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Der Schriftsteller als öffentliche Person. Zur Krise der Wertmaßstäbe | APuZ 6/1974 | bpb.de

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APuZ 6/1974 Der Schriftsteller als öffentliche Person. Zur Krise der Wertmaßstäbe Lebenshilfe in Illustrierten und Regenbogenpresse?

Der Schriftsteller als öffentliche Person. Zur Krise der Wertmaßstäbe

Hans Joachim Schrimpf

/ 45 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Untersuchung geht aus von der Feststellung, daß die ästhetischen Wertmaßstäbe der klassisch-romantischen Zeit trotz zunehmender Einsicht in die Relativität aller — stets kul-turund sozialgeschichtlich bedingten — Normen bis heute fortleben. Zur kritischen Beurteilung dieses Sachverhalts faßt der erste Abschnitt die einflußreichsten Modellvorstellungen der klassischen Ästhetik am Beispiel Körners, Schillers, Humboldts, Moritz'und Goethes zusammen. Der zweite Abschnitt versucht sodann, die befreiende, emanzipatorische Kraft des klassischen Autonomiebegriffs der Kunst am Ausgang des 18. Jhs. aufzuzeigen, den darin mitformulierten Offentlichkeitsanspruch und die dahinter stehende politische Konzeption. Neben Belegen aus den Werken der genannten Autoren wird auch das Deutschland-Buch der Mme.de Stael herangezogen. Heines kritische Prophezeiung vom „Ende der Kunstperiode" und Brechts Polemik gegen die „Einschüchterung durch die Klassizität" sind Gegenstand der Überlegungen des dritten Abschnitts, der darlegen will, wie im Bildungsbürgertum des 19. Jhs. und bis in unsere Zeit der traditionelle Kunstbegriff infolge ungeschichtlicher Dogmatisierung seiner ursprünglichen Frische und Produktivität beraubt, aus seinem prozeßhaften Zusammenhang gelöst wurde und zu einem konservativen Kulturgut von klassischer Dignität erstarrte. Der vierte Abschnitt behandelt weiter die verarmende antithetische Aufspaltung der Literatur in „hohe Kunst" einerseits und „niedere Gebrauchsliteratur'andererseits, die zur Mythisierung des Dichters und der hohen Dichtung und zu einer verhängnisvollen Verengung des Literaturbegriffs führte. Als Beispiel für die sowohl außerkünstlerische wie eigengesetzliche Bedingtheit des Wandels literarischer Formen und Wertmaßstäbe bringt der fünfte Abschnitt eine vergleichende Gegenüberstellung von Rezeptions-Texten bei Gottfried Keller und Peter Handke. Zum abgrenzenden Vergleich mit den Modellvorstellungen der klassischen Kunstauffassung werden schließlich im sechsten Abschnitt die gegensätzlichen Wertungskriterien skizziert, wie sie sich aus dem Selbstverständnis zeitgenössischer Schriftsteller ergeben. Deren politisches, gesellschaftskritisches Engagement und die neue Artistik ihrer Formexperimente tendieren bei aller individuellen Verschiedenheit dahin, Kunst und Literatur nur noch außerkünstlerisch zu „rechtfertigen", zwar dezidiert dem Menschen und der Gesellschaft, doch keinesfalls mehr der Kunst um ihrer selbst willen zu dienen. Für dieses Selbstverständnis einer „recherchierten Literatur", das verunsichert zwischen Engagement und Narrenfreiheit, Aggressivität und Ohnmacht, zwischen Selbstüberschätzung und Selbstentwertung schwankt, fanden neben Frisch und Peter Weiss Autoren wie Enzensberger, Wellershoff, Siegfried Lenz, Grass und Handke als Beispiele Berücksichtigung. Der Schluß konfrontiert sodann den modernen Literaturbegriff und seinen politisch-gesellschaftlichen Anspruch noch einmal mit dem Offentlichkeitsanspruch der klassischen Autonomie-Konzeption.

I. Klassizität und ästhetische Autonomie

Die Bildungsgeschichte des deutschen Bürgertums ist in einem so starken Maße am Kunst-und Literaturverständnis der klassisch-romantischen Zeit orientiert und von ihm geprägt, daß dessen geschichtsmächtige Normen bis heute in Schule, Universität, Kulturbetrieb und im breiten Publikum, vielfach unbewußt, nachwirken und die Aufnahme und Beurteilung literarischer Werke beeinflussen. Obwohl bereits der wie die Klassiker in der humanistisch-kritischen Tradition des 18. Jahrhunderts stehende Heinrich Heine in scharf-blickender Prognose vom unvermeidlichen und zeitbedingt notwendigen „Ende der Kunstperiode" gesprochen hat, obwohl die geschichtliche und literarische Wirklichkeit längst mehrfach und folgenreich verändert ist und selbst die durch ihre Herkunft aus der klassisch-romantischen Zeit geprägte deutsche Literaturwissenschaft seit einigen Jahrzehnten immer deutlicher die zwangsläufige Relativierung der traditionellen Normen erkennen mußte, besteht in vielen Köpfen die Erwartung fort, ein Kunstwerk müsse so, oder — mit gewissen zugestandenen Abwandlungen — doch so ähnlich, gestaltet sein, wie es die Ästhetik und Poetik der Goethezeit vorgezeichnet haben

Nur zögernd, aber gegenwärtig in wachsendem Maße, hat sich die Einsicht durchgesetzt, daß es keine übergeschichtlichen und absoluten Normen gibt und geben kann, nach denen eine literarische Werttheorie Maßstäbe setzt, um Produktionen verschiedener Epochen ver-Peter Kaupp Lebenshilfe in Illustrierten und Regenbogen-presse? ................................................. S. 21 bindlich zu qualifizieren Alle Wertungskriterien sind bestimmten ästhetischen Systemen zugehörig, sind historisch gewachsen oder durch avantgardistische Oppositionsbewegungen durchgesetzt und von ihrer Zeit kultur-und sozialgeschichtlich bedingt. Als solche ha-ben sie jeweils ihren zuordenbaren, relativen Erkenntniswert. Nicht aber in einer abstrakten sogenannten „Zeitlosigkeit", sondern gerade in ihrer Bedingtheit, in ihrer der Vergänglichkeit anheimfallenden konkreten Zeitbezogenheit liegt ihre geschichtliche Potenz; ihre unmittelbare und dogmatische Übertragung auf andere, gesellschaftlich und kulturell prinzipiell anders orientierte Systeme gibt sie hingegen der Sterilität preis, macht sie illegitim und ist daher unzulässig.

Von den nachwirkenden Modellvorstellungen der klassisch-romantischen Ästhetik sollen im folgenden, als Hintergrund und in äußerster Verkürzung, die einflußreichsten genannt werden. Jeder wird darin in der einen oder anderen Form eigene Bildungserfahrungen wiedererkennen. Ein Kunstwerk hat danach eine lebendige, strukturell in sich gegliederte Organisation zu sein, ein naturanaloger Organismus, eine architektonische Komposition, etwas Lebensechtes, Vollkommenes, „in sich selbst Vollendetes", worin Geist und Sinnlichkeit zur Harmonie vereinigt sind. Es gestaltet die „Einheit im Mannigfaltigen", durch welche die inneren Spannungen in einer höheren Totalität aufgehoben und versöhnt erscheinen. Die diesem ganzheitlichen Kunstbegriff zugrunde liegende ästhetische Autonomiekonzeption zielt auf die Gestaltung vollendeter Schönheit und Freiheit: Kosmos heißt „schöne Welt", „geschmückte Welt"; und das Kunstwerk ist wie ein kleiner Kosmos für sich. Diese Autonomievorstellung besagt „innere Zweckmäßigkeit", „Zweckmäßigkeit ohne Zweck" (mit Kant zu reden), fordert das freie Spiel der Form, zweckfreie Unparteilichkeit, und erwartet vom Rezipienten eine ästhetisch genießende Distanz, „reines uninteressiertes Wohlgefallen", wie es gleichfalls Kant formuliert hat.

