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Sicherheitskräfte in Preußen zu Beginn der Weimarer Republik | APuZ 47/1969 | bpb.de

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APuZ 47/1969 US-Hilfe für Lateinamerika -Unterstützung eines radikalen Wandels Entwicklung und Tendenzen der amerikanischen Auslandshilfe Sicherheitskräfte in Preußen zu Beginn der Weimarer Republik

Sicherheitskräfte in Preußen zu Beginn der Weimarer Republik

Ludwig Dierske

Von den Ereignissen, welche das Deutsche Kaiserreich beendeten, Deutschland an den Rand des Auseinanderfallens brachten und die erstrebte republikanisch-demokratische Staatsform nur mit großer Mühe gegen die radikalen Kräfte verteidigen ließen, trennt uns jetzt ein halbes Jahrhundert. Der Blick auf die damalige Zeit ist inzwischen freier und klarer geworden, Archive haben sich geöffnet, Wesentliches ragt deutlicher aus dem Dunst gegenwartsbedingter Anschauungen und Einstellungen heraus, die Konturen der handelnden Personen sind in ihren Licht-und Schattenseiten erkennbarer geworden.

Dabei drängt sich einem die Erkenntnis auf: Die Träger der Idee eines auf Klassenverständigung und Parlamentarismus beruhenden demokratischen Staates sind von den Ereignissen im November 1918 überrascht worden; sie hatten versäumt, ihre Bestrebungen machtmäßig abzusichern.

Die bestehende Polizei-Organisation, durch Einziehungen zur Wehrmacht geschwächt, mit kriegsbedingten Verwaltungsausgaben überbeansprucht, dem vielfach aufflackernden Aufruhr gegenüber nach Gliederung, Ausrüstung und Ausbildung nicht gewachsen, des Rückhaltes an der sich auflösenden Armee beraubt, war kein Machtinstrument für die neue Regierung. Wollte diese nicht bereits zu einem Zeitpunkt Objekt der Entwicklung werden, zu dem sie noch gar nicht begonnen hatte zu . regieren', so mußte sie sich unter Kompromissen nach Bundesgenossen umsehen, die ihr Macht

1. Begriff und Merkmale Dem Namen . Freikorps'haftete in den Jahren 1918 bis 1922 eine Vorstellung an, die vom . Retter des Vaterlandes'bis zur . Landplage'reichte; und das nicht nur vom parteipoliti-

Vorbemerkung

liehen oder gaben. Diese Tatsache hat die Entwicklung des neuen Staates stark beeinflußt und die Verantwortlichen zu von ihnen ungewollten und für viele Gutwillige unverständlichen Konzessionen gezwungen.

Bei den nachfolgenden Untersuchungen soll weniger der Ablauf der Ereignisse selbst erörtert werden als vielmehr die Ursachen, Hintergründe, Zusammenhänge und Folgen der Maßnahmen, die schließlich auf mitunter verschlungenen Wegen zur Schaffung neuer Sicherheitskräfte und damit zu einem Machtinstrument führten. Ich war an dieser Entwicklung als Armee-Offizier, Freikorpsangehöriger und Polizei-Offizier in Preußen zwar selbst beteiligt, aber manche Zusammenhänge wären mir auch heute noch unklar geblieben, hätte ich mich nicht bei der Niederschrift auch auf bisher unveröffentlichte Unterlagen stützen können, die mir von Archiven, Instituten, Bibliotheken und Dienststellen liebenswürdiger-weise zur Verfügung gestellt wurden; ihnen allen sei an dieser Stelle gedankt. Sie haben es mir ermöglicht, einen bescheidenen Beitrag zur Geschichte der Polizei aus diesem Zeitabschnitt zu leisten, deren Bearbeitung über stark zusammengefaßte Entwicklungen oder bestimmte polizeiliche Einsätze bisher leider nicht hinausgekommen ist, weil der vorbereitenden Geschichtsschreibung auf diesem Gebiet in der Vergangenheit wenig Bedeutung beigemessen wurde und heute im gespaltenen Deutschland ein großer Teil der Quellen nicht erreichbar ist.

I. Die Freikorps

schen Standpunkt, sondern auch von der Qualität der Truppe her. Es kam hinzu, daß sich mancher . Haufen'als Freikorps bezeichnete, der weder aus wirklich Freiwilligen bestand, noch ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zu entwickeln imstande war. Uneinheit31 lieh wie die Zusammensetzung war die Bezeichnung: Freikorps, Freiwilligen-Bataillon, Detachement, Selbstschutzverband, Grenzschutz-Einwohnerwehr, Ruhrkampforganisation. Im Jahre 1921 gab es etwa 65 anerkannte Freikorps, 20 Detachements und 125 Freiwilligen-Abteilungen bzw. -Regimenter mit zusammen etwa 400 000 Mann; dazu kamen etwa 30 Selbstschutz-und sechs Grenzschutz-Verbände, 14 größere Einwohnerwehren und zehn Ruhrkampforganisationen Alle diese Verbände waren auch in ihren Zielsetzungen und in ihren meist selbst übernommenen Aufgaben sehr verschieden. Eine Unterscheidung zwischen Freikorps und anderen Verbänden war oft äußerst schwierig. Der Preußische Minister des Innern erklärte nur diejenigen Angehörigen der Freikorps, Sicherheitswehren usw. zu Personen des Soldatenstandes im Sinne der §§ 172 und 1235 der Reichsversicherungsordnung, die auf Anordnung einer militärischen Kommando-Behörde an einen Freiwilligen-oder Truppen-Verband angegliedert waren und auf Befehl einer solchen Stelle militärischen Dienst taten (MBliV. vom 7. 8. 1919 S. 371). Das galt sowohl für die Angehörigen der durch Gesetz vom 12. 12. 1918 (RGBl. S. 1424) gebildeten freiwilligen Volkswehr wie für die auf Grund der Erlasse des preuß. Kriegsministeriums vom 24. 11. und 5. 12. 1918 (AVB 1. S. 739) aufgestellten Grenzschutztruppen und für die übrigen auf Veranlassung oder mit Zustimmung der Regierung gebildeten Bürger-, Einwohner-, Sicherheits-und republikanischen Soldatenwehren.

Wenn man die Merkmale der damaligen Frei-korps zu bestimmen versucht, wird man von folgenden Voraussetzungen auszugehen haben: Die Angehörigen mußten Personen des Soldatenstandes sein; es mußte sich um militärische Ausnahmegebilde mit freiwilligem Ein-und Austritt handeln, die zum Schutz der Grenzen und (oder) der inneren Ordnung für Notzeiten geschaffen worden waren und unter dem Befehl einer militärischen Kommando-Stelle standen; sie waren meistens von Führern mit besonderer Autorität ins Leben gerufen worden und zerfielen, wenn diese Personen abtraten. Diese Merkmale waren nicht bei allen Freikorps erfüllt; es gab Übergänge der verschiedensten Art. Zweck und Einsatz Als wir im November 1918 als Fronttruppe aus der Gegend von Fumay das Ahrtal hinab nach Lollar im Lahntal marschierten, um von dort den Marsch nach Berlin mit der Eisenbahn fortzusetzen, hatte sich an dem Zusammenhalt in der Truppe und ihrer Disziplin nichts geändert. Auch nach der Rückkehr in die Garnison vollzogen sich die Entlassungen ordnungsgemäß und ohne Zwischenfälle. Örtlichen Soldatenräten gelang es nur ganz vereinzelt, Einfluß auf die Truppe zu gewinnen. Der Aufruf der Obersten Heeresleitung (OHL) vom 24. November 1918 zur Meldung Freiwilliger für den Heimatschutz Ost fand allerdings kaum Anklang. Das war nach mehr als vier Kriegsjahren durchaus verständlich; die Sorge um Haus und Hof, um Weib und Kind, um die berufliche Stellung überwog die vaterländische Opferbereitschaft. Geschlossene Truppenteile, die bereit und in der Lage gewesen wären, in ihrer alten Einheit oder ihrem bisherigen Verband den Kampf gegen die radikalen, die neue Regierung bedrohenden Gruppen aufzunehmen, standen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht zur Verfügung. Wo ein Versuch gemacht wurde (z. B. am 24. Dezember 1918 mit dem Angriff auf das Marstall-Gebäude in Berlin), schlug er fehl. Mit den Truppen der alten Armee war entgegen den Erwartungen der Regierung dieser den Charakter eines Bürgerkrieges annehmenden Art des Kampfes nicht beizukommen. Andererseits mußte den Kräften, die den Umsturz zu einem Rätestaat russischer Prägung weitertreiben wollten, Einhalt geboten werden, sollten nicht noch weitere Gebiete verloren gehen und der Rest des Reiches in einem Chaos versinken. Die polizeilichen Kräfte waren zu schwach und gegenüber dem bewaffneten Aufruhr machtlos. Es war unter den obwaltenden Umständen ein Gebot der Not und des Verstandes, aus Freiwilligen Verbände aufzustellen. Darin waren sich . Regierung und die noch bestehende Oberste Heeresleitung bereits im November 1918 einig; seitens der Regierung waren Ebert und Noske die Befürworter, seitens der OHL waren es Groener und von Schleicher 1).

Für die Aufstellung von Verbänden auf freiwilliger Basis stellten sich Tausende junger Leute aus welchen Gründen auch immer zur Verfügung, die in der alten Armee während des Krieges gedient hatten. Aber eine Einsicht kam allen Beteiligten sehr bald: ohne Mitwirkung der Offiziere waren solche Freiwilligenverbände nicht aufzustellen. Diese Einstellung fand — und das ist sehr bezeichnend für die damalige Gesamtlage — ihren Ausdruck u. a.

in einer Adresse der überwiegenden Mehrheit der Nationalversammlung vom 23. Juni 1919 an die OHL, in der es hieß: „Ungeheure und niederdrückende Anforderungen stellt der trotz dem Heldenmut unserer Truppen uns aufgezwungene Friede an alle Teile des Volkes, besonders schwere aber an das Ehrgefühl unserer Soldaten. Das deutsche Volk erwartet zuversichtlich, daß Heer und Marine, Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, treu ihrer [großen Vergangenheit, in dieser schwersten Zeit ein Beispiel der Selbstverleugnung und Aufopferung geben und Hand in Hand mit den anderen Volksgenossen an der Wieder-aufrichtung unseres Vaterlandes arbeiten werden. Es muß gelingen, wenn alle ihre vaterländische Pflicht erfüllen."

Es ist nicht der Zweck dieser Niederschrift, die einzelnen Unruhen und Störungen dieser Jahre darzustellen; darüber gibt es bereits eine umfangreiche Literatur. Für die Entwicklung der Freikorps sind die Zielsetzung, die Einstellung und die Einsatzfähigkeit, die Organisation und die Ausrüstung bedeutsam gewesen, weil nur vor diesem Hintergrund die spätere Schaffung einer Sicherheitspolizei verständlich wird. Unter diesem Aspekt beschränke ich mich im folgenden auf die Darstellung des Wirkens derjenigen Freikorps, die sich die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung zur Aufgabe stellten, und scheide diejenigen aus der Betrachtung aus, die ganz oder überwiegend der Verteidigung der Reichsgrenzen dienten (wie z. B. die Eiserne Division unter Major Bischoff im Baltikum). Auch auf die Schilderung der Tätigkeit der Freikorps und Selbstschutz-Organisationen, die sich in Oberschlesien bildeten oder während der drei Polenaufstände dorthin verlegt wurden (z. B. Freikorps Oberland unter Ritter von Epp, Freikorps Roßbach, von Aulock) muß hier verzichtet werden. Lediglich die Abstimmungspolizei ist in den Kreis der Betrachtungen einzubeziehen, weil diese in Oberschlesien überwiegend mit Aufgaben der inneren Sicherheit, wenn auch unter der Aufsicht der Interalliierten Regierungs-und Plebiszit-Kommission, betraut war. Schließlich muß auch die „Schwarze Reichs-wehr" außer Betracht bleiben, weil diese Kräfte paramilitärische, der äußeren Sicherheit zugeordnete Verbände waren. Es bleibt also nur ein Teil der Freikorps und der Selbstschutz-Organisationen zur Erörterung übrig, wobei zwischen solchen mit rein militärischer Struktur (z. B. Landesjägerkorps Maercker, Garde-Kavallerie-Schützendivision unter Lequis, Freiwilligen-Brigade Reinhardt, Freikorps von Aulock, von Epp, Potsdam, Roßbach, das Freischützenkorps Meyn, das zum Kern der Berliner Sicherheitspolizei wurde, Volksmarinedivision [später in die Republikanische Sicherheits-(Soldaten) -Wehr eingegliedert und von Noske am 28. 2. 1919 aufgelöst], Schutzregiment Groß-Berlin, Regiment Reichstag unter dem , Vorwärts'-Redakteur Kuttner, Republikanischer Führerbund) und solchen mit überwiegend polizeilichen Aufgaben unterschieden wird. Mit derartigen Aufgaben waren in erster Linie die Einwohnerwehren, Sicherheitsund Ortswehren betraut, selbst wenn die Tätigkeit sich mitunter und vorübergehend in den militärischen Bereich verlagerte.

Die politische Einstellung und der Einsatzwert dieser Sicherheitskräfte waren sehr unterschiedlich. Allgemein ist in diesem Zusammenhang festzustellen, daß mit den angeblich republikanisch-demokratisch eingestellten Frei-korps auch nach dem unbefangenen Urteil von Ebert und Noske häufig nicht viel anzufangen war. Das galt sowohl a) für die von dem damaligen Berliner Stadtkommandanten Wels — nachdem dessen Aufruf zur Gründung einer Republikanischen Soldatenwehr ein nur sehr schwaches Echo gefunden hatte — im November 1918 bei Noske angeforderten Marinetruppen, die durch Soldaten aus Berlin zur Volksmarine-Division ergänzt wurden, sich aber am 5. März 1919 den Aufständischen anschlossen, als auch b) für das auf Grund des Gesetzes vom 12. 12. 1918 geschaffene Volks-und Parlamentsheer, das über wenige Volkswehren von nur kurzer Lebensdauer nicht hinaus-kam, insbesondere weil ihm geeignete Führer fehlten — mit der Wahl der Führer durch die Truppe selbst machte man keine guten Erfahrungen —, und c) ebenso für die meisten anderen Sicherheitswehren, die zwar zur Unterstützung der Regierung Ebert-Scheidemann aufgerufen waren, aber einen harten Einsatz scheuten.

Die , München-Augsburger Abendzeitung'schrieb im April 1919 über die Bayerische Rätearmee: „Unsere Truppen sind zu Umzü-B gen, Demonstrationen, Erklärungen zu haben, aber zu keiner wirklichen Leistung und Tätigkeit. . . . Sie stehen voll und ganz auf dem Boden der Revolution, hinter der Regierung, hinter dem Landtag, hinter dem Zentralrat, hinter jedem, der sich vordrängt, aber hinter keinem, der eine militärische Leistung von ihnen verlangt. Die Politik und die Untätigkeit haben sie verdorben."

