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Kommunale Selbstverwaltung und politische Bildungsarbeit | APuZ 21/1965 | bpb.de

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APuZ 21/1965 Rechtsstaatlichkeit und Demokratie Kommunale Selbstverwaltung und politische Bildungsarbeit

Kommunale Selbstverwaltung und politische Bildungsarbeit

Rainer Waterkamp

Idee und Geschichte der Selbstverwaltung

Die moderne Demokratie setzt Staatsbürger voraus, die in ihrem Verhalten vernünftig, ressentiment-und vorurteilslos sind und die Fähigkeit zu einem unabhängigen Urteil sowie den Mut zum Engagement besitzen. Die Staatsbürgerschaft, das echte demokratische Staatsbewußtsein, ist die Basis eines politischen Gemeinwesens. Gerade die Kommunalpolitik könnte heute die beste politische Schule für den heranwachsenden Staatsbürger sein, denn hier findet er auf verhältnismäßig engem Raum alle Aufgaben staatlichen Lebens und bürgerlicher Wirksamkeit vereinigt. Hier auch beschränkt sich die Mitwirkung nicht nur auf die Kontrolle der gewählten Vertreter, wie in den Parlamenten von Bund und Ländern, sondern erstreckt sich auch auf grundlegende Verwaltungsbeschlüsse. Tatsächlich entstand die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland als revolutionäre Errungenschaft der demokratischen Machtergreifung des Bürgertums gegen den monarchischen Obrigkeitsstaat. Dabei versteht man unter Selbstverwaltung einerseits die Ausübung staatlicher Befugnisse durch Laien, andererseits die Wahrnehmung öffentlicher Angelegenheiten durch juristische Personen, die dem Staat eingegliedert sind (Gemeinden, Kreise, Bezirke), mittels eigener Organe und in eigenem Namen. Gemeinden und Landkreise sind also juristisch gesehen Körperschaften des öffentlichen Rechts, welche ein bestimmtes Gebiet umfassen und dessen Bewohner betreuen. Schon im Mittelalter erwuchs im Städter das Bewußtsein seiner Eigenart, ein bürgerliches Standesgefühl, das Bürgertum Doch gingen die Anfänge der Selbstverwaltung unter dem Absolutismus wieder verloren, wo „alles den Beigeschmack des Gewaltsamen und Drückenden" (Ranke) hatte. Erst mit dem Beginn der preußischen Reformen wurde die städtische Selbstverwaltung wiederhergestellt.

Der Schöpfer dieser Selbstverwaltung, Freiherr vom Stein, wollte — wie er in einem Brief an Hardenberg unter dem 8. Dezember 1807 schrieb — „die Nation daran gewöhnen, ihre eigenen Geschäfte zu verwalten ..., um die Nachteile zu vermeiden, welche auftreten, wenn die Administration lediglich in die Hände besoldeter Diener kommt und die Nation von aller Teilnahme ausgeschlossen wird".

Stein sah in der Selbstverwaltung das wesentliche Element einer freiheitlichen Volks-erziehung. Als ehemaliger Oberpräsident der Westfälischen Kammer stellte er sich die Städte gewissermaßen als Grundstein für das von ihm angestrebte Staatsgebäude vor. Er forderte die wirksame Teilnahme der Bürgerschaft an der Verwaltung der Gemeinde durch die Stadtverordnetenversammlung, deren Mitglieder von der Bürgerschaft gewählt wurden. Die Stadtverordnetenversammlung wiederum wählte den Bürgermeister und die übrigen Mitglieder des Magistrats, der als Kollegium die von der Stadtverordnetenversammlung gefaßten Beschlüsse zu vollziehen hatte. ; •• s3 Die Selbstverwaltung in Deutschland beginnt also mit der preußischen Städteordnung vom 19. November 1808. Sie bedeutet die Wahrnehmung von Verwaltungsausgaben, die an “ f• , nt; f s o, c ---•----------—sich in den Aufgabenkreis des Staates fallen, durch körperschaftliche rechtsfähige Verbände. Im Laufe der historischen Entwicklung entstand in Deutschland so zwar die kommunale Selbstverwaltung; die monarchische Staatsverwaltung blieb jedoch obrigkeitlich und streng zentralistisch.

Dennoch hat der Eigenbetrieb der Steinschen Besitzbürgerschaft angesichts der erstaunlichen Entfaltung des 19. Jahrhunderts versagt. Er wurde nach einigen Jahrzehnten dann auch aufgegeben zugunsten eines Zweikammersystems, in dem der Magistrat, die Spitze der Verwaltung, mit der Gemeindevertretung übereinstimmende Beschlüsse fassen mußte, damit eine kommunalpolitische Maßnahme rechtens wurde. Anderwärts entwickelte sich die Bürgermeisterverfassung, in der ein für viele Jahre gewählter Chef der Verwaltung gleichzeitig Vorsitzender der Gemeindevertretung war. In Süddeutschland gab und gibt es wieder die Stadtratsverfassung als ein Einkammersystem, in dem die vom Gemeinde-volk gewählten Vertreter zusammen mit den berufsmäßigen Stadträten und dem Bürgermeister die grundlegenden Entscheidungen treffen. Schließlich ist nach der dem englischen Modell nachgebildeten Gemeindeordnung in der ehemals britischen Zone die gewählte Gemeindevertretung das alleinige und von der Verwaltung getrennte souveräne Organ; der frühere Stadtverordnetenvorsteher heißt jetzt Bürgermeister. Dieser Stadtvertretung wurde die Verwaltung nachgeordnet mit Einschluß seiner monokratischen Spitze, des jetzigen Stadtdirektors.

In der Bundesrepublik finden sich folgende Gemeindeverfassungen, deren Kenntnis notwendig ist, um die Möglichkeiten einer realen politischen Bildungsarbeit beurteilen zu können: — die Magistratsverfassung; Vertretungskörperschaft der Einwohner ist die Stadtverordnetenversammlung (Gemeindevertretung), die von einem aus ihrer Mitte gewählten Vorsitzenden geleitet wird und über alle wichtigen Angelegenheiten zu beschließen hat; Verwaltungsbehörde der Stadt oder Gemeinde ist der Magistrat; er besteht aus dem hauptamtlichen Bürgermeister als Vorsitzendem und hauptamtlichen sowie ehrenamtlichen Beigeordneten (Stadträten); alle Verwaltungsausgaben werden vom Magistrat als Kollegium erfüllt, nur die in staatlichem Auftrag zu führende Polizeiverwaltung leitet der Bürgermeister allein; gültig in den Gemeinden Hessens (GO vom 25. 2. 1952) und in Städten Schleswig-Holsteins (GO vom 24. 1. 1950) — die Bürgermeisterverfassung; hier ist der Bürgermeister zugleich Vorsitzender der beschließenden Gemeindevertretung und deren ausführendes Organ, -die Gemeindevertretung (Magistrat) wird nicht kollegial, sondern monokratisch vom Bürgermeister geführt; die Beigeordneten sind nur „Gehilfen" des Bürgermeisters; gültig in Rheinland-Pfalz (GO vom 5. 10. 1954), den Landgemeinden Schleswig-Holsteins und in den hessischen Gemeinden mit weniger als 3000 Einwohnern wahlweise neben der Magistratsverfassung; in abgewandelter Form in Baden-Württemberg (GO vom 25. 7.

