sicherheit. Ganz im Gegenteil: die miteinander rivalisierenden Wehrmachtsteile sind oft der Versuchung unterlegen, sich die Unterstützung des Schatzamtes und des Haushaltsbüros dadurch zu sichern, daß sie die von ihnen jeweils befolgte strategische Planung als einen Beitrag zu der ganzen Wirtschaftsplanung der Regierung darstellen. In Ermangelung anderer, und vielleicht besserer, Gesichtspunkte gewinnen die fiskalischen daher sehr oft an Überhand; wenn auf dem Gebiete der Konzeption ein Vacuum besteht, dann wird stets diejenige Seite den Sieg davontragen, die die übersichtlichste und konsequenteste Haltung einnimmt.

Was auch immer im einzelnen die Gründe gewesen sein mögen: seit dem 2. Weltkrieg haben jedenfalls alle amerikanischen Regierungen von Zeit zu Zeit den Standpunkt vertreten, daß wir es uns nicht leisten können, bei den Ansätzen für den Militärhaushalt gewisse Grenzen zu überschreiten. Dabei wurde dann die entscheidende Frage beiseite geschoben, ob sich unser Staat einen unzureichenden militärischen Apparat überhaupt leisten kann. Heutzutage ist nun allerdings die Festsetzung von Budget-Höchstgrenzen nicht notwendigerweise ein Schaden; denn wenn man überhaupt nicht gezwungen wäre, sich nach einer fiskalischen Decke zu strecken, dann würde dadurch eine Gesamtkonzeption noch unmöglicher gemacht, weil ja jeder der drei Wehrmachtsteile automatisch für jeden Eventualfall Waffen horten würde. Genau dies geschah ja in einem gewissen Umfange zur Zeit der Korea-Krise. Ein Nebeneinander verschiedener Waffentypen ohne jeden Bezug zu einer Gesamtkonzeption wird zwangsläufig dazu führen, daß strategische Entscheidungen — die ja immer die Notwendigkeit einer echten Wahl beinhalten — in der turbulenten Atmosphäre einer tatsächlichen kriegerischen Auseinandersetzung getroffen werden müssen. Die ganze Schwierigkeit bei der Aufteilung unseres Budgets liegt heute in folgendem: dadurch, daß dem Problem der Kosten eine Priorität gegenüber den tatsächlichen Erfordernissen eingeräumt wird, ordnet man auch jede Gesamtkonzeption den Belangen der Technik unter. Haushaltsmittel werden dann nicht unter dem Gesichtspunkt einer strategischen Gesamtkonzeption angefordert. Vielmehr wird diese Konzeption so lange zurechtgeschneidert, ja notfalls sogar „erfunden", bis sie sich in Einklang bringen läßt mit den als tragbar angesehenen Anforderungen von Haushaltsmitteln.

Die Priorität fiskalischer Erwägungen dient einer gewissen Starrheit in der Konzeption, weil jeder Wehrmachtsteil befürchten muß, daß eine Änderung der Konzeption auch zu einer Herabsetzung seiner Haushalts-Ansätze führen wird. Dieses Phänomen läßt sich gut illustrieren an einer sehr heftigen Kontroverse aus dem Jahre 19 50 zwischen den Befürwortern einer strategischen Luftwaffe und einer Gruppe von Wissenschaftlern des Lincoln-Laboratory im Massachusetts Institut für Technologie, die angegriffen wurden, weil sie eine Beschneidung unseres „Vergeltungs-Potentials“ zu Gunsten eines besseren Aufbaues der Luftverteidigung forderten. An dieser Kontroverse war besonders der Umstand bemerkenswert, daß die Wissenschaftler immer wieder betonten, sie unterschätzten keineswegs die Bedeutung einer strategischen Luftwaffe; sie bestanden vielmehr auf der These, daß ihren Empfehlungen ausschließlich Erwägungen eines Aufbaues unserer Luftverteidigung zugrunde lagen. Die Anhänger der strategischen Luftwaffe hatten aber die Momente der Psychologie, wenn nicht sogar die der Logik, auf ihrer Seite. Da für den Militärhaushalt Höchstgrenzen festlagen, stand von vornherein fest, daß jeder neue Haushalts-ansatz zwangsläufig zu einer Herabsetzung der bestehenden Streitkräfte führen mußte. Entwicklungen in neuen Bereichen konnten sich in praxi nur auf Kosten bereits bestehender ergeben.

Betonung fiskalischer und technischer Gesichtspunkte

Fehlen einer Gesamtkonzeption

So kommt es, daß der schon von Natur aus vorhandene Konservatismus der Militärs durch die Erfordernisse des Etats eine Stärkung erfährt, und man schließlich die Gesamtkonzeption dem Kampf um die Haushaltsansätze unterordnet. Jeder Wehrmachtsteil forciert die Entwicklung von Waffen jeder Kategorie ohne ausreichende Rücksichtnahme auf das Programm des anderen. Zugleich strebt jeder Wehrmachtsteil die Kontrolle über eine größtmögliche Vielzahl von Waffen an, um sich dadurch gegen drastische Etat-Beschneidungen der Zukunft abzusichern. Das Primat fiskalischer Erwägungen in unserer gesamten Verteidigungs-Planung fördert im Grunde nur eine subtilere Form der Verschwendung: da es keine allgemeine verbindliche, strategische Konzeption gibt, kommt es zu einem üppigen Wachstum von sich teils überschneidenden, und teils gegenseitig aufhebenden Waffen-Typen. Weil der Verzicht auf bestimmte Waffentypen unter Umständen den Verlust entsprechender, das heißt dafür bewilligter, Haushaltsmittel mit sich bringt, besteht für jeden Wehrmachtsteil ein ausgesprochen starker Anreiz, an jeder Waffe selbst dann noch festzuhalten, wenn sie ihren eigentlichen Wert längst eingebüßt hat.

