Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Jugend in der Tschechoslowakei | APuZ 9/1958 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 9/1958 Die Jugend in der Tschechoslowakei Volksdemokratische Elternpflichten

Die Jugend in der Tschechoslowakei

Rudolf Wenzel

Die jüngste Entwicklung in den Ostblockstaaten hat den volksdemokratischen Machthabern gezeigt, daß gerade jener Teil der Volksmassen, den sie glaubten für den Kommunismus gewonnen zu haben, „politisch unzuverlässig“ ist — die Jugend. Diskussionen in Warschau, Prag und Ost-Berlin, die das eingeplante Maß gelenkter Kritik weit überschreiten und zuweilen zu offenen Demonstrationen anwachsen, werden vornehmlich von Jugendlichen geführt. Den passiven Widerstand gegen das Terrorregime in Ungarn tragen Jugendliche. Nicht zufällig sind mehr als die Hälfte aller Häftlinge in den Straflagern dieser Staaten junge Menschen.

Nach dem Beispiel der russischen Oktoberrevolution im Jahre 1917 vollzog sich auch in diesen Ländern die kommunistische Machtübernähme mit der geistigen und vielfach sogar physischen Ausrottung bestehender Eliten. Eine neue Führungsschicht, aus den Kadern aktiver Revolutionäre gebildet, setzte ihre ganzen Hoffnungen auf die Jugend, denn sie erkannte, daß das künftige Schicksal des Kommunismus weniger von wirtschaftlichen Erfolgen und militärischen Rüstungen abhängen werde, als von der Denkungsart der jungen Generation. Die Jugend, so erwartete man, werde in die kommunistische Ideologie hineinwachsen und sich zu ihrer Avantgarde entwickeln.

Auch in *CdeSrR befaßten sich Regierung, Massenorganisationen, Presse und Funk pausenlos mit Fragen der Jugenderziehung. Der außerordentliche Aufwand und die ebenso intensiven wie umfangreichen Anstrengungen auf diesem Gebiete des öffentlichen Lebens stehen jedoch auch hier in einem kläglichen Mißverhältnis zum Ergebnis und besonders bei den slowakischen Jugendlichen sind die Erfolge der zehnjährigen kommunistischen Bewußtseinsbildung relativ bescheiden. Eine Studie des bekannten tschechischen Pädagogen Jan Smisek im Prager Regierungsblatt Rude Prävo vom 27. Juni 1956 bezeichnet „das Problem jenes Teiles der Jugend, auf den EiuflufJ zu gewinnen uns bisher nicht gelang und der sich unserem Einfluss verschließt“ als die „heißeste und schwierigste Frage“ und versucht zu vertuschen, daß die Opposition zum überwiegenden Teile aus den Reihen der Jungkommunisten und Parteianwärter kommt.

In der letzten Zeit hat man im tschechischen Nachbarstaat den Mut zu sachlicheren Analysen der Situation der Jugend gefunden und begnügt sich nicht mehr mit dem bequemen Verfahren, alles peinlich Un-planmäßige schematisch den „verderblichen Einflüssen westlicher Klassenfeinde zuzuschreiben Die alte Methode, immer schamhaft von „nur einigen Jugendlicl-ien zu sprechen, wird jedoch beibehalten, um den für das System wenig schmeichelhaften LImfang der Krise der Jugend zu verschleiern „Obzwar man in der CSR keinen so vulgären Versuchen einer Herabsetzung der Idee begegnet, wie auf den Seiten einiger polnischer Jugend-schriften“ -sagt z B das Zentralorgan der KPC vom 23. Juli 1957 -so hätten dennoch „das natüfliehe Streben der Jugend nach dem Neuen und die geistige Ersduitterung, die alle anständigen Menschen im vergangenen Jahr erlebten“ — (womit der ungarische Freiheitskampf gemeint ist) — „eine Atmosphäre der Zweifel, ja sogar der Verachtung der Autorität des Marxismus-Leninismus entstehen lassen“. Durch die Übernahme von Begriffen wie Humanismus, Freiheit, Menschlichkeit usw., die zwar hübsch klängen, jedoch — nach Friedrich Engels — im geschichtlichen und politischen Denken nichts beweisen, würden die Jugendlichen „dem kleinbürgerlidten Hin-und Herpendeln zwisdten Liberalismus und Radikalismus verfallen“. Ursache dieser bedauerlichen Haltung sei die Unkenntnis der rauhen Wirklichkeit und ihrer vom dialektischen Materialismus entdeckten Gesetzmäßigkeiten.

Die vorliegende Studie ermöglicht eine Überprüfung des Wahrheitsgehaltes dieser amtlichen tschechischen Darstellung der Situation der tschechischen jungen Generation. Am Probefall der Jugend in der CSR informiert sie über Jugendprobleme der westslawischem Nachbarn und will damit zum Verstehen der Völker Osteuropas beitragen.