1955) — die süddeutsche Ratsverfassung; Vertretungskörperschaft der Bürger ist der vom ersten Bürgermeister geleitete Gemeinde-(Stadt-) rat; der Gemeinderat mit dem Bürgermeister ist gleichzeitig Verwaltungsorgan, soweit er nicht spezielle Sachgebiete den beschließenden Ausschüssen (Gemeindesenaten) zur Verwaltung überträgt; für die laufenden Angelegenheiten ist der Bürgermeister allein zuständig; gültig in Bayern (GO vom 25. 1. 1952) — die Gemeindeverfassung in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen; hier liegt die Beschluß-und Entscheidungsbefugnis beim Rat der Gemeinde, den der von ihm gewählte Bürgermeister (in kreisfreien Städten: Oberbürgermeister) leitet; die Stadtverwaltung wird gebildet von hauptamtlichen oder ehrenamtlichen Beigeord-neten unter Führung des Gemeinde-(Stadt-) Direktors, der vom Rat der Gemeinde gewählt wird und der Hauptverwaltungsbeamte der Gemeinde ist; er führt die Beschlüsse des Rates der Gemeinde aus; bei Selbstverwaltungsangelegenheiten hat er nur geringe eigene Entschließungsfreiheit, während er die Auftragsangelegenheiten selbständig ausführt (GO von Nordrhein-Westfalen vom 28. 10. 52); in Niedersachsen (GO vom 4. 3. 1955) wird die Gemeinde nach dem Vorbild der englischen Kommunalverfassung von einem Verwaltungsauss 1955) wird die Gemeinde nach dem Vorbild der englischen Kommunalverfassung von einem Verwaltungsausschuß vertreten, der die Verwaltung im Rahmen der Beschlüsse des Rates und die laufenden Geschäfte führt; er setzt sich zusammen aus dem Vorsitzenden des Rates (Bürgermeister), Beigeordneten und dem Stadtdirektor.

Das Für und Wider dieser unterschiedlichen Gemeindeverfassungen zu erörtern ist nicht Aufgabe unserer Themenstellung. Die Kenntnis der Verfassungen ist jedoch wichtig, wenn man an ihr Einfluß von Parteien und Gemeindebürgern messen will. Es liegt auf der Hand, daß beispielsweise der Oberbürgermeister von München, der Verwaltungschef, Vorsitzender im Rat und Repräsentant zugleich ist, eine ganz andere Stellung verkörpert als beispielsweise ein Oberstadtdirektor in Köln, der „noch nicht einmal reden darf, wenn ein Museum oder eine Ausstellung eröffnet oder ein Richtfest gefeiert wird" (Max Adenauer). Demgegenüber kann sich natürlich ein auf 12 Jahre gewählter Bürgermeister nach 4 oder 8 Jahren der Mehrheit einer anderen Partei im Stadtparlament gegenübersehen, die seine Arbeit ungemein erschweren wird. Leider sind die Zuständigkeiten des Kreisausschusses auf dem Gebiet des Gewerberechts, die Maßnahmen auf dem Gebiet des Bau-, Wasser-, Jagd-und Fischereirechts, des Wegerechts und der Enteignung weitgehend auf die zuständigen Ministerien der Länder übergegangen. Hatte die kommunale Selbstverwaltung im Kaiserreich noch einen wesentlichen Teil ihrer Kraft dadurch gewonnen, daß sie als eine in erheblichem Maße unabhängige, bürgerschaftliche Selbstverwaltung der zentralen obrigkeitlichen Gewalt gegenüberstand, so kennzeichnet die Tatsache, daß Bürgertum und Arbeiterschaft heute in den Staatskörper weitgehend integriert sind und daher kaum noch ausgesparter Verwaltungsreservate zu bedürfen scheinen, die gegenwärtige schwierige Situation 2).

Politik und politische Bildung in Deutschland

In Deutschland gibt es teilweise noch immer Tendenzen zum autoritären Verwaltungsstaat. Es ist bisher nicht möglich gewesen, die Öffentlichkeit von der staatspolitischen Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung zu überzeugen, geschweige denn breite Schichten unseres Volkes für eine bewußte Mitarbeit im politischen Bereich zu gewinnen. Weithin findet man die Neigung, die Verwaltung aus dem politischen Leben der Nation herauszunehmen und das Beamtentum wieder zu einem „weltlichen Klerus der Regierenden gegenüber den Regierten" 3) zu machen. Alle Versuche, die Bürger in unserem Jahrhundert in großer Zahl für die kommunale Selbstverwaltung zu interessieren, sind im wesentlichen gescheitert. Die Kommunalpolitik teilt hier das Schicksal der Politik in Deutschland überhaupt. Solange der Staat nach Schlözer als „zusammengesetzte Maschine" galt, konnte es kein Interesse der breiten Schichten am Staate geben. Auch die politische Philosophie diente im allgemeinen nicht, wie in Westeuropa, dem politischen und gesellschaftlichen Fortschritt, sondern eher der Rechtfertigung bestehender Zustände. Der Freiheitsbegriff der deutschen Philosophie war weitgehend theoretischer Natur, der jede zornige Aufwallung gegen den Obrigkeitsstaat lähmte — im Gegensatz zum Freiheitsbegriff Westeuropas, der unter Freiheit weitgehend Freiheit „wovon" verstand, also praktisch-politische Freiheit vom Druck ständischer und staatlicher Obrigkeiten.

Der Demokratisierung folgte jedoch unvermeidlich die Politisierung nach. Deshalb kann es eine Rückkehr zum Verwaltungsstil des monarchischen Beamtenstaates nicht mehr geben. Durch die Ausweitung des Staates und seiner Zuständigkeiten sowie durch die Tatsache, daß die Gesellschaft sich mehr und mehr für die Regelung aller wesentlichen Beziehungen der Politik bedient, nimmt diese an Bedeutung zu. Da eine Demokratie aber nur bestehen und funktionieren kann, wenn sich möglichst jeder einzelne am politischen Geschehen beteiligt, kommt der politischen Bildung und Erziehung eine große Bedeutung zu. In der modernen Welt müssen es die Massen selbst sein, die mitverantwortlich empfinden und bestimmen. Die Bildung eines demokratischen politischen Bewußtseins erstrebt die Anteilnahme, möglichst sogar eine innere Verpflichtung gegenüber dem demokratischen Staat.

