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Lateinamerika und die EWG | APuZ 18/1969 | bpb.de

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APuZ 18/1969 Skeptische Gedanken zum Europatag 1969. Zwanzig Jahre Europarat Lateinamerika und die EWG Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen

Lateinamerika und die EWG

Jürgen Westphalen

Der Zusammenschluß der sechs westeuropäischen Industrieländer zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ist in den lateinamerikanischen Entwicklungsländern von Anfang an auf Skepsis und Kritik gestoßen. Die Länder Lateinamerikas bilden die größte Gruppe sogenannter Drittländer, die gewisse einheitliche Merkmale der geographischen Lage, der Wirtschaftsstruktur und der Sprache aufweisen und für die gegenwärtig keine praktischen Möglichkeiten erkennbar sind, sich selbst in irgendeiner Form an die EWG anzuschließen.

Tabelle 5 Agrargütereinfuhr der EWG aus Lateinamerika 1958 bis 1967 (1 000 US-Dollar) Jahr Rindfleisch.......... Weizen .......... ,. 1958 38 738 30 958 1960 35 954 28 652 1962 44 374 81 336 1963 58 982 36 018 1965 128 851 83 317 1966 118 130 45 610 1 1967 106 198 17 282

Eine allgemeine und zugleich besonders klare Formel für die Sorgen und Erwartungen, die der lateinamerikanische Subkontinent an die wirtschaftliche Integration Westeuropas knüpft, hat schon im Jahre 1957 der damalige uruguayische Botschafter in Bonn, Carlos A. Clulow, gefunden: „Unsere Länder erwarten ... mit gutem Recht als Mitglieder der großen Völkerfamilie, daß ihre Belange nicht übergangen werden, daß sie nicht vergessen werden in den Plänen für die Neuordnung der Welt von morgen."

Tabelle 6 Agrargütereinfuhr der EWG aus Lateinamerika 1958 bis 1967 (1 000 US-Dollar) Jahr Kaffee ............... Bananen ............... 1958 299 266 66 871 1960 303 572 64 348 1962 313 257 66 784 1963 313 087 69 741 1965 409 994 112 796 1966 406 120 126 824 1967 400 700 146 400

Auf den folgenden Seiten soll vor allem die in Lateinamerika zu beobachtende Einstellung zu zwei Bereichen der EWG-Integrationspolitik dargestellt und beurteilt werden, und zwar zur gemeinsamen Agrarpolitik und ihren Folgen für die Einfuhr von Agrarprodukten aus Lateinamerika und zur europäisch-afrikanischen Assoziierung. Der zweite Bereich ist gegenwärtig besonders aktuell, da die zur Zeit in Kraft befindlichen Assoziierungsabkommen am 31. Mai 1969 auslaufen werden und die Diskussion über die Fortsetzung der Assoziierungspolitik nach diesem Termin in vollem Gange ist

Die objektive Beurteilung der Beziehungen zwischen der EWG und den lateinamerikanischen Drittländern ist heute leichter als noch vor einigen Jahren. Für ein Jahrzehnt, und zwar für die Zeit von 1958 bis 1967, liegen die statistischen Ergebnisse des EWG-Außenhandels vor. Ein Jahrzehnt ist in der Entwicklung internationaler Handelsbeziehungen schon ein Zeitraum, der Einblicke in längerfristige Tendenzen zuläßt. Anstelle von Vermutungen und vagen Befürchtungen können heute bereits klare und mit nüchternen Zahlen belegte Aussagen gemacht werden. Auch in Lateinamerika hat sich im Laufe der Jahre immer mehr eine sachliche und verständnisvolle Einstellung zur Integration Westeuropas durchgesetzt, die zwar von Sorgen hinsichtlich der künftigen Entwicklung der europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen belastet ist, sich aber frei-hält von einer die Realität verzerrenden Polemik.

I. Europäische Integration — eine politische und wirtschaftliche Notwendigkeit Es würde jedoch nicht genügen, die Beziehungen zwischen der EWG und Lateinamerika nur aufgrund von Handelsstatistiken zu beurteilen. Mit anderen Worten: Die europäisch-lateinamerikanische Auseinandersetzung über die Wirkungen der EWG darf nicht ausschließlich ein Dialog zwischen Außenhandelsstatistikern sein, so wichtig auch die Entwicklung des Warenverkehrs aus lateinamerikanischer Sicht sein mag. Daher sollen den statistischen Angaben, die in den folgenden Abschnitten gebracht und kommentiert werden, einige Bemerkungen über die politische und wirtschaftliche Notwendigkeit des Zusammenschlusses der westeuropäischen Industrieländer vorausgeschickt werden. Erhaltung des Weltfriedens Häufig wird in den Drittländern übersehen, daß die Ziele der europäischen Einigungsbewegung nicht nur im wirtschaftlichen, sondern zumindest ebensosehr im politischen Bereich liegen. Der Gründer der Paneuropäischen Bewegung, Graf Coudenhove-Kalergi, schrieb in seinem 1923 veröffentlichten Pan-europäischen Manifest „Die ganze europäische Frage gipfelt im Entweder-Oder:

Krieg — oder Frieden!

Anarchie — oder Organisation!

Wettrüsten — oder Abrüsten!

Konkurrenz — oder Kooperation!

Zusammenbruch — oder Zusammenschluß!

... Wer die Gefahren, denen das zersplitterte Europa entgegensteht, nicht sieht, ist politisch blind. ... Nur ein europäischer Dauerfrieden sichert die Zukunft der europäischen Nationen, Familien und Menschen."

Auch nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges war es die Sorge um die Herstellung und Erhaltung des Weltfriedens, von der zunächst die stärksten Impulse zur Einigung der europäischen Völker ausgingen. In seiner am 19. September 1946 in der Züricher Universität gehaltenen Rede sprach Winston S. Churchill von den in Europa immer noch schwelenden nationalistischen Zwistigkeiten, gegen die es „ein Heilmittel (gibt), das, allenthalben und aus freien Stücken angewandt, wie durch ein Wunder die ganze Szene verwandeln und innerhalb weniger Jahre ganz Europa — oder wenigstens dessen größeren Teil — ebenso frei und glücklich machen könnte, wie es die Schweiz heute ist. Worin besteht dieses Allheilmittel? Darin, daß man die europäische Familie . . . wiederaufrichtet und ihr eine Ordnung gibt, unter der sie in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben kann. Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa schaffen."

Die Sorge um den Weltfrieden ist indessen heute nicht minder begründet als unmittelbar nach Kriegsende. In seiner Vorlesung über „Das heutige Experiment der westlichen Zivilisation" sprach Arnold J. Toynbee 1961 eine Mahnung aus, deren Aussage an die zitierten Sätze aus der Züricher Rede von Churchill erinnert, die aber viel eindringlicher formuliert ist: „Die gesamte Menschheit (sieht) sich in unserem Zeitalter einer einzigen, extremen Entscheidung gegenübergestellt. ... Wir müssen uns entweder mit dem Massenselbstmord abfinden oder lernen, miteinander als eine Familie zu leben. Die zweite Alternative — die einzige Alternative zur Selbstvernichtung — setzt voraus, daß die zwischen den verschiedenen Rassen, Nationen, Religionen und Ideologien bestehenden Schranken abgeschafft werden. Man wird daher Ideale, Ideen und Institutionen schätzen, die für Einheit, Eintracht und Liebe wirken." Diesen Gedanken finden wir bei C. F. von Weizsäcker fortgeführt, der in der „Entstehung übernationaler Institutionen", zu denen wir nicht zuletzt die Europäischen Gemeinschaften zählen können, einen Fortschritt in dem Prozeß „der allmählichen Verwandlung der bisherigen Außenpolitik in Welt-Innenpolitik" sieht, in der sich das Herannahen des Weltfriedens ausdrückt

Neue räumliche Maßstäbe Ein weiteres wichtiges Ziel der europäischen Integrationspolitiker ist die Stärkung der früher isolierten europäischen Nationalwirtschaften durch Zusammenschluß zu einem größeren, den beiden mächtigen Nationalwirtschaften USA und UdSSR ebenbürtigen oder gar überlegenen Wirtschaftsraum. Einige Ziele und Motive der EWG-Kommission hat deren damaliger Präsident, Professor Hallstein, in einer Rede vor dem Europäischen Parlament am 17. Juni 1965 in Straßburg zusammengefaßt. Aus dieser Rede seien die folgenden Auszüge zitiert:

„Was uns vorwärts treibt, ist ... die Erkenntnis, daß unsere klein gewordene Welt andere räumliche Maßstäbe in Geltung setzt als die, die die parzellierte europäische Landschaft von gestern und heute bestimmen; .. . daß unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft die Möglichkeiten moderner Technik und Lebensform nur nutzen und den Wettbewerb mit den Riesen der Gegenwart nur bestehen können, wenn sie großräumig verfaßt sind; . .. daß Europa bei der Regelung der weltpolitischen Geschäfte nur dann von Freund und Feind gehört und beteiligt wird, wenn es mit einer Stimme spricht."