Für dieses normensetzende und in Deutschland nachhaltig wirkende Kunstverständnis der ausgebildeten Hochklassik seien hier nur einige Belege angeführt, die insofern als repräsentativ gelten können, als sie nicht beiläufige und isolierte Einzelstimmen wiedergeben, sondern eine in großer Ausführlichkeit und Breite vielfältig historisch dokumentierte Grundüberzeugung zusammenfassen. So schreibt etwa der engste Schiller-Freund jener Jahre, Christian Gottfried Körner, am 6. Dezember 1790 an den Dichter: „Das Objektive in aller Art von Kunst wird mir immer werter. In diesem scheint mir die wahre Klassizität enthalten zu sein ... Das Kunstwerk soll durch sich selbst existieren, wie ein an-deres organisches Wesen ... und hierdurch unterscheidet sich eben ein Aggregat von Elementen . . . von einem organisierten Gan-zen, wo Teil und Ganzes gegenseitig Mittel und Zweck sind, wie bei den organisierten Naturprodukten. Diese Einheit der Richtung bei der Mannigfaltigkeit der vorhandenen Kräfte, und diese Vervielfältigung des Lebens im einzelnen bei der möglichsten Harmonie des Ganzen unterscheidet Klassizität von Chaos und Leerheit: — dies ist mein neueres ästhetisches Glaubensbekenntnis." Karl Philipp Moritz, der Goethe-Freund der Italienischen Reise, faßt sein Bekenntnis zum Schönen und zur Kunst um die gleiche Zeit und unabhängig davon wie folgt zusammen: „In so fern nun aber jedes schöne Kunstwerk mehr oder weniger ein Abdruck des uns umgebenden großen Ganzen der Natur ist, muß es auch als ein für sich bestehendes Ganze von uns betrachtet werden, welches, wie die große Natur, seinen Endzweck in sich selber hat, und um sein selbst willen da ist"

Schiller seinerseits hat in den „Ästhetischen Briefen" die Kunst als ein freies Spiel aller menschlichen Kräfte gekennzeichnet, das sich nach eigenen Gesetzen von der an Interessen und Zwecke versklavenden Wirklichkeit rein ablöst und den Menschen erst zum unverkürzten Menschen macht: „Das Schöne soll nicht bloßes Leben und nicht bloße Gestalt sondern lebende Gestalt, d. i. Schönheit sein . . .", die schöne Kunst aber wird „nur dadurch wahr .... daß sie das Wirkliche ganz verläßt und rein ideell wird" Und Wilhelm von Humboldt schreibt 1799 in seinen „Ästhetischen Versuchen", daß der Künstler „in unsrer Seele jede Erinnerung an die Wirklichkeit vertilgen" solle. „Das Reich der Phantasie ist dem Reiche der Wirklichkeit durchaus entgegengesetzt", und die „Darstellung der Natur durch die Einbildungskraft" ... „muß eine Umwandlung der Natur enthalten; denn sie versetzt dieselbe in eine andre Sphäre

Der organische und zugleich architektonische Aspekt des klassischen Autonomieverständnisses der Kunst wird am deutlichsten bei Goethe. In Italien glaubt der Dichter dem Geheimnis der Naturorganisation und im Zusam menhang damit auch dem Prinzip der Kunst-Organisation auf die Spur gekommen zu sein. Von den für vorbildlich gehaltenen antiken Künstlern vermutet er, „daß sie nach eben den Gesetzen verfuhren, nach welchen die Natur verfährt und denen ich auf der Spur bin" Es ist die in dieser Zeit sich herausbildende Metamorphosenlehre, mit der Goethe auch ein neues Kunstverständnis vermitteln zu können glaubt. Er vertraut dem Freund Herder brieflich an, daß er „dem Geheimnis der Pflanzenerzeugung und -Organisation ganz nahe" sei und überzeugt sich mehr und mehr davon, daß er mit dem Modell von der „Urpflanze" den Schlüssel zu allem gefunden habe. Denn, wie es später im Laokoon-Aufsatz heißt: „Die höchsten Kunstwerke, die wir kennen, zeigen uns: Lebendige, hochorganisierte Naturen"

Für den Künstler, der ein vollkommenes Werk hervorbringen will, bedeutet das: bauenden Kunstverstand und architektonische Komposition zur Gestaltung von etwas „Geistig-Organischem“ Goethe nennt es „Architektonik im höchsten Sinne, diejenige ausübende Kraft, welche erschafft, bildet, konstituiert" Und er weist alle außerkünstlerischen Wirkungsabsichten mit Nachdruck zurück: „Die Voll-INHALT I. Klassizität und ästhetische Autonomie II. Emanzipation und Offentlichkeitsanspruch III. Das Ende der Kunstperiode — Heine und Brecht IV. Entfremdung zwischen „hoher Dichtung"

und „niederer Literatur"

V. Literatur als wirkender Faktor — Von Keller bis Handke VI. Modernität — Die nicht mehr schöne Literatur endung des Kunstwerks in sich selbst ist die ewige unerläßliche Forderung! Aristoteles, der das Vollkommenste vor sich hatte, soll an den Effekt gedacht haben! Welch ein Jammer!"

II. Emanzipation und Offentlichkeitsanspruch

Der hier knapp umrissene autonome Kunstbegriff, der in der Selbstzwecklichkeit des Kunstwerks und in der humanistischen Gleichsetzung des „Wahren, Guten und Schönen" mit dem geforderten sogenannten „Allgemein-Menschlichen" gipfelt, war am Ausgang des 18. Jahrhunderts das hart erkämpfte* Resultat eines Prozesses der Emanzipation von staatlicher, ständischer, politischer, religiöser und moralischer Bevormundung. Bei diesem Emanzipationsprozeß spielte das klassisch-antike Modell in einem christlich-feudalistischen Zeitalter eine befreiende Rolle, die für die Weimarer Klassiker und auch für die Anfänge der Frühromantiker gar nicht überschätzt werden kann. Denn „hier erscheint die Kunst vollkommen selbständig", schreibt noch der 81jährige Goethe im Bewußtsein des Erkämpften im Brief an einen Freund (Beuth, 22. Febr. 1831), „indem sie sich sogar unabhängig erweist von dem, was den edlen Menschen das Höchste und Verehrungswürdigste bleibt, von der Sittlichkeit".

Hegel hat im Rückblick 1802 in seiner Schrift „Die Verfassung Deutschlands" die geschichtliche Situation, in die die Klassikergeneration hineingeboren wurde, wie folgt gekennzeichnet: „Die Organisation dieses Körpers, welche die deutsche Staatsverfassung heißt, hatte sich in einem ganz anderen Leben gebildet, als nachher und itzt in ihm wohnt ... (Jenes) Gebäude ... wird von dem Schicksal des itzigen Geschlechts nicht mehr getragen und steht ohne Anteil und Notwendigkeit für des-sen Interesse und seine Tätigkeit isoliert von dem Geiste der Welt. Wenn diese Gesetze ihr altes Leben verloren haben, so hat sich die itzige Lebendigkeit nicht in Gesetze zu fassen gewußt; jede ist ihren eignen Weg gegangen, hat sich für sich festgesetzt, und das Ganze ist zerfallen, der Staat ist nicht mehr."

Mit diesem unaufgelösten Widerspruch war die Klassikergeneration bereits in ihrer Frühzeit konfrontiert; für die Durchsetzung der von allen Seiten politisch und sozial eingezwängten „itzigen Lebendigkeit“ hat sie sich engagiert. Sie hat nie den Zusammenhang mit Kants Definition und Postulat der Aufklärung verloren (1784), daß diese nämlich — und eben das besagt „Emanzipation" oder zu deutsch: selbsttätige Inangriffnahme des Prozesses der Mündigwerdung — „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ sei. Sie hat den Anspruch auf Öffentlichkeit und die soziale Mitverantwortung des Schriftstellers, trotz äußerster politischer und gesellschaftlicher Eingeschränktheit des bürgerlichen Intellektuellen, niemals preisgegeben, ja auf einer geistigen, in die Zukunft weisenden Führungsrolle für die Nation bestanden. Dieser Offentlichkeitsan-spruch steht im krassen Gegensatz zu der erzwungenen Resignation, wie sie sich später im 19. Jahrhundert etwa mit der entmutigten Frage in Mörikes „Maler Nolten" bekundet: „Ist denn Kunst etwas anderes als ein Versuch, das zu ersetzen, was uns die Wirklichkeit versagt?"

Nicht nur hat Goethe, wie es Arnold Hirsch formulierte, im „Werther" die Tragödie eines bürgerlichen Schicksals im feudalistischen Zeitalter gedichtet; und nicht nur wird man mit Recht, wie Georg Lukäcs, den Welterfolg des „Werther" als einen „literarischen Sieg der Linie der bürgerlichen Revolution" bezeichnen dürfen auch im „Wilhelm Meister" ’ steht „das große Problem des bürgerlich-revolutionären Humanismus, das Problem der freien und allseitigen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit“ an. Wilhelm Meisters Bekenntnis und Verlangen, „mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht" ist nicht nur der sehnsüchtige Wunschtraum eines gefühlvollen individuellen jungen Menschen, sondern in einer bestimmten geschichtlichen Situation der bestimmte öffentliche Anspruch eines unbefriedigten Bürgers auf allgemeine Geltung und selbständige, den Privatbereich sprengende Tätigkeit. Das Recht auf Freiheit und Gleichheit gegenüber dem Adel wird mit dem Argument vorgetragen, nicht länger vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und auf die Sphäre des Privaten, des Arbeitens, Leistens und Habens beschränkt bleiben zu wollen.

Der Bürger will nicht länger nur fragen: „was hast du?“ und: „was kannst du?", sondern:

„was bist du?"; er will „öffentliche Person“ werden und darin nicht länger hinter dem Adel zurückstehen.

