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Die USA und die Vereinten Nationen | APuZ 42/1962 | bpb.de

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APuZ 42/1962 Die ungelösten Probleme der Verteidigung Europas Die USA und die Vereinten Nationen

Die USA und die Vereinten Nationen

ADLAI E. STEVENSON

Abdruck aus „Amerika-Dienst" vom 28. 9. 1962.

Nachstehend veröffentlichen wir den Wortlaut der Grundsatzerklärung, die der amerikanische Chefdelegierte bei den Vereinten Nationen, Botschafter Adlai E. Stevenson, am 20. September 1962 vor der 17. Vollversammlung der Vereinten Nationen abgegeben hat.

Bilanz und Ausblick

Ich möchte meine Rede damit beginnen, daß ich — so nachdrücklich wie möglich — die große Bedeutung bekräftige, die meine Regierung der Arbeit der Vereinten Nationen beimißt. Meine Regierung ist mehr denn je davon überzeugt, daß der Erfolg oder Mißerfolg dieser Welt-organisation sehr wohl den Unterschied zwischen Ordnung und Anarchie auf der Welt bedeuten kann. Wir sind der Überzeugung, daß die Arbeit, die der 17. Vollversammlung vorbehalten bleibt, wichtig und auch dringend ist. Zunächst darf ich Sie namens der Regierung der Vereinigten Staaten und dieser Stadt herzlichst hier in New York begrüßen. Wir beglückwünschen Sie, Herr Präsident, zu Ihrer Wahl zum Präsidenten der 17. Vollversammlung. Sie nehmen einen Platz ein unter den führenden Männern der Welt, die erwählt worden sind, um dem Forum der Welt in einer Zeit der Gefahr und Verheißungen vorzustehen, einen Platz, der auf Grund Ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse nur noch mehr an Bedeutung gewinnen kann.

Und ich begrüße genauso herzlich, daß die Zahl unserer Mitglieder durch die Aufnahme von Trinidad-Tobago, Jamaika, Ruanda und Burundi erneut gewachsen ist — vier jungen Nationen aus den sonnenreichen Landen, mit tropischer Schönheit gesegnet, die zu besuchen und zu bewundern ich das große Glück hatte.

Am meisten aber begrüße ich die Gelegenheit, die diese Sitzungsperiode uns gibt, als Gremium gemeinsam den Kurs zu prüfen, den unsere Angelegenheiten nehmen, und die Maßnahmen zu bedenken, die erforderlich sind, uns der Welt, die wir anstreben, nämlich einer Welt der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens, näher zu bringen.

Vor einem Jahr traten wir in einer Zeit des Zweifels und der Gefahr zusammen. In den inzwischen verstrichenen zwölf Monaten ist vieles geschehen, um ein gewisses Maß neuer Hoffnung für die Zukunft zu rechtfertigen.

Ein langer, bitterer Krieg in Algerien ist zu Ende gegangen.

Ein drohender Krieg zwischen zwei unserer Mitglieder im Südwestpazifik ist durch eine friedliche Lösung gebannt worden — durch staatsmännisches Verhalten auf Seiten dieser Länder und durch geschicktes Schlichten seitens der Vereinten Nationen.

In Laos sind an die Stelle eines durch ausländische Intervention geschürten Bürgerkrieges ein Waffenstillstand und eine unabhängige, international garantierte Regierung getreten.

Im Kongo, wo die Vereinten Nationen eine so entscheidende Rolle gespielt haben, sind Krieg und Kriegsgefahr neuen Hoffnungen auf die friedliche Wiedereingliederung Katangas in den jungen Kongostaat gewichen; wir unterstützen die Bemühungen des Generalsekretärs, eine baldige Beschlußfassung über den Versöhnungsplan der LIN herbeizuführen.

Die Abrüstungsverhandlungen sind mit Unterstützung der Vollversammlung in einem neuen Forum wieder ausgenommen worden, in dem die Nicht-Atommächte eine nützliche und konstruktive Rolle spielen.

Wir haben unter den Auspizien der Vereinten Nationen damit begonnen, eine Zusammenarbeit bei der Erschließung des Weltraums — nicht im Interesse irgend eines Landes, sondern im Interesse der Menschheit — anzustreben.

Wir haben ebenfalls mit einer Intensivierung der Kampagne gegen die Armut im Rahmen eines Entwicklungsjahrzehnts der Vereinten Nationen begonnen.

Alle diese Entwicklungen — wie auch andere — geben Anlaß zur Befriedigung. Aber wir würden uns selbst täuschen, würden wir nur die positiven Seiten sehen. Wir leben immer noch — und zwar wir alle — in einer dunklen und unsicheren Welt.

Die Berlin-Krise hat sich nicht zum Krieg ausgeweitet, aber der Druck und die Störungen gegenüber West-Berlin bleiben weiterhin eine überaus gefährliche Bedrohung für den Frieden der Welt; die kubanische Regierung führt mit moralischer und materieller Unterstützung von außen eine Kampagne der Subversion und der Beschimpfung gegen ihre Nachbarn in der westlichen Hemisphäre durch;

in Vietnam bleibt die illegale Unterstützung eines bewaffneten Aufstandes von jenseits der Grenzen her weiterhin eine Bedrohung für den Frieden in Südostasien; die chinesischen Kommunisten setzen ihre Politik der Provokation sowie ihre Gewalt-und Subversionsmaßnahmen fort; im Mittleren Osten schwelt noch immer die Drohung eines Konflikts; sie ist zwar durch die den Frieden wahrende Maschinerie der Vereinten Nationen gedämpft, jedoch keineswegs beseitigt worden;

Streitfragen, die die Mitglieder unserer Organisation betreffen, bleiben auf jedem Kontinent weiterhin ungelöst; die anhaltende Unterdrückung der Völker Ost-europas bleibt eine schleichende Gefahr für den Frieden; die abschließende Phase der weltweiten Bewegung zur nationalen Unabhängigkeit in allen Teilen der Welt wird durch Fragen kompliziert, die — obwohl vorübergehend und lösbar — explosiv werden könnten, wenn nicht klare Köpfe über ein zu hitziges Temperament die Ober-hand behalten; die weite Verbreitung der Armut in großen Teilen der Welt bleibt eine Quelle moralischer Enttäuschung und politischer Gefahr; und, was am schlimmsten ist, das selbstmörderische Wettrüsten hält unvermindert an.