Das Bestreben, sich im „Wettbewerb mit den Riesen der Gegenwart" zu behaupten, ist indessen nicht allein ein Motiv der europäischen Integration, sondern ebenso eine der stärksten Antriebskräfte zur Schaffung der Lateinamerikanischen Freihandelszone (ALALC) und des Zentralamerikanischen Gemeinsamen Marktes (MCC). Vergrößerung des Wirtschaftsraumes bedeutet in Europa wie in Lateinamerika erhöhte Absatzchancen und demzufolge die Möglichkeit zur Produktion in größeren Serien, aus der sich wiederum zusätzliche Rationalisierungsmöglichkeiten ergeben, ferner bessere Ausnutzung aller Produktionsreserven und größere Chancen für eine sinnvolle Arbeitsteilung.

Auf dem Gebiet der Außenbeziehungen der EWG können die beiden großen Zielbereiche der Integration — Sicherung des Weltfriedens und Stärkung der wirtschaftlichen und politischen Position Westeuropas gegenüber den anderen großen Weltmächten — miteinander kollidieren. So würde eine Gemeinschaft von hochentwickelten europäischen Industrieländern, die sich ohne Rücksicht auf die Belange der außenstehenden Entwicklungsländer nur um den eigenen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt und den Ausbau der eigenen politischen Position bemüht, kaum in der Außenwelt als Vorkämpferin für den Weltfrieden glaubwürdig erscheinen; sie würde vielmehr die vorhandene Kluft zwischen armen und reichen Ländern verbreitern und damit gewaltsamen Umstürzen in den Entwicklungsländern Vorschub leisten und die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen erhöhen

Die beiden genannten Zielbereiche miteinander vereinbaren bedeutet, die Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Position Westeuropas in der Welt als Mittel zur Festigung des Friedens unter allen Völkern und zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts in den Entwicklungsländern einzusetzen.

II. Ein wachsender Markt für lateinamerikanische Produkte Die Regierungen der sechs EWG-Mitgliedsländer richteten auf Anregung der EWG-Kommission schon im April 1958 ein Memorandum

an die Regierungen der lateinamerikanischen Länder. In diesem Dokument, das Professor Hallstein ein „wirtschaftspolitisches Friedensangebot" genannt hat, ist darauf hingewiesen worden, daß „die Schaffung eines Marktes von 165 Millionen Einwohnern, deren Bruttoeinkommen einer Kaufkraft von 180 Mrd. US-Dollar gleichkommt und deren Importbedarf ständig wächst, ... die Gemeinschaft zu dem Wirtschaftsraum mit dem größten Außenhandel der Welt werden (läßt). Ihre Tätigkeit wird günstige Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Entwicklungsaussichten der freien Welt haben, denn die Entwicklung der Gemeinschaft selbst hängt von der Förderung ihrer Beziehungen zu den übrigen Ländern ab."

Von lateinamerikanischer Seite sind an der Richtigkeit dieser Behauptung noch im Jahre 1962 Zweifel geäußert worden. In einer im Auftrage der Comisiön Econömica para America Latina (CEPAL) angefertigten Studie über die Möglichkeiten einer Koordinierung der Politik der lateinamerikanischen Länder gegenüber der EWG wurde die Gegenbehauptung aufgestellt, daß „die ausgeprägte Prosperität, die sich in den letzten Jahren in Westeuropa und insbesondere in den EWG-Mitgliedsländern entwickelt hat, für die Ausfuhr Lateinamerikas — insgesamt betrachtet — recht wenig bedeutet. Daran zeigt sich, daß das bekannte Argument, die Prosperität Europas begünstige direkt auch Lateinamerika, ... keine ausreichende Bestätigung in der Praxis findet." Günstige Gesamtentwicklung Die für die ersten zehn Jahre nach Gründung der EWG ermittelten Außenhandelsergebnisse haben aber dennoch die optimistische europäische Prognose bestätigt. Der infolge des steigenden Wohlstandes wachsende Markt der EWG hat auch für lateinamerikanische Produkte zunehmende Absatzchancen geboten. Unter den verschiedenen großen Entwicklungsregionen ist Lateinamerika der wichtigste Handelspartner der Gemeinschaft. Im Jahre 1967 betrugen die Einfuhren aus Lateinamerika 8, 9 °/o der Gesamteinfuhr der EWG, und von der Gesamtausfuhr der Gemeinschaft entfielen 6, 5 % auf den lateinamerikanischen Subkontinent. Der Import lateinamerikanischer Produkte in den EWG-Raum hat in den ersten zehn Jahren der Gemeinschaft eine Steigerung um 66 0/0 von 1, 65 Mrd. (1958) auf 2, 74 Mrd. US-Dollar (1967) erfahren. Der Export aus dem EWG-Raum nach Lateinamerika ist in derselben Zeit von 1, 60 Mrd. auf 2, 05 Mrd. US-Dollar, also um 27 °/o, gestiegen.

Auch im Vergleich zu anderen Handelspartnern Lateinamerikas hat sich Westeuropa und besonders die EWG in den letzten Jahren — vom lateinamerikanischen Standpunkt betrachtet — günstig entwickelt. Während sich die Bedeutung der USA als Käufer lateinamerikanischer Produkte, wie aus Tabelle 1 ersichtlich ist, in der Zeit von 1960 bis 1966 beträchtlich vermindert hat, haben die EWG, aber auch Japan, Kanada und die Gruppe der Staatshandelsländer die auf sie entfallenden Anteile vom Gesamtexport Lateinamerikas erhöhen können.

Das Wachstum der EWG-Einfuhr aus Lateinamerika vollzog sich im Jahrzehnt 1958— 1967 wesentlich schneller als die Zunahme des Exports; infolgedessen erhöhte sich der Passivsaldo der EWG gegenüber Lateinamerika von 43 Mio. US-Dollar 1958 auf 691 Mio. US-Dollar 1967.

Die heute wichtigsten Lieferländer der EWG in Lateinamerika sind Argentinien, Brasilien und Chile; alle drei Länder haben ihren Export in den EWG-Raum von 1958 bis 1967 erheblich steigern können. Aber auch andere lateinamerikanische Länder haben, wie Tabelle 2 erkennen läßt, eine zufriedenstellende Entwicklung ihres Exports in den EWG-Raum zu verzeichnen. Die Erhöhung des EWG-Imports aus Lateinamerika ist ein wesentlicher Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der betreffenden lateinamerikanischen Lieferländer, für die die sogenannte Handelshilfe, also die O der Märkte für ihre Produkte in den Ind ländern, im allgemeinen von ebenso oder sogar größerer Bedeutung ist a Kapitalhilfe oder technische Hilfe.

