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Das Wesen der politischen Unterweisung | APuZ 4/1969 | bpb.de

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APuZ 4/1969 Frieden und Macht Ein Vorblick auf die siebziger Jahre Das Wesen der politischen Unterweisung Gedanken zur Bundestagsdebatte über politische Bildung am 15. November 1968

Das Wesen der politischen Unterweisung

Manfred Hättich

Es handelt sich bei diesem Beitrag um die Wiedergabe eines Vortrages, der am 7. Oktober 1968 im Rahmen eines Informationsseminars des Instituts für Internationale Solidarität der Konrad-Adenauer-Stiftung vor Beauftragten für politische Bildung aus Lateinamerika gehalten wurde. — Mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Internationale Solidarität bringen wir den Vortrag als Vorabdruck aus 4/68 des Correo de estudiantes (Nr. 4/68 der Schriftenreihe des Instituts).

Politische Bildung — primär im Interesse des einzelnen

line im Zusammenhang mit dem politischen Jnterricht oft vernachläßigte Frage ist die, um vessentwillen eigentlich in erster Linie ein olcher Unterricht für notwendig gehalten vird. Im Vordergrund steht fast immer der Gelanke, daß politische Bildung des Staates und ler Gesellschaft wegen notwendig sei. Diese Jorstellung ist nicht falsch. Vor allem wird nan von der Demokratie, die auf der Idee der igenverantwortlichen Partizipation der Bür(er am politischen Prozeß beruht, sagen könien, daß sie des politisch gebildeten Bürgers edarf. Aber die politische Unterweisung verlachläßigt einen wichtigen Aspekt aller Bil-Jung, wenn sie sich einseitig am Bedarfsprintip des Staates ausrichtet. Sie läuft dann auch Gefahr, daß ihre Inhalte von den wechselnden Wünschen der jeweils Herrschenden bestimmt verden. Deshalb bedarf dieser Gesichtspunkt Üner Ergänzung durch die auf die einzelne Person bezogene Bildungsidee.

Alle Bildung hat den Sinn, dem Menschen die Nelt, in der er lebt, transparent und verstehbar zu machen. Zu dieser Bildungswelt wurde in ler Tradition vornehmlich das Wissen der Geschichte und die Teilnahme an den geistigen Kulturgütern der Gesellschaft gerechnet. Alles ibrige fiel eher unter die Rubrik der Ausbildung, welche Befähigungen und Fertigkeiten für bestimmte Berufe und Funktionen zu vernitteln hatte. Solche Ausbildung baute auf einer allgemeinen Bildung auf, die man aber eigentlich auch besser als Ausbildung bezeichnet, indem sie die wichtigsten Fertigkeiten zu einem Leben in der Gesellschaft wie Lesen, Schreiben, Rechnen zum Inhalt hatte.

Wenn wir aber Bildung als Verstehen von Welt begreifen wollen, dann muß sie die Transparenz unserer sozialen Welt einschließen. In ihr vollzieht sich das Schicksal des Menschen. Deshalb gehört zur allgemeinen Bildung die Kenntnis der wichtigsten Strukturen und Prozesse des sozialen Lebens und damit auch seiner politischen Seite.

Und zur allgemeinen Ausbildung im Sinne des Fähigwerdens, in seiner Gesellschaft zu leben, gehört heute eben mehr als jene genannten Grundfertigkeiten. Unabhängig von seiner speziellen Tätigkeit muß der Mensch, will er sich in dieser Gesellschaft bewähren, etwas über die soziologischen, ökonomischen, rechtlichen und politischen Zusammenhänge wissen. Es besteht also vom einzelnen her ein Bedürfnis nach solcher Bildung und Ausbildung. In der Praxis fallen nun die Bedürfnisse der Gesellschaft und der einzelnen weitgehend zusammen, wenn es sich um eine freiheitliche politische Ordnung handelt. Insofern kommt der Unterscheidung, die wir hier gemacht haben, kein übergroßes Gewicht zu. Dennoch ist es nicht gleichgültig, wie politische Unterweisung gegenüber ihren Adressaten begründet wird. Hierbei sollte eben gegenüber der landläufigen Formel vom Staat, der den politisch gebildeten Bürger brauche, jener andere Aspekt stärker betont werden, daß nämlich politische Unterweisung wie alle anderen Bildungsfächer primär im Interesse des einzelnen liegt. Politi-sehe Bildung sollte nicht nur als Dienst am Staate und an der Gesellschaft aufgefaßt werden.

In diesem ersten Gedankengang ist bereits eine weitere Unterscheidung angeklungen, die es zu erörtern gilt. Handelt es sich bei der politischen Unterweisung nur um intellektuelle Kenntnisse und Einsichten oder auch um die Einübung praktischer Fertigkeiten und Verhaltensformen? Die politische Pädagogik betont in den Demokratien neuerdings immer mehr die praktische Seite des politischen Unterrichts. Man zweifelt an der Wirksamkeit der nur intellektuellen Unterweisung und sieht die Aufgabe vornehmlich darin, die Menschen zu einem der Demokratie adäquaten Verhalten zu erziehen. Zweifellos garantiert etwa die Kenntnis der politischen Institutionen oder der Gesetzgebungsvorgänge noch keineswegs, daß jemand politisch verantwortlich handelt, daß er kritisch, tolerant usf. ist. Auf der anderen Seite reichen aber soziale Tugenden für eine sinnvolle und erfolgreiche Beteiligung am politischen Prozeß nicht aus. Es besteht heute die Gefahr, daß Demokratie einfach mit einem guten Zusammenleben der Menschen gleichgesetzt wird. Dies ist schon deshalb eine unzureichende politische Unterweisung, weil dabe keine Einsicht in das spezifisch Politische vermittelt wird; die eigentlich politischen Probleme werden im Gegenteil verdeckt. Wenn Demokratie vornehmlich als ein System moralischer Normen oder gar als die Verwirklichung der „gerechten Gesellschaft" schlechthin verstanden wird, vermittelt die Unterweisung Illusionen, aber kein Verstehen politischer Vorgänge und deshalb auch keine Befähigung zur zielbewußten Beteiligung an ihnen. Ähnlich verhält es sich mit dem Wertbewußtsein. Sicherlich muß politische Unterweisung auch einführen in das Wert-und Normen-system einer Gesellschaft, und sicherlich soll politische Erziehung das Gefühl für soziale Werte wecken und pflegen. Aber wiederum befinden wir uns in einem Bereich, der das Politische übersteigt. Was immer an obersten Werten für das politische Handeln formuliert wird (Gerechtigkeit, Freiheit, Menschenwürde, Friede etc.), stets handelt es sich um allgemein menschliche Werte, deren Verbindlichkeit nicht nur auf den politischen Bereich bezogen wird. Deshalb ist auch die Aneignung von Werthaltungen noch nicht mit politischer Bildung gleichzusetzen.

Die politische Ordnung: zentraler Gegenstand der politischen Bildung

Im Zentrum der politischen Unterweisung sollte die Einsicht in die Besonderheiten der Politik stehen. Alle Versuche, Politik zu definieren, zeigen, daß sie von anderen gesellschaftlichen Phänomenen nicht abgegrenzt werden kann ohne Hervorhebung des Merkmals der für die ganze Gesellschaft verbindlichen Herrschaft. Jene Herrschaft in der Gesellschaft, der alle Mitglieder unterworfen sind, können wir die politische Herrschaft nennen. Sie äußert sich vor allem in zwei Arten. Einmal als Befehl, der bestimmte Handlungen oder deren Unterlassung vorschreibt, zum anderen als das Sprechen im Namen der ganzen politischen Einheit.

Politische Ordnung nennen wir die Ordnung der Gesellschaft, insofern sie von der politischen Herrschaft gesetzt und gesichert wird.

Dies gilt nicht nur für die bewußte Ordnungspolitik, die also auf die Gestalt der gesellschaftlichen Ordnung direkt zielt. Alle politischen Entscheidungen, und das heißt eben alle politischen Herrschaftsakte, wirken auf diese Ordnung ein, gestalten und verändern sie. Wenn wir von Ordnungspolitik als dem permanenten Problem aller Politik sprechen, dann ist also nicht nur die einmalige Entscheidung für eine politische Ordnung, wie sie etwa in der Verfassung ihren Ausdruck findet, gemeint. Erstens bedarf diese verfassungsmäßige Grundordnung der ständigen Sicherung und Ausgestaltung. Die reale Ordnung der Gesellschaft ist etwas Lebendiges; sie entwickelt sich fort und verändert sich. Wenn die ursprüngB liehe Grundentscheidung nicht im Auge behalten wird, läuft man Gefahr, daß die einmal gesetzte Ordnung sich langfristig in eine ganz andere transformiert. Zweitens muß diese Grundstruktur ausgefüllt werden, was dauernd durch politisches Handeln und durch die Gesetzestätigkeit geschieht. Die ursprüngliche Grundentscheidung wird überhaupt eigentlich erst im ständigen politischen Handeln des Alltags realisiert. Drittens verlangt die Interdependenz aller einzelnen Sachbereiche, in denen die politische Herrschaft tätig wird, danach, daß ihre Zusammenhänge untereinander und ihr Zusammenhang mit der politischen Grundordnung berücksichtigt werden. Deshalb bedarf rationales politisches Handeln in erster Linie der klaren Ordnungsvorstellungen. Damit wird die politische Ordnung zum zentralen Gegenstand der politischen Unterweisung.

Politisches Denken ist wesentlich Denken in Ordnungen. Das wird auch deutlich, wenn wir den Gegenstandsbereich der politischen Unterweisung etwas aufgliedern in die politischen Institutionen, die staatlichen Tätigkeitsbereiche und das Verhalten der Menschen.

Die politischen Ordnungen stellen sich als Systeme von Institutionen dar. Die einzelne Instution ist aber aus sich selbst heraus nicht verstehbar. Zwar kann man Institutionen wie Regierung, Parlament, Parteien usf. von ihren Zwecken her begreiflich machen. Sobald man aber etwa Institutionen in verschiedenen Staaten vergleicht, zeigt sich, daß zu ihrem Verstehen die Kenntnis ihrer Funktionen in einer ganz bestimmten politischen Ordnung gehört. Gleiche Institutionen in verschiedenen Ordnungen wirken unterschiedlich und sind unterschiedlichen Wirkungen ausgesetzt. Sogar ihre Funktionen können unterschiedlich sein. Ebenso deutlich wird der Ordnungsbezug der Institutionen bei der Kritik. Das ist auch deshalb wichtig, weil der Bürger durch politische Bildung ja kritikfähig werden soll. Die zunächst spontane und vielleicht unüberlegte Kritik soll durch politische Unterweisung in rationale Bahnen gelenkt werden. Dafür bedarf die Kritik der Maßstäbe. Wenn etwa das Verhalten eines einzelnen Politikers kritisiert wird, kann die Institution, in der und für die er wirkt, zum Maßstab werden. Sein Verhalten wird also gemessen am Sinn der Institution. Wird hingegen eine Institution selbst kritisiert, dann kann der Maßstab der Kritik nicht mehr aus ihr selbst kommen, sondern aus der umgreifenden Ordnung, von der die einzelne Institution ihren Sinn bekommt. Schließlich kann auch die Ordnung selbst der Kritik unterzogen werden. Die Maße dieser Kritik kommen dann aus allgemeinen Zielen und Wertvorstellungen, denen die Ordnung dienen soll. Rationale Kritik bedarf also der Ordnungsvorstellungen.

Noch sinnfälliger wird die Notwendigkeit des Denkens in geordneten Zusammenhängen, wenn wir die einzelnen Sachbereiche wie Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik, Kulturpolitik, Verteidigungspolitik etc. betrachten. Wenn die politischen Maßnahmen in diesen Bereichen punktuell, ja nach aktuellem Bedürfnis ohne Rücksicht auf Ordnungskonzeptionen getroffen werden, führt das unter den Bedingungen einer modernen industriellen Gesellschaft zur Funktions-und Leistungsunfähigkeit des politischen Systems.

Wir müssen uns allerdings der Grenzen bewußt sein, die der Sachkenntnis auf diesem Gebiet gesetzt sind. Was heute für die Experten und verschiedenen Sachbereiche mit ihren Spezialisierungen kaum mehr möglich ist, kann man nicht vom Bürger allgemein verlangen. Man wird also nur ganz grobe Zusammenhänge vermitteln können, die dem Bürger ein gewisses Koordinatensystem für sein politisches Urteil bieten. Wir kommen heute weniger denn je daran vorbei, daß der Großteil der Staatsbürger sich auf das Urteil von Experten verlassen muß. Das gehört aber mit zu unseren politischen Ordnungsvorstellungen. Eine Demokratievorstellung, die so tut, als könne der Wähler etwa zu allen politischen Problemen ein sachgerechtes Urteil haben, ist unrealistisch. Sie erweist deshalb den Bürgern auch keinen Dienst; sie täuscht sie im Gegenteil über ihre wahre Lage. Auf der anderen Seite aber darf man die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Experten und Bürgern auch nicht unterschätzen. In der Regel können nämlich viele der Sachurteile in ihren Ergebnissen allgemein verständlich begründet werden, auch wenn hinter ihnen komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge stehen. Insoweit wirkliche Sachargumente vorliegen, kann man zumindest den politisch Interessierten klarmachen, warum z. B. vielleicht eine wünschbare sozialpolitische Maßnahme nicht gleichzeitig mit einer ebenfalls wünschbaren wirtschaftspolitischen Maßnahme realisiert werden kann.

Damit sind wir bei einem wichtigen Problem der politischen Bildung. Es kann sich nämlich bei der Forderung nach solcher Bildung nicht nur darum handeln, daß der Mensch einmal im Laufe seiner Schulzeit auch im Fach Politik unterrichtet wird. Vielmehr ist politische Unterweisung ein permanentes Bedürfnis des Bürgers und damit auch eine ständige Aufgabe für die Gesellschaft. Nicht nur durch einmal vermittelte Grundeinsichten soll den Menschen ihre Welt transparent werden. Solche fundamentalen Einsichten werden durch die vielschichtigen Probleme des politischen Alltags immer wieder verdunkelt. Deshalb muß eine permanente Unterweisungsmöglichkeit bestehen, welche den Menschen hilft, die aktuellen Zusammenhänge besser zu verstehen und durch sie hindurch immer wieder auf die entscheidenden Grundfragen ihrer Ordnung verwiesen zu werden.

Das Mögliche und das Gewünschte unterscheiden lernen

Als dritten Gegenstandsbereich haben wir das politische Verhalten genannt. Es wird in der Regel angetrieben von Interessen und von Wertvorstellungen. Die partiellen Interessen in einer Gesellschaft sind zunächst als legitim anzusehen. Es ist falsch, Gruppeninteressen von vornherein im Gegensatz zum Gemeinwohl zu sehen. Dieses Gemeinwohl ist nicht etwas, das über den realen Bedürfnissen der Menschen schwebt, es setzt sich aus ihnen zusammen. Zwar besteht Gemeinwohl nicht ausschließlich im Ausgleich der partiellen Interessen, aber letztere sind immer auch Bestandteil des Gemeinwohls. Wiederum müssen also die partiellen Interessen in eine Gesamtordnung einbezogen werden: einmal in eine moralische Ordnung, welche die Interessen der anderen für ebenso legitim anerkannt wie die eigenen, zum anderen in die vorhin erwähnten Sachgesetzlichkeiten der einzelnen Tätigkeitsbereiche. Hinsichtlich der Wertvorstellungen und Prinzipien, an denen sich politisches Handeln orientiert, muß ehrliche politische Unterweisung den Glauben zerstören, daß das Bekenntnis zu solchen Prinzipien wie Freiheit, Gerechtigkeit, Friede usf. schon ausreiche, um politisch urteilen und handeln zu können. Diese Prinzipien müssen in konkrete Ordnungsvorstellungen umgesetzt werden. Die Gerechtigkeit wird nicht realisiert; was in der Politik bestenfalls geleistet wird, besteht darin, daß ein neuer Zustand gerechter ist als der vorhergehende. Wie abstrakt zunächst ein Prinzip wie das der Gerechtigkeit ist, zeigt sich schon darin, daß in ihm ein allgemeiner Konsens besteht. Es gibt niemanden, der von sich behauptet, gegen Gerechtigkeit zu sein. Erst bei der Frage, wie denn nun ein konkreter Zustand an diesem Prinzip gemessen werden soll, scheiden sich die Geister. Und nicht selten gibt es Übereinstimmung darin, daß ein Zustand als ungerecht empfunden wird, was aber noch nichts über die Vorstellung von tatsächlich gerechteren Verhältnissen aussagt. Man kann also nicht einfach von obersten Prinzipien deduzieren, um zu Orientierungen für das politische Verhalten zu kommen, sondern muß Ordnungsmodelle entwickeln, die ihre Maße nicht nur von den Prinzipien, sondern auch von den konkreten geschichtlichen Bedingungen und Möglichkeilen gewinnen. Die Gewinnung der Fähigkeit, das, was ist, das Mögliche, das Gesellte und das Gewünschte zu unterscheiden, ist eine der wichtigsten Aufgaben politischer Unterweisung.

Herstellung eines rationalen Verhältnisses zu den politischen Problemen

Damit ist ein weiteres wichtiges Problem angesprochen, das nicht selten zu Kontroversen führt. Aus dem bisher Gesagten kann man den Schluß ziehen, daß es sich bei der politischen Bildung primär um eine rationale Angelegenheit handelt, daß in erster Linie die Ratio gebildet werden soll und höchstens in zweiter Linie die emotionalen Fähigkeiten. Die Entscheidung in dieser Frage hängt natürlich vor allem davon ab, ob man Politik selbst primär als eine rationale Angelegenheit betrachtet. Der Blick in die politische Wirklichkeit mag zu der These verführen, es handle sich nur zu geringerem Teil um Ratio. Dies kann man zur Kenntnis nehmen und vielleicht sogar positiv bewerten. Man kann aber auch auf dem Standpunkt stehen, und zu diesem möchten wir uns ekennen, daß zwar die Emotionen nicht aus der Politik ausgeschaltet werden können und sollen, daß aber die Ratio, das dominierende Element sein sollte. Das ergibt sich auch daraus, daß Politik nicht Selbstzweck, sondern immer Mittel zu Zwecken ist. Die Priorität des Emotionalen scheint nur dort angebracht, wo der Mensch sich auf Selbstzwecke hinordnet, die ihrerseits nicht mehr ständig nach über ihnen liegenden, maßgebenden Zwecken befragt werden müssen. Das Mittel-Zweck-Verhältnis ist aber ein im Grunde rationales Verhältnis, was für die Politik zutrifft. Es gibt keine genuin politischen letzten Werte bzw. braucht sie zumindest nicht zu geben. Wo sie produziert werden, haben wir es stets mit der Indienststellung des Menschen unter die Politik zu tun. Wir würden also meinen, daß es eine der vornehmsten Aufgaben der politischen Unterweisung ist, ein rationales Verhältnis des Menschen zu den politischen Problemen herzustellen. So wichtig auch in der Politik emotionale Antriebe sind, sie bedürfen auf jeden Fall des rationalen Regulativs.

Zu diesem Ergebnis kommt man gerade auch dann, wenn man den Bürger zur Teilnahme am politischen Prozeß befähigen will, wenn man also den praktischen Aspekt der politischen Unterweisung im Auge hat. Zunächst einmal hat der Bürger Meinungen, Neigungen und Wünsche an das politische System. Wenn diese nun in den Prozeß der politischen Willensbildung eingebracht werden sollen, dann müssen sie in konkret bestimmbares Wollen umgeformt werden. Wünschen kann man sich sehr vieles und Gegensätzliches. Man kann z. B. wünschen, daß alle den gleichen Lebensstandard haben und daß gleichzeitig das ökonomische System Anreize zu immer größeren Leistungen bietet. Wünschen kann man sich, daß ewiger Friede herrsche, daß aber gleichzeitig von allen Nationen die Interessen der eigenen ohne jeden Abstrich respektiert werden. Wünschen kann man sich, daß alle Menschen so frei wie möglich seien, daß aber soziale Konflikte möglichst eliminiert werden. Dies alles kann man wünschen, aber man kann es ehrlicher-weise nicht wollen, wenn man weiß, daß die jeweils zusammengedachten Ziele nicht in reiner Form gleichzeitig realisierbar sind. Das Wünschen ist von seiner Natur her unbegrenzt. Man kann durchaus wünschen, daß der Mensch fehlerfrei ist; es zu wollen, ist sinnlos, weil er eben nun mal nicht fehlerfrei ist. Wünschen kann man das Unmögliche, wollen kann man nur das Mögliche. Die Transformation der Wünsche in das politisch sinnvoll Gewollte ist eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Unterweisung, die permanent, also nicht nur während einer irgendwie begrenzten Schulzeit, stattfinden sollte.

Ein letzter Gedanke möge sich anschließen: Politische Unterweisung ist nicht gleichzusetzen mit Indoktrination, aber auch nicht mit Werbung und mit dem Versuch, zu überzeu-gen. Politische Unterweisung zielt nicht auf die unmittelbare politische Entscheidung; sie will Material für diese Entscheidung anbieten, die Wahl selbst aber offenlassen. Dies stimmt aber nur in einem relativen Sinne. Eine totale Offenheit der politischen Unterweisung ist nicht möglich. So wie keine Gesellschaft ohne einen Minimalkonsens in Grundfragen des Zusammenlebens existieren kann, so kann sie auch nicht eine politische Bildung zulassen, die auf die Zerstörung ihrer eigenen Grundlagen gerichtet ist. Der für unsere Politik und damit auch für die politische Bildung verbindliche Minimalkonsens läßt sich mit dem Merkmal der offenen, pluralen und freiheitlichen Gesellschaft umschreiben. Diese zunächst wiederum reichlich abstrakten Merkmale müssen konkretisiert werden. Man kann natürlich unter Freiheit z. B.sehr Verschiedenes verstehen. Unser Minimalkonsens besteht darin, daß wir das Verhältnis des Individuums zum Kollektiv in der Schwebe halten und nicht einseitig zugunsten des einen oder anderen entscheiden.

Das entspricht christlich-demokratische tion. Es bedeutet u. a., daß wir eine ablehnen, welche die Unfreiheit der j benden Menschen zum Zwecke einer besseren oder gar vollkommenen Ges« der Zukunft postuliert. Man könnte al sagen, daß der von uns geforderte N konsens die Humanität ist. Humanität tet aber für uns die Anerkennung des konkreten Mitmenschen, der niemals zi tel für das Streben nach irgendeiner s Utopie degradiert werden darf. Mit die merkungen ist eine Spannung angede der jede Politik und jede politische Un sung steht: Politik ist Handeln in die Z sie muß um des Menschen willen in kunft denken; dennoch wird sie in wenn sie die Gegenwart nur als Mate Projektion der Zukunft betrachtet. Hie terscheidet sich christlich-demokratisch tik und mit ihr die entsprechende po Unterweisung von allen radikal-revol ren Tendenzen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Manfred Hättich, Dr. rer. pol., o. Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Mainz, geb. am 12. Oktober 1925.