Die durch die Priorität fiskalischer Erwägungen hervorgerufenen Schwierigkeiten bei der Ausarbeitung einer Konzeption werden nun nicht etwa dadurch wieder wettgemacht, daß es zu einer verstärkten Kontrolle ziviler Stellen entweder im Rahmen der Exekutive oder durch den Kongreß kommt. Eine wirksame Kontrolle über die Planungen der Militärs ist aus zwei Gründen äußerst schwierig: einmal ist eine jährlich vorgenommene Überprüfung der Planungen im Grunde eine reine Fiktion, und zum anderen ist die technische Komplexität dieser Planungen zu groß geworden. Die jährlich vorgenommene Überprüfung ist immer weniger in Einklang zu bringen mit den Realitäten einer umfassenden Verteidigungs-Planung. Die Zeitspanne zwischen Entwicklung und Serienherstellung beträgt bei den meisten neuen Waffen mehrere Jahre. Die Einführung einer neuen Waffe in einer militärischen Einheit bedeutet, daß im Laufe der Zeit alle Einheiten damit ausgerüstet werden. So führte die erste Bestellung von Flugzeugen des Types B 52 logischer-weise dazu, daß die Serienherstellung dieses Types so lange fortgesetzt werden mußte, bis alle schweren Bomber-Einheiten des Strategischen Bomber-Kommandos im Besitze von Düsenflugzeugen waren. Ganz ähnlich werden durch den Konstruktions-Beginn eines neuen Flugzeugträgers weitere jährliche Haushalts-ansätze für die Durchführung dieser Konstruktion nahezu unvermeidlich.

LInter diesen Umständen führt eine jährlich vorgenommene Überprüfung der militärischen Planungen keineswegs zu einer wirksamen Kontrolle. Allerdings stellt eine solche Über-prüfung sicher, daß Kontroversen niemals wirklich ausgetragen werden. Jedes Jahr werden dieselben Argumente z. B. über die Bedeutung eines „begrenzten“ Krieges (ohne Einsatz von Atomwaffen), über die Wirksamkeit von Luft-brücken, oder über die Vorzüge der Flugzeugträger gegenüber der strategischen Luftwaffe (bzw. umgekehrt) vorgebracht und solange nicht entschieden, bis entweder die ganze Streitfrage durch irgendeine neue technische Entwicklung überholt wird, oder auf dem Wege einer administrativen Entscheidung neue Aufgabengebiete zugeteilt werden, die der in der ganzen Kontroverse „überrundete“ Wehrmachtsteil einfach deshalb akzeptiert, weil die Chancen sehr gün-stig sind, die Frage im nächsten Jahr erneut aufrollen zu können. Besteht daher keine allgemeine Übereinstimmung hinsichtlich einer Gesamtkonzeption, dann lassen sich Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Wehrmachtsteilen nur durch Kompromisse aus der Welt schaffen. Solche Kompromisse legen dann ein Minimum der Übereinstimmung über eine Gesamtstrategie fest, oder aber bewirken, daß zu den bereits vorhandenen Aufgabengebieten und weitere hinzukommen. Waffentypen Die technische Komplexität der meisten Streitfragen wirkt sich bei der Ausübung einer KontrollFunktion durch zivile Stellen, insbesondere aber durch den Kongreß, noch erschwerender aus. Dadurch, daß innerhalb des Verteidigungs-ministeriums eine Vielzahl von Zivilisten tätig sind, die oftmals nur zwei Jahre im Amt bleiben, können der Verteidigungsminister und seine Staatssekretäre nicht so sehr Kontrollfunktionen ausüben, sondern müssen vielmehr die Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Wehrmachtsteilen zu legitimieren . such. cn Ihre eigene, kurze Amtsdauer macht es ihnen sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich, sich in die subtileren Probleme der Strategie einzuarbeiten. Anstatt daß sie in die Lage versetzt werden, eine allumfassende Konzeption auszuarbeiten, werden diese Spitzen des Verteidigungsministeriums zum Sprachrohr eines Berufsstabes, von dessen Ratschlägen sie abhängen.

Die Kontrolle durch den Kongreß

Was die Kontrolle durch den Kongreß betrifft, so ist der Bewilligungsausschuß das einzige Forum, in dem die Überprüfung einer allumfassenden Verteidigungsplanung stattfinden kann. Eine wirklich sinnvolle Beurteilung des Militärhaushaltes durch den Kongreß würde voraussetzen, daß man einmal die militärische Stärke genau abschätzt, die sich aus der Verausgabung von Mitteln in einer bestimmten Höhe ergeben würde, und zum anderen das Verhältnis dieser Stärke zu den für die Vervollkommnung der Sicherheit des Landes angestrebten Zielen. Weder die eine noch die andere Voraussetzung ist nun aber durch die derzeitige Praxis gegeben. Der Haushaltsvoranschlag wird zwar eingebracht auf Grund sowohl der „Aussagen“ (vor einem Kongreß-Ausschuß) der Chefs der einzelnen Wehrmachtsteile, wie auch deren zivilen Vorgesetzten, die sich über den Ernst einer jeweils gegebenen internationalen Lage auslassen. An sich wäre es in solchen Fällen durchaus notwendig aufzuzeigen, in welcher Beziehung die von den LISA befolgte Gesamtstrategie zu den Ereignissen im Ausland steht; man begnügt sich jedoch stets mit der ganz allgemein gehaltenen Feststellung, daß der jeweils in Vorschlag gebrachte Militär-Haushalt für die Sicherheit der Vereinigten Staaten unerläßlich sei. Ihrerseits können sich die Ausschüsse des Kongresses in ihren Entschlüssen nur von einer relativ vagen Abschätzung der internationalen Lage leiten lassen: normalerweise zeigen sie wenig Neigung, den Etat zu kürzen, wenn sie die internationale Lage für ernst halten, beschneiden aber unter Umständen Anforderungen von Seiten des Verteidigungs-Ministeriums auf das drastischste, wenn sie zu der Ansicht gelangen, daß die Lage nicht so ernst ist, wie sie von amtlicher Seite dargestellt wird.

Wenn einmal im Kongreß strategische Konzeptionen überhaupt Gegenstand ernsthafter Erörterungen sind, dann ist dies im allgemeinen darauf zurückzuführen, daß irgendein Wehrmachtsteil seine Unzufriedenheit über die ihm zugeteilten Haushaltsmittel angemeldet hat. So kam es zum Beispiel zu den öffentlichen Sitzungen (den sogenannten hearings) über den Flugzeug-Typ B 36 im Jahre 1949 deshalb, weil Verteidigungsminister Johnson Streichungen von Flugzeugträgern für die Marine vorgenommen oder zu den Sitzungen des Symington-Ausschusses über Probleme des Luftkriegspotentials, weil Verteidigungsminister Wilson Höchstgrenzen für den Etat der Luftwaffe (und auch der anderen Wehrmachtsteile) festgesetzt hatte. Dieses ganze, bei uns heute angewandte Verfahren hat den großen Nachteil, daß einmal die Probleme eines bestimmten Wehrmachtteiles über Gebühr herausgestellt, und zum anderen die wahren Schwierigkeiten verdeckt werden, die sich aus Überschneidungen verschiedener strategischer Planungen ergeben.