So komplizierte Systeme wie die moderne Demokratie erregen jedoch keine Begeisterung, sondern setzen zu ihrem Verständnis und ihrer Anerkennung ein fundiertes Wissen und Verstehen dieses Herrschafts-und Funktionsmechanismus voraus. In dem Maße, wie die Bedeutung der Politik zunimmt, wächst jedoch auch der Grad der Versachlichung des Politischen. Politik wird zur Konsumware, die von außen an die Bürger herangetragen wird. Damit läuft sie aber Gefahr, nicht hinreichend attraktiv zu bleiben, um eine ausreichende Nachfrage bei den „Konsumenten-Wählern" zu wecken. Die Parteien gleichen sich in ihrem öffentlichen Erscheinungsbild immer mehr einander an. Der Zerfall ihrer Ideologien ist eine zwangsläufige Folge der klassenmäßigen Einebnung Die Entpolitisierung der Gesellschaft bedingt aber auch einen Rückgang der Zahl von Staatsbürgern, die bereit sind, sich in der Politik zu engagieren. Mit der fortschreitenden gesellschaftlichen Egalisierung schrumpft die Basis, „die die Voraussetzung ist für die Möglichkeit einer Balance politischer Macht, d. h. für das Konstruktionsprinzip der parlamentarischen Demokratie" Die Gesellschaftsordnung und die traditionelle Vermögensstruktur sind heute in keinem modernen Industriestaat mehr Streitobjekt. Umstritten ist nur noch die Verteilung des Zuwachses an Volksvermögen. Dieses Abhandenkommen ideologischer und sozialer Gegensätze hat gleichzeitig aber das Interesse des Bürgers an der Politik gedämpft. Die Funktion der modernen Demokratie besteht weitgehend nur noch darin, die Konkurrenz verschiedener Eliten im Kampf um die Führung des Staates offenzuhalten und dadurch dem Bürger die Chance einer Wahl zwischen Alternativen zu gestatten. Mangels politischer Gesichtspunkte im hergebrachten Sinne und wegen der Zunahme administrativer Aufgaben in der modernen Gesellschaft müssen Parteifunktionäre immer mehr die Überlegenheit derjenigen Mächte und Kräfte akzeptieren, die den faktischen Charakter der modernen Politik besser als sie repräsentieren und die ihre Mittel und Gesetze souveräner als sie beherrschen: Bürokratie, Interessengruppen und „Fachleute".

An dem Verständnis dieser Dinge und den daraus erwachsenden Gefahren fehlt es weithin. Da unsere Geschichte überwiegend obrigkeitsstaatlich verlaufen ist, konnten demokratische Lebensformen nicht geübt und so auch keine instinktsicheren Reaktionen gewährleistet werden. Außerdem erfährt der traditionelle Gegensatz zwischen Verwaltungsbeamten und Politikern heute eine Vertiefung durch psychologische Ursachen: die überragende Stellung hoher Verwaltungsbeamter im monarchischen Staat ist abgelöst worden durch starke Machtpositionen des Politikers, demgegenüber der Verwaltungsbeamte nur noch beratende oder ausführende Funktionen haben soll.

Mit all diesen Problemen hat sich die politische Bildungsarbeit auseinanderzusetzen. Sie muß einmal ein Minimum an politischem Tatsachenmaterial aufbereiten und Einsicht dafür wecken, daß alle politischen Entscheidungen in der Spannung zwischen dem Erreichbaren und dem Erwünschten getroffen werden müssen, daß Politik die Kunst des Möglichen ist, daß politische Probleme primär Machtfragen und erst sekundär Sachfragen sind, daß je nach der politischen Interpretation die Sachlichkeit eine andere ist, daß in einem pluralistischen Staat niemand „objektiv" sagen kann, was das Richtige ist, daß alles Politische provisorisch ist, daß die Dinge sich laufend verändern, daß politische Fragen nicht nach dem Gut-Böse-Schema beurteilt werden können.

Zum andern darf die politische Bildungsarbeit die Wirklichkeit nicht idealisieren. Erziehung bedeutet Wandlung des Menschen, das „Hinführen zu einer personalen Entscheidung auf die Geschichte hin". Es läßt sich jedoch immer nur etwas bewußt machen, was an sich schon vorhanden, nur eben noch nicht „bewußt" ist. Lebenszusammenhänge, Gemeinsamkeiten kann man nicht einfach abstrakt lernen. Hier setzen die Schwierigkeiten ein.

Die politische Bildungslehre von heute veranschlagt das Ziel der politischen Beteiligung als Inbegriff aktiver Mitverantwortung für das Gemeinwesen oft zu hoch. Der ideale Staatsbürger ist in ihren Augen der, welcher aktiv am politischen Geschehen teilnimmt und auf diese Weise am demokratischen Lebensprozeß beteiligt ist. Der propagierten Forderung nach Aktivität, nach Beteiligung steht jedoch eine weitgehende Unwissenheit gegenüber, auf welche Weise und mit welchen Mitteln sich der heutige Staatsbürger sinnvoll an der Demokratie beteiligen kann. Gerade idealisierende Verallgemeinerungen, d. h. die unangemessene Verklärung eines Teilbereichs der Wirklichkeit, führen zur Selbsttäuschung und werden damit zu einer Gefahr für die Demokratie. Die Bürger in unserer Demokratie haben keineswegs jene großen Möglichkeiten, das Leben des Staates und insbesondere die wichtigen politischen Entscheidungen mitzubestimmen, die die politische Bildungslehre oftmals unterstellt. Nirgendwo wird diese Tatsache deutlicher als in der Kommunalpolitik.

Die Wähler selber sind auch keineswegs der Auffassung, daß sie in der Politik sonderlich viel zu bestimmen hätten. Nach einer Meinungsumfrage halten nur rund 53 v. H. einen Einfluß auf Gemeindeangelegenheiten, 27 v. H.

gar nur eine Einwirkung auf die Regierungspolitik für möglich; 63 v. H. erklärten, die Entscheidungen der Regierung ließen sich von ihnen nicht beeinflussen, und diese Skepsis brachten immerhin noch 42 v. H. für die Gemeindepolitik zum Ausdruck Von der Verkennung der realen politischen Möglichkeiten des einzelnen her drohen Gefahren. Wenn Illusionen genährt werden, die sich nicht erfüllen, dann wird den Bürgern die Politik erst recht verleidet. Hier gilt es, gutgemeinte Bestrebungen auf den Boden der Realität zurückzuführen, um endlich Ansatzpunkte für eine Reform des staatlichen Überbaus zu finden, die mindestens genauso wichtig erscheint wie die politische Erziehung der Massen. „Der normale Mensch aller normalen Zeiten ist ein durchaus unpolitischer Mensch ... Zoon politikon sein zu dürfen, ist durch die Jahrtausende hindurch bis in die Zeit unserer Großväter hinein kein allgemeines Menschenrecht, sondern ein rein soziales Privileg gewesen." Dadurch aber, daß es heute kein Privileg mehr bedeuten soll, politischer Bürger zu sein, entfällt auch das Motiv für die Entfaltung von Bürgersinn.

