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Oppositionsstrategie im parlamentarischen System. Regierung und Opposition im parlamentarischen System | APuZ 31/1973 | bpb.de

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APuZ 31/1973 Artikel 1 Oppositionsstrategie im parlamentarischen System. Regierung und Opposition im parlamentarischen System Über das Verhältnis von „bürgerlicher" und „marxistischer" Geschichtswissenschaft

Oppositionsstrategie im parlamentarischen System. Regierung und Opposition im parlamentarischen System

Werner Kaltefleiter

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die parlamentarische Demokratie lebt vom Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition. Das kann nur funktionieren, wenn eine Reihe institutioneller wie sozialstruktureller Bedingungen erfüllt sind. Systemimmanent aber bleibt ein gewisser Wettbewerbsvorsprung der Regierung. Zur Aufrechterhaltung des Wechselspiels bedarf es einer Opposition, die nicht Konfrontation oder Anpassung verfolgt, sondern in für den Bürger relevanten und möglichst überschaubaren Bereichen verständlich und überzeugend personelle und inhaltliche Alternativen vertritt.

Demokratie lebt vom Wechsel der Parteien. Die Regierung, die aus einer Mehrheitsbildung in den Wahlen hervorgeht, hat die uneingeschränkte Legitimation, das Land für die folgende Legislaturperiode nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Sie kann ohne Rücksicht auf Veränderungen in der Präferenz-struktur der Wählerschaft für die Zeit ihres Mandates regieren — freilich wird sie stets die Wirkungen ihres Handelns auf die Präferenzstruktur der Wählerschaft am Ende der Legislaturperiode berücksichtigen, da ihr primäres Interesse die Wiederwahl ist. Sie antizipiert die Reaktionen der Wählerschaft. Darin liegt ein wesentlicher Kontrollmechanismus des parlamentarischen Systems.

Die Opposition spielt in diesem System die Rolle der Regierung von morgen; von ihr wird alternative Führung erwartet. Sie kann die Regierung grundsätzlich nicht hindern, etwas zu tun oder zu lassen. Sie kann die Regierung allein fürchten lassen, die nächsten Wahlen zu verlieren. Erst die Opposition macht die Kontrolle durch die antizipierten Reaktionen der Wählerschaft effektiv. Ziel der Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition sind somit die Veränderungen in der Präferenzstruktur der Wählerschaft zur nächsten Wahl. Die Regierung durch ihr Handeln, die Opposition durch ihre Alternativpositionen werben um das Vertrauen der Wählerschaft. In diesem Sinne beginnt jeder Wahlkampf am Tage nach der letzten Wahl.

Die Verwirklichung dieses einfachen Modells demokratischer und das heißt alternierender Regierungsweise hängt zunächst von der Struktur des Parteiensystems ab: Nur bei einem weitgehend symmetrischen Parteiensystem besteht eine reale Chance des Machtwechsels, die die zentrale Voraussetzung des Systems ist. Symmetrisches Parteiensystem heißt, daß Regierung und Opposition, ganz gleich, ob sie nun aus jeweils

Bei dieser Darstellung handelt es sich um den geringlügig gekürzten Text einer Vorlesung an der Funkuniversität des RIAS Berlin, die am 14. Mai 1973 gesendet wurde.

einer oder mehreren, allerdings miteinander verbundenen Parteien bestehen, nicht weiter in der Präferenz der Bevölkerung auseinanderliegen, als daß ein Wechsel in der nächsten Wahl realistischerweise erwartet werden kann. Die Erfahrungen in modernen Industriegesellschaften zeigen, daß ein Netto-wechsel von 5 °/o zwischen Regierung und Opposition zwischen zwei Wahlen das Maxium dessen ist, was realistischerweise zu erwarten ist.

Größere Wählerbewegungen sind nur In krisenhaften Ausnahmefällen zu beobachten.