Noch schärfer und fordernder aufbegehrt hat im 18. Jahrhundert der bereits genannte Karl Philipp Moritz, Verfasser des „Anton Reiser“, dessen klassische Schönheitslehre vom „in sich selbst vollendeten" Kunstwerk Goethe als „Fundament" eigener, „nachher mehr entwickelter Denkart" in die „Italienische Reise“

aufgenommen hat. Etwa gleichzeitig mit den zitierten Thesen seiner klassischen Ästhetik schrieb er die rebellischen Sätze: „Im Grunde war es das Gefühl der durch bürgerliche Verhältnisse unterdrückten Menschheit, das sich seiner hiebei bemächtigte, ... was hatte er vor seiner Geburt verbrochen, . . . warum erhielt er gerade die Rolle des Arbeitenden und ein andrer des Bezahlenden?“ — „Ich stelle mich auf die unterste Stufe, worauf mich der Zufall versetzen konnte, und gebe keinen von meinen Ansprüchen auf die Rechte der Menschheit auf. Ich fordre so viel Freiheit und Muße, als nötig ist, über mich selbst, über meine Bestimmung, und meinen Wert als Mensch zu denken." — „Der listigere und verschlagnere Teil der Menschen hat nehmlieh Mittel gefunden, dem ehrlichem und gutmütigem seine notwendigen Bedürfnisse auf gewisse Weise zu entreißen und abzuschneiden, um sie ihm nur unter der Bedingung wieder zufließen zu lassen, daß er eine Zeitlang auf die natürliche Verbindung seiner Geistes-und Körperkräfte Verzicht tut — und wie eine bloße Maschine durch die Gedanken eines andern seinen Arm ausstrecken ...

läßt."

Der junge Friedrich Schlegel hat sich um die Mitte der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts am Vorabend einer „ästhetischen Revoluzion“

gefühlt und diese Revolution Zugleich als eine notwendige „moralische Revoluzion" begriffen. Als erste überzeugende literarische Verwirklichung dieser umwälzenden Erneuerung begrüßte er Goethes klassischen Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre".

Im Bewußtsein einer großen, alles verändernden geschichtlichen Wende stellte er 1798 den „Wilhelm Meister" neben Fichtes Revolutionierung der „Wissenschaftslehre" (d. i.der Philosophie) und die Französische Revolution und nannte alle drei zusammen in seinem berühmtgewordenen Athenäumsfragment 216 „die größten Tendenzen des Zeitalters": „Wer an dieser Zusammenstellung Anstoß nimmt, wem keine Revoluzion wichtig scheinen kann, die nicht laut und materiell ist, der hat sich noch nicht auf den hohen weiten Standpunkt der Geschichte der Menschheit erhoben." Ganz ähnlich konstatierte Heinrich Heine vierzig Jahre später zwischen der geistigen Umwälzung durch die Kantische Philosophie und der „materiellen Revolution in Frankreich" den „merkwürdigsten Parallelis-mus“: „Auf beiden Seiten des Rheins sehen wir denselben Bruch mit der Vergangenheit, der Tradition wird alle Ehrfurcht aufgekündigt, wie hier in Frankreich jedes Recht, so muß dort in Deutschland jeder Gedanke sich justifizieren, und wie hier das Königtum, der Schlußstein der alten sozialen Ordnung, so stürzt dort der Deismus, der Schlußstein des geistigen alten Regimes."

Eine der schwärmerischsten Verehrerinnen des klassisch-romantischen literarischen Deutschland, Vertreterin des esprit nouveau, die Französin Germaine de Stael, hat ihren Zeitgenossen in der napoleonischen Ara mit ihrem Buch „De l’Allemagne" (1810) die Neuorientierung der deutschen Literatur und Philosophie als progressive Bewegung entgegengehalten. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, welche Tendenz Mme.de Stael mit ihrem Engagement verfolgte. Denn es ist ein emanzipatorisch-politisches Engagement. „Der gute Geschmack in der Literatur", so zitiert sie im 14. Kapitel des Buches, „gleicht in gewisser Beziehung der Ordnung unter dem Despotismus: man muß prüfen, um welchen Preis man ihn erkauft. In der Politik, sagte Herr Necker, bedarf es aller Freiheit, die mit der Ordnung verträglich ist. Ich möchte den Satz umkehren und sagen: In der Literatur bedarf es allen Geschmacks, der mit dem Genie verträglich ist, denn wenn das Wichtigste im Staate die Ruhe ist, so ist das Wichtigste in der Literatur gerade im Gegenteil das Interesse, die Bewegung, die innere Erregung, deren Feind der Geschmack oftmals ist." Es erscheint mir politisch wie literarisch gleichermaßen aufschlußreich für eine historische Beurteilung der Situation und des emanzipatorischen Stellenwerts der klassisch-romantischen Ästhetik, daß der erste Satz der zitierten Passage von der Zensur Napoleons gestrichen wurde, noch bevor das Verbot und die Beschlagnahme des Gesamt-werks durch Napoleon erfolgten.

Auch Schillers klassische Kunstphilosophie ist aus ihrem zeitbedingten politisch-aktuellen Zusammenhang nicht zu lösen. Bis zuletzt hat Schiller an dem öffentlichen Auftrag des Schriftstellers und dem aufklärenden gesamtgesellschaftlichen Anspruch von Kunst und Literatur festgehalten. Er ist auch niemals von den freiheitlich-revolutionären Ideen und dem politischen Ziel eines künftigen Vernunftstaates der Freiheit abgefallen, auf denen die Französische Revolution sich gründete. Er hat vielmehr seinerseits in der politischen Wirklichkeit der Schreckensherrschaft einen Abfall von diesen Ideen erblickt und einen geschichtlichen Rückschritt in die Barbarei. Darum beginnen die „Ästhetischen Briefe" mit einer Kritik an dieser nach Schillers Auffassung regressiven schlechten Wirklichkeit der Revolution. Die nie aus den Augen verlorene politische Konzeption Schillers aber wird besonders deutlich in dem Brief an den Herzog von Augustenburg vom 13. Juli 1793 — einem der Briefe, denen die Schrift „über die ästhetische Erziehung des Menschen" ihre Entstehung verdankt: „Wäre das Faktum wahr — wäre der außerordentliche Fall wirk-lieh eingetreten, daß die politische Gesetzgebung der Vernunft übertragen, der Mensch als Selbstzweck respektiert und behandelt, das Gesetz auf den Thron erhoben, und wahre Freiheit zur Grundlage des Staatsgebäudes gemacht worden, so wollte ich auf ewig von den Musen Abschied nehmen, und dem herrlichsten aller Kunstwerke, der Monarchie der Vernunft, alle meine Tätigkeit widmen. Aber dieses Faktum ist es eben, was ich zu bezweifeln wage."

Schillers Konzept einer „ästhetischen Erziehung" als Vorbereitung der politischen Befreiung in Richtung auf den Vernunftstaat der Freiheit hat sich trotz Desillusionierung nicht aus dem konkreten geschichtlich-öffentlichen Kontext gelöst und ins Persönlich-Private zurückgezogen. „Die wahre Kunst", so schrieb er 1803 in seiner „Vorrede" zur „Braut von Messina", „hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen; es ist ihr ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu machen, und dieses dadurch, daß sie eine Kraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt... in ein freies Werk unseres Geistes zu verwandeln und das Materielle durch Ideen zu beherrschen."

Hinter den Hochklassikern stand stets, neben Kant, von allen dankbar als richtungweisender Neuerer und Vorbild des aufgeklärten kritischen Schriftstellers im Bewußtsein gegenwärtig gehalten, die Gestalt Lessings, desjenigen deutschen Autors, von dem noch Heinrich Heine in seiner sehr kritischen „Romantischen Schule“ 1833 sagte, „daß er in der ganzen Literaturgeschichte derjenige Schriftsteller" sei, den er „am meisten liebe": „In allen seinen Werken", so kennzeichnet ihn Heine, „lebt dieselbe große soziale Idee, dieselbe fortschreitende Humanität, dieselbe Vernunft-religion, deren Johannes er war und deren Messias wir noch erwarten ... Mehr als man ahnte war Lessing auch politisch bewegt."

III. Das Ende der Kunstperiode — Heine und Brecht

Damit sind wir nun aber auch schon bei dem bereits eingangs zitierten kritisch-prognostischen Wort Heines vom sogenannten „Ende der Kunstperiode". Denn der im Vorhergehenden umrissene klassisch-romantische Kunstbegriff konnte ungeachtet seiner befreienden zeitgeschichtlichen Funktion aufgrund seiner eigenen Bedingtheit durch den historischen, politischen und sozialen Kontext keine absolute, übergeschichtlich verbindliche Norm begründen. Im Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts und bis in unsere Gegenwart nachwirkend erscheint er jedoch, infolge ungeschichtlicher Dogmatisierung und Übertragung, aus seinem emanzipatorischen, prozeßhaften Zusammenhang gelöst und zu einem konservativen und abstrakten Kulturgut von klassischer Dignität erstarrt.