Es sei allerdings schon an dieser Ste] merkt, daß sich, ungeachtet der vielve chenden Gesamtergebnisse der EWG-Einfuhr, der Import bestimmter Agrarprodukte aus der gemäßigten Klimazone Lateinamerikas in den EWG-Raum ungünstig entwickelt hat. Daraus läßt sich, wie noch gezeigt werden soll, begründete Kritik an bestimmten Instrumenten der gemeinsamen Agrarpolitik herleiten; keinesfalls wäre es aber zulässig, wegen solcher isolierter Wirkungen, so schwerwiegend sie auch im Einzelfall sein und so sehr sie auch bestimmte lateinamerikanische Länder belasten mögen, grundsätzlich an der Ausstrahlung des wirtschaftlichen Aufschwungs in Westeuropa auf die Außenwelt zu zweifeln.

EWG-Kapitalhilfe für Lateinamerika?

Der innerhalb von zehn Jahren auf das Sechzehnfache seines Ausgangswertes gestiegene Passivsaldo im Güteraustausch zwischen der EWG und Lateinamerika bedeutet angesichts des durch die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungserfordernisse in Lateinamerika steigenden Devisenbedarfs einen zusätzlichen Beitrag Westeuropas zur Bewältigung der lateinamerikanischen Entwicklungsprobleme. Von lateinamerikanischer Seite, und zwar insbesondere von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) wird indessen noch eine Intensivierung der europäisch-lateinamerikanischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklungsfinanzierung angestrebt. Im November 1966 stattete der Präsident des BID, Felipe Herrera, der EWG-Kommission in Brüssel seinen ersten offiziellen Besuch ab. Bei dieser Gelegenheit trug Herrera die Anregungen vor, einen vom BID zu verwaltenden und seitens der EWG bereitzustellenden Europäischen Investitionsfonds für Lateinamerika zu schaffen, eine technische und finanzielle Mitwirkung Westeuropas am Integrationsprozeß in Lateinamerika durch Beiträge zum Investitionsfonds der Lateinamerikanischen Integration (Fondo de Preinversiön para la Integraciön de America Latina) und zum Lateinamerikanischen Integrationsinstitut (INTAL) zu leisten, Lateinamerika den Zugang zu den Kapitalmärkten in den EWG-Ländern zu öffnen und neue Anwendungsmöglichkeiten für das Instrument der sogenannten Parallel-finanzierungen zu suchen.

Einige dieser Anregungen sind inzwischen jedenfalls zum Teil verwirklicht worden. So haben der BID und auch die Regierungen lateinamerikanischer Länder in den zurückliegenden Jahren in mehreren EWG-Ländern, darunter auch in der Bundesrepublik Deutschland, mit gutem Erfolg Anleihen unterbringen können. Ein Abkommen über Parallelfinanzierungen, d. h. über Finanzierungsoperationen, bei denen Finanzmittel des BID durch Kredite anderer Finanzierungsinstitute ergänzt werden, hat der BID mit der niederländischen Regierung schon im September 1965 geschlossen und Ende September 1968 erweitert.

Die zweifellos wichtigste Anregung von Herrera zielt aber auf die Multilateralisierung eines Teils der von den EWG-Mitgliedsländern bilateral an Lateinamerika gegebenen Kapitalhilfe ab. Die Idee, zu diesem Zweck einen EWG-Investitionsfonds für Lateinamerika zu errichten, erscheint ernsthafter Erwägungen wert

Die Bundesrepublik als Handelspartner Lateinamerikas Der wichtigste Handelspartner Lateinamerikas unter den sechs Mitgliedsländern der EWG ist die Bundesrepublik Deutschland, auf die im Jahre 1967 rd. 40 °/o vom Gesamtimport der Gemeinschaft aus Lateinamerika und sogar 48, 6 °/o der gesamten EWG-Ausfuhr nach Lateinamerika entfielen.

Die steigende Tendenz des deutsch-lateinamerikanischen Warenverkehrs im Jahrzehnt 1958— 1967 hat sich im Jahre 1968 nur noch schwach fortgesetzt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes blieb 1968 die deutsche Einfuhr aus Lateinamerika etwa auf dem Stand des Vorjahres, während die deutsche Ausfuhr nach Lateinamerika einen leichten Anstieg auf rd. 1, 1 Mrd. US-Dollar erfuhr.

Besondere Beachtung verdient das Wachstum des deutschen Außenhandels mit dem Gemeinsamen Zentralamerikanischen Markt. Die deutsche Ausfuhr in diesen Raum erhöhte sich von 1958 bis 1967 um 66 %, die deutsche Einfuhr aus Zentralamerika um 53 %. Gegenüber der Lateinamerikanischen Freihandelszone (ALALC) ergaben sich im genannten Zeitraum für den deutschen Außenhandel Steigerungen von 40 u/o auf der Ausfuhr-und von 42 °/o auf der Einfuhrseite. Das Jahrzehnt 1958— 1967 hat die Erwartung bestätigt, daß sich auch die Quelle: Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften.

Integration der lateinamerikanischen Länder keinesfalls hemmend auf den Warenverkehr der sich integrierenden Wirtschaftsräume mit der Außenwelt auswirkt.

Die Struktur des deutschen Exports nach Lateinamerika hat sich seit 1958 merklich geändert: Die industriell hergestellten Konsumgüter haben immer mehr an Bedeutung verloren. Die Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder kann sich heute mit diesen Gütern aus eigener Produktion versorgen. Dagegen hat die Bedeutung der Produktionsmittel im deutschen Export beträchtlich zugenommen. Ganz deutlich wird diese Strukturänderung in einem Zahlen-vergleich der einen längeren Zeitraum umschließt: Von 1928 bis 1956 verringerte sich der Anteil der Textilien an der deutschen

Gesamtausfuhr nach Lateinamerika von 25, 5 °/o auf nur 2, 3%; gleichzeitig stieg aber der Anteil der Maschinen am Gesamtexport von 12, 5% auf 22, 2 %. Ein Meilenstein in dieser Entwicklung von der Konsumgüterausfuhr zum Export hochwertiger Produktionsmittel ist der im Februar 1968 einer deutschen Industriefirma übertragene Bau eines Kernkraftwerkes in Atucha am Rio Parana (Provinz Buenos Aires/Argentinien). Dieses Projekt, das 1972 fertig-gestellt sein soll, ergibt einen Auftragswert von rd. 70 Mio. US-Dollar.

Aus der Position des größten Handelspartners Lateinamerikas in der EWG ergeben sich für die Bundesrepublik auch besondere Verpflichtungen gegenüber dem lateinamerikanischen Subkontinent.

III. Benachteiligung der Entwicklungsländer

Tabelle 1 Regionale Verteilung des Exports Lateinamerikas (°/o) Tabelle 2 Warenverkehr der EWG mit lateinamerikanischen Ländern (Mio. US-$) Nordamerika ....

USA ..................

Kanada .............. Westeuropa ...........

EWG ...................

EFTA ...................

Sonstige .......... Japan ....................... Staatshandelsländer Lateinamerika .... übrige Länder .... Länder Argentinien Brasilien .......... Chile .............. Venezuela .... Peru ................... Mexiko .

Die Prosperität im EWG-Raum ist also — insgesamt betrachtet — nicht ohne positive Wirkungen für Lateinamerika geblieben. Daran werden heute auch auf lateinamerikanischer Seite kaum noch Zweifel geäußert. Ansatzpunkte für eine fundierte Kritik am EWG-Außenhandel bietet heute nicht die Gesamtentwicklung des EWG-Imports aus Lateinamerika, sondern einerseits die Gegenüberstellung des Imports der Gemeinschaft aus Industrieländern und aus Entwicklungsländern und andererseits die ungünstige Entwicklung der Einfuhr bestimmter lateinamerikanischer Einzelprodukte in den EWG-Raum.

Rückläufiger Marktanteil der Entwicklungsländer Mit dem Gesamtimport der EWG hat die Einfuhr der Gemeinschaft aus Lateinamerika bei weitem nicht Schritt gehalten. Infolgedessen ist der Anteil Lateinamerikas am EWG-Gesamtimport von 10, 2% (1958) auf 8, 9% (1967) zurückgegangen. Durch eine solche Ent-B Wicklung sind aber nicht ausschließlich die lateinamerikanischen Länder, sondern fast sämtliche Entwicklungsländer benachteiligt worden. Die ersten zehn Jahre des EWG-Außenhandels lassen die deutliche Tendenz der relativen Bedeutungszunahme der Industrieländer als Handelspartner der Gemeinschaft erkennen. Die größte Steigerung zeigt der Warenverkehr zwischen den sechs Mitgliedsländern, der sich von 6, 8 Mrd. (1958) auf 24 Mrd. US-Dollar hat. (1967) mehr verdreifacht Mit der Beseitigung der Binnenzölle im EWG-Raum ist seit dem 1. Juli 1968 früherer Außenhandel zu Binnenhandel geworden; dieser in den vorangegangenen Jahren schrittweise erreichte Zustand bedeutet zwangsläufig eine relative Benachteiligung der außerhalb der Gemeinschaft gebliebenen Länder, soweit die Einfuhr von deren Produkten mit Zöllen bzw. Abschöpfungen belastet ist.

Allerdings sind in bestimmten Fällen beträchtliche Zuwachsraten auch im EWG-Außenhandel haben mit Drittländern zu verzeichnen. So die USA und auch die Gruppe der EFTA-Länder ihre Anteile am Gesamtimport und -export der Gemeinschaft erhöhen können. Dagegen mußten aber außer den lateinamerikanischen Ländern auch die afrikanischen Assoziierten der EWG einen Rückgang ihrer Anteile am Außenhandel der Gemeinschaft hinnehmen. Lediglich die nichtassoziierten afrikanischen Länder haben von 1958 bis 1967 einen gewissen Bedeutungszuwachs als Lieferanten der Gemeinschaft erzielt. Diese Tendenz ist vornehmlich auf die starke Zunahme der Erdöleinfuhren aus Algerien und Libyen zurückzufuhren; außerdem ist zu berücksichtigen, daß zu dieser Gruppe auch die Republik Südafrika gehört, die bekanntlich nicht zu den Entwicklungsländern zählt.

Der Anteil der Gesamtheit der Entwicklungsländer an der Wareneinfuhr der Gemeinschaft hat sich von 42, 2 0/0 im Jahre 1958 auf 37, 4 °/o im Jahre 1967 verringert.

Die zunehmende Konzentrierung des Welthandels auf den Warenverkehr zwischen den Industrieländern hat in den lateinamerikanischen Ländern verständlicherweise ernste Sorgen ausgelöst. In einem von der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) vorgelegten Dokument wird darauf hingewiesen, daß von 1960 bis 1966 der Weltexport um 62 °/o, der Export der Gesamtheit der Entwicklungsländer um 42 °/o und der Export Lateinamerikas nur um 39 % gestiegen ist. Der Anteil aller Entwicklungsländer am Weltexport hat sich nach Angaben der OAS in der genannten Zeitspanne von 23, 7 °/o auf 21, 1 °/o und derjenige Lateinamerikas von 7, 0 °/o auf 6, 1 0/0 verringert. Folglich bereite, wie es in dem zitierten OAS-Dokument heißt, der Bereich des Exports nach wie vor von allen Bereichen der lateinamerikanischen Wirtschaft die ernstesten Sorgen.

Zwang zur Exportdiversifizierung Voraussetzung dafür, daß die lateinamerikanischen sowie auch die übrigen Entwicklungsländer künftig in größerem Umfang als in der Vergangenheit am Wachstum des Welthandels teilhaben, ist vor allem die „Diversifizierung" ihres Exports, also die allmähliche Beseitigung der Angewiesenheit auf die Ausfuhr weniger, einander ähnlicher Rohstoffe aus Bergbau oder Landwirtschaft. Von den gesamten Devisenerlösen aus Warenexport erzielten im Jahre 1964 zum Beispiel Bolivien 71, 2 0/0 allein aus dem Zinnexport, Venezuela 93, 1 °/o aus der Ausfuhr von Erdöl und Erdölderivaten, Columbien 73, 5 0/0 aus der Kaffeeausfuhr und Argentinien 58, 7 °/o aus dem Export von Fleisch und Getreide. Schon eine kleine Senkung des Preises oder der Gesamtnachfrage seines Hauptproduktes muß die Volkswirtschaft eines Monokulturlandes empfindlich treffen.

Gewisse Erfolge haben die lateinamerikanischen Bemühungen um die Exportdiversifizierung bereits gebracht. Die Produkte der verarbeitenden Industrie machten 1962 noch 9, 9 °/o, 1967 dagegen schon 15°/o vom Gesamtexport Lateinamerikas aus Auch bei den Einfuhren der EWG aus Lateinamerika ist eine deutliche Zunahme der Fertigprodukte festzustellen Im Jahre 1958 hatte die EWG-Einfuhr aus Lateinamerika zu lO°/o aus gewerblichen Erzeugnissen und zu 90 °/o aus Rohstoffen bestanden; bis 1967 war der Anteil der gewerblichen Erzeugnisse auf 16°/o gestiegen und derjenige der Rohstoffe auf 84 0/0 zurückgegangen. Seit der Verwirklichung der Zollunion am 1. Juli 1968 ist die Zuständigkeit für die Zollpolitik von den Regierungen der sechs EWG-Mitgliedsländer auf die Gemeinschaft übergegangen. Die Förderung des Imports von Fertig-produkten aus Lateinamerika mittels Zoll-senkungen zum Beispiel im Rahmen der soge-nannten Kennedy-Runde oder durch Gewährung von Zollpräferenzen, wie sie in weltweitem Rahmen auf der zweiten Welthandels-konferenz in New Delhi grundsätzlich vereinbart worden sind, ist folglich heute Aufgabe der Gemeinschaft. Die Wirkungsmöglichkeiten der Mitgliedsländer sind auf diesem Gebiet darauf beschränkt, auf die zuständigen Gemeinschaftsorgane Einfluß auszuüben.

Es ist zu hoffen, daß sich die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bei der Konzipierung ihres Beitrages zu der von der Welt-handelskonferenz angeregten Präferenzgewährung an die Entwicklungsländer vom Grundsatz des „aid by trade" leiten läßt und die Zollvorteile auf möglichst zahlreiche, für das wirtschaftliche Wachstum der Entwicklungsländer wichtige Produkte anwendet.

In den lateinamerikanischen Ländern sollten jedoch die von zollpolitischen Maßnahmen zu erwartenden Ergebnisse nicht überschätzt werden. Bei konsequenter Fortführung der im Rahmen der Kennedy-Runde vorgesehenen Zollsenkungen wird die durchschnittliche Zollbelastung der EWG-Einfuhren aus Drittländern am 1. Januar 1972 nur noch 7, 5 °/o betragen; die Zölle für manche aus lateinamerikanischer Sicht interessante Fertigprodukte werden sogar unter diesem Durchschnittssatz liegen. Der Spielraum für einen weiteren allgemeinen Zollabbau oder auch für Zollpräferenzen zugunsten bestimmter Ländergruppen wird also schon bald so eng geworden sein, daß von der Zollpolitik als Mittel der Importförderung kaum noch große Wirkungen erwartet werden dürfen.

Ferner sollte man sich in Lateinamerika darüber klar sein, daß die Öffnung der westeuropäischen Märkte für neue Produkte aus Lateinamerika, insbesondere für Industrieerzeugnisse, schwierig sein wird. Wer nur in den Zollpräferenzen den Schlüssel sieht, mit dem sich die Absatzmärkte für Industrieprodukte öffnen lassen, wird enttäuscht werden. Eine dauerhafte Markterschließung in größerem Ausmaß setzt vielmehr voraus, daß nach sorgfältiger Markterforschung und wirkungsvoller Werbung kontinuierlich in guter Qualität und zu angemessenen Preisen geliefert werden kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so werden vermutlich auch Zollpräferenzen der EWG zugunsten lateinamerikanischer Industrieerzeugnisse nicht viel ausrichten können.

Um so wichtiger erscheint daher die Erhaltung und Ausweitung der Absatzmärkte in Westeuropa für traditionelle Ausfuhrprodukte Lateinamerikas. Im zurückliegenden Jahrzehnt hat sich gezeigt, daß einige lateinamerikanische Erzeugnisse von dem starken Wachstum des Gesamtimports der EWG unberührt geblieben sind. Das gilt besonders für verschiedene landwirtschaftliche Produkte der gemäßigten Klimazone wie zum Beispiel Getreide und Rindfleisch.

Notwendige Reform der EWG-Agrarstruktur Für nahezu sämtliche bedeutenden Erzeugnisse der europäischen Landwirtschaft hat die EWG bereits gemeinsame Marktordnungen geschaffen, deren Ziel es ist, innerhalb der Gemeinschaft für das jeweilige Produkt einen einheitlichen, von Wettbewerbsverzerrungen freien Markt entstehen zu lassen. Zur Abwendung drohender Störungen dieser Märkte durch Einfuhren aus Drittländern dient das Instrument der Abschöpfung, mit dem vergleichsweise niedrige Angebotspreise für Drittländerprodukte auf das Preisniveau innerhalb der Gemeinschaft heraufgeschleust werden.

In den lateinamerikanischen Ländern der gemäßigten Klimazone, deren Agrarprodukte großenteils mit europäischen Agrarerzeugnissen konkurrieren, wird gegen die Agrarpolitik der EWG der Vorwurf erhoben, sie berücksichtige in keiner Weise die Ausfuhrinteressen der Drittländer. So heißt es in der schon zitierten CEPAL-Studie von 1962 daß diese Politik Lateinamerika mit einer Aktion konfrontiert habe, deren Ziel es sei, die Selbstversorgung der EWG-Länder und sogar Exportüberschüsse bei Produkten der gemäßigten Zone zu erreichen: „Westeuropa, der bedeutende Käufer von Getreide, plant seine Autarkie auf erhöhtem Kostenniveau und wird — allerdings auf der Grundlage von Subventionen — möglicherweise sogar exportieren. Dasselbe wird mit Fleisch und anderen Erzeugnissen der gemäßigten Zone passieren können."

Aber auch innerhalb der EWG ist eine bemerkenswerte Selbstkritik an der eigenen Agrarpolitik zu hören, die bezichtigt wird, sich als ungeeignet für die Bewältigung der landwirtschaftlichen Strukturprobleme in den sechs EWG-Ländern erwiesen zu haben. Mit dem Instrumentarium dieser Agrarpolitik hat nicht verhindert werden können, daß die Angebotspreise für manche innerhalb der Gemeinschaft erzeugte Agrargüter weit über den entsprechenden Weltmarktpreisen liegen und daß sich von verschiedenen Agrarprodukten erhebliche Produktionsüberschüsse angesammelt haben. In einer am 19. September 1968 in Hamburg gehaltenen Rede stellte S. L. Mansholt, Vizepräsident der Europäischen Gemeinschaften, fest, daß „der Getreidepreis in unserer Gemeinschaft ungefähr 80 % höher ist als auf dem Weltmarkt .. . (und) daß der Zuckerpreis in unserer Gemeinschaft sage und schreibe viermal so hoch ist wie der Weltmarktpreis." Ferner stellte Mansholt fest, daß innerhalb der Gemeinschaft „für einige Produkte die Erzeugung . .. schneller wächst, als wir sie verbrauchen, und es entstanden vor allem in den letzten zwei bis drei Jahren beträchtliche Überschüsse. Überschüsse kannten wir bis dahin in der Weizenerzeugung, aber jetzt auch bei Zucker und vor allem auch bei der Milch." Die pessimistische Prognose der CEPAL hat sich also als zutreffend erwiesen.

Mansholt hält zwar eine grundsätzliche Änderung des Systems der Marktordnungen nicht für erforderlich, er gesteht aber zu, „daß andere Methoden und eine andere Politik zur Beherrschung der Produktion dringend notwendig geworden sind". Darüber hinaus wird es neuer politischer Instrumente zur Änderung bestimmter Strukturelemente der europäischen Landwirtschaft bedürfen, denn gegenwärtig sind, wie es in einer Verlautbarung der EWG-Sprechergruppe heißt, „achtzig Prozent der Landwirtschaftsbetriebe in der Europäischen Gemeinschaft ... zu klein, um eine Arbeitskraft rationell zu beschäftigen" Eine Ein-fuhr-und Produktionspolitik für Agrargüter, die dazu führt, daß die in Drittländern mit relativ niedrigen Kosten erzeugten Produkte vom Markt ferngehalten werden, während zahlreiche unrationelle Klein-und Kleinstbetriebe animiert werden, zu vergleichsweise hohen Kosten Produktionsüberschüsse zu erzeugen, die sich zu gewaltigen Getreide-, Butter-und Zuckerbergen anhäufen, widerspricht in der Tat jeglicher wirtschaftlichen Vernunft.

Fleisch-und Getreideimport aus Lateinamerika Die Entwicklung der EWG-Einfuhr von Getreide und Rindfleisch, zwei entscheidenden Exportprodukten für Argentinien und Uruguay, kann als weitere Rechtfertigung der lateinamerikanischen Skepsis gegenüber der gemeinsamen Agrarpolitik gelten.

Seit 1965 ist der Import beider Produkte rückläufig. Die Weizeneinfuhr der EWG aus Lateinamerika machte 1967 nur noch reichlich die Hälfte des entsprechenden Wertes von 1958 und nur wenig mehr als ein Fünftel des Wertes von 1965 aus. Darüber hinaus zeigte der Weizenimport ausgeprägte Schwankungen, während sich der Rindfleischimport verhältnismäßig stetig entwickelt hat. Besonders ungünstige Tendenzen zeigt aus der Sicht der lateinamerikanischen Lieferländer die Rindfleischeinfuhr der Bundesrepublik Deutschland Im Jahre 1958 importierte die Bundesrepublik insgesamt 23 219 t Rindfleisch, von denen nur 467 1 aus anderen EWG-Ländern, dagegen 20 383 t aus Argentinien und 161 t aus Uruguay stammten. 1967 betrug der gesamte deutsche Rindfleischimport 133 994 t, davon 93 684 t aus anderen EWG-Ländern, 29 4591 aus Argentinien und 985 t aus Uruguay. Der gesamte Rindfleischimport der Bundesrepublik ist in der genannten Zeitspanne um rd. 480 °/o gestiegen, die deutsche Rindfleischeinfuhr aus Argentinien und Uruguay dagegen nur um 46%. Die Ausweitung des deutschen Rindfleisch-marktes ist also weitaus mehr den anderen EWG-Ländern als den Drittländern in Lateinamerika zugute gekommen.

Die gemeinsame Agrarpolitik der EWG ist zwar nicht der einzige Faktor, der die Entwicklung des Imports lateinamerikanischer Agrargüter der gemäßigten Klimazone bestimmt. Hinzu kommen als weitere wesentliche Faktoren zum Beispiel die Produktionsentwicklung in den lateinamerikanischen Lieferländern und das Konkurrenzangebot aus Drittländern außerhalb Lateinamerikas. Dennoch ließe sich aber durch eine entsprechende Gestaltung der europäischen Agrarpolitik ein merklicher Beitrag zur Erhaltung und allmählichen Ausweitung der Absatzmärkte für lateinamerikanische Agrargüter im EWG-Raum leisten. Das hat die Mitte vorigen Jahres vorgenommene Reduzierung der Abschöpfung für bestimmte Gefrierfleischsorten deutlich gezeigt: Der deutsche Rindfleischimport aus Argentinien zeigte daraufhin schon im letzten Quartal des vergangenen Jahres eine steigende Tendenz, die sich im ersten Vierteljahr 1969 noch verstärkt hat.

V. Die europäisch-afrikanische Assoziierung aus lateinamerikanischer Sicht

Tabelle 3 Warenverkehr zwischen den EWG-Mitgliedsländern und Lateinamerika (Mio. US-Dollar) Belgien—Luxemburg ............................... Niederlande ................................................ Frankreich ................................................ Italien ........................................................ Bundesrepublik ........................................ EWG Länder ............................................................ 1958 152, 2 272, 9 216, 6 216, 5 788, 8 1 647, 0 Einfuh

Ein weiterer neuralgischer Punkt in den gegenwärtigen Beziehungen zwischen der EWG und Lateinamerika ist die Begünstigung der assoziierten Länder in Afrika seitens der Gemeinschaft Jede neue Maßnahme der Assoziierungspolitik der EWG findet in den lateinamerikanischen Drittländern ein kritisches Echo. Das gilt in besonderem Maße für die im Juli 1968 in Kinshasa geführten Vorgespräche bezüglich der am 19. Dezember 1968 in Brüssel aufgenommenen Verhandlungen über die Fortsetzung der Assoziierungspolitik nach Ablauf des Assoziierungsabkommens von Jaunde am 31. Mai 1969.

Ansatzpunkte der lateinamerikanischen Kritik Die Kritik der lateinamerikanischen Drittländer an der Assoziierungspolitik fußt vornehmlich auf Artikel HO des EWG-Vertrages, der die Absicht der Mitgliedstaaten zum Ausdruck bringt, „durch die Schaffung einer Zollunion . . . im gemeinsamen Interesse zur harmonischen Entwicklung des Welthandels ... beizutragen". Die Begünstigung der assoziierten Länder in Afrika durch Zollpräferenzen, so wird in Lateinamerika argumentiert, könne nicht ohne Wirkung auf die internationalen Handelsströme, insbesondere den EWG-Import von tropischen Agrarprodukten, bleiben und stehe mithin im Widerspruch zu der in Artikel 110 zum Ausdruck gebrachten Absicht der Gemeinschaft.

Ein weiterer Anlaß zu heftiger Kritik seitens der lateinamerikanischen Drittländer ist die Erweiterung des Kreises der assoziierten Länder. Offenbar hatte sich in lateinamerikanischen Fachkreisen die Vorstellung festgesetzt, daß Artikel 131 des EWG-Vertrages gewissermaßen als „numerus clausus" für die für eine Assoziierung in Betracht kommenden Länder zu gelten habe. Nach Artikel 131 sollen „die außereuropäischen Länder und Hoheitsgebiete, die mit Belgien, Frankreich, Italien und den Niederlanden besondere Beziehungen unterhalten", der Gemeinschaft assoziiert werden.

In der Tat waren die sogenannten Alt-Assoziierten ausnahmslos Länder, die zu einem Mitgliedstaat der EWG „besondere Beziehungen" unterhielten, das heißt in einem Abhängigkeitsverhältnis irgendeiner Art entweder gestanden hatten oder im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ersten Assoziierungsabkommens noch standen.

Anläßlich der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens in Jaunde am 20. Juli 1963 wurde sodann aber seitens der EWG die Absicht erklärt, mit weiteren Drittländern über die Herstellung engerer Beziehungen zu verhandeln. Als erstes Commonwealth-Land schloß im Juli 1966 Nigeria ein Assoziierungsabkommen besonderer Art mit der Gemeinschaft, im Juli 1968 folgten die ebenfalls zum Commonwealth of Nations gehörenden ost-afrikanischen Länder Kenia, Uganda und Tansania, und Ende März 1969 wurden nach jahrelangen Vorgesprächen Assoziierungsverträge zwischen der EWG und den Maghreb-Ländern Tunesien und Marokko unterzeichnet

Die Resonanz, die die Assoziierung als Instrument der EWG-Außenpolitik in Lateinamerika fand, hat sich mit der Ausdehnung des Kreises der assoziierten Länder über die sogenannten „Assoziierten der ersten Stunde" hinaus grundlegend geändert. Während sich objektive lateinamerikanische Kreise von Anfang an bemüht zeigten, für die nach Artikel 131 des EWG-Vertrages geschlossenen Assoziierungsabkommen Verständnis aufzubringen, zumal diese Vereinbarungen als Ausdruck besonderen Verantwortungsbewußtseins bestimmter EWG-Mitgliedsländer gegenüber ihren ehemaligen Einflußgebieten in Afrika angesehen werden können, lösten alle späteren Assoziierungsverhandlungen in Lateinamerika, und zwar insonderheit in den Kaffee und Kakao produzierenden lateinamerikanischen Ländern, starke Kritik aus.

Als jüngste bedeutsame Stellungnahme aus Lateinamerika zur Assoziierungspolitik der EWG sei die Verlautbarung einer Minister-konferenz zitiert, die Ende Juni 1968 in Santo Domingo stattfand. Diese von der Comisiön Especial de Coordinacin Latinoamericana (CECLA) einberufene Konferenz befaßte sich sowohl mit Grundsatzfragen der europäisch-afrikanischen Assoziierung als auch mit dem damals im Endstadium der Vorverhandlungen befindlichen Assoziierungsabkommen mit Kenia, Uganda und Tansania. In einer von der CECLA herausgegebenen Resolution wird besonders hervorgehoben, daß die Kritik Lateinamerikas an der europäisch-afrikanischen Assoziierung keinesfalls gleichgestellt werden dürfe mit einer Opposition gegen die Bemühungen der EWG um die wirtschaftliche Entwicklung der assoziierten Länder in Afrika. Jedoch dürfe sich, wie es in der Resolution heißt, die Assoziierungspolitik keiner Maßnahmen der Handelsdiskriminierung zum Nachteil Lateinamerikas bedienen. Ferner wird zu Recht auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich aus der Beibehaltung regional begrenzter Zollpräferenzen für die Schaffung eines allgemeinen, weltweiten Präferenzen-systems zugunsten aller Entwicklungsländer gemäß den Beschlüssen der letzten Welthandelskonferenz ergeben müssen.

Rechtliche Grundlagen der Neu-Assoziierung Der lateinamerikanischen Kritik kann indessen entgegengehalten werden, daß weder eine überdurchschnittliche Steigerung des Waren-verkehrs innerhalb des Kreises der Mitglieds-und assoziierten Länder noch die Ausdehnung der Assoziierung über den in Artikel 131 abgegrenzten Länderkreis hinaus im Widerspruch zu den rechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft steht.

In aller Deutlichkeit bringt Artikel 131 des EWG-Vertrages in seinem zweiten Absatz zum Ausdruck, daß „die Assoziierung in erster Linie den Interessen der Einwohner dieser (assoziierten) Länder und Hoheitsgebiete dienen und ihren Wohlstand fördern" soll. Daraus ergibt sich, daß eine Bevorzugung der Assoziierten seitens der EWG beabsichtigt ist und als vereinbar mit dem Wortlaut des Artikels 110 angesehen wird. Als „harmonische Entwicklung des Welthandels" ist mithin nicht die starre Beibehaltung der vor Gründung der EWG gegebenen regionalen Aufteilung des Gesamtimports der sechs EWG-Länder zu verstehen, sondern lediglich die Vermeidung einer ausgesprochen disharmonischen Weiterentwicklung des internationalen Güteraustausches.

Die Ausweitung des Kreises der assoziierten Länder ist ausdrücklich in Artikel 238 des EWG-Vertrages und Artikel 58 des Jaunde-Abkommens vorgesehen. In Artikel 238 des EWG-Vertrages heißt es, daß „die Gemeinschaft . . . mit einem dritten Staat, einer Staatenverbindung oder einer internationalen Organisation Abkommen schließen (kann), die eine Assoziierung ,., herstellen", und Artikel 58 des Abkommens von Jaunde spricht von der möglichen Assoziierung von Staaten, deren „Wirtschaftsstruktur und Produktion mit denen der assoziierten Staaten vergleichbar sind". In beiden Artikeln ist von einer Beschränkung der Assoziierungspolitik auf Staaten mit besonderen Beziehungen zu einem der sechs Mitgliedsländer nicht die Rede.

Was sagt die Statistik?