Zwar ist politische Bildung eine Voraussetzung guter Politik. Nur wenn die Grundtugenden demokratischen Lebens, wenn seine Lebensformen und Lebenstechniken von früh an gelernt und geübt, gelebt und vorgelebt werden, kann ein demokratischer Stil entwickelt werden, der für unser persönliches und gesellschaftliches Leben, für den Umgang mit Behörden, die Zusammenarbeit im Betrieb und die Tätigkeit der Verbände und Parlamente notwendig ist. Doch ist bisher anscheinend allzu wenig beachtet worden, daß die politische Erziehung des Volkes wesentlich durch die Politik selbst geschieht. Die Bemühungen um politische Erziehung werden scheitern, wenn nicht die Politiker sich der erzieherischen Wirkung bewußt sind, die von ihrem Handeln ausgeht. Die Erziehungsträger können ihren Auftrag nur dann einigermaßen befriedigend erfüllen, wenn sie dabei von den anderen Lebenskreisen und Bildungsmächten getragen und gestützt werden. Der Zustand unserer politischen Bildung wird kaum je besser sein als der allgemeine gesellschaftlich-politische Zustand. Wie sieht nun die Realität der Kommunalverwaltung aus?

Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik

Verwaltung hat die Aufgabe, tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse, meist auf öffentlich-rechtlichem Gebiet, zu gestalten; beispielsweise die Verkehrsregelung und Erteilung von Baugenehmigungen. Heute stehen im Vordergrund die Leistungsaufgaben der Verwaltung, da der soziale Rechtsstaat sich nicht mehr überwiegend auf die Wahrung von Sicherheit und Ordnung zu beschränken, sondern auch auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge zu betätigen hat. Charakterisiert wird die moderne Verwaltung durch die Prinzipien der Kompetenzen, des Instanzenzuges, der Schriftlichkeit und der Konzentration der Betriebsmittel Bürokratie ist das „spezifische Mittel, Gemeinschaftshandel’ in rational geordnetes . Gesellschaftshandeln'umzuwandeln" Typisch sind folgende Merkmale 1. Die durch generelle Regeln geordnete feste Verteilung und Begrenzung von Kompetenzen und Befehlsgewalten in Hinsicht auf die Zwecke der betreffenden Organisation; 2. eine generell geregelte Qualifikation für die Inhaber bürokratischer Positionen; 3. ein institutionalisiertes Stufensystem der über-und Unterordnung der bürokratischen Positionen; 4. die Amtsführung nach generellen, mehr oder minder festen und mehr oder minder erschöpfenden, erkennbaren Regeln; 5. die Amtsführung auf Grund von Akten und unter Wahrung der Amtsverschwiegenheit; 6. die hauptberufliche Ausübung und feste Beachtung der Amtstätigkeit; 7. eine der Amtstätigkeit vorangehende eingehende Fachschulung; 8. die Ableitung der Macht und Autorität der Amtsträger vom Amt und nicht von der Person; 9. eine formelle und unpersönliche Verkehrs-form; 10.den Einsatz von Spezialisten verschiedener Qualifikation durch die Bürokratie; 11. das Bestehen der Bürokratie aus einzelnen, deren Ideen und Interessen vor ihrem Stellungsantritt unterschiedlich waren.

Innerhalb der Verwaltung unterscheidet man die Staatsverwaltung (Bund, Länder) und die Kommunalverwaltung (Städte, Kreise, Bezirke).

Zum Wesen der Kommunalverwaltung gehört, daß sie politische Verwaltung ist. Auch die Verwaltung ist in erster Linie politische Verwaltung Die Annahme, daß es eine unpolitische Verwaltung gäbe, ist ein Mißverständnis und „angesichts technokratischer Potenzen der Gegenwart nicht leicht zu veranschlagen" Im Tätigkeitsbereich der Stadtplanung, der Siedlungs-und Verkehrspolitik, der Personal-und Finanzpolitik, der kommunalen Wirtschafts-und Sozialpolitik, der Schul-und Kulturpolitik fallen laufend Entscheidungen, die zwar der Fachkenntnis bedürfen, aber ebenso einer politischen Entscheidung, eben einer kommunalpolitischen, harren Nur soweit es sich um rein administrativen Vollzug handelt, hat die Verwaltung rein fachlichen Charakter.

Zur Charakterisierung der „politischen Abstinenz" unserer Zeit gehört die hilflose Isolierung des Individuums in der modernen Massengesellschaft, in der die Menschen sich in vielen Entscheidungen notwendigerweise auf die staatlichen Instanzen verlassen müssen, die sie nicht durchschauen können. Diese Instanzen der Bürokratie wiederum erliegen der Versuchung, immer mehr Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens unter ihre Kontrolle zu bringen und sie somit der Entscheidung des Bürgers zu entziehen. Weil schließlich das Gegengewicht selbständiger, verantwortungsbewußter Staatsbürger fehlt, droht auch der demokratische Staat im Lauf der Zeit zu einem Obrigkeitsstaat zu werden.

Der Umfang und die Kompliziertheit der heute vom Staat zu erfüllenden Aufgaben erschweren die Durchschaubarkeit und das Verständnis für das Wesen der Politik. Je komplizierter ein Tatbestand aber erscheint, desto stärker wird die Neigung, auf das Schlagwort auszuweichen und ihm obendrein noch zu trauen

Eine Demokratie ist dabei immer in Gefahr, von innen her ausgehöhlt zu werden, wenn es nicht unabhängige Persönlichkeiten in genügender Anzahl gibt, die gegenüber politischer Führung, Verwaltung und Demagogie eine öffentliche Meinung bilden, deren Funktionsfähigkeit weitgehend von der Urteilsfähigkeit und der Zivilcourage der Mehrheit der Staatsbürger abhängt. Schon heute wird die sachgerechte Information der Staatsbürger durch eine auf Formeln zugespitzte Manipulation mittels der modernen Massenkommunikationsmittel ersetzt. Die Schlagworte der Parteien werden einander immer ähnlicher und nötigen den Staatsbürger dazu, sich an den unpolitischen Attributen der Parteien zu orientieren. Die akute Gefahr besteht, daß „die heute wirksamen Humantechniken der Meinungsforschung, Information, Propaganda und Publizistik die politische Willensbildung weitgehend zu einem wissenschaftlich deduzierbaren und manipulierbaren Produktionsvorgang machen"