Ernst Nolte: über das Verhältnis von „bürgerlicher“ und „marxistischer''Geschichtswissenschaft ................... S. 10

Das bedeutet z. B., daß von 1953 bis 1965, als der Abstand zwischen CDU/CSU und SPD weit größer als 5 °/o war, die Chance des Machtwechsels in der Bundesrepublik eingeschränkt war. Das Parteiensystem war asymmetrisch. Die Folge war einerseits eine wachsende Innovationsunfähigkeit der Regierung, die nicht mehr zu fürchten brauchte, die nächsten Wahlen zu verlieren, und zugleich ein wachsender Verzicht der Opposition auf die Präsentation von Alternativen. Herbert Wehners Strategie der 60er Jahre, das, was man die Strategie der Umarmung genannt hatte, bestand darin, die SPD über den Weg des partiellen Verzichtes auf Opposition durch Mitregieren zur Regierungsführung zu bringen. Sie folgte aus der Asymmetrie des Parteiensystems jener Zeit.

Verzichtet die Opposition in einer solchen Situation aus naheliegenden taktischen Gründen auf die Präsentation von Alternativen, so verliert das Parteiensystem insgesamt seine Integrationskraft. Die Erfolge der NPD von 1966 bis 1969 wie die Aktivitäten der APO im gleichen Zeitraum waren unmittelbar Folge dieses gestörten Spannungsverhältnisses zwischen Regierung und Opposition. Die Opposition ist die institutionalisierte Hoffnung der Unzufriedenen. Paßt sie sich an, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, daß die Unzufriedenen von Gruppen außerhalb des Systems angesprochen werden.

Eng mit der Voraussetzung eines symmetrischen Parteiensystems verbunden ist die der Existenz der Gruppe potentieller Wechsel-wähler. Nur wenn es eine genügend große Gruppe von Wählern, ca. 30 °/o, gibt, die nicht fest an eine Partei gebunden ist, sondern — aus welchen Gründen auch immer — im Zeitablauf ihre Parteipräferenz wechselt, kann das Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition funktionieren. Das bedeutet, daß die Anhängerschaft von Regierung und Opposition nicht durch antagonistische Konflikte voneinander getrennt sein darf. In modernen Industriegesellschaften, in der Bundesrepublik seit etwa Ende der 50er Jahre, ist diese Voraussetzung erfüllt. Sie fehlt jedoch häufig in den Entwicklungsländern.

Ebenso wichtig wie diese sozialstrukturelle Voraussetzung ist eine mehr verfassungsrechtliche: die Umsetzung der Wählerbewegung in Mandatsveränderungen durch das Wahlsystem. Die beiden Grundtypen der Wahlsysteme, Mehrheitswahl und Verhältniswahl, haben hierbei sehr unterschiedliche Wirkungen: Die Verhältniswahl bewirkt eine proportionale Umsetzung von Wählerbewegungen in Mandatsveränderungen, die Mehrheitswahl überproportionale Mandatsveränderungen. Bei einem symmetrischen Parteiensystem führt dementsprechend die Verhältniswahl — wie das in der Bundesrepublik im Jahre 1972 deutlich wurde — zu einer Lähmung der parlamentarischen Arbeit, während bei Mehrheitswahl auch ein geringer Stimmenvorsprung zu einer für eine Regierungsfähigkeit ausreichenden Parlamentsmehrheit führt und zugleich geringe Stimmengewinne der Opposition eine entsprechend regierungsfähige Mehrheit bringen. Die Mehrheitswahl erhöht somit die Wahrscheinlichkeit der Regierungsfähigkeit wie des Machtwechsels. Das gilt in ähnlicher Form für verschiedene Modifikationen der beiden Grund-typen, die aufgrund ergänzender Anforderungen entwickelt werden können. Aus diesem Grunde ist die Mehrheitswahl ein integrierter Bestandteil der Theorie parlamentarischer alternierender Regierungsweise.