Darüber hinaus denkt man selbst in öffentlichen Sitzungen (hearings), die sich ganz speziell mit den Problemen der Aufgabenverteilung zwischen den drei Wehrmachtsteilen befassen, für gewöhnlich auch nur in den üblichen technischen Kategorien. So schenkte man zum Beispiel in den öffentlichen Sitzungen des Symington-Ausschusses über Probleme des amerikanischen Luftkriegspotentials im Jahre 1956 den strategischen Konzeptionen der einzelnen Wehrmachtsteile relativ wenig Aufmerksamkeit-. Aufs ganze gesehen begnügte sich der Ausschuß damit, die von den Wehrmachtsteilen selber dargelegten Konzeptionen zur Kenntnis zu nehmen, bzw. zu akzeptieren. Viel Zeit verwandte man hingegen auf die Frage des Zahlenverhältnisse zwischen den schweren Bombenflugzeugen der UdSSR und der Vereinigten Staaten, sowie auf das Problem der beiderseitigen PS-StärKen der Düsen-Aggregate. Natürlich sind solche Zahlen wichtig; ihre eigentliche Bedeutung erlangen sie jedoch erst dann, wenn man sie im Rahmen einer strategischen Gesamtkonzeption betrachtet. Ohne eine klare Konzeption hinsichtlich einer eventuellen Kriegführung, zumindest aber eines Luftkrieges, besagen Vergleichszahlen wenig, — Fragen der relativen Stärke von Düsen-Aggregaten im Grunde überhaupt nichts. Das Forschen nach dem jeweiligen Zahlenverhältnis ist nur ein Symptom dafür, daß man sich zu einer strategischen Gesamt-konzeption nicht mehr aufraffen kann.

Die Wehrmachtsteile neigen für gewöhnlich dazu, die Probleme der äußeren Sicherheit der Vereinigten Staaten in den düstertsten Farben zu schildern, weil sie dadurch ein günstiges Klima für ihre Budget-Anforderungen zu schaffen hoffen. Aus der richtigen Erkenntnis heraus, daß diejenigen Voranschläge am meisten Chancen haben angenommen zu werden, die scheinbar „totale Lösungen“ verheißen, wird jeder Wehrmachtsteil dazu verleitet, die Bedeutung der Waffen besonders hervorzuheben, die dem Gegner die größtmögliche Vernichtung zuzufügen versprechen. So präsentierte die Armee im Jahre 1951 plötzlich die „AtomKanone“ — eine im Grunde sehr schwerfällige, und jetzt bereits schon wieder veraltete Waffe — teilweise in der Absicht, sich auf diesem Wege Zugang zu dem „Kernenergie-Topf“ zu verschaffen. Oder — um ein ähnliches Beispiel zu nehmen — die Marine gab nach dem soge-nannten B-36-Ausschuß-Sitzungen ihren bis dahin erbitterten Widerstand dagegen auf, daß man Abschreckung mit einer größtmöglichen Vergeltungsmacht identifizierte; ja, die Marine machte sich diese Theorie auf einmal seiber zu eigen und stellte in den Mittelpunkt ihrer Argumentation, mindestens aber ihrer eigenen Etat-Anforderungen, nicht so sehr ihre weniger „sensationelle“ Aufgabe der U-Boot-Bekämpfung, als vielmehr den auch von ihr geleisteten Beitrag zu dem strategischen Angriffspotential der amerikanischen Streitkräfte. Nach den öffentlichen Sitzungen der Kongreß-Ausschüsse kann man eigentlich auch nicht länger darüber im Zweifel sein, daß sogar innerhalb der Luftwaffe selber dem Strategischen Bomber-Kommando das größte Prestige und der größte Wert beigemessen werden.

Auf diese Weise prämiiert sozusagen das ganze Budget-Verfahren diejenigen Waffen-Typen, die sich am besten in die traditionellen und fest eingefahrenen Vorstellungen des amerikanischen strategischen Denkens einordnen lassen. Nicht etwa, daß der Glaube an die Bedeutung eines strategischen Angriffs-Potentials an sich falsch wäre; auch wir sind der Ansicht, daß dem Strategischen Bomber-Kommando weiterhin unbedingt der Vorrang in unserem Militärhaushalt einzuräumen ist. Nur glauben wir ganz einfach, daß durch die Überbetonung scheinbar „totaler“ Lösungen die an sich bereits schon sehr starke Tendenz noch verstärkt wird, auf den Ausbau unseres Vergeltungspotentials mit subtileren militärischen Mitteln zu verzichten. Unter letzteren verstehen wir solche, die auf viel wahrscheinlichere Gefahren, und somit strategisch nicht auf eine völlige Vernichtung des Gegners abgestellt sein würden. Es ergibt sich daher folgende Quadratur des Zirkels. Je düsterer das Bild ist, das wir in bezug auf das sowjet-russische Potential malen, um so mehr fördern wir unsere ohnehin schon starke Vorliebe für eine strategische Konzeption des totalen Krieges. Je furchtbarer jedoch die Auswirkungen dieser unserer strategischen Konzeption, um so weniger wird unsere politische Führung geneigt sein, sich diese zu eigen zu machen. In jeder neuen Krise müssen wir somit unsere Maßnahmen nach dem vorhandenen Potential ausrichten, anstatt daß wir bereits im voraus unser Potential auf die mit größter Wahrscheinlichkeit auf uns zukommenden Gefahren abstellen. Ja, selbst hinsichtlich des Potentials, das uns tatsächlich zur Verfügung steht, gehen wir nur noch zögernder vor, weil die einzelnen Wehrmachtsteile unter sich keineswegs einer Meinung sind über eine Gesamtstrategie, und zwar weder für einen (im Sinne des Einsatzes der Mittel) begrenzten Krieg, noch für einen totalen. Bei letzterem gehen die Ansichten ganz besonders weit auseinander.