Die Gefahr eines heute feststellbaren mangelnden Bürgersinns ist um so ernster zu nehmen, als in den großen parlamentarischen Demokratien das demokratische Grundprinzip — mitverantwortliches Handeln jedes einzelnen Staatsbürgers — nur noch in etwa in der Gemeinde zur Anwendung kommen kann. Hier vermag der Gemeindebürger noch am ehesten unmittelbaren Einfluß auf die Politik zu nehmen, ganz im Sinne der klassischen griechischen Auffassung von der Politik als Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte in der „polis". Gerade in der Kommunalpolitik hat man es mit sehr realen und nachprüfbaren Fragen der örtlichen Gemeinschaft zu tun. Da es sich bei einer großen Zahl kommunalpolitischer Probleme nicht um Fragen der Welt-und Lebensanschauung handelt, ergibt sich in einem überschaubaren Rahmen die Möglichkeit rein pragmatischer Mitarbeit. Die politischen Parteien wissen heute ohnehin, daß es „in der Politik darauf ankommt, Gegenwartsaufgaben zu lösen" ihre Entideologisierung hat die „Voraussetzung für zeitlich begrenzte Sachprogramme geschaffen, aber die Meinungsforschung und die Massenkommunikationsmittel lassen die Parteien zögern, die Konsequenz aus ihrer Entdogmatisierung zu ziehen" Die Verwissenschaftlichung der Politik löst sie aus ihrer Abhängigkeit von Ideologie und Deklamation und konfrontiert den Staatsbürger direkt mit dem Pluralismus und der Relativität der Wertordnungen, die in einer Demokratie zu tolerieren sind. Ungeachtet der weltanschaulichen Unterschiede gibt es im politischen Raum Gemeinsamkeiten, die bewußt gemacht werden können gerade durch Erfahrungen in der Kommunalpolitik. Da die Demokratie die „Staatsform für reife Menschen" ist steht und fällt sie damit, daß ihre Bürger sich nicht scheuen, die Verantwortung für ihr politisches Gemeinwesen zu tragen, weil sie sich — bei allen Differenzierungen im einzelnen — über die Grundwerte einig sind, die die wesentlichen Elemente ihres Gemeinwesens darstellen sollen. Unter Gemeinwohl verstehen wir mit Professor Fraenkel „die in einem politischen Gemeinwesen auf einem wirksam-gültigen Wertkodex basierende, den konkreten ökonomisch-sozialen Bedingungen Rechnung tragende regulative Idee, die gegebenenfalls bei der Gestaltung politisch nicht-kontroverser Angelegenheiten in einen consensus omnium in Erscheinung zu treten und bei der ausgleichenden Regelung politisch kontroverser Angelegenheiten als bindende Richtschnur zu dienen vermag". Die Achtung dieser Grundwerte beginnt in der Praxis schon bei der Art und Weise, wie Gemeindebürger und Kommunalvertreter einander begegnen. Hier, im kommunalpolitischen Alltag, sind vor allem Persönlichkeiten — nicht abstrakte Ideale — weit entscheidender, als gemeinhin angenommen wird

Bedeutung der Gemeinden

Für die Wirtschaftsführung wie für die Verwaltung wird die überlokale und übernationale Zusammenarbeit immer wesentlicher. Starke Kräfte drängen zur Zentralisierung. Die gesellschaftlichen Wandlungen, die sich in den letzten Jahren vollzogen haben, verlangen nach einer Vereinheitlichung der gesamten Lebensverhältnisse. Schon der moderne Wohlfahrtsstaat neigt dazu, immer mehr Aufgaben an sich zu ziehen, um die Gleichmäßigkeit der sozialen Leistungen zu garantieren. Diese starke Spannung zwischen dem sozial gerichteten, auf gleichmäßige Daseins-vorsorge für alle Bürger bedachten Wohlfahrtsstaat und der freiheitlichen, auf die individuelle Selbständigkeit zielende Selbstverwaltung wurde immer deutlicher. Trotzdem hat die Stadtgemeinde auch künftig viele Aufgaben zu erfüllen. Stadt-und Landkreise bilden die Unterstufe der allgemeinen Staatsverwaltung; sie sind Gebietskörperschaften mit dem Recht der Selbstverwaltung. Um diese Selbstverwaltung wirkungsvoll durchführen zu können, haben die Gemeinden das Recht der Autonomie, d. h. das Recht, Satzungen zur Regelung ihrer Angelegenheiten zu erlassen. Zu den Selbstverwaltungsaufgaben gehört grundsätzlich alles, was die örtliche Gemeinschaft und die einzelnen Gemeindemitglieder angeht (Allzuständigkeit der Gemeinde), insbesondere die Versorgung mit Wasser, Gas, Strom, Unterhaltung der Gemeindestraßen, Gemeindeeinrichtungen, des Gemeindevermögens, die örtliche Kultur-, Wohlfahrts-und Gesundheitspflege. Zur Erfüllung mancher dieser Aufgaben sind die Gemeinden gesetzlich verpflichtet, andere können sie freiwillig übernehmen.

Gerade im sozialen und kulturellen Bereich gibt es also zahlreiche Aufgaben, die sich der Schematisierung und zentralen Lenkung völlig entziehen.

Der auf die Orte mit 2000 bis 100000 entfallende Anteil der gesamten Bevölkerung hat sich in der Periode 1939— 1961. von 38, 1 auf 46% erhöht. Ein besonders hoher Zuwachs gegenüber 1931 ist für die Gemeinden zwischen 2000 und 50000 zu verzeichnen, in denen heute etwa 55 % mehr Menschen als vor dem Zweiten Weltkrieg leben. Spiegelt sich hier die Bedeutung der Gemeinden und ihrer Aufgaben, so zeigt die Finanzsituation das Dilemma kommunaler Selbstverwaltung auf. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts bedeutet nämlich nicht, daß den Gemeinden ein bestimmter, stets gleichbleibender Bestand an Finanzmitteln zur Erfüllung ihrer Aufgaben gewährleistet wird. Durch die schwindende Finanzautonomie der Gemeinden wird jedoch die Selbstverwaltung immer mehr ausgehöhlt, obwohl die Gemeindebehörden mit der Übertragung staatlicher Aufgaben den Staatsbehörden faktisch gleichgestellt sind

Rechtslehre und Rechtsprechung sind sich allerdings soweit darüber im klaren, „daß zu der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts auch eine angemessene Finanzausstattung der Gemeinden gehört, denn sie ist die Voraussetzung für die Lebens-möglichkeit aller Selbstverwaltungsträger"

Aufgabe der Kommunalpolitik ist es daher, „einen Ausgleich zu finden zwischen den Forderungen des Sozialstaates in der industriellen Gesellschaft und den besonderen Bedürfnissen der durch ihre Selbstverwaltung vertretenen örtlichen Gemeinschaften" Immerhin liegt der Schwerpunkt der kommunalen Investitionstätigkeit bei dem so wichtigen Straßenbau mit einem Anteil von fast 30 % der gesamten Bauinvestitionen, dem nach der Größenordnung der nicht weniger wichtige Schulbau mit 20 % folgt Dabei wird die Zusammenarbeit der Gesellschaftswissenschaften mit anderen Disziplinen wie Architektur und Städteplanung immer vordringlicher. Städtebau und Stadtentwicklung wiederum sind Gebiete von besonderer Komplexität, die unter technischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, finanziellen und administrativen Aspekten behandelt werden müssen

Parteien und kommunale Selbstverwaltung

Die oft gehörte Behauptung, ein einzelner Bürger vermöge niemals etwas zu erreichen, erweist sich als falsch, wenn man den Einfluß der Presse und den Rückhalt einer Partei be-rücksichtigt. Hier zeigt sich aber auch, wie wichtig es ist, die Vorurteile gegenüber den Parteien abzubauen, denn heute wird der Gemeindebürger noch am ehesten durch Vermittlung einer politischen Partei zum Mitglied der Vertretungskörperschaft seiner Gemeinde. Die Parteien sind wesentliche Bestandteile der politischen Ordnung der Gemeinde. In der Selbstverwaltung, dem Übungsfeld staatsbürgerlicher Mitverantwortung, besitzen sie einen großen Spielraum für gestaltendes Handeln. „Im Rahmen dieses gemeindepolitischen Eigen-bereichs hat die lokale Parteigruppe eine Reihe von Aufgaben, die sich nicht primär auf den Staat und die gesamtgesellschaftliche Willensbildung beziehen."

Rolle und Funktion der politischen Parteien im kommunalen Bereich sind von Otto Ziebill genauer untersucht worden. Er kommt zu der Schlußfolgerung, daß die Parteien im allgemeinen gar keinen Wert darauf legten, „an zentraler Stelle zu örtlichen Fragen, etwa der Stadtplanung und Stadterweiterung, des Baues von Sportstadien, Heimen und Schlachthöfen, der Verkehrsregelung, der Versorgungs-und Verkehrsbetriebe oder der Gestaltung des Haushalts Stellung zu nehmen, geschweige denn die Entscheidungen am Ort maßgeblich zu beeinflussen . .. Das Interesse der Zentrale beginnt erst da, wo es sich um grundsätzliche Fragen politischer oder weltanschaulicher Art handelt, etwa um die Einrichtung von Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen, kommunalen oder konfessionellen Büchereien, kommunalen oder karitativen Krankenhäusern, um soziale Mietwohnungen oder Eigenheime und um den Vorrang gemeindlicher sozialer Einrichtungen oder solcher, die von freien Verbänden getragen werden" Tatsächlich sind in kleinen Gemeinden die Kontakte zwischen den örtlichen Parteistellen und den Parteizentralen im allgemeinen recht schwach

Dazu kommt, daß im Alltag die Persönlichkeiten entscheidender sind als Programme. Dennoch sind seit Jahrzehnten die Parteien die eigentlichen Träger der Kommunalpolitik. Da viele Probleme des öffentlichen Lebens der Aufmerksamkeit des Staatsbürgers entgehen, ist es vor allem ihre Aufgabe, die Gegensätze zu vereinfachen und sie verständlich der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Die Parteiwahl anstelle der Persönlichkeitswahl setzt sich auch dort immer mehr durch, wo es die Verhältniswahl nicht gibt Bemerkenswert ist allerdings, daß die Wähler ihre politischen Vertreter je nach Aufgabe nach verschiedenen Kriterien wählen. Für die Bundesebene vertrauen sie den Parteien die Aufgabe an, die geeigneten Persönlichkeiten auszuwählen. Bei Gemeindewahlen aber wählen 55 v. H. solche Kandidaten, die sie persönlich kennen, 25 v. H. wählen nach parteipolitischen oder weltanschaulichen Gesichtspunkten und 20 v. H. aus Orts-oder Gruppeninteresse.

Dem entspricht die unterschiedliche Auswahl der Bewerber bei Parteiführung und lokaler Parteiorganisation. Während die Wahlkreis-organisationen der Parteien mehr auf das Wirken des Abgeordneten in seinem Wahlkreis sehen, haben Partei-und Fraktionsführungen größeres Interesse für geeignete Abgeordnete im Bundestag In den Wahlkreisen gelingt es sehr selten, einen Kandidaten nominieren zu lassen, auf den zwar die Parteiführung Wert legt, der aber den örtlichen Wahlgremien der Partei nicht genehm oder bekannt ist Der Einfluß der Parteien wirkt sich in den verschiedenen Gemeindeverfassungen unterschiedlich aus. Bei der unechten Magistratsverfassung der Länder Hessen und Schleswig-Holstein, wo das Zweikammer-System aufgegeben wurde und der Magistrat nicht als selbständige zustimmungsberechtigte Kammer neben der Stadtverordnetenversammlung besteht, ist der Einfluß der Parteien groß. In der süddeutschen Stadtratsverfassung kann der parteipolitische Einfluß sehr groß werden, wenn der Oberbürgermeister es nicht versteht, seine Selbständigkeit zu behaupten. In der Magistratsverfassung Niedersachsens, wo der Rat den ehrenamtlichen Oberbürgermeister als Repräsentanten der Stadt wählt und die Verwaltung von einem Verwaltungsausschuß geführt wird, dessen Zusammensetzung der Rat bestimmt, ist der Einfluß der Parteien natürlich ebenfalls größer als in Nordrhein-Westfalen.Dort nimmt der Oberstadtdirektor auch solche Funktionen wahr, die in Niedersachsen dem wichtigen Verwaltungsausschuß obliegen.

Die parteipolitische Bedeutung der Gemeindeverwaltungen wird durch die Tatsache erhellt, daß im Gegensatz zur CDU/CSU-FDP-Regierungskoalition auf Bundesebene 16 von 20 Städten über 250 000 Einwohner SPD-Ober-bürgermeister haben, daß die SPD in 41 Großstädten die Mehrheit gegenüber nur 8 der CDU/CSU besitzt und in den kreisfreien Städten 42 CDU/CSU-, aber 68 SPD-Oberbürgermeister amtieren.

Kommunalpolitik und wissenschaftliche Politikberatung

Viel wäre erreicht, „wenn der Wähler in die Lage käme, das sachgerecht beurteilen zu können, was die die Politik betreibenden Mitbürger tun oder zu tun vorschlagen. Ob das möglich werden kann, hängt von der Technik der Meinungsbildung, von der Art des Einsatzes der modernen Kommunikationsmittel ab, aber auch von der staatsbürgerlichen Bildung" Wenn die Selbstverwaltung einen staatspolitischen und bildungspolitischen Sinn haben soll, dann sind die städtischen Presseämter ein wesentliches Mittel zu seiner Verwirklichung. Ihre Aufgabe hat der Deutsche Städtetag im Dezember 1955 in Hannover folgendermaßen definiert: „Erste Aufgabe der städtischen Pressearbeit ist eine sachliche und möglichst umfassende Unterrichtung der Bürgerschaft über alle Gemeindeangelegenheiten mit dem Ziel, ihr eine starke innere und äußere Teilnahme an der eigenen Selbstverwaltung zu ermöglichen." Ministerialrat Dr. Hans Hämmerlein formulierte am 18. Oktober 1963 in Essen die behördliche Pressearbeit folgendermaßen: „Die Verwaltungsinformation ist heute ein Mittel der Verwaltungsführung in einem demokratischen Staat, dessen Bürger nicht nur Zuschauer, sondern zur Mitverantwortung aufgerufene Gestalter der staatlichen

Arbeit sind, die auch von der Verwaltung in allen Ebenen geleistet wird." Der Pressereferent soll „mit Hilfe aktueller, gefällig gemachter Publizistik sowie unablässigen Gedankenaustauschs mit dem Bürger eine vorausschauende und oft unpopuläre Stadtpolitik" ermöglichen, dabei aber dem Bürger „den umfassenden Sinn der Selbstverwaltung bewußt werden lassen"

Auch kommunalpolitische Instanzen einer Demokratie bedürfen einer theoretischen Grundlegung ihrer Politik, um angesichts der zunehmenden Kompliziertheit politischer Zusammenhänge und Entwicklungsprozesse zu einer fundierten Kenntnis des politischen Geschehens zu gelangen, ohne dabei in wirklichkeitsfremde Spekulationen oder Ideologien zu verfallen. Notwendig sind daher Beratungsstäbe innerhalb der Führung der politischen Parteien und der Verwaltungsspitzen sowie eine „Delegation der Verantwortung". Das Modell könnte die freie Wirtschaft abgeben: „über die Bereiche, die den Mitarbeitern delegiert sind, wird von den Mitarbeitern mit dem Chef nicht mehr gesprochen, sondern hier wird von den Mitarbeitern selbst entschieden. Der Chef hat* sich auf Dienstaufsicht und Erfolgkontrolle zu beschränken."

Leider wurde die staatliche Verwaltung von der Politologie bisher weitgehend vernachlässigt; im Gegensatz beispielsweise zu den USA, wo sich die political science intensiv mit den Problemen der öffentlichen Verwaltung beschäftigt. Die Verwaltungspolitik ist in Deutschland bisher ein „kaum gepflegter Zweig der Wissenschaft von der Politik" Die Politologie besitzt als methodischen Grundzug eine ausgesprochene Bevorzugung der Praxis vor der Theorie, da die Theorie ihre Aufgaben von der Praxis empfängt und sich in ihren Ergebnissen und Verallgemeinerungen stets in der politischen Praxis bewähren muß. Das zentrale Problem der Politologie ist dabei die Macht oder verwandte Begriffe wie Herrschaft oder Autorität Ihr Gegenstand ist der „Erwerb, Gebrauch (Mißbrauch) und Verbrauch von Macht" Die Machtkomponente bedeutet ihr mehr als die Kategorie Staat weshalb sie die Verwaltung in Verkennung ihrer politischen Aspekte bisher wenig berücksichtigte. Ausgehend von einer beschreibend-kritischen Einstellung und einer dauernden Überprüfung der einzelnen Verallgemeinerungen und Ergebnisse gegenüber der Erfahrung sucht sie den

Menschen, der in das soziale Geschehen eingreift, ebenso zu berücksichtigen wie die Rolle des Unbewußten in der Handlungsweise einzelner und ganzer Gruppen

Das im allgemeinen nur vage formulierte kommunalpolitische Programm muß zunächst in eine präzise wissenschaftliche Begriffsform übersetzt werden. Das Ergebnis der Rationalisierung wird ein System von unabhängigen kommunalpolitischen Zielsetzungen sein. Einige Handlungsalternativen müssen ausgesondert werden, die für die Realisierung der Zielsetzung geeignet sind, um dann schließlich wieder in die Sprache des Politikers übersetzt zu werden. Politikberatung besteht also „in einem Prozeß der Übersetzung von praktischen Fragen in wissenschaftliche Probleme und umgekehrt von technischen Lösungen in praktisch befriedigende Antworten" Allerdings können über Wertsysteme, Verbindlichkeit von Normen, sozialen Bedürfnissen und objektiven Bewußtseinslagen keine objektiven Urteile gewonnen werden. Doch ist es möglich, in Kenntnis der technischen Möglichkeiten den politischen Willen an der gegebenen Lage zu orientieren. Politikwissenschaftler können in Kenntnis eines gegebenen Niveaus der Forschung wissenschaftliche Informationen in Hinblick auf die praktischen Fragen ihrer politischen Auftraggeber sammeln; sie müssen aber auch sagen, welchen Sicherheitsgrad und welche Genauigkeit die Ergebnisse besitzen.

Der Kommunalpolitiker, der alle Möglichkeiten des stets problematisch bleibenden Spielraums der Macht ausprobieren muß, darf von der Politikwissenschaft bis zu einem gewissen Grade Auskunft darüber erwarten, was erreichbar ist und was undurchführbar scheint. Er allein kann sich dann für einen Kompromiß entscheiden, da er unter dem Zwang des günstigen Augenblicks steht. Er muß sogar dort eine teilweise Annäherung an das Gesamtziel realisieren, wo im Augenblick eine Durchsetzungschance besteht.

Der Politologie fallen im kommunalen Bereich zwei grundlegende Aufgaben zu: Einmal hat sie objektive Forschungsarbeit auf dem kommunalen Sektor zu leisten. Beispielsweise wird sie untersuchen müssen, „inwieweit die kommunale Individualität in der Innenpolitik des Staates gegen Machtballung und schrankenlose Gleichheit ein Gegengewicht darstellt im Sinne von Machtverteilung und Differenzierung" Forschungsobjekt ist auch die zentralistische Einflußnahme der Bundes-und Landesverbände bestimmter Parteien auf die kommunale Selbstverwaltung. Zum andern wird sie nach neuen Wegen suchen müssen, um jeden Bürger die Bedeutung von Selbstverwaltung und Mitbestimmung eindringlicher als bisher vor Augen zu führen. Es scheint, als müsse die heutige Form der politischen Erziehung auf lange Sicht scheitern, wenn nicht die Realität unseres Verfassungslebens dem Bürger neue Möglichkeiten der Mitbe

Stimmung einräumt. Eine solche Mitbestimmung läßt sich institutionell beispielsweise ermöglichen durch eine dezentralisierte Form der Verwaltung, an der parteipolitisch nicht gebundene und dem Parlament nicht angehörende Bürger mitwirken, wie es beim Deputiertensystem der Freien und Hansestadt Hamburg der Fall ist. Sonstwo aber hat die Wählerschaft in Westdeutschland „bisher keine Formen der Mitwirkung entwickelt, die es ihr gestatten würde, sich außerhalb und neben den Parteien artikuliert zu äußern"

Der Politikberatung stehen nicht nur fachliche Schwierigkeiten und Unverständnis in weiten Teilen der Bevölkerung entgegen, die mit Politik nichts zu tun haben wollen. Audi der Widerstand, der neuen Ideen und jungen Leuten innerhalb der Verwaltungsbürokratie selber entgegengesetzt wird, ist beträchtlich. Unsere Demokratie steht und fällt jedoch mit der Bewältigung dieser Aufgabe, denn das eigentliche Kennzeichen der Demokratie besteht heute nicht so sehr in der Volkstümlichkeit des Regierungs-, sondern des Verwaltungssystems. Daher muß das wahre Ziel die Demokratisierung der Verwaltung sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Edith Ennen, Neuere Arbeiten zur Geschichte des nordwesteuropäischen Städtewesens im Mittelalter, in: Vierteljahreszeitschrift für Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, 1949, Band 2.

  2. Fritz Fleiner, Beamtenstaat und Volksstaat, Tübingen 1916, S. 36.

  3. David Riesman, Die einsame Masse, Hamburg 1958, S. 182.

  4. Wilhelm Hennis, Das Modell des Bürgers, in: Gesellschaft — Staat — Erziehung, Heft 7/1957, S. 334.

  5. Siegfried Landshut, Die Auflösung der Klassen-gesellschaft, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Heft 8/1956, S. 456.

  6. Renate Mayntz, Lokale Parteigruppen in der kleinen Gemeinde, in: Zeitschrift für Politik, Heft 1/1955, S. 64.

  7. Wilhelm Hennis, Motive des Bürgersinns, Tübingen 1962, S. 98.

  8. Adolf Hüttl, Die Verwaltung im Industriestaat, FAZ vom 15. 8. 64.

  9. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1056, S. 577 f.

  10. Max Gustav Lange, Politische Soziologie, Berlin-Frankfurt 1961, S. 163.

  11. Arnold Köttgen, Wesen und Rechtsform der Gemeinde und Gemeindeverbände, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Berlin 1956, Band I, S. 194 f.

  12. Arnold Köttgen, Die Gemeinde als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 1962, S. 23.

  13. Hans Peters, Kommunalwissenschaften und Kommunalpolitik, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Berlin 1956, Band I, S. 6.

  14. Peter R. Hofstätter, Die Psychologie der öffentlichen Meinung, Wien 1949, S. 72

  15. Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, Köln-Opladen 1961, S. 30.

  16. Friedrich Glum, Das parlamentarische Regierungssystem in Deutschland, Großbritannien und Frankreich, München-Berlin 1950, S. 368.

  17. Ulrich Lohmar, Innerparteiliche Demokratie, Stuttgart 1963, S. 109.

  18. Ernst Fraenkel, Politikwissenschaft und Gesellschaft, in: Der Politologe, Februar 1963.

  19. Ulrich Scheuner, Gemeindeverfassung und kommunale Aufgabenstellung in der Gegenwart, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 1962, S. 176.

  20. Jesche, Rechtsstellung und Rechtsschutz der Gemeinden bei der Wahrnehmung „staatlicher" Aufgaben, in: DOV, 1960, S. 739.

  21. Karl M. Hettlage, Die Gemeinden in der Finanz-verfassung, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 1964, S. 9.

  22. Otto Ziebill, Kommunale Selbstverwaltung und Politische Wissenschaft, in: Archiv für Kommunal-wissenschaften, 1964, S. 36.

  23. Bruno Weinberger, Gemeindefinanzen an der Jahreswende, in: Der Städtetag, 1964, S. 6.

  24. Rudolf Hillebrecht, Städtebau und Stadtentwicklung, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, 1962, S. 41 ff.

  25. Renate Mayntz, Lokale Parteigruppen in der kleinen Gemeinde, in: Zeitschrift für Politik, Heft 1/1955, S. 59.

  26. Otto Ziebill; Politische Parteien und kommunale Selbstverwaltung, Stuttgart 1964, S. 41.

  27. Renate Mayntz, Zeitschrift für Politik, a. a. O., S. 62.

  28. Vgl. R. T. McKenzie, Politische Parteien in England, Köln-Opladen 1961, S. 283.

  29. K. Kaufmann u. a.: Die Auswahl der Bundestagskandidaten 1957 in zwei Bundesländern, Köln 1961, S. 202.

  30. U. W. Kitzinger, Wahlkampf in Westdeutschland, Göttingen 1960, S. 29.

  31. Ulrich Lohmar, a. a. O., S. 31.

  32. Heinrich Raskin, Der „Pressechef" und sein Chef, in: Der Städtetag, Dezember 1962.

  33. R. Höhn, Die Führung mit Stäben in der Wirtschaft, Bad Harzburg 1961, S. 200.

  34. Hans Peters in: Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft, Freiburg 1963, Band 8, Spalte 229.

  35. Max Weber, Politik als Beruf, München-Leipzig 1926, S. 9.

  36. Theodor Eschenburg; Staatsautorität und Gruppenegoismus, Düsseldorf 1955, S. 5.

  37. Roman Herzog, Das Problem der staatlichen Autorität im westdeutschen Verfassungssystem, in: Zeitschrift f. Politik, 1963, S. 145 ff.

  38. Gert v. Eynern, Politologie, in: Zeitschrift f. Politik, 1954, S. 83.

  39. Jean Meynaud, Introduction ä la Sciences politique, Paris 1959, S. 80.

  40. Karl Loewenstein, über den Stand der polit. Wssenschaften in den Vereinigten Staaten, in: Z. f. d. ges. Staatswiss., 1950, S. 350.

  41. Carl J. Friedrich, Grundsätzliches zur Geschichte der Wissenschaft von der Politik, in: Zeitschrift f. Politik, 1954, S. 333.

  42. Georges Burdeau, Methode de la Science politique, 1959, S. 11.

  43. A. R. L. Gurland, Politische Wirklichkeit und politische Wissenschaft, in: Faktoren der Macht-bildung, Berlin 1952, S. 28 ff.

  44. Jürgen Habermas: Wissenschaftliche Politik-beratung, in: Süddeutsche Zeitung vom 26. Juni 1964.

  45. Otto Ziebill, Kommunale Selbstverwaltung und Politische Wissenschaft, in: Archiv für Kommunal-wissenschaften, 1964, S. 36.

  46. Ulrich Lohmar, a. a. O., S. 34.

Weitere Inhalte

Rainer Waterkamp, Diplom-Politologe, geb. 31. Oktober 1935 in Brandenburg/Havel, 1960 Assistent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, 1963— 65 beim Presseamt der Stadt Kiel, gegenwärtig Redakteur bei der Staatlichen Pressestelle Hamburg. Veröffentlichungen: Atomare Abrüstung, Berlin 1965, und Zeitschriftenaufsätze vornehmlich zu außenpolitischen Fragen.