Heinrich Heine ist wohl derjenige deutsche Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, der am frühesten und klarsten den natürlichen und geschichtlich notwendigen Tod einer literarischen Epoche erkannt und die unvermeidlichen Konsequenzen gefordert und gezogen hat, ohne doch den bedeutenden geschichtlichen Wert dieser zu Ende gegangenen Epoche selbst zu verkennen. Was er leidenschaftlich und mit schneidend satirischer Schärfe bekämpfte, ist das epigonale und den Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit aufhaltende Festschreiben des Gewesenen, das sich dabei, in seinem wirklichkeitsfremden und gewaltsamen Fortdauern, in sein Gegenteil verkehrt.

Heine kritisiert den unverändert aufrechterhaltenen ästhetischen Autonomie-Anspruch der Kunst, der sie weiterhin als „eine unabhängige zweite Welt" versteht, zwecklos „wie der Weltbau selbst" und ohne Rücksicht und Bezug auf die Erfordernisse der „ersten wirklichen Welt" 1831 — in der Rezension „Französische Maler" — hat Heine seine Erkenntnis so formuliert: „Meine alte Prophezeiung vom Ende der Kunstperiode, die bei der Wiege Goethes anfing und bei seinem Sarge aufhören wird, scheint ihrer Erfüllung nahe zu sein. Die jetzige Kunst muß zugrunde gehen, weil ihr Prinzip noch im abgelebten, alten Regime . .. wurzelt. Deshalb, wie alle welken Überreste dieser Vergangenheit, steht sie im unerquicklichsten Widerspruch mit der Gegenwart. Dieser Widerspruch und nicht die Zeitbewegung selbst ist der Kunst so schädlich...". Heine fordert eine neue Kunst, die sich nicht „mit kümmerlicher Privatbegeisterung" von der „Politik des Tages" trennt, sich nicht „hermetisch" verschließt „gegen die großen Schmerzen und Freuden der Zeit", und wo der Dichter nicht klagt über den „Untergang seines Talents, sondern über den Untergang der Freiheit"

Was Heine unter der „Kunstperiode" versteht, läßt sich am besten aus dem Text entnehmen, in welchem er die These vom „Ende der Kunstperiode" zum erstenmal formuliert hat: an entlegener Stelle, in einer Buchbesprechung aus dem Jahre 1828. Er stellt hier die im gleichen Jahr erschienene Schrift von Wolfgang Menzel, „Die deutsche Literatur", Friedrich Schlegels „Vorlesungen über Literatur" vergleichend gegenüber und rühmt Menzels Buch, weil es eine Literaturkritik unter dem Gesichtspunkt der neuen Zeit, der Moderne, bietet. Aber er rühmt es nicht auf Kosten Friedrich Schlegels. Er stellt vielmehr heraus, daß beide Darstellungen einander nicht nachstehen in der Großartigkeit der Auffassung, der intellektuellen Kraft und auch der des Irrtums. Doch ist eben, unter der Vergangenheitsperspektive mit Recht, in Schlegels Werk „die Idee der Kunst noch immer der herrschende Mittelpunkt", wie eben in jener beschriebenen „ganzen Literaturperiode" selbst, während Menzel aus der Perspektive der Gegenwart und ihren konkreten politischen und materiellen Interessen heraus schreibt und urteilt: „In dem Schlegelschen sehen wir ganz die Bestrebungen, die Bedürfnisse, die Interessen, die gesamte deutsche Geistesrichtung der vorletzten Dezennien und die Kunstidee als Mittelpunkt des Ganzen"; bei Menzel dagegen treten „die Interessen der Zeit... auf und halten ihre Monologie, ...der Mittelpunkt des Menzelschen Buches ist nicht mehr die Idee der Kunst. Menzel sucht viel eher das Verhältnis des Lebens zu den Büchern aufzuiassen" 27).

Zustimmend zitiert Heine, zur Herausarbeitung der Gesamkonzeption, lange Passagen des Menzelschen Buches. So etwa die folgenden: „Es gibt nur zwei Prinzipe oder entgegengesetzte Pole der politischen Welt, und an beiden Endpunkten der großen Achse haben die Parteien sich gelagert und bekämpfen sich mit steigender Erbitterung... im allgemeinen ... muß der subtilste Kritiker so gut wie 2 das gemeine Zeitungspublikum einen Strich ziehen zwischen Liberalismus und Servilismus, Republikanismus und Autokratie. Welches auch die Nuancen sein mögen, . . . diese Hauptfarben selbst verbergen sich nirgends ... Die liberale Partei ist diejenige, die den politischen Charakter der neueren Zeit bestimmt, während die sogenannte servile Partei noch wesentlich im Charakter des Mittelalters handelt. Der Liberalismus schreitet daher in demselben Maße fort wie die Zeit selbst, oder ist in dem Maße gehemmt, wie die Vergangenheit noch in die Gegenwart herüber dauert... Er hat seine Partei in dem gebildeten Mittelstände, während der Servi-lismus die seinige in den Vornehmen und in der rohen Masse findet. .. Die ganze neuere Bildung ist aus dem Liberalismus hervorgegangen oder hat ihm gedient, sie war die Befreiung von dem kirchlichen Autoritätsglauben. Die ganze Literatur ist ein Triumph des Liberalismus, denn seine Feinde sogar müssen in seinen Waffen fechten . . . Man kann nur durch ewigen Fortschritt oder gar nicht gewinnen. Wo man stehen bleibt, ist ganz einerlei, so einerlei, als wo die Uhr stehen bleibt. Sie ist da, damit sie geht." Mit großer Entschiedenheit aber weist Heine, der Menzel bis hierhin uneingeschränkt zustimmt, das einseitige Lob Schillers auf Kosten des geschmähten Goethe zurück, obwohl dieser ja auch ihm selbst der eigentliche Repräsentant der vergehenden „Kunstperiode" ist. Doch Heine macht es ganz klar, daß er nicht gegen Goethe und die Kunstperiode als solche polemisiert, sondern gegen „das zivilisierte Goethentum", gegen die reaktionäre und unproduktive Verlängerung des Gewesenen, „das notwendigerweise zusammensinkt", in die Zukunft hinein, gegen die verschleppte Kunstperiode also. Und er polemisiert dagegen, daß sich der späte Goethe diese spießigdegenerierte, restaurative Nachfolge wohl-wollend-fördernd gefallen läßt und ihr somit Vorschub leistet. „Wir können nicht umhin", schreibt Heine mit sarkastischer Emphase, „ausdrücklich zu bemerken, daß wir unter „Goethentum" nicht Goethes Werke verstehen . ..; unter jenem Ausdruck verstehen wir auch nicht eigentlich die Goethesche Denkweise, diese Blume, die im Miste unserer Zeit immer blühender gedeihen wird, und sollte auch ein glühendes Enthusiastenherz sich über ihre kalte Behaglichkeit noch so sehr ärgern; mit dem Worte „Goethentum" deuteten wir oben vielmehr auf Goethesche Formen, wie wir sie bei der blöden Jüngerschar nachgeknetet finden, und auf das matte Nachpiepsen jener Weisen, die der Alte gepfiffen." Soviel zum Heineschen, in engagierter Partei-nähme für die Moderne und für die Zukunft ausgesprochenen Dekret über das „Ende der Kunstperiode".

Die völlige Pervertierung des klassisch-romantischen Kunstideals im kulinarischen Konsum des ästhetisch-unverbindlich und als Religionsersatz mit Ergriffenheit und Andacht genossenen Kunstwerks parodiert mit dem Blick auf unser Jahrhundert Bertold Brecht. Er vergleicht die Wirkung des spätbürgerlich vermittelten Klassikers auf den konsumierenden Rezipienten mit einem magisch-entrük-kenden Vorgang, in welchem dieser Rezipient „eine widerspruchsvolle Welt mit einer harmonischen vertauschen" will, „eine nicht besonders gekannte mit einer träumbaren" Die Zuschauer im bildungsbürgerlichen Theater genießen wie in einem illusionsverklärten Rauschzustand und scheinen wie in Trance versetzte Alpträumer auf dem Rücken zu lie-gen: „Sie haben freilich ihre Augen offen, aber sie schauen nicht, sie stieren, wie sie auch nicht hören, sondern lauschen. Sie sehen wie gebannt auf die Bühne, welcher Ausdruck aus dem Mittelalter stammt, der Zeit der Hexen und Kleriker. Schauen und Hören sind Tätigkeiten, mitunter vergnügliche, aber diese Leute scheinen von jeder Tätigkeit entbunden und wie solche, mit denen etwas gemacht wird."