Einwände gegen die lateinamerikanische Kritik an der Assoziierungspolitik lassen sich aber auch aus den Außenhandelsergebnissen der letzten Jahre herleiten. Ernsthafte Störungen der harmonischen Entwicklung des Welthandels sind bisher von der Assoziierung nicht ausgegangen und für die überschaubare Zukunft wohl auch kaum zu befürchten. Es erscheint zwar unmöglich, den Einfluß der Zoll-präferenzen für tropische Agrarprodukte aus assoziierten afrikanischen Ländern auf den Import der sechs EWG-Länder exakt zu ermitteln; sicherlich haben die Zollvorteile im afrikanisch-lateinamerikanischen Wettbewerb zugunsten der assoziierten Länder in Afrika gewirkt, wie es ihr Zweck ist; ebenso sicher ist es aber auch, daß eine ausgesprochen disharmonische Entwicklung der EWG-Einfuhr von Kaffee, Bananen, Kakao und anderen tropischen Erzeugnissen aus Lateinamerika als Folge der Assoziierungspolitik bisher nicht zu beobachten war.

Der Kaffeeimport der EWG aus Lateinamerika ist bis 1965 gestiegen und hält sich seither auf nahezu unverändertem Niveau; 1967 machte er 59, 5 0/0 vom gesamten Kaffeeimport der EWG aus. Die Einfuhr von Bananen aus Lateinamerika erreichte 1967 weit mehr als das Doppelte des Wertes von 1958; im Jahre 1967 entfielen 55 0/0 der gesamten Bananeneinfuhr der EWG auf lateinamerikanische Lieferländer.

Hinsichtlich der in Zukunft zu erwartenden Wirkungen der Assoziierung ist es bedeutsam, daß sowohl das mit Nigeria als auch das mit Kenia, Uganda und Tansania unterzeichnete Assoziierungsabkommen Vorschriften enthalten, die der Vermeidung von größeren Strukturänderungen im internationalen Handel dienen sollen. So schreibt zum Beispiel das am 27. Juli 1968 in Arusha mit den genannten drei ostafrikanischen Ländern unterzeichnete Abkommen vor, daß die Zollfreiheit für Kaffeeeinfuhr aus Kenia, Uganda und Tansania auf die Menge beschränkt bleiben soll, die der jährlichen Durchschnittseinfuhr der Gemeinschaft aus diesen Ländern in den dem Vertragsschluß vorausgegangenen drei Jahren entspricht. Diese Bestimmung bezweckt den Schutz wirtschaftlicher Interessen anderer assoziierter Länder, sie begünstigt aber gleichzeitig auch die lateinamerikanischen Kaffee-länder.

Der wohl überzeugendste Beweis dafür, daß die europäisch-afrikanische Assoziierung bisher zu keiner nennenswerten Diskriminierung Lateinamerikas geführt hat, ergibt sich aus einer Gegenüberstellung des EWG-Außenhandels mit den assoziierten Ländern und den lateinamerikanischen Ländern, wie sie in Tabelle 4 enthalten ist. In der Zeit von 1958 bis 1967 verringerte sich Lateinamerikas Anteil am EWG-Import von 10, 2 °/o auf 8, 9 °/o, der Anteil der assoziierten Länder aber von 5, 6 °/o auf 4, 2 °/o. Beide Ländergruppen haben also als Lieferanten der Gemeinschaft an Bedeutung verloren, aber die assoziierten Länder noch mehr als die lateinamerikanischen. In derselben Zeitspanne stieg der Gesamtexport Lateinamerikas in den EWG-Raum um 66 °/o, derjenige der assoziierten Länder um 43 °/o. Diese Zahlen erscheinen kaum geeignet, die Vermutung einer durch die Assoziierungspolitik der EWG verursachten Diskriminierung des lateinamerikanischen Subkontinents aufkommen zu lassen.

Dagegen erscheint aber das auch in der zitierten CECLA-Resolution verwendete Argument stichhaltig, nach dem die Gewährung von Zoll-präferenzen an eine begrenzte Gruppe von Ländern unvereinbar ist mit dem Streben nach einem weltweiten Präferenzensystem zugunsten der Gesamtheit der Entwicklungsländer. Angesichts der Bemühungen der Welthandels-konferenz um eine weltweite Lösung der Probleme des internationalen Handels mutet der Abschluß von Freihandelsvereinbarungen zwischen der EWG und einzelnen afrikanischen Entwicklungsländern in der Tat anachronistisch an.

VI. Zusammenfassung

0/0 Tabelle 4 EWG-Außenhandel 1958 und 1967 Länder; Ländergruppen Insgesamt ............... ........................ USA ............... ................................. EFTA ............................................... .. Lateinamerika ................................ Assoziierte afrikanische Länder und Madagaskar ........................ Nichtassoziierte afrikanische Länder ........... 1958 Mio. $16 156 2 808 3 608 1 647 914 1 521 °/o Einfuhr 100 17, 3 22, 2 10, 2 5, 6 9. 4 1967 Mio. $30 767 5 858 7

Wenn es in den vergangenen Jahren zu einer Belastung des Verhältnisses zwischen der EWG und Lateinamerika gekommen ist, so ist das nur zum Teil auf reale Auswirkungen der europäischen Integration zum Nachteil Lateinamerikas zurückzuführen, zum wohl ebenso großen Teil aber auf Mißverständnisse in Lateinamerika und auf die besonders in den ersten Jahren nach Gründung der Gemeinschaft nicht immer ausreichenden europäischen Bemühungen, den lateinamerikanischen Part-nerländern Klarheit über die konkreten Ziele der Integrationspolitik zu vermitteln. Mit bemerkenswerter Selbstkritik sagte der Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Jean Rey, in einer am 11. Juli 1968 in Hamburg gehaltenen Rede „Seit Jahren sind wir im Gespräch mit den latein-amerikanischen Ländern. ... Wir haben uns regelmäßig mit den Botschaftern zu Gesprächen getroffen. Wir haben vor allem versucht, in der Kennedy-Runde etwas zu tun. Es war nicht ohne Erfolg, aber es war bescheiden, ganz bescheiden. ... Die Zeit ist m. E. gekommen, wieder in direkten Kontakten mit den lateinamerikanischen Staaten zu einem besseren Zusammenwirken zwischen ihnen und der Gemeinschaft zu kommen."

