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Politische Weltkunde. | APuZ 15/1965 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 15/1965 Politische Weltkunde. Der Lehrgang Politische Weltkunde Europa als Problem der politischen Pädagogik an den Gymnasien in der Bundesrepublik

Politische Weltkunde.

Deutscher Ausschuß für das Erziehungs-und Bildungswesen.

Einführung von Felix Messerschmid

Im folgenden bringen wir den „Lehrgang Politische Weltkunde" aus der eben vorgelegten 9. Folge der Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs-und Bildungswesen, erschienen im Ernst Klett-Verlag, Stuttgart. Diese Veröffentlichung befaßt sich mit der Neuordnung der Höheren Schule, vorwiegend unter den Gesichtspunkten der Oberstufenreform. Wie wichtig dem Ausschuß die Fragen der geschichtlich-politischen Bildung sind, ist aus mehreren seiner Veröffentlichungen abzulesen. Vor nun zehn Jahren erschien das Gutachten „Zur Politischen Bildung und Erziehung", 1957 das Gutachten „Osteuropa in der deutschen Bildung"; weitere, teilweise umfangreiche Darlegungen zu diesem Bereich sind in anderen Empfehlungen enthalten, vor allem in den schulischen und in der Folge 4 „Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung".

überschaut man die Diskussion, die seit der Saarbrücker Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz über die Ordnung der Oberstufe der Höheren Schule und die geschichtliche und politische Bildung dort geführt worden ist, so wird man feststellen dürfen, daß einige fundamentale Klärungen und sogar Übereinstimmungen erreicht worden sind; als Folge davon ist eine wenigstens relative Beruhigung eingetreten, die den weiterhin nötigen Klärungen und der gesamten Entwicklung dieses Bereiches in der Bundesrepublik zugute kommen wird. Die Empfehlungen des Deutschen Ausschusses berücksichtigen die seit der Rahmenvereinbarung geführte Diskussion; sie beruhen aber auf den bereits im „Rahmenplan" des Ausschusses enthaltenen Vorschlägen zur Oberstufenreform und führen das dort nur skizzenhaft gezeichnete Bild genauer aus. Wie es im Vorwort heißt, hofft der Ausschuß, „daß diese Empfehlungen helfen, die Reform der Höheren Schule und namentlich ihrer Oberstufe weiterzuführen. Es erscheint ihm wichtig, daß die heute möglichen Reformen weder über der Diskussion umfassender künftiger Neugestaltungen versäumt werden noch zu schnell in den ersten Erfolgen erstarren." Auch der Ausschuß hält also den nun erreichten Stand der Entwicklung keineswegs für ihren Schlußpunkt.