Einige der republikanischen Verbände entwikkelten sich zu Freikorps mit militärischen Grundsätzen; so wurde z. B. aus dem Regiment Potsdam das Freikorps Potsdam, der Verband des Unteroffiziers Suppe — 2. Garde-Regiment zu Fuß — gliederte sich dem Freiwilli-gen-Regiment Reinhardt an, das Regiment Reichstag unterstellte sich der Deutschen Schutzdivision. Eine Ausnahme machte das bereits erwähnte, im Dezember 1918 geschaffene, republikanisch eingestellte und sehr disziplinierte Freischützenkorps Meyn in Berlin, das eine Stärke von über 800 Mann erreichte und den Grundstock für die spätere Berliner Sicherheitspolizei bildete. Da die Regierung sich nolens volens auf die Freikorps stützen mußte, förderte sie deren Aufbau auch durch den Aufwand erheblicher Geldmittel (nach einer Mitteilung des Staatssekretärs Schiffer sollen es in den Jahren 1919 und 1920 mehrere Milliarden Mark gewesen sein und unter Inanspruchnahme von Werbeanzeigen selbst in dem Parteiorgan . Vorwärts'.

Bei der Eile, mit der diese Verbände aufgestellt werden mußten, und bei der nicht zu erwartenden überzeugungsmäßigen Einstellung aller ihrer Angehörigen zur Demokratie konnte es nicht ausbleiben, daß einzelne Frei-korps unter dem Einfluß ihrer Führer oder der Entwicklung der politischen Verhältnisse in eine Gegnerschaft zu der neuen Regierung gerieten. Das galt z. B. für das Garde-Kavallerie-Schützenkorps in Berlin, das nach den Unruhen im Frühjahr 1919 eine Stärke von etwa 40 000 Mann erreicht hatte und unter dem Einfluß vorwiegend des Hauptmanns Pabst zu einer Gefahr für die Regierung geworden war. Diese sah sich im März 1919 gezwungen, das Korps aufzulösen. Pabst ging nun offen in das regierungsfeindliche Lager über und gründete mit dem Generallandschaftsdirektor Kapp die . Nationale Vereinigung'. Als der Reichswehr-Generalvon Lüttwitz am 10. März 1920 unter anderem sofortige Reichstagswahlen, Einstellung der weiteren Verminderung der Reichs-wehr und der weiteren Waffenabgabe verlangte und daraufhin seines Amtes enthoben wurde, inszenierte er am 13. März 1920 mit Kapp und Pabst zusammen einen Putsch gegen die Regierung. Das Unternehmen, dilettantisch vorbereitet, stieß auf den Widerstand weiter Bevölkerungskreise (Generalstreik) und brach bereits am 18. März zusammen. Die Folgen des Putsches wogen allerdings besonders im Ruhrgebiet schwer.

Am 9. Mai 1920 hatte der Forstrat Escherich in Regensburg durch den Zusammenschluß der verschiedenartigsten Vereine und Selbstschutz-Organisationen einen großen Verband (Orgesch) gegründet, in dem sich durch die Heeresverminderung brotlos gewordene Freikorps-Offiziere, rechtsradikale Studenten, mit den politischen Verhältnissen unzufriedene Bürger und zweifelhafte Abenteurer auch über den Bereich Bayerns hinaus sammelten. Diese Organisation trug die Waffen der auf Verlangen der Alliierten aufgelösten Einwohnerwehren in geheimen Depots zusammen und setzte sie bei einzelnen Aktionen ein. Sie durchkreuzte damit die Bestrebungen der Regierung, die Waffen nur in den Händen der dazu Berufenen — Polizei und Reichswehr — zu lassen.

Denn in Kreisen der Regierung setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, daß die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Lande nicht die Aufgabe privater Organisationen sein dürfe, sondern ausschließlich Sache der Staatsregierung sei. Durch das am 25. Februar 1919 in der Nationalversammlung eingebrachte und am 6. März 1919 gegen die Stimmen der USPD verabschiedete Gesetz zur Bildung einer . Vorläufigen Reichswehr'wurde der Reichspräsident ermächtigt, das bestehende Heer aufzulösen und auf demokratischer Grundlage eine Vorläufige Reichswehr mit dem Auftrag zu bilden, die Reichsgrenzen zu schützen, den Anordnungen der Reichsregierung Geltung zu verschaffen sowie die Ruhe und Ordnung im Innern aufrechtzuerhalten

Jedoch war ohne Freikorps die Sicherheit des Deutschen Reiches nicht zu erhalten; die außenpolitischen Gefahren wurden zu groß. Als die Auswirkungen eines russisch-polnischen Konfliktes in den Sommermonaten 1920 den preußischen Osten bedrohten, ersuchte die Reichsregierung am 21. Juli 1920 die Vertretung der Alliierten in Paris um die Zustimmung zur Aufstellung eines freiwilligen Grenzschutzes in Ostpreußen. Die personelle Zusammensetzung dieser Grenzschutz-Formationen wurde von Kreisräten, die die preußische Regierung eingesetzt hatte, kontrolliert. Gleichwohl war nicht zu verhindern, daß die Waffen dieser Grenzschutzverbände später nicht in die Hände der Reichswehr oder der Polizei gelangten, sondern in die Verstecke privater Organisationen Ähnlich lagen die Verhältnisse in Oberschlesien. Bei der kritischen inneren Lage des Reiches konnte nicht die gesamte Reichswehr in Schlesien konzentriert werden. In dem von der Entente verwalteten und besetzten Abstimmungsgebiet durften deutsche Truppen überhaupt nicht eingesetzt werden. So mußte innerhalb der Reichswehr der . Selbstschutz Oberschlesien’ eingerichtet und mit Waffen versorgt werden, die auch hier vielfach in falsche Hände gerieten Als Severing im März 1921 sein Amt als preußischer Innenminister vorübergehend verlassen mußte, empfahl er seinem Nachfolger Dominicus, zur Abwehr etwaiger polnischer Einfälle möglichst viele Hundertschaften der Schutzpolizei einzusetzen und die Abwehr von Angriffen und die Führung der Kämpfe nicht irgendwelchen Grenzschutzformationen, die von außerhalb kamen, zu überlassen 3. Die Einwohnerwehren Nach dem Vorbild der Bürgerwehren, wie sie sich im März 1848 in Berlin und später im übrigen Staatsgebiet gebildet hatten, entstanden alsbald nach dem Umsturz 1918 auch Einwohnerwehren. Diese Wehren hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die infolge der schweren Lebensmittelnot zunehmende Unsicherheit in Stadt und Land, das Anwachsen des Verbrechertums, den bewaffneten Aufruhr mit Plünderung und Bandendiebstahl durch Bildung von Selbsthilfe-Organisationen zu bekämpfen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Um in dieses System Ordnung zu bringen, hatte die preußische Staatsregierung eine Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Ministerium des Innern in Berlin eingerichtet, den Oberpräsidenten einen Referenten für Einwohnerwehr-Fragen zugeteilt (MBliV. 1919 S. 448) und mit Runderlaß vom 15. 4. 1919 (nicht veröffentlicht) sowie vom 15. 9. 1919 (MBliV S. 446) u. a. folgendes angeordnet: Für einen Selbstschutz sollten in möglichster Anlehnung an schon bestehende ähnliche Einrichtungen und zur Verstärkung der Polizeien durch Hilfspolizeibeamte Einwohnerwehren gebildet werden, sofern die Grundvoraussetzungen gegeben waren. Dazu gehörte die Zusammensetzung der Wehren aus allen Schichten der Bevölkerung ohne politische und wirtschaftliche Bindung; Aufstellung durch die örtlichen Kreis-und Gemeindebehörden unter Mitwirkung der Arbeiter-und Soldatenräte (Zusammenschluß zu Kreiswehren zweckmäßig); Mindestalter 20 Lebensjahre; möglichst Feldzugsteilnehmer; Auswahl durch Wehrberatungsausschüsse; Verpflichtung durch Handschlag auf die republikanische Staatsform; Wahl der Führer durch die Mitglieder der Einwohnerwehr; Unterstellung unter die Oberpräsidenten; die notwendigen Waffen (Gewehr, Karabiner oder Pistole, Koppel mit Seitengewehr, auf 100 Gewehre bis zu fünf Maschinengewehre) waren durch die Oberpräsidenten beim Kriegsministerium anzufordern; keine Verwendung gegen einen äußeren Feind; Waffengebrauch außer Dienst nur in Notwehr, im Dienst nach Androhung nur zur Erreichung des augenblicklichen Zweckes. Als solcher Zweck war im Sinne des erwähnten RdErl. vom 15. 9. 1919 anzusehen: a) Verhinderung der Absicht, den Dienst der Einwohnerwehr durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt unmöglich zu machen;

b) Verhinderung eines Verbrechens oder Vergehens, das die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Leib, Leben oder Eigentum bedrohte oder Betriebsmittel beschädigte oder zerstörte; c) Abwehr eines Angriffes bei Ausübung des Dienstes oder Brechung des Widerstandes;

d) Erzwingung der Anordnungen zur Wiederherstellung der Ordnung;

e) Schutz der der Einwohnerwehr anvertrauten Personen und Sachen;

f) Verhinderung des Entweichens Festgenommener oder des Versuches zur Befreiung von Gefangenen.

Durch ihren ausgesprochenen bürgerlichen Charakter unterschieden sich die Einwohner-wehren von den vorübergehend aus entlas35 senen Mannschaften des Heeres gebildeten freiwilligen Sicherheitstruppen (vgl. AVB 1. 1918 S. 648, 741, 746), den Abteilungen der Volks-wehr (Gesetz vom 12. 12. 1918) und den freiwilligen Grenzschutztruppen (Erlaß des Kriegsministers vom 15. 12. 1918 im AVB 1. S. 739).

Während die Einwohnerwehren und Ortswehren unter geschlossener Führung zunächst Gutes leisteten, über eine bemerkenswerte Disziplin verfügten und darum zu einem wirklichen Sicherheitsfaktor wurden, wandelte sich dieses günstige Bild im Laufe des Jahres 1919, als Anhänger des Rätesystems (USPD, KPD) Eingang in einen Teil dieser Wehren fanden und ihre Zuverlässigkeit in Frage stellten

Beim Kapp-Putsch im März 1920 erwies es sich, daß die insbesondere von dem späteren (ab 29. März 1920) preußischen Innenminister Severing und auch von militärischen Stellen gegen diese Wehren geäußerten Bedenken nur zu begründet waren: Die Kampfmittel der Einwohnerwehren fielen im Ruhrgebiet nahezu restlos in die Hände der Roten Armee Als Ersatz für die Einwohnerwehren wurden auf Grund des Bielefelder Abkommens im März 1920 im Ruhrgebiet Ortswehren zur Unterstützung der ordentlichen Sicherheitsorgane insbesondere aus der organisierten Arbeiter-, Angestellten-und Beamtenschaft gebildet; aber auch diese Ortswehren vermochten gegen die Rote Armee wenig auszurichten. Es zeigte sich erneut und immer deutlicher, daß mit diesen Befehlsmaßnahmen geordnete Zustände im politischen und wirtschaftlichen Leben nicht zu erreichen waren, daß die Waffen nur in den Händen derjenigen sein durften, die von Amts wegen dazu berufen und ausgebildet waren, und daß die Waffen denjenigen abgenommen werden mußten, die sie zu Unrecht behalten oder sich verschafft hatten.

Bei dieser Sachlage nahm es nicht wunder, daß die Erklärung der Konferenz von Spa vom 8. Juli 1920 die Entwaffnung und Auflösung der Einwohnerwehren verlangte — eine Maßnahme, die Innenminister Severing bereits kurz nach seiner Amtsübernahme am 13. April 1920 angeordnet hatte. Eine Ausnahme bildeten lediglich die Kreiswehren in Ostpreußen, die zu militärischen Dienstleistungen aufgerufen und einem Truppenteil angegliedert waren. 4. Organisation, Zusammensetzung und politische Einstellung der Freikorps Für die Gliederung der Freikorps bildeten sich sehr bald Grundsätze heraus, die zum Teil erheblich von der Organisation einer normalen Truppe abwichen. Ihr Gefechtswert hing nicht so sehr von der Art und dem Umfang der Bewaffnung und Ausbildung ab, sondern entscheidend von der Persönlichkeit des betreffenden Führers Infolgedessen waren die einzelnen Freikorps zu selbständigen Einsatz-verbänden — ähnlich den späteren Sicherheitspolizei-Abteilungen — zusammengefaßt und mit den nötigen Aufklärungskräften, Fernmeldemitteln und Waffen der verschiedensten Art ausgerüstet. So verfügte beispielsweise eine Abteilung des Landesjägerkorps Maercker über 3 Infanterie-Kompanien, 1 Maschinengewehr-Kompanie, 1 Batterie leichter Artillerie zu 3 Zügen und 1 Schwadron ebenfalls zu 3 Zügen. Manche Verbände kamen zahlenmäßig über die Stärke eines kleinen Bataillons nicht hinaus, andere erreichten die Stärke von Divisionen und Korps. Allen gemeinsam war a) die Aufgabe der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern und die Sicherung der Reichsgrenzen, b) die Zusammensetzung aus Freiwilligen, c) die Forderung strenger Manneszucht und d) die Mitwirkung von Vertrauensleuten bei der Verwaltung des Privatbesitzes der Truppe, bei Fragen der Verpflegung und Truppenwohlfahrt und bei der Beschwerdeführung. Der personelle Aufbau der Freikorps war — abgesehen z. B. von dem Landesjägerkorps Maercker — meistens wenig planvoll und wenig systematisch. Die erfolgreichsten und bewährtesten Freikorps waren häufig von jungen Offizieren ins Leben gerufen worden, die zwar über die nötige Autorität ihren Männern gegenüber verfügten, denen es aber an der politischen Urteilsfähigkeit mangelte. Mit der Devise . Immer feste druff'allein war jedoch gerade auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und Ordnung nicht weiterzukommen. Die Einordnung dieser jungen Offiziere in der Reichswehr und in der Sicherheitspolizei, ihrer bisherigen Stellung entsprechend, stieß naturgemäß auf erhebliche Schwierigkeiten und Wi-derstände, weil diesen Führern die notwendige Friedensausbildung fehlte und sie in einem plangemäßen Personalaufbau nicht unterzubringen waren. Zusagen, daß in das deutsche Friedensheer in erster Linie solche Offiziere und Unteroffiziere übernommen werden sollten, die sich im Kampf um die Erhaltung des Reiches gegenüber dem äußeren und inneren Gegner Verdienste erworben hätten, ließen sich z. T. nicht einhalten und trugen nicht dazu bei, diese Soldaten zu einer besonders pflicht-treuen und opferwilligen Stütze der Republik zu machen

Will man die Einstellung der für die Ordnung im Innern tätigen Freikorps zu Staats-und Regierungsform beurteilen, so müssen verschiedene Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

Die Einstellung war einmal nach Zusammensetzung der Truppe und nach der Persönlichkeit des Führers verschieden, dann aber auch sehr stark beeinflußt von dem Fronterlebnis eines harten Krieges. Die meisten Freikorps-Angehörigen waren Realisten genug, um zu erkennen, daß eine Restaurierung der Monarchie weder erreichbar noch erstrebenswert war; auch das Feldheer hatte sich hinter die neue Regierung weniger aus Gesinnungs-als aus Verstandesgründen gestellt. Meiner Ansicht nach am treffendsten hat General Maercker die Einstellung der damaligen Freikorps beurteilt. Als Ebert und Noske am 4. Januar 1919 in Zossen bei Berlin Abteilungen des Landesjägerkorps besichtigten und Ebert dabei die Frage nach der Zuverlässigkeit der Truppe stellte, antwortete Maercker, was denn heute . zuverlässig'sei. Der einfache Mann fände sich da nicht mehr ganz durch; er halte zur Regierung Ebert und sei der Todfeind der Spartakisten. Alles übrige sei ihm gleichgültig. Ebert und Noske waren mit dieser Antwort zufrieden Die Masse der Angehörigen der Freikorps und auch der späteren Sicherheitspolizei dachte ebenso; sie waren ihrem ganzen Herkommen, ihrer Erziehung und dem Fronterlebnis nach noch keine überzeugten Demokraten; sie waren aus Verstandesgründen und Erfahrung für Ordnung im Lande. Wer diese Ordnung anstrebte, dem stellten sie sich zur Verfügung, ohne sich um dessen politische Ideen und Pläne, die sie ohnehin wenig interessierten, zu kümmern. Sie vertrauten ihrem Führer, zumal wenn sie diesen aus den Kämpfen des Weltkrieges kannten, und waren bereit, ohne großes Nachdenken ihm zu folgen.