Diese Situationen beschwören ernste Gefahren für den Frieden der Welt herauf.

Die Vereinten Nationen müssen gestärkt werden

Um solche Gefahren für den Frieden zu bannen, hat die Hälfte der in diesem Versammlungsraum anwesenden Länder vor 17 Jahren die Vereinten Nationen gegründet und hat die andere Hälfte sich in den dazwischenliegenden Jahren zur Charta bekannt.

Diese Charta stellte der Menschheit eine hohe Aufgabe. Es kann nicht behauptet werden, daß die Vereinten Nationen in diesen 17 Jahren auf der Erde eine Herrschaft des Friedens errichtet haben. Aber die Art, wie unsere Organisation in ihrer Geschichte mit den besonderen Herausforderungen des Friedens fertig wurde, ist nichtsdestoweniger eindrucksvoll. In diesen Jahren haben die Vereinten Nationen, sei es durch den Sicherheitsrat oder die Vollversammlung, durch Schlichtung oder Feuereinstellung, durch Friedensbeobachter oder Waffenstillstandsüberwachung oder direkte militärische Maßnahmen dazu beigetragen, Feindseligkeiten in Persien, Griechenland, dem Mittleren Osten, Kaschmir, Indonesien, Korea, Suez, dem Libanon, dem Kongo und Westneuguinea abzuwenden oder zu beenden.

Wenn es den Vereinten Nationen auch nicht gelungen ist, die Großmächte zusammenzubringen, so ist es ihnen doch oft gelungen, sie auseinanderzuhalten — und zwar an Stellen, wo durch eine direkte Konfrontation aus schwierigen Situationen unter Umständen untragbare Situationen hätten werden können.

Wenn es den Vereinten Nationen auch nicht gelungen ist, alle internationalen Streitfragen zu regeln, so haben sie dennoch den Weg für die friedliche Entwicklung einer Weltordnung bereitet. In diesem Prozeß haben die Vereinten Nationen nicht den verhängnisvollen Fehler begangen, zu versuchen, den Lauf der Geschichte aufzuhalten. Sie haben nicht den Frieden auf Kosten der erforderlichen Veränderungen zu erlangen gesucht. Und wir müssen gleichermaßen sicher sein, daß in einer Welt, die so unbeständig ist wie die unsrige, Veränderungen nicht auf Kosten des Friedens angestrebt werden, der vor allem anderen notwendig ist.

Die Leistungen sind eindrucksvoll; aber der Lauf der Geschichte ist heute weniger denn je aufzuhalten, und die gegenwärtigen Forderungen nach Frieden und Fortschritt sind dringender denn je. Diesen Forderungen nachzukommen, bedarf es nicht nur einer starken, sondern einer noch stärkeren UN. Das wichtigste dieser Vollversammlung vorliegende allgemeine Problem ist daher, die Bemühungen um eine stetige Verbesserung unserer Organisation voranzutreiben, so daß diese sich noch energischer, wirksamer und schneller mit den Gefahren für den Frieden und den Hindernissen für den Fortschritt befassen kann.

Das Wesentliche, der Kern, unsere tägliche Arbeit in dieser Vollversammlung ist es, ein mächtigeres Gebäude zu errichten und die Vereinten Nationen weiter zu stärken. Der Wert und die Loyalität der Mitglieder werden daran gemessen: stärken oder schwächen ihre Maßnahmen, ihre Vorschläge unsere Organisation?

Bei der Stärkung der Vereinten Nationen geht es sowohl um strukturelle als auch um strategische Fragen.

Eine gesunde finanzielle Basis ist notwendig

Was die Struktur anbetrifft, so besteht die erste Notwendigkeit darin, die Vereinten Nationen auf eine gesunde finanzielle Basis zu stellen.

Unsere Organisation hat heute ein Defizit von mehr als 150 Millionen Dollar, das in erster Linie aus dem Ausbleiben oder der Verzögerung von Zahlungen für die den Frieden erhaltenden Maßnahmen herrührt, die sich als ebenso kostspielig wie notwendig erwiesen haben.

Das Notprogramm, mit dem dieses Defizit durch den Verkauf von Bonds ausgeglichen werden soll, ist eine gute Überbrückungsmaßnahme. Auf Grund der Maßnahmen unseres Kongresses wird die amerikanische Regierung in der Lage sein, den Vereinten Nationen die Hälfte des Geldes zu leihen, das diese im Rahmen dieses Programmes aufnehmen müssen. Andere Nationen haben sich bereits verpflichtet, Bonds in Höhe von 73 Millionen Dollar zu kaufen. Wir hoffen — und dies ist ein mildes Wort —, daß diese Staaten zusammen mit anderen, die sich noch nicht zum Kauf verpflichtet haben, die Gesamtsumme auf 100 Millionen bringen. Meine Regierung kann dann in vollem Umfang von ihrer Vollmacht Gebrauch machen und die gleiche Summe aufbringen.