Die in den Empfehlungen aufgeführten „Lehrgänge" sind verdeutlichende Exemplifizierungen der grundsätzlichen Darlegungen in den ersten Teilen des Dokumentes. Vor dem Lehrgang „Politische Weltkunde" bringen wir daher jene Stellen aus den den Lehrgängen vorgeordneten Teilen der Empfehlungen, die zu seinem vollen Verständnis unentbehrlich sind. Es handelt sich um die folgenden: „Immer greifen neue didaktische Prinzipien und Methodenvorschläge tief in den persönlichen Arbeitsstil von Lehrern und Schülern ein. Dazu ist die , propädeutische Einführung in wissenschaftliche Arbeitsweisen'als Aufgabe für beide schwerer und verpflichtender als das Vermitteln und Erlernen einer verkürzten, auf Schulniveau gebrachten Fachwissenschaft. Sie verlangt vom Lehrer mehr Planung und Umsicht und vom Schüler Selbständigkeit des Fragens und Suchens auf einem begrenzten Gebiet, das sich seiner Initiative erschließt. Die Stuttgarter Empfehlungen setzen also die Reformfreudigkeit und den Leistungswillen des auf der Oberstufe unterrichtenden Lehrers in einem ungewöhnlichen Grade voraus." „Die . innere'Reform der Stuttgarter Empfehlungen ist, wenn sie wirksam werden soll, ganz und gar von der Einsicht der Lehrer in ihre Notwendigkeit, d. h. von der überzeugenden Motivation, und von der Erfüllung äußerer Bedingungen abhängig: von der Pflichtstundenzahl, von den Arbeitsräumen und Arbeitsmitteln, aber auch von Studien-konferenzen der Behörden, didaktischen Lehrgängen und von einer großzügig ausgebauten Lehrerweiterbildung. Dies alles könnte zur Erprobung neuer Arbeitsformen ermutigen. Empfehlungen zur inneren Schulreform, die nicht zugleich erkennen lassen, daß ihre äußeren Voraussetzungen realisierbar sind und in Angriff genommen werden, nehmen jedoch leicht den Charakter von wenig verpflichtenden Ratschlägen an. Die organisatorische Umgestaltung der Primen mit Fächerbeschränkung und Wahlpflichtfach gewährt große Chancen, aber Lehrer und Schüler können sie ungenutzt lassen." „Im folgenden wird nun der Vorschlag gemacht, mit einem Kanon von Lehrgängen, die in Teil C begründet und entworfen werden, die Aufgaben des Primenunterrichts unmittelbar anzugreifen und methodisch besser zu sichern, als es bei besonderen Schulveranstaltungen geschehen kann. Lehrgänge entsprechen als eine Unterrichtsordnung dem Bildungsgedanken der . Initiation'und der an elementaren und grundlegenden Erscheinungen der Wirklichkeit gewonnenen geistigen Erfahrungen (Funktionsziele"), Sie begnügen sich im Sinne des Bildungskanons, der als , Maturitätskatalog'von den Beauftragten der Hochschulen und der Ständigen Konferenz der Kultusminister übereinstimmend befürwortet wurde, mit der . Einführung'in die geistigen Grundrichtungen und entlasten den Arbeitsgang von den Stoffmassen einer verkürzten Universitätsdisziplin oder eines sekundären Überblicks über wissenschaftliche Ergebnisse. Sie verlangen hingegen den Einstieg in die wissenschaftliche Fragestellung und damit ein hohes geistiges Niveau.

Ihrer inneren Gliederung nach Themenkreisen entspricht eine äußere nach Unterrichtsepochen oder enger zusammengerückten Arbeitszeiten, so daß die Lehrgegenstände nicht mehr so zahlreich nebeneinander, sondern auch nacheinander im Stundenplan angeordnet sind. In der Gestalt von Lehrgängen erscheinen im Arbeitsprogramm der Primen: Religionslehre, Philosophie, Deutsch, Politische Weltkunde, Mathematik, Naturwissenschaft. Dazu kommen die Musik, der Kunstunterricht und die Leibesübungen. Die Fremdsprachen, bei denen Kenntnisse und Fähigkeiten an stetige Übung geknüpft sind, müssen in der Regel wohl in der bisherigen Form fortlaufender Lektionen unterrichtet werden, können in den Primen aber auch als Lehrgänge eine zeitliche Konzentration erfahren. Einige Lehrgänge, wie Deutsch und Mathematik, entsprechen herkömmlichen Schulfächern, sind aber anders aufgebaut; andere, wie Naturwissenschaft und Politische Weltkunde, nehmen die Elemente mehrerer Fächer in sich auf. Sie beanspruchen verschieden lange Zeiten, können auch nicht alle gleichzeitig im Stundenplan erscheinen und setzen daher eine größere Beweglichkeit der Unterrichtsordnung voraus.