Als die Vorläufige Reichswehr aufgestellt und die Sicherheitspolizeien eingerichtet wurden, gab es für Hunderttausende von Soldaten der Freikorps in diesen verhältnismäßig kleinen Verbänden kein Unterkommen; die Wirtschaft konnte sie ebenfalls nicht aufnehmen. Die Soldaten versuchten deshalb gegen den Willen der Regierung ihre Freikorps zu erhalten und gerieten dabei vielfach in das Fahrwasser politisch radikaler Gruppen. Dadurch wiederum verringerte sich immer mehr die Neigung, Freikorps in die Reichswehr oder die Sicherheitspolizeien zu übernehmen.

Wenn allerdings Sebastian Haffner in der Zeitschrift , Stern'vom November 1968 unter der Überschrift Der große Verrat'schreibt: „Erstaunlicher noch als die erbarmungslose Rücksichtslosigkeit, mit der sie (Ebert und Noske) gegen die Revolutionäre von links vorgingen, denen sie doch ihre eigne Macht verdankten, ist die Arglosigkeit und Sorglosigkeit, mit der sie ihre eigenen Todfeinde von rechts bewaffneten und ans Blutlecken gewöhnten" so begeht er meiner Meinung nach nicht nur den Fehler, die Ereignisse der Jahre 1918 bis 1923 unter der Perspektive der Gegenwart zu beurteilen, sondern seine Ausführungen lassen auch das Bedauern erkennen, daß der Umsturz von 1918 keine richtige Revolution mit dem Ziel und dem Ergebnis eines bolschewistischen Rätesystems gewesen ist. Daß die Wahlen, zur Nationalversammlung vom 19. Januar 1919 eine eindeutige Billigung der Politik Eberts und Noskes erbrachten, läßt er unberücksichtigt.

Der Biograph von Admiral Canaris, K. H. Abs-hagen, wird den tatsächlichen Verhältnissen nicht durchweg gerecht, wenn er schreibt: „Neben zahlreichen normalen und fähigen Berufs-offizieren gab es alle möglichen Schattierungen von Landsknechts-und Abenteuerer-Naturen und Menschen, die in der Not der Zeit in sich plötzlich die Berufung zum politischen Retter des Volkes entdeckt und tiefgründige Verschwörungen im Kopf hatten." Was in den Freikorps an politischer Triebkraft wirksam wurde, hatte seinen Ursprung z. T. in Existenzsorgen, zum anderen Teil in dem Fronterlebnis, das die alten Anschauungen von dem unbedingten Gehorsam und von dem Unbeteiligtsein an politischen Entscheidungen ins Wanken gebracht hatte. Mag das Eigenleben der Freikorps hie und da zu einer Selbständigkeit des Handelns verführt haben, die Unterordnung, Disziplin und politisches Verstehen vermissen ließ; man würde der geschichtlichen Wahrheit und dem tatsächlichen Wollen der meisten Freikorpsangehörigen aber Unrecht tun, wenn man nicht feststellen wollte, daß der neue Staat ohne die von Ebert und Noske gestützten Freikorps in dem Durcheinander einer ungewollten Revolution, eines planlosen Zerstörens und einer vernichteten Autorität untergegangen wäre oder sehr bald durch eine national-revolutionäre Diktatur sein Ende gefunden hätte.

Ein kurzes Wort über das Verhältnis der Reichswehr zu den Freikorps. Die Vorläufige Reichswehr griff bei ihrem Aufbau auf einzelne Angehörige der Freikorps zurück, soweit sie nicht Freiwilligen-Verbände geschlossen übernahm. Das geschah allerdings nur dann und in dem Umfange, wie es mit einem zweckmäßigen Personalaufbau und einer angemessenen Beteiligung der Länder an der Verteidigung des Reiches vereinbar war. Die Reichswehrführung war nach den Erfahrungen, die sie mit dem Einsatz von Freiwilligen-Verbänden u. a. bei den Unruhen in München, beim Kapp-Putsch und bei dem Aufstand im Ruhrgebiet gemacht hatte, nicht mehr geneigt, die Aufstellung oder Erhaltung von Selbstschutz-Organisationen — insbesondere Freikorps — zu fördern und diese zum Bestandteil der neuen Reichswehr-Einheiten und -Verbände zu machen. In den Freikorps war mitunter Besserwissen an die Stelle von Gehorsam, Willkür an die Stelle von gebotener Selbständigkeit, Eigenmacht an die Stelle der Bindung an das Gesetz, Rücksichtslosigkeit an die Stelle von Zwangsmittel-Abwägung, Politik auf eigene Faust an die Stelle von Treue zur verfassungsmäßigen Pflicht getreten. Das gab zu denken! In einem Aufruf des Reichswehrministers Gessler und des Chefs der Heeresleitung von Seeckt nach dem Kapp-Putsch an die Truppen hieß es daher: „Es gilt dem Volk zu zeigen, daß die Reichswehr treu hinter der Verfassung steht und daß sie das Vertrauen des ganzen Volkes verdient. . . . Nur eine Truppe, die bei aller Bestimmtheit doch sachlich, ruhig und bescheiden auftritt und sich streng an die Gesetze hält, ist befähigt, irregeleitete deutsche Volksmitglieder wieder auf den Weg der Ordnung und der Verfassung zurückzuführen." Außerdem richtete von Seeckt am 19. März 1920 einen Erlaß an das Offizier-Korps der Reichswehr, in dem es u. a. hieß: „. . . Aus zahlreichen Anzeichen entnehme ich, daß vielen Angehörigen der Reichswehr die Lage noch nicht klar geworden ist, in die wir durch die Ereignisse des März geraten sind, daß wir die Folgen tragen müssen von dem, was politische Kurzsichtigkeit in Gefolgschaft hochverräterischer Bestrebungen angerichtet hat. ... so dürfen wir doch nicht bestreiten und verkennen, daß in unseren Reihen Verschuldungen vorgekommen sind, die Sühne heischen. . . . Ich bin nicht gesonnen, solche Vorkommnisse zu dulden oder zu vergessen. Für Truppen, welche die Ehre des Soldaten verletzt haben, ist in der Reichswehr kein Platz" Das war deutlich an die Adresse auch der der Reichswehr unterstellten Freikorps-Verbände gerichtet.

5. Auflösung der Freikorps und Wehrverbände

Ganz abgesehen davon, daß sowohl die Reichswehrführung als auch die preußische Regierung der Ansicht waren, die Verteidigung der Reichsgrenzen sowie die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Innern wären Sache der Reichswehr und der Polizei, erregten die Selbstschutzverbände den Argwohn der Alliierten, die in den Freikorps und Einwohnerwehren den Versuch sahen, neben den zugelassenen Streitkräften militärische oder paramilitärische Verbände zu unterhalten, die im geeigneten Augenblick das reguläre militärische Potential vervielfachen sollten. In einer Erklärung der Konferenz von Spa am 8. Juli 1920 forderten die Alliierten die Entwaffnung und Auflösung dieser Verbände. Die Reichsregierung entsprach aus den oben erwähnten eigenen Bedenken, denen sich der Chef der Heeresleitung ausdrücklich anschloß, dieser Forderung. Ein Gesetz vom August 1920 ordnete die Auflösung der Freikorps und Selbstschutzverbände, mit gewissen Ausnahmen für Ostpreußen, an. Diese Maßnahme stieß insbesondere in Bayern auf lebhafte Ablehnung. Britische Nationalisten stellten daher im März 1921 in London den Antrag, München zu besetzen und in Bayern einzumarschieren; dadurch sollte das Land Bayern gezwungen werden, die Entwaffnung durchzuführen und die Einwohnerwehren aufzulösen. Ein solches Eingreifen hätte das Gegenteil von dem bewirkt, was Reichsregierung, Landesregierung und Alliierte mit der Entwaffnung der Zivilbevölkerung anstrebten: es hätte den nationalistischen Kräften in Deutschland nur neuen Auftrieb gegeben und die inner-und außenpolitischen Spannungen erhöht

Die bayerischen und nun auch die ostpreußischen Einwohnerwehren sowie die Organisationen Escherich, Oberland, Roßbach, Hubertus, Aulock und Heydebreck wurden durch Bekanntmachung der Reichsregierung vom 24. Juni 1921 aufgelöst und die Mitgliedschaft in den genannten Verbänden verboten (MBliV 1921 S. 391). Als genau ein Jahr später, am 24. Juni 1922,'der Reichsaußenminister Walther Rathenau aus politischen Gründen ermordet wurde, stellte ein aus diesem Anlaß geschaffenes Gesetz zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922 u. a. die Teilnahme an Vereinigungen, welche die Beseitigung von Mitgliedern der republikanischen Regierung des Reiches oder eines Landes erstrebten oder duldeten und die Herabsetzung republikanischer Einrichtungen öffentlich vornahmen oder zuließen, unter schwere Strafe. Es wurden in diesem Zusammenhang auch folgende Vereinigungen verboten: die Deutschvölkische Turner-und Hundertschaft, der Deutschvölkische Schutz-und Trutzbund, der Jungdeutsche Orden, der Bund der Aufrechten, der Verband nationalgesinnter Soldaten, der Nationalverband deutscher Soldaten, der . Stahlhelm'(Bund der Frontsoldaten), der Bund der Niederdeutschen, der Bund Oberland, die Proletarische Hundertschaft, der Reichsausschuß der deutschen Betriebsräte und der Bund Wiking (vgl. MBliV 1922 S. 639, 641, 662, 775, 875, 979; 1923 S. 43, 520, 859; 1924 S. 927).

In diesem Zusammenhang ist die Stellungnahme des Generals vonSeeckt interessant, die er gegenüber den Selbstschutz-Organisationen Oberschlesiens in einem Brief an den preußischen Innenminister Severing vom August 1922 einnahm: „Was den Selbstschutz betrifft, so bin ich mit Ihnen, Herr Minister, und den oberschlesischen Vertretern darin einig, daß er so schnell wie möglich beseitigt werden muß. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß von seifen der Zivilbehörden schärfer durchgegriffen werden müßte. Der soge-nannte . legale'Selbstschutz soll die Waffen gutwillig herausgegeben haben. Um so notwendiger ist es, die , illegalen'und landfremden Elemente zu sofortiger Waffenabgabe und Verlassen des Landes zu zwingen. . .. Auch erscheint es mir auf Grund des Gesetzes zum Schutze der Republik notwendig, mit schärferen Maßnahmen gegen die Geldgeber für die unerlaubten Organisationen einzuschreiten. " 19)

II. Die preußische Sicherheitspolizei

1. Der Zweck Anläßlich der Einweihung der Landespolizeischule in Münster am 26. April 1949 hielt der frühere preußische Innenminister Carl Severing, der mit Recht als der Schöpfer der preußischen Sicherheits-und späteren Schutzpolizei bezeichnet wird und dessen Namen diese Polizeischule seit diesem Tage trägt, eine Ansprache, aus der folgendes über den Zweck der Einrichtung der Sicherheitspolizei zitiert sei: „Es ist ein eigenartiger Zufall, daß genau vor 30 Jahren in dieser Stadt die erste Anregung ausging zum Aufbau einer Sicherheitspolizei. 14 Tage vorher war ich zum Reichs-und Staatskommissar im Bereich des VII. Armeekorps ernannt worden, um diesen Bezirk zu befrieden, der durch den Bergarbeiter-Aufstand [so] in Unordnung geraten war, daß wir mit den [vorhandenen] Polizeikräften und Militärkräften dieser Bewegung nicht Herr werden konnten. Was ich damals zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und sonst tat, war — ich darf es als geschichtliche Wahrheit wohl aussprechen — absolut ungeeignet. Polizeiliche Mittel langten bei weitem nicht.. .. Aber aus der Bekämpfung der Ausschreitungen, die von Militär, Polizei und diversen Ortswehren versucht worden war, habe ich die Lehre gezogen, daß der kommunale Polizeibe-amte in der damaligen Verfassung nicht in der Lage war, im eigenen Land Ordnung zu schaffen. Die Einwohner-und Ortswehren waren durch die politische Zerrissenheit ebenfalls zerrissen und taugten nichts. Deswegen habe ich in diesen Tagen vor 30 Jahren mit dem Kommandierenden General in dieser Stadt überlegt, wie man diesem Mangel abhelfen könnte. Ich habe in den Mai-Tagen 1919 meinem Freunde, dem Innenminister Heine, meine Beobachtungen mitgeteilt und darauf aufmerksam gemacht, daß eine besondere Polizeiformation aufgestellt werden müsse, daß wir ähnlich wie damals Friedrich-Wilhelm IV.

zur Aufstellung besonderer Polizeiformationen kommen müßten. In einer schriftlichen Eingabe habe ich diese Vorschläge im Spätherbst 1919 wiederholt. Dann verlegte ich die Dienststelle des Reichs-und Staatskommissars von Dortmund nach Münster. Da erschienen eines Tages in meinen Amtsräumen der Oberstleutnant von Caprivi und der Major Leon, um mir mitzuteilen, daß sie vom Minister Heine den Auftrag hätten, in Rheinland-Westfalen eine Sicherheitspolizei aufzustellen. Ich habe dies lebhaft begrüßt, weil ich wußte, daß nun das Stadium der Erwägungen durch die Praxis abgelöst würde. Ich habe geholfen, Räume und Geldmittel zu bekommen. . . . Der General [Freiherr von Watter], Kommandierender General des VII. Armeekorps, gab zu, daß seine Truppen für den Polizeidienst nicht geeignet seien, da sie gewohnt seien zu handeln und nicht zu verhandeln, zu schießen und nicht zu sprechen. Die Ortswehren waren so zusammengesetzt, daß bei einem politischen Zwist diese vollständig auseinanderfielen; sie waren eine Gefahrenquelle, da jedes Mitglied sich im Besitz eines Karabiners befand und auch Maschinengewehre vorhanden waren und in dem Augenblick in die Hände der Unruhestifter übergingen, wo lokal ein größerer Krawall ausgelöst wurde.

Es ist dann zur Aufstellung einer Sicherheitspolizei gekommen, die nicht ausschließlich auf der Straße zu sehen war, sondern sich in Bereitschaft hielt, bei größeren Unruhen eingesetzt zu werden. An die Polizei wurden hohe Anforderungen gestellt. Wir konnten nicht den Soldaten [als Typ] übernehmen, wir mußten schon das Motto befolgen, von dem der Leiter der Polizeischule vorhin sprach: „Polizeidienst sollte Dienst am Volke sein." „Die Mannschaften und die Bewaffnung sollten so beschaffen sein, daß die zu bildenden Einheiten zur Bekämpfung von Unruhen geschlossen und schnell eingesetzt werden konnten. . . . Auch in anderen preußischen Gebiets-teilen, die als Gefahrenzonen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung anzusprechen waren, wurden ähnliche Vorbereitungen getroffen, so daß im Frühjahr 1920 schon ein nicht unbeträchtlicher Teil der neuen Polizei stand und eingesetzt werden konnte."