Wettbewerbsvorteile einer Regierung

Aber auch, wenn diese grundlegenden Voraussetzungen für das demokratische Modell erfüllt sind, d. h., wenn ein symmetrisches Parteiensystem auf der Grundlage einer nicht antagonistisch gespaltenen Wählerschaft be-steht, ergeben sich in der Verfassungswirk-lichkeit Asymmetrien, die die Regierung tendentiell bevorzugen. Hier ist zunächst der doppelte Amtsbonus zu nennen. Er besteht einerseits darin, daß jede Regierung davon pro-fitiert, daß in der Wählerschaft die Zustim-mung zu dem politischen Personal der Regie-rung mit dem Respekt vor den Ämtern zusam-menfließt. Die Entwicklung der Einschätzung von Willy Brandt in der deutschen Wähler-schäft hat die Bedeutung dieses Amtsbonus deutlich gezeigt. Brandt war zehn Jahre Kanz-lerkandidat in der deutschen Politik. Er stand in dieser Zeit drei CDU-Bundeskanzlern gegenüber, 1961 Adenauer, 1965 Erhard und 1969 Kiesinger. Er gewann in dieser Zeit nie mehr als eine Zustimmung von etwa 20 °/o.

Unmittelbar nach seiner Wahl zum Bundesk} anzler im Winter 1969 stieg diese Zustimmung auf über 40 °/o an. Das legt die Hypothese nahe, daß man den Amtsbonus in der Z'ustimmung zu Bundeskanzlern in der Bundesrepublik auf nahezu 20 °/o quantifizieren k. ann.

E-in weiterer Aspekt dieses Amtsbonus besteht in der gouvernementalen Orientierung , der veröffentlichten Meinung. Was die Regie-r: ung tut, sind Nachrichten, was die Opposit 1 ion sagt, Meinungen. Nach dieser einfachen F: austregel läßt sich das Selektionssystem zusammenfassen, das bei der Aufbereitung von Nj achrichten in den wichtigsten Massenmedie, n offensichtlich besteht. Verschiedene Unter-suchungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten h] aben z. B. ergeben, daß in den Nachrichten sendungen der beiden deutschen Fernsehprogramme stets ein Übergewicht der Regierung gegenüber der Opposition von ca. 3 bis 4 : 1 Dieser doppelte Amtsbonus beeinträchtigt die Chance des Machtwechsels. Das gilt generell und nicht nur für die Bundesrepublik. Diese Einsicht leitete z. B. George Washington, als er als erster Präsident der Vereinigten Staaten nach zwei Amtsperioden auf eine erneute Wiederwahl verzichtete, um damit einen Präzedenzfall für alle zukünftigen Präsidenten der USA zu schaffen. Bis zum Zweiten Weltkrieg wirkte dieses Vorbild als eine verfassungspolitische Tradition nach, bis sich Roosevelt in der Ausnahmesituation des Krieges 1940 und 1944 zum dritten und vierten Male wiederwählen ließ. Gerade aber die unter Roosevelt bestätigte Beeinträchtigung der Chance des Machtwechsels durch den Amtsbonus war wesentliche Ursache für die Verfassungsänderung, die die Amtszeit eines amerikanischen Präsidenten auf maximal zwei Wahlperioden begrenzt. Nach dieser Zeit sollte der Amtsbpnus ausgesetzt und spätestens wieder Chancengleichheit bestehen. Der regelmäßige Wechsel, z. B. in Großbritannien — mit einer Ausnahme bislang stets nach spätestens zwei Legislaturperioden —, zeigt jedoch auch, daß der Amtsbonus den Wechsel zwar erschweren, ihn aber nicht verhindern kann, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind.