Was kann nun von einem Primenunterricht, der sich im wesentlichen aus Lehrgängen zusammensetzt, mit guten Gründen erwartet werden? Organisatorisch kommt er den pädagogischen Absichten der Konzentration und Intensivierung der Arbeit entgegen. In den Lehrgängen Naturwissenschaft und Politische Weltkunde rücken die Sachgebiete mehrerer Schulfächer zusammen und schließen sich mit ihren Problemkreisen gegeneinander auf, was in den entsprechenden wissenschaftlichen Disziplinen z. T. längst geschehen ist. Der Aufbau eines solchen Lehrgangs in Themenkreisen ermöglicht es auf eine natürliche und sachgebundene Weise, die spezielle Sichtweise mehrerer Fächer an übergreifenden Problemen deutlich zu machen (vgl.den Abschnitt . Naturwissenschaft') und komplementäre Fragestellungen auf denselben Gegenstand zu richten (vgl.den Abschnitt . Politische Weltkunde'), ja er zwingt dazu, wenn er der Sachforderung und dem Fragegeist innerlich beteiligter Schüler gerecht werden will. Dabei überschneiden oder umgreifen sich die Fächer, ohne daß die fachspezifischen Methoden aufgegeben werden müssen. Das Fächersystem kommt von innen her in Bewegung, es muß nicht durch äußerlich veranstaltete Begegnungen der Fächer (Konzentrationstage) künstlich aufgelockert werden." „Das Prinzip des Elementaren gilt auch für den Geschichtsunterricht, obwohl sein Gegenstand — das . eigentliche'Geschehen, Mensch und Faktum — vielfach überlagert, den Sinnen nicht faßbar, auch nicht rekonstruierbar ist, obwohl er von Abstraktionen überzogen ist und uns nur in Darstellungen gespiegelt erscheint. Wenn man diesen Gegenstand in ein vergleichsweise Elementares zurückverwandeln will, so leistet der vielsträngige Ablauf historischer Vorgänge dabei mehr Widerstand als die vereinzelte und bloßgelegte Situation.

Es ist wichtig, daß der Lehrer des Mittelkurses, in dem Geschichte im Zusammenhang, als ein episches Ganzes sich darstellen soll, nicht im gestreckten Lauf durch die Jahrhunderte eilt, sondern bei fruchtbaren Momenten innehält, um Situationen gründlich durchdenken zu lassen, die . durch Bedingungen eingeengt, aber für Entscheidungen nach vorne offen sind'(H. Freyer). Das ist an einfachen Modellen möglich. Es muß hier auch für die sittliche Fragestellung Raum bleiben, auf die Kinder und Jugendliche mit vollem Recht drängen; sie hängt sich von selber an die Entscheidungen der geschichtlich Handelnden, an ihre Motive, an ihre Leitbilder und Normen. Daß geschichtliches Verstehen in dieser Weise schon angebahnt ist, setzt der Lehrgang . Politische Weltkunde'später voraus.

Die Sozialkunde hat andere Ansatzpunkte als die Geschichte. Wenn sie sich nicht überwältigen lassen will vom sich stapelnden Sachwissen des didaktisch noch nicht geformten Faches, muß sie von elementaren Erscheinungen des sozialen und politischen Lebens ausgehen, die der Erfahrung der Kinder zugänglich sind. Was sich in den Primen zu fach-übergreifenden Themen der politischen Welt-kunde verbinden läßt, legt man in der Mittelstufe um der Klarheit und Überschaubarkeit willen am besten in Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde sachbezogen auseinander. Dabei darf das zusammenhängende — aber nicht vollständige! — Epos Geschichte sich nicht zum Leitfadenwissen oder Faktoren-und Zahlen-kanon verdünnen und die Sozialkunde nicht in das Enzyklopädische oder Rein-Informatorische entarten.

Paradoxerweise ist das spannungsreiche und phantasiegeladene Fach Geschichte bei den Schülern weithin in den Ruf der Langeweile und des Leerlaufs geraten; die Sozialkunde muß sich vorläufig noch gegen den Verdacht der Sachkonfusion und der Beliebigkeit ihrer Auswahlprinzipien wehren."

Fussnoten

Weitere Inhalte

Felix Messerschmid, Dr. phil., geb. 14. November 1904 in Untertalheim, Kreis Horb (Schwarzwald), Direktor der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Mitglied des Deutschen Ausschusses für das Erziehungsund Bildungswesen, Vorsitzender des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands und Vorstandsmitglied des Verbandes der Historiker Deutschlands, Mitglied des Kuratoriums des Unesco-Instituts für Pädagogik Hamburg, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Jugendfragen München, Mitglied des Kuratoriums der Katholischen Akademie der Diözese Rottenburg, Mitglied des Beirats des Instituts für Bildungsforschung in der Max-Planck-Gesellschaft.