Durchschlagskraft und Macht an erster Stelle

Bei jeder Planung einer umfassenden Strategie ist die Versuchung groß, Durchschlagskraft und Macht an die Stelle einer echten Konzeption zu setzen, beziehungsweise letztere mit einer maximalen Entwicklung von Stärke zu identifizieren. Das Atomzeitalter hat jedoch zu dem grundlegenden Wandel geführt, daß der Sieg in einem totalen Krieg seine herkömmliche Bedeutung völlig eingebüßt hat. Bei einer Anwendung lediglich der konventionellen Waffen-technik dürfte im allgemeinen auch weiterhin diejenige Seite, die die größere Offensivkraft einzusetzen vermag, in dem Endstadium eines Krieges noch über genügend Reserven verfügen, um die Bedingungen eines Friedensschlusses diktieren zu können. Bei einem kriegerischen Einsatz von Kernwaffen jedoch könnte sich die größere Offensiv-Kraft strategisch im Endeffekt als relativ bedeutungslos erweisen, da unter Umständen selbst die schwächere Seite dem Gegner noch solche Verluste an Menschen und Material zufügen kann, wie sie keine moderne Gesellschaft verkraften würde. Das Atomzeitalter fordert daher von allen, die eine strategische Gesamtkonzeption entwickeln wollen, daß sie das vorhandene Kräftepotential mit Bedacht einsetzen und in der Außenpolitik nur solche Ziele aufstellen, die nicht gleich bei jeder auftretenden, internationalen Streitfrage die ganze Existenz eines Staates gefährden. Heute genügt es nicht mehr, daß sich eine strategische Gesamtkonzeption allein mit dem Problem befaßt, wie die für einen Krieg notwendigen Waffen bereitgestellt werden können. Vielmehr müssen letztere immer im Zusammenhang mit den durch einen Krieg zu erreichenden Zielen gesehen werden.

Angesichts der ominösen Bedrohung mit einer atomaren Vernichtung kann ein militärischer Sieg in dem bisher üblichen Sinne nicht länger das Ziel eines Krieges sein. Vielmehr sollte heute dabei immer die Schaffung ganz bestimmter politischer Verhältnisse angestrebt werden, über deren Bedeutung sich auch der Gegner völlig im klaren ist. Ein mit begrenzten Mitteln geführter Krieg kann nur den Zweck verfolgen, dem Gegner Verluste zuzufügen, oder ihm Risiken vor Augen zu führen, die in keinem Verhältnis zu dem stehen, um das es bei der jeweiligen Auseinandersetzung geht. Das Ausmaß der militärischen Operationen würde sich daher höchstwahrscheinlich nach der Bedeutung des Kriegszieles richten. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß die militärischen Operationen unter keinen Umständen über das Gebiet (oder Ziel) hinausgehen, das den casus belli darstellt. In der Tat besteht ja gerade eine Möglichkeit, den Gegner zu einer größeren Nachgiebigkeit zu zwingen, darin, ihm etwas zu nehmen, in dessen Besitz er nur wieder gelangen kann, wenn er bereit ist, Frieden zu schließen. Der oben aufgestellte Satz über das Verhältnis von Kriegsausmaß und Kriegsziel will nun aber besagen, daß ein begrenzter Krieg nicht ausschließlich aus militärischen Erwägungen heraus geführt werden darf; es muß vielmehr immer möglich sein, politische und militärische Ziele auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Eine „rein“ militärische Entscheidung ist somit in einem begrenzten Krieg ein ausgesprochener Widerspruch in sich selbst.

Ein Krieg zwischen Großmächten kann nur dann ein „begrenzter“ bleiben, wenn eine der beiden Seiten in einem bestimmten Stadium der kriegerischen Verwicklung eine taktische Niederlage dem Einsatz von zusätzlichem Kriegs-potential vorzieht, oder aber wenn beide Seiten sich mit einem „Einstand“ begnügen, weil ihnen dies lieber ist als das Fortbestehen eines von ihnen angenommenen Risikos. In beiden Fällen jedoch verbleibt den kriegführenden Parteien materiell gesehen immer noch die Möglichkeit, den Einsatz ihrer Mittel zu steigern. In dem Maße aber, in dem dann beide Seiten tatsächlich diesen Einsatz steigern, wird sich der Krieg allmählich ausweiten, bis eine der Mächte — oder beide — an die Grenze ihrer materiellen Möglichkeiten gelangen, oder aber auch, bis eben aus dem ursprünglich „begrenzten“ Krieg ein totaler geworden ist. Wenn aber nur eine Seite größere Risiken einzugehen bereit ist, dann wird sich diese Seite einen Vorteil verschaffen. Ob man einen begrenzten Krieg durchzuführen in der Lage ist, hängt somit einmal von der richtigen psychologischen Einschätzung der jeweiligen Risiko-Berechnung des Gegners ab, und zum anderen davon, ob man diesem Gegner in jedem Stadium der kriegerischen Auseinandersetzung die Möglichkeit eines „Arrangement“ bietet, das ihm mehr Vorteile zu bringen scheint, als sie bei einer Verlängerung bzw. Ausweitung des Krieges herausspringen könnten.

Konzeption des „begrenzten" Krieges

Bei einer Konzeption des „begrenzten“ Krieges müssen viele der seit langem gehegten Auffassungen über die beste Form der Kriegführung modifiziert, oder aber gänzlich über Bord geworfen werden. Einer der entscheidenden Glaubenssätze jeder Luftkriegsstrategie besagt, daß Kriege nur gewonnen werden können, wenn man sich die vollständige Beherrschung des Luftraumes sichert. Heute würde aber jeder Versuch, den Gegner seines Vergeltungs-Potentials zu berauben, unvermeidlich zu einem totalen Krieg führen. Wenn eine der kriegführenden Mächte damit rechnen muß, militärisch zur völligen Ohnmacht verurteilt zu sein, sobald ihr Vergeltungs-Potential vernichtet worden ist, dann wird diese Macht mit nahezu mathematischer Sicherheit den Entschluß fassen, ihr Vergeltungspotential noch rechtzeitig einzusetzen, um damit dem Gegner die Möglichkeit zu nehmen, die Bedingungen eines Friedensschlusses diktieren zu können. Ein begrenzter Krieg hat daher zur Mindestvoraussetzung, daß das feindliche Vergeltungspotential unangetastet bleibt.

Selbst die Beherrschung des Luftraumes über dem Kampfgebiet wird künftig immer weniger mit einer Politik des „begrenzten“ Krieges in Einklang zu bringen sein, besonders dann nicht, wenn diese Beherrschung ein tiefes Eindringen in feindliches Gebiet erforderlich macht; denn der Gegner dürfte höchstwahrscheinlich jedes Einfliegen in das Innere seines Landes als Vorbote eines Angriffes auf sein Vergeltungspotential ansehen. In jedem Krieg zwischen Atom-Großmächten wird daher die Festlegung bestimmter „Schutz-Gebiete“ (d. h. offener, von Angriffen ausgenommener), nahezu unerläßlich sein.

Einen begrenzten Krieg kann man nicht als einen totalen Krieg sozusagen en miniature ansehen, bei dem es zu einer Serie von pausenlosen Schlägen käme, die man solange intensiviert, bis der Kampfwille des Feindes gebrochen ist. Ganz im Gegenteil ist es vielmehr wichtig, die militärischen Operationen so anzulegen, daß sie in einzelnen Phasen abrollen. Somit wäre nach jedem Stadium eine Abschätzung der Chancen für ein „Arrangement“ möglich, bevor dann die nächste Phase eingeleitet wird. So paradox dies auch in unserem Düsen-zeitalter erscheinen mag: jede strategische Gesamtkonzeption sollte sich mit dem Problem der Retardierung befassen, das heißt mit der Frage, wie man vielleicht sogar das Tempo der militärischen Operationen selber herabsetzen kann, mindestens aber das Tempo, in dem diese Operationen aufeinander folgen. Wir dürfen niemals außer acht lassen, daß künftig das Ziel aller Strategie darin bestehen muß, auf die Willenskraft des Gegners Einfluß zu nehmen, nicht aber, ihn zu vernichten. Wir dürfen ferner nicht vergessen, daß heute Kriege nur begrenzt werden können, wenn man dem Gegner eine für ihn ungünstige Rechnung der Gesamt-risiken präsentiert. Dies aber setzt voraus, daß Ruhepausen für das Aufstellen solcher Rech-nungen gegeben sind. Jeder Feldzug sollte daher als eine Serie von in sich abgeschlossenen Phasen konzipiert werden, von denen jede die Erreichung eines ganz bestimmten politischen Zieles anstrebt, und zwischen denen immer eine genügend lange Pause eintritt, die die Anwendung eines politischen und psychologischen Druckes ermöglicht.

Wir werden daher ferner die Auffassung fallen lassen müssen, daß jeder diplomatische Kontakt aufhört, sobald einmal die Kampfhandlungen begonnen haben. Vielmehr ist ein fortdauernder, direkter Kontakt unerläßlich, da nur auf diese Weise sichergestellt werden kann, daß sich beide Seiten auf Grund wirklich fundierter Kenntnisse darüber im klaren sind, zu welchen Konsequenzen die Ausweitung eines Krieges führen würde. Ferner werden sie nur dann in der Lage sein, politische Formeln für ein „Arrangement“ in Vorschlag zu bringen. Die Diplomatie wird in dem Maße jede Entscheidung zu Gunsten eines Eingehens größerer Risiken inhibieren, in dem sie Alternativen für die Ausweitung des Konfliktes anzubieten vermag. Je besser sich die militärischen Operationen in voneinander getrennten Einzelphasen abwickeln lassen, um so größer werden die Chancen für eine realistische Abschätzung der Faktoren, die ein Arrangement ratsam erscheinen lassen. Einer der größten Widersprüche des Atomzeitalters dürfte darin zu sehen sein, daß u. U.der Mangel an Geheimhaltungsmöglichkeiten der Lenkung militärischer Operationen förderlich ist, und daß sich in einer Zeit der sehr fortgeschrittenen Technologie der moderne Stil der Schlachten wieder an den des Feuda-lismus angleicht, wo der Kampfwille genau so wie die taktische Stärke unter Beweis gestellt werden mußten.

Es wird gar nicht so leicht sein, einem solchen Wandel unserer traditionellen Auffassungen über die beste Form der Kriegführung zum Siege zu verhelfen. Bei einer genaueren Über-prüfung aller Faktoren mag sich dies technisch vielleicht sogar als völlig unmöglich erweisen. Linser ganzes strategisches Denken hat deshalb etwas so Entmutigendes an sich, weil wir uns weigern einzugestehen, daß die moderne Entwicklung der Technologie auch eine neue taktische Einstellung notwendig macht. Anstatt uns diese neue Einstellung zu erarbeiten, neigen wir dazu, im Rahmen einer bereits feststehenden strategischen Konzeption immer neue Kernwaffen ins Spiel zu bringen — was ja im Grunde nur die Bereitstellung von noch wirkungsvolleren Explosivstoffen bedeutet. Die Folge wären nur noch verheerendere Verluste an Menschenleben. Gleichzeitig wäre aber damit wahrscheinlich auch gar nicht die Gewähr gegeben, daß wir etwa auf uns zukommenden „Herausforderungen“ mit besseren Mitteln entgegentreten könnten. Jedem Fortschritt in bezug auf die Methode unserer Kriegführung muß daher ein revolutionärer Wandel in unserer Gesamtkonzeption unbedingt vorausgehen. Wir müssen eine neue Strategie erst einmal konzipieren, bevor wir uns eingehender mit ihren technischen Möglichkeiten befassen. Hierdurch stellt sich uns zweifellos eine ungeheuer große Aufgabe. Vor der Geschichte wird jedoch das Ausmaß der „Herausforderung“ niemals entschuldigen können, daß wir uns ihr nicht mit ausreichenden Mitteln stellen.

Neueinteilung der Streitkräfte

Unter anderem steht die ganze Organisation unserer militärischen Apparatur dem Versuch einer Bewältigung dieser Herausforderung mit ausreichenden Mitteln ganz entscheidend im Wege. Die Ausarbeitung einer strategischen Gesamtkonzeption setzt eine Verwaltungsstruktur voraus, durch die die Offiziere dazu gebracht werden, immer wieder im Verlaufe ihrer gesamten Karriere spontan über Fragen von übergeordneter Bedeutung nachzudenken. Das aber ist gar nicht möglich, solange zwischen den einzelnen Wehrmachtsteilen eine Trennung der Funktionen besteht, die bei uns immer willkürlichere Formen annimmt. Ein strategisches Planen, das mit Geschossen rechnet, 'muß nicht zwangsläufig deshalb einer Luft-kampf-Strategie zugeordnet sein, weil-diese Geschosse eben durch die Luft fliegen, genau so wenig, wie eine Raketenwaffe mit einer 2000-km-Reichweite nicht schon deshalb eine taktische Waffe ist, weil sie wie ein Artillerie-Geschoß abgefeuert wird.