In diesem Rahmen hängt eine reale Chance des Machtwechsels wesentlich davon ab, ob die Opposition ihre Funktionen wirksam erfüllt. Die Oppositionsrolle ist der systemimmanente Jungbrunnen einer politischen Partei. Sie erhält die Oppositionsrolle zugewiesen, wenn sie weniger glaubhaft als ihre Konkurrenz personelle und inhaltliche Gestaltungsvorschläge präsentiert, was zumeist nach einer längeren Periode als Regierungspartei der Fall ist. Die Oppositionsrolle ist dann die Phase der Regeneration, die Phase der personellen und inhaltlichen Erneuerung. Je überzeugender der Opposition diese Erneuerung gelingt, desto größer ist die Chance des Machtwechsels. Das bedeutet zugleich, daß diese Erneuerung nicht nur einem eigenen Interesse der Opposition entspricht, möglichst bald wieder Regierung zu werden, sondern zugleich eine Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit des Systems ist.

Das führt zunächst zu der Frage, ob denn eine solche Erneuerung überhaupt notwendig ist. Gerade engagierte Anhänger von Parteien glauben häufig, daß ihre Konzeption zeitlos gültig sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß die moderne Industriegesellschaft durch einen starken Wandlungsprozeß, durch vielschichtige Mobilitäten gekennzeichnet ist, die stets neue Problemsituationen schaffen. Dementsprechend bedarf es auch einer steten Neuentwicklung von Gestaltungsalternativen, die den neuen Problemen gerecht werden. Dabei ist jedoch auch zu betonen, daß diese neuen Alternativen häufig aus überlieferten und bewährten ordnungspolitischen Grundkonzeptionen abgeleitet werden können. Die Leistungsfähigkeit einer Ordnung zeigt sich gerade daran, daß sie Veränderungen ermöglicht und den damit einhergehenden Problemen gerecht wird.

Die Erfahrungen mit der Erneuerung politischer Parteien lehren zunächst, daß diese Erneuerungen der Zeit bedürfen. Eine politische Partei ist eine komplexe Organisation, die nicht in kurzer Zeit umgestellt werden kann. Sowohl die personelle Erneuerung als auch die Erarbeitung inhaltlicher Alternativen zur Regierung bedürfen eines aufwendigen Prozesses der innerparteilichen Willensbildung, und häufig leisten große Teile der Partei aus Überzeugung heftigen Widerstand dagegen, Personal und Programm, das sie noch kurz zuvor in einem Wahlkampf vertreten haben, auszuwechseln und zu erneuern. Die Erfahrungen der SPD nach den Niederlagen von 1953 und 1957 verdeutlichen dieses Beharrungsvermögen von Parteien ebenso wie die der CDU/CSU nach 1969. Zwischenerfolge, z. B. Landtagswahlen, verstärken diese Schwerfälligkeiten häufig.

Diese in der Komplexität einer Organisation begründeten Hemmnisse gegen eine Regeneration werden verstärkt durch die Willensbildungsprozesse in der öffentlichen Meinung, die nur sehr zögernd ein verändertes Bild der Parteien aufnimmt.

Vereinfachend kann man das Bemühen der Opposition dahingehend zusammfassen, daß sie versucht, Informationen an die Wählerschaft zu leiten, die glaubhaft machen, daß sie wieder die überzeugendere Partei ist, wobei die erfolgversprechendsten Informationen der Opposition von den Enttäuschungen über die Regierung selbst ausgehen. Unabhängig davon, daß diese Informationen über die Opposition durch die gouvernementale Orientierung der Massenmedien nur partiell übermittelt werden, werden sie, selbst wenn die nachrichtliche Übermittlung erfolgt, von den Anhängern der Regierung in der Wählerschaft zunächst nicht aufgenommen. Sozialpsychologische Untersuchungen haben ergeben, daß solche Informationen, da sie im Widerspruch zur eigenen Meinung stehen, zunächst nicht aufgenommen und verdrängt werden. Häufen sich derartige Informationen, werden sie uminterpretiert, und wenn auch das nicht mehr möglich ist, wird nach Entschuldigungen und Rechtfertigungen gesucht, die überzeugend darlegen, daß die Regie-, rungspartei trotz dieser Informationen die bessere Partei ist. Erst, wenn all das nicht mehr möglich ist, wechselt man seine Partei-präferenz, um die eigene Meinung wieder in Übereinstimmung mit den eingehenden Informationen zu bringen. Gerade die Erfahrungen» in England zeigen, daß dieser Prozeß in der Regel zwei Legislaturperioden in Anspruch nimmt.

Ein weiteres Merkmal der öffentlichen Meinung, das für die Strategien von Regierung und Opposition konstitutiv ist, ist die weitgehende Personalisierung der Politik. Sie folgt aus der allgemeinen Tendenz der Menschen, sich komplexe Zusammenhänge dadurch verständlich zu machen, daß man sie als von handelnden Personen beeinflußt versteht. Das „Verständlich machen" der Politik durch Personalisierung ist nun wiederum nicht zuletzt aufgrund der gouvernementalen Orientierung der veröffentlichten Meinung für die Regierung leichter als für die Opposition. Das Personal der Regierung steht zuerst im Rampenlicht der Öffentlichkeit, wovon ihre Politik profitiert. Es kann allerdings nicht übersehen werden, daß z. B. auch die Position des Oppositionsführers in den letzten Jahren eine stärkere Aufmerksamkeit gefunden hat. Das erhöht die Möglichkeiten der Opposition einerseits und unterstreicht andererseits die Notwendigkeit einer überzeugenden Personalisierung ihrer politischen Position.

Die Personalisierung der Politik vereint die Probleme der inhaltlichen Erneuerung mit denen der Entwicklung von Alternativpositionen. Eine wirksame Vertretung von alternativen Gestaltungsvorschlägen ist nur durch überzeugende Personalisierung möglich, und die personelle Erneuerung ist daran zu erkennen, daß es der Opposition gelingt, ihre Alternativpositionen erfolgreich der Wählerschaft darzustellen. Ohne vertrauengewinnendes Personal kann das beste Programm nicht überzeugen, und das politische Personal kann nur durch die Vertretung von Gestaltungskonzeptionen Vertrauen gewinnen. Führung ist ein inhaltliches und ein personelles Problem zugleich.

Strategische Alternativen einer Opposition

Vor diesem Hintergrund der Struktur der Meinungsbildungsprozesse sind die vier Strategien, die sich für eine Opposition für die Erfüllung ihrer Funktion, der Sicherung einer realen Chance des Machtwechsels, anzubieten scheinen, zu diskutieren:

Die erste, häufig beobachtete Strategie kann die quasi gouvernementale Strategie genannt werden. Die Opposition versucht, die Regierung in der sachlichen Detailarbeit des Parlamentes zu übertreffen. Diese Strategie, die in der Gesetzgebungstätigkeit des VI. Bundestages weitgehend von der CDU/CSU verwirklicht wurde, ist disfunktional und wirkungslos zugleich, da diese Tätigkeit von der Wählerschaft angesichts der skizzierten gouvernementalen Orientierung der Massenmedien und der Prozesse der Meinungsbildung gar nicht wahrgenommen wird. Typisch dafür war z. B., daß die Rentenreform, die die Opposition am Ende der letzten Legislaturperiode durchgesetzt hatte, von der Wählerschaft der Regierung zugerechnet wurde.

Eng verbunden mit der guasi gouvernementalen Strategie ist häufig die Anpassungsstrate gie. Sie versucht, Attraktivität für die Opposition durch die Übernahme der wesentlichsten Positionen der akzeptierten Regierungspolitik zu gewinnen. Sie bietet sich häufig bei einer strukturellen Asymmetrie des Parteien-systems an, insbesondere dann, wenn der Opposition das Image der Regierungsfähigkeit fehlt, wie das z. B. für die SPD bis etwa 1965 galt. Diese Strategie bedeutet zugleich, daß die Opposition ausschließlich auf die Abnutzung der Regierung bzw. die Überalterung ihres Personals wartet und nur verspricht, die Regierungspolitik besser durchzuführen. Diese Strategie ist demnach nur nach einer übermäßig langen Regierungszeit einer Partei möglich, und sie ist darüber hinaus mit einer Beeinträchtigung der Integrationskraft des gesamten Parteiensystems verbunden.