Erziehung zum Arbeitseifer

Auf einer „beseda“ im Collegium Maximum der Juristischen Fakultät in Prag befaßte sich am 24. Mai 1957 der tschechoslowakische Staats-präsident Antonin Zapotocky persönlich mit der Krise der Jugend in der CSR. Das Hauptproblem sah er darin, „der heutigen Jugend die Liebe zum Aufbau des Sozialismus einzupflanzen, die Sehnsudit daran teilzunehmen und dafür Opfer bringen zu dürfen“.

In der bürgerlichen Gesellschaft sei die Arbeit ein Fluch, etwas Demütigendes, das die Ausbeuter der Werktätigen aufbürden. Bestrafungen mit Arbeit erzögen die Jugend zur Auffassung, daß Arbeit den Menschen erniedrige. Angst vor der Arbeitslosigkeit und Angst vor „Gottesstrafen“ sorgten dafür, daß die Werktätigen in Demut vor der herrschenden Klasse verharren. Völlig anders sähe der Marxismus-Leninismus den Sinn der Arbeit. So sprechen z. B. die amtlichen Richtlinien für Heimerziehung von der „Arbeit als einer Sache der Ehre, des Ruhmes und des Heldentums“ und deshalb müsse man „die Kinder in der Arbeit und für die Arbeit erziehen“.

Diese Tiraden haben als recht realen Hintergrund die große Leistungsfähigkeit de. Jugend. Lenin verglich seinerzeit die sozialistische Gesellschaftsordnung mit einem Termitenstaat, wo die Erfüllung der Arbeit das Gesetz schlechthin ist. Dem Zwecke, dieses Ziel zu erreichen, dient u. a. auch die Ausbeutung der Jugend im Arbeitseinsatz.

In der CSR beginnt dies in den „Freiwilligen Brigaden der Jugend", die z. B. eine Talsperre der Jugend, eine Eisenbahnlinie der Jugend, einen Industriebau der Jugend, ein Dorf der Jugend, Staatsgüter der Jugend, Tugendtankstellen usw. errichteten, und reicht über freiwillige Dienstleistungen Jugendlicher als Hilfspolizisten, Hilfspostboten usw. bis zu den Unterrichtsplänen der Jugendinternate, die den Tagesablauf so organisierei, daß neben drei Stunden Unterricht und zwei Stunden Sport täglich mindestens drei Stunden auf „produktive Arbeit“ entfallen. In allen Fällen wird versucht, den Anschein der Freiwilligkeit aufrechtzuerhalten. Auch die „druzinas“, jene sozialistische Errungenschaft, die schulpflichtige Kinder werktätiger Mütter ganztägig betreut und nur aD: nds zum Schlafen heimschickt, beschäftigen diese Schulkinder (im Schuljahr 1955/56 waren es 486 OOO) ausgiebig-mit Ernte-dienst, Altmaterialsammeln, Hilfsarbeit im Kohletagbau, landwirtschaftlichem Einsatz in Mitschurin-Zirkeln, Werkzeugreparaturen in Techniker-Zirkeln usw. Über die Leistungen jugendlicher Arbeitseinsatzgruppen berichtet nicht nur die Tageszeitung des Staatsjugendverbandes der SR, sondern die gesamte tschechische Presse. „Auch beim Ausbau der zweiten Etappe des metallurgischen Kombinates in Kundschitz wehen über dem Lager die Flaggen der Jugend und unter ihrem Banner erzielen die einzelnen Jugendbrigaden ihre Arbeitssiege" schreibt z. B. das Gewerkschaftsblatt Präce am 3 Juli 1957. Von den rund 100 000 „freiwilligen“ Hopfenpflückern waren z. B., einer Meldung des amtlichen Pressebüros vom 25. Juli 1957 zufolge, über 90 Prozent „Jugendliche der Schulen und Gewerbeschulen".

Es geht eingestandenermaßen darum, „die Jugend volkswirtschaftlich nutzbar" zu machen. Sogar das neue Jugendstrafrecht der CSR dient indirekt dieser Aufgabe. Die nach sowjetischem Vorbild eingeführte Strafe der „Besserungsarbeit ohne Freiheitsentzug“ wird merkwürdig häufig verhängt.

Jeden Jugendlichen bringt der Arbeitseinsatz in Kontakt mit Erwachsenen. Die Entschließung der gesamtstaatlichen Konferenz der revolutionären Gewerkschaftsbewegung vom 9. und 10. Juli 1957 folgert daraus u. a.: „Die Beziehungen zwischen Sdiule und Betrieb müssen nicht nur zur Verbesserung der politechnischen Ausbildung benützt werden, sondern auch zur ganzjährigen Organisierung einer reichen Gestaltung der Freizeit. Die Gewerkschaft trägt die volle Verantwortung für die Erziehung der Jugendlichen im Betrieb und muß darauf achten, daß Bestarbeiter und erfahrene ältere Werktätige die Jugendlichen zu einem tiefen Klassenbewußtsein anleiten. — Die Gewerkschaften haben ständig zu propagieren, daß es die Arbeiterehre erfordere, in die Bestarbeiter-Kollektive auch Jugendliche aufzunehmen.“

Die Gewerkschaftsbewegung benützt die Jugendlichen systematisch als Propagandisten undankbarer Aktionen. So entsprang angeblich die „Bewegung der vollen Ausnutzung der Arbeitszeit“ (libcicko-myjavske hnuti) der „freiwilligen Initiative der Jugend“ ebenso wie die soge-nannte „Freitagsbewegung“, innerhalb der z. B. nach Meldung des Rude Prävo vom 5. August 1957 allein im Mährisch-Ostrauer Regierungskreis 178 Traktorbrigaden der Jugend im Wettbewerb standen. Die Dezember-Tagung 1957 der Funktionäre des Staatsjugendverbandes erklärte für die nächsten beiden Jahre die Errichtung des Wasserkraftwerkes bei Orlik als „Bau der Jugend“.

Besonders die Durchführung sogenannter „Überzeugungskampagnen“ überlassen die alten Genossen gerne und neidlos den unerfahrenen Jugendlichen. Mit welchem Erfolg läßt ein Bericht der parteioffiziellen Gewerkschaftszeitung erkennen, der von den jugendlichen Stoßbrigaden in der Liebschitzer Schraubenfabrik u. a. berichtet: „Mit welchem Unverständnis und oft JJaß ihrer Umgebung mußten sich diese herumstreiten, wieviele persönlidre Vernaderungen mußten sie ertragen, für eine Sadte, die dodt dem Vorteil des Ganzen dient“.

Nachdem der dialektische Materialismus die Bildung von Gesinnungen und Denkinhalten in hohem Maße der Kraft der einwirkenden Umweltfaktoren zuschreibt, wird der Betreuung der Jugendlichen durch die Gewerkschaften große Bedeutung beigemessen. Lenin nannte es „die Erziehung mit dem gemeinsamen Werksdiaffen der Arbeiter und Bauern zu verbinden“. Diese Betreuung dient aber auch dazu, jene Jugendlichen unter Kontrolle zu halten, die schon zu Hause gelernt haben, politisch zu heucheln. Im Betrieb, in der Brigade, wo einer den anderen kennt, ist dies leichter. „Es zeigen sich Erziehungsmängel in der Schule und auch in der Familie. Sie zu beseitigen, liegt in der Madit des Arbeiter-milieus im Betrieb“ — schreibt das Rude Prävo vom 5. August 1957. Auch weltanschaulich unsichere Jugendliche fänden ihren Halt, wenn sie auf ihrem Arbeitsplatz von politisch gefestigten Genossen umgeben sind.

In vielen Betrieben hat deshalb jeder Lehrling einen sogenannten Patron, dessen Aufgabe es ist, im Jugendlichen -den Stolz auf die Arbeit und den Sozialismus zu wecken „Ältere Arbeiter, insbesondere die Neuerer, übernehmen Patenschaften zu den Jugendlidten und sind ihnen durdi volle vier Jahre Berater, Mitarbeiter und häufig audt sehr gute Freunde“ — schildert die Monatsschrift „Tschechoslowakische Gewerkschaften“ in ihrer Septemberfolge 1957. Besonders an den 30 000 Lehrlingen, die getrennt von ihren Eltern in Lehrlingsheimen leben, werden solche patenschaftliche Betreuungen intensiv gepflegt. Aber auch mit den jährlich wechselnden rund 1 30 000 Jugendlichen, die seit 1956 Teile ihrer Schulferien in den Sommerpionierlagern und Ferienheimen der Gewerkschaften verbringen, werden diese Patenschaftsverhältnisse angeknüpft (Die Eltern zahlen für den Aufenthalt im Lager einen minimalen Verpflegungssatz von 50 Kronen wöchentlich).