Aber dies alles ist nur ein Linderungsmittel, jedoch keine Lösung. Das gegenwärtige Defizit ist nur das Symptom eines tiefergehenden Problems — eines Problems, das durch die Trägheit zu vieler Regierungen hier in diesem Saal hervorgerufen wurde. Man kann gewisse Gründe verstehen, warum in der Vergangenheit gezögert wurde, eine kollektive finanzielle Verpflichtung für Maßnahmen der UN zu akzeptieren. Einige Staaten stellten beispielsweise in Zweifel, ob die Vollversammlung das Recht hat, eine bindende Summe für die Deckung der den Frieden wahrenden Kosten festzusetzen. Aber alle rechtlichen Unklarheiten sind nunmehr durch das jüngste Gutachten des Internationalen Gerichtshofes beseitigt worden.

Diese Vollversammlung sieht sich jetzt der zwingenden Verpflichtung gegenüber, eine kollektive finanzielle Verantwortlichkeit für die Politik und die Maßnahmen der Vereinten Nationen zu bestätigen. Meines Erachtens sollte die Vollversammlung auf dieser Sitzungsperiode das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes akzeptieren und danach handeln, nachdem frühere Vollversammlungen andere Rechtsgutachten unverändert akzeptiert und danach gehandelt haben. Die finanzielle Integrität und Unabhängigkeit der Vereinten Nationen steht auf dem Spiel. Aber es geht noch um etwas viel Wichtigeres, nämlich um die Herrschaft des Rechts. Der Internationale Gerichtshof hat die Rechtsgrundsätze aufgestellt; es liegt nunmehr bei dieser Vollversammlung, ihre Achtung vor dem Recht zu manifestieren, indem sie dieses in die Praxis umsetzt.

Meines Erachtens muß diese Vollversammlung ferner einen Finanzierungsplan für künftige Friedensmissionen aufstellen, der in Kraft tritt, sobald die Gelder aus der Anleihe erschöpft sind. Über die Einzelheiten eines solchen Planes läßt sich noch sprechen. Aber — wie auch immer der Plan aussieht — er sollte fordern, daß jedes Mitglied seinen Verpflichtungen nachkommen muß, wenn erst einmal über die Beitragsveranlagung ordnungsgemäß abgestimmt ist.

Wir hoffen, daß diese Vollversammlung ein Programm beschließt, das auf dem einen oder anderen Wege die Finanzierung der von ihr selbst oder dem Sicherheitsrat gebilligten Projekte sichert. Anderenfalls verurteilen wir unsere Organisation zur Ohnmacht. Wir können nicht erwarten, daß die Vereinten Nationen von einem Tag zum anderen dahinleben und wie ein Bettler auf der Straße eine Mütze hinhalten.

Das Instrumentarium der UN kann wirksamer gestaltet werden

Außer den Finanzfragen gibt es aber noch andere strukturelle Probleme. Niemand weiß besser als wir hier in diesem Saal, wie notwendig es ist, die Verfahren in dieser so stark erweiterten Organisation zu straffen, damit diese sich wirksamer mit den komplizierten Fragen auf unserer langen Tagesordnung befassen kann.

Wir müssen den Sicherheitsrat und den Wirtschafts-und Sozialrat erweitern, um eine faire Repräsentation aller Regionen der Erde sicherzustellen.

Wir müssen die Bestimmungen für unsere internationalen Beamten und ihre Anwendung — insbesondere was die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Sekretariat anbetrifft — überprüfen, damit die Beamten der UN auch weiterhin „ausschließlich international“ sind, wie es die Charta fordert.

Wir müssen ferner unbedingt einen Generalsekretär für eine volle Amtszeit wählen. Nach dem tragischen Tode von Dag Hammarskjoeld im vergangenen Jahr machte die Vollversammlung eine sich in die Länge ziehende, lehrreiche konstitutionelle Krise durch. Wir lösten diese Krise, indem wir mit großer Mehrheit — und, ich hoffe fest, für immer — die in der Charta festgelegte Integrität des Amtes des General-sekretärs behaupteten. Wir wählten dann einstimmig einen Beamten und Diplomaten mit außergewöhnlichen persönlichen Qualitäten zum amtierenden Generalsekretär, der dieser Organisation in einer Zeit des Übergangs und der Ungewißheit gute Dienste geleistet hat.

Wir haben in dieser Versammlung die Pflicht, sicherzustellen, daß dieses wichtige Amt in den nächsten fünf Jahren genauso gut besetzt ist, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, und daß derjenige, der dieses Amt innehat, die volle in der Charta vorgesehene Freiheit und Autorität behält

Aber die Regelung all dieser organisatorischen Probleme würde immer noch die Frage ungelöst lassen, wie die von uns erdachte Maschinerie benutzt werden soll. Ich setze voraus, daß es unser entscheidendes Ziel ist, praktische Möglichkeiten zur Erfüllung der Absichten der Charta zu finden. Aber ich frage mich manchmal, ob die angewandten Mittel und Wege, die erwünschten Ziele zu erreichen, immer die besten sind.

Ich bin mir sehr wohl der Enttäuschungen, der Versuchungen und der Konflikte in einer jeden parlamentarischen Demokratie bewußt, aber sie ist nun einmal das beste System, das jemals erdacht wurde, um alle Interessen bei der Führung der öffentlichen Angelegenheiten zu schützen und in Einklang zu bringen. Wenn man die mi: •dieser Form der Organisation verbundene Vielfalt in Rechnung stellt und den Ernst der von uns behandelten Fragen berücksichtigt, wenn man sich ferner vor Augen führt, wie jung die Vereinten Nationen sind und wie überaus schnell sie wachsen — dann muß man feststellen, daß sich die Vollversammlung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, überraschend verantwortungsbewußt und reif gezeigt hat.