Es kann durchaus sein, daß unsere Trennung von Armee und Luftwaffe im Jahre 1948 zwei Jahrzehnte zu spät, und genau zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurde, als die Unterscheidüng zwischen einer Strategie der Luftkämpfe und einer Strategie der Bodenkämpfe bereits anfing veraltet zu sein. Anstatt das „ArmeeLuftkorps“ (Army Air Corps) zu einem unabhängigen Wehrmachtsteil zu machen, wäre es wahrscheinlich klüger gewesen, beide Organisationen noch mehr miteinander zu verschmelzen. Die Trennung dieser Wehrmachtsteile wirkte sich im Grunde für beide nachteilig aus.

Zwangsläufig müssen nämlich verschiedene Akademien, Ausbildungs-und Kriegsschulen etc.der beiden Wehrmachtsteile dazu führen, daß jeweils ein bestimmter strategischer Aspekt betont wird und nicht eine alles umfassende Gesamt-konzeption. Letztere würde ja zur Folge haben, daß die traditionellen Unterscheidungen in Fortfall geraten, daß die Armee anfängt, die Beweglichkeit der Luftwaffe zu entwickeln, und daß schließlich sich die Luftwaffe die verhältnismäßig gut entwickelte Differenziertheit des Bodenkrieges zu eigen macht.

Auch heute noch wäre es zweifellos das Klügste, auf einen einzigen Wehrmachtsteil hin-zusteuern, in dem man zunächst einmal die Armee und die Luftwaffe integriert. Es kann sein, daß die strategischen Probleme der Marine auch weiterhin zu speziell bleiben, als daß auch hier eine Integrierung geboten erscheint. Auf jeden Fall wäre wohl der Widerstand innerhalb der Marine gegen eine völlige Vereinheitlichung so stark, daß etwaige Vorteile dadurch wieder zunichte gemacht würden. Eine organisatorische Verschmelzung aller Streitkräfte würde die Offiziere durch das sich notwendigerweise ergebende System der einheitlichen Ausbildungszentren schon in einem „formativen“ Stadium ihrer Karriere in einen Gesamtrahmen einordnen, der weniger starr auf die Belange eines einzigen Wehrmachtsteiles abgestellt wäre.

Eine völlige Integrierung aller drei Wehrmachtsteile dürfte wohl kaum in Betracht kommen. Den bürokratischen Formen und Traditionswerten, die ja die Kraftquellen aller Waffengattungen darstellen, wohnt zwangsläufig eine Tendenz zur Vereinigung inne, aus der heraus der Konzeption etwa einer einzigen Uniform oder eines einzigen Systems der Ausbildungsschulen ein überwältigender Widerstand entgegengebracht werden würde. Es könnte sogar sein, daß eine Verschmelzung aller Wehrmachtsteile einen viel zu schwerfälligen Apparat schaffen würde, der darüber hinaus dann immer noch unterteilt werden müßte im Hinblick auf die Verschiedenheit der gestellten strategischen Aufgaben. Vielleicht leitet man daher heute am zweckmäßigsten eine Reorganisation mit der Schaffung von zwei großen Kommando-bereichen ein, die den zwei, klar voneinander abgegrenzten, strategischen Zielsetzungen entsprechen würden. Heer, Marine und Luftwaffe würden als Verwaltungs-und Ausbildungseinheiten auch weiterhin bestehen bleiben, genau so wie ja auch die verschiedenen Ausbildungszweige innerhalb der einzelnen Wehrmachtsteile heute nebeneinander arbeiten. Für alle anderen Zwecke sollten aber eben zwei übergeordnete Organisationsformen geschaffen werden: Einmal die „Strategischen Streitkräfte“ und zum anderen die „Taktischen Streitkräfte“. Erstere würden bei einem totalen Krieg zum Einsatz kommen müssen. Hierzu würden gehören: das Strategische Bomber-Kommando, das Luftverteidigungs-Kommando, diejenigen Einheiten des Heeres, die überseeische Stützpunkte zu schützen haben und schließlich Einheiten der Marine, die an einem Vergeltungs-Angriff beteiligt sein müßten. Bei den „Taktischen Streitkräften“ würde es sich um alle diejenigen Armee-, Marine-und Luftwaffen-Einheiten handeln, die in einem begrenzten Krieg einzusetzen wären. Wahrscheinlich müßte man die „Strategischen Streitkräfte“ einem Luftwaffen-, und die „Taktischen Streitkräfte“ einem Armee-Oberbefehlshaber unterstellen. Innerhalb jedes der beiden Zweige sollten Ausbildung und Konzeption einheitlich sein; auch sollten alle Offiziere dieselben technischen und sonstigen Schulen besuchen. Die ganze Ausbildung würde auch weiterhin verwaltungstechnisch der Aufsicht eines der drei klassischen Wehrmachtsteile unterliegen. Der Stundenplan und die Zusammensetzung der Lehrgangsteilnehmer sollten aber jeweils von einem der beiden Oberbefehlshaber festgelegt werden. Eine solche Neueinteilung der US-Streitkräfte würde besser den Gegebenheiten der strategischen Gesamtlage entsprechen. Die „Taktischen Streitkräfte“ könnten zwar auch in einem totalen Krieg zum Einsatz gebracht werden und müßten dann dem Oberkommando der „Strategischen Streitkräfte“ unterstehen. Letztere hingegen sollten in einem begrenzten Krieg nicht herangezogen werden und selbst in einem totalen Krieg so selbständig wie nur möglich operieren. Die für einen strategischen Angriff einzusetzenden Streitkräfte sind das wichtigste Abschreckungsmittel gegen einen totalen Krieg. Ihr Einsatz muß daher diesem Eventualfall vorbehalten bleiben. Das ist ganz besonders wichtig in einem begrenzten Krieg; denn je mehr wir unser Vergeltungspotential in einem solchen Konflikt zum Einsatz bringen würden, um so weniger würde sich der Gegner veranlaßt sehen, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern.

Ein „Aggressor“, der uns in einem begrenzten Kriege zu einem Einsatz unserer strategischen Angriffs-Streitkräfte verleiten würde, dürfte sich damit einen militärischen Vorteil sichern und zwar ganz unabhängig von dem Ausgang der militärischen Operationen. Denn das Ausmaß der Abnutzung unseres Vergeltungspotentials in einem begrenzten Krieg würde zweifellos unsere Möglichkeiten einschränken, den Feind von einem totalen Krieg abzuhalten. Wir würden uns somit der Druckmittel für eine Begrenzung des Krieges berauben. Wenn wir also unsere strategischen Angriffsstreitkräfte gleichzeitig auf zwei ganz verschiedene Ziele hin ausrichten, dann müßte dies zu einer Lähmung unserer Abschreckungsmöglichkeiten führen, und zwar genau dann, wenn sich diese Abschreckung eigentlich am wirksamsten bemerkbar machen sollte.