Diese Bestrebungen (am 29. März 1920 war Severing als Nachfolger von Heine Preußischer Innenminister geworden) wurden auch vom Reichswehrministerium unterstützt. Nach dem Kampf an der Ruhr im März/April 1920 war eine deutliche Abneigung der Soldaten gegen die Verwendung zur Bekämpfung innerer Unruhen erkennbar. Gegen die eigenen Volksgenossen die ganze Härte der Waffen einsetzen zu sollen, erschien ihnen weder notwendig noch zweckmäßig. Sie sahen zu Recht nicht ihre Aufgabe darin, zur Unterdrückung innerer Unruhen eingesetzt zu werden. Dieser Gedanke kam auch in einem Schreiben des Chefs der Heeresleitung, General von Seeckt, am 10. Juni 1922 an den Reichskanzler Dr. Wirth zum Ausdruck, in dem er u. a.

ausführte: „Die preußische Staatsregierung hat auf Grund des Art. 160 des Versailler Vertrages die Verwendung der Reichswehr als Grenzpolizei beantragt. . .. Hier handelt es sich darum, dem Heere eine dauernde Polizeiaufgabe zuzuweisen, die seinem Wesen und seinem Zweck widerspricht. Nicht kleine Teile sind vorübergehend im Grenzdienst verwendet, sondern sehr erhebliche Teile dauernd an der langgestreckten Ostgrenze festgelegt. Unter Berufung auf diesen Vorgang würde die Reichswehr zu jeder anderen Polizeiaufgabe heranzuziehen sein. Das ist das Ende der Reichswehr. Damit wird das einzige, zuverlässige Machtmittel des Staates zerbrochen und damit allerdings das Ziel der treibenden Männer erreicht, das Reich nach außen endgültig wehrlos gemacht, nach innen der Parteiherrschaft ausgeliefert."

Auch Gessler vertrat die gleiche Auffassung, wenn er schreibt: „Gegenüber dem Versuch, die Reichswehr effektiv in den Grenzen einer reinen Polizeitruppe zu halten, war es um so wichtiger, unsererseits an dem Grundsatz der Verteidigungsstreitmacht festzuhalten. ’Das haben wir konsequent getan." 2. Aufstellung und Gliederung Mit dem Aufbau der Sicherheitspolizei, die den Abbau der Selbstschutzverbände im Gefolge hatte, konnte eine Sicherheitsorganisation geschaffen werden, die unberührt von der Tagespolitik ein verläßliches Machtinstrument der Regierung wurde. Für die Zuteilung von Kräften der Sicherheitspolizei war die Bevölkerungsdichte in den einzelnen Gebieten von Bedeutung. Sie betrug in Preußen im Jahre 1919 111 Personen auf 1 qkm.

In den nichtpreußischen Ländern des Deutschen Reiches kamen 130, 3 Einwohner auf 1 qkm und im gesamten Deutschen Reich 122, 4 Einwohner auf 1 qkm. (In der Bundesrepublik sind es heute etwa 240 Einw. /qkm). Schwerpunkte einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung waren — und das hatten auch die Erfahrungen des Jahres 1919 gezeigt — Berlin, das Rheinland, Westfalen und Sachsen. Deshalb wurde auf Anordnung des preußischen Innenministers im Frühjahr 1919 zunächst in Berlin eine Sicherheitspolizei aufgestellt; ein großer Teil des Personals wurde dem bereits erwähnten Freikorps Meyn entnommen.

Im Gegensatz zu den Angehörigen der Schutz-mannschaft, den . Blauen', trugen die Mitglieder der Sicherheitspolizei eine graugrüne Uniform. Ab Juni 1919 versah die Sicherheitspolizei unter einem Kommando neben der Schutzmannschaft Dienst, und zwar ausschließlich zur Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben. Im Laufe des Sommers und Herbstes 1919 wurden weitere Kommandostäbe in Münster, Kassel, Breslau und Magdeburg aufgestellt. Teile dieser Sicherheitspolizei wurden zum Grenzdienst und zum Dienst in den Abstimmungsgebieten verwendet.

Ein Kommando der Sicherheitspolizei bestand aus mehreren Gruppen, eine Gruppe aus 4 bis 6 Abteilungen, eine Abteilung aus 4 bis 6 Hundertschaften (davon 1 technische Hundertschaft, die sich in einen Geschütz-, Minenwerfer-, Flammenwerfer-, Scheinwerfer-und Nachrichtenzug gliederte). Die anderen Hundertschaften bestanden aus 3 Zügen. Bei größeren Einsätzen wurden die Nachrichtenzüge innerhalb einer Gruppe zu Nachrichten-(Fern-melde-) Abteilungen zusammengezogen und der Abteilungsführer gleichzeitig als Referent für Nachrichtenwesen beim Gruppenkommando verwendet. In dieser Zusammenfassung kam die Bedeutung zum Ausdruck, die man dem Fernmeldewesen gerade zur Bekämpfung innerer Unruhen beizumessen begann. Die Bewaffnung bestand bei den Fußhundertschaften aus Karabiner 98, Seitengewehr, leichtem und schwerem Maschinengewehr, Pistole 08 und Handgranate. Die Ausstattung mit Kraftfahrzeugen war völlig unzureichend; es war nur der Transport einzelner Hundertschaften möglich.

Als Beispiel für die Abgrenzung der Aufgaben der Sicherheitspolizei — die in aller Regel nur für das Gebiet einer Provinz zuständig war — von denen der Ortspolizei sei stellvertretend für ähnliche Regelungen in anderen Provinzen eine Anordnung des Oberpräsidenten in Münster vom 12. Mai 1920 an das Kommando der Sicherheitspolizei erwähnt: „Die Ortspolizei behält in vollem Umfange ihre Zuständigkeit. Die staatliche Sicherheitspolizei tritt neben sie und ist in Erfüllung ihrer Aufgabe völlig selbständig. Jedoch hat die Sicherheitspolizei sich in ständigem Benehmen mit der Ortspolizei zu halten. Insbesondere ist ihr, wie auch dem Landrat bzw. Bürgermeister des betreffenden Land-oder Stadtkreises, von dem Eintreffen der Sicherheitspolizei vorher Kenntnis zu geben. Ein gegenseitiges über-oder Unterordnungsverhältnis besteht nicht. Kommt es zu einem gemeinschaftlichen bewaffneten Einschreiten von Sicherheitspolizei und Orts-polizeibeamten, so hat der Führer der Sicherheitspolizei das Kommando." 3. Zusammensetzung und politische Einstellung Für den personellen Aufbau der Sicherheitspolizei standen 1919 fast nur Offiziere und Unteroffiziere der alten Armee zur Verfügung, die sich entsprechend ihrem früheren Dienstgrad als Offizier bzw. als Oberwachtmeister, Wachtmeister und Unterwachtmeister in einem Angestelltenverhältnis mit zehntägiger Kündigungsfrist befanden. Bei der Auswahl wurde in erster Linie auf solche früheren Heeresange-hörige zurückgegriffen, die sich bei anerkannten Sicherheitstruppen freiwillig zum Sicherheitsdienst verpflichtet hatten.

Auf dem Görlitzer Parteitag der SPD im Früh-herbst 1921 erhob Severing u. a. für die Angehörigen der Polizei die Forderung: „Wir wollen die Republik mit Männern durchsetzen, die auch in der Stunde der Gefahr zur Republik stehen. Was ist das für eine Demokratie und Republik, die ihren Schutz Männern anvertrauen muß, die entweder Monarchisten sind oder Militaristen und nur mit dem halben Herzen auf dem Boden der Republik stehen." Dieses Postulat war auch in der Sicherheitspolizei erst in angemessener Zeit zu verwirklichen. Wie schon ausgeführt, war nicht zu erwarten, daß die in die Sicherheitspolizei übernommenen Soldaten über Nacht überzeugte Republikaner und Demokraten geworden wären; dann wären es entweder , Konjunktur'-Leute gewesen oder Männer, die vor dem 9. November 1918 ihren dem König geleisteten Eid nicht sehr ernst genommen hätten. Beide Gruppen wären für eine Verwendung als Polizeibeamte wenig geeignet gewesen, weil es ihnen an der charakterlichen Stetigkeit mangelte. Ein solcher Prozeß der politischen Einstellung brauchte Zeit, wenn er sich ehrlich vollziehen und dafür Bestand haben sollte. In den Reihen der Sicherheitspolizei waren auch solche Bewerber unerwünscht, die den Dienst in diesen Verbänden als eine Fortsetzung ihrer militärischen Tätigkeit ansahen, die mangels einer anderen Unterkommensmöglichkeit in der Sicherheitspolizei eine ihnen an sich nicht erstrebenswerte vorübergehende Verwendung suchten und die gegenüber dem neuen Staat überhaupt keine klare Stellung bezogen hatten. Jedenfalls ist die Behauptung, die gesamte Sicherheitspolizei habe sich am 13. März 1920 auf die Seite von Kapp gestellt und sei deshalb gegen den Putsch nicht einsetzbar gewesen, unzutreffend Mag der eine oder der andere unsicher geworden sein oder sogar den Putsch begrüßt haben, die Masse auch der Berliner Sicherheitspolizei war gegen den Putsch.

Folgende Situation ist mir in Erinnerung: Am 12 März 1920 abends erschien der damalige Innenminister Heine auf unserem Kasernenhof am Alexanderplatz in Berlin, stieg auf einen Tisch und warnte uns mit bewegten Worten, mit den aus Döberitz im Anmarsch befindlichen Putschisten gemeinsame Sache zu machen. Wir waren darüber sehr erstaunt, weil von uns niemand solche Absichten hatte, im Gegenteil, wir waren damals gerade damit beschäftigt, zum Verdrahten der Stadtbahnlinie als Hauptwiderstandslinie gegen die anrückenden Umstürzler . Spanische Reiter'zu bauen. Wir sagten dem Minister unsere Auffassung, worauf er uns befriedigt wieder verließ. An unserem Standpunkt änderte sich auch in den nächsten Tagen nichts. In anderen Standorten sah es nicht viel anders aus. Als zum Beispiel auch in Essen das Gerücht verbreitet wurde, die Sicherheitspolizei unterstütze Kapp, empfanden die Angehörigen der dortigen Sicherheitspolizei das als eine bewußte Irreführung der Bevölkerung und als einen Versuch, die kommunistische Aufstandsbewegung zu schüren. In einem Extrablatt gaben die Essener Sicherheitspolizisten die Erklärung ab: „Eingedenk unseres Treueschwures für die Regierung Ebert können wir uns nicht auf den Boden der von Berlin ausgerufenen Regierung stellen. Als Polizeibeamte wollen wir nach wie vor für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Ruhe sorgen und persönliches Eigentum jedes einzelnen schützen. Die staatliche Sicherheitspolizei dient keiner Partei." Diese Erklärung spiegelt die grundsätzliche Einstellung der Masse der Sicherheitspolizei wider; in ihr vollzog sich das gleiche, wozu sich auch ein Teil der Bevölkerung durchringen konnte: Die Überwindung der inneren Widerstände gegen diesen Staat um des Wohles des Ganzen willen. 4. Die Befugnisse Rechte und Pflichten der Sicherheitspolizei ergaben sich aus dem Gesetz über die Polizeiverwaltung vom 11. 3. 1850 (GS S. 265). Nach diesem Gesetz konnte in wichtigen Gemeinden die örtliche Polizeiverwaltung staatlichen Bediensteten übertragen werden. Zu ihren Aufgaben gehörte der Schutz der Personen und des Eigentums; Aufrechterhaltung von Ordnung, Sicherheit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen; Ordnung und Gesetzlichkeit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen; das öffentliche Interesse in bezug auf die Auf-nähme und die Beherbergung von Fremden; Sorge für Leben und Gesundheit; Fürsorge gegen gemeinschädliche und gemeingefährliche Handlungen, Unternehmungen und Ereignisse überhaupt.

Der preußische Minister des Innern war befugt, soweit Gesetze nicht entgegenstanden, jede polizeiliche Vorschrift einer Ortspolizeibehörde durch einen förmlichen Beschluß außer Kraft zu setzen. Da in Orten, in denen staatliche Sicherheitspolizei stationiert war, auch staatliche oder kommunale Ordnungspolizei bestand, war es naheliegend und zweckmäßig, eine Aufgabenteilung vorzunehmen. Das hat der Oberpräsident der Provinz Westfalen am 17. Juni 1920 (III Nr. 1374) in der Weise getan, daß er der Sicherheitspolizei u. a. als Aufgaben zuwies: 1. Schutz des Staates und des Gemeinwesens, der Personen und des Eigentums gegen gewaltsame Rechtsverletzungen jeder Art. 2. Verhütung von strafbaren Handlungen (Verbrechen und Vergehen). 3. Erhaltung der öffentlichen Sicherheit bei Versammlungen, öffentlichen Aufzügen sowie bei Gelegenheiten des Zusammenströmens größerer Menschenmassen. 4. Einschreiten auf Gebieten der Ordnungspolizei, sofern Ordnungspolizeibeamte nicht anwesend sind, bei Gefahr im Verzüge. . .. 8. Bei angeordnetem Ausnahmezustand Durchführung und Überwachung der Vorschriften des Ausnahmezustandes. ... 10. Erfassen von Waffen

Die anderen in dem Gesetz vom 11. 3. 1850 erwähnten Aufgaben zu erfüllen, oblag der Ordnungspolizei. Das Schwergewicht der polizeilichen Tätigkeit wurde damit eindeutig zur Sicherheitspolizei hin verlagert, deren gründliche Ausbildung auf diesen Gebieten zur Voraussetzung für ein zweckmäßiges und rechtlich zulässiges Einschreiten wurde. Das war um so notwendiger, als die Hundertschaftsführer und die Zugführer in der Sicherheitspolizei durch einen Erlaß des preußischen Justiz-und des preußischen Innenministers vom 17. 8. 1920 (MBliV. 1920 S. 344) zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft bestellt worden waren. Der Problematik des Eingriffs eines Beamten der Sicherheitspolizei in Freiheit und Rechte des Staatsbürgers wurde große Bedeutung beigemessen; ein Befehl der Sicherheitspolizeigruppe in Münster vom 8. 5. 1920 bestimmte z. B., daß vorläufige Festnahmen nur auf Anordnung des Hundertschaftsführers erfolgen durften und bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen Kriminalbeamte hinzuzuziehen wären. Festgenommene Personen mußten einem besonderen Beauftragten der Polizei-Abteilung vorgeführt werden, der die Notwendigkeit und die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen hatte. Dabei war ein genauer Tatbericht über den Grund der vorläufigen Festnahme, der Beweismittel und der Angaben der Zeugen vorzulegen. Eine Schutzhaft auf Grund der Bestimmungen des Reichsgesetzes vom 4. 12. 1916 (RGBl S. 1327) in Verbindung mit der Anordnung des Reichspräsidenten vom 5. 5. 1920 wurde durch einen Befehl des Oberpräsidenten Münster vom 12. 5. 1920 nur dann als vorbeugende Maßnahme für zulässig erklärt, wenn sie zur Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reiches nach der Entscheidung des Kommandos der Sicherheitspolizei und nach Anhörung eines Beauftragten des Ober-präsidenten erforderlich war 5. Die Tätigkeit Große Bedeutung für die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit kam der Entwaffnung der Zivilbevölkerung während der Unruhen im November 1918 zu. Nur wenn es gelang, die in großen Mengen in der Hand Unbefugter befindlichen Schußwaffen mit Munition in den Besitz der allein zuständigen und berechtigten Träger zurückzubringen, war eine Stabilisierung der Regierungsmacht zu erwarten. Die Verordnung des Rates der Volksbeauftragten vom 13. 1. 1919, nach der alle Schußwaffen bis zum 15. Januar 1919 abzuliefern waren, hatte bei dem Fehlen ausreichender Machtmittel zur Durchsetzung dieser Verordnung wenig Erfolg. Eine weitere Verordnung des Reichspräsidenten vom 10. 4. 1920, die zur sofortigen Ablieferung aller Schußwaffen (einschließlich der Handgranaten aufforderte, hatte ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg, obwohl einerseits zugesichert wurde, daß bei einer freiwilligen, fristgerechten Abgabe nicht nach der Herkunft der Waffen geforscht würde und die notwendigen Haus-durchsuchungen von den sonst üblichen Verfahrensvorschriften befreit wären, und andererseits im Nichtbefolgungsfalle Zuchthaus-strafen bis zu 15 Jahren angedroht wurden. Erst als für die Ablieferung von Waffen usw. Geldbelohnungen ausgesetzt wurden, kam die Aktion in Gang. Für ein Geschütz wurden z. B. 250, — M, für einen Minenwerfer 50, — M und für ein Maschinengewehr 25, — M gezahlt; für Munition wurden entsprechende Beträge gewährt.

Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Lagebericht einer Polizei-Abteilung im Verbände der Sicherheitspolizei-Gruppe Düsseldorf vom 8. Juni 1920, in dem es u. a. heißt:

„Die Waffenabnahme geht nur langsam vor sich. Die Durchsuchungen auf das Ungewisse hinaus führen nur selten zum Erfolg. Waffen sind unbedingt in großer Zahl vorhanden. Verbindung wird mit der Zivilbevölkerung von der Abteilung ständig angestrebt, um die notwendigen Nachrichten zu erhalten. Derartige Informationen waren oft zutreffend und führten zu Erfolgen. Dringend notwendig sind genügende Geldmittel; für Geld waren Nachrichten auch von Mitgliedern der Roten Armee zu erlangen. Nächtliche Streifen mit dem Auftrage, Kraftwagen, Fahrzeuge und Fußgänger nach Waffen zu durchsuchen, haben sich bewährt."

Die bei den Befehlsstellen der Sicherheitspolizei abgelieferten Waffen wurden unverzüglich vernichtet oder unbrauchbar gemacht, um sie nicht wieder in falsche Hände geraten zu lassen. Es zeigte sich jedenfalls, daß die Durchführung der Entwaffnungsaktion durch die Sicherheitspolizei eine zweckmäßige Maßnahme war; sie blieb über die Jahre hin trotz redlichem Bemühens der Regierungs-und Polizeidienststellen ein langwieriges und mitunter schwieriges Unternehmen. Vor allem auch deswegen, weil insbesondere einige rechtsradikale Organisationen es verstanden, größere Mengen von Waffen dem Zugriff der eingesetzten Sonderkommissionen zu entziehen, notfalls mit der mitunter zutreffenden Behauptung, daß die Waffen der Reichswehr gehörten oder von ihr beansprucht würden

Es ist nicht die Aufgabe dieser Niederschrift, den Einsatz der Sicherheitspolizei zu schildern. Die bei dieser Polizei sich bildende Erkenntnis, daß kluge Zurückhaltung beim Einsatz von Polizeikräften eine Bewegung abklingen lassen, und daß andererseits entschlußloses Abwarten zur Verschärfung eines Konfliktes beitragen kann mag auch heute noch als Maxime gelten.

Je mehr die Sicherheitspolizei in ihre Aufgabe hineinwuchs, um so notwendiger wurde es, die Befehlsführung für solche Fälle zu regeln, in denen Reichswehr und Sicherheitspolizei gemeinsam tätig werden mußten. Ein vom Reichsministerium des Innern aufgestellter Entwurf vom Juni 1920, der weitgehend der zwischen Reichswehr und Sicherheitspolizei geübten Praxis entsprach, sah unter anderem folgendes vor: In normalen Zeiten waren weder Teile der Reichswehr noch der Sicherheitspolizei gegenseitig unterstellt. Wurde bei Maßnahmen nach Art. 48 RV die vollziehende Gewalt einer bestimmten Persönlichkeit übertragen, so trat auch die Sicherheitspolizei unter den Befehl dieser Persönlichkeit. Bei gemeinsamer Verwendung gleichgeordneter Verbände von Reichswehr und Sicherheitspolizei hatte der dienst-oder rangälteste Befehlshaber der Wehrmacht bzw.der Sicherheitspolizei die Befehlsverhältnisse zu regeln. Die beiderseitigen Verbände waren nach Möglichkeit nicht zu vermengen 5. Die Auflösung Es war nicht verwunderlich, daß die Alliierten in dem Bestreben, das Verteidigungspotential Deutschlands möglichst niedrig zu halten, nicht nur die Freikorps und Selbstschutz-Organisationen mit Mißtrauen beobachteten und ihre Auflösung betrieben, sondern auch die Sicherheitspolizei als eine militärischen Zwecken dienende Einrichtung verdächtigten. Mehrere Noten begründeten diesen Argwohn: a) In der Note von Boulogne vom 22. 6. 1920 hieß es u. a.: „Wenn die Mächte auch entschlossen sind, die Abrüstung den Vertragsbestimmungen gemäß durchzuführen, so verkennen sie doch nicht die Notwendigkeit, der Deutschen Regierumng zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern ausreichende Polizeikräfte zu belassen. Sie erkennen gern an, daß die normalen Polizeikräfte, nach dem Stande von 1913 gemessen, nicht allen Bedürfnissen genügen können. Die alliierten Regierungen sind bereit, eine Vermehrung der Polizeikräfte zu genehmigen, sie können aber unter keinem Vorwand zulassen, daß diese Vermehrung durch Beibehaltung der Sicherheitspolizei, einer Polizeitruppe von ausgesprochener militärischer Art und Organisation, stattfindet, zu deren Auflösung Deutschland bereits vom Dezember 1918 ab aufgefordert worden war. Die Alliierten sind mit der Verstärkung der alten . Ordnungspolizei'einverstanden. Die Ordnungspolizei zählt gegenwärtig 92 000 Mann. Die Mächte geben ihre Zustimmung, daß sie bis auf 150 000 Mann vermehrt wird. Sie knüpfen jedoch an diese Zustimmung folgende Bedingungen, die strengstens durchgeführt werden müssen: Die Ordnungspolizei muß ihren Charakter als Landes-und Ortspolizei wahren; sie erhält auf keiner Stufe und in keiner Weise eine zentrale Organisation; sie wird mit einer Bewaffnung ausgerüstet, die ihrem Zweck entspricht und von dem interalliierten Überwachungsausschuß festgesetzt wird.'1

b) Mit einer Note vom 12. 8. 1920 verbot die Interalliierte Millitärkontroll-Kommission (IMKK) eine Anstellung von Polizeibeamten auf kurze Dauer, einen Personalaustausch zwischen Polizei und Reichswehr, Umformungen der Polizei irgendwelcher Art, die der Ordnungspolizei einen militärischen Charakter verleihen könnten und eine Kasernierung nach militärischen Grundsätzen.

Der Preußische Minister des Innern gab nach schwierigen und unerfreulichen Verhandlungen zwischen Auswärtigen Amt, dem Reichsminister des Innern und dem Preußischen Minister des Innern einerseits und dem Bevollmächtigten der IMKK, General Barthelmy, andererseits am 4. Oktober 1920 den Erlaß über die Auflösung der Sicherheitspolizei heraus In ihm ist folgendes bedeutsam: „In Ausführung der Bestimmungen des Friedensvertrages in Verbindung mit der Note der Alliierten vom 22. 6. 1920 und dem Protokoll von Spa vom 9. 7. 1920 ordne ich an:

1. Mit dem 6. Oktober 1920 wird die Sicherheitspolizei einschließlich der Stäbe aufgelöst. Die Ausführung dieser Anordnung erfolgt durch die Herren Oberpräsidenten. 2. Die der Aufrechterhaltung der Ruhe, Sicherheit und Ordnung gemäß § 10 II 17 des Allgemeinen Landrechts dienende Polizei ist eine rein örtliche. Ihre Zuständigkeit beschränkt sich auf den Ortspolizeibezirk (Gemeinde, Amtsbezirk usw.). Sie untersteht mit sämtlichen Beamten a) in Orten mit staatlicher Polizeiverwaltung dem Polizeipräsidenten bzw. Polizeidirektor, b) an allen anderen Stellen den kommunalen Ortspolizeibehörden.

3. Die Leiter der Ortspolizeiverwaltungen haben den Dienst der Polizeibeamten, besonders die Verteilung auf die Reviere und Wachen, sofort zu regeln.

4. Eine Auffüllung des Personalbestandes ist erforderlich (vgl. unten Nr. 8). Die Mitglieder der aufgelösten Sicherheitspolizei können eingestellt werden.

5. Die bisherige Unterstellung unter Beamte, die sich nicht im gleichen Ortspolizeibezirk befinden, fällt fort. Die Befehlsgewalt jedes Polizeibeamten erstreckt sich nur auf die Beamten seines Ortspolizeibezirks.

6. Eine Verwendung von Polizeikräften außerhalb ihres Bezirks kann nur auf besondere Anordnung der Landespolizeibehörde stattfinden; diese hat dann gleichzeitig die Befehlsverhältnisse zu regeln.

7. Die Regierungspräsidenten allein haben nach Maßgabe der bereits im Jahre'1913 in Geltung gewesenen Bestimmungen, insbesondere der Gesetze vom 11. 3. 1850, 22. 9. 1867, 19. 7. 1911 und 19. 6. 1912 sowie der Regierungsinstruktion vom 23. 10. 1817, die Stellung als Landespolizeibehörde. 8. Die Stärke der uniformierten Polizei ist aus der Anlage 2 ersichtlich. 9. Sämtliche Anwärter für den Dienst der Polizei haben sich für eine Dienstzeit von 14 Jahren schriftlich zu verpflichten. Vorherige Entlassung erfolgt nur im Falle körperlicher Unbrauchbarkeit und bei sonstiger Ungeeignetheit zum Polizeidienst sowie nach Maßgabe der besonderen Disziplinarstrafordnung bei schweren Verstößen gegen die Dienstzucht. Ein Übertritt aus der Polizei in Heer und Marine ist nicht gestattet.

10. .. . 11. Soweit ein polizeiliches Bedürfnis vorliegt, werden die Beamten in besonderen Dienstwohnungen untergebracht. /Die Entscheidung trifft die Landespolizeibehörde unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse. 12. Eine Anordnung über die Dienstkleidung der Polizei erfolgt demnächst. Bis dahin wird die bisherige Dienstkleidung weitergetragen. 13. An Bewaffnung stehen der Polizei zu: für jeden Beamten blanke Waffe, Pistole, Handgranate, für je 3 Beamte ein Gewehr oder Karabiner, für je 20 Beamte eine Maschinenpistole, für je 1000 Beamte ein Panzerwagen mit 2 schweren Maschinengewehren. 14. Alle demnach überzähligen Waffen sind, soweit es nach meinen bisherigen Erlassen noch nicht geschehen sein sollte, nunmehr sofort an die Zweigstelle des Reichstreuhandgesellschaft gegen Empfangsbescheinigung abzuliefern. gez. Severing"

III. Die preußische Schutzpolizei

1. Die Grundgedanken für die Umorganisation der Polizei Mitten in die Bekämpfung der schweren Unruhen, die als Folge des Kapp-Putsches besonders im Ruhrgebiet ausgebrochen waren und zur Bildung der . Roten Armee'geführt hatten, platzten die Beanstandungen der Alliierten über die Sicherheitspolizei. Die Reichsregierung und die preußische Staatsregierung standen vor der Frage, die Einwände der Entente zu ignorieren und den Einmarsch alliierter Truppen mit allen Konsequenzen in Kauf zu nehmen oder die Beanstandungen zu berücksichtigen, den örtlichen Polizeiaufbau zur Grundlage der Polizei-Organisation zu machen und damit Herr im eigenen Hause -—-von den besetzten Gebieten abgesehen — zu bleiben. Die Verantwortlichen entschieden sich für das letztere und leiteten damit eine Entwicklung ein, die zwar der damaligen innenpolitischen Lage durch den Verzicht auf eine überregionale Polizeitruppe kaum gerecht wurde, die aber durch die deutliche Unterscheidung von militärischen und polizeilichen Aufgaben und durch die Zusammenfassung aller mit Fragen der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung im Innern beauftragten Kräfte und Stellen die Grundlage für eine einheitliche Polizei bildete.

Am 7. September 1920 fand im preußischen Innenministerium unter Vorsitz Severings eine Besprechung über die geplante polizeiliche Umorganisation statt, an der sämtliche Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Polizeipräsidenten und Kommandeure der Sicherheitspolizei usw. teilnahmen. Besprechungspunkte waren unter anderem Beseitigung der bestehenden Zersplitterung auf dem Gebiet des Polizeibehördenwesens; Vereinigung aller Polizeibeamtengruppen; Herstellung einer klaren Behörden-und Beamtengliederung; Schaffung eines einheitlichen, festen Polizeikörpers, dessen geschlossene Verbände über das Staatsgebiet verteilt waren; Beibehaltung einer Kasernierung während 12 von den vorgesehenen 14 Dienstjahren, so daß nur wenig mehr als 10 v. H.der Beamten außerhalb der Polizeiunterkünfte wohnten; Art und Umfang der Bewaffnung unter Berücksichtigung der alliierten Forderungen; einheitliche Leitung der Polizei durch die Oberpräsidenten mit Hilfe eines ihm zu diesem Zweck zu unterstellenden Polizeistabes; Schaffung eines besonderen Polizeischulwesens; Verstaatlichung der noch vorhandenen kommunalen Polizei-verwaltungen; Verbot der Teilnahme von Polizeibeamten an parteipolitischen Veranstaltungen; Wechselmöglichkeit für die Beamten zwischen den einzelnen Polizeizweigen

Uber alle wesentlichen Besprechungspunkte wurde Übereinstimmung erzielt, so daß Severing am 4. Oktober 1920 den bereits erwähnten Erlaß über die Auflösung der Sicherheitspolizei und am gleichen Tage die Ausführungsbestimmungen zu ihm herausgab. Sie betrafen den Aufbau der neuen Polizei, „Schutzpolizei", die als dritte Säule neben die Kriminalpolizei und die Verwaltungspolizei trat. Auf die Stellung der Landjägerei (frühere Gendarmerie) komme ich noch zurück.

Nach diesen Ausführungsbestimmungen waren die Aufgaben der Schutzpolizei die gleichen, wie sie der Oberpräsident der Provinz Westfalen bereits am 17. Juni 1920 für die Sicherheitspolizei umrissen hatte (vgl. II. Kapitel, Abschnitt 4). Hinsichtlich der Befugnisse und des Aufbaues legten sie u. a. fest: daß die Schutzpolizei grundsätzlich für den Außendienst bestimmt wäre, daß die oberen Polizei-* exekutivbeamten der bisherigen . blauen'Polizei und die übrigen staatlichen Polizeiexekutivbeamten mit weniger als 16 Dienstjahren in die Schutzpolizei zu überführen wären, daß die im Straßen-und Verkehrsdienst verbleibenden Wachtmeister, Oberwachtmeister und Bezirksoberwachtmeister der bisherigen . blauen'Polizei auf Wunsch in die Kriminaloder Verwaltungspolizei übernommen werden könnten und daß die bisherige Trennung in Sicherheitswachen/Meldestellen, Verwaltungs-und Ordnungsreviere zu beseitigen wäre und an ihre Stelle baldmöglichst einheitliche Polizeireviere zu treten hätten.