Unsere klare Pflicht ist es nun, unsere Arbeit so zu tun, daß diese Vollversammlung noch verantwortungsbewußter, noch reifer und damit noch leistungsfähiger wird.

Statt lautstarker Debatten stille Diplomatie

Es liegt auf der Hand, daß diese Vollversammlung nicht erfolgreicher arbeiten kann, wenn sie nach dem Muster einer öffentlichen Protest-demonstration auf irgendeinem Platz abgehalten wird. Es liegt ferner auf der Hand, daß der Einfluß dieser Vollversammlung nicht wachsen kann, wenn die Qualität ihrer Debatte durch Propaganda oder durch Reden entwertet wird, die nicht die Lösung der diesem Hause vorliegenden Fragen fördern, sondern an die Adresse der eigenen Bevölkerung gerichtet sind.

Entrüstung und Beleidigungen haben sich seit Beginn der Geschichte als machtvolle Feinde der Gerechtigkeit erwiesen. Es wäre erstaunlich, wenn sie nicht auch in den Verfahren der Vereinten Nationen aufträten. Aber die entscheidende Frage im Hinblick auf die dieser Vollversammlung unterbreiteten Resolutionen muß doch sein, ob wir dadurch vernünftigen Lösungen der wahren Probleme und damit der Gerechtigkeit näher kommen.

Wir müssen uns, so glaube ich, zum Beispiel davor hüten, einen Beschluß zu fassen, bei dem ein hohes Prinzip zur Unterstützung einer unrealistischen Maßnahme herangezogen wird und der in keiner Weise eine praktische Lösung näher bringt. Wenn dies zu einer allgemeinen Praxis würde, dann würden wir riskieren, dadurch den Einfluß unserer Organisation zu zerstören, denn der Wert ihrer Empfehlungen würde dahinschwinden wie der des Geldes in einer Inflation.

In den Vereinten Nationen haben alle Mitglieder, ob groß oder klein, das gleiche Recht. Aus diesem Grunde sind sie auch so oft die Hoffnung der Welt genannt worden. Das ist der Grund, Warum sie der große Wahrer der Interessen der kleineren Staaten sind. Und deshalb müssen wir, wenn die Vollversammlung jetzt zahlenmäßig immer größer wird, dem ein Gefühl für ihre Bedeutung und ihre Verantwortung gegenüberstellen.

Wir müssen, glaube ich, ferner erkennen, daß offene Debatten unter den Augen der Fernsehkameras nicht immer der Mäßigung und der erforderlichen Zurückhaltung dienlich sind, wenn stolze und souveräne Staaten einen Disput austragen. Auch ist die Vollversammlung nicht das einzige Medium, durch das unsere Organisation ihre Ziele verwirklicht. Wir erlebten es vor einem Jahr, daß die Vollversammlung sich nicht darüber einigen konnte, wie der Streit über Westneuguinea beizulegen sei. Wir wissen heute, wie viel die Vereinten Nationen zur Beilegung dieses Streits beitragen konnten, indem sie sich als ein ruhiger dritter Partner einschalteten.

Ich glaube, daß es zahlreiche Gelegenheiten für die Vereinten Nationen gibt, in internationalen Angelegenheiten als „dritter Partner“ zu fungieren: als objektiver Beobachter, als unparteiischer „Sachwalter“ an Ort und Stelle, als Polizist im Revier, als Instrument stiller Diplomatie. Bei einigen Fragen, die uns auch heute hier vorliegen, könnten die Vereinten Nationen beispielsweise einen Berichterstatter einsetzen, der die Fakten feststellt und die Probleme analysiert und dadurch vernünftige Entscheidungen der Vollversammlung erleichtert.

Nichts ist wichtiger für uns als ein unermüdliches und systematisches Vorgehen gegen die Konflikte, die den Frieden gefährden. Seit unsere Welt ein überfülltes Haus und unser Planet ein einziges Pulverfaß geworden ist, haben alle Nationen die Pflicht, sich bei der Verfolgung nationaler Ambitionen, die zu einem Konflikt mit anderen Nationen führen könnten, zurückzuhalten, bis die Weltgemeinschaft Gelegenheit gehabt hat, durch geduldige und stille diplomatische Bemühungen eine Lösung zu finden.

Es geht hier nicht darum, sich gegen wünschenswerte Veränderungen zu stellen oder sie zu verzögern. Es handelt sich vielmehr darum, die erforderlichen Maßnahmen nicht zu blockieren oder ihnen auszuweichen. Im Gegenteil, es ist wesentlich, die wirksamste Technik auszuwählen, die sachdienlichste Formel zu finden, um sicherzustellen, daß Veränderungen tatsächlich stattfinden und Maßnahmen tatsächlich ergriffen werden können, um den Frieden der Welt zu gewährleisten und die Vereinten Nationen zu stärken.

Es gibt Arbeit genug und genügend Werkzeuge, um sie zu tun. Lassen Sie uns den Entschluß fassen, mit der richtigen Einstellung an sie heranzugehen. Lassen Sie uns unsere Werkzeuge und Möglichkeiten für eine Periode aktiver und einfallsreicher Diplomatie einsetzen und zusammenfassen. Lassen Sie uns in dieser 17. Vollversammlung die höchsten Formen der politischen Kunst anstreben und eine Zeit friedlicher Lösungen der Konflikte einleiten — eine Zeit, in der wir friedlich die großen Umwälzungen bewerkstelligen, die unsere heutige Geschichte fordert.