Strategische und Taktische Streitkräfte

Darüber hinaus bestehen natürlich grundlegende Unterschiede in der Bewaffnung, Planung und Konzeption der militärischen Operationen, je nachdem, ob es sich um Streitkräfte handelt, die für einen Einsatz in einem totalen Krieg vorgesehen sind, oder um solche, die bei einem begrenzten Krieg zur Verfügung stehen müssen. In einem totalen Krieg sollen alle Waffen dazu dienen, in der kürzestmöglichen Zeit ein Maximum an Zerstörung herbeizuführen. In einem begrenzten Krieg hingegen sollte man die Skala der verschiedenen Waffen sehr viel differenzierter zum Einsatz bringen. In einem totalen Krieg sind die Angriffsziele im voraus bekannt; tatsächlich konzentriert sich ja schon in Friedenszeiten die Ausbildung jeder einzelnen amerikanischen Flugzeugbesatzung im Bereich der Strategischen Bomber-Kommandos auf ein einziges, ganz spezifisches Angriffsziel im sowjetischen Raum. Hier hängt daher alles von der Fähigkeit ab, mit der dann beim Ausbruch eines totalen Krieges Pläne in die Tat umgesetzt werden können. In einem begrenzten Krieg lassen sich hingegen weder die Kampfgebiete noch die Angriffsziele im voraus bestimmen. Hier hängt also alles von dem Tempo ab, in dem die Planung an eine sich erst herauskristallisierende Lage angepaßt werden kann.

In einem begrenzten Krieg besteht das Problem der Strategie darin, genau umrissene, begrenzte Ziele mit einer jeweils verschiedenen Intensität zu zerstören, gleichzeitig aber Atempausen zu ermöglichen, die für politische Kontaktaufnahmen unerläßlich sind. Man wird daher in einem begrenzten Kriege mit ganz anderen Waffen-Typen operieren müssen als bei einem Vergeltungsangriff. Für einen begrenzten Krieg werden äußerst bewegliche Einheiten mit einer relativ großen Feuerkraft benötigt, die sich schnell in Gefahrenzonen verlegen und dann auch differenziert einsetzen lassen. Ganz entscheidend ist die Fähigkeit zu einem möglichst schnellen „Ausschwärmen“. Denn bei der Feuerkraft der modernen Waffen und bei der großen Beweglichkeit unserer heutigen militärischen Einheiten kommt alles darauf an, eine bestimmte Stellung so schnell wie nur irgend möglich zu beziehen, da ein Gegner, wenn er sich erst einmal „festgesetzt“ hat, nur sehr schwer wieder aus seinen Stellungen heraus-gedrängt werden kann. Da es höchstwahrscheinlich nur dann zu einer Aggression kommen dürfte, wenn der Angreifer an der gegnerischen Fähigkeit oder Bereitschaft Zweifel hegt, sich auf militärische Operationen einzulassen, kann der Angreifer unter Umständen den Kampf-und Widerstandswillen seines Gegners an der Schnelligkeit ablesen, mit der dieser seine Stellungen bezieht, und sei es auch nur mit relativ geringen Streitkräften. Auf diese Weise würde man auch ganz entscheidend dazu beitragen, daß ein Gleichgewicht der Kräfte wiederhergestellt wird, bevor die eine oder die andere Seite sich bereits zu sehr engagiert hat.

Die Einteilung unserer gesamten amerikanischen Streitkräfte in „Strategische“ und „Taktische“ würde auch der eigentlichen Natur des uns konfrontierenden strategischen Problems gerecht werden. Dieses Problem besteht ja darin, daß wir uns als unerläßliche Voraussetzung für alle anderen Maßnahmen erst einmal vor einem totalen Krieg schützen müssen und darüber hinaus in der Lage sein sollten, einen begrenzten Krieg als eine Form des militärischen Konfliktes zu betreiben, in dem der Einsatz der Mittel noch in einem einigermaßen vernünftigen Verhältnis zu der Streitfrage steht, um die es jeweils geht.

Im Rahmen einer solchen, hier von uns skizzierten Reorganisation würde sich auch die Rolle der drei Stabschefs ändern. In Zukunft würde ein solches Gremium bestehen aus einem Vorsitzenden, den Oberbefehlshabern der Taktischen und der Strategischen Streitkräfte sowie dem Oberbefehlshaber der Marine-Operationen.

(Diese Marine-Operationen würden etwa den Kampf gegen die feindliche U-Bootmacht bei-halten, der sich ja schlecht in eine der oben genannten Kategorien einordnen ließe.) Ein derart umgestaltetes Gremium würde seiner ganzen Natur nach sehr viel mehr auf eine umfassende Konzeption hin orientiert sein, als dies heute bei drei Stabschefs der Fall ist. Jeder Oberbefehlshaber würde künftig eine „integrierte“

strategische Aufgabe, und nicht nur ein technisches Medium verkörpern. Da ja auch weiterhin die einzelnen Wehrmachtsteile durch eigene Befehlshaber verwaltet würden, wären die Ober-befehlshaber beider Gruppen nicht mehr so stark mit Routine-Problemen der Verwaltung belastet. Eine solche Belastung führt ja heute — wie Admiral Radford seiner Zeit vor dem Symington-Ausschuß betonte — dazu, daß der Vorsitzende der Stabschefs praktisch der einzige ist, der seine ganze Aufmerksamkeit auf die Probleme einer allumfassenden Strategie konzentrieren kann.

Daß die von uns hier vorgeschlagene, neue organisatorische Form von großem Vorteil für die Lenkung der militärischen Operationen wäre, beweist allein schon die Tatsache, daß in jedem Krieg der jüngsten Geschichte, in den wir verwickelt waren, auf einer ganz ähnlichen Grundkonzeption beruhende Kommandobereiche ins Leben gerufen wurden. Durch eine derartige Reorganisation würde also im Grunde nur eine Struktur bereits in Friedenszeiten errichtet, die uns in einem Krieg ohnehin durch die Erfordernisse des Kampfes aufgezwungen werden würde.