Grundgedanke für den Einsatz der Schutzpolizei war, daß für den normalen Dienst eine Trennung von Einzeldienst (auf den PolizeiRevieren) und Bereitschaftsdienst (in den Polizei-Abteilungen) zu erfolgen hätte, daß für den geschlossenen Einsatz aber beide Sparten zusammengefaßt werden könnten (vgl. spätere Umorganisation in Polizei-Inspektionen). In einem Erlaß vom 16. 1. 1922 (MBliV. S. 95/97) beklagte Severing das Absinken der Zahl der im Straßendienst verwendeten Schutz-polizeibeamten und ordnete an, daß für die Verwaltung Zivilhilfskräfte zu verwenden wären, daß Beamte der Sonderdienste auch zum Außendienst heranzuziehen wären und daß ab 1. April 1922 bei jeder Polizei-Verwaltung durch Verringerung der Zahl der Hundertschaften eine Revierhauptmannschaft zur Verstärkung des Straßendienstes zu bilden wäre. Die Errichtung je einer Polizeischule in jeder Provinz und einer dem Innenministerium unterstehenden Höheren Polizeischule in Eiche bei Potsdam verfolgte den Zweck, die Polizeibeamten mit allen Erfordernissen des polizeilichen Dienstes vertraut zu machen, sie für diesen Dienst charakterlich zu festigen und damit zu einer einheitlichen Auffassung und Durchführung der polizeilichen Aufgaben zu gelangen 2. Neue Beanstandungen der Alliierten Obwohl die Maßnahmen der preußischen Regierung über die Umorganisation der Polizei — insbesondere der grundlegende Erlaß vom 4. 10. 1920 — die ausdrückliche Billigung des Leiters der IMKK gefunden hatte, behauptete eine Note der gleichen IMKK vom 23. 12. 1920 — offenbar ein Ergebnis der Botschafterkonferenz in Paris —, die neue Schutzpolizei sei nichts anderes als die bisherige Sicherheitspolizei, verstärkt um einen Teil der früheren (blauen) Polizei. Die Erhöhung der Stärke der Polizei sei mit Art. 162 des Friedensvertrages nicht vereinbar; diese Polizei müsse sofort aufgelöst werden. In einer ausführlichen Note vom 2. 1. 1921 wies das Auswärtige Amt diese Vorwürfe zurück und hob in ihr die wesentlichsten Merkmale der neuen Polizei gegenüber der Sicherheitspolizei hervor. Die frühere Sicherheitspolizei hätte eine einheitliche Kommando-Befugnis eines von einem Stabe unterstützten Polizeibefehlshabers über alle Polizei-formationen eines größeren, in Preußen mindestens eine Provinz umfassenden Gebietes gehabt; bei völliger Kasernierung wären die Polizeikörper verschiedener Orte zu größeren Verbänden unter der Befehlsbefugnis eines mehreren Orten übergeordneten Führers zusammengefaßt gewesen. Die jetzige uniformierte und bewaffnete Ordnungspolizei (Schutzpolizei) wäre rein örtlich organisiert und unterstände ausschließlich dem örtlichen Polizeiverwalter, das heißt einem zivilen Verwaltungsbeamten. Alle Stäbe, die den Befehl über die Polizeikräfte mehrerer Orte führten, wären aufgehoben worden. Schwere Waffen seien nicht mehr vorhanden; die Maschinengewehre hätte man noch nicht forderungsgemäß abliefern können, weil die als Ersatz bestimmten Maschinen p i s t o 1 e n noch nicht angeliefert worden wären. Die Zulässigkeit der Auffüllung der vermehrten Ordnungspolizei wäre bei den Vorbesprechungen mit der IMKK ausdrücklich anerkannt worden. Die jetzige Ordnungspolizei stelle nichts anderes dar als die in der zugelassenen Weise verstärkte Polizei des Jahres 1913 Alle militärischen Einrichtungen wären abgeschafft worden Nur bei Verwendung von Polizeikörpern außerhalb der Standorte würden Verwaltungsbeamte zugeteilt, die außer ihren Verwaltungsbehörden auch dem Führer des Polizeikörpers unterständen und während dieser Zeit dessen Anordnungen Folge zu leisten hätten (MdJ vom 23. 2. 1921).

Trotz dieser Argumente beharrten die alliierten Regierungen in einer ultimativen Note vom 29. 1. 1921 auf Durchführung der Entschei-düngen der Note von Boulogne. Das Hin und Her in den Behauptungen über den militärischen Charakter auch der neuen Polizei ging bis zum Frühjahr 1922 weiter: a) Am 18. 3. 1921 erging die Note der IMKK mit der Feststellung, die grüne’ Polizei habe doch den Charakter einer mobilen Streitkraft; im übrigen müßten in die Gesamtstärke von 150 000 Mann Ordnungspolizei auch die Polizeikräfte in Zivil (Kriminalpolizei, Verwaltungspolizei) eingerechnet werden; das Auswärtige Amt bestritt in einer Note vom 2. 4. 1921 diese Auslegung und verwies dabei auf eine Note der IMKK vom 17. 10. 1920, in der General Nollet selbst zwischen der Polizei in Uniform und in Zivil unterschieden hätte. b) Am 12. 5. traf Note eine 1921 der IMKK ein, in der wiederum eine der Note von Boulogne vom 22. 6. 1920 und dem Ultimatum von Paris vom 29. 1. 1921 entsprechende Organisation und Stärke der Polizei mit den üblichen Nebenforderungen (z. B. keine Probezeit, keine kurzfristige Dienstzeit und damit keine Bildung von Reserven, kein Personalaustausch zwischen Polizei und Heer) verlangt wurde. Wiederum betonte das Auswärtige Amt in seiner Antwort-Note vom 4. 6. 1921 den rein polizeilichen Charakter der . grünen'Polizei. Vorsorglich wies der Reichsminister des Innern in einem Rundschreiben vom 13. 6. 1921 auf die Beanstandungen der IMKK mit der Aufforderung hin, „bei der Ausbildung der Polizeibeamten sich auf die für den Polizeidienst erforderlichen Fähigkeiten zu beschränken". c) Am 9. 9. 1921 traf die Note der IMKK ein, die feststellte, daß hinsichtlich der zentralen Organisation der Polizei noch immer keine Änderung eingetreten sei; die Schutzpolizei wäre nach wie vor in taktischen Einheiten organisiert, „die militärisch eingestellt, instruiert, ausgerüstet, kaserniert und im Überfluß mit technischem Gerät und Material ausgestattet geblieben wäre. Sie hätte den Charakter einer mobilen Streitkraft gewahrt. Sie würde von einem Ort des Reichsgebietes nach einem anderen in eigens aufgestellten Einheiten und mit Material feldmäßigem — ganz wie die Reichswehr — verlegt" d) Am 14. September 1921 legte der Vorsitzende der IMKK, der französische General Nollet, bei Reichskanzler Dr. Wirth persönlich gegen die Verzögerung der Umorganisation der Polizei Verwahrung ein und begründete dabei die Forderungen seiner Note vom 9. 9.

1921. Anläßlich einer daraufhin einberufenen Kabinettsitzung, an der auch der preußische Innenminister Dominicus teilnahm, wurde die Sachlage von diesem wie folgt festgestellt:

„Für die deutsche Polizei sind die Art. 162 und 178 des Friedensvertrages bestimmend. Beide Artikel wurden ergänzt durch Forderungen in der Note von Boulogne und durch die Beanstandungen in der Note der IMKK vom 23. 12.

1920. . . . Eine Anerkennung der Forderungen der IMKK würde die grüne Polizei zerschlagen und damit die Hauptstütze jeder Regierung beseitigen. . . . Die Erhaltung der grünen Polizei in ihrem jetzigen durchaus entmilitarisierten, mit den Forderungen der Entente tatsächlich in Einklang gebrachten Zustande wäre daher eine Lebensfrage für Reich und Länder."

Im einzelnen wurde vom preußischen Innenministerium erneut auf folgendes hingewiesen: a) Die Polizei in Preußen sei bereits im Jahre 1913 Ausfluß der Staatshoheit gewesen und auch dann im Namen des Staates geführt worden, wenn die Leitung von kommunalen Beamten oder Organen der Selbstverwaltung wahrgenommen worden wäre, über den Ortspolizeibehörden hätten die Regierungspräsidenten als Landespolizeibehörden gestanden. b) Zentralbehörde wäre stets der Minister des Innern gewesen, der die Oberleitung über die gesamte Polizeiverwaltung im Staate ausgeübt hätte. c) Mit der Neuregelung des Polizeiwesens vom 4. Oktober 1920 hätten die Verwaltungsbehörden die früheren Befugnisse zugewiesen erhalten. Es sei allerdings zunächst beabsichtigt gewesen, den Oberpräsidenten die jetzt den Regierungspräsidenten zustehenden Zuständigkeiten zu übertragen, da die Befassung von 12 Oberpräsidenten mit diesen Geschäften gegenüber 36 Regierungspräsidenten erhebliche Ersparnisse an Kräften und mit sich gebracht hätte. Im Hinblick auf die Einwände der IMKK wäre von dieser Änderung jedoch bis auf weiteres abgesehen worden. d) Auch im personellen Aufbau der Schutzpolizei seien gegenüber 1913 keine Änderungen eingetreten; das Verhältnis der Vorgesetzten zu den Untergebenen bei Polizei hätte im Jahre 1913 1920 1 : 23, 2 betragen.

3. Endgültige Form der preußischen Schutzpolizei

a) Gliederung

der uniformierten 1 : 22, im Jahre e) Die gegenüber 1913 eingetretenen grundlegenden Änderungen in der Sicherheitslage Deutschlands hätten zwangsläufig zu einer Veränderung des Aufbaues und der Gliederung der Polizei geführt. Innerhalb eines örtlichen Polizeibezirks wäre bei der Polizei je nach Stärke eine Einteilung in Hundertschaften und Abteilungen vorgenommen worden — eine Maßnahme, die im Jahre 1913 auch in Berlin bestanden hätte (Brigaden und Haupt-mannschaften). f) Eine Verwendung der grundsätzlich örtlich gebundenen Polizei außerhalb ihres Ortspolizeibezirks wäre nach den gesetzlichen Bestimmungen bereits im Jahre 1913 zulässig gewesen und in der Vorkriegszeit wiederholt erfolgt. Daß eine Verschiebung von Polizeikräften jetzt häufiger notwendig sei, läge an den unruhigen Zeitverhältnissen. g) Die Ähnlichkeit der Schutzpolizei mit militärischen Verbänden wäre nur scheinbar; in Wirklichkeit erforderten die rein polizeilichen Aufgaben dieser Zeit ebenso wie in fast allen außerdeutschen Ländern feste Polizeiverbände, die kaserniert sein müßten, um sie ohne Verzug einsetzen zu können

Weitere Beanstandungen der IMKK in ihrer Note vom 27. 2. 1922 (vgl. Deutscher Reichsanzeiger Nr. 65 vom 13. 3. 1922) gaben dem preußischen Innenminister Veranlassung, mit einem Erlaß vom 24. 5. 1922 offiziell einen , Plan für die Zurückführung der preußischen Polizei auf den Stand der Organisation von 1913'herauszugeben. Dieser bis zum 1. April 1925 durchzuführende Plan sah u. a. folgendes vor: Innerhalb der Schutzpolizei wurden die Revierpolizei und die kasernierten Bereitschaften unter Polizei-Inspektionen zusammengefaßt Der entsprechende Runderlaß des Innenministers vom 24. 11. 1922 (MBliV 1922 S. 1138) sei seiner Bedeutung wegen im Wortlaut zitiert: „Mit Erlaß vom 24. 5. 1922 — II h 3460 (blaues Heft) — ist die Vereinheitlichung der Verwaltungsexekutive und der Schutzpolizei angebahnt worden. Nunmehr ist es an der Zeit, einen weiteren Schritt in dieser Richtung zu tun und in den Orten mit staatlicher Polizei die Polizei-Inspektionen, wie sie in dem genannten Erlaß vorgesehen sind, zu bilden. Es sind daher in diesen Orten so viele Polizei-Inspektionen zu bilden, wie zur Zeit Polizei-Abteilungskommandos gemäß den Festsetzungen auf S. 37 bis 62 des genannten Erlasses vorgesehen sind. — Die bisherigen Inspektionen der Verwaltungsexekutive fallen fort. Ihre Aufgaben gehen auf die neuen Inspektionen über. Diesen Dienststellen sind damit hinsichtlich der Dienstausübung sowohl die Beamten der Schutzpolizei (Bereitschaften, Einzeldienst auf den Revieren, Sonderpersonal) wie diejenigen der Verwaltungs-Exekutive unterstellt. —-Als Leiter dieser neuen Polizei-Inspektionen sind aus der Zahl der Führer der Polizei-Abteilungen und der Polizei-Inspektoren der Verwaltungsexekutive die zur Versehung des Postens geeigneten Beamten auszuwählen. ... In den Orten mit staatlicher Polizeiverwaltung ist für das Etatjahr 1923 der Fortfall der Revierhauptmannschaften vorgesehen, da ihre Aufgaben im wesentlichen entfallen sind, seitdem mit Erlaß vom 23. 9. 1922 den Reviervorstehern die unmittelbare Befehlsbefugnis über die den Revieren zugeteilten Schutzpolizeibeamten übertragen worden ist."

Soweit nicht die Verstaatlichung kommunaler Polizeiverwaltungen vorgesehen wurde, sollte die Schutzpolizei aus Orten mit kommunaler Polizeiverwaltung herausgezogen werden. 89 Hundertschaften wurden allmählich aufgelöst.

Wo sich größere staatliche Polizeiverwaltungen auf größere Nachbargemeinden erstreckten, wurden diese durch besondere PolizeiÄmter versorgt; kleinere staatliche Polizeiverwaltungen besaßen als Polizeidirektionen einen Polizei-Direktor. Staatliche Polizei-Verwaltungen erhielten grundsätzlich Schutzpolizei je nach Größe und Bedeutung des Polizei-Bezirks zugeteilt.