Man organisiert sozialistische Wettbwerbe zwischen Jugendkollektiven und Arbeitskollektiven Erwachsener. Schüler der Bergbaulehrstätten müssen z. B. schon als Fünfzehn-bis Sechzehnjährige drei Viertel der Norm der erwachsenen Bergleute erfüllen, wobei die wöchentliche Arbeitszeit für Jugendliche offiziell 36 Stunden beträgt. Den Weltrekord im Steinkohlenbergbau bei Anwendung der sowjetischen Schremmmaschine Donbas brach z. B. eine tschechische Jugendstoßbrigade. Man verteilt Prämien, Orden, Titel sowie Abzeichen für besondere Arbeitsleistungen, z. B. das Abzeichen „Vorbildlicher Tankist" und Jugendliche, die ihr ganzes Brigadepflichtjahr im Grenzgebiet ableisten, erhalten die Medaille „Erbauer des Grenzlandes“. Erziehung zum Arbeitseifer führt vielfach zu körperlichen Überbeanspruchungen der Jugendlichen, doch die Eltern wagen es nicht, offen dagegen aufzutreten. Sie bemängeln jedoch zuweilen die gemeinsamen Barackenlager männlicher und weiblicher Jugendbrigaden. „Neunzehnjährige Erzieher erziehen achtzehn-jährige Brigadistinnen, oder neunzehnjährige Erzieherinnen erziehen achtzehnjährige Lehrlinge — dementsprediend sieht es aus“, klagt z. B. Alexey Phudka in den Literarni Noviny vom 28 April 1956.

Die kommunistische Führung hat dies lange Zeit nicht interessiert. Im Gegenteil, man hatte den Eindruck, als fördere sie die sexuelle Freizügigkeit als eine Art Belohnung für bewiesene Linientreue. Inzwischen aber scheint sie erkannt zu haben, daß diese Zustände das Kollektiv stören, die „zähalky“ (Leerschichten) vermehren und damit die Arbeitsleistung mindern. Die zarten Beziehungen, die sich in den gemeinsamen Berackenlagern gemischter Schülerbrigaden ergeben, widersprechen dem Prinzip, ständig nur die Interessen des Kollektivs zu sehen und alle Handlungen mit denen des Kollektivs zu verbinden. Deshalb wird Moral plötzlich groß geschrieben — allerdings kommunistische Moral.

Jugendliche und Kinder werden in der CSR zu Leistungen herangezogen, die man anderswo nur Erwachsenen abverlangt. Die großen Forderungen, die dabei gestellt und zunächst gern und erfolgreich erfüllt werden, wirken sich nicht nur auf die unmittelbar Betroffenen aus, sie prägen auch das Gesicht der nachwachsenden Jahrgänge und bestimmen die sozialistische Form des Zusammenlebens von Erwachsenen mit Jugendlichen.

Vormilitärische Erziehung — ein Lehrgegenstand der Schule

Die Vorbereitung der tschechischen Jugend zur vormilitärischen Erziehung beginnt schon in der Grundschule. Alle Unterrichtsanstalten, auch die Mädchenschulen, müssen monatlich eine militärische Übung im Gelände abhalten. Die in Kriegsspielen geschulte Spähertätigkeit wird praktisch ausgewertet. Im amtlichen Auftrag der örtlichen National-ausschüsse (Gemeinderäte) überprüfen zehn-bis zwölfjährige „Pioniere z. B. die Pflichtablieferung der Milch durdi Stallbesichtigungen oder kontrollieren in fremden Haushalten, ob nicht zu viel Strom verbraucht wird, wobei sie jene Tagesstunden bevorzugen, in denen der Westen tschechische Nadirichten sendet. Da den Auftraggebern richterliche Gewalt zusteht, sind die Aussagen und „Dienstberichte“ der Jugendlichen von erheblicher Tragweite, was den kindlichen Stolz auf die „amtliche Bedeutung des Einsatzes" mächtig steigert. Die Namen Jugendlicher, welche sich dabei besonders bewähren, erscheinen auf der Ehrentafel der Kinderzeitschrift „Das rote Halstuch“, und als zusätzliche Belohnung gibt es gemeinsame Besuche von Kasernen und Übungsplätzen der Armee.

Vom zwölften Lebensjahr ab erhalten alle Schulkinder Schwimmunterricht und die vormilitärische Erziehung ist ein regulärer Unterrichtsgegenstand. Im derzeit gültigen amtlichen Lehrplan für vormilitärische Erziehung — der unter c. j. 62 5 30/5 5-A/Ll mit Gültigkeit vom 1. Jänner 1956 erlassen wurde, und damit den Erlaß V. s. 232/1945 ablöste — avanciert die „pfedovjenskä vychova“ (vormilitärische Erziehung) zu einem normalen Standardlehrgegenstand für die letzten drei Jahrgänge der. allgemeinen Schulen und die ersten drei Jahrgänge der Fachschulen, der wie jeder andere Pflichtgegenstand des Lehrplanes auch klassifiziert wird. Bei der Benotung ist der Gesundheitszustand des Schülers und seine politische Reife in Betracht zu ziehen.