Das Wettrüsten ist eine Torheit

Der Weg zum Frieden führt über die friedliche Beilegung von Konflikten. Aber das größte Hindernis auf diesem Weg, die größte Gefahr für alle bildet das immer größere Ausmaße annehmende Wettrüsten. Es nimmt von Tag zu Tag an Tempo zu, je mehr die Atommächte und andere große und kleine Staaten die Waffenarsenale vergrößern. Einige von uns erfinden und erproben immer neue schreckliche Waffen. Wir sehen uns gezwungen, dies zum Schutze unserer verschiedenen nationalen Interessen zu tun zu einem Zeitpunkt der Geschichte, an dem im nationalen Interesse aller Staaten — solcher mit und solcher ohne Atomwaffen — nicht die AusWeitung, sondern die Vernichtung des Kriegs-potentials liegt.

Lassen Sie mich dies so klar und so einfach sagen, wie ich es kann: Dieses verschwenderische Wettrüsten ist eine gefährliche und tödliche Torheit. Wir hier in den Vereinigten Staaten wollen unsere Mitmenschen retten und nicht vernichten. Wir wollen die von diesem unersättlichen Moloch verschlungenen Hilfsquellen für die unbewältigten Aufgaben unserer eigenen Gemeinschaft nutzbar machen. Und wir wollen, daß diese Hilfsquellen dafür eingesetzt werden, um jedem Menschen auf dieser Erde eine Chance für ein besseres Leben zu geben. Das Wettrüsten aber dauert an. Es dauert an, weil kein Land angesichts feindlich gesonnener anderer Länder seine Verteidigung vernachlässigen kann. Keine Großmacht kann eine einseitige Abrüstung riskieren. Es gibt einen — und nur einen — Ausweg aus diesem unerträglichen Dilemma, nämlich die Schaffung eines Systems der vollständigen und allgemeinen Abrüstung, in dessen Rahmen sämtliche Staaten — unter den Augen der Völkergemeinschaft und unter geeigneten Sicherheitsvorkehrungen — ihr eigenes Kriegspotential progressiv abbauen.

Es war ein großer Erfolg unserer letzten Sitzungsperiode hier, über eine Reihe von Grundsätzen für eine allgemeine und vollständige Abrüstung Einigung zu erzielen. Wir haben jedoch keinen Fortschritt in Richtung auf die Verwirklichung dieser anerkannten Grundsätze in Form eines anerkannten Plans gemacht, um in gemeinsamem Vorgehen in rasch aufeinanderfolgenden Phasen einer vollständigen Abrüstung und wirksamen Methodik zur Wahrung des Friedens näher zu kommen.

Die Vereinigten Staaten haben einen solchen Plan unterbreitet. Sie haben ihre Vorschläge sowohl dieser Versammlung als auch der Abrüstungskonferenz der 18 Staaten in Genf dargelegt.

Abrüstung setzt internationale Kontrolle voraus

Aber so, wie es mindestens zweier bedarf, um ein Wettrüsten in Gang zu bringen, so bedarf es auch mindestens zweier, um ein solches Wettrüsten zu beenden. Kein seiner Sinne völlig mächtiger Mensch kann von einer Seite erwarten, daß sie sich die Mittel zur Selbstverteidigung entzieht, solange sie nicht ganz sicher weiß, daß die andere Seite ihre Waffen ebenfalls ablegt. Das heißt, eine praktisch durchführbare Nachprüfung ist der Kernpunkt eines jeden vernünftigen Abrüstungsabkommens.

Es braucht keine totale Verifizierung zu sein. Wir haben in langwierigen Verhandlungen zu wiederholten Malen bewiesen, daß wir bereit sind, gewisse Risiken auf uns zu nehmen, um die Aussichten für ein verstärktes Wettrüsten zu verringern. Wir sind aber nicht bereit, unsere Existenz aufs Spiel zu setzen. Wenn andere Länder — so wie wir bereit sind, es zu tun — jenes Maß an internationaler Inspektion gestatten, das um der gegenseitigen Sicherheit willen technisch notwendig ist, dann können wir das Wettrüsten einstellen. Aber wir können nicht unsere nationale Existenz in blindem Vertrauen aufs Spiel setzen, insbesondere nicht in blindem Vertrauen auf ein großes und machtvolles Land, das immer wieder seine grundsätzliche Ablehnung der Grundwerte einer freien Gesellschaft bekundet.

Die Sachlage ist klar. Der Preis der allgemeinen Abrüstung ist die gegenseitige Sicherheit durch internationale Inspektion im Rahmen der Vereinten Nationen. Weil ein solches System international wäre, könnte es wohl kaum mit Spionage in Zusammenhang gebracht werden. Ist eine Inspektion durch eine Behörde der Vereinten Nationen ein zu hoher Preis für die Sicherheit der Menschheit, ja vielleicht sogar für ihren Fortbestand? Kann eine Gesellschaft die Geheimhaltung höher einschätzen als die Sicherheit aller, vor allem aber, kann dies eine Gesellschaft, die sich selbst als das Modell anpreist, auf das hin sich alle anderen Gesellschaften zwangsläufig entwickeln müssen?

Herr Präsident, ich trage diese Angelegenheit hier mit allem gebotenen Ernst vor. Ich frage die Mitglieder dieser Versammlung: Wollen Sie sich dem Wunsch aller Menschen der Welt nach einem allgemeinen Abrüstungsprogramm, das die Chance einer Beendigung des Wettrüstens bietet, anschließen?

