Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Hochschule und Gesellschaft | APuZ 6/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 6/1966 Staat und Verbände Zur Problematik des heutigen Verbandseinflusses Hochschule und Gesellschaft

Hochschule und Gesellschaft

Heinrich Schneider

I. Der Ort der Hohen Schule im Gemeinwesen

Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung 1925 1950 1960 (pro Tausend) Deutschland Frankreich Schweiz Schweden ’) USA ’) UdSSR ') 0, 8 0, 7 0, 9 3, 1 1, 4 1, 1 1, 6 1, 5 7, 9 1, 1 2, 1 3, 3 3, 1 3, 9 2, 6 2, 5 2, 4 4, 9 17, 6 19, 8 (5, 3)

4, 7 11, 1 ’) Die Zahlen für Schweden und die USA umfassen auch die Studenten aller Colleges; die erste Zahl für die Sowjetunion und das Jahr 1960 betrifft die Vollzeitstudenten, die zweite die Zahl aller Immatrikulierten einschließlich derer, die an einem Fern-ﶱ

Vom Beginn der Hohen Schule an ist das Verhältnis von Universität und Gemeinwesen im Abendland in seiner Eigenart deutlich ausgeprägt. Die Hochschule konstituiert sich als „Universitas magistrorum et scholarium". Als solche nimmt sie . einen eigentümlichen Platz in der Gesellschaft ein. Sie tritt der geistlichen und der weltlichen Gewalt mit dem Anspruch auf Eigenständigkeit gegenüber, von beiden Seiten privilegiert, aber dem mittelalterlichen Verständnis zufolge als „Studium" dem Sacerdotium und dem Imperium, der geistlichen und der weltlichen Obergewalt, auf gleicher Ebene der Geltung begegnend. Die Trias erinnert an Max Webers bekannte These von den drei reinen Typen legitimer Herrschaft; man könnte in Anlehnung daran sagen, daß die Gesellschaft jener Zeit drei Grundformen der Autorität kennt: die traditionale der (meist monarchischen) Geblütsherrschaft, die charismatische der Kirche und die rationale, die der Gelehrtenrepublik eigen ist.

Dabei handelt es sich nicht um ein statisches Nebeneinander und keineswegs um eine Äußerlichkeit, sondern um einen höchst dynamischen Vorgang. Man muß ihn sich vergegenwärtigen, um die Funktion der Hochschule in der Gesellschaft und den Sinn ihrer Eigenständigkeit zu verstehen. Zeichnen wir uns ein Bild der Lage (die Historiker mögen die Vereinfachung nachsehen): Die ursprüngliche Zwei-einigkeit von weltlicher und geistlicher Gewalt löst sich in einer schmerzhaften und doch befreienden Auseinandersetzung. Im Investiturstreit kommt das Ringen um die oberste Autorität als politischer Machtkampf zum Ausbruch. Beide Seiten haben ja ihre „Parteiideologen"; sprachen die einen davon, daß die Gewalt des Papstes auch den politischen Bereich voll in Anspruch nehmen dürfe, so betonten die anderen, daß die Herrschaftssuprematie des Kaisers nicht nur faktisch-politisch, sondern auch geistlich legitimiert sei. Hinter dem Streit stehen verschiedene Rechts-, ja Weltauffassungen. Ihr Widerspruch bedeutet eine Krise des gesellschaftlichen Bewußtseins: Die Maßstäbe erscheinen als fragwürdig, Unsicherheit und Verwirrung machen sich breit. Wie wird sich die Spannung lösen lassen? Gibt es „friedliche Koexistenz" zwischen den beiden Autoritäten nur im Sinne eines taktischen Kompromisses, der bloß die jeweilige Machtlage mit gutklingenden Floskeln verbrämt, oder läßt sich eine Entscheidung zwischen den gegenüberstehenden Forderungen auf Grund objektiver Kriterien gewinnen?

In dieser Konstellation fühlt sich die menschliche Vernunft aufgerufen, die Machtansprüche der beiden positiven Gewalten auf ihre zureichenden Gründe zu befragen. Das „Studium“ ist die Instanz, welche — gleichsam zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt stehend — schiedsrichterlich über die Rechtmäßigkeit der beiderseitigen Positionen urteilt. Es bedient sich dabei der scholastischen Methode: Wenn Aussagen und Lehrsätze einander widersprechen, so muß man sie kritisch durchdiskutieren, das Für und Wider abwägen, um endlich zur bestbegründeten Entscheidung zu kommen. Das Studium ist also kein Handlangerdienst für eine gesellschaftliche Macht; die magistri sind nicht die Hofideologen positiver Gewalten, die deren Forderung zu rationalisieren hätten, ihr Amt ist die kritische Aufklärung nach bestem Wissen und Gewissen. Die Autorität, auf die sie sich berufen, ist die der Vernunft — und zwar auch da, wo diese Vernunft sich selber als gläubig versteht. Denken wir etwas an Thomas von Aquin: Er fragt, modern gesprochen, nach der Natur der Sache. Diese Frage ist sinnvoll, weil die Dinge (und so vor allem die Institutionen menschlichen Zusammenlebens) von Gott selbst ihre Wesensform verliehen bekommen haben, so daß er in allen Dingen von sich, von der Wahrheit und vom höchsten Gut Zeugnis gibt. Die rechte Antwort auf die Fragen der Lebensordnung ergibt sich mithin aus der Befragung der Verhältnisse nach ihrem eigentlichen Sinnkern, ihrer inneren Ordnung. Stehen Ansprüche der beiden positiven Gewalten einander gegenüber, so muß man sie vom Sinn, vom Telos dieser beiden Gewalten selbst her beurteilen, also im Hinblick auf die Natur der Aufgaben von Kirche und Kaisertum (oder Königtum). So kommt Thomas, der heiliggesprochene Dominikaner, zu dem Ergebnis, daß unter Umständen der Christ unter Sünde verpflichtet ist, den Weisungen der geistlichen Obrigkeit den Gehorsam zu versagen — dann nämlich, wenn diese Weisungen dem Sinn der kirchlichen Aufgabe widersprechen (so Thomas im Kommentar zum Matthäusevangelium). Sache des „Studiums" ist also das unabhängige Schiedsrichteramt, die verantwortliche Urteilsbildung der Vernunft. Eben diese Aufgabe ist der eigentliche Rechtfertigungsgrund dafür, daß die Eigenständigkeit sich auch im Rechtsstatus der Institution ausdrückt, deren Sache das Studium ist, also in der korporativen Autonomie der Universität. Ein solches Verständnis verträgt sich freilich nicht zu dem Grundsatz der „Einheit von Theorie und Praxis", auf den dieser Tage so nachdrücklich verwiesen wurde — namentlich dann nicht, wenn man diesen Grundsatz im üblichen marxistisch-leninistischen Sinne so versteht, daß die politische Führung, also die Partei, das letzte Wort (oder gar das Monopol) in Fragen wissenschaftlicher Wahrheit haben soll.

Steht die Aufgabe der Hochschule derart in einer unaufgebbaren Distanz zur Praxis der gesellschaftlichen Mächte, so ist das doch nur die eine Seite ihres Verhältnisses zum Gemeinwesen; indem sie ihre Aufgabe wahrnimmt, leistet sie zugleich auch einen unersetzlichen Dienst am Leben der Gesellschaft: sie hilft mit zur Lösung der gesellschaftlichen Existenzprobleme, indem sie Konflikte — in unserem Beispiel den zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt — durch vernünftige Klärung versachlicht und damit zur Förderung von Gerechtigkeit und Frieden beiträgt. Sie hat auf ihre Weise an der Verantwortung für die Gesellschaft teil; sie kann und darf diesen Bezug nicht ableugnen, sie muß ihn ernst nehmen. So kann man das Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft als ein dialektisches bezeichnen: Distanz und Engagement, Unabhängigkeit und Zuordnung sind in ihm eigentümlich miteinander verschränkt. Übrigens charakterisiert eben dieses Verhältnis auch schon das antike Vorbild des „Studiums“, die Platonische Akademie: Platons Idee des geistigen Lebens bedeutet einen Rückzug aus der Polis, eine innere und äußere Abstandnahme — und doch ist die philosophische Lebensform die höchste Art des Dienstes am Zusammenleben, und die ganze Denkbemühung Platons kreist um sie Frage, wie man diesem Zusammenleben den Weg zur rechten Ordnung weisen könne.

II. Drei Dimensionen fruchtbarer Spannung

Die umschriebene, für das Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft bestimmende Spannung artikuliert sich auf dreierlei Weise: zum einen, soweit es den juristischen Status der Hochschule betrifft, im Gegenüber von Autonomie und Heteronomie; zum zweiten, sofern es um Geist und Methode des Studiums geht, in der Polarität von selbstzwecklich verstandener Bildung einerseits und Ausbildung als Vorbereitung für gesellschaftliche Funktionen andererseits; zum dritten endlich im Hinblick auf das politische Selbstbewußtsein der Hochschule im Gegensatz der Gesellschaftsentfremdung einerseits und der Dienstwilligkeit gegenüber dem Gemeinwesen andererseits.

Was die erste dieser drei Spannungen betrifft, so ist es für uns selbstverständlich, daß die Universität eine staatliche Oberhoheit anerkennt. Sie kann so weit gehen, daß die Kultusverwaltung die Ausbildungsgänge, ja die einzelnen Vorlesungs-und Übungsthemen bestimmt. Auch die Personalhoheit kann der Staat so weit in die Hand nehmen, daß von dem herkömmlichen Recht auf Selbstergän-B zung nicht viel übrig bleibt. Die französischen Verhältnisse — verwurzelt im republikanischen Affekt gegen alle korporative Autonomie, wie er in der Großen Revolution zutage trat — werden in Deutschland meist als Beispiel genommen, wenn man ein Modell sehr eingeschränkter Autonomie betrachten will.

Daß heteronome Einwirkungen der Freiheit von Forschung und Lehre gefährlich werden können, bedarf keiner Erläuterung. Man hat darauf hingewiesen, daß bereits staatlich verordnete Studiengangregelungen gegen die Lehrfreiheit verstoßen Die Hochschule vermag ihrer Aufgabe, das kritische Gewissen des Gemeinwesens darzustellen, nicht gerecht zu werden, wenn ihr Wort sozusagen an die Position der jeweils regierenden Kräfte gebunden wird.

Die staatliche Oberhoheit über die Hochschule hat jedoch noch einen anderen Aspekt: Die akademische Autonomie wird heutzutage nicht nur (ja vielleicht nicht einmal in erster Linie) durch den Staat gefährdet, sondern eher von anderen, gesellschaftlichen Mächten. Die Hochschule kann gerade in unseren Tagen, da die wissenschaftliche Forschung für alle Lebensbereiche so sehr an Bedeutung gewonnen hat, in einen Status faktischer Heteronomie geraten, wenn von außen kommende Forschungsaufträge die wissenschaftliche Arbeit in das Kraftfeld bestimmter gesellschaftlicher Interessen ziehen. Die bei uns herkömmliche Einschätzung von „Staat" und „Gesellschaft" läßt demgegenüber die Einflußnahme des Staates als des Sachwalters der Allgemeinheit wünschenswerter erscheinen als die Auslieferung der Universität an ökonomische oder andere Partikularinteressen; freilich ist eben diese Einschätzung ihrerseits sozusagen kulturspezifisch. Unter anderen Umständen können andere Ortsbestimmungen der Hochschule im Gemeinwesen durchaus sinnvoll und fruchtbar sein, wie ein Blick auf die angelsächsische Welt, vor allem auf die USA, beweist. Die Idee der akademischen Autonomie braucht jedenfalls nicht unbedingt die Staatlichkeit der Universität zu bedeuten über die verschiedenen öffentlich-rechtlichen Konstruktionen der Autonomie kann in aller Kürze gesagt werden, daß etwa Frankreich den Charakter der Staatsanstalt besonders betont, daß in Österreich die Universitäten Selbstverwaltungsrechte besitzen, aber dennoch nicht Körperschaften, sondern Anstalten sind, während den deutschen Hochschulen der Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts zukommt Sucht man allerdings nach Beispielen für eine möglichst weitgehende Autonomie, dann wird man die lateinamerikanischen Verhältnisse wohl am interessantesten finden. Dort hat sich ja die für die abendländische Moderne charakteristische perfekte Durchbildung der Staatlichkeit noch nicht im selben Maße wie bei uns stabilisiert; es gibt gewissermaßen noch mittelalterliche Strukturelemente des Gemeinwesens, Anklänge an feudale Verhältnisse und an das alte Fehdewesen, und so eben auch die korporative Autonomie der Universitäten in einem uns hier und heute kaum mehr vorstellbaren Grade, wenigstens in einigen Ländern. In Venezuela beispielsweise, so wurde kürzlich berichtet kann die sonst im ganzen Lande standrechtlich verfolgte Partisanenbewegung innerhalb der Universität ihre Tätigkeit völlig unbehindert entfalten (Werbeplakate aushängen, die Studenten sollen für ein Semester zu den Freiheitskämpfern stoßen); die Universität ist exterritorial wie die diplomatischen Vertretungen fremder Staaten, sie kann Asyl gewähren wie eine ausländische Botschaft. Diese scheinbar völlige Ausgliederung der Hochschule aus dem politischen Kräftefeld setzt sie aber wiederum in einen dialektischen Bezug zur Politik: sie steht in Wirklichkeit nicht außerhalb des politischen Kampfes, sondern hat den Charakter eines heiß umkämpften Brückenkopfes. Man spricht von der „universidad politizada". Bei akademischen Wahlen bilden sich parteipolitische Fronten heraus, ob es sich nun um die Ämter des Rektors, des Dekans, des Head of the Department oder um die Studentenvertretung handelt.

Das Beispiel zeigt, daß auch die extreme Gegenüberstellung der Hochschule zum Staat, von ihren Verteidigern als wahre Autonomie verstanden, ungesund sein und dem Sinn der freien Wissenschaft widersprechen kann (die Zentraluniversität von Venezuela wird gelegentlich von Kennern „Stalingrado" genanntl) — die Extreme berühren sich. Die akademische Autonomie ist gut und notwendig, aber die Übersteigerung des Prinzips inmitten einer politisierten Gesellschaft macht die Universität zur politischen Festung und setzt ihr Wirken möglicherweise in ein sehr ungesundes spezifisches Einflußfeld.

Werfen wir einen Blick auf die zweite vorhin genannte Spannung: auf das Gegenüber von wissenschaftlicher Geistesbildung als Selbstzweck des akademischen Studiums einerseits und der auf gesellschaftliche Funktionen bezogenen Ausbildungsaufgabe andererseits. Den einen Gesichtspunkt finden wir besonders prägnant bei Wilhelm von Humboldt. Die Universität sei eine Stätte philosophischer Besinnung; zwischen der Schule und dem verantwortlichen Leben soll der Mensch einige Jahre des Nachdenkens (nicht des Lernensl) haben, um zur geistig mündigen Persönlichkeit zu werden. Eben dies aber ist nach Humboldt und seinen Jüngern gerade für die künftigen Inhaber gesellschaftlich-politischer Führungspositionen nötig. Indem ihr Sinn für das Leben des Geistes und das Streben nach Wahrheit geweckt und entfaltet wird, entgehen sie dem Schicksal, betriebsblinde Funktionäre, passive Rädchen im Getriebe des gesellschaftlichen Geschehens zu werden. Man sieht, wie hier platonische Vorstellungen in abgewandelter Form wiederkehren: Die gesellschaftlich und politisch Maßgebenden, die Inhaber von Führungsstellen, sollen philosophische Köpfe sein.

Diesem Humboldtschen Entwurf gegenüber muß jedoch daran erinnert werden, daß die ursprüngliche Aufgabe der „philosophischen" Fakultät eine ganz andere war, nämlich die Einführung in das Trivium und das Quadrivium, die Vermittlung derjenigen (teilweise also sehr „trivialen") Grundbildung, die für die höheren Studien die erforderliche Basis abgab. Diese höheren Studien waren ihrerseits ausdrücklich dem Dienst am konkreten Menschen und an der Gesellschaft zugeordnet, sei es dem Heil der Seele, wie die Theologie, dem Wohl des Leibes, wie die Medizin, oder dem Wohl des Gemeinwesens, wie im Falle der Jurisprudenz. Die „Artes" -Fakultät war also durchaus eine Stätte des Lernens. Inzwischen sind zu den klassischen Fachgebieten weitere gekommen; die Naturwissenschaft hat sich von der Philosophie gelöst, die Ökonomie hat sich verselbständigt und die Technologie findet — von eigenen Hochschulen her — den Weg zur Universität. Auch bei ihnen ist die Hinordnung auf bestimmte Funktionen und Aufgaben der menschlichen Lebenspraxis offenkundig. Schließlich ist die Philosophische Fakultät ihrerseits zu einer Stätte der Berufsausbildung geworden, für Redakteure und Bibliothekare, für Verlagslektoren und „Kulturreferenten" von Gemeinden, Verbänden und Körperschaften, vor allem aber für Lehrer. Eine Folge dieser Umstrukturierung, dieser Ausrichtung der Fakultäten auf berufsbezogene Studien-gänge ist es, daß nun die philosophische Bildung gleichsam neben das „eigentliche“ Studium tritt, als fachbegleitendes Studium generale oder fundamentale. Die Spannung zwischen geistiger Bildung „an sich" und gesellschaftlich-funktionsdienlicher Ausbildung ist auch heute noch ein Problem.

Was die dritte erwähnte Polarität betrifft, die sich auf das politische Selbstbewußtsein der Hochschule bezieht, so besteht die eine extreme Möglichkeit darin, daß die akademische Welt sich in einen Elfenbeinturm zurückzieht und z. B. mit der gesellschaftlich-politischen Auswirkung ihres Tuns nichts zu schaffen haben will (denken wir etwa an Vererbungswissenschaftler, die es schweigend hin-nahmen, daß die Nationalsozialisten sich ihrem Ruf bei der Rassenpropaganda zunutze machten, die aber dennoch jede Mitverantwortung für die Untaten Hitlers ablehnten). Der andere Extremfall wäre gegeben, wenn die Gelehrten und Forscher sich durch die Mitarbeit in Gutachtergremien, Beiträgen und „brains trusts" so eng mit einer bestimmten Politik verbinden, daß sie ihre geistige und politische Eigenständigkeit und Unabhängigkeit verlieren. Auch für diesen Fall kann man sich wohl die eingehende Beschreibung der möglichen Gefahren für die Hochschule selbst, ihr Selbstverständnis und ihre Fähigkeit zur Erfüllung der eigenen Aufgabe ersparen.

Wir sahen, daß die Spannung im Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft in allen drei Dimensionen wohl kaum dadurch sinnvoll bewältigt werden kann, daß man sich abstrakt auf eine der jeweils möglichen extremen Positionen begibt; die rechte Lösung besteht wohl in einer Art von „mesötes", deren produktiver Ort zwischen den beiden Einseitigkeiten freilich nicht allgemeingültig bezeichnet werden kann, da er von der jeweiligen Kulturlage abhängt, so daß Hochschulpolitik zugleich eines geschärften Zeitbewußtseins und des politischen Takts bedarf, nicht aber auf formel-hafte Rezepte begründet werden kann.

III. Gegenwartsspezifische Probleme

Alles bisher Gesagte stellt allerdings nur eine Vororientierung über die Grundprobleme dar und ist als ein allgemeiner Hinweis gemeint, der nun erst der Konkretisierung im Hinblick auf die Gegenwart bedarf.

Dazu müssen wir uns die Eigenart unserer Zeit, soweit sie das Verhältnis von Hochschule* und Gesellschaft bestimmt, vergegenwärtigen. Zuallererst wäre daran zu erinnern, daß wir — dies ist ja ein Gemeinplatz — im Zeitalter der wissenschaftlichen Zivilisation leben. Seit etwa zweihundert Jahren hat es sich vorbereitet. Heute ist die Wissenschaft nicht mehr eine autoritative Instanz neben anderen, sondern fast schlechthin die Autorität, zum Beispiel auch für die Politik; wenn die Politiker mit einem Problem nicht mehr zu Rande kommen, berufen sie Sachverständigenkommissionen und Sonderberater (möglichst Professoren) und erhoffen sich davon Entlastung ihrer selbst. Dazu kommt die „Verwissenschaftlichung aller Praxis" (Schelsky): Es gibt so gut wie keinen Beruf mehr, der noch ausschließlich von handwerklicher Meisterlehre bestimmt ist und nicht durch die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden um-geprägt worden wäre — vom Volksschullehrer bis zum Baumeister.

Dies alles bedeutet vornehmlich dreierlei: Erstens hat die moderne Gesellschaft einen ungeheuren Ausbildungsbedarf; zweitens nimmt auch das gesellschaftliche Interesse an wissenschaftlicher Forschung fortschreitend zu; drittens wird der moderne wissenschaftliche — genau gesagt der szientistische und technologische — Denkstil maßgebend für das gesellschaftliche Selbstverständnis und das politische Handlungsbewußtsein überhaupt.

Auch diese drei Themen bedürfen einiger Anmerkungen. Zur ersten: Einer landläufigen Redewendung zufolge wird die moderne Industriegesellschaft zur Ausbildungsgesellschaft. Das besagt natürlich nicht, daß nun alle Welt eine Hochschule besuchen müsse. Der Bedarf an Fachschulen, Höheren Technischen Lehranstalten u. dgl. ist noch gewichtiger. Aber indirekt wirkt sich das auch auf die Universität aus.

Der Anteil der qualifizierten Arbeitsplätze an der Summe aller Arbeitsstellen hat zugenommen und wird weiter zunehmen: die Zahl der Angestellten wächst, verglichen mit der der Arbeiter, nach wie vor rapide. Zugleich geht der Anteil der ungelernten Arbeitskräfte — entgegen früheren Annahmen — stetig zurück Verlangt die moderne Produktion also immer mehr qualifizierte Kräfte, so steigt auch der Bedarf an Qualifizierenden, das heißt an Ausbildern, die ihrerseits eine oder zwei Stufen höher ausgebildet sein müssen als ihre Schüler.

Damit stimmt die Beobachtung überein, daß in allen industrialisierten Ländern der relative Hochschulbesuch erheblich zunimmt. In Deutschland hat sich etwa der Anteil der Studierenden an ihrer Altersgruppe in der Zeit 'von 1860 bis 1910 einmal verdreifacht, und zwischen 1910 und 1960 abermals, über den Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung gibt die folgende Tabelle Aufschluß:

Das stetige Anwachsen der Studentenzahlen ist nicht einfach eine Folge des steigenden Wohlstandes, sondern zugleich eine Voraussetzung dafür. Die Tendenz zur Ausbildungsgesellschaft ist nicht ein Zeichen des Luxus, sondern zugleich eine Notwendigkeit, und zwar auch eine ökonomische. Das drückt sich darin aus, daß man Ausgaben für das Bildungswesen in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung heute nicht mehr als Konsum-aufwand ausbringt, sondern als Investition. Im deutschen Sprachbereich hat auf diese Zusammenhänge insbesondere Friedrich Edding hingewiesen Er bezieht sich auf amerikanische Untersuchungen, die zunächst einmal ergeben haben, wie rentabel eine qualifizierte Ausbildung für den einzelnen ist: Man ermittelte, daß das durchschnittliche Gesamtlebenseinkommen von Akademikern (Inhabern des Bachelor's Degree) bei 435 000, das von vergleichbaren High School-Absolventen hingegen nur bei 285 000 Dollar liegt; bringt man dies in Relation zu den Aufwendungen, also zu den tatsächlichen Studienkosten sowie der Summe des während der Studienzeit entgangenen Arbeitseinkommens, so ergibt sich eine Verzinsung dieser „Investition" in Höhe von 8 bis 20 Prozent pro Jahr. Dabei wurden bereits differenzierende Faktoren wie Rasse, gesellschaftliche Herkunft und Intelligenzgrad durch eine entsprechende Zusammenstellung des Samples ausgeglichen. Mit anderen Worten: Kaum eine Aufwendung ist so lohnend wie die für Bildung und Ausbildung. Freilich sind derartige auf den einzelnen bezogene Berechnungen nicht für die Gesamtwirtschaft gültig, weil in der Verzinsung des individuellen Bildungsaufwandes wohl auch eine Art von Prestige-rente steckt, die volkswirtschaftlich unproduktiv ist. Angesichts dessen sind andere Berechnungen um so bemerkenswerter, die sich um den volkswirtschaftlichen Effekt des Bildungsaufwandes drehten. Mit Hilfe von Input-Output-Analysen der amerikanischen Wirtschaft wurde festzustellen versucht, inwieweit der Zuwachs des Sozialprodukts auf gesteigerte Bildungsaufwendungen zurückzuführen ist. Das Ergebnis war, daß Bildungsinvestitionen sich in Form von Sozialproduktsteigerung in der Größenordnung von 8 bis Prozent „verzinsen", das heißt mindestens ebenso hoch wie normale Sachinvestitionen.

Je mehr diese Einsicht sich allgemein durchsetzt (und es wäre zu wünschen, daß sie stärker in das allgemeine Bewußtsein eindringt), desto mehr wird die „Nachfrage" nach Bildung und Ausbildung steigen — auch und gerade auf akademischem Niveau. Die weitere Vergrößerung der bestehenden sowie die Gründung neuer Hochschulen wird die Folge sein. Unser zweiter Gesichtspunkt war der des zunehmenden Forschungsbedarfs. Wenn das Zivilisationsniveau einer Gesellschaft steigt, werden neue Zielsetzungen gesellschaftliche Leistungen auf sich ziehen — bis hin zu solch demonstrativen Vorhaben wie etwa der Weltraumfahrt. Es wäre leicht, einen umfangreichen Katalog von Forschungs-und Entwicklungsaufgaben zusammenzustellen, die — an-gerichts der modernen Zivilisationsverhältnisse — sozusagen in der Luft liegen oder schon bearbeitet werden. Man könnte etwa an die Verkehrssicherheit denken, an die Radarlenkung für Straßenfahrzeuge, die mit Hilfe „unsichtbarer Schienen" Zusammenstöße erschwert. Unsere Automobile entsprechen motorisch den technischen Möglichkeiten dieses Jahrhunderts, „sensorisch" aber sind sie weit zurückgeblieben (C. F. von Weizsäcker hat 1965 in einem Vortrag in Hamburg auf diese Dinge hingewiesen). Oder es wäre zu überlegen, wie die rasch wachsende Menschheit ihre Ernährungsprobleme lösen kann (etwa dadurch, daß man in der Meeresbewirtschaftung die Möglichkeiten des Ultraschall-Echo-lotes und die Leistungsfähigkeit moderner Schiffsmotoren ausnutzt, um hinsichtlich der Meerestiere sozusagen von der Jäger-zur Hirtenstufe überzugehen). Oder man könnte an die Aufgabe einer systematischen Wetter-beeinflussung erinnern. Dies alles sind nur stichwortartige Beispiele für die Fülle von Aufgaben, mit denen die Gesellschaft an Wissenschaft und Technik herantritt.

Für die Universität heißt das: sie muß sich entweder entschließen, der „heteronomen" Auftragsforschung mehr Raum zu gewähren, oder aber sie wird ihre Position als die führende Stätte der Wissenschaft einbüßen, sofern sie diese Position überhaupt noch innehat (und das ist durchaus nicht mehr in allen Ländern der Fall). Auch daraus ergeben sich hochschulpolitische Probleme.

Was sodann die Prävalenz des szientistischen und technologischen Denkstils anlangt, so hat schon Max Weber immer wieder darauf hingewiesen, daß die ganze abendländische Neuzeit im Zeichen einer Rationalisierung des gesamten Daseins steht. Die menschliche Lebenswelt wird immer weniger von der Tradition und immer mehr von der Organisation geprägt. Die Organisation ihrerseits geht aber auf Entwürfe der Wissenschaft zurück. Macht man sich diesen Zusammenhang klar, so drängt sich die Überlegung auf, ob nicht die Hochschule als die eigentliche Heimstätte wissenschaftlichen Denkens so etwas wie die geheime oder offenbare Herrschaftszentrale der Gesellschaft unserer Tage wird oder schon ist. Man ist versucht, diese Frage nicht sehr ernst zu nehmen, weil unsere wissenschaftsgläubige Epoche sich gern mit Hilfe einer entsprechenden Verschleierungsideologie entlastet. Sie besteht in der — im Grunde auf Saint-Simon zurückgehenden — Behauptung, die Ein-und Durchsetzung der Wissenschaft als daseinsgestaltende Instanz lasse Herrschaft im überkommenen Sinne obsolet werden: Die Menschen würden in der entfalteten wissenschaftlichen Zivilisation nicht mehr beherrscht — nämlich kommandiert — werden müssen; es werde nur noch die Verwaltung gemeinsamer Angelegenheiten geben, rein nach der wissenschaftlich erkundeten Sachgesetzlichkeit, ohne jede Willkür; die Normen des Lebens beruhten nur noch auf verstandenen und damit fraglos anerkannten Gesetzen, Gehorsam ihnen gegenüber sei Einsicht in strenge Notwendigkeit. Die „objektive“ Wissenschaft trete an die Stelle subjektiver und willkürlicher Politik. Saint-Simon selbst meinte: „Die Furcht, eines Tages einen auf den Wissenschaften basierenden Despotismus entstehen zu sehen, wäre ein ebenso lächerliches wie absurdes Hirngespinst." 10)

Wir wissen heute hingegen nur zu genau, daß eine sich wissenschaftlich gebärdende Manipulation des Menschen alles andere als den Abbau von Herrschaft bedeutet und daß es not tut, die geschilderte Verschleierungsideologie (ob sie nun von Saint-Simon oder von gewissen, recht namhaften Soziologen der Gegenwart vertreten wird) zu entlarven. Vor zwei Jahren veranstaltete die CIBA Foundation ein internationales Symposion von Biologen, bei dem beispielsweise der Physiologe und Nobelpreisträger Alan S. Parkes meinte, es gebe schon „zwölftausend Tonnen Engländer" zu viel, während der ebenfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Biologe Hermann J. Muller ausführte, der Mensch der Zukunft werde froh sein, im rationalisierten Fortpflanzungsvorgang nicht mehr von den Reflexen seiner Lenden abhängig zu sein. Sein Kollege Joshua Lederberg schließlich erklärte: „Wir lernen gerade durch die Manipulation des genetischen Materials Mutationen nach Maß herzustellen, und bald wird es möglich sein, durch einen vorgeburtlichen Eingriff das menschliche Gehirn zu vergrößern Wäre das etwa die Ablösung der Herrschaft über Menschen durch die Verwaltung von Sachen?

Es gilt daran zu erinnern, daß die bedingungslose Inthronisierung der szientistischen und technologischen Denkweise einen anthropologischen Irrtum voraussetzt. In Wirklichkeit läßt sich die rechte Ordnung der Gesellschaft nicht mit Eindeutigkeit szientistisch ermitteln oder technologisch konstruieren Auch die moderne Systemforschung und die Kybernetik ändern daran nichts, weil die Sinnentwürfe menschlichen Daseins einer anderen Denkebene angehören als diejenigen, auf der diese Techniken operieren.

Damit soll nicht etwa der gesellschaftliche Irrationalismus propagiert werden. Je mehr Klarheit die Menschen durch besonnene Verwendung szientifischer Erkenntnismethoden über die Bedingungen und Konstellationen ihres Zusammnlebens gewinnen können, desto leichter wird es auch sein, die eigentlich politischen Fragestellungen in ihrer Dignität wieder gewahr zu werden, indem man sie von den nur technischen unterscheidet. Beispielsweise mag die Verwendung von Simulationsmodellen in der Gesellschaftswissenschaft die Kalkulation mutmaßlicher Folgen bestimmter Entscheidungen erheblich erleichtern, aber die Maßstäbe der Entscheidung selbst können dennoch der szientistischen Beurteilung nicht anheimgegeben werden Es bleibt, wenn man es vom szientistischen Standpunkt aus betrachtet und formuliert, sozusagen ein unbeantwortbarer Rest.

Dieser Sachverhalt stellt aber wiederum ein Problem für die Hochschule und das Selbstverständnis ihrer Wissenschaftlichkeit dar. Wie nimmt sie zu ihm Stellung? Wiederum sind zwei Möglichkeiten denkbar. Entweder versteht man die eigene Wissenschaftlichkeit in einem positivistischen Sinne. Die nicht szientistisch zu bewältigenden Probleme werden alsdann von der „Wissenschaft" beiseite geschoben. Man überläßt sie der Irrationalität der gesellschaftlichen Praxis und damit dem Reiche der Dämonen, nämlich im Sinne Max Webers, der die These vertrat, „Wertentscheidungen" seien nicht wissenschaftlich begründbar, jeder müsse letztlich seinem Dämon folgen. Nimmt die Hochschule diese Position ein, so lehnt sie im Grunde ihre Verantwortung für das Schicksal der Gesellschaft ab. Die positive Wissenschaft steht ideologischen Deutungen und praktischen Anwendungen aller Art und Motivation zur Verfügung. Sieht die Hochschule davon ab, weil der Wissenschaftler meint, die Frage nach dem rechten Leben und Handeln könne nur „der Prophet und der Demagoge" beantworten, und beide gehörten nicht auf den Katheder eines Hörsaales, so läuft das auf die gesellschaftliche Selbst-entmündigung der Hochschule hinaus

Es bleibt die andere Möglichkeit, daß die Hochschule sich — über das szientistische Verständnis ihrer Wissenschaftlichkeit hinaus — zu der Aufgabe bekennt, die Probleme der menschlichen Existenz ernst zu nehmen und zu reflektieren. Daraus folgt in erster Linie, daß Disziplinen wie Theologie und Philosophie auch um der gesellschaftlichen Aufgabe der Universität willen an ihr heimisch sein und bleiben müssen, überdies stellt sich in diesem Zusammenhang die besondere Aufgabe, philosophische Reflexion und Analyse der gesellschaftlich-politischen Verhältnisse miteinander zu vermitteln. Angesichts der Kompliziertheit und Unübersichtlichkeit des strukturell-funktionalen wie des institutionellen Zusammenhangs des gesellschaftlichen Daseins ist die umschriebene Aufgabe nicht einfach durch die Formulierung philosophischer Lehrsätze und ethischer Prinzipien zu lösen; die Konfrontierung des Normativen und des Faktischen wird sozusagen eine Sache für sich, und nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt gewinnt etwa die Politische Wissenschaft von heute ihr Selbstverständnis, sofern sie sich nicht als bloße Regionalsoziologie betrachtet

IV. Wissenschaft und die Frage nach dem Bonum Humanum

Es hat sich gezeigt, daß die wissenschaftliche Zivilisation auch in Zukunft die philosophische Fragestellung nicht wird missen können. Daß auch um der gesellschaftlichen Aufgabe der akademischen Bildung willen die philosophische Geisteshaltung eine wichtige Rolle zu spielen hat, ergibt sich noch aus einigen anderen Umständen.

Höhere Bildung schließt nach zeitgenössischem Verständnis selbst dann, wenn sie beruflich-funktional verstanden wird, überfunktionale Elemente ein, die ihrerseits auf den traditionellen Sinn des Akademischen verweisen. Peter F. Drucker schrieb schon vor einigen Jahren in seinem Buch „Das Fundament für morgen":

„Der Gebildete von heute muß allgemein gebildet und gleichzeitig in hohem Maße Spezialist sein; und er braucht . Allgemeinbildung'am meisten auf seinem Spezialgebiet. .

„Da wir in einer Zeit leben, in der Gesellschaft, Technik und Wirtschaft sich rasch verändern, bedeutet das: eine praktische Bildung muß den Menschen auf eine Arbeit vorbereiten, die überhaupt noch nicht existiert und noch nicht klar definiert werden kann. Dazu muß ein Mensch das Lernen gelernt haben. Er muß sich bewußt sein, wieviel noch zu lernen bleibt. Er muß sich das richtige Werkzeug der Analyse, des Ausdrucks und des Verstehens aneignen. Vor allem muß er das Verlangen haben, sich weiterzubilden. .

Nur ein Aspekt von alledem sei besonders hervorgehoben: Die notwendige Fähigkeit, sich auszudrücken. Gebildet ist nur, wer imstande ist, auch verhältnismäßig differenzierte Sachzusammenhänge sprachlich adäquat zu formulieren; gerade der bemühte und gewissenhafte Umgang mit der Sprache ist jedoch immer schon mehr als eine nur funktionale Ausbildung. Besonders wer mit den Problemen der politischen Bildung befaßt ist, wird immer wie-der auf die fundamentale Bedeutung der Sprache aufmerksam.

Ein weiteres Moment, das die Hohe Schule als Stätte der Wissenschaft zugleich wieder zu einer Stätte philosophischer Besinnung machen kann, hat seinen Grund in der modernen Tendenz zur Bildungsgesellschaft. Der Bedarf an Lehrern aller Schularten wächst in allen Ländern. Nur ein Beispiel: Die Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland haben vor einiger Zeit eine Bedarfsberechnung vorgelegt, derzufolge der Lehrermangel eigentlich nur beseitigt werden könne, wenn sämtliche Abiturienten den Lehrerberuf ergriffen. Der wachsende Bedarf an qualifizierten Kräften in der modernen Wirtschafts-und Arbeitswelt verlangt eine Zunahme des Besuchs von Sekundärschulen (Realschulen, Fachschulen, Gymnasien). Aber auch die herkömmliche Volksschule hat sich gewandelt: die Oberstufe wird zur Hauptschule, ein neuntes und ggf. ein zehntes Schuljahr wird angefügt. Mancher ältere Akademiker, der die Volksschule seit Jahrzehnten nicht mehr von innen gesehen hat (und sie auch damals nur auf der Grundschulstufe kennenlernte), ist sich nicht darüber im klaren, daß man dort heutzutage fremdsprachlichen Unterricht gibt, daß die Physik-und Chemielaboratorien Möglichkeiten bieten, die vor dreißig Jahren nicht einmal die Oberrealschule kannte, daß der Lehrplan solche Gegenstände wie Lebensmittelchemie oder Abrüstungspolitik vorsieht und ähnliches mehr. Die Konsequenz ist, daß auch die Ausbildung derjenigen Lehrer, die nicht an Gymnasien unterrichten, einen vollwertigen akademischen Charakter haben muß. In der Bundesrepublik Deutschland gehen die Länder dazu über, ihre Volksschullehrerbildung wissenschaftlichen Hochschulen anzuvertrauen, das heißt Universitäten oder solchen Hochschulen, an denen Lehre und Forschung getrieben wird und die mit den Privilegien der akademischen Institution ausgestattet sind (Freiheit von Forschung und Lehre, Rektorats-verfassung, akademische Selbstverwaltung). Die mehr oder weniger völlige Übernahme der Lehrerbildung wird für die wissenschaft-21 liehe Hochschule, ihre innere Struktur und ihr geistiges Klima gewisse Folgen zeitigen, namentlich im Sinne einer Pädagogisierung. Damit ist nicht etwa eine noch weiter fortschreitende „Verschulung" des Lehrbetriebs gemeint, sondern der Beitrag, den die spezifisch pädagogische Denkrichtung in den geistigen Raum der Hochschule einbringt. Der Lehrer ist ja nicht ein Erziehungsingenieur, sondern bedarf einer humanistischen und philosophischen Geisteshaltung, die sich durch die Frage nach dem Wohl der zu bildenden Personen konstituiert. In eine solche Perspektive gerückt werden dann auch die Fachwissenschaften in neuer Beleuchtung erscheinen, nämlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Bildungsbedeutung: Was ein bestimmter wissenschaftlicher Gegenstandsbereich — etwa die Physik oder die Geschichte — für die geistige Entfaltung des Menschen bedeuten kann (sei es ganz allgemein, sei es mit besonderer Rücksicht auf unsere Kulturlage), ist eine Frage, die eine philosophische Dimension hat, aber unter pädagogischem Gesichtspunkt eine eigene Forschungsrichtung eröffnet.

Ein weiterer humanistischer Impuls für die Hochschule dürfte sich aus der Dringlichkeit und Wichtigkeit der Erwachsenenbildung ergeben. Man sollte sich vor Augen führen, worum es dabei geht. Jahrtausendelang, bis ins achtzehnte Jahrhundert, waren rund 90 Prozent der Bevölkerung in der Primärproduktion, also mit der Beschaffung der für das schiere überleben notwendigen Produkte, beschäftigt. Neunzig Menschen mußten sozusagen für die Befriedigung der Elementarbedürfnisse arbeiten, auf daß zehn von den Erträgen dieser Arbeit miternährt werden konnten (wobei nicht verschwiegen werden darf, daß es diesen zehn in der Regel erheblich besser ging, denn sie bildeten ja die Oberschicht). Heute sind in entwickelten Industriestaaten längst nicht einmal mehr zehn Prozent der Erwerbstätigen in der Primärproduktion beschäftigt; in den USA verdient seit Jahren mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen ihr Geld innerhalb der Tertiärproduktion, also überhaupt nicht mehr durch die Arbeit an der Gewinnung oder Verwertung dinglicher Sachgüter, sondern etwa damit, daß sie Haare schneiden, Kranke pflegen, Autos steuern, Büroarbeit leisten, Zeitungsartikel schreiben, Konzerte geben, Kinder unterrichten oder Gottesdienst halten. Im Lande mit dem höchsten Entwicklungsstand der Wirtschaft beruht das Arbeitseinkommen der Mehrheit aller Erwerbstätigen auf Beschäftigungen, die im technischen Sinne gar nichts produzieren. Nur ein Teil der Bevölkerung ist aber bei alledem überhaupt erwerbstätig; in der Bundesrepublik handelt es sich um weniger als die Hälfte, in den USA bereits um weniger als 40 Prozent. Der Anteil wird noch weiter zurückgehen (trotz der Frauenarbeit): Die „mithelfenden Familienangehörigen" werden immer weniger, weil der Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen sinkt und weil die Trennung von Haushalt und Betrieb nicht rückgängig gemacht werden kann. Mit der Steigerung der durchschnittlichen Lebenserwartung (dank den Fortschritten der Medizin) vermehrt sich der Bevölkerungsanteil derer, die nicht mehr arbeiten; mit dem fortschreitenden Ausbau des Schulwesens, der Verlängerung der allgemeinen Schulpflichtzeit und dem vermehrten Besuch weiterführender Schulen steigt ferner der Anteil derer, die noch nicht erwerbstätig sind. In absehbarer Zeit wird wohl nur noch ein Drittel der Menschen in der entwickelten Industriezivilisation erwerbstätig sein. Dieser Sachverhalt muß wiederum im Zusammenhang mit der stetigen Verkürzung der Arbeitszeitgesehen werden. Während der Arbeiter im 19. Jahrhundert bis zu 72 oder 75 Stunden pro Woche zu arbeiten hatte, ist heute in den USA die Vierzigstundenwoche unterschritten und die Fünftagewoche teils selbstverständlich, teils schon wieder überholt; dazu kommt der bezahlte Jahresurlaub.

Mit anderen Worten: Die Menschen sind in einem für frühere Zeiten unverstellbaren Maße aus dem „Reich der Notwendigkeit", der elementaren Bedürfnisbefriedigung, entlassen. Werden sie ihre freie Zeit menschenwürdig und produktiv bewältigen können? Sicher nicht, wenn man ihnen dabei nicht hilft. In diesem Zusammenhang wird deutlich, welche wachsende Bedeutung die Erwachsenenbildung in Zukunft einnehmen wird. Das stellt der Hochschule neue Aufgaben, sei es im Sinne von Fortbildungsprogrammen der Universitäten oder dadurch, daß es neue und besondere Studiengänge für hauptberufliche Erwachsenenbildner geben wird. Die Hochschule Hannover, an der ich lehre, hat im Zusammenhang hiermit einen eigenen Lehrstuhl für die Probleme der Erwachsenenbildung beantragt; er wird wohl nicht der erste seiner Art bleiben All das bedeutet abermals eine Bereicherung des spezifisch humanistischen Wirkungskreises der Hochschule und einen zusätzlichen Impuls für die „philanthropische" Haltung.

Das bisher dazu Gesagte bezieht sich auf die Lehre. Die Gesellschaft verlangt aber, so merkwürdig das klingt, von der Hochschule auch auf der Ebene der Forschung, der Grundlagen-klärung, eine philosophische Besinnung. Dafür sei wieder ein Zeuge benannt: C. West Churchman, einer der führenden amerikanischen Köpfe im Bereich des Operations Research, der Wissenschaftstheorie und der Forschungsorganisation, nach mehrjähriger Tätigkeit als Forschungsdirektor der System Development Corporation jetzt Direktor des Institute of Management Science der Universität von Californien in Berkeley — also gewiß kein Mann, dem die moderne funktionalistische Wissenschaft und die entsprechende Ausbildungspraxis fremd wäre —, sagt:

„Wir stehen heute in einem Wettlauf zwischen unserem ungestümen Vorstoß in große und schwierige gesellschaftliche Systeme und der Zunahme an Wissen über unsere Welt durch die Wissenschaft. . . Wenn sich . . . die Wissenschaft auf die Schaffung neuer Technologien konzentriert, die die Systeme, in denen wir leben, weitgehend komplizieren, dann vergrößert sie einfach die Gefahr einer menschlichen Katastrophe.

Aber wie können wir die Wissenschaft auf die Probleme des menschlichen Lebens zuschneiden? Eine bloße Vergrößerung der Zahl von Wissenschaftlern und Technikern kann keinen Erfolg bringen, weil die Informationen, die sie schaffen, für den Entwurf und die Handhabung von Großsystemen . . . wertlos sein kann. . .

Auf welchem Gebiet sind die Wissenschaftler (scientists) Experten? In ihren eigenen Disziplinen. Aber die Disziplinen Physik, Chemie, Ingenieurwesen befassen sich nicht mit der Planung und Handhabung von großen menschlichen Gesellschaftssystemen.

Was wir brauchen, ist die Entwicklung einer neuen Disziplin zur Unterstützung des Planers. Die Bezeichnung dieser neuen Disziplin ist weniger wichtig als ihre Methode. Ihre Methode muß eine radikale Lossagung von den klassischen Methoden der Wissenschaft (Science) sein, weil sie es mit einer ganz neuen Art von wissenschaftlichen Problemen zu tun hat, nämlich der Entwicklung von Wissen zur Unterstützung des Entscheidungsmachers (decision maker) in großen komplexen Systemen.

Freilich haben wir eine Menge Informationen darüber, wie die Menschen in diesen Systemen leben und wie sie gerne leben würden. Aber diese Information ist über die Seiten historischer Texte, soziologischer Übersichten, wirtschaftlicher Abhandlungen, philosophischer Dialoge usw. verstreut. Die Information ist auch verborgen in den Tausenden von Arten, wie die Menschen ihre Gefühle ausdrücken, im politischen Handeln, in persönlichen Wechselbeziehungen. ..

All dies läuft darauf hinaus . . ., daß wir beginnen müssen, die Wissenschaft ihrer eigentlichen Bestimmung nach einzusetzen: die relevante Information darüber zu finden, wie die Menschen leben sollten. . .

Die größte Lücke in unserem Wissen von großen Systemen liegt bei der Kenntnis menschlicher Werte. Wir stellen es dem Ermessen einzelner und den politischen Notwendigkeiten anheim, was die Menschen wollen. Der größte Bedarf an wissenschaftlichen Talenten besteht in der Erforschung dieses noch weithin dunklen Gebietes, auf dem es so viel Information gibt, von der gegenwärtig (aber) nur ein so geringer Teil vom . policy maker'verwendet werden kann. . ."

Die moderne Systemforschung, die szientifisch-technologische Wissenschaft selbst verlangt eine Blickwendung des Wissenschaftlers, stellt ihn vor die Frage nach dem b o n u m h u m a n u m , läßt die Perspektive der „Praktischen Philosophie“ (so wie sie etwa bei Aristoteles konzipiert worden war) wieder zu ihrem Recht kommen. Es gilt die richtigen Denkweisen für die Vermittlung empirisch-analytischer und normativ-teleologischer Aussagen zu gewinnen. Wir haben schon erwähnt, daß das Wiedererstehen der Politischen Wissenschaft (sie war jahrhundertelang, bis zum Sieg des Historismus und des Positivismus, eine an den deutschen Universitäten eingeführte Disziplin) ein Symptom für diese neue Wendung ist. Nicht daß etwa die Parole „Zurück zu Aristoteles" auszugeben wäre — der Weg muß nach vorn gefunden werden, zu einer Wissenschaftlichkeit, die die gesellschaftliche Verantwortung und das kritische Selbstverständnis des Menschen zum Prinzip ihrer selbst werden läßt. Es ließe sich eine ganze Anzahl von Forschungsthemen angeben, die in diesem Sinne bearbeitet werden müßten, sei es die Entwicklungspolitik, die Raum-ordnung und Landesplanung oder etwa auch die Strukturanalyse der Weltpolitik im ganzen. Es versteht sich, daß sich daraus auch gewisse institutionelle Folgerungen für die Hochschule und ihre Reform ergeben, etwa im Hinblick auf die Notwendigkeit des Team Work in interdisziplinären Instituten. Das eigentliche Verhältnis von Politik und Wissenschaft wird sich zu guter Letzt aber auch auf die Bildungsaufgabe der Hochschule auswirken.

Während dieses Seminars ist ausführlich über Spezialistentum und Menschenbildung, über Fachausbildung und Grundlagenstudium gesprochen worden. Namentlich die neue Wiener Konzeption des „Grundlagenstudiums“ wurde erläutert, in dem es vor allem um die „philosophy" des eigenen Faches, um seine wissenschaftstheoretische Durchleuchtung und um die Beziehung zu den Nachbarfächern geht. Noch etwas anderes ist aber von besonderer Wichtigkeit: Die Vergegenwärtigung des gesellschaftlich-politischen Kontexts wissenschaftlichen Tuns. Dabei gilt es zu bedenken, daß das menschliche Handlungsfeld sozial strukturiert und gerade in unserer Zeit in erheblichem Maße politisch bedingt ist. Das nachgerade klassische Beispiel für diesen Zusammenhang ist die Wechselwirkung zwischen Naturwissenschaft und Militärpolitik, namentlich in bezug auf Kernphysik, Nukleartechnologie und Atomkriegskalkül. Es genügt, einige Namen in Erinnerung zu bringen: J. Robert Oppenheimer, Linus Pauling und Edward Teller in den USA, Carl Friedrich von Weizsäcker in Deutschland. Der Wissenschaftler darf seine Augen nicht davor verschließen, daß seine Tätigkeit politische Konsequenzen haben kann. Da es nun aber zum Sinn der Person-würde und der Menschlichkeit überhaupt gehört, das eigene Leben selbstverantwortlich zu führen, nicht nur ein blinder Funktionsträger, ein fremdbestimmtes Rädchen im gesellschaftlichen Getriebe zu sein, obliegt es der Hochschule, im Rahmen jeglicher akademischen Bildung über das Fachliche hinaus auch das gesellschaftlich-politische Wirkungsfeld der jeweiligen Wissenschaft dem werdenden Wissenschaftler zu erschließen. Die Hochschule muß sowohl über die gesellschaftlichen Zusammenhänge wie über die politischen Existenzkategorien Orientierung geben. Nur so wird der wissenschaftlich Gebildete ein angemessenes Verhältnis zu seiner Welt gewinnen, das heißt weder verantwortungsloser gesellschaftlicher Ignoranz noch realitätsfernem politischen Schwärmertum anheimfallen. Noch nie in der Geschichte war die Wissenschaft ein solches Politikum wie heute, noch nie war für jede wissenschaftliche Bildung eine gesellschaftlich-politische Bewußtseinserhellung und Weltorientierung so nötig wie in unserer Zeit.

V. Ausblick

Als Fazit noch ein paar abschließende Bemerkungen: Die für manche Epochen charakteristische Distanz zwischen Hochschule und Gesellschaft hat sich in der Gegenwart erheblich verringert. Die Gesellschaft stellt der Hochschule eine Fülle von Aufgaben; die Entwicklung von Forschung und Lehre wird von gesellschaftlichen Bedürfnissen in hohem Maße bestimmt. Umgekehrt wird die Gesellschaft in unserer Zeit stärker als je von der Wissenschaft und damit auch von deren repräsentativer Institution beeinflußt und geprägt.

Die erste Konklusion daraus ist wohl, daß beide, Universität und Gesellschaft, ihre wechselseitige Verantwortung sehen und ernst nehmen müssen — auf mancherlei Ebenen, von der finanziellen Förderung von Forschung und Lehre durch den Staat bis hin zum kritisch-engagierten politischen Selbstbewußtsein der Wissenschaft.

Zum zweiten ist die Wahrung der institutionell-rechtlichen Autonomie der Hochschule — angesichts der starken faktischen Einflüsse, die die Hochschule fremden Kräften und Motiven aussetzen — gerade heute besonders nötig. Die Prinzipien der Forschungs-und Lehrfreiheit, der Unabhängigkeit der Hochschullehrer und der akademischen Selbstverwaltung müssen auch künftig gesichert bleiben.

Drittens aber verlangt gerade der intensive Bezug der verschiedenen hier nur kurz erwähnten Forschungsrichtungen zur gesellschaftlichen Praxis eine dauernde selbstkritische Besinnung der Wissenschaft auf ihr eigenes Ethos, da gerade jener Praxisbezug die Gefahr einer Selbstentfremdung der Wissenschaft (als dem Ringen um Wahrheit) mit sich bringen kann.

So sehr es auf die wahrheits-und freiheitsbejahende Haltung der führenden Kräfte des ganzen Gemeinwesens ankommt, die Zukunft der Hohen Schule liegt also nicht zuletzt in den Händen der akademischen Bürger selbst.

Die Frage nach den Zukunftsperspektiven der Wissenschaft und der geistigen Freiheit in unserer Gesellschaft kann weder eine optimistische noch eine pessimistische Antwort erwarten; denn, wie Denis de Rougemont einmal gesagt hat, Optimismus wie Pessimismus sind Antworten auf die Frage: „Was wird passieren?". Mit eben dieser Frage hätte jedoch der Mensch als Person, als verantwortliches Wesen bereits abgedankt. Er darf nicht fragen: „Was wird passieren?" — die ihm gemäße Frage lautet: „Was kann man tun? ’. Das gilt auch für die Hochschule und für die, denen ihr Schicksal am Herzen liegt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Richard Schwarz, Idee und Verantwortung der Universität, in: R. Schwarz (Hrsg.), Universität und moderne Welt, Berlin 1962, S. 139 ff. (S. 179 ff.). Vgl. auch Werner Thieme, Deutsches Hochschulrecht, Berlin und Köln 1956.

  2. Zu den Voraussetzungen der Entgegenstellung von „Staat" und „Gesellschaft" vgl. Horst Ehmke, „Staat" und „Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, in: Staatsverfassung und Kirchen-ordnung, Festgabe für Rudolf Smend zum 80. Geburtstag, Tübingen 1962, S. 23 ff. Die nichtstaatlichen (vor allem kirchlichen und Stiftungs-) Universitäten, wie es sie zwar nicht im deutschen Sprachbereich, wohl aber innerhalb der westlichen Kulturweit gibt (auch in Europa), wären einer eigenen Untersuchung wert; zu erwägen wäre auch, ob nicht der Wandel der Staatsauffassung im Zeichen des Pluralismus und der freiheitlichen Demokratie eine Änderung der bei uns üblichen Einschätzung rechtfertigen könnte.

  3. Vgl. Werner Thieme, a. a. O. (Anm. 1), S. 98 ff.

  4. Zu diesem Vorgang vgl. neuerdings etwa Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1963, passim.

  5. Siehe dazu Heinz Hartmann, Hochschulen und Demokratie in Lateinamerika, Zeitschrift für Politik, N. F. Jahrgang XI (1964), S. 259 ff.

  6. Siehe dazu auch Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, Reinbek bei Hamburg 1963, S. 11 ff.

  7. Vgl. dazu Friedrich Edding, Ökonomie des Bildungswesens, Freiburg/Br. 1963, S. 123 ff.

  8. Nach Edding a. a. O. (Anm. 7), S. 363.

  9. Edding a. a. O. (Anm. 7), S. 100 ff.

  10. Claude Henri de Saint-Simon, L'Organisateur (1820), zit. nach: Saint-Simon, Ausgewählte Texte, hrsg. v. Jean Dautry, Berlin 1957, S. 110.

  11. S. Eckart Heimendahl, Fortschritt ohne Vernunft? Wissenschaft und Gesellschaft int technischen Zeitalter, Freiburg/Br. 1964, S. 33 u. 111. Vgl. auch Richard Kaufmann, Die Menschenmacher. Die Zukunft des Menschen in einer biologisch gesteuerten Welt, Frankfurt/Main 1965.

  12. Vgl. Helmut Kuhn, Philosophie — Ideologie — Politik: in: Zeitschrift für Politik, N. F. Jahrgang X (1963), S. 4 ff.

  13. Vgl. Volker Hauff, Simulation sozialer Systeme und politische Alternativen, in: Atomzeitalter, Jahrgang 1965 Heft 3, S. 80 ff.; siehe insbes. ebd. S. 84: „Die Anwendung der Simulation wird die politischen Institutionen in die Lage versetzen, konkreter, gründlicher, systematischer und weniger spekulativ über die Konsequenzen ihres Handelns informiert zu sein. Damit tritt die Bewertung der eigentlich politischen Alternativen in den Vordergrund. Man wird in Zukunft seltener über mögliche Folgen einer politischen Entscheidung streiten und öfter über die Bewertung der zu erwartenden Folgen. Wenn die Folgen einer Entscheidung hinreichend sicher vorausgesagt werden können, so wächst die Bedeutung der Wertentscheidung in der politischen Praxis. Damit verringert sich gleichzeitig die Chance, daß eigentliche Wertentscheidungen als reine Sachentscheidungen kaschiert werden. "

  14. So aber Max Weber, vor allem in „Wissenschaft als Beruf" (1919).

  15. Vgl. dazu demnächst Heinrich Schneider (Hrsg.), Aufgabe und Selbstverständnis der Politischen Wissenschaft, in der Reihe „Wege der Forschung" der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt.

  16. Peter F. Drucker, Das Fundament für morgen, Düsseldorf 1958, S. 189.

  17. Inzwischen ist ein Lehrstuhl für Erwachsenen-pädagogik in Bochum errichtet worden.

  18. C. West Churchman, zit. nach „Der Mensch und die Technik", Techn. -wiss. Blätter der Süddeutschen Zeitung, 6. Jg. /72. Ausgabe (26. 6. 1964), S. 3.

  19. Vgl. Anmerkung am Anfang des Beitrags.

Weitere Inhalte

Heinrich Schneider Dr. phil., Professor für Politische Wissenschaft an der C. H. Becker-Hochschule (Pädagogische Hochschule) Hannover, außerdem Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin, geb. 10. August 1929. Veröffentlichungen u. a.: Politische Bildung als Gewissensbildung, 1961; Einheit und Einigung Europas (mit anderen), 1964; Pädagogische Hochschule und Politische Wissenschaft, 1965; ferner Lexikonbeiträge und Zeitschriftenaufsätze.