Dieser vom Genossen Macha, als dem ersten Stellvertreter des Ministers für Schulwesen, und vom Generalleutnant Hruska, als dem ersten Stellvertreter des Ministers für nationale Verteidigung, gezeichnete Erlaß sagt u. a. wörtlich: „Die vorwi! itärisdie Erziehung hat folgende Aufgaben: a) Die Schiller zur Liebe zur Armee und zunt Militärdienst zu erziehen, ihnen den Unterschied zwischen der kapitalistischen und der volks-demokratischen Armee zu erläutern und zu betonen, warum der Dienst in der volksdemokratischen Armee die hödtste Ehre des Staatsbürgers ist; die Sdrüler mit der Bedeutung und dem Inhalt des Militäreides und der Militär-Disziplin bekannt zu machen. b) Die Schüler mit den Kampftraditionen des tschedtoslowakisdien Volkes bekannt zu machen. c) Die Schüler mit den allgemeinen Pfliditen der Soldaten, mit ihrem gegenseitigen Verkehr und ihren Beziehungen bekannt zu machen. d) Den Schülern die Grundlagen des militärischen Exerzierens zu vermitteln, ihnen die Notwendigkeit der dufteren Bezeugung der Disziplin klarzumachen und so zur überzeugten Disziplin an den Sdtulen, den Lehrstätten, den Internaten und den Jugendheimen beizutragen. e) Den Schülern die Grundlagen der Militärgeographie zu vermitteln. f) Die Schüler mit der Abwehr gegen chemische Stoffe vertraut zu machen und ihnen die Bedeutung des Aufbaues des zivilen Luftschutzes klarzumachen. g) Die Sdriller mit den Waffen (Kleinkaliber-Gewehr, Masdtinenpistole und Karabiner) vertraut zu machen und sie die Waffenpflege zu lehren. h) Die Schüler mit dem Laufgrabenbau und der Markierung (Tarnung) vertraut zu machen. i) Die Schüler mit den grundlegenden Hilfsgeräten und mit den Regeln beim SchiefJen mit Luftgewehr, Kleinkalibergewehr, Maschinenpistole und Gewehr vertraut zu madren, sie zu lehren die Entfernung festzustellen und Handgranaten zu werfen. j) Sdrieflübungen mit den Schülern mit Luftgewehr, Kleinkalibergewehr, Maschinenpistole und Gewehr durchzuführen.“

Lehrer und Ausbilder der vormilitärischen Erziehung werden in vierteljährlichen Spezialkursen am laufenden gehalten. Lehrmittel, darunter auch Lehrfilme, liefert die Armee. Die Exerzier-und Pionierübungen, die Ausbildung im Gelände, als Beobachter, Kuriere und Spähtrupps, vor allem aber die Ausbildung in Waffenpflege und Schießunterricht ersetzen einen wesentlichen Teil der sonst üblichen zeitraubenden Grundausbildung junger Rekruten.

In die Erziehung zur Wehrfähigkeit ist auch politische Schulung eingeplant. Dabei wird der Haß gegen die Klassenfeinde und die kapitalistischen Imperialisten als hoher sittlicher Wert systematisch in die Schulung einbezogen, weil er — wie es heißt — „die Verteidigungsbereitschaft“ erhöht. Schill und Scharnhorst feiert man auch in der CSR als Vorbilder, weil sie an der Seite der Russen gegen die westlichen Eindringlinge kämpften, Blücher und Gneisenau gelten als Volkshelden der deutsch-russischen Freundschaft und Waffenbrüderschaft. Als Gipfel sozialistischer Erziehung zur Wehrhaftigkeit wird die straffe Schulung in den sowjetischen Suwerow-Kadettenschulen der Armee und den Machimow-Kadettenschulen der Marine in Wort und Bild zur Nachahmung angepriesen.

Jedes Lehrlingsheim ist Patenkind einer Einheit der Armee und dieses Patenschaftsverhältnis wird eifrig gepflegt. Es gibt Wehrsportabzeichen, ein „Fucik-Abzeidien“ für besonderes Wissen, das bisher rund 200 000 Jugendlichen verliehen wurde, und es gibt das begehrte Abzeichen „Seid bereit zum Aufbau und zur Verteidigung des , S*taates das derzeit von über 150 000 Jugendlichen stolz getragen wird.

Die Wettbewerbe der Vierzehn-bis Sechstindzwanzigjährigen in „motorisierter Touristik“ sehen neben Geländefahrt auch Schießen während der Fahrt, Handgranatenwerfen und Arbeit mit Funkgeräten vor. Auf der Spartakiade 195 5, dem großen ganzstaatlichen Sportfest, traten u. a. jugendliche Zivilisten als Fallschirmspringer auf. Die Partisanenausbildung der Jugendlichen im Svazarm („Verband des Volkes in der Armee“) erstreckt sich auch auf Mädchen, die z. B. bis zum sechzehnten Lebensjahr im Kleinkaliberschießen und vom achtzehnten Lebensjahr ab im Handgranatenwerfen ausgebildet werden. Die Jugendbrigaden der Werkmiliz und der Partei sind bewaffnet und wetteifern in militärischem Drill. Am 18. Oktober 1957 fand im Klub der militärpolitischen Akademie in Prag eine ganzstaatliche Konferenz der Gebietsfunktionäre, des Staatsjugendverbandes und der Jugendfunktionäre der Streitkräfte statt. Verteidigungsminister Lomsky erklärte dort, daß die Jugend eine hohe Verantwortung für die Verteidigung des Vaterlandes habe und befaßte sich mit Fragen der Erziehung zur Wehrhaftigkeit. Für besondere Leistungen Jugendlicher in der Kampfbereitschaft wurden Standarten und Diplome verteilt.