Noch einmal, die Antwort auf diese Frage wird nicht in Ermahnungen und Gefühlsaufwallungen zu finden sein. Lind sie wird auch nicht durch die Verabschiedung trefflicher Resolutionen gefunden, in denen edle Ziele ohne Berücksichtigung der Realitäten verkündet werden. Sie kann nur in einer nüchternen Bemühung zur Lösung der unendlich komplizierten Probleme der Abrüstung gefunden werden. Wir glauben, daß uns ernsthafte Verhandlungen in Genf unserem Ziele näher bringen, und ich hoffe, daß die Diskussionen dort von dieser Versammlung weiterhin mit ganzem Herzen und inständig unterstützt werden.

Hier in New York kann die Versammlung auf der unumgänglichen Bedingung einer Weltabrüstung bestehen: Sicherheit, daß abgeschlossene Übereinkommen auch gehaltene Übereinkommen sind.

Für die Einstellung der Kernwaffenversuche

Es gibt aber eine noch dringlichere Frage als die allgemeine Abrüstung, und hier ist die Lage nicht hoffnungslos. Ich spreche von den Kernwaffenversuchen. Wenn ich hierin ein noch akuteres Problem sehe, so meine ich auch, daß es leichter zu lösen ist — und daß dabei größere Hoffnungen auf einen baldigen Fortschritt bestehen. Seit annähernd vier Jahren führen die Haupt-atommächte, darunter auch mein Land, Verhandlungen über ein vernünftiges und dauerhaftes Kernwaffenversuchsverbot. Dieses Verbot würde auch einer Ausbreitung solcher Waffen entgegenwirken, würde diese sehr beunruhigende neue Strahlenquelle im menschlichen Lebensraum ausschalten und wäre ein großer Schritt vorwärts in Richtung auf einen umfassenden Abrüstungsvertrag, den wir so ernsthaft erstreben.

Wie aus den Entwürfen der in Genf vorgelegten Pläne klar hervorgeht, ist die Regierung der Vereinigten Staaten bereit, sämtliche Kernwaffenversuche einzustellen, vorausgesetzt nur, daß andere ebenfalls bereit sind, die Verpflichtung zu übernehmen, ein Gleiches zu tun. Versuche in der Atmosphäre, über den Ozeanen und im Weltraum verursachen die gefürchtete Strahlung — nicht so die unterirdischen Versuche. Wir sind bereit, die Versuche in der Atmosphäre, über den Ozeanen und im Weltraum ohne internatio-nale Verifizierung einzustellen, weil wir nationale Möglichkeiten besitzen, die Versuche anderer festzustellen. Und wir sind auch bereit, die unterirdischen Versuche einzustellen — bei denen wir keine eigenen Möglichkeiten zur Feststellung haben —, vorausgesetzt, daß ein internationales System geschaffen wird, welches uns die Gewähr bietet, daß die anderen das gleiche tun.

Seit 1945, als es begann, haben die Vereinigten Staaten nukleare Sprengkörper mit einer Gesamtstärke von 140 Megatonnen zur Detonation gebracht. Die Sowjetunion, die, soweit wir aus den Aufzeichnungen unserer Fernmeßinstrumente ersehen, 1949 mit ihren Versuchen begann, hat an die 250 Megatonnen zur Explosion gebracht. Seit die UdSSR im Herbst vergangenen Jahres das Moratorium brach, zündete sie wiederum Atombomben in einer Gesamt-stärke von 200 Megatonnen — die Vereinigten Staaten, die dadurch zur Wiederaufnahme der Versuche gezwungen wurden, brachten jedoch nur 25 Megatonnen zur Detonation. Ich wiederhole: Wir möchten die Kernwaffenversuche einstellen. Falls andere Kernwaffenmächte ebenfalls bereit sind, ein Abkommen über die Einstellung zu schließen, werden die Versuche aufhören. Hinsichtlich dieser übergeordneten Frage meinen wir in den Vereinigten Staaten es absolut ernst.

Die USA stehen an der Seite der jungen Nationen

Das Ziel des Friedens ist unlösbar mit dem Ziel des Fortschritts verwoben. Indem wir die Fähigkeit unserer Organisation, den Frieden zu wahren, verbessern, stärken wir auch die Vereinten Nationen für ihre anderen wesentlichen Aufgaben: Hilfe zu leisten bei der Konstituierung von Nationen in Würde und Freiheit, Hilfe zu leisten bei der Befreiung der Menschheit von ihren jahrhundertealten Feinden Not und Elend. Und indem wir gesunde, moderne Gesellschaften errichten, knüpfen wir das Gewebe des Friedens fester; wir vermindern die Gefahr, daß sich Elend und Fehlschläge in Konflikte entladen. So sind die Wahrung des Friedens und die Errichtung neuer Nationen die beiden Seiten der UN-Medaille.

Wir, die wir an diesen Vollversammlungen der Vereinten Nationen teilgenommen haben, sind Zeugen einer großen historischen Umwandlung geworden. In den Jahren seit 1945 haben wir erlebt, wie — unter Mitwirkung dieser Versammlung — das Zeitalter des klassischen Kolonialismus zu Ende ging. In diesen Jahren gewannen 46 Nationen — fast die Hälfte der gegenwärtigen Mitglieder dieser Organisation — ihre Unabhängigkeit. Damit vollzog sich eine umwälzende Veränderung in der Struktur der internationalen Beziehungen und der internationalen Machtverhältnisse.