Zweijähriger Budget -Turnus

Zweifellos würden die heutigen Auseinandersetzungen über Haushaltsansätze nicht gänzlich aufhören — und zwar nunmehr eben zwischen den jeweiligen Oberbefehlshabern der Strategischen und der Taktischen Streitkräfte. Auch würde die alte Versuchung immer noch groß sein, neue Konzeptionen zur Untermauerung von Budget-Anforderungen zu erfinden. Da aber jede der beiden großen Gruppen eine völlig verschiedene strategische Zielsetzung verkörpern würde, müßten eigentlich das eigene Interesse und die Erfordernisse der strategischen Gesamt-konzeptionmiteinander in Übereinstimmung zu bringen sein.

Wenn wir versuchen wollen, das ganze Denken der Militärs auf die Ausarbeitung einer Gesamtkonzeption hinzulenken, dann dürfte es wünschenswert sein, dafür zu sorgen, daß etwas von dem Druck in Fortfall kommt, der sich bisher zwangsläufig aus dem beinahe pausenlosen Prozeß der Vorbereitung, des Aushandelns und der Rechtfertigung von Etatvorlagen ergeben hat. Sehr viel wäre schon gewonnen, wenn wir hinsichtlich des Militär-Haushaltes zu einem 2-jährigen Budget-Turnus übergehen würden. Auf diese Weise würde das Einbringen des Militär-Haushaltes mit den Wahlen zum Repräsentanten-Haus zusammenfallen. Und wir haben ja auch bereits darauf hingewiesen, daß sich viele der wichtigsten Ansätze für größere Anschaffungen ganz zwangläufig auf einen Zeitraum von mehreren Jahren erstrecken.

Zweifellos könnte eine solche Verfahrensweise im Anfangsstadium die Rivalität zwischen den verschiedenen Wehrmachtsteilen verstärken, da dem Festlegen von Haushaltsansätzen nun ja eine noch größere Bedeutung zukommen würde. Auf lange Sicht würde es jedoch zu einem Gesundungsprozeß beitragen, daß man die Auseinandersetzungen zwischen den Wehrmachtsteilen endlich offen austrägt.

Zur Zeit führen doch die Meinungsverschiedenheiten über Grundsatzfragen ebenso wie das Vortäuschen einer nicht vorhandenen Harmonie bei jeder öffentlichen Sitzung des Bewilligungsausschusses im Kongreß dazu, daß der Konflikt unter der Oberfläche weitertobt, oder durch sorgfältig eingefädelte Indiskretionen an die Presse oder an Mitglieder des Kongresses weitergenährt wird. Durch einen zweijährigen Budget-Turnus würde den Chefs der Wehrmachtsteile der ständige Druck genommen, der sich aus allen Planungen auf kurze Sicht zwangsläufig ergeben muß. Auch könnten dadurch die Planungsabteilungen veranlaßt werden, sich von der im Grunde doch rein passiven Aufgabe einer Rechtfertigung von Sollstärken der Streitkräfte abzuwenden und sich in Zukunft auf eine Erörterung der Zielsetzungen dieser Streitkräfte zu konzentrieren.

Wenn einmal innerhalb des VerteidigungsMinisteriums eine allgemein akzeptierte, strategische Gesamtkonzeption das Licht der Welt erblickt, dann würde auch der gesamte Prozeß der Aufstellung von festumrissenen Zielen einer Politik der äußeren Sicherheit innerhalb der gesamten Exekutive an Ausgewogenheit gewinnen. Das Verteidigungsministerium würde dann dem Fiskus gegenüber auch mit einem fest umrissenen Programm auftreten können. Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Wehrmachtsteilen würden viel von ihrer Schärfe einbüßen, wenn einmal das Fällen von strategischen Entscheidungen systematisch erleichtert wird, und die Abstände zwischen den öffentlichen Sitzungen des Bewilligungs-Ausschusses größer geworden sind (letzteres wäre zwar eine Hilfe, ist aber nicht unbedingt erforderlich). Auf diese Weise könnte man eine Gesamtkonzeption auf der einzig möglichen Grundlage ausarbeiten: nämlich auf einem richtigen Verständnis und einer richtigen Einschätzung des Wesens und der möglichen Ziele einer kriegerischen Verwicklung.

Brutale Stärke nicht unbedingt das richtige Mittel

Kommt es zu keiner allgemein akzeptierten Gesamtkonzeption, dann wird unseren ganzen Maßnahmen notwendigerweise immer etwas von einem Zufallscharakter anhaften; rivalisierende Gruppen werden dann versuchen, einander widersprechenden Vorschlägen zum Durchbruch zu verhelfen, ohne daß überhaupt eine echte Grundlage für die Durchführung solcher Vorschläge gegeben ist. Jedes neu auftretende Problem wird als völlig neuartig empfunden werden, und man wird dann eine Menge Energien auf die Analyse solcher Probleme verschwenden, anstatt echte Lösungsversuche anzustreben. Unsere Wehrmachtsteile würden schließlich feststellen, daß es nahezu unmöglich ist, eine sinnvolle Auswahl unter den vielen Waffentypen zu treffen, mit denen sie durch ihre Forschungsund Entwicklungsprogramme bald eingedeckt sein dürften. Wir würden dann auch in Zukunft die Initiative anderen überlassen und in zunehmendem Maße einen rein defensiven Weg einschlagen.

Viele unserer Probleme der Nachkriegszeit sind darauf zurückzuführen, daß wir gegenüber der Notwendigkeit, eine sinnvolle Gesamtkonzeption herauszuarbeiten, einfach versagt haben.

Wir neigten vielmehr dazu, unsere Maßstäbe eines relativ guten Benehmens auch den sowjetischen Führern zu unterstellen; es ist uns sehr schwergefallen, unsere Ziele in ihrem Verhältnis zu den überall in der Welt entfesselten revolutionären Kräften richtig herauszuarbeiten. Vor allem aber haben wir eine unglückliche Neigung entwickelt, unsere Probleme in erster Linie unter technischen Aspekten zu betrachten, und eine Gesamtstrategie mit einer maximalen Entwicklung unseres Machtpotentials gleichzusetzen.

Eine der paradoxen Lehren des Atomzeitalters ist zweifellos die, daß wir in dem Augenblick, in dem wir eine bisher noch nie dagewesene Beherrschung der Natur erringen, zu der unausweichlichen Erkenntnis gezwungen werden, daß die Probleme unseres Existenzkampfes vor allem auf dem Wege eines geistigen Prozesses einer Lösung nähergebracht werden müssen.

Bei dieser Aufgabe mag uns das Schicksal der Mammute und der Dinosaurier davor warnen, in dem Kampf um Sein oder Nichtsein eine brutale Stärke unbedingt als das richtige Mittel anzusehen.

Fussnoten

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