Seit den Erfahrungen in Ungarn, wo die Jugend ihre kommunistischen Ausbilder mit den Mitteln schlug, die ihr von diesen selbst beigebracht worden waren, ist man in der CSR vorsichtiger geworden. Nach jeder Übung müssen jetzt die Waffen abgeliefert werden. Die ideologische Schulung der Jugendlichen wurde verstärkt. Es läßt sich natürlich nicht vermeiden, daß die Jugend in der CSR die dauernd beteuerte Friedensliebe des Sowjetblocks und seinen Willen zu friedlicher Koexistenz als Tarnung und Taktik erkennt, weil ihre ganze Sportbetätigung in Schule und Jugendverband nichts anderes als vormilitärische Erziehung darstellt, die der Weltrevolution dient. Wenn von diesem Endziel zeitweilig auch weniger geredet wird, verführt das kein Kind mehr zu falschen Schlüssen.

These Nr. 12 der Kommunistischen Partei der CSR fordert: „ständig die Wehrfähigkeit des Landes stärken und das gesamte Volk zur Erhöhung der politischen Wad-isamkeit anleiten.“ Die Maßnahmen der vormilitärischen Erziehung der tschechischen Jugendlichen entsprechen diesem Auftrag weitgehend.

Schulung in kommunistischer Moral

Vladimir Lenin lehrt: „Wir lehnen jede Moral ab, die auf übernatürlidten Ideen beruht, oder außerhalb des Klassenbegriffes steht. Alles, was notwendig ist, um die alte Gesellschaft der Ausbeuter zu vernichten und die Vereinigung des Proletariates herbeizuführen, ist moralisdt.“

Dieser Ethik des Terrors zufolge sind Menschen, die nicht der Arbeiterklasse angehören, qualitativ minderwertig und haben als Angehörige einer feindlichen Klasse keinen Anspruch auf Menschenrechte. Der kommunistischen Moral gehe es nicht um das Suchen eines abstrakten Gut und Böse, das gar nicht existiere, sie habe auch nicht das persönliche Glück des einzelnen Menschen, sondern den Kampf um ein glückliches Leben aller Werktätigen zum Ziel. Dadurch unterscheide sie sich von der bürgerlich-religiösen Moral, die nur die Selbstsucht fördere und ihr Wunschbild in dem Begriff des „Eremiten" sähe, der sich von der Gesellschaft abgeschlossen hält und nur für sein persönliches Heil sorge. Mit der Erziehung eigensüchtiger Neigungen verfolge man das Ziel, die Kräfte der Werktätigen zu spalten. In der bürgerlichen Gesellschaft sei „einer des anderen Wolf", dort herrsche die allgemeine Konkurrenz, das hemmungslose Profitstreben, der Kampf aller gegen alle, dort sei man nur äußerlich aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit moralisch, nicht aber aus Einsicht und Überzeugung. Das tschechische Gewerkschaftsblatt Präce vom 23. Juni 1957 erklärt zusammenfassend: „Rückstditslose Super-Mattner waren und sind das Ideal der kapitalistisdten Form des Lebens."

Kollektive Arbeit, kollektives Lernen und kollektive Freizeit vom frühesten Kindesalter an gehören zur Methode der Erziehung zur kommunistischen Moral und sie beschäftigen die Jugendlichen so intensiv, daß ihnen kaum Zeit für individuelle Gedanken bleibt. Schon allein das Vorhandensein einer Kinderorganisation hat erzieherische Bedeutung, denn die Entpersönlichung des einzelnen im Kollektiv, die Anforderungen, die seine Kräfte völlig in Anspruch nehmen, machen ihn vom Kollektiv so abhängig, daß er daraus gar nicht ausbrechen kann. Dieses Leben ausschließlich für das Kollektiv und in ihm zwingt zu dauernder Unterordnung, die als fortschrittliche Erziehung des Willens und Charakters gefeiert wird.