Brecht nennt das an anderer Stelle „Einschüchterung durch die Klassizität". Er vertritt die Auffassung, daß solche ästhetischnarkotisierende Vermittlung „eine Tradition der Schädigung der klassischen Werke" ist und daß „dabei die ursprüngliche Frische der klassischen Werke, ihr damalig überraschendes, Neues, Produktives, das ein Hauptmerkmal dieser Werke ist“, verloren geht: „Wenn wir uns einschüchtern lassen durch eine falsche, oberflächliche, dekadente, spießige Auffassung von der Klassizität, werden wir niemals zu lebendigen, menschlichen Darstellungen der großen Werke kommen. Der echte Respekt... fordert es, daß wir den ... falschen Respekt entlarven." Brecht hätte sich in diesem Punkte durchaus auf die Klassiker selbst, z. B. auf Schiller, berufen können, der den pervertierten, sich in passiver Hingabe selbst entmündigenden Kunstgenuß — hier des bürgerlichen Publikums der ver-schleppten Empfindsamkeit am Ausgang des 18. Jahrhunderts — bereits kennt und 1793 in der Schrift „über das Pathetische“ mit ganz ähnlichen Worten bloßstellt: „Ein bis ins Tierische gehender Ausdruck der Sinnlichkeit erscheint dann gewöhnlich auf allen Gesichtem, die trunkenen Augen schwimmen, der offene Mund ist ganz Begierde ..., der Atem ist schnell und schwach, kurz alle Symptome der Berauschung stellen sich ein: zum deutlichen Beweise, daß ... das Prinzip der Freiheit im Menschen der Gewalt des sinnlichen Eindrucks zum Raube wird.. mit dem die Kunst nichts zu verkehren hat." Schiller macht es demgegenüber dem Dichter zur Pflicht, seinen Gegenstand „in eine objektive Feme zu rücken“, „sich selbst fremd zu werden, den Gegenstand seiner Begeisterung von seiner Individualität los zu wickeln, seine Leidenschaft aus einer mildernden Feme anzuschauen“ Und „das Gemüt des Zuschauers soll", wie Schiller in der Vorrede zur „Braut von Messina" schrieb, „auch in der heftigsten Passion seine Freiheit behalten; es soll kein Raub der Eindrücke sein, sondern sich immer klar und heiter von den Rühmngen scheiden, die es erleidet"

IV. Entfremdung zwischen „hoher Dichtung" und „niederer Dichtung"

Eine Folge der klassisch-romantischen Ästhetik und Poetik — auch dies schon ein Aspekt der Heineschen Kritik an der Lebensferne einer Kunstauffassung, die die Zweck-und Gebrauchsformen des literarischen Tagesgeschehens mit seinen politischen und sozialen Implikationen (Journalistik und politische Publizistik etwa) mißachtet — war die rigoristische Aufspaltung der Literatur in eine hohe Kunstliteratur, die Dichtung, einerseits und eine niedere Gebrauchsliteratur andererseits. Aus der Zeitsituation der „Kunstperiode" heraus ist sie durchaus erklärbar und verständlich als Ausdruck einer literaturpolitischen Polemik gegen die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sich erfolgreich ausbreitende Trivialliteratur der im Gewesenen und Bestehenden verharrenden Sentimentalität. Im 19. Jahrhundert dagegen konnte diese Aufspaltung als epigonale Verlängerung der überlebten Kunstperiode nur schädliche Auswirkungen haben. Sie ist im übrigen ein spezifisch deutsches Phänomen, das in dieser Form keine Parallele in der europäischen, z. B.der angelsächsischen oder französischen Literatur hat. Nicht zuletzt hier zeigt sich, wie sehr Heine mit seiner Kritik im europäischen Maßstab auf der Höhe der Zeit stand.

Die erwähnte antithetische Trennung hat in Deutschland besonders im Verlauf des 19. und bis ins 20. Jahrhundert hinein sehr nach-teilige und verarmende Folgen gehabt. Im bewußt oder unbewußt wirkenden Wertverständnis hat das zu einer falschen, wirklichkeitsfremden Alternative geführt. Auf der einen Seite stand dann die „hohe" Literatur und Kunst, auf der anderen verblieben alle übrigen, unterschiedliche Zielsetzungen anstrebenden Formen des Schrifttums als „niedrige" und minderwertige Literatur, für die sich rasch das Prädikat „wertlos“ einstellt. Die Kunst der hochwertigen Literatur wurde gegen Unkunst oder Nichtkunst gestellt, worunter schließlich simplifizierend und pauschal alles zusammengefaßt erschien, was nicht der absolut gesetzten höchsten ästhetischen Norm und dem „Wesen der Dichtung" entsprach: jede Zweckliteratur, gehobene und mittlere Unterhaltungsliteratur, Tendenzliteratur, Mischformen, Trivialliteratur, Kitsch, Schund und Schmutz.

Der Dichter des hohen Ranges rückte in die Nähe des Propheten, Heiligen, Sehers, Führers, sakralen Bewahrers der höchsten Güter der Nation und der Menschheit (gemeinhin metaphysisch, religiös oder mythisch legitimiert), die übrigen Schriftsteller wurden als bloße „Tages-Skribenten" verbannt in die unteren Regionen der platten Empirie, nicht selten als Volksverderber. Wie es der dänische Literarhistoriker Erik Lunding vor einigen Jahren formulierte: das Kunstwerk wurde seiner historischen Bedingtheit enthoben und wuchs „in seiner azurnen Einsamkeit... ins Monumentale, ins Mythische, ja ins Zeitlose" Allzusehr ist seitdem und noch bis heute das Geschmacksurteil in Deutschland — von den damit verquickten politischen und ideologischen Interessen ganz zu schweigen — durch die rigorose Alternative hoch oder niedrig, oben oder unten, geistig oder sinnlich, groß oder klein, erhaben oder gemein mitbestimmt.

Der gekennzeichnete, geschichtlich bedingte und einmal literaturpolitisch aktuell gewesene Dualismus von hoher und niedriger Literatur hat dazu geführt, daß wir uns in Deutschland entweder ganz oben oder ganz unten im literarischen Geschmack bewegen — eine Entwicklung, zu deren bedenklichen Auswirkungen u. a. übrigens auch die Isolierung von der sonstigen europäischen Geschmacksbildung gehört. Auf der einen Seite streben Dichter und gebildete Rezipienten nach höchster Kunst, und die, welche hohe Kunst ma-chen oder genießen, blicken mit Verachtung auf die Niederungen der Unterhaltungs-und Zweckliteratur hinab, was zur Folge hat, daß die „hohe Dichtung" auf die Dauer kein breiteres Publikum gewinnt. Auf der anderen Seite bleibt dadurch die Gebrauchsund Unterhaltungsliteratur sich selbst überlassen, wird primitiver und droht sprachlich und intellektuell völlig zu verwahrlosen, gewinnt aber trotzdem einen breiten und zunehmenden Leserkreis. In den anderen europäischen Ländern gibt es dazwischen etwas, das größten Respekt genießt, nämlich die gepflegte, kultivierte, intelligente, sich oft auf einem hohen sprachlichen und psychologischen Niveau bewegende Unterhaltungsliteratur mit ausgedehntem, alle Gesellschaftsschichten miteinschließenden Leserpublikum.

Der absolut gefaßte Gegensatz „hohe Kunst" — „minderwertige Literatur" ist arrogant, abstrakt und falsch, der Sache und der literarischen Realität unangemessen und schädlich in seinen Auswirkungen. Zwischen den Extremen liegt hingegen die vielfältig abgestufte Wirklichkeit. An die Stelle des dualistischen Denkens und Qualitätsbewußtseins muß mit realistischer Neuorientierung ein gradualistisches treten. Der genannte Germanist Erik Lunding hat das überzeugend ausgesprochen und Konsequenzen gefordert: „Auf der unendlichen Stufenleiter zwischen maximalem und minimalem künstlerischen Wert findet natürlich kein überraschender Sprung statt"

Ein Plädoyer für die seit langem zu Unrecht geringgeschätzten und vernachlässigten literarischen „Zweckformen", verbunden mit einer Kritik an der heiligen Kuh der klassischromantischen Poetik, der Trinität von Lyrik, Epik und Dramatik, hat vor einigen Jahren der Münchner Literaturwissenschaftler Friedrich Sengle vorgetragen. Als solche „Zweckformen" haben alle literarischen Produktionen zu gelten, die nicht in dem klassischen Kanon von Lyrik, Epik und Dramatik aufgehen: also auch die unterschiedlichsten For-men von sogenannter Tendenzliteratur, Gebrauchsliteratur, Trivialliteratur, Tatsachenund Augenzeugenberichte, Flugblätter, Dokumentationen, politische Pamphlete, Didaktik jeder Art und die vielfältigen Darbietungsarten der Publizistik, der wissenschaftlichen und kritischen Literatur. „Die ganze große Welt der literarischen Zweckformen soll rehabilitiert werden!", schreibt Sengle und argumentiert so: „Die Liberalisierung der literarischen Formenlehre in Deutschland wäre also zugleich eine Annäherung an die allgemeine europäische Literaturtradition, oder besser eine Rückkehr zu ihr... Sie widerspricht der Arroganz des Poeten, des erhabenen Dichters, so wie sie bei uns von Klopstock bis Stefan George und Mombert festzustellen ist. Sie widerspricht dem ästhetischen Absolutismus, dem dichterischen Führer-, Prophetenund Religionsstiftungsprinzip"