Eine dritte Möglichkeit kann als Konirontationsstrategie bezeichnet werden. Sie stellt allen oder ausgewählten Maßnahmen der Regierung ein grundsätzliches Nein der Opposition gegenüber. Diese Strategie erfüllt die Zielsetzung hoher öffentlicher Aufmerksamkeit. Sie kann erfolgreich sein, wenn starke Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Regierung in der Wählerschaft vorhanden sind. Sie läßt die Opposition jedoch in eine unverstandene Minoritätsrolle fallen, wenn die Regierung insgesamt als leistungsfähig und glaubwürdig angesehen wird. Dieses Schicksal erlitt z. B. die Konfrontationsstrategie Schumachers und Ollenhauers gegen Adenauers Politik in den 50er Jahren, und das gilt auch für die Opposition der CDU/CSU gegenüber der Ostpolitik der SPD/FDP in der Zeit von 1969 bis 1972.

Aus diesen Unzulänglichkeiten der quasi gouvernementalen, der Anpassungs-und auch der Konfrontationsstrategie für eine Opposition folgt die allein funktionale und dem System adäquate Verhaltensweise der Opposition, die die Alternativstrategie genannt werden kann. Sie besteht darin, im Rahmen der akzeptierten Politik eines Landes, im Rahmen des bestehenden Konsensus wenige zentrale Punkte herauszugreifen, die die Regierung aus parteiinternen, koalitionsinternen oder sonstigen Gründen nicht aufgreifen kann oder will und die zugleich in Übereinstimmung mit dem überlieferten Image der Opposition stehen. In wenigen Punkten sollte die Alternative der Opposition zur Regierung zusammengefaßt, muß die Frage beantwortet werden, was die Opposition will.

Das wirft zunächst die Frage auf, ob in einer modernen Industriegesellschaft überhaupt Alternativen möglich sind oder ob nicht vielmehr die vielzitierten Sachzwänge des Systems die Präsentation realitätsbezogener Alternativen ausschließen. Unbestritten ist, daß die Verwirklichung alternativer Konzeptionen häufig nur zum Setzen neuer Akzente führt, daß sich die Regierungspraxis konkurrierender Parteien häufig nur in Nuancen unterscheidet oder unterscheiden kann. Aber diese geringe Distanz zwischen Einzelmaßnahmen wird bedeutungsvoll, wenn die Einzelmaßnahmen im Rahmen einer längerfristigen Perspektive gesehen werden. Nuancen in Einzelentscheidungen kumulieren sich zu Verlagerungen in der Ordnung. Gerade um dies zu verdeutlichen, darf und muß die Op'positionsstrategie längerfristig konzipiert sein.

Eine solche Präsentation von Alternativen kann am besten in Bereichen gelingen, die der Bürger selbst überschauen kann. Dazu gehört im Normalfall nicht die Außenpolitik.

Sie ist in der Regel der strategische Bereich der Regierung. In keinem anderen Bereich kann die Regierung so unangefochten die Produktion und das Timing von Nachrichten bestimmen wie in der Außenpolitik und damit zugleich sich selbst ein Erfolgsimage prägen. Nur eine offenkundige Krisensituation kann der Opposition nutzen, wenn diese der Regierung angelastet wird, wobei gerade in der Außenpolitik die Regierung häufig noch die Chance hat, eine mit einer Krise verbundene nationale Solidarisierungswelle in eine Solidarisierung mit der Regierung umzufunktionieren.