An zentralen, dem preußischen Minister des Innern unmittelbar unterstehenden Polizei-schulen wurden eingerichtet: für Leibesübungen in Berlin-Spandau, für Technik und Verkehr in Berlin, für Führungskräfte in Eiche bei Potsdam. Von den insgesamt 55 000 Schutzpolizeibeamten wurden nach Beendigung der Umorganisa-'tion rd. 25 000 auf den 650 Polizei-Revieren im Einzeldienst, 25 000 in den 200 geschlossenen Polizei-Bereitschaften (Hundertschaften) und rd. 5000 in den Stäben und technischen Sonder-diensten verwendet; zu den Sonderdiensten gehörte das Kraftwagen-, das Nachrichten-, das Sanitäts-, das Beschlag-und das Luftüberwachungspersonal

Nach dem Stande vom 22. Juli 1922 hatte die preußische Polizei eine Sollstärke von 55 842 Beamten der Schutzpolizei, 8163 Beamten der Verwaltungspolizei (Außendienst), 2868 Beamten der Kriminalpolizei, 9620 Beamten der Kommunalpolizei und 775 Beamten der Landesgrenzpolizei, also insgesamt 77 268 Polizeibeamte. b) Aulgaben Die Aufgaben der Schutzpolizei erfuhren durch den . Plan'keine wesentliche Änderung; sie umfaßten die gesamte ausführende Tätigkeit auf dem Gebiet der vorbeugenden und — bis zum Eingreifen der Kriminalpolizei — auch der repressiven Polizei. Dabei brachten es die Zeitumstände mit sich, daß die Tätigkeit zum Schutze des Staates mehr als in der Vorkriegszeit im Vordergrund stand. Die schwierige wirtschaftliche Lage und die mangelnde politische Befriedung erforderten den Fortbestand der Polizei-Bereitschaften (Hundertschaften), die bei Streiks, Unruhen, Massenansammlungen usw. die Betriebe zu sichern, Leben und Eigentum zu schützen, die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte unterstützend zu gewährleisten hatten Die Entwicklung der sich allmählich konsolidierenden Verhältnisse und des zunehmenden Straßenverkehrs führte dazu, daß der Schwerpunkt des polizeilichen Außendienstes sich in die Polizei-Reviere, die auch den Verwaltungsdienst — zum Beispiel Meldewesen, Ausstellung gewisser Erlaubnisse — zu versehen hatten, verlagerte und die Bereitschaftspolizei — von großen Aufmärschen usw. abgesehen — den Einzeldienst lediglich durch Besetzung von Bezirkswachen auf großen Polizeirevieren mit Streifen ausübte. Im übrigen stand die Bereitschaftspolizei zur Verfügung des Polizei-Verwalters als Polizei-Reserve c) Einstellung, Anstellung und Ausbildung konnten nur zögernd geregelt werden, weil die hierfür notwendigen gesetzlichen Maßnahmen zeitraubender Abstimmungen zwischen dem Reich, dem nach Art. 9 RV die Gesetzgebung über den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit — soweit eine Notwendigkeit für den Erlaß einheitlicher Vorschriften vorhanden war — zustand, und den Ländern bedurften.

Die Angehörigen der Sicherheits-bzw. Schutzpolizei empfanden mit Recht ein Gefühl der Unsicherheit über ihre Anstellung. Als der Haushaltsplan der Schutzpolizei im Frühjahr 1921 von der preußischen Landesversammlung genehmigt worden war, war der Weg für die Anstellung derjenigen Angehörigen der Schutzpolizei als unmittelbare Staatsbeamte frei, deren Ausbildungszeit abgelaufen war.

Im Laufe des Monats Juni 1921 würden diese Ernennungen seitens des Innenministers für die Polizei-Offiziere, seitens der Regierungspräsidenten für die Polizei-Wachtmeister ausgesprochen, und zwar bis zur polizeibeamten-gesetzlichen Regelung u. a. unter folgenden Bedingungen: Verpflichtung zu unbedingtem Gehorsam gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung; keine parteipolitische Betätigung im Dienst, Verbot der Beteiligung an Organisationen, welche die Verfassung auf nicht gesetzmäßigem Wege ändern wollten; Verbot einer Dienstverweigerung (Streik); Anstellung für eine Pflichtdienstzeit von 12 Jahren nach Ablauf der Ausbildungszeit (Vorbereitungsdienst) unter Aushändigung einer Bestallungsurkunde; Kündigungsmöglichkeit während der Ausbildungszeit mit Frist von einem Monat zum Monatsende, nachher nur noch in besonders begründeten Fällen, bei Polizei-Offizieren mit Frist von drei Monaten zum Schluß des Rechnungsjahres bei Ungeeignetheit; fristlose Kündigung bei Ungehorsam, Verstoß gegen das Ansehen der Schutzpolizei usw. (MBliV. 1921 S. 58 und 108).

Bis zum Beginn der planmäßigen Ergänzung der Schutzpolizei aus Anwärtern der Provinzial-Polizeischulen war die Einstellung auch von kommunalen Polizeiexekutivbeam-ten mit höchstens 16 Dienstjahren (Militär-und Zivildienstzeit) sowie ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehrmacht mit mindestens 21 und höchstens 28 Lebensjahren zulässig. Die Einstellung erfolgte ohne Rücksicht auf die im Heere abgeleistete Dienstzeit grundsätzlich als Unterwachtmeister.

Von der Bedarfsgesetzgebung (Art. 9 RV)

hatte das Reich mit dem Reichsgesetz über die Schutzpolizei der Länder vom 17. 7. 1922 (RGBl S. 597) Gebrauch gemacht und darin festgelegt, daß nur solche Angehörige der Polizeien der Länder zur Schutzpolizei gehörten, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stünden und in der Regel nach einer ununterbrochenen Dienstzeit von 12 Jahren mit der Anwartschaft — nicht Rechtsanspruch — auf lebenslängliche Anstellung im Reichs-, Staats-oder Gemeindedienst (Polizeiversorgungsschein) wieder ausschieden. Das auf diesem Reichsgesetz beruhende preußische Schutzpolizeibeamtengesetz vom 16. 8. 1922 legte unter anderem den Beamtenstatus für die Schutzpolizei-Angehörigen fest, regelte die ausnahmsweise Anstellung auf Lebenszeit, das Kündigungs-und Entlassungsverfahren und — bei der Anstellung nur auf Zeit besonders wichtig — die Versorgungsmaßnahmen. Besondere Erlasse legten die Einstellungsbedingungen für Polizei-Anwärter in den Provinzial-Polizeischulen fest, die Aufstiegsverhältnisse für Polizei-Wachtmeister (SB) und Polizei-Offiziere sowie den Gang der Ausbildung, auf die im Interesse der umfassenden polizeilichen Tätigkeit und der Notwendigkeit der Unterbringung in anderen Berufen nach 12-jähriger Dienstzeit besonderer Wert gelegt wurde. In diesen Versorgungsmaßnahmen kam die Entwicklung zum Ausdruck, einen unmittelbaren Übergang der Schutzpolizeibeamten in die übrigen Polizeidienstzweige zu schaffen (Landjägerei, Kriminalpolizei, kommunale Polizei), wie er später durch das Polizeibeamtengesetz vom 31. 7. 1927 (GS S. 151) ermöglicht wurde 61). d) Polizeischulwesen Das Polizeischulwesen erfuhr eine ganz wesentliche Verstärkung und Intensivierung, als die aus naheliegenden Gründen einseitig ausgerichtete und unter den obwaltenden Umständen in kurzer Zeit aufzustellende Sicherheitspolizei mit ihren meist älteren Soldaten allmählich in eine planmäßig aufgebaute Schutzpolizei mit jungen Polizeianwärtern umgebildet wurde. Hier ergab sich die Notwendigkeit und Möglichkeit einer strengen Auslese unter den Polizei-Bewerbern bei den Schutzpolizei-Kommandos und den Provinzial-Polizeischulen. Anwärter wurden jeweils zum 1. April und 1. Oktober eingestellt, um sie nach einem Jahr den Polizeiverwaltungen zu überweisen. Außerdem fanden an diesen Schulen Fortbildungslehrgänge für Polizei-Wachtmeister (SB) statt. Die Höhere Polizeischule in Eiche diente der Ausbildung von Polizei-Offizier-und Kriminal-Kommissar-Anwärtern, der Fortbildung von Polizei-und Landjäger-Offizieren sowie der Prüfung von Polizei-Major-Anwärtern. An der Polizeischule für Leibesübungen in Berlin-Spandau wurde die körperliche Durchbildung von Schutzpolizei-Beamten aller Dienstgrade betrieben, während die Polizeischule für Technik und Verkehr (1927 aus den bis dahin selbständigen drei technischen Sonderschulen gebildet) die Aus-und Weiterbildung der für den Kraftfahr-, den Verkehrs-, den Nachrichten (Fernmelde) -und den Luftüberwachungsdienst sowie für das Waffenwesen vorgesehenen Beamten zur Aufgabe hatte.

Die Polizeiberufsschule war eine bei den einzelnen staatlichen Polizei-Verwaltungen vorgesehene, der Vervollkommnung der Allgemeinbildung der Schutzpolizeibeamten dienende Einrichtung, die aus der Beamtenschule der früheren Sicherheitspolizei hervorgegangen war; diese hatte den Zweck gehabt, den versorgungsberechtigten Beamten den Übertritt in einen anderen Beruf zu erleichtern. e) Beamtenpilichten und -rechte Die Wahrnehmung der Grundrechte erfuhr bei den Beamten allgemein eine durch das besondere Dienst-und Treueverhältnis bedingte Einschränkung. Zwangsläufig mußte die Anwendung dieser Einschränkungen bei den Beamten der Polizei noch kompromißloser sein, weil insbesondere die Schutzpolizei in den damaligen politisch und wirtschaftlich bewegten Zeiten das verläßliche Machtinstrument des Staates sein mußte, dessen Angehörige sich als selbstlose, gerechte, unparteiische und verantwortungsbewußte Staatsdiener zu betätigen hatten und sich in der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte deswegen Zurückhaltung auferlegen mußten. Sie sollten aus bewußter Freiwilligkeit in einem inneren Treueverhältnis zum Staat stehen und ihre Diensttätigkeit nicht als eine nur formelle Erfüllung ihres dem Staat geleisteten Eides ansehen. Dabei hatten sie den Grundsatz zu beachten, daß jeder Beamte — insbesondere jeder Polizeibeamte — mehr durch das wirkt, was er ist und was er kann, als durch das, was er sagt.

Es ist sehr interessant und spricht für die Qualität des Mannes Severing, daß er — dem Beamtentum zunächst fernstehend — die innere Verpflichtung des Beamten verlangte und anerkannte. In einem Erlaß vom 8. 12. 1921 (MBliV. S. 392) sagte er : „Ich erwarte von der Einsicht der Polizeibeamten, daß sie sich freiwillig jene Zurückhaltung (auch außerhalb des Dienstes) auferlegen, die im Interesse des Ansehens und der Autorität der Polizei bei allen Teilen der Bevölkerung notwendig ist. . . . Sie müssen sich deshalb selbstverständlich von jeder tatsächlichen Stellungnahme zugunsten einer Partei im Dienst fernhalten und darüber hinaus auch den Anschein irgendwelcher Voreingenommenheit vermeiden. . . . Wenn die Beamten der Polizei ihre Pflichten in dieser Weise auffassen und beobachten, dann können sie auch gewiß sein, daß ich in Anerkennung ihres aufopfernden Verhaltens und Dienstes das Ansehen und die Ehre der Polizeibeamtenschaft nachdrücklichst schützen werde...."

Und in anderen Erlassen vom 18. 1. 1922 (MBliV. S. 180) und vom 25. 2. 1922 (MBliV.

S. 259) warnt er: „Die Disziplin wird gefährdet, wenn die Beamtenverbände ohne Rücksicht auf die finanziellen Möglichkeiten des Staates nur auf eine bessere wirtschaftliche Lage und Erweiterung der Rechte der Beamten drängen. . . . Die Kameradschaft und damit das feste Gefüge der Polizei wird zerstört, wenn innerhalb der Polizei die Beamten sich je nach ihrer Verbandszugehörigkeit feindlich gegenüberstehen, sich auf das heftigste befehden und dadurch Mißtrauen und Unzufriedenheit untereinander verbreiten. . . . Ich halte mich für verpflichtet, unzweideutig hervorzuheben, daß auch die Beamtenverbände nicht als völlig freie Organisationen wirken dürfen, sondern die durch die Sonderpflichten ihrer Mitglieder und das Treueverhältnis zum Staat gegebenen Grenzen unbedingt einzuhalten haben. . . . Weisungen und Verhaltungsregeln von anderer Seite (als den vorgesetzten Dienststellen) sind eine Anmaßung, auf die ich, falls sie von Verbänden ausgehen sollten, mit der Ablehnung jedes weiteren Verhandelns und Zusammenarbeitens erwidern müßte. ..." i) Grundregeln für den Einsatz Die Tätigkeit der Schutzpolizei fand immer mehr die Zustimmung auch solcher Kreise, welche dem Staat noch mit erheblichen Vorbehalten gegenüberstanden. Sie hatten erwartet, daß Severing sich bei seinem Vorschlag im Jahre 1919/1920, eine neue, moderne Polizei aufzustellen, von dem Bestreben leiten lassen würde, ein der SPD zugeneigtes Machtinstrument zu schaffen. Als dann die Schutzpolizei im März 1921 auf Befehl des preußischen Innenministers gegen den Mitteldeutschen Aufstand im Raume Merseburg—Ammendorf eingesetzt wurde, schlug die Stunde ihrer ersten auch politischen Bewährung. Sie hat sie gut bestanden und Sicherheit und Ordnung in diesem Gebiet gegen einen harten Gegner (Max Hölz) und unter nicht unerheblichen Verlusten (35 Beamte tot, 53 verwundet) in etwa 14 Tagen wiederhergestellt. Auch bei späteren größeren Einsätzen (z. B. dritter Polenaufstand in Oberschlesien im Mai/Juni 1921; Ruhrbesetzung im Jahre 1923; Kampf gegen die Separatisten im September 1923; Hamburger Kommunisten-Aufstand im Oktober 1923) wie in der täglichen Arbeit für Sicherheit und Ordnung trug diese Schutzpolizei entscheidend dazu bei, daß die Verhältnisse sich konsolidierten und der Staat vor weiteren größeren Erschütterungen bewahrt blieb.

Ausbildung und Einsatz der Schutzpolizei waren von dem Bestreben beherrscht, einen vernünftigen Ausgleich zwischen der Forderung nach Wahrung der Rechtsordnung und der Verpflichtung, die Rechte des einzelnen zu schonen und zu schützen, zu finden. Das ist der Schutzpolizei in zunehmendem Maße gelungen. Der mitunter nach Kriegsgesetzen angewandte Gebrauch der Schußwaffen in der Zeit der Freikorps und Sicherheitswehren wurde, weil er der schwerste Eingriff in die Rechte des Staatsbürgers war, unter Beachtung der damals geltenden Vorschriften für den Waffen-gebrauch (§ 28 der Gendarmerie-Instruktion vom 30. 12. 1820 [GS 1821 S. 10] und Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der dem Gesetz schuldigen Achtung vom 17. 8. 1835 [GS S. 18)) durch einen Erlaß vom 15. 12. 1921 mit den Gegebenheiten der Zeit nach rund 100 Jahren in Überein-stimmung gebracht und in ihm darauf hinge-B wiesen, daß die Schußwaffe nur zur Abwehr eines Angriffs oder einer Bedrohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib-und Leben des Beamten oder der in seinem Schutz befindlichen Personen angewandt werden dürfte.

Allgemeine Richtlinien bei jedem Waffengebrauch hätte zu sein: 1. Der Gebrauch der Schußwaffe ist nur zulässig, wenn die Anwendung anderer Mittel offenbar nicht zum Ziele führen würde. 2. In keinem Fall darf der Waffengebrauch weitergehen, als es zur Erreichung des gesetzlichen Zweckes erforderlich erscheint. 3. Gegen Kinder darf die Schußwaffe überhaupt nicht angewandt werden. 4. Auf die Verhütung von Gefahren für Unbeteiligte, insbesondere in lebhaften Straßen und geschlossenen Räumen, ist sorgfältig Bedacht zu nehmen. 5. Festgenommene Personen sind unverzüglich darauf hinzuweisen, daß bei Fluchtversuch von der Waffe Gebrauch gemacht werden kann

Mit einem weiteren Erlaß vom 17. 6. 1922 (MBliV. S. 620) ordnete Severing unter anderem an, daß bei einem geschlossenen Einsatz der Polizei der Vorgesetzte die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Waffengebrauchs zu tragen hätte und die Untergebenen den Befehl zum rechtmäßigen Waffengebrauch — ohne die Zweckmäßigkeit nachprüfen zu dürfen — auszuführen hätten. Im Gegensatz zu der bisherigen Regelung wurde die Abgabe von Warnschüssen für zulässig erklärt. g) Zusammenwirken mit anderen Behörden 1. Reichswehr. Der Reichswehrminister gab am 7. 6. 1921 (MBliV. 1921 S. 177) allgemeine Richtlinen für das Verhalten von Reichswehrangehörigen gegenüber den Beamten der Schutzpolizei heraus. Reichswehr und Schutzpolizei waren sich darin einig, daß sie zwar beide der Sicherung des Staates zu dienen hatten, daß die hierfür anzuwendenden Methoden aber so verschieden wären, daß eine scharfe Trennung beider Organisationen im Einsatz notwendig wäre. Reichswehrminister und Reichsinnenminister gingen bei ihren Maßnahmen davon aus, daß die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Innern in erster Linie Sache der Polizei wäre und nur, wenn nicht mehr unter, sondern um die Verfassung gekämpft werden müßte, die Unruhen also die Form des Bürgerkrieges angenommen hätten, die Streitkräfte einzusetzen wären.

Die Bestimmungen über die Verwendung der Reichswehr im Reichsgebiet bei öffentlichen Notständen und inneren Unruhen hatten ihre Grundlage im Art. 48 Abs. 2 RV, nach dem der Reichspräsident, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet war, die zur Wiederherstellung dieser Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen konnte, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht. Darauf basierend legten § 17 des Wehrgesetzes vom 23. 3. 1921 in der Fassung vom 18. 6.

1921 (RGBl S. 787) und der Erlaß des Reichswehrministeriums vom 16. 12. 1920 (HVB 1 1921 S. 102) fest, daß im Falle öffentlicher Notstände oder Bedrohung der öffentlichen Ordnung die Reichswehr auf Anforderung der Landesregierungen Hilfe zu leisten hatte. Das Ersuchen war an die Wehrkreiskommandos oder Marinestationskommandos und in dringenden Fällen an den nächsten militärischen Befehlshaber zu richten; nötigenfalls war die Entscheidung des Reichswehrministers einzuholen. Für den Einsatz der Reichswehr in solchen Fällen hatte die anfordernde Zivilbehörde die politische Verantwortung zu übernehmen; Art, Form und Mittel des Einsatzes lagen in der Zuständigkeit der Reichswehr. Sollten die Zivilbehörden (Polizeibehörden) durch höhere Gewalt außerstande sein, das militärische Einschreiten herbeizuführen, so durfte die Reichs-wehr als selbständige Funktion der Staatsgewalt zur Beseitigung eines öffentlichen Not-standes von sich aus einschreiten. (Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meinen Aufsatz in der Zeitschrift Wehrkunde’ vom Juni 1963 S. 291). 2. Landjägerei. Als Folge der Staatsumwälzung im November 1918 war der Chef der Landgendarmerie anstelle des preußischen Kriegsministers dem preußischen Innenminister unterstellt und den Gendarmerie-Angehörigen die Eigenschaft von Zivilbeamten gegeben worden. Die Bezeichnung , Landgendarmerie'war durch Verordnung der Staatsregierung vom 21. 6. 1920 (MBliV S. 292) in . Land-jägerei'geändert und die Dienstaufsicht durch Verordnung vom 9. 3. 1923 (GS S. 55) dahin ge53 hend neu festgelegt worden, daß an die Stelle des Chefs der Landjägerei der Minister des Innern trat. 1926 wurde die Landjägerei in den Polizei-Haushalt mit einbezogen. Die Land-jägerei hatte die Polizeibehörden zu unterstützen und durch ständige Überwachung der Dienstbezirke auf dem Lande für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Zu diesem Zweck besaßen ihre Angehörigen die Eigenschaft von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. Für das Zusammenwirken von Landjägerei und Schutzpolizei bestimmte ein Erlaß des Innenministeriums vom 9. 9. 1921 (MBliV S. 302), daß bei geschlossenem Einsatz der Schutzpolizei der Landjäger dieser als polizeilicher Berater und ortskundiger Führer zu dienen hätte und beim gemeinsamen Handeln von Einzelbeamten des , Wachtmeisterstandes'die Führung dem dienstältesten Landjägereibeamten zustünde. Bei geschlossenem Einsatz von Abteilungen der Schutzpolizei und der Landjägerei verblieb die Befehlsbefugnis bei den Abteilungs-Kommandeuren. Die den Auftrag erteilende Zivil-dienststelle hatte die einheitliche Gesamtleitung zu bestimmen, wobei die Zusammenstellung von gemischten Verbänden aus Beamten der Schutzpolizei und der Landjägerei zu unterbleiben hatte. Der Waffengebrauch war ähnlich wie bei der Schutzpolizei geregelt. Die Bewaffnung bestand aus Pistole, Seitengewehr und Karabiner. Landjägereischulen waren in Einbeck, Wohlau und Allenstein eingerichtet. 4. Die Ersatzpolizei Mit der Behauptung, daß Deutschland mit der Lieferung eines Teiles der Reparationsschuld an Kohlen und Holz im Verzug wäre, rückten am 11.'Januar 1923 50 000 französische und belgische Soldaten in das Ruhrgebiet ein und besetzten u. a. die Städte Essen, Bochum, Gelsenkirchen und Dortmund.

Mit Erlaß vom 21. 1. 1923 (W I B 299) gab der Innenminister im Einvernehmen mit der Reichsregierung an alle beteiligten Dienststellen und Beamten die Weisung heraus, daß den in Verfolg der völkerrechtswidrigen Ruhrgebietsaktion von den Besatzungsmächten ergehenden Anordnungen keinerlei Folge zu leisten wäre. Sollten Beamte in diesem Zusammenhänge ihres Amtes enthoben oder ausgewiesen werden, so hätten sie solange als irgend möglich auf ihrem Posten und an ihrem Dienstort auszuharren, bis sie durch unmittelbare Gewaltanwendung entfernt würden. In diesem Fall wären die Dienstgeschäfte von jedem anderen Beamten im Rahmen der geltenden Gesetze weiterzuführen. Die Folge dieser ablehnenden Haltung der deutschen Behörden war unter anderem die Ausweisung ganzer Formationen der Schutzpolizei oder deren Auflösung. Für die Städte ging damit der polizeiliche Schutz verloren; die Unsicherheit nahm zu, so daß die Bürgerschaft (einschließlich der Gewerkschaften) dazu überging, einen Selbstschutz zu bilden. Im Sommer 1923 wurden diese Angehörigen des Selbstschutzes als Ersatz-Polizeibeamte im Straßendienst eingesetzt

Recht und schlecht hat diese Ersatzpolizei im Ruhrgebiet die Schutzpolizei vertreten, bis der passive Widerstand im Herbst 1923 infolge Erschöpfung der deutschen Geldmittel und der dadurch bedingten Zerrüttung der Währung abgebrochen werden mußte. Es dauerte aber noch bis zum Herbst 1924, bis die Alliierten die wirtschaftlichen Sanktionen wieder aufhoben, die Ausweisungsbefehle zurücknahmen, die zahlreichen während des passiven Widerstandes ausgesprochenen militärischen Verurteilungen amnestierten und das Ruhrgebiet schrittweise räumten.

Am 19. 2. 1924 richtete der Reichspräsident Ebert an den Preußischen Innenminister Severing folgendes Schreiben: „Es ist mir ein lebhaftes Bedürfnis, Ihnen als dem Chef der preußischen Landespolizei aufrichtige Bewunderung und lebhafte Anerkennung für das Verhalten der Schutzpolizei im Ruhrgebiet auszusprechen. Gegenüber einem Gegner, der enttäuscht über das Fehlschlagen seiner Pläne in kleinlicher Rachsucht gerade die Sicherheitsbeamten täglich aufs neue herausfordert und zu demütigen versucht, . . . haben die braven Beamten der Schutzpolizei in ruhiger Besonnenheit und selbstloser Hingabe an ihre Pflicht ihren Dienst weiterversehen, ohne sich fremder Willkür und Rechtsanmaßung zu beugen. — Nicht nur die Ruhrbevölkerung, deren Schutz ihre Tätigkeit gilt, sondern ganz Deutschland zollt diesen tapferen Männern Dank und Bewunderung. Wenn man der Deutschen gedenkt, die in schweren Zeiten sich in selbstloser Pflichterfüllung für den Bestand der Deutschen Republik, für das Vaterland eingesetzt haben, wird man der Führer und Beamten der Schutzpolizei im Ruhrgebiet besonders dankbar gedenken. Ich bitte Sie, hochverehrter Herr Minister, dies den Beamten der Schutzpolizei im Ruhrgebiet zur Kenntnis zu bringen."

Endgültig beendet wurde die Ruhrbesetzung erst durch den Abzug der französischen und belgischen Truppen im Juli/August 1925 und durch den Rheinpakt von Locarno vom 16. Oktober 1925, als dessen Folge von den Alliierten eine allgemeine Amnestie für sämtliche seit Beginn der Besetzung begangenen strafbaren Handlungen mit Ausnahme derjenigen des gemeinen Rechts und der Spionage gewährt wurde. Als eine Art Gegenleistung hierfür übernahm man auf deutscher Seite die Verpflichtung, rechtswidrige Repressalien gegen Separatisten und sonstige Mitläufer der Franzosen mit den normalen gesetzlichen Mitteln zu verhindern Mit der Rückkehr der Schutzpolizei in ihre alten Standorte im Ruhrgebiet wurde die Ersatzpolizei unter notwen-diger Beachtung der Vereinbarungen von Locarno in die Schutzpolizei übernommen, soweit ihre Beamten dazu bereit und geeignet waren.

Die Voraussetzungen und Schwierigkeiten aufzuzeigen, unter denen die Weimarer Republik sich in den ersten Jahren . ihres Bestehens gegen Angriffe auf ihren inneren Bestand wehren mußte, ist nicht nur allgemein interessant und einer prüfenden Untersuchung wert, um einen Beitrag zur Geschichte der Polizei zu leisten, sondern auch von einer gewissen aktuellen Bedeutung. Nicht weil die Bundesrepublik Deutschland vor einer ähnlichen Situation stehen würde, sondern weil die Notstandsverfassung den Sicherheitskräften in Bund und Ländern Aufgaben zugewiesen hat, deren Koordinierung noch der gesetzlichen Regelung bedarf. Generell sollte dabei vermieden werden, die Ordnungsfunktion der Polizei infolge des Ausbleibens politischer Lösungen übermäßig zu beanspruchen. Auch da könnte die Erinnerung an die Erfahrungen aus der Weimarer Zeit von Nutzen sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. v. Schmidt-Pauli, Geschichte der Freikorps, Stuttgart 1936.

  2. W. Groener, Lebenserinnerungen, Göttingen 1957.

  3. E. Schüddekopf, Das Heer und die Republik, Hannover 1955.

  4. R. Lindau, Revolutionäre Kämpfe 1918/1919, Berlin 1960.

  5. G. Noske, Von Kiel bis Kapp, Berlin 1920.

  6. C. Severing, Mein Lebensweg, Köln 1950.

  7. O. Gessler, Reichswehrpolitik in der Weimarer Zeit, Stuttgart 1958.

  8. C. Severing, Mein Lebensweg, a. a. O.

  9. C. Severing, Im Wetter-und Watterwinkel, Bielefeld 1927.

  10. C. Severing, ebenda.

  11. v. Hülsen, in: Wissen und Wehr, Februar 1928.

  12. C. Severing, Im Wetter-und Watterwinkel, a. a. O.

  13. E. Schüddekopf, a. a. O .

  14. S. Haffner, Der große Verrat, in: Der Stern, November 1968.

  15. W. v. Scbultzendorff, Proletarier und Prätorianer, Köln 1966.

  16. C. Severing, Im Wetter-und Watterwinkel, a. a. O.

  17. E. O. Volkmann, Revolution über Deutschland, Oldenburg 1930.

  18. C. Severing, Mein Lebensweg, a. a. O.

  19. Ebenda.

  20. Polizeiinstitut Hiltrup (Hrsg.), Polizeirecht im neuen Deutschland, Münster 1949.

  21. C. Severing, Mein Lebensweg, a. a. O.

  22. O. Gessler, a. a. O.

  23. Ebenda.

  24. Polizeipräsident Recklinghausen (Hrsg.), Geschichte der Gelsenkirchener Polizei (Manuskript).

  25. C. Severing, Mein Lebensweg, Köln 1950.

  26. W. v. Schultzendorff, a. a. O.

  27. H. Roden, Polizei greift ein, Leipzig 1934.

  28. Polizeipräsident Recklinghausen (Hrsg.), a. a. O.

  29. Ebenda.

  30. Ebenda.

  31. Ebenda.

  32. Ebenda.

  33. C. Severing, Mein Lebensweg, a. a. O.; ders., Im Wetter-und Watterwinkel, a. a. O.

  34. H. Roden, a. a. O.

  35. O. Gessler, a. a. O.

  36. L. Dierske, Grundriß der Polizeiverwendung, Lübeck, 1951.

  37. Polizei-Institut Hiltrup (Hrsg.), Polizeigeschichte, Archiv.

  38. Ebenda.

  39. Ebenda.

  40. Polizei-Institut Hiltrup (Hrsg.), Polizeigeschichte, a. a. O.

  41. Polizeipräsident Recklinghausen (Hrsg.), a. a. O.

  42. Ebenda.

  43. Polizei-Institut Hiltrup (Hrsg.), Polizeigeschichte, a. a. O.

  44. Ebenda.

  45. Ebenda.

  46. Polizeipräsident Recklinghausen (Hrsg.), a. a. O.

  47. Ebenda.

  48. Preußische Landtagsdrucksache Nr. 4880: „Wegweiser durch die Polizei", Berlin 1928.

  49. v. Bitter, Handwörterbuch der preußischen Verwaltung, Berlin 1928.

  50. Ebenda.

  51. SB = Sammelbezeichnung.

  52. Polizei-Institut Hiltrup (Hrsg.), Polizeigeschichte, a. a. O.

  53. Polizeipräsident Recklinghausen (Hrsg.), a. a. O.

  54. Ebenda.

  55. v. Bitter, a. a. O.

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Ludwig Dierske, Generalmajor der lizei a. D., Ministerialdirigent i. R., gebe 1898 in Mainz, Reifeprüfung am Kant-Gym sium in Berlin-Spandau, 1914 Kriegsfreiw ger im Garde-Grenadier-Regiment Nr. 5, 1 bei Freikorps in Oberschlesien, ab Juli 1 Berliner Sicherheitspolizei, ab 1923 Preußisc Innenministerium und Berliner Schutzpoli 1933 Amtsverlust, ab 1939 Teilnahme amZv ten Weltkrieg, ab 1950 Bundesinnenmini rium (ab 1957 Unterabteilungsleiter für B desgrenzschutz), seit 1963 im Ruhestand. Z reiche Buch-und Zeitschriftenveröffentlich gen über Polizeifragen.