V. Literatur als wirkender Faktor — Von Keller bis Handke

Trotz aller bewußten oder unreflektierten Abhängigkeit vom traditionellen Kunstbegriff und seinen Wertungskriterien hat die neuere Literaturwissenschaft immer deutlicher erkannt, daß angesichts der geschichtlichen Situation, der gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse und der veränderten literarischen Wirklichkeit den modernen Autoren, ihren Werken und ihrem Selbstverständnis, mit den konventionellen Kategorien nicht beizukommen ist. Die Gestaltung des „Wahren, Guten und Schönen" im ästhetisch in sich selbst vollendeten Kunstwerk steht von vornherein unter Ideologieverdacht. Mit marxistischem Vorzeichen hat das Brecht 1937 so aus-gedrückt: „Das bürgerliche Theater arbeitet an Seinen Gegenständen das Zeitlose heraus. Die Darstellung des Menschen hält sich an das sogenannte Ewig-Menschliche." Und Brecht begründete dies an anderer Stelle mit dem Argument des bürgerlichen Klasseninteresses: „Die herrschende Ästhetik verlangt vom Kunstwerk, indem sie eine unmittelbare Wirkung verlangt, auch eine alle sozialen und sonstigen Unterschiede der Individuen überbrückende Wirkung. Eine solche, die Klassengegensätze" — auf der Basis des „allgemein Menschlichen" — „überbrückende Wirkung wird ... auch heute noch erzielt, obwohl die Klassenunterschiede den Individuen immer mehr bewußt werden"

Zeitgenössische Schriftsteller tendieren dazu, die klassischen Werte der „Versöhnung" von Geist und Sinnlichkeit, der Harmonisierung widerstreitender Kräfte und innerer Spannungen in einer höheren Totalität, die ästhetische und weltanschauliche Vermittlung von Gegensätzen und Widersprüchen der Wirklichkeit und die Gestaltung des „AllgemeinMenschlichen" zum übergeschichtlichen Ideal des „selig in sich selbst" ruhenden Kunstwerks ihrerseits als Unwerte, als Verschleierungsfiktion epigonaler, eskapistischer und kitschiger Literatur der Gegenwart zu kompromittieren

Daß auch für die klassische Dichtung wie für alle literarische Überlieferung und ihre historische Darstellung eine rein ästhetische Deutung nicht ausreicht, ist heute eine sich immer mehr durchsetzende Auffassung. Kunst entsteht nicht nur aus Kunst und gegen Kunst, Literatur nicht nur aus Literatur und gegen Literatur in eingleisigen literarischen oder künstlerischen Formenreihen sich geschichtlich entfaltender ästhetischer Immanenz.

Aber Literatur entspringt ebensowenig als direkte und unmittelbare Folge aus den jeweils gegebenen und sich ändernden sozial-ökonomischen Situationen in einem einfachen Kausalverhältnis. Sie entfaltet sich vielmehr in einem sehr verwickelten Prozeß wechselseitiger Beeinflussung und vielfältig gebrochener Vermittlung von historisch-materiellen Verhältnissen einerseits und eigengesetzlichen Wandlungen und Fortwirkungen der literarischen Formen andererseits. Literatur ist nicht nur Abbild und Dokument, sondern zugleich wirkender Faktor, durch Vermittlung ästhetischer Erfahrung Bewußtsein bildende, erweiternde und verändernde Kraft. Wenn das aber so ist, kann keine auf Veränderung abzielende Literatur als „fortschrittlich" bezeichnet werden, die das Bewußtsein beschränkter macht, statt es zu erweitern. Ein gleiches gilt auch für die Literaturwissenschaft.

Für die sowohl außerkünstlerische wie eigen-gesetzliche Bedingtheit des Wandels literarischer Formen und Wertmaßstäbe möchte ich hier ein Beispiel anführen, das mehr als hundert Jahre übergreift und bis in unsere nächste Gegenwart reicht. Das entscheidende Ereignis, das dem Produktionseinsatz von Gottfried Kellers realistischer Schreibweise im „Grünen Heinrich" und in der Novellensammlung „Die Leute von Seldwyla" unmittelbar vorherging, war die Begegnung mit dem atheistisch-materialistischen Diesseitsphilosophen Ludwig Feuerbach im Winter 1848/49 in Heidelberg, Keller schrieb gleich darauf an seinen Freund Wilhelm Baumgartner (28. Januar 1849): „Ich werde tabula rasa machen ... mit allen meinen bisherigen religiösen Vorstellungen, bis ich auf dem Feuerbachschen Niveau bin. Die Welt ist eine Republik, sagt er, und erträgt weder einen absoluten, noch einen konstitutionellen Gott. . . Für mich ist die Hauptfrage die: wird die Welt, wird das Leben prosaischer und gemeiner nach Feuer-bach? Bis jetzt muß ich des bestimmtesten antworten: nein! im Gegenteil, es wird alles klarer, strenger, aber auch glühender und sinnlicher."

Es ist die gleiche Zeit um die Jahrhundertmitte, in der Theodor Fontane in einem Aufsatz „Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848" aus dem Jahre 1853 den neuen Realismus in der Literatur als eine geschichtliche „Interessenvertretung" bezeichnete und seine Auffassung wie folgt begründete: „Was unsere Zeit nach allen Seiten hin charakterisiert", schrieb er, „das ist ihr Realismus. Die Ärzte verwerfen alle Schlüsse und Kombinationen, sie wollen Erfahrungen; die Politiker (aller Parteien) richten ihr Auge auf das wirkliche Bedürfnis und verschließen ihre Vortrefflichkeitsschablonen ins Pult; ... vor allem aber sind es die materiellen Fragen, nebst jenen tausend Versuchen zur Lösung des sozialen Rätsels, welche so entschieden in den Vordergrund treten, daß kein Zweifel bleibt: die Welt ist des Spekulierens müde... Der Realismus ... will das Wahre. Er schließt nichts aus als die Lüge, das Forcierte, das Nebelhafte, das Abgestorbene" 1856 veröffentlichte Keller den ersten Band seiner „Leute von Seldwyla". In der Eingangs-Novelle dieses Zyklus, die auch die am frühesten entstandene ist und in welche zugleich die meisten autobiographischen Fakten aus dem Leben Kellers eingebracht sind, in „Pankraz der Schmöller", hat der Held der Erzählung das seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland obligate Bildungserlebnis der Shakespeare-Lektüre. Pankraz berichtet davon, jedoch mit den die veränderte Lage kennzeichnenden Worten: „Dieser verführerische falsche Prophet führte mich schön in die Patsche. Er schildert nämlich die Welt nach allen Seiten hin durchaus einzig und wahr wie sie ist, aber nur wie sie es in den ganzen Menschen ist, welche im Guten und im Schlechten das Metier ihres Daseins . . . vollständig und charakteristisch betreiben ...“, (und führt dadurch, daß er) „die Welt des Ganzen und Gelungenen in seiner Art . . . beherrscht, . . . gute Köpfe in die Irre . . ., wenn sie in der Welt dies wesentliche Leben zu sehen und wiederzufinden glauben. Ach, es ist schon in der Welt, aber nur niemals da, wo wir eben sind, oder dann, wann wir leben."

Hier wird im Medium des realistischen Humors, der das Unzulängliche des idealistischen Anspruchs aufdeckt, nicht die klassisch-romantische Kunst der Ganzheit und Vollendung denunziert, vielmehr aus historischer Distanz kritisch relativiert, und es kommt in veränderter Situation zum Ausdruck, daß das Vertrauen erschüttert ist, von dort aus die Kluft zwischen dem Schönen und Vollkommenen und der höchst unvollkommenen gegenwärtigen Realität noch schließen zu können. In der Novelle „Romeo und Julia auf dem Dorfe" aus dem gleichen Band der Seldwyla-Geschichten hat Keller aufgrund einer abfälligen Pressenotiz über den Selbstmord zweier sogenannter verwahrloster Jugendlicher Romeo und Julia vom erhabenen Gipfel der Klassiker-und Romantikerdichtung heruntergeholt in die Niederungen der banalen Zeitungsmeldungen und des dörflichen Milieus der kleinen Leute.

Der Gegenwartsautor Peter Handke veröffentlichte 1972 seinen autobiographisch inspirierten psychologischen Reiseroman „Der kurze Brief zum langen Abschied". Jeder der beiden Teile dieser zeitgenössischen Erzählung ist mit einem Zitat des bereits genannten Aufklärungs-Autors Karl Philipp Moritz als Motto überschrieben, und zwar aus dessen schonungslos sozial-und selbstkritischer Autobiographie „Anton Reiser", dem ersten deutschen „psychologischen Roman", den Heinrich Heine „eins der wichtigsten Denkmäler jener Zeit" genannt hat. Peter Handkes introspektive, selbstanalytische Erzählung gibt in der Form des Berichts über eine Reise quer durch die Vereinigten Staaten Rechenschaft von den psychischen Erfahrungen eines nicht mehr ganz jungen Mannes, der — auf der Suche nach seiner verlorenen Identität — auszog, um jeden Preis anders zu werden als er war. Dabei führt der Ich-Erzähler als Reiselektüre Kellers „Grünen Heinrich" mit sich, in den er sich bei jeder möglichen Gelegenheit vertieft, um sich selbst darin kritisch zu spiegeln.