Diese Veränderung wurde, wie ich kaum zu betonen brauche, in den Vereinigten Staaten begeistert begrüßt. Als erster moderner Staat, der sich vom Kolonialismus freigemacht hat, waren wir immer stolz, anderen Staaten Schrittmacher-dienste zu leisten bei jenem lohnendsten und schwierigsten Wagnis — dem Wagnis der Selbstregierung. Wir halten keine Aufgabe für wichtiger als die, ihnen überall, in den älteren Kolonialgebieten und anderswo, zur Selbstbestimmung zu verhelfen.

Diese Aufgabe wird diese Versammlung während der kommenden Monate in ernsten und zielbewußten Beratungen beschäftigen. In keinem Teil der Welt hat das Streben nach nationaler Unabhängigkeit in den letzten drei Jahren augenfälligere Ergebnisse gezeitigt als in Afrika. In keinem Teil der Welt ist es wichtiger, rasche Fortschritte bei der Lösung der restlichen Probleme des klassischen Kolonialismus auf der Basis echter Selbstbestimmung zu erzielen. Viele Monate lang hat sich bereits der Siebzehner-Sonderausschuß für Kolonialismus mit diesen Fragen befaßt. Wir hoffen, daß der Ausschuß imstande sein wird, seine Arbeit künftig in einer von den Wallungen des Kalten Krieges — die in diesem Jahre seine Tätigkeit beeinträchtigen — ungetrübten Atmosphäre fortzusetzen — einer Atmosphäre, in der alte und neue Staaten zusammenwirken können, um mitzuhelfen, daß in Ländern, die noch nicht frei sind, die wesentlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Staatwerdung geschaffen werden.

Denn ein Federstrich macht noch keinen Staat. Eine politische Unabhängigkeitserklärung ist ein Anfang, nicht ein Abschluß. Nichts schadet dem sich in unserer Epoche vollziehenden großen historischen Umbruch mehr, als wenn junge Staaten dem Chaos verfallen, internationaler Schutzverwahrung bedürfen oder eine internationale Gefahr werden. Zur schmerzhaften Geburt eines Staates gehört sowohl die Realität als die Rhetorik der Unabhängigkeit: ein nationaler Wille, der politischer Klugheit fähig ist, administrative Kraft, wirtschaftliche Energie und die notwendige moralische Disziplin, um die Verheißung nationaler Unabhängigkeit in ein freies und produktives Leben für das Volk umzuwandeln. Das Interesse meiner Regierung und der Welt liegt nicht in der rein zahlen-mäßigen Vermehrung der Nationen, sondern in der Vermehrung von Staaten, deren Völker frei sind und die Kraft haben, zu überleben, sich zu entfalten und ihren Teil zur Stärkung der internationalen Ordnung beizutragen.

Der Kampf gegen die Not ist die dringlichste Aufgabe

Die Errichtung von Staaten ist eine politische Angelegenheit — nationale Unabhängigkeit aber schließt auch soziale, wirtschaftliche und moralische Belange ein. Darum hoffe ich, daß diese Versammlung ihre Aufmerksamkeit dem nächsten wichtigen Punkt in der Agenda der Staatenbildung zuwendet — das heißt, daß den jungen Staaten geholfen wird, sich die Werkzeuge zu schaffen, die sie brauchen, um die Aufgaben der Selbstentfaltung erfüllen zu können. Die Zeit ist niemals günstiger gewesen, um sich dieser Aufgaben erfolgreich zu entledigen. Wenn die Wunder der Wissenschaft der Menschheit neue Kräfte der Zerstörung in die Hand gegeben haben, so haben sie ihr auch gleichzeitig neue schöpferische Kräfte gegeben. Die große Aufgabe, die uns gestellt ist, besteht darin, die Wunder der Wissenschaft in den Dienst des Menschen zu stellen — und zwar sowohl des Menschen, der auf dieser Erde arbeitet, als auch jenes Menschen, der das Universum erforscht.

Ich glaube, wir können mit Recht dem Ausschuß für die friedliche Nutzung des Weltraums zu den auf dem Gebiet der internationalen wissenschaftlichen und technischen Zusammenarbeit erreichten Fortschritten gratulieren — Fortschritten, die sowohl für den Frieden als auch für die Förderung des Wissens sehr vielver-sprechend sind. Aber was nützt es, wenn einige wenige Menschen die Erde umkreisen, während gleichzeitig unter ihnen Millionen von Menschen hungern? Was nützt uns unsere technische Kühnheit, wenn wir zwar Menschen in den Weltraum bringen, sie aber nicht aus dem Sumpf der Armut herausziehen können?

Sich bewußt daranzumachen, die Armut als Hauptübel der Menschheit zu beseitigen, ist eine Aufgabe, wie sie dem Menschen riesiger nie gestellt worden ist, und ich möchte Sie darum bitten, die Schwierigkeiten nicht zu unterschätzen. Aber wenn die Aufgabe auch enorm schwierig ist, so kann sie doch höchste Erfüllung bringen. Ich bin stolz darauf, daß mein eigenes Land bahnbrechend bei der Unterstützung jener Nationen gewesen ist, die bereit waren, den Weg zu selbstgespeistem Wachstum zu gehen. Es erfüllt mich auch mit Befriedigung, daß so viele andere industriell hochentwickelte Länder diesem Beispiel gefolgt sind. Es ist ermutigend, daß ganze Gruppen von Nationen damit beginnen, gemeinsam ihr wirtschaftliches Geschick im Rahmen regionaler Organisationen zu gestalten und ihre Hilfe für die Entwicklungsländer koordinieren.