Weil diese Erziehung aber — infolge „des furdttbaren Erbes des Kapitalismus, der Überbleibsel im Bewußtsein des Menschen“, wie Lenin formulierte — doch nicht immer durch freiwillige Einsicht allein möglich ist, kennen die amtlichen Richtlinien für die Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu wahren Patrioten auch die Methode des Zwanges als legitimes Mittel der Erziehung. Außerdem soll sich, durch Kritik und Selbstkritik, das Bewußtsein der Jugendlichen von bürgerlichen Vorurteilen lösen und „sozialistisch" werden.

Dabei helfen packende Schilderungen aus dem Leben der Sowjetmenschen, die zeigen, wie man sich in Übereinstimmung mit der kommunistischen Moral zu verhalten habe. Ein echter Kommunist hat nicht nur linientreu zu denken, er muß auch linientreu empfinden. Mit Erfolg werden sowjetische Filme als bewußtseinsbildende Mittel eingesetzt, die der modernen Art der Jugend, zu lernen und zu begreifen, entsprechen Die Filme suggerieren den unerfahrenen Jugendlichen den Eindruck, daß die in ihnen dargestellten, schabionisierten und natürlich nur positiven Sowjethelden und ihre edlen Taten die faktische Realität seien. Die Jugendlichen halten den Schein für die Wirklichkeit und lassen sich von ihm bewußt die Rangordnung moralischer Werte vorschreiben. Weil der Filmstil des „sozialen Realismus“ diese Täuschung begünstigt, ist er die amtlich geförderte Kunstform. Bei attraktiven Darlegungen des edlen moralischen Antlitzes der Sowjetmenschen werden gleichzeitig alle negativen Erscheinungen zu „Überbleibseln des Kapitalismus“ erklärt.

Nach dem Beispiel der Sowjetschule will man auch in der CSR die Köpfe der Schüler nicht erst mit Ansichten verwirren, die angeblich den Interessen der Werktätigen zuwiderlaufen und will deshalb das Denken der Jugendlichen nicht erst mit dem religiösen Aberglauben der bürgerlichen Vergangenheit belasten. Das offizielle Organ des Staatsjugendverbandes, die Mlada Fronta, vertritt z. B. in der Folge vom 4. Juli 1957 ganz offen den Standpunkt, daß religiöse Einstellung bei einer Abiturientin ein hinreichender Grund sei, sie vom Studium an einer pädagogischen Hochschule auszuschließen, denn „sie müßte allzuoft Iteudteln, wenn sie die Kinder im Geist wissensdiaftlidier Wahrheit erziehen müßte, dabei aber selbst an religiöse Hirngespinste glauben würde“.

Den Anweisungen des Prager Kultusministeriums zufolge habe die Schule durch Aussprachen und Lehre über moralische Themen dafür zu sorgen, daß keine zusammenhanglosen Anschauungen und Überzeugungen über die einzelnen Probleme der kommunistischen Moral entstehen, sondern eine einheitliche Weltanschauung. Die Jugendlichen hätten es dann im Leben leichter, denn sie bräuchten sich nicht umzustellen und keine veralteten Ansichten wegzuwerfen, vor denen sich ihre Väter noch verneigt hätten. Das alles bliebe ihnen erspart, wenn man ihnen die „fortschrittliche Gesinnung des Kommunismus“ schon in der Kindheit einimpfe.

Zur Reinigung der Seelen von bürgerlichen Vorurteilen gehört es, bekannten Worten systematisch neue Begriffsinhalte zu unterschieben, eine Methode, durch die kommunistische Manager in den jungen Gemütern in einem vielfach unterschätzten Ausmaße Verwirrung stiften.

Man sagt z. B.: „Heimat“ das sei der Staat der Werktätigen und versucht sich damit alles was der Heimatbegriff an ideeller Kraft beinhaltet, nutzbar zu machen. Der revolutionäre Begriff des Heimatrechtes wird, sofern man ihn nicht totschweigt, durch die sinnstörende Über-setzung mit domovske pravo (Heimatberechtigung) als ein längst zum alten Eisen zählendes verwaltungsrechtliches Überbleibsel der bürgerlichen Vergangenheit abgetan. Menschen, die dafür eintreten, können demnach nur „Faschisten“ sein Man kämpft für „Demokratie“ und erklärt, daß allein die Diktatur des Proletariates in der Staatsform Volksdemokratie eine echte Demokratie sei, obwohl diese Zwangsherrschaft einer Funktionärskaste, die den Staatsbüxger zum volkseigenen Bürger, zum Staatseigentum macht, geradezu das Gegenteil dessen ist, was die ganze Welt Jahrhunderte hindurch unter Demokratie verstand.