Im Hinblick auf die künftige Gestaltung der europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen sollen abschließend die folgenden Ergebnisse des vorstehenden Gedankenganges noch einmal herausgestellt werden: 1. Es erscheint notwendig, von europäischer Seite darauf hinzuwirken, daß die EWG in Lateinamerika nicht allein an wirtschaftlichen Maßstäben gemessen wird. Mit der europäischen Integration werden über die wirtschaftlichen Zielsetzungen hinaus weltpolitische Ziele angestrebt; insbesondere soll der Zusammenschluß der sechs europäischen Industrieländer der Herstellung und Sicherung des Weltfriedens dienen, also der Erreichung eines politischen Zieles, an dem auch die lateinamerikanischen Länder in hohem Maße interessiert sind. 2. Ferner erscheint es wünschenswert und dem besseren Verständnis der europäischen Integration dienlich, daß man in Lateinamerika die EWG weniger als eine isolierte Erscheinung denn als einen Teilvorgang der weltweiten Entwicklung zur Entstehung größerer politischer und wirtschaftlicher Räume betrachtet und beurteilt. Andere Teilprozesse dieser Entwicklung sind die Schaffung der Europäischen Freihandelszone (EFTA), der Lateinamerikanischen Freihandelszone (ALALC), des Gemeinsamen Marktes in Zentralamerika, aber auch das Zusammenwirken der Ostblockländer im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) und die beginnenden Integrationsbemühungen im afrikanischen Kontinent. 3. Der lateinamerikanischen Kritik an den wirtschaftlichen Auswirkungen der EWG kann und soll von europäischer Seite entgegengehalten werden, daß die Entstehung eines großen westeuropäischen Marktes erhöhte Absatzchancen auch für lateinamerikanische Produkte zur Folge gehabt hat. Zu Recht wird zwar von lateinamerikanischer Seite auf den schwindenden Anteil Lateinamerikas am Gesamtimport der Gemeinschaft hingewiesen; das ist jedoch kein spezifisch lateinamerikanisches Problem, sondern vielmehr eine die Mehrzahl aller Entwicklungsländer benachteiligende Entwicklung, die wirksame Gegenmaßnahmen nicht nur seitens der EWG, sondern seitens der Gesamtheit der Industrieländer erfordert. 4. Die Assoziierungspolitik hat bisher zu keiner nennenswerten Diskriminierung Lateinamerikas geführt. Die lateinamerikanische Kritik an der europäisch-afrikanischen Assoziierung ist mithin vornehmlich psychologisch zu erklären. Zum Teil erklärt sie sich aus dem Bestreben Lateinamerikas, eine allzu starke wirtschaftliche Orientierung auf die USA durch Ausbau der Kontakte mit Westeuropa zu verhindern, zum Teil aber sicherlich auch aus den in Europa immer wieder geäußerten Beteuerungen der historisch gewachsenen europäisch-lateinamerikanischen Freundschaft, die sich aus lateinamerikanischer Sicht mit einer Ausrichtung der EWG auf die afrikanischen Entwicklungsländer schlecht in Einklang bringen läßt. 5. Um einer lateinamerikanischen Kritik an der Assoziierungspolitik der EWG wirksam zu begegnen, erscheint es erforderlich, daß seitens der EWG-Kommission der direkte Kontakt zu den Regierungen der lateinamerikanischen Länder ausgenommen und auf höchster Ebene das Gespräch über die Lateinamerika interessierenden Aspekte der europäischen Integrationspolitik gesucht wird. Insbesondere erscheint es angebracht, alle auf dem Gebiet der Assoziierungspolitik bestehenden Absichten den lateinamerikanischen Regierungen und, wenn möglich, auch einer weiteren Öffentlichkeit in den lateinamerikanischen Ländern darzulegen, um damit der Entstehung neuer Vorurteile und psychologischer Belastungen der europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen vorzubeugen. In diesem Zusammenhang ist das im November 1968 von der Regierung Italiens der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vorgelegte Memorandum, in dem „die Ausarbeitung eines organischen Programms für die Wirtschaftspolitik gegenüber den lateinamerikanischen Ländern" gefordert wird, als beispielhafte Initiative zu erwähnen. 6. Etwaigen wirtschaftlichen Auswirkungen der Assoziierungspolitik auf Lateinamerika sollten dadurch immer engere Grenzen gesetzt werden, daß die Außenzölle der Gemeinschaft konsequent weiter abgebaut und damit die Präferenzmarge für tropische Produkte immer weiter verringert wird. Ein solches Vorgehen der EWG wäre gleichzeitig geeignet, den bestehenden Widerspruch zwischen der Gewährung von Zollpräferenzen an die assoziierten Länder und dem von der Welthandelskonferenz vorgeschlagenen weltweiten Präferenzen-system allmählich aufzulösen. 7. Als neuralgischer Punkt der europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen bleibt schließlich die gemeinsame Agrarpolitik der EWG. Die bisher feststellbaren Wirkungen dieser Politik auf den Außenhandel mit Dritt-ländern sowie auch ihre Wirkungslosigkeit hinsichtlich der erforderlichen Modernisierung der Struktur der westeuropäischen Landwirtschaft berechtigen zu der Frage, ob nicht doch — entgegen der Meinung von Mansholt — eine grundsätzliche Änderung des Systems der Marktordnungen unumgänglich sein wird. Es ist dringend zu wünschen, daß bei der Diskussion um die Neugestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik auch die berechtigten Belange der lateinamerikanischen Drittländer angemessene Berücksichtigung finden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe hierzu z. B. M. W. Clauss, Die dritte Phase der europäisch-afrikanischen Assoziierung. Zur Erneuerung des Abkommens von Jaunde, in: Verfassung und Recht in Übersee, 4. Quartal 1968, 4. Heft, S. 453 ff.

  2. Die Idee Europa 1300— 1946. Quellen zur Geschichte der politischen Einigung, hrsg. von R. H. Foerster, München 1963, S. 226 ff.

  3. Die Idee Europa, S. 253 ff.

  4. A. J. Toynbee, Die Zukunft des Westens (deutsch von R. H. Foerster), München 1964, S. 60.

  5. C. F. von Weizsäcker, Rede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 13. 10. 1963.

  6. Zitiert nach C. Schöndube, Grundsatzfragen der europäischen Integration, Hangelar 1968, S. 9 f.

  7. Zitiert nach H. -J. Hartmann und J. Westphalen, Europa auf falschem Kurs? Lateinamerikanische EWG-Sorgen, Hamburg 1963, S. 87.

  8. Siehe hierzu z. B. Welternährungskrise oder ist eine Hungerkatastrophe unausweichlich?, hrsg. von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, Reinbek 1968, S. 9 ff.

  9. Hacia la Coordinacin de la Politica Comercial de America Latina. Las Relaciones con la Cornunidad Econömica Europea. Anälisis y recomendaciones del grupo de consultores convocado por la Secretarfa, hrsg. von CEPAL, Santiago de Chile 1962.

  10. La Participacion de Europa en el Financiamiento del Desarrollo de America Latina, hrsg von Banco Interamericano de Desarrollo, Washington, D. C. 1969 (hektographiert), S. 24 a, 29.

  11. Siehe hierzu auch H. -J. Hartmann und J. Westphalen, a. a. O., S. 67 f.

  12. Die Industrialisierung Lateinamerikas und der deutsche Außenhandel, hrsg. von der Deutschen überseeischen Bank, Hamburg 1967, S. 38.

  13. Principales Tendencias de la Economia Latinoamericana en 1967 y 1968 que Afectan el Cumplirniento de los objetivos de la Alianza para el Progreso, hrsg. von der Organizacin de los Estados Ämericanos, Washington, D. C. 1969, S. 1, 12.

  14. Principales Tendencias de la Economfa ..., a. a. O., S. 61

  15. Der Außenhandel der EWG im Laufe der ersten zehn Jahre .. ., a. a. O., S. 10.

  16. Hacia la Coordinacion ..., a. a. O.

  17. Vorträge der Festkundgebung zum 100jährigen Jubiläum am 19. September 1968 im Hamburger Rathaus, hrsg. vom Verein der Getreidehändler der Hamburger Börse e. V., S. 17 ff.

  18. Landwirtschaft 1980. Die Europäische Kommission zum Kern der Agrarpolitik — der Struktur-reform, hrsg. von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sprechergruppe, Brüssel 10. 12. 1968 (hektographiert).

  19. Siehe hierzu J. Westphalen, Ein Jahrzehnt deutsch-iberoamerikanische Wirtschaftsbeziehungen, in: Übersee-Rundschau, Februar 1969, Heft 2, S. 4 ff.

  20. Siehe hierzu J. Westphalen, Die europäisch-afrikanische Assoziierung und die lateinamerikanischen Drittländer, in: Verfassung und Recht in Übersee, 1. Quartal 1969, 1. Heft, S. 77 ff.

  21. Die Verträge mit allen hier genannten neu-assoziierten Ländern sind noch nicht in Kraft getreten, da in verschiedenen am Vertragsschluß beteiligten Staaten die Ratifizierung noch aussteht.

  22. J. Rey, Die Rolle und die Verantwortlichkeiten der Gemeinschaft in der Welt, in: Der ÜberseeClub Hamburg. Mitteilungen (Juli 1968), S. 5 ff.

Weitere Inhalte

längerer Aufenthalt vom November 1966 bis März 1968 vornehmlich in Peru und Chile. Veröffentlichungen u. a.: Die Erdölindustrie in Bolivien und ihre wachsende Bedeutung für die bolivianische Volkswirtschaft, Köln und Opladen 1963; Europa auf falschem Kurs? Lateinamerikanische EWG-Sorgen (Mitverf.), Hamburg 1963; Bevölkerungsexplosion und Wirtschaftsentwicklung in Lateinamerika, Hamburg 1966.