Für internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklungshilfe

Im Laufe der Jahre haben die Vereinten Nationen eine eindrucksvolle Reihe technischer Institutionen geschaffen, die alle darauf ausgerichtet sind, den weniger entwickelten Nationen bei der Modernisierung ihrer Volkswirtschaften zu helfen. Diese Sonderorganisationen der Vereinten Nationen haben neue und erregende Projekte ins Leben gerufen: Ein die ganze Welt erfassendes Lebensmittel-Programm läuft gerade an. Der Rat der Gouverneure der Weltbank fordert gerade in diesen Tagen Empfehlungen für eine Kapitalerhöhung der Internationalen Entwicklungsgesellschaft. In Genf findet Anfang nächsten Jahres eine in dieser Art einmalige Konferenz über die Anwendung von Wissenschaft und Technik auf die Entwicklungsprobleme statt.

Andere Projekte und Programme liefern den Beweis für die wachsende Reife, den immer größer werdenden Rahmen und das ständig steigende Leistungspotential der Sonderorganisationen. Dies ist alles nur zum Guten. Die große Aufgabe, der wir uns jetzt gegenüber sehen, besteht darin, mit jedem Jahr unsere Sonderorganisationen zu verbessern — sie mit vernünftigen Verfahren und ausreichenden Hilfsquellen auszustatten und mit interessierten und erfahrenen Kräften zu besetzen; ihre Planung, Programmgestaltung, Verwaltung und Koordinierung zu verbessern; dafür zu sorgen, daß sie den Erfordernissen einer realistischen Entwicklung in den neuen Ländern gerecht werden; sie mit den anderen Formen der Entwicklungshilfe — nationale, regionale und internationale —, die gegenwärtig den aufstrebenden Nationen gewährt wird, zu integrieren — und damit sicherzustellen, daß die Entwicklungshilfe überall in der Welt auf eine Basis der Zusammenarbeit und nicht auf der Basis der Konkurrenz erfolgt.

Wir müssen für eine größere Harmonie des Orchesters der uns für die Hilfe bereits zur Verfügung stehenden Instrumente Sorge tragen.

Die vollen Verheißungen der Entwicklung können nicht innerhalb nationaler Grenzen verwirklicht werden. Um die allgemeine Prosperität zu fördern, müssen wir die Schranken beseitigen, die den freien Verkehr von Menschen, Geld und Gütern über die nationalen Grenzen hinweg blockieren. Wir haben den außerordentlichen Aufschwung der Wirtschaftstätigkeit erlebt, die mit der Entstehung des europäischen Gemeinsamen Marktes einherging — eines der großen Wagnisse schöpferischer Staatskunst unserer Zeit. Länder-gruppen in anderen Teilen der Welt suchen in gleicher Weise nach Mitteln und Wegen, regionale Wirtschaftseinheiten aufzubauen, die wiederum dem ausgeweiteten Welthandel neuen Auftrieb geben können.

Es ist selbstverständlich entscheidend wichtig, daß derartige Gruppierungen den Nichtmitgliedern die größtmöglichen Vorteile des ausgeweiteten Marktes einräumen. Wir wissen heute, daß sich keine einzelne Nation ihre Prosperität damit erkaufen kann, daß sie die Prosperität anderer eindämmt.

Die Ausweitung des Welthandels auf der Basis des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens hängt wiederum von dem weiteren sozialen Fortschritt, der größeren Freiheit und dem breiteren Rahmen des Weltfriedens ab, die sicherzustellen Aufgabe der Vereinten Nationen ist Darum haben die Vereinigten Staaten, zusammen mit den anderen Mitgliedern des Wirtschafts-und Sozialrates, mit Freuden der einstimmigen Forderung nach einer Handels-und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen zugestimmt. Wir werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um diese Konferenz zu einem Erfolg werden zu lassen.

Wir müssen — angesichts der Aufgabe des Jahrzehnts der Entwicklung — zu einer klareren Strategie der Entwicklung gelangen, zu einer deutlicheren Erkenntnis der Dringlichkeitsstufen, zu einer schärferen Arbeitsteilung unter den verschiedenen Hilfsinstitutionen — und zu einer klareren Würdigung, daß die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes nicht nur von dem Kapital und der Unterstützung von außen abhängt, sondern ebenso von der politischen Führung, dem institutionellen Wachstum, der wirtschaftlichen und sozialen Reform und dem nationalen Willen.

Hier liegt nun unsere doppelte Aufgabe: an die Stelle der lauten Politik die stille, aber entschlossene Diplomatie zu setzen — und an die Stelle des Wettlaufs der Rüstungen den, wie der Präsident im vergangenen Jahr sagte, Wettlauf des Friedens — mit einem schöpferischen Wettstreit der Produktion und des Güteraustausches und der Hebung des Lebensstandards.

Diese Aufgaben sind nicht neu — und sie werden bis zu unserer Vertagung auch nicht gelöst sein. Aber ich rechne fest damit, daß die 17. Vollversammlung, bevor wir uns vertagen, die Aufgaben der friedlichen Regelung, der Umwandlung ohne Kampf und des Krieges gegen die menschliche Not energisch in Angriff nehmen wird.

Das ist das mindeste, was wir uns als den Hütern der Geschichte unserer Zeit schuldig sind. Meine eigene Regierung verpflichtet sich feierlich, bei der Erfüllung dieser Aufgaben fest und unermüdlich mitzuarbeiten. Von den Idealen der Charta und von unseren Verpflichtungen gegenüber unseren Mitmenschen durchdrungen, können und dürfen wir, die Mitglieder dieser Versammlung, unsere Beratungen nicht beenden, ohne der Welt einen greifbaren Beweis für unsere Hingabe an die Sache des Friedens und der Gerechtigkeit zu geben. Dieser greifbare Beweis, Herr Präsident, kann nur in unseren Entscheidungen und Taten in den kommenden Monaten liegen.

Fussnoten

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