Hinzu kommt, daß im Bereich der Außenpolitik die Regierung als die Vertreterin der nationalen Interessen angesehen wird, d. h., wer die Regierung angreift, verstößt gegen die vielfach empfundene Notwendigkeit der Solidarität nach außen. Nur wenn starke Interessen großer Bevölkerungsteile im außenpolitischen Bereich bestehen oder Teile der Außenpolitik stark normativ verankert sind, kann es Ausnahmen von dieser Regel geben.

Im Gegensatz dazu stehen die Bereiche, in denen der Bürger die Chance zur unmittelbaren Überprüfung von Leistungen und auch von Lösungsvorschlägen durch den eigenen Erfahrungsbereich besitzt. Daraus folgt, daß die Wirtschaftspolitik generell, aber auch Einzel-bereiche der Gesellschaftspolitik das Terrain der Opposition schlechthin bilden. Dabei gilt allerdings die Grundregel, daß die allgemeine Wirtschaftspolitik nur dann der Opposition dienen kann, wenn die Beurteilung der wirtschaftlichen Zukunftsaussichten tendenziell negativ ist. Besteht dagegen ein allgemeiner wirtschaftlicher Optimismus, ist die Stunde der Regierung gekommen, „You can't beat the boom" lautet ein angelsächsisches Sprichwort.

Erfolgreiche, konjunkturunabhängige Oppositionsstrategie kann sich damit zumeist nur auf zentrale Themen der Gesellschaftspolitik konzentrieren. Dabei kommt der Tätigkeit der lokalen Gliederungen einer Partei häufig relativ große Bedeutung zu. Die Leistungsfähigkeit einer Partei glaubwürdig zu demonstrieren, kann am überzeugendsten durch ihre persönlich bekannten Vertreter im überschaubaren kommunalen Bereich geschehen. Initiativen von lokalen Parteiorganisationen oder ihren Vertretern zur Lösung der örtlichen Probleme dienen dem Image der Partei mehr als weltpolitische Diskussionen. Nicht zu Unrecht ist betont worden, daß der Weg der SPD ins Kanzleramt über die Rathäuser geführt habe. In keinem Bereich ist die Demonstration von Leistungsfähigkeit durch Perso7 nalisierung von überschaubaren Problemen leichter und überzeugender möglich.

Diese lokale Leistungswerbung ist eine notwendige Ergänzung jeder Alternativstrategie. Sie kann aber die Erarbeitung der zentralen Positionen, die die Alternative zur Regierung umfassen, nicht ersetzen. Diese bleibt die wesentliche Aufgabe jeder Oppositionsstrategie. Sie muß zukunftsorientiert sein und mit Faszinationskraft die Konturen einer Welt von morgen skizzieren, die von einer überzeugenden Führung präsentiert werden.

Nur durch eine glaubhafte Präsentation solcher Alternativen kann der vielfältige Schutzwall den Amtsbonus und Struktur der öffentlichen Meinung für die Regierung bilden, durchdrungen werden. Gelingt der Opposition diese Präsentation von Alternativen, so zeigt das zugleich, daß sie die personelle und inhaltliche Erneuerung erfolgreich durchlaufen hat. Sie ist wieder vorbereitet für die Übernahme der Regierung und kann damit für eine reale Chance des Machtwechsels im System sorgen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Werner Kaltefleiter, Dr. rer. pol., o. Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Kiel, Direktor des Seminars für Wissenschaft und Geschichte der Politik, Leiter des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts der Konrad-Adenauer-Stiftung, geb. 1937 in Hagen. Veröffentlichungen u. a.: Funktion und Verantwortung in den europäischen Organisationen, 1964; Wirtschaft und Politik in Deutschland, 1966, 2. Aufl. 1968; Die Funktionen des Staatsoberhauptes in der parlamentarischen Demokratie, 1970; Im Wechselspiel der Koalitionen — Analyse der Bundestagswahl 1969, 1970; Zwischen Konsens und Krise — Analyse der Bundestagswahl 1972, 1973; zahlreiche Aufsätze, darunter: Verfassungspolitische Probleme der großen Koalition, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18— 19/67.