Dem Begriff „Menschenwürde“ legt man Vorstellungen zugrunde, die vielleicht dem Längengrad Moskaus entsprechen, wo dieses Wort auch heute noch nicht zu einem so allgemeinen Gedankengut geworden ist, wie bei den anderen Völkern Europas. Man redet vom „Gemeinschaftsleben“ und meint den Zwangs-Kollektivismus, der dem Einzelmenschen keinen privaten Raum mehr beläßt. Bewußt irreführend ist auch die Verwendung des Wortes „Genossenschaft" als amtliche Bezeichnung für die Kolchosen nach sowjetischem Muster. Mit dem Begriff „Unabhängigkeif der Richter“ bezeichnet man heuchlerischerweise ihre Degradierung zu politischen Funktionären der Gemeinde und Bezirksvertretungen, denen sie zu berichten haben und die sie abberufen können.

Ideologische Seiltänze vollführt man um den peinlichen Begriff „Freiheit“. So schreibt z. B. das Prager Regierungsblatt Rude Pravo vom 23. Juli 1957 zum Freiheitskampf der ungarischen Jugend u. a.: „Eine der schlimmsten und tragischsten Äußerungen des Utopismus bestand in der Aufforderung jener ungarischen Studenten, die am Vorabend der Oktoberereignisse in Budapest Flugblätter vertrieben mit dem Appell: Wir wollen die Freiheit und das Ende des Klassenkampfes! — Die Tragödie dieser jungen Leute war nicht ihre . Unfreiheit', die sie empfanden und aus der sie sich zu emanzipieren versuchten, sondern die Freiheit ihres wahnsinnigen Tuns, das durch keinerlei Kenntnis der harten unbeugsamen Wirklichkeit belastet war, in der gewisse objektive Gesetzmäßigkeiten existieren, die unabhängig vom menschlichen Wollen sind. Ihre , Freiheit'von der Kenntnis dieser Gesetze wandte sich gegen sie. Am meisten tatsächliche Freiheit zu erkämpfen, erfordert, diese Gesetzmäßigkeiten zu kennen und nach ihnen zu handeln. Je mehr ich mir bewußt bin, wie sehr ich bei meinem Handeln ah diese Gesetzmäßigkeiten gebunden bin, desto freier bin ich. In diesem vermeintlichen Gegensatz verbirgt sielt die Kraft des sdtöpferischen marxistischen Denkens, in ihr liegt das Geheimnis der Stufen, auf denen allein die Menschheit zu ihrer völligen Befreiung emporsteigen kann.“ Volks-demokratische Freiheit ist demnach die einsichtige Notwendigkeit sich einer Diktatur des Proletariates, die eine Diktatur im Namen des Proletariates darstellt, zu beugen

Die kommunistische Partei als Zentrale der Menschenführung steuert in der CSR nicht nur Ausbildung und Berufswahl des Nachwuchses, sie wendet ihren sturen Grundsatz alles zu planen, auch in der außerschulischen Jugenderziehung an und erstickt mit jugendfremden Zielsetzungen jede schöpferische Aktivität, jedes Eigenleben der Jugend. In ihrer steten Angst, die Jugendlichen könnten selbst etwas ersinnen und ausführen, was nicht als produktive Arbeit, Wehrsport oder Unterhaltungsmaßnahme in die allgemeine Erziehung „eingeplant ist, bedenkt sie jede freie Regung sofort mit übelwollenden Kennzeichnungen. Wer die allgemeine Bevormundung durchbricht, stellt sich wie es in dialektischen Jargon heißt — „gegen die Gesellschaft , ist ein „ideologischer Deserteur zur Konterrevolution“ und setzt sich in den Verdacht,

Fussnoten

Fußnoten

  1. In diesem Zusammenhänge sei auch an die Begründung eines Ur teils der großen Strafkammer des Landgerichtes Potsdam vom 8. Februar 1951 (Aktenzeichen 7 KSta 29/50) gegen Hans Zickerow erinnert, der wegen Bepinselns von Fahrbahnen und Mauern mit dem Wort „Freiheit" zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Darin heißt es u. a.: „Die Parole Freiheit ist zweifelsohne ein tendenziöses, also durch seinen Zweck bestimmtes Gerücht. Das Wort Freiheit allein ist nicht als Gerücht zu bezeichnen. Jedoch in der augenblicklichen politischen Situation, wo dieses Wort von Seiten der imperialistischen Kriegshetzer mißbraucht wrd, dient das Anschreiben dieses Wortes der Verbreitung eines Gerüchtes, das die Tendenz hat, die Kriegsziele der Imperialisten zu unterstützen und somit den Frieden des Volkes zu gefährden.“

Weitere Inhalte

Rudolf Wenzel, Dipl. -Ing., Landrat z. Wv., geb. 1904, stammt aus Nord-böhmen, war 17 Jahre in Prag tätig und lebt seit 1949 in München. Publizistisch und in zahlreichen Vorträgen über „Die Tschechen heute" tritt er für deutsch-tschechische Zusammenarbeit in einem föderativen Mitteleuropa freier Völker und Volksgruppen ein.