Unter dem Gesichtspunkt der historischen Relativierung, die uns hier beschäftigt, ist es höchst aufschlußreich, diese moderne Keller-Rezeption vergleichend neben die Kellersche Shakespeare-Rezeption zu halten, d. h. also das Verhältnis des zeitgenössischen Schriftstellers Handke zum poetischen Realismus und seiner Bildungsvorstellung neben das des bürgerlichen Realisten Keller zur klassisch-romantischen Ganzheits-Kunst. „Ich weiß", sagt Handkes Ich-Erzähler an einer Stelle des zweiten Teils „Der lange Abschied", „daß man nicht mehr so nach und nach leben kann wie der Grüne Heinrich... Wenn ich von ihm lese, dann ergeht es mir geradeso wie ihm selber, als er einmal, . unter stillen Wald-säumen liegend, innig das schäferliche Vergnügen eines vergangenen Jahrhunderts'empfand; so empfinde auch ich bei seiner Geschichte das Vergnügen an den Vorstellungen einer anderen Zeit, in der man noch glaubte, daß aus einem nach und nach ein andrer werden müsse und daß jedem einzelnen die Welt offenstehe“ ie}.

VI. Modernität — Die nicht mehr schöne Literatur

Zur Diskontinuität im geschichtlichen Wechsel der ästhetischen Systeme kommt für die Gegenwartsliteratur hinzu, daß sie auch ihrer eigenen Intention nach nicht mehr „ästhetisch" rezipiert werden will. Die inhaltlichen Beziehungen, der „Stoff", sowie die außerkünstlerischen Wirkungen und der Aufweis gerade einer Diskrepanz von Form und Inhalt, von Geist und Sinnlichkeit, Intellektualität und Sexualität stellen sich als bevorzugte Orientierungshilfen für Wertkriterien heraus.

Als Gegenbeispiel sei hier eine Formulierung der Ästhetik Hegels angeführt, mit der dieser die geschlossene Form der klassischen Tragödie bestimmte: „Die wahre Entwicklung besteht nur in dem Aufheben der Gegensätze als Gegensätze, in der Versöhnung der Mächte des Handelns, die sich in ihrem Konflikte wechselseitig zu negieren streben. Nur dann ist nicht das Unglück und Leiden, sondern die Befriedigung des Geistes das letzte, insofern erst bei solchem Ende die Notwendigkeit des-sen, was den Individuen geschieht, als absolute Vernünftigkeit erscheinen kann und das Gemüt wahrhaft sittlich beruhigt ist: erschüttert durch das Los der Helden, versöhnt in der Sache"

Eben diese „Versöhnung", „Befriedigung des Geistes" und „sittliche Beruhigung" des Gemüts sind genau die Effekte, die nach der Intention des zukunftorientierten Gegenwartsschriftstellers unter keinen Umständen mehr hervorgebracht werden dürfen, das heißt nicht in unserer Zeit und in unserer heillosen, von so zahlreichen, sich immer mehr vervielfältigenden inhumanen Zwängen beherrschten, vergesellschafteten Welt. Es kommt im Gegenteil darauf an, die mehr oder weniger verdeckten Dissonanzen in aller Deutlichkeit sichtbar zu machen, damit sie zum stimulierenden Antrieb werden, ihren Ursachen in der gesellschaftlichen und politischen Gegenwart handelnd entgegenzutreten.

Ende 1966 hat eine Rede des Züricher Literarhistorikers Emil Staiger einen Skandal ausgelöst, der für das hier in Frage stehende Problem symptomatisch ist. In seiner Rede „Literatur und Öffentlichkeit" hatte Staiger ein Verdikt über zeitgenössische Schriftsteller ge" sprochen, eine „heute über die ganze westliche Welt verbreitete Legion von Dichtern, deren Lebensberuf es ist, im Scheußlichen und Gemeinen zu wühlen“. Und Staiger hatte dagegen gestellt: „In welchen Kreisen verkehren sie? Gibt es denn heute etwa keine Würde und keinen Anstand mehr, nicht den Hochsinn eines selbstlos tätigen Mannes, einer Mutter, die Tag für Tag im stillen wirkt, das Wagnis einer großen Liebe oder die stumme Treue von Freunden? Es gibt dies alles nach wie vor. Es ist aber heute nicht stilgerecht."

Die empörte Reaktion gerade der deutschsprachigen Schriftsteller von Rang entzündete sich an der völligen Verkennung ihrer Intentionen und ihres Engagements in der Auseinandersetzung mit den spezifischen sozialen und öffentlichen Problemen der Gegenwart, nicht etwa daran, daß es in Wirklichkeit überhaupt nicht mehr gebe, was Staiger gedichtet sehen möchte. Aber das zeitlose „Allgemein-Menschliche“ ist diesen Autoren suspekt geworden, zu allgemein und leer, verschwommen und unpräzis, um die je besondere und bestimmte gesellschaftliche Wirklichkeit des technischen Zeitalters, mit der sie konfrontiert sind, noch fassen'zu können Die harmonische Gestaltung des „Wahren, Guten und Schönen", wie vertieft und dem Leiden abgerungen auch immer, kann nicht mehr ästhetischer Wertmaßstab der Gegenwart sein, ebensowenig wie das, was die bürgerlichen poetischen Realisten des 19. Jahrhunderts die „verklärende" und „läuternde" künstlerische Darstellung des Wirklichen genannt haben

Staigers Verkennung hat letztlich ihren Grund in einer unreflektierten übergeschichtlichen Anwendung geschichtlich bedingter Wertkriterien auf schriftstellerische Werke, die sich unter andere, die Gesetze ihrer eigenen Zeit gestellt und damit selbst wieder dem geschichtlichen Wechsel ausgeliefert und unterworfen haben. „Nicht in einem festen Kanon darf das Urteil des Kritikers gründen, der die Entwicklungslinien gegenwärtiger Dichtung zu erkennen und zu beurteilen sucht, sondern allein in der bewußten und ständigen In-Frage-Stellung jedes denkbaren Kanons vor der Neuheit der poetischen Form", so sagte Sebastian Neumeister 1970 in seiner Schrift „Poetizität" als Antwort auf die Preis-frage der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung: „Wie kann ein Urteil über heutige Gedichte gefunden werden?" „In der Überwindung der soeben noch geltenden Maßstäbe liegt die einzige Chance, ein Urteil über heutige Lyrik zu finden. Es ist immer auch ein Urteil über uns selbst."

Um sich unmißverständlich vom traditionellen ästhetischen und metaphysischen Ideal des geweihten und erhabenen Dichters abzugrenzen, legen moderne Autoren Wert darauf, sich herausfordernd und bewußt schockierend selbst als „Stückeschreiber", „Textemacher" oder „Liedermacher" zu bezeichnen, als „Worturheber", „Literaturproduzenten", „recherchierende Schriftsteller", „Graphomanen" und „Alphabetisierer“, ja als „multimediale Wortproduzenten". Und ihre nächsten Arbeitspläne nennen sie „Kreativität im kurzfristigen Realisierungsbereich". Ihre Schriftstellerische Tendenz geht, vielfach auch programmatisch, auf „anti-elitäre" Breitenwirkung. Die aufstörende, Ärgernis erregende Kritik an der Ordnung, am Bestehenden, an der Unverbindlichkeit des Kunstschönen, an verfestigten Tabus gilt als literarischer Wert; und entsprechend aufgewertet sind die dazu als tauglich befundenen formalen Mittel, sei es der Persiflage, der Provokation, der Agitation.

Auch hier sollen — als Gegenstück zu den skizzierten Modellvorstellungen, der traditionellen Poetik und in ähnlicher Verkürzung — einige Kategorien genannt werden, an denen sich angesichts der literarischen Wirklichkeit, sofern sie auf der Höhe der Zeit steht und den objektiven Geschichtsprozeß mitentscheidet, die gegenwärtige Werttheorie zu orientieren hat. Es sind Kategorien sowohl des Inhalts als der außerkünstlerischen Wirkung und der Form. Auf weiten Strecken stellt sich die indirekte oder direkte aggressive Kritik an den herrschenden, als inhuman und änderungsbedürftig erkannten sozialen Verhältnissen als angestrebter literarischer Wert dar. In Frage gestellt werden vorzugsweise die etablierten Institutionen des Staatsapparates, der Kirchen und Konfessionen, der bürgerlichen Ordnung, das bürgerliche Tugendsystem insgesamt, soziale Tabus und Konventionen. Zu literarischen Qualitäten aufgewertet erscheinen infolgedessen Entlarvung, Bloßstellung, Desillusionierung, Verweigerung des Einverständnisses und der Anpassung, Destruktion von scheinhafter Harmonie und distanzierter Überparteilichkeit, von Einstimmigkeit und Ausgleich.

„Die Faszination, die Brecht immer wieder hat", so hat Max Frisch einmal gesagt, und das möge hier als ein Beleg für viele gelten, an denen die veränderte literarische Wert-orientierung kenntlich zu machen ist, „schreibe ich vor allem dem Umstand zu, daß hier ein Leben wirklich vom Denken aus gelebt wird .. . Seine Haltung ... ist die tägliche Anwendung jener denkerischen Ergebnisse, die unsere gesellschaftliche Umwelt als überholt, in ihrem gewaltsamen Fortdauern als verrucht zeigen, so daß diese Gesellschaft nur als Hindernis, nicht als Maßstab genommen werden kann; Brecht verhält sich zur Zukunft." Hans Magnus Enzensberger hat sich aus diesem Grunde nichts Geringeres als „die politische Alphabetisierung Deutschlands“ vorgenommen. Seine These: „Wer Literatur als Kunst macht, ist damit nicht widerlegt, er kann aber auch nicht mehr gerechtfertigt werden." Auch Dieter Wellershoff wertet die Literatur am Maßstab ihrer verändernden Kraft. Sie „versucht den Leser zu irritieren, ihm die Sicherheit seiner Vorurteile" zu nehmen, indem sie „die gewohnten Schemata der Erfahrung angreift und verändert". Aber dieser zeitgenössische Schriftsteller sieht seine Aufgabe zugleich selbstkritisch, wenn er sagt: „Die authentische Literatur richtet sich gegen die etablierten Schemata und ständig fortschreitend auch immer gegen sich selbst." Günter Grass bekennt sich, als erklärter „Revisionist", zu dem Satz aus Büchners „Danton“: „Die Revolution muß aufhören, und die Republik muß anfangen"; aber gerade darum nimmt er auch für sich als Schriftsteller in Anspruch: „Ich werde nicht vergessen, ich werde mich nicht gewöhnen." Und Siegfried Lenz versteht die literarisch produktiven Zeitgenossen als „engagierte Mitwisser". „In unserer Welt", so schrieb er 1962, „wird auch der Künstler zum Mitwisser — zum Mitwisser von Rechtlosigkeit, von Hunger, von Verfolgung und riskanten Träumen... Es scheint mir, daß seine Arbeit ihn erst dann rechtfertigt, wenn er seine Mitwisserschaft zu erkennen gibt, wenn er das Schweigen nicht übergeht, zu dem andere verurteilt sind."

Ob nun auf unmittelbares oder mittelbares aktivistisches Engagement, direkte oder indirekte Gesellschaftskritik, ungeduldig-revolutionär oder im Schneckentempo (so Grass) vorangetriebene Veränderung unserer gesellschaftlichen Umwelt abgezielt wird — gemeinsam ist den Gegenwartsautoren die erkenntnishungrige Unzufriedenheit mit dem überkommenen und Bestehenden, die Über-zeugung, daß nicht Hingabe, Zutrauen und Glauben, sondern daß nur der kritische Zweifel, daß nur der Unglaube Berge versetzt. Sie wollen die unübersehbar gewordene, verstellte, dem Einwirken und Mitbestimmen des einzelnen entzogene Wirklichkeit der eigenen Zeit mit ihren Zwängen und Möglichkeiten testen, immer wieder neu befragen, recherchieren (Enzensberger spricht ausdrücklich von „recherchierter Literatur"), wollen Aus-83) künfte einholen und vermitteln, verschleierte oder verharmloste Widersprüche aufdecken, sind versessen aufs Bewußtmachen, auf soziale, politische und sprachliche „Sensibilisierung". Und das Schreiben des Schriftstellers verstehen sie als Wirklichkeitsexploration und als Expedition in eine noch unerschlossene, lebenswertere menschliche Zukunft. Literatur in diesem Selbstverständnis intendiert bei den vielen die Verunsicherung im Gewohnten zum Zwecke der Humanisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen aller. Die fortdauernde kritische Reflexion gegenüber dem Bestehenden und die politisch-soziale Sensibilität haben höheren Kurswert als die vermittelnde Reproduktion überkommener Werte, die im Gegenteil ihrerseits stets neu zu überprüfen sind. Angestrebt ist die Darstellung von Konflikten ohne harmonisierende Lösungsangebote, Kritik von Vorurteilen jedweder Herkunft, Aufzeigen von Leiden, Gewalt, Aggressivität und Brutalität, die politisch, ökonomisch oder sozialpsychologisch bedingt sind. Das Dekuvrieren von Ausbeutung und Unterdrückung des Menschen durch den Menschen in jeder Form, von Diffamierung und Repression der Sexualität durch un-kritisiert fortlebende bürgerliche Konventionen und gesetzliche Bestimmungen, durch überholte (und widerlegte), aber weiter herrschende Moralvorstellungen, die ungeschminkte Schilderung der alltäglichen Arbeitswelt unter den Bedingungen der modernen Technik und ökonomischen Systeme haben den Vorzug vor musterbildlichen Gestaltungen gelungenen oder bewältigten Lebens, die unter Verschleierungsverdacht stehen.

Alle mitgeteilten Impulse, seien sie intellektueller, emotionaler oder sinnlicher Art — keineswegs die ausgleichende Synthese des Geistig-Sinnlichen—, sofern sie den Anstoß geben können zur offenen Diskussion ungelöster Probleme und Widersprüche, zu kritischem Nachdenken und Handeln, liegen im erklärten Interessenbereich der Literatur als Literatur.

Das bedeutet jedoch nicht den Verzicht auf Form und Artistik, vielmehr dient die Artistik als Organ, das außerkünstlerische Engagement kritisch und aktivistisch zu artikulieren.

Der bedeutendste Repräsentant und Regisseur des engagierten politischen Theaters in Deutschland, Erwin Piscator, hat sich noch 1966, im Rücklick, mit Entschiedenheit gegen die Unterstellung einer Vernachlässigung des Artistischen verwahrt: „Was soll da die Erwähnung von . poetischen Gehalten des Kunst-17 Werks’, die ich . eliminiert’ hätte? Als wäre ich ein Feind der Poesie. Ich war nur gegen das . Poetische’, wenn ein Autor sich seiner bedient, um es sich leicht zu machen; ich lehne mich auf gegen . Poesie', wenn statt ihrer präzise Angaben gefragt sind." Selbst ein so dezidiert revolutionär-marxistischer Zeitgenosse wie Peter Weiss — Autor des „Marat/Sade" — fügte 1965 seinem konfirmativen Bekenntnis zu einer „revolutionären Kunst in einer revolutionären Gesellschaftsordnung" erläuternd hinzu, „daß gerade in einer sozialistischen Gesellschaft... auch jene Kunst ihren Platz haben soll, die nach einer neuen Sprache sucht und sich dabei auch Laboratoriumsversuche leisten kann. Ich sehe darin ebensowenig den Ausdruck eines Privilegs, wie Experimente auf dem Gebiet der Wissenschaft Privileg sind. Jedes Mitglied der Bevölkerung ... kann teilnehmen an den Entdekkungen neuer künstlerischer Ausdrucksformen“

Formal bekundet sich der Widerstand, die engagierte Verweigerung, in der Zerschlagung des schönen Scheins, in der Aufsprengung des in sich gerundeten Ganzen, in der Negation der Kongruenz von Form und Inhalt, in den bewußt resultatlosen Episoden und offenen Schlüssen. Er zeigt sich als Vorliebe für das Experiment, für das isolierte Herausarbeiten von Modellsituationen, als Emanzipation des Details gegenüber dem kompromittierten „Ganzen", als neue Art einer exzentrischen ästhetischen Sensibilität, als bewußte artistische Artikulation des Disparaten. Zum künstlerischen Selbstverständnis der neuen Literatur gehört paradoxer-, aber konsequenterweise, daß sie nicht mehr Kunst sein will, daß sie zwar dezidiert dem Menschen und der Gesellschaft, doch keinesfalls mehr der Kunst um ihrer selbst willen dienen soll.

„Ich erwarte von der Literatur ein Zerbrechen aller endgültig scheinenden Weltbilder", schrieb Peter Handke Ende der sechziger Jahre unter dem Titel „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“: „Und weil ich erkannt habe, daß ich selber mich durch die Literatur ändern konnte, daß ich durch die Literatur erst bewußter leben konnte, bin ich auch überzeugt, durch meine Literatur andere ändern zu können... Weithin wird mißachtet, daß eine einmal gefundene Methode, Wirklichkeit zu zeigen, buchstäblich , mit der Zeit’ ihre Wirkung verliert... Unreflektiert verwendet, steht sie der Gesellschaft nicht mehr kritisch gegenüber, sondern ist einer der Gebrauchsgegenstände der Gesellschaft geworden.“

Genau diese Erkenntnis und Voraussetzung aber war es, unter der die Klassikergeneration im 18. Jahrhundert der Kunst und Literatur ihre Autonomie und Unabhängigkeit von jeder Bevormundung erkämpