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Kein Platz für Menschen | APuZ 11/1971 | bpb.de

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APuZ 11/1971 Artikel 1 Slums -soziale Probleme der Verstädterung Kein Platz für Menschen

Kein Platz für Menschen

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Der folgenden Abhandlung Hegt der Text eines Dokumentarfilms zugrunde, den Don Widener nach umfangreichen und langwierigen Ermittlungen für das amerikanische Fernsehen herstellte. Leitend war dabei das Bestreben, mit allen Mitteln die Aktivität zur Abwehr einer weiteren ruinösen Umweltstörung wachzurufen. — Aus der Gesamtdarstellung, die in diesen Tagen in deutscher Übersetzung erscheint, werden hier drei — stellenweise geringfügig gekürzte — Kapitel abgedruckt. Die Auswahl hat zur Folge, daß nur einige Phänomene des Gesamtkomplexes Umweltverschmutzung zur Sprache kommen. — Für die freundliche Genehmigung zum Vorabdruck danken wir dem Verlag Goverts in Stuttgart.

I. The Siow Guillotine

Tod durch Umweltverschmutzung ist eine verzögerte Hinrichtung, wie sie vor Zeiten bei einigen Indianerstämmen Amerikas beliebt war. Die Männer übergaben einen Gefangenen den Frauen, die für diesen Zweck immer einen Sack mit Kieselsteinen bereithielten. Ein Stein nach dem anderen wurde aus dem Sade genommen, und jedesmal wurde dem Opfer eine kleine Wunde zugefügt. Bevor der letzte Stein geworfen war, hatten die Henkerinnen das Opfer längst in die seligen Jagdgründe befördert.

Heute sind viele Städte und Großstädte einer ebenso langsamen Hinrichtung durch Bewohner, Industrien und Regierungsbeamte ausgeliefert. Solche Städte leiden an wirtsdiaftlidi-politischen Lähmungserscheinungen; auf einem vorgezeichneten Pfad folgen sie ihrem Schicksal, wie die Lemminge Norwegens. Das Muster ihres Verhaltens ist jedem bekannt und vertraut. Gewöhnlich begannen sie einmal als schmucke kleine Landstädtchen.

Eines Tages entschieden betriebsame Bürger, ihre Bankiers und die Stadtväter, es sei eine gute Idee, wenn die Stadt ein wenig Industrie anzöge, die das Weichbild der Stadt vergrößern, Geld unter die Leute bringen und teuern zahlen würde. Industrielle wurden ewogen, Niederlassungen in der Stadt zu gründen. Plötzlich werden aus Bürgern Angestellte, die von der Industrie abhängig sind, 16 Stadt selbst wird abhängig von den euern der Industrie. Die Geschäftsleute iuen größere Läden, die wiederum abhängig d von dem Geld, das die Industrie unter 16 Leute bringt. Die Industrie selbst ist in-zwischen von der Stadt abhängig geworden; hier hat sie ihre Investitionen gemacht, hier findet sie die erforderlichen Facharbeiter.

Im gleichen Maß, in dem die Stadt wächst, melden sich die Probleme an. Von allem wird jetzt etwas mehr gebraucht — mehr Schulen, mehr Heime, mehr Straßen. Die Stadt wächst aus dem Einzugsbereich der alten Kanalisation heraus. Sie braucht Reservoire und Wasser-aufbereitungsanlagen. Das alles bedeutet höhere Steuern, die aber niemand zahlen will. Pollution, Umweltverschmutzung, setzt ein; sie kommt so sicher wie der Gasmann. Die Leute merken, daß irgend etwas nicht mehr stimmt, und beginnen zu grollen. Der Industrie wird vorgeworfen, sie sei schuld an allem (was nicht zutrifft). Die Industrie schlägt zurück und droht, offen oder versteckt, daß sie demnächst ihre Produktion in eine andere Stadt verlagern werde. Das ist eine reale Gefahr, sie bedeutet Arbeitslosigkeit und viele andere unangenehme Dinge. Also schweigen die Leute, und die Umweltvergiftung geht weiter und nimmt zu. Mit der Zeit wird das fröhliche Bächlein, das vormals durch die kleine Stadt rauschte, ein stinkendes Rinnsal aus Unrat und industriellen Abwässern. Hügel und Berge, die man früher so gerne betrachtete, verschwinden hinter einem Vorhang von Rauch und Smog; man sieht sie nur noch selten. Wohn-und Geschäftshäuser werden unansehnlich, ihre Farben bleichen aus. Hausfrauen klagen, daß sie immer länger arbeiten müssen und die Wohnung trotzdem nicht sauber wird. Ladeninhaber führen einen niemals endenden Kampf gegen den Schmutz auf den Schaufensterscheiben und den Ruß, der sich auf die Ware niederschlägt. Oft zieht ein fauliger Geruch durch die Stadt.

Schließlich kommt es zum Bruch. Das Unvermeidliche geschieht, junge Leute packen ein und verlassen die Stadt. Die Industrie kann nicht länger Mitarbeiter anziehen, weil es Bewerbern bei dem Gedanken graust, ihre Familie in diese Stadt bringen zu müssen. Die Grundstückspreise steigen nicht mehr, sie beginnen langsam, langsam zu fallen. In der Abschlußphase verlieren auch Industrie und Großhandel den Mut, und nun beginnt der Exodus. Eines Tages entdecken die Bürger, daß es in ihrer Stadt Reihen von leeren Wohnungen gibt, daß nichts mehr repariert wird, weil das Geld dazu fehlt. Das ehemals schmucke Landstädtchen hat den ganzen Kreis der Umweltverschmutzung voll durchlaufen; es ist nur noch ein vernachlässigter Friedhof.

Eine Stadt, in der die Zeichen des Verfalls bereits sichtbar werden, ist das ehemals liebliche Kingsport in Tennessee. In die Berge der nordöstlichen Landschaft des Staats eingeschmiegt, unweit der Grenzen von Virginia, erhielt Kingsport von einem Besucher im Jahr 1917 den Ehrentitel einer „kleinen amerikanischen Musterstadt". Einige Jahrzehnte später rühmten die Bewohner ihre Stadt als die „City der Industrie". Zu dieser neuen Industrie gehörten: Tennessee-Eastman, eine Zweigniederlassung von Kodak, wahrscheinlich die größte dieser Art im ganzen Staat; ferner die Kingsport Press, eines der größten Druckhäuser der Vereinigten Staaten, sowie die große Mead Fiber Company, eine Papier-mühle. Hochexplosive Stoffe für die Artillerie werden außerdem in den Holston Ordonance Works hergestellt.

Die alten Einwohner erinnern sich noch daran, daß der Holstonfluß einmal sauber und frisch durch die Stadt floß. Noch im Jahr 1940 konnte man in ihm schwimmen. Heute ist dieser Fluß total verdreckt und sicherlich alles andere als ein schöner Anblick.

Als ich Kingsport 1953 besuchte, war ich von der Stadt fasziniert. Sie erschien mir als eine glückliche Synthese von Industrie und Mensch und war immer noch im Besitz ihrer alten Schönheit. Als ich 1969, sechzehn Jahre später, wieder dorthin kam, erhielt ich einen Schock. Der vertraute Smog verhüllte die Berge, der Fluß schien schmutziger denn je, Rauch quoll aus den Fabrikschornsteinen.

Ich unterhielt mich mit den Kingsportern über diesen Wandel. Sie schienen dem Gespräch wenig Gefallen abzugewinnen. Meist reagiertten sie ein wenig nervös, wenn das Thema auf pollution kam. „Es wird schon etwas dagegen getan", sagten sich rasch. Doch ihr Verhalten zeigte, daß sie selbst nicht recht daran glaubten.

Kingsport beginnt seine schmutzige Unterwäsche zu zeigen. Hier und da ein Riß im Bürgersteig, vernagelte Schaufenster und Läden, verschmutzte, baufällige Häuser. Selbst in Ridgefield, einem sehr reizvollen Landklub, gibt es keine Flucht mehr vor der allgemeinen Luftverpestung. Eine Hausfrau wischte mit der Serviette über den Tisch und stieß einen Laut des Mißfallens aus: Das Tuch war schwarz von Ruß und Dreck. „Ich habe ihn vor einer Stunde gewachst und poliert. Man kann einfach nichts mehr sauber halten." Später, am Abend standen wir im Garten hinter dem Haus und „genossen" die Luft, die von der Fabrik herüberwehte. Die Familie bemerkte, ein wenig gekränkt: „Es ist nicht immer so schlimm, und manchmal riecht man es überhaupt nicht .. . wenn der Wind richtig steht.“

Immobiliengeschäfte in Kingsport waren längst keine Goldgruben mehr. Ob die schlechte Luft daran schuld ist, bleibt offen, doch ein früherer Einwohner erinnert sich, daß Anteile am städtischen Grundbesitz vormals Angebote in Höhe von 47 000 Dollar gebracht haben. „Heute", sagt er bitter, „werde ich die Dinger nicht für ein Viertel dieses Preises los." Kinsport mag in einer Hinsicht glücklicher sein als andere Städte: Es verfügt durch seine ansässige Industrie über genug Finanzkraft, um das Steuer herumzureißen — was allerdings voraussetzt, daß Einwohner, Beamte und Bankiers die Symptome des Verfalls rechtzeitig erkennen und Reformen einleiten. In dieser Beziehung scheint Kingsport weniger geplagt als viele andere Gemeinden. Fachleute glauben, daß der Verfall einiget amerikanischer Städte, darunter auch Großstädte, schon so weit fortgeschritten ist, daß es nicht mehr lohnt, sie zu retten. Man würde sie besser unterpflügen und ganz von vorne anfangen. Es ist schlimm genug, wenn ein staubiges, häßliches Landstädtchen aus irgendeinem Grund zur Geisterstadt wird. Dod es ist absolut demoralisierend zu beobachten, wie der „Tod der tausend Wunden“ ein Stadt von der Schönheit und dem Potentia Kingsports überfällt. Man hofft, daß seine B wohnet ihre Stadt gründlich betrachten un über die Tatsache nadidenken, daß schon manche Gemeinde eines Tages aufwachte und merkte, daß es zu spät war. Alles, was den Menschen lebenswert schien, war verschwunden. Von Mule Shoe in Texas bis London in England haben wir beim Bau der Städte immer wieder das gleidie Prinzip verfolgt: Wir wählten die denkbar schönste Umgebung und begannen dann im Lauf der Geschichte systematisch zu zerstören, was uns einmal so anziehend erschien. Wir leiden an einer Art Zementkrankheit, verpacken alles in Beton: Straßen, Plätze, Bürgersteige, alles, was zugedeckt werden kann.

Nicht immer ist es Zement und Beton. Die Mittelschulen Kaliforniens sind berüchtigt wegen ihrer Abneigung gegen grünes Gras und Rasen. Ihre Spielplätze gleichen deshalb den Pisten eines Jagdflughafens. Sooft ich einen betrete, sehe ich mich unwillkürlich nach einem Mann mit roten Scheiben um, der Flugzeuge einweist. Asphalt kann man leichter in Ordnung halten als Gras. Doch die gleiche Schule hat wahrscheinlich luxuriöse Innenräume mit jedem nur denkbaren Komfort. Können wir deshalb die Schulbehörden anklagen? Schwerlich. Die Eltern wollen kein Gras für die Kinder; sie wollen niedrige Steuern.

Seit es Asphaltplätze gibt, sind die grünen Knie der Kinder verschwunden. Jungen und Mädchen hüten sich, auf einem Hartplatz zu stolpern und hinzufallen; man müßte sie auf der Bahre nach Hause tragen ...

Doch es war ja vorauszusehen, daß die Asphaltplätze kommen würden. Sie mußten kommen. Wenn jemand ein öffentliches Gebäude plant, denkt er zuletzt, wenn überhaupt, an die Umwelt. Schönheit findet sich nur noch in den Bilderbüchern, die Kinder in ihren Bibliotheken betrachten. Und in diesen Bibliotheken lernt das Kind wiederum wenig oder nichts über seine Umwelt. Als mein Film The Siow Guillotine (eine Dokumentation über Umweltverpestung) über die Bildschirme gelaufen war, riefen verzweifelte Lehrer von allen Schulen des Landes an. Ob ich wohl so freundlich wäre, einen Vortrag über Ökologie und Pollution vor ihrer Schulklasse zu halten?

b ich vielleicht auch meinen Film zeigen würde? Eine Volksschullehrerin versicherte, s habe die Liste der Lehrfilme genau durchgesehen und nicht einen einzigen Film über Umweltverschmutzung darin gefunden. Offen-ar ist dies ein unbekannter Lehrstoff in Schu-Dochdie nüchterne Kälte kalifornischer Schulen erscheint vergleichsweise unwichtig gegenüber einem „Prospekt Sanguine", wie es zur Zeit von der amerikanischen Kriegsmarine betrieben wird. Der überwältigende Gedanke hinter diesem Projekt ist, die Wälder von Wisconsin mit einem Netzwerk von Schneisen zu durchziehen, in denen man dann Verbindungskabel eines riesigen Nachrichtendienstes verlegen will. Dieses Vorhaben würde ein Drittel von Wisconsin in Mitleidenschaft ziehen — 10 000 Kilometer Kabel in einem Areal von etwa 60 000 Quadratkilometern. Begründung des Projekts: eine funktionierende Nachrichtenvermittlung schaffen, die Amerikas Streitkräfte nach einem Atomkrieg mit Informationen versorgt ... unter der Voraussetzung, daß alle anderen Kommunikationsmittel inzwischen zerstört sind.

Naturschützer, Biologen und Verhaltensforscher haben bereits gemeinsam ihre Stimme gegen diesen Plan erhoben. Sie fürchten, daß er Pflanzen und wilden Tieren des Gebietes schwersten Schaden zufügt. Obwohl niemand sagen kann, ob dieses „Nachrichtensystem nach dem Jüngsten Tag" überhaupt funktionieren wird, hat die Marine inzwischen 30 Millionen Dollar investiert, um zwei 25 Kilometer lange Leitungen, die kreuzweise ausgelegt werden, zu installieren. Wenn der Leser das „Projekt Sanguine", von dem man schätzt, daß es etwa 10 Milliarden Dollar kostet und die Landschaft in einen gigantischen „elektrischen Stuhl" verwandelt, wenn er also diesen Plan schwachsinnig, stupid, idiotisch, kindisch, eselsdumm, schlecht entworfen und obendrein zu teuer findet, dann möchte ich ihm hier mitteilen, daß ich gegen seine Meinung keinen Einspruch erhebe. Wir können nur hoffen, daß unsere braven Teerjacken nicht wie der berühmte Kapitän Kidd ihre Karten verlieren und dann nicht mehr wissen, wo sie ihren Schatz begraben haben. Es könnte ja sein, daß sie ihn wieder ausgraben müssen.

Inzwischen starren die Bewohner von Santa Barbara in Kalifornien hinaus auf die Olplatt-formen im Stillen Ozean und warten auf den nächsten Rohrkrepierer. Mehrere Regierungsvertreter haben ihnen inzwischen versichert, das Bohren fände nur statt, um „den Druck zu beseitigen". Wessen Druck? Das weiß niemand. Es sieht nicht so aus, als habe Santa Barbara den ersten und letzten Ausbruch einer Erdölquelle im Meer hinter sich, und es können noch ganz andere Küstenstriche unseres Landes mit O 1 beglückt werden. Auch die Olfeider von Alaska, die jetzt neu entwickelt werden, könnten unter Umständen einen interessanten Beitrag leisten.

Riesentankschiffe sollen das öl transportieren. Die Kalifornier schaudern bei dem Gedanken, daß sich eine Art Torrey Canyonoder Pacific Glory-Katastrophe an ihrer Küste abspielen würde. Die beiden Tanker liefen bekanntlich vor der britischen Küste leck, doch es könnte überall geschehen.

Tanker sind allerdings nicht das einzige Problem, das zusammen mit dem Alaska-Ol auftauchte. Die Ol-Tycoons von Alaskas North-Slope-Feld schnauben schon vor Freude über den Gedanken an eine pipeline von Prudhoe Bay im Norden bis Valdez im Süden. Diese 1300 Kilometer lange Ölleitung würde allwöchentlich den Inhalt von über 3 Millionen Fässern heißen Öls zum Tankerhafen Valdez pumpen. Von dort geht es per Schiff nach Süden. Den Naturfreunden stehen die Haare zu Berge bei dem Gedanken, was geschieht, wenn man die hochgradig labile Tundra aufreißt, um Rohre darin zu verlegen. Die Erdölgesellschaften versichern zwar, sie hätten alles genau bedacht und die Umwelt werde dabei gar nicht geschädigt, doch man glaubt ihnen kein Wort. Dieses große Projekt wurde unter dem Namen Trans-Alaska-Pipeline-System bekannt, abgekürzt Taps. Taps ist auch die Bezeichnung eines militärischen Trompeter-signals. Man bläst es bei Beerdigungen.

In Staaten, die nicht so dünn besiedelt sind wie Alaska, werden die schönsten Landschaften längst durch die Menschen belagert. Nehmen Sie Lake Tahoe, diesen berühmten See an der kalifornischen Grenze von Nevada. Der See leidet bereits unter übermäßigem Bewuchs durch Algen, auch formt sich hier schon Smog — vornehmlich an Wochenenden, wenn Karawanen von Autos nach Lake Tahoe strömen. Anwohner des Sees versuchen eine weitere Parzellierung ihres kostbaren Bodens zu verhindern, aber vergebens: Die gleiche Boise Cascade Company, die Lake Arrowhead in Südkalifornien „entwickelt", ist eifrig beschäftigt, Incline Village zu bauen, eine 2400 Hektar große Satellitenstadt am Lake Tahoe. Hunderttausende von Besuchern werden nach Lake Tahoe gelockt, nicht nur durch die großartige Szenerie, sondern auch durch die Spielhöllen und Kasinos am Nevada-Ufer des Sees. Die angesiedelte Bevölkerung beträgt schon fast 50 000, und niemand weiß, wie man das rapide Wachstum bremsen und den Besucherstrom eindämmen kann. Schon ist die unglaubliche Naturschönheit dieses Bergsees durch Reklameschilder, Läden und die unvermeidbare Schweizer-Käse-Architektur verschandelt worden. Die nächsten Jahre werden entscheiden: Soll der See gerettet werden, müssen wir an seine Berge denken und nicht nur an die gewinnbringenden Roulette-und Bakkarat-Tische.

Eines der faszinierendsten Gesellschaftsspiele besteht heutzutage darin, sich vorzustellen, was im Jahre 2000 geschehen wird, wenn rund sieben Milliarden Menschen auf der Erde leben werden — die Menschheit sich also im Vergleich zu heute verdoppelt hat. Uber 350 Millionen werden allein in den USA zu finden sein, und sie werden gegen Ende dieses Jahrhunderts etwa 4 Billionen Liter Frischwasser täglich verbrauchen. Naturschutzparks und andere Erholungsgebiete werden sich dann schwer tun, um für ihre Bären noch einen Platz zum Schlafen zu finden, von den Touristen ganz zu schweigen. Etwa eine Viertel-milliarde Besucher kommen alljährlich und brauchen, wie es der Wächter eines Naturschutzgebietes einmal ausdrückte, „mehrstöckige Schlafsäcke".

Obwohl uns das alles bekannt ist, vermehren wir uns weiter wie die Kaninchen. Wir verschmutzen mehr Wasser denn je, obwohl wir wissen, daß der Nachschub nicht größer wird. Wir fahren fort, die freie Wildbahn mit Zement und Glas zu verunzieren, schlagen Schneisen in Wälder, um Straßen zu bauen, über die dann noch mehr Menschen strömen werden. Was ist das Endresultat dieser zügellosen „Entwicklung" von Regionen, dieses wilden Wachstums? Wir werden eines Tages aufwachen und feststellen, daß Camping, Wandern. Fischen und Jagen unmöglich geworden ist, so wie es dann auch keine Vögel oder anderen Tiere mehr gibt. Natur — oder was dann unter diesem Namen lebt — wird für den Konsumenten so schwer erreichbar sein wie jetzt ein neuer Westernfilm.

Man muß Schlange stehen und sein Sechs-Dollar-Ticket fest in der Hand halten, will man Teilnehmer einer organisierten Tour durch die Wildnis sein. Ich kann jetzt schon die Stimme des Führers hören: „Auf geht's Leute. Bitte die nächste Gruppe! Sie sehen linker Han einen originalen, garantiert lebendigen Hirs , und vor sich die Nachbildung eines WeißkoP Seeadlers. Kinder, die Münzen sammeln, Kel nen das Tier noch, nicht wahr. Kleiner? Brav Und werfen Sie einen Blick auf den leben 6n Alligator . . . wir haben ihn mit großen Kos 6 importiert, seit es die Everglades nicht mehr gibt. Keine Angst vor Ungeziefer, Madame, der Platz wurde vor 30 Jahren mit DDT behandelt, da lebt kein Floh mehr. Und Sie dürfen, ja, Sie dürfen auf den Rasen treten, es schadet unserem garantiert trittfesten Astro-Turf nichts! Der Spaziergang dauert genau acht Minuten, Leute, und wenn ihr auf dem Parkplatz drüben 'rauskommt, vergeßt nicht, ein Kunststoffmodell der Ponderosa-Pinie mitzunehmen. Diese Bäume haben hier wirklich mal gestanden. Bitte halten Sie Ihre Kinder fest an der Hand, meine Dame, das hier ist Wildnis, denken Sie daran. So, jetzt gehen wir aber flott weiter, damit die Leute hinter uns auch einen Blick auf den Nationalpark werfen können. Viel Spaß, Leute!"

Was wir nicht betonisieren, planieren, vergasen oder zertrampeln, das bestreuen wir mit Abfällen. Dreieinhalb Milliarden Tonnen Müll und Schrott fallen jetzt schon jährlich bei uns an. Wir sind stolz auf unsere Einwegflaschen, unsere praktisch unzerstörbaren Kunststoff-Packungen und -dosen. Selbst der erste Amerikaner auf dem Mond folgte dem nationalen Brauch und ließ Müll auf dem Trabanten zurück. Wenn irgendein Gast von anderen Sternen einmal dort landete und die Aufschriften nicht lesen könnte, er wüßte trotzdem, daß Amerikaner vor ihm auf dem Mond waren.

Wir sind bereit, uns für das Recht, Unrat auszustreuen, zu schlagen. Niemand schert sich um ein Schild, das mit 500 Dollar Strafe droht, wenn man irgendwo Packungen zurückläßt oder Scherben einer Bierflasche. Auch werfen wir unentwegt Papier und anderes aus unseren Autos, was Europäer nicht tun. Vielleicht kommt das alles daher, daß wir jahrhundertelang viel freien Raum und wenig Menschen um uns hatten. In den älteren, höherentwickelten Ländern war dies nicht der Fall. Nur die Kasernen und Flugplätze in Amerika sind frei von derartigen Unarten, weil die Strafe hier auf den Fuß folgt und unverhältnismäßig hoch ist. Ich denke immer noch mit Vergnügen an einen Oberst der US-

nmY in vollem Dreß mit angelegter Ordens? nalle, der ein Stück Kasernenstraße „sauer alten mußte", indem er hier Papier und ot Flaschen aufhob. Er war dabei erwischt " orden, als er ein Stück Packpapier auf dem ugplatz wegwarf, und er mußte den Sams-

tgnachmittag mit dieser demütigenden Beaftigung verbringen.

Heuerdings zeigt sich manchmal eine Art Reue er unsere Unsauberkeit. Eine Gesellschaft, die Getränke herstellt, zahlt den „Einsatz" zurück, wenn man leere Flaschen bringt. Mit einem guten Gespür für die wachsende Wut des Publikums gegen Umweltverschmutzung annoncieren Unternehmen in Blättern und beschreiben genau, was sie gegen pollution unternehmen. So die Bethlehem Steel Company in einer farbigen Doppelseite in „Newsweek“ vom 9. Juni 1969. Ganze Programme wurden darin beschrieben, von der Neutralisierung säurehaltigen Bergwerkswassers bis zum Anpflanzen von Akazien und Forsythien in den Kalkbergwerken von Annville, Pennsylvanien. Das ist ehrenwert, doch man fragt sich, warum das Hüttenwerk nicht das Geld für die Anzeige benutzt, um etwas gegen die Verschmutzung des Eriesees zu tun. Denn dort ist Bethlehem, wie der Regierungsbericht ausweist, der drittgrößte industrielle Abwässer-Fabrikant. Es ist nicht meine Absicht, diese Stahlwerke anzugreifen. Die Tatsache, daß die Firma sich so besorgt zeigt und etwas tut, beweist, daß sie aufgeklärter ist als andere Konzerne, die nicht einmal den guten Willen haben.

Obwohl unsere Unkenntnis des Pollution-Problems Ergebnis einer selbstinduzierten Blindheit war, muß doch gesagt werden, daß Informationen über das Thema nicht gerade weit gestreut wurden. Es wäre interessant, einmal eine Kampagne zu erleben, bei der Plakate überall dort aufgestellt werden, wo Natur verunreinigt wird. Unser Land würde wahrscheinlich wie eine einzige, riesenhafte Protest-Demonstration aussehen: Plakate, soweit das Auge reicht. Solche Schilder findet man heute bestenfalls in Gebieten, die so verschmutzt sind, daß bereits echte Gefahr für den Menschen besteht. Außerdem wären Plakate dieser Art eine Demütigung für die Bewohner der Städte und durchaus keine Werbung für die Fremdenindustrie. Allerdings — sie würden vielleicht erzwingen, daß endlich etwas getan wird. Als die Erkenntnis von der Gefahr der Umweltverpestung sich Anfang der siebziger Jahre durchsetzte, erschien mit ihr auch eine weitere Gefahr auf der Bildfläche: Über-eifer. Von der alarmierten Bevölkerung angespornt, beginnen die Gesetzgeber plötzlich, ganze Bündel von widersprüchlichen, sich überschneidenden und nicht durchführbaren Verordnungen zu produzieren, was unweigerlich neue Bürokratie ins Leben ruft und zu endlosen Klagen führt, die wiederum die Gerichte blockieren. Das gilt besonders für die örtlichen und regionalen Bemühungen. Doch Umweltverschmutzung kümmert sich nicht im geringsten um politische oder geographische Grenzen, und der Versuch, sie nur an einem Ort zu bekämpfen, führt zu nichts. Umwelt-verpestung und umweltverpestende Stoffe sind wahre Nomaden. Man braucht nationale und internationale Gesetze, um etwas zu erreichen.

Die Industrie führt ein gutes Argument ins Treffen, wenn sie darauf hinweist, daß dem einzelnen Unternehmer nicht die Kosten für Abwehrmaßnahmen aufgebürdet werden dürfen, wenn sein Konkurrent auf dem Markt frei ausgeht. Offenbar brauchen wir nationale Gesetze, um das Problem gerecht zu behandeln. Mit solchen Gesetzen könnte man Steuervergünstigungen verbinden, die sogar an einen Zeitplan gekoppelt sein dürften. Fabriken, die ohne triftigen Grund den festgelegten Zeitplan nicht einhalten, werden nicht mehr begünstigt. Man würde ihnen noch eine Gnadenfrist gewähren — doch wenn auch diese verstrichen ist, müßte das Werk so lange geschlossen werden, bis dem Gesetz zur Bekämpfung der pollution Genüge getan ist. Vermutlich würde kaum ein Unternehmen aus der Reihe tanzen. Geht man diesen Weg nicht, verzichtet man auf Steuer-Erleichterungen, dann müssen die Preise erhöht werden, um die Kosten der Reinigungsaktion zu decken. Doch alle Versuche, die Last nur der Industrie aufzubürden, wären unrealistisch, selbst wenn es viele Menschen freuen würde. Dadurch würde die nationale Reinigungsaktion nur verschleppt. Wir können uns aber keine Verzögerung mehr leisten.

Daher sollten auch die Stadtverwaltungen herangezogen werden. Sie müssen einer weiteren Verschmutzung unserer Flüsse und Seen entgegenarbeiten. In seiner State-of-the-

Union-Botschaft setzte Präsident Nixon dieses Ziel mit der Ankündigung: „Ich werde dem Kongreß ein Zehnmilliarden-Programm zur Reinerhaltung des Wassers in ganz Amerika vorschlagen, damit moderne Abwasser-Reinigung und Klärbecken an jedem Ort Amerikas, der solche Anlagen benötigt, entstehen und das Wasser sauber halten . . ." Das waren noble Worte, doch sie zeugten von Unkenntnis der finanziellen Lage. Stützt man sich auf Untersuchungen, die vorliegen, und die jederzeit zu haben sind, dann könnte der Präsident seine zehn Milliarden allein in den Eriesee stecken und würde dann trotzdem im ganzen Cuyahoga-Fluß noch nicht ein reines Fleckchen finden. Die große Reinigung benötigt das Vielfache der genannten Summe.

Und doch brauchen Anti-Pollution-Aktionen nicht immer Milliarden-Dollar-Projekte zu sein. In dem Hafen Great Chesterford von England genügte es, einen Mann mit einer feinen Nase anzustellen, der „schnüffelt", wo sich im Kanalsystem der Hafenstadt der Unrat anhäuft, weil der Durchlauf des Wassers zu langsam ist. Dieser Mann, von dem die Presse lang und breit berichtete, spart den Stadt-vätern Millionen, weil er das Unheil erkennt und sofort Gegenaktionen durch die Ingenieure der städtischen Wasserwerke einleiten läßt, wenn sich Gefahrenherde bilden. Man muß sich auch etwas einfallen lassen.

Es gibt, in all dieser Düsternis, Beispiele, die uns hoffen lassen. So wurde beispielsweise in Ventura County, Kalifornien, ein Neunzig-Millionen-Dollar-Projekt zur Wassergewinnung nicht genehmigt. Grund: Dieses Projekt würde einen der letzten Zufluchtsorte des seltenen kalifornischen Kondors vernichtet haben; noch heute nisten fünfzig dieser Riesen-vögel dort. Laut Associated Press begründete das Innenministerium diesen Entschluß mit den Worten: „Wenn das Projekt vom Kongreß genehmigt worden wäre, hätte an der Ausrottung der Kondore kein Zweifel mehr bestanden. Die Erhaltung dieser Tiere ist von vordringlicher Wichtigkeit. Sie sind einmalig, es gibt sie nirgendwo sonst mehr . . .“ Noch vor zwei Jahren hätten die Amerikaner eine derartige Aktion zur Rettung von fünfzig Vögeln abgeschmackt und verrückt gefunden. Um ehrlich zu sein, selbst der Gedanke daran wäre damals einmalig gewesen — wie ein kalifornischer Kondor.

II. Blei — Ein Fluch aus der Antike kehrt zurück

Blei, dieses uralte Metall mit dem unromantischen Namen, hat eine eigene Geschichte. Sie ist voll von Romantik, aber auch Intrigen, Abenteuern und voll von Neid. Kriege wurden wegen des Metalls gefochten. Ein Bleifigürchen, fast 5000 Jahre alt, steht im Britischen Museum. Die Chinesen kannten Blei-münzen 2000 Jahre vor der Zeitwende. Assyrer und Babylonier schätzten Bleiornamente hoch. Um 2500 v. Chr. begann man, die Metalle Blei und Silber voneinander zu trennen. Die Römer nutzten das Blei für viele Zwecke, vor allem für Wasserleitungen. Die Römischen Bäder von Bath in England arbeiten immer noch mit Bleirohren, die 2000 Jahre alt sind. Damals stellte man solche Wasserleitungen her, indem man eine Bleifolie zusammenrollte und die Ränder verschmolz. Zisternen und Wasserbehälter wurden mit Blei ausgekleidet, ebenso die Abwässerkanäle. Schiffe beschlug man mit Blei, Töpfe erhielten einen Bleiüberzug.

Griechen und Römer finanzierten ihren Aufstieg zur Macht mit Silber, das sie in den Bleiminen Spaniens und Attikas gewannen. Doch trotz dieser ruhmreichen Vergangenheit scheinen Elend, Schmerzen und Tod unlösbar verbunden mit der Geschichte dieses weltweiten, mächtigen Metalls. Es gibt eine Theorie, derzufolge das Römische Reich nicht aus den Gründen zerfiel, die man in den Geschichtsbüchern findet, sondern durch seinen Kontakt mit Blei . . . das, wie die Macht, den korrumpiert, der mit ihm in zu enge Verbindung tritt.

Die Könige vergangener Zeiten ließen Arbeiter als Sklaven in Bergwerken sterben, um selber Gewinn aus dem Blei zu ziehen. Merkwürdig genug, man entdeckt ganz ähnliche Züge in diesem, dem zwanzigsten nachchristlichen Jahrhundert.

Finige Historiker glauben nämlich, d. ß die omer nicht wußten, welch tödlichen Effekt ei auf den menschlichen Organismus haben ann. Unser Körper verträgt nur die winzigsten Dosen dieser Substanz — 0, 5 bis 0, 8 ppm, ® er Teile pro Million, im Blut. Was darüber 'nausgeht, verursacht die klassische Bleiver-

gutuung, die Gehirn und Nerven schädigt und s leßlich den Tod herbeiführt. Nach der be-s s erwähnten Theorie nahmen die Römer ine Blei zu sich (durch ständige Berührung, K ehensmitteln, Wasser und Wein), daß ankheit und Degeneration des Gehirns schließlich den Sturz der Weltmacht herbeiführten. Trotzdem muß man den Römern etwas zugute halten. Ihr Kontakt mit dem Blei rührte aus Dummheit und Unkenntnis her, was verzeihlich ist. Unser Kontakt mit Blei hat seine Ursachen in der menschlichen Gier nach Profit. Und das ist unverzeihlich.

Die erste Warnung, daß wir Mitmenschen zu Krankheit, Verkrüppelung und Tod durch Bleivergiftung verdammen, kam 1965, als der Geochemiker Dr. Claire C. Patterson in den „Archives of Environmental Health" (Bd. II, Sept. 1965) einen brillanten Beitrag über „Kontaminierte und natürliche Bleiumwelt des Menschen" veröffentlichte. Während der Vorarbeiten zu dem Beitrag fand Patterson heraus, daß die Abgabe von Blei durch Industrieanlagen eine deutliche Wirkung hat, und zwar „auf den Bleigehalt der Ozeane und der Atmosphäre über der nördlichen Erdhalbkugel“.

Die stärkste gegenwärtig nachweisbare Quelle einer ständigen Bleivergiftung unserer Umwelt ist das mit Benzin angetriebene Automobil, dessen Hochdrudemaschinen ein „AntiKlopf-Mittel" im Treibstoff benötigen. Dieses Mittel heißt Bleitetraäthyl. Man braucht etwa 60 Gramm dieses Zusatzes für einen Tank voll Treibstoff.

Die Ungeheuerlichkeit dieser Vergiftung kann man anhand einer einfachen Rechnung darlegen. Eine Großstadt wie Los Angeles hat etwa vier Millionen Autos. Jeder Kraftwagen hat einen Tank, der für eine Fahrstrecke von etwa 400 Kilometern ausreicht. Jeder Besitzer fährt im Jahr etwa 16 000 Kilometer, muß also einen Tank vierzigmal füllen lassen. Da man pro Tank zwei Unzen des Bleizusatzes braucht, ergeben sich daraus 8, 96 Millionen Kilogramm Bleitetraäthyl — und wenn man das Blei aus dieser Verbindung löst, dann kommt man auf einige Millionen Pfund Blei, die alljährlich in die Luftglocke Los Angeles ausgestoßen werden. Dr. Pattersons Arbeit, die manche für das bedeutendste Dokument halten, das jemals über das Thema „Blei" geschrieben wurde, explodierte wie eine Bombe. Vier Jahrzehnte lang hatte man sich auf diesem Gebiet mit Annahmen, halben Wahrheiten, politischer oder progandistischer Blindheit zufriedengegeben. Natürlich erregte seine Schlußfolgerung, „daß der Durchschnittsamerikaner schwersten Schädigungen durch Blei ausgesetzt ist", sofort außerordentlich großes Aufsehen.

Der Chemiker Patterson hatte das amerikanische Gesundheitsministerium genau an seiner wunden Stelle getroffen. Diese imposante öffentliche Dienststelle hatte bisher immer den allgemeinen Standpunkt vertreten, daß das Blei in der Umwelt des Amerikaners „sich durchaus im Rahmen dessen befände, was nach der gegenwärtigen Auffassung von Menschen vertragen werde, und daß nichts auf eine drohende Bleivergiftung hinweise ..."

Patterson jedoch fügte seiner These drei weitere Beobachtungen hinzu:

Die bestehende Belastung des (menschlichen) Körpers mit Blei ist etwa hundertmal so groß wie die natürliche Belastung.

Die gegenwärtige Aufnahme von Blei ist etwa dreißigmal höher als die natürliche Aufnahme. Unter den bestehenden Bedingungen trägt das in der Atmosphäre verteilte Blei wesentlich dazu bei, daß (von Menschen) Blei aufgenommen und absorbiert wird — während unter natürlichen Verhältnissen atmosphärisch verteiltes. Blei überhaupt keine Rolle spielt.

Patterson erregte auch großes Aufsehen, als er eine der Lieblingsthesen der Gesundheitsschützer angriff, derzufolge das im Menschen nachweisbare Blei „normal und daher sicher oder natürlich sei". Diese Annahme, bemerkte der Wissenschaftler, gehe „von der Voraussetzung aus, . natürlich'und . sicher'seien identische Begriffe. Doch eine solche Annahme könne auf einem verhängnisvollen Irrtum beruhen. "

Er argumentierte folgendermaßen: Die übliche Konzentration von Blei in menschlichem Blut beträgt heute 0, 25 ppm. „In Vergangenheit und Gegenwart wurde dieser Wert mit einer ganz unbegründeten Zufriedenheit betrachtet. In Wirklichkeit liegt er aber irgendwo zwischen der natürlichen Konzentration von 0, 002 ppm und dem akut toxischen Schwellen-wert von 0, 5 bis 0, 8 ppm. Das deutet aber unmißverständlich an, daß der Durchschnitts-bewohner der Vereinigten Staaten längst einer schweren chronischen Bleibelastung ausgesetzt ist."

Pattersons detaillierter Bericht war wie der berühmte Stich ins Wespennest. Es hagelte Widersprüche. „Das Echo dieser Auseinandersetzung und das erneute Interesse an der Biochemie des Bleis", sagte Patterson, „beendete eine Ära, die vierzig Jahre gedauert hat und in der die Industrie den Ärzten vorschrieb, was sie von Bleivergiftung wissen müßten.“

Um zu verstehen, warum Pattersons Bericht viele Leute wütend machte, muß man einen Blick zurück auf die zwanziger Jahre werfen. Damals begannen die großen Werke Automobilmotoren mit höherer Verdichtung zu bauen, was Treibstoffe mit höherer Oktan-zahl erforderlich machte, um das „Klingeln“ oder „Klopfen" der Motoren zu verhindern. Als ich mich im Sommer 1969 mit Dr. Patterson über die Frage „Blei im Benzin" unterhielt, erfuhr ich, daß dieser Zusatz hauptsächlich von der Ethyl Corporation an die großen Erdölfirmen geliefert wurde. Meine Frage: „Wie wurden die Sicherheits-Normen für Blei entwickelt?" — Antwort: „Sie stammen fast ausschließlich von einem einzigen Mann, der damals für die Ethyl Corporation arbeitete -einem Dr. Robert Keyhoe. Er wurde von der genannten Firma in den zwanziger Jahren angestellt, um die Praktiken zu verteidigen, mit denen das Blei-Tetraäthyl als Anti-Klopf-Mittel auf den Markt gebracht wurde. Das Produkt vergiftete damals eine Menge Leute. Sie müssen verstehen, Blei-Tetraäthyl in Reinform ist ein tödliches Gift. Tropfen Sie etwas davon auf die Haut, und Sie sterben! Es ist ein scheußlicher Tod. Denn nach zwei oder drei Tagen gelangt das Gift ins menschliche Gehirn, und dann ist die Krankheit mit der Tollwut vergleichbar.

Irgenwie kam das alles in die Zeitungen, weil es Serien von Todesfällen gegeben hatte, und die Öffentlichkeit erregte sich. Die Ethyl Corporation verkaufte den Stoff, vom Gesundheitsministerium aber fiel kein Wort. Doch die Zeitungen übten Druck aus, und der Kongreß forderte vom Gesundheitsministerium einen Bericht an, das daraufhin einen Ausschuß bildete, der die Sache untersuchte. Dies geschah 1924. Die Herren des Ministeriums entwarfen eine Anzahl von Verordnungen, die sehr sorgsam die Gesundheit jener Menschen schützte, welche das Gift herstellen.

Es war sozusagen die klassische Aufgabe des Gesundheitsministeriums, die Industriearbeiter in den Fabriken zu schützen und dafür zu S gen, daß sie die Zeituhr drücken und i re Arbeitgeber nicht verklagen können. Und dies rührt wieder her aus den Anfangszeiten uns res Jahrhunderts, als das Ministerium en stand. Abgesehen von Seuchen wie Malan 1 Typhus und ähnlichen ansteckenden Krankheiten betrachtete diese Dienststelle die Gesundheit der Bevölkerung vor allem unter industriellen Aspekten.

Zu keiner Zeit hat man sich Gedanken darüber gemacht, daß es unter Umständen auch darauf ankäme, den Verbraucher zu schützen. Kurz und gut, nachdem man sich mit dem amerikanischen Gesundheitsdienst über die Methoden geeinigt hatte, nach denen die Ethyl Corporation das Gift ohne katastrophale Risiken für die Arbeiter herstellen konnte, schien alles geregelt. In den fünfziger Jahren wurde die Frage zwar erneut kurz angeschnitten; man einigte sich darauf, daß man dem Benzin nur eine bestimmte Menge beimischen dürfe — doch das war kein Gesetz, sondern eine Art gentlemen's agreement. Die Automobilfabrikanten drängten aber und verlangten immer mehr Blei im Benzin für ihre immer höher verdichteten Motoren. Daher sagte der Ausschuß: O. K., wir haben es uns nochmals überlegt; ihr dürft mehr Blei hineintun, da wir entschieden haben, daß es niemandem schadet, wenn ein bißchen mehr Blei ins Benzin kommt..."

Zu dieser Zeit, meint Patterson, sei der amerikanische Gesundheitsdienst dahintergekommen, daß er die Frage, ob Bleialkyle — wie jenes Bleitetraäthyl — die Belastung des menschlichen Körpers mit Blei vergrößern, noch gar nicht entschieden habe. Darauf veranstalteten Gesundheitsministerium, Erdölgesellschaften und die kalifornische Abteilung des Gesundheitsdienstes zusammen mit der Bleiindustrie eine gemeinschaftliche Untersuchung. Der Bericht, der daraus hervorging, wurde von Patterson kritisiert, weil „man nicht erkennen wollte ..., daß die Bleialkyle zur erhöhten Belastung des Körpers und zu einer Konzentration von Blei im Blut des städtischen Amerikaners geführt haben, so wie man auch nicht einsah, daß die jetzt festgestellten Normalwerte der Bleiverseuchung des Menschen alarmierend waren — und keineswegs beruhigend ..."

Dies geschah 1965. Ein Jahr später, 1966, ersuchte Patterson den Gouverneur von Kalifornien, vom Gesundheitsministerium eine neuer-1 e Stellungnahme anzufordern. Patterson:ie gaben 1967 einen neuen Bericht heraus, m em sie nun ihre frühere Bewertung der 9 edhen Unterlagen auf den Kopf stellten und usdrucklich anerkannten, daß Bleialkyle die 6 des Bleis in der städtischen Atmodre sind, und daß, als Folge dieses Zustands, auch die Bleikonzentration im Blut von Stadtbewohnern angestiegen sei. Erdölgesellschaften und Bleialkyl-Industrie beziehen sich aber immer noch auf den gemeinsamen Bericht von 1965. Sie vermeiden sorgfältig, auf die spätere Stellungnahme des Gesundheitsministeriums einzugehen."

Patterson, der nicht viel von öffentlichen Gesundheitsdiensten hält, meint: „Sie sind nachgewiesenermaßen unfähig, Gutachten zu erstellen, die tatsächlich die öffentliche Gesundheit verteidigen." Er erinnert daran, daß der öffentliche Gesundheitsdienst 1938 untersuchte, welche Gefahr für den Verbraucher bestehe, wenn Äpfel zum Insektenschutz mit Bleiarsenat besprüht werden, und dabei zu dem Schluß kam, es sei gefahrlos, wenn der Wert von 7 ppm Blei auf dem Apfel nicht überschritten werde (ein Maximalwert, der heute noch gilt!). Zur gleichen Zeit aber habe Dr. Keyhoe Material über Blei-Aufnahme durch Lebensmittel gesammelt und festgestellt, daß 1, 5 ppm bereits nach wenigen Monaten zur klassischen Bleivergiftung führten.

An dieser Stelle wird es Zeit, nochmals zu fragen, um was es bei all diesen Vergiftungen, politischen Manövern und wissenschaftlichen Diskussionen überhaupt geht. Nur um zwei Dinge: um einen Zusatz zum Benzin, der den Motor „klopffest" macht und um die Profite der Bleiindustrie, der Erdölgesellschaften und der Automobilfabrikanten.

Jeder vernünftige Mensch wird dabei Fragen stellen. Ist es wirklich wahr, daß es zu einer so enormen Zunahme von Blei in unserer Umwelt kam? Besteht tatsächlich die Gefahr einer kontinentalen Bleivergiftung? Und wenn beides mit Ja beantwortet wird, die weitere Frage: Warum wurde das erlaubt? Erkannten die betroffenen Industrien die Gefahr, die darin liegt, daß man derartige Bleimengen wahllos auf Wasser, Luft und Lebensmittel losläßt? Geschah es aus Dummheit, aus Nichtwissen — oder handelt es sich um eine gezielte Entscheidung, bei der finanzielle Überlegungen im Vordergrund standen und Konsequenzen keine Rolle spielen? Solche Denkweisen sind im Geschäftsleben nicht unbekannt, wenn es sich um Geld dreht. . . .

Die Architekten großer Gesellschaften haben in ihrem Konzept etwas vergessen — soziale Verantwortung, „Herz", wenn Sie so wollen. Menschliche Rücksichten werden ihnen nur durch das Gesetz oder durch öffentliche Reaktionen aufgezwungen. Ich kenne nicht ein Bei-spiel, in dem sie sich wie Weihnachtsengel verhielten.

Da kein Zweifel besteht, daß Blei uns verkrüppeln und töten kann, lassen Sie uns ernsthaft die Möglichkeit ins Auge fassen, daß wir unsere Umwelt tatsächlich voller Blei laden. Nachdem Patterson 1965 unsere Kenntnis über dieses Metall bereichert hatte, wurden weitere Forschungen geplant und durchgeführt. Das Ergebnis der jüngsten Untersuchung erschien im Herbst 1969: „Chemische Konzentration von luftverschmutzenden Blei-Schwebeteilchen, von Staub und Seesalz in den Schneeschichten von Grönland und dem Südpol". Als verantwortlich für diese Studie zeichneten M. Murozumi aus Japan, Tsaihwa J. Chow vom Scripps Institute für Ozeanographie in La Jolla, Kalifornien, und Claire Patterson vom California Institute of Technology in Pasadena. Es waren keine unbekannten Institute, die hinter dem Bericht standen.

Die Wissenschaftler gingen sorgfältig vor. Sie entnahmen Proben aus uralten Eis-und Schneelagen; die Entnahme war so sorgfältig geplant, daß keinerlei Verunreinigung von außen in die Proben gelangen konnte. Auf diese Weise gelang es, die Konzentration von Blei bis zum Jahr 800 v. Chr. zu messen. Was dabei entdeckt wurde, sollte ausreichen, um eine gleichgültige Welt endgültig zu schockieren — wenn sie erst einmal begriffen hat, welcher Gefahr wir durch das unglaubliche Ansteigen des Bleipegels während der letzten Jahre ausgesetzt sind.

Ganz allgemein: Die Konzentration des Bleis in den Proben stieg im Nordpolar-Eis von einem Tausendstel Mikrogramm Blei/pro kg Eis im Jahr 800 v. Chr. auf zweihundert Tausendstel Mikrogramm Blei/pro kg Eis in den letzten Jahren. Im Gegensatz dazu waren Bleikonzentrationen im Südpol-Eis vor 1940 gar nicht zu entdecken; sie stiegen dann auf zwanzig Tausendstel Mikrogramm Blei/pro kg Eis in der jüngsten Zeit an. Dieser Unterschied wurde den besonderen Windverhältnissen zugeschrieben, die verhindern, daß ein Aerosol (Schwebeteilchen) von der nördlichen Halbkugel zur südlichen gelangt.

Messungen von Blei in Eislagen aus dem Jahr 1753 in Camp Century in Grönland korrespondieren mit dem Beginn der ersten industriellen Revolution in Europa. Diese Bleikonzentrationen lagen bereits fünfundzwanzigmal so hoch wie der natürliche Bleipegel im Eis. Die Konzentration verdreifachte sich offenbar in dem fünfzigjährigen Zeitabschnitt von 1753 bis 1800, verdoppelte sich nochmals zwischen 1815 und 1933. Doch der größte Anstieg begann erst in den Jahren 1933 bis 1965; die Kurve steigt fast senkrecht an, die Werte müssen mit dem Faktor drei multipliziert werden. In dieser Zeit aber wurde das Blei-Benzin ein geführt. Heute — so zeigt der Bericht — liegen die Werte von Camp Century um das Fünfhundertfache über denen des natürlichen Bleipegels.

Die größten Bleikonzentrationen im Polar-Eis verdanken wir ohne Frage den verbleiten Automobiltreibstoffen. In vergangenen Zeiten wurden große Mengen des Metalls durch Blei-schmelzen in die Luft geblasen. Heute ist die Luftverschmutzung durch Bleischmelzen, durch das Verbrennen bleihaltigen Materials oder ähnlicher Quellen minimal; der einzige Fersteiler von Bleischwebeteilchen ist und bleibt das Automobil. Wie sieht es dann aber mit dem Blei im Boden aus? In den USA liegt der Durchschnitt bei 10 ppm (Teile pro Million) -doch Gebiete mit starkem Autoverkehr zeigen erschreckende Konzentrationen. Dr. Chow vom Scripps Institute überließ mir noch nicht veröffentlichte Zahlen von Bodenproben, die an verschiedenen Punkten der Erde von bestimmten Plätzen entnommen worden waren — wie in der Tabelle weiter unten zu lesenist In Moskau, wo man Blei-Benzin nicht kennt, enthält der Boden 19 ppm Blei. Dagegen finden sich im MacArthur Patk von Los Angeles Bleikonzentrate, die wahrhaft erschütternd sind: 3357 ppm — oder, wie Dr. Chow es ausdrückte, ein Konzentrat, das schon an Bleien herankommt.

Wenn Sie jetzt fragen, ob bei solchen Anreicherungen von Blei überhaupt noch Luft genüg zum Atmen bleibt, dann wird Sie die folgende Aufstellung interessieren:

Bleikonzentrationen im Staub der Luft — ausgedrückt in ppm Ort KonzentraW« Los Angeles, Kalifornien 25« 1500 Portland, Oregon San Diego, Kalifornien 4000 Seattle, Washington 1000 Honolulu, Hawaii 700 Boston, Massachusetts 4000 Bern, Schweiz 2500

Der moderne Mensch ist sozusagen ell Bleihagel ausgesetzt. Neben der Hauptgu 1 dem Blei-Benzin, haben wir noch unend Möglichkeiten, dieses Metall einzunehmen. Blei wird benutzt für Wasserleitungen und Verbindungsstücke. Wir verlöten Konservendosen damit, wir versprühen es mit Insektiziden. Wir essen, trinken und atmen es täglich ein. Ein Teil dessen, was wir aufnehmen, bleibt im Körper.

Nadi Dr. Patterson erhält der Durchschnitts-amerikaner täglich etwa 350 Mikrogramm Blei im Essen und im Wasser. Weitere 20 bis 50 Mikrogramm atmet er ein. Rund 30 bis 40 Mikrogramm gehen täglich in ein Blut über; etwa die Hälfte davon stammt aus der Luft. Die Belastung unseres Körpers beträgt durchschnittlich 200 Milligramm Blei, mit einer Konzentration im Blut von 0, 25 ppm.

Bleikonzentration im Boden — ppm Ort Konzentration Paris: Jardin des Tuileries 220 München: Englischer Garten 158 Moskau: Lomonossow Universität 19 New York City: Central Park 539 Los Angeles: MacArthur Park 3357 San Diego: Alboa Park 194 Community Concourse 2307 Honolulu: Irwin Park 1088 lolani Palast 224 Bangkok, Thailand: Patumwan Circle 1175 Lima, Peru: Plaza Grau 223 Ruinen der Indianer 72 San Francisco: Golden Gate Park 560 Borrego Springs, Kalifornien: Palm Canyon 7, 1 Laguna Mountains, Kalifornien 5, 6

Das Blei, das wir mit Speisen aufnehmen, wird größtenteils wieder ausgeschieden; nur ein kleiner Teil gelangt in die intestinalen Gefäße. Was an Blei in die Pfortader gelangt, wird von der Leber gefiltert, die es über die Gallen-flüssigkeit ausstößt, bevor es den Hauptblutström erreicht. 95 Prozent des eingenommenen leis werden durch den Stuhl ausgeschieden, meint Patterson. •Das Gesagte gilt aber nicht für Blei, das wir ematmen", schreibt er in seinem Bericht wei-sn „Etwa 40 Prozent dieses Bleis gerät in den utkreislauf; daher ist das atmosphärische 7 ei wesentlich gefährlicher für den Menschen. t war wird wiederum der größte Teil des Me" s. das in die Körperflüssigkeit gelangt, nach relativ kurzer Zeit durch den Urin ausgeschieden. Doch kleinere Mengen bleiben dauernd im Körper, vor allem in den Knochen, wo sich ein Reservoir bildet, das langsam angereichert oder abgebaut wird, je nachdem, ob wir mehr oder weniger Blei aufnehmen."

Patterson glaubt, daß kein Mensch Lebensmittel essen kann, die auch nur ein Zehntel der Durchschnittskonzentration des Bleis im Boden enthalten, ohne nach einiger Zeit an klassischer Bleivergiftung zu erkranken. Tatsache ist aber, daß er in hochindustriellen Gesellschaften das Doppelte zu sich nimmt.

Schon leiden in den Vereinigten Staaten zahlreiche Kinder an dieser Vergiftung durch Blei, mit allen dazugehörigen Begleiterscheinungen: Gehirnschäden, Nierenschäden, Muskeldystrophie und Schädigung des Zellstoffwechsels. „Als Enzymblocker", erklärt Patterson, „lähmt Blei die Zellen und damit die Funktion von Organen, die ja aus Zellen bestehen. Unter natürlichen Verhältnissen steigt die Bleikonzentration zunächst schnell mit dem Alter des Kindes an; beim Erwachsenen verläuft der Anstieg dann langsamer."

Er glaubt, daß wir einen „festen Bestand" von etwa 50 000 Kindern in den USA haben, die an Bleivergiftung leiden — „und das kann eine Schätzung sein, die weit unterhalb der tatsächlichen Verhältnisse bleibt". Neuere Veröffentlichungen sprechen von der Möglichkeit, daß bis zu 400 000 Kinder vergiftet sind — die meisten von ihnen, weil sie mit den bleihaltigen Farben an den Wänden von Slum-und Getto-Wohnungen in Berührung kommen. Nur etwa vier bis fünf v. H. dieser Kinder werden ärztlich behandelt.

Es fällt schwer, Bleivergiftung während des Anfangsstadiums zu erkennen. Geschieht das, und wird der Erkrankte sofort behandelt, können schwere Schäden vermieden werden. Doch die Mehrzahl der Kinder bleibt ohne eine ärztliche Behandlung; für den Rest ihres Lebens sind sie durch Hirnschäden oder andere Leiden behindert. 175 bis 200 Kinder sterben alljährlich.

In dem Schlußabsatz seines inzwischen berühmten Artikels entwirft Patterson die schreckliche Vision einer Welt, in der Gehirn-schwäche durch Bleivergiftung weit verbreitet ist. „Der Ablauf der Geschichte wird bestimmt von der Tätigkeit des menschlichen Geistes", sagt er. „Nun gehen aber intellektuelle Reizbarkeit und Versagen mit der klassischen Bleivergiftung Hand in Hand; es ist daher möglich, nach meiner Ansicht sogar wahrscheinlich, daß ähnliche Behinderungen, wenn auch geringfügiger Natur, sich bei Personen manifestieren, die ernsthaften chronischen Belastungen mit Blei ausgesetzt sind." Tierexperimente haben, laut Patterson, in vergangenen Jahren gezeigt, daß „pathologische, histologisch nachweisbare Veränderungen im Gehirn und im Rückenmark, zusammen mit funktionalen Veränderungen im höheren Nervensystem, bereits entstehen, wenn die Versuchstiere Konzentrationen ausgesetzt wurden, wie man sie heute über den meisten amerikanischen Städten findet"...

In den zwanziger Jahren, als verbessertes Benzin für Detroits Hochleistungsmotoren benötigt wurde, standen die Treibstoffhersteller vor einem Problem. Entweder mußten sie bessere Raffinerien bauen, die hochwertiges Benzin herstellten, oder ein Additiv kaufen (Blei), das ihnen erlaubte, die Raffinierien im alten Trott weiter zu betreiben. Die Sache mit dem Additiv erschien den Erdölmanagern sympathisch. Es vereinfachte die Produktion; sie brauchten sich nicht um die Leistungen ihrer Raffinerien zu kümmern und immer nur soviel Additiv zu kaufen, wie gerade erforderlich war. Die Entscheidung, die sie trafen, entsprach nicht einem geistigen, sondern einem ökonomischen Prozeß. So sehr ich auch danach suchte, ich fand nirgendwo ein Dokument, aus dem hervorgeht, daß man sich damals Gedanken über die Wirkungen des Bleis machte, Man kann schwerlich erwarten, daß die Erdölgesellschaften zu diesem späten Zeitpunkt sämtliche Raffinerien umkonstruieren. Die Kosten wären nicht mehr tragbar. Trotzdem ist (ausgerechnet von Amerikas Farmern) eine Lösung des Problems angeregt worden. Wie Dr. Patterson berichtet, hätten Landwirte herausgefunden, daß man das Blei im Treibstoff durch Alkohol ersetzen könne. Auch Alkohol machte Motoren „klopffest“; mehr noch, Kerzen und Zylinderwände bleiben sauber. Rennwagen benutzen übrigens Alkoholzusätze zum Treibstoff, was man nicht vergessen sollte.

Die Farmer haben einen listigen Plan entworfen. Sie sähen es gerne, wenn die Regierung Destillerien einrichten, den Kohlenwasserstoff-bestandteil des Weizens ankaufen und in Alkohol verwandeln würde — ohne daß Autofahrern dadurch Extrakosten entstünden. Damit wären der Uberschußweizen bezahlt, die Destillerie finanziert, und die Regierung hätte keine weiteren Kosten — eine Situation, die ihr ziemlich unbekannt ist.

Die Lösung scheint von bestechender Einfach, heit. Die Farmer würden den Proteinbestand, teil des Weizens als Kraftfutter verkaufen und an den Tankstellen könnte man statt Normal und Super jetzt wahlweise „Weizen", „Roggen" oder „Mais" in Form von Alkoholzusätzen tanken . . .

Natürlich bleibt die Frage offen, was aus der Ethyl Corporation wird. Nach Auskünften aus dem Jahr 1968 scheint diese Firma sich auf vielen Gebieten zu betätigen: Sie verkauft Papier, Petroleum, Kunststoffe, Aluminium -und Forschung. Sie betreibt sogar, was wirklich äußerst passend erscheint, Forschung nach den Ursachen der Luftverschmutzung. Wenn sie kein Bleitetraäthyl mehr verkaufen würde, hätte sie auf diesem Gebiete sicher einige Probleme weniger.

Beamte, die für den Schutz unserer Luft sorgen sollen, und Regierungsbeamte, die das Problem des Bleistaubs so erfolgreich ignorieren, daß nicht einmal ein Bedürfnis nach Reduktion bleihaltiger Abgase entstand oder Normen für den Bleigehalt der Luft festgelegt wurden, könnten dieses Problem weithin vergessen, sobald einmal das Blei aus dem Benzin verschwunden ist. Automobilhersteller sollten sich freuen, weil ihre Motoren dann sauberer blieben und sie sich nicht mehr mit Leuten herumschlagen müßten, die auf Reinhaltung der Luft drängen. Ja, sie könnten das alles schließlich sogar als Verkaufsargument benutzen.

Warum das Atmen gefährlich ist — Eine unvollständige Liste der Stoffe, die der Mensch unserer Tage inhaliert:

— Stickstoffoxide: Entstehen bei jedem Prozeß, bei dem hohe Temperaturen auftreten, in Automobilmotoren wie in Kraftwerken, ja sogar in der Zigarette. Wenn sie den Auspuff oder den Schornstein verlassen haben und Sonnenlicht und freie Luft erreichen, verwandeln sie sich in Stickstoffdioxid, das viermal so giftig ist und die braune Tönung des Smog verursacht Bislang kennt der Mensch noch kein Mittel um die Nitrogenoxide zu bannen; doch das kann sich möglicherweise bald ändern. — Kohlenwasserstoffe: Eine Verbindung von Wasserstoff und Kohlenstoff. Haupterzeugerder Automotor. Einige Kohlenwasserstofftypen (es gibt eine große Auswahl) haben bei Versuchstieren Krebs erregt. Abgasreinigungsanlagen haben die Emissionen verringert, do das Resultat war, daß sich die Zahl der Sic oxide, die als giftiger gelten, bei diesem Pro zeß vervierfachen. — Karbonmonoxid: Geruchloses, farbloses Gift-gas. Entsteht aus verbrennendem Benzin im Automotor. In höheren Konzentrationen wirken sie tödlich. In geringeren Konzentrationen, wie man sie bei starkem Autoverkehr antrifft, verursachen sie Schwindel, Kopfschmerzen und dergleichen.

— Blei-Neuere Studien zeigen, daß die Blei-konzentration in unserer Umwelt enorm ansteigt. Hauptursache: Bleialkyle wie das Bleitetraäthyl, ein Additiv zum Treibstoff, das als „Antiklopfmittel" benutzt wird. Es kann das Gehirn und das Zentralnervensystem schädigen. — Schwefeldioxia: Ein schweres Gas, das bei der Verbrennung von Kohle und Erdöl entsteht. Reizt die Atemwege, kann Lungengewebe zerstören. Hohe Konzentrationen von Schwefeldioxid (SO 2) wurden bei gefährlichen Smogs, die Menschen töteten, festgestellt.

— Fluoride: Gift, das im menschlichen Organismus gespeichert wird; Nebenprodukt bei der Herstellung von Kunstdünger, Aluminium und Stahl. Es wird oft benutzt als Rattengift, in starker Verdünnung wird es dem Trinkwasser beigegeben zum Schutz der Zähne gegen Karies.

Zahlreiche andere Stoffe: darunter Kohle, Pestizide, Ozon (Os), Beryllium, Kadmium, Arsen, Asbest und so weiter. Einige schweben, andere setzen sich auf dem Boden fest, aber auch in unseren Augen und Lungen.

III. Ist der „point of no return" schon erreicht?

Aufgrund bruchstückartiger, oft widersprüchlicher Berichte, die gelegentlich von Wissenschaftlern stammen, welche das ihnen auferlegte Schweigegebot durchbrechen, bildet sich ein neues Bewußtsein: Die Umwelt des Menschen ist in Gefahr! Die Menschen scheinen zu spüren, daß dies ihr Kampf ist; daß er von ihnen selbst ausgefochten werden muß, oft nur mit geringer Hilfe von zuständiger Seite, und daß sie berufen sind, in diesem Kampf Industrie und Regierung zu reformieren — nur zu oft ein festes Konglomerat, das sich aus beiden gebildet hat. Sie wollen der Sache auf den Grund gehen und entdecken, daß wir im Begriff stehen, die Natur unter der Walze des Fortschritts zu zermalmen.

Die Stimmen der Besorgten wurden gegen Ende der sechziger Jahre zu einem Chor, dem die Politiker Gehör schenken mußten. Viele machen seitdem Versprechungen und stellen Gesetze in Aussicht — mit einer Beflissenheit, die kurios erscheint. Aber ob die Regierung nun Sorge wegen der Umwelt oder nur wegen der nächsten Wahlen hat, spielt keine Rolle. Tatsache ist,, sie zeigt den guten Willen, unsere Gesundheit durch Gesetze zu verbessern. Die Gesetze werden freilich nur sehr allmählich er-assen, trotz des Eifers einiger Abgeordneter, die das Problem erkannt haben. Doch das hat seine Gründe.

Warum wachte die amerikanische Nation so spät auf? Ein wesentlicher Grund dürfte bei Jenen Wissenschaftlern zu suchen sein, die sich weigerten, über Gefahren zu sprechen, le sie als erste hätten aufdecken müssen.

Ihre Zurückhaltung entsprang keineswegs übergroßer Bescheidenheit; sie rührte häufig davon her, daß sie sich in einem Interessenkonflikt befanden. Zahlreiche talentierte Wissenschaftler übernahmen Aufträge von Regierung oder Industrie. Studienaufträge oder Industriekontrakte bessern ihr akademisches Gehalt auf. Damit verstoßen sie zwar nicht gegen das Gesetz, schaffen aber mit der Zeit eine Art professorale Prostitution. In dieser unbequemen Lage müssen sie entscheiden, wie sie sich verhalten sollen, wenn bedeutende wissenschaftliche Erkenntnisse anfallen. Nicht selten schweigen sie, wenn die Erkenntnisse ihre Wohltäter mitbetreffen, um nicht auf das Geld verzichten zu müssen. Daß diese Praxis weitverbreitet ist, haben mehrere Wissenschaftler in jüngster Zeit öffentlich festgestellt.

Zu ihrer Ehre sei gesagt: Zahlreiche Wissenschaftler möchten gerne sprechen, bringen es aber nicht über sich, die Öffentlichkeit zu informieren. Gelegentlich ziehen sie einen Journalisten ins Vertrauen und geben ihm anonyme Warnungen und Informationen, die ihrer Ansicht nach publiziert werden sollten. Ein Biochemiker wandte sich auf diese Weise vor zwei Jahren an mich. Er fühlte sich gedrängt, mir privat mitzuteilen, was er von den Insektentötern hielt, die auf dem Markt sind: „Es sind Papierstreifen, die Menschen kaufen und in der Küche aufhängen. Sie enthalten organische Phosphate — die giftigsten Stoffe, die man sich ungefähr vorstellen kann. Ich glaube, wenn ein Kind so einen Streifen in die Hände bekommt und später seine Finger ableckt, könnte es sterben." Der betroffene Chemiker arbeitete vertragsmäßig für einen Konzern, der solche Insektizid-Streifen herstellt. In einem anderen Fall, der sich zur gleichen Zeit ereignete, durfte ich mich telefonisch mit dem Direktor eines wissenschaftlichen Instituts unterhalten. Doch als ich dann mit dem Tonbandgerät bei ihm erschien, um ein Interview aufzunehmen, saß ich einer Front von fünf Wissenschaftlern gegenüber und durfte nicht auf dem Band festhalten, welcher der Wissenschaftler bestimmte Erklärungen abgegeben hatte. Mehr als Mut in der die Anonymität sichernden Masse wird nicht an den Tag gelegt.

Das heißt natürlich nicht, die gesamte Wissenschaft sei korrupt oder ängstlich. Im Gegenteil I Es gibt viel erfrischende Offenheit bei Forschern, die heute auf diesem Feld arbeiten. Sehr viele scheinen nicht daran zu denken, daß irgendeine öffentlich abgegebene Erklärung ihnen beim Auftraggeber schaden könne. In der Vergangenheit war es für diese Natur-wissenschaftler oft quälend, daß sie zwar einen fundierten Verdacht hegten, aber schweigen mußten, weil die Hypothese noch nicht wissenschaftlich abgesichert war. Heute haben sie erkannt, daß wir es uns, wenn es um die Gefährdung der Öffentlichkeit geht, nicht mehr leisten können zu warten, bis die ganze Ernte eingebracht ist. Daher werden Gegenstände und Themen, die auf Widerspruch stoßen und Unbehagen hervorrufen, öffentlich besprochen. Noch vor zwei Jahren war es sehr schwer für mich, etwa die Frage, ob Pestizide das Phytoplankton schädigen — wodurch Fische sterben und der Sauerstoff rar wird —, mit irgendeinem Mann der Wissenschaft vernünftig zu besprechen. Heute ist das anders. Das Problem ist bekannt, man darf darüber sprechen, wenngleich es immer noch umstritten scheint. Erstrangige, berühmte Leute, die seit Jahren voll Besorgnis sehen, wie schlecht der Mensch seinen eigenen Planeten behandelt, fragen jetzt mit tiefer Besorgnis, ob der Mensch die Zerstörungen, die bereits stattgefunden haben, überhaupt noch überleben kann. Für Piloten eines Flugzeuges gibt es einen so-genannten point of no return; es ist der Punkt auf dem Flug zwischen zwei Orten, von dem an — wegen der Treibstoffvorräte, des Windes und anderer Umstände — eine Rückkehr zum Ausgangspunkt nicht mehr möglich ist. Einige Wissenschaftler glauben, daß es etwas Ähnliches auch bei der Umweltverschmutzung gibt; irgendwann wird ein Punkt erreicht, an dem man nicht mehr zurück kann. Dann befindet sich die Menschheit im Dezember ihrer Geschichte. Und einige glauben, daß wir uns bereits auf dem Weg zum programmierten Selbstmord befinden.

Es fällt uns allen ein wenig schwer, glaube ich, ernsthaft anzunehmen, der Mensch habe es fertiggebracht, sich selbst in einen verlorenen Winkel der Evolution zu schieben. Es ist eine Unverschämtheit, so etwas zu behaupten, meinen viele. Sind wir denn nicht das letzte Glied einer riesigen Kette, die höchste Ordnung des natürlichen Plans, die einzigen Geschöpfe auf dieser Erde, die gelernt haben zu sprechen, zu lesen und zu schreiben? Haben wir nicht so wunderbare Dinge wie den Atomreaktor oder das Auto-Kino erfunden? Natürlich haben wir das, und hier ist auch der Haken. Irgendwann haben wir in unserer Überheblichkeit vergessen, daß wir Teil unserer Umwelt sind, und beschlossen, unsere Umwelt selbst zu gestalten, sie mit Planierraupen zu bearbeiten, mit Asphalt und Beton zu begießen, sie so zu machen, wie es uns gefiel.

Immer mehr Wissenschaftler stellen ernsthaft die Frage, ob das ökologische Gewebe unserer Erde dem Druck der modernen menschlichen Gesellschaft noch standhalten kann. Der Alarm läßt sich in Stufen einteilen. Einige wenige glauben, wir hätten den kritischen Punkt schon verfehlt und stolperten nun unaufhaltsam unserem Untergang entgegen. Vor uns liege das Schicksal, ausgelöscht und vergessen zu werden. Andere gehen noch nicht so weit. Sie glauben, daß es noch Chancen gibt, daß wir aber den Punkt, an dem es keine Umkehr mehr gibt, sehr bald erreichen werden. Ein Vertreter dieser Ansicht ist Doyle Grabarck, Biochemiker an der Physiologischen Fakultät der Universität von Maryland uni Präsident der amerikanischen Habitat Society Grabarck sagt: „Das Problem der Umweltvergiftung und Verpestung ist so groß geworden, daß die Mehrzahl der Ökologen mit vollem Recht glaubt, der Punkt, an dem es noch möglich gewesen wäre, den Verfall aufzuhalten sei bereits überschritten. Ich für meinen Teil fühle, daß wir in den Vereinigten Staaten sowohl den Verstand als. auch die finanzielle Macht haben, diesen gefährlichen Trend nicht nur in Amerika, sondern auch in der Welt aufzuhalten. Doch wenn es nicht innerhalb de nächsten fünf Jahre zu einem dramatische 11 und breit angelegten Programm kommt, dann wird die sinnlose Vernichtung der mensd. liehen Umwelt unabweisbar zur Vernichtung der menschlichen Rasse führen." Von Grabarck stammt die Metapher, daß die Ökologie, die Gemeinschaft aller Tiere und Pflanzen in einem Revier, mit einem Netz vergleichbar sei. „Wenn wir eine seiner Haupt-schnüre lösen", sagt er, „dann hält das Netz nicht mehr zusammen. Ich glaube, es wird schon an den Hauptschnüren gearbeitet. Wenn das wirklich eintritt, wird es noch zu meinen Lebzeiten geschehen."

Ist es möglich, überhaupt nur denkbar, daß diese Männer recht haben? Sie können die Vorgänge besser beurteilen als wir. Es gibt Zeichen, die andeuten, daß ihre Ansichten zutreffen. An der Nordküste von Kalifornien verschwinden die Sardinen. Der Krabbenfang rund um San Francisco ist innerhalb von 10 Jahren um 90 Prozent gesunken. Tausende von Vögeln sterben auf geheimnisvolle Weise in Großbritannien. Ist das alles nur Zufall? Oder ist es vielleicht doch der Griff des Menschen in die Natur, das Spiel mit tödlichen Giften wie dem DDT? Was immer die Ursache sein mag, wir sind Zeugen einer weltweiten Auflösung des ökologischen Systems, unter dessen Gesetz alle Lebewesen stehen.

Viele der unheilverkündenden Zeichen sind ganz klar zu erkennen. Was sich nicht so offen darbietet, sind die subtilen Änderungen, die wir bisher nicht entdeckten, die aber bereits der Beginn der großen Katastrophe sein können. Wie es einer der Wissenschaftler-mit eisiger Logik ausdrückte: „Bis wir so weit sind, nachzuweisen, daß wirklich etwas geschieht, ist es schon zwanzig Jahre zu spät.“ Wenn unsere gewählten Volksvertreter auch nur einen Bruchteil dessen glauben, was die Naturwissenschaftler sagen, dann reagieren sie auf ziemlich rätselhafte Art und Weise darauf. Von einer Nation, die in ihrem eigenen Unrat erstickt, werden Pfennige ausgegeben, mit denen man bestenfalls ein paar Abflußkanäle reparieren kann — etwa so, als wollte man den Assuandamm mit Hilfe von drei Bibern erbauen. Nachdem die Verantwortlichen, was das DDT betrifft, bereits mit dem Rücken an der Wand stehen und sich das Beweismaterial seit Jahren zu Bergen aufhäuft, gab die Regierung schließlich ein wenig nach und stimmte einer „zeitweisen Aussetzung" des Mittels in den USA zu. Doch da das meiste DDT exportiert wird, kommt es mit größter Regelmäßigkeit immer wieder zu unseren Küsten zurück.

Wenn wir wirklich auf Kollisionskurs mit einer Tragödie liegen, hervorgerufen durch die Vergiftung unserer Umwelt, dann werden wir keine weiteren Vorauswarnungen mehr erwarten dürfen. Wissenschaftler erklären, daß zahlreiche Einzelinformationen, die uns erlauben würden, die große Katastrophe genauer zu bestimmen, noch fehlen. Auf manchen Gebieten haben Untersuchungen nur unklare Anzeichen ergeben, die neue Forschungen erforderlich machten. Das zu untersuchende Feld ist riesengroß, die Zahl der wissenschaftlichen Gebiete, auf denen sich das alles abspielt, gigantisch. Dennoch genügt das, was vorliegt, um uns vor dem Jüngsten Gericht zu warnen. So ist die Lage heute. Vielleicht die beste Antwort gab ein Botaniker, den ich fragte, wann seiner Ansicht nach der Punkt erreicht werde, an dem es keine Rettung mehr gibt. Er warf mir einen merkwürdigen Blick zu und sagte achselzuckend: „Wann? Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, dieser Frage nachzugehen.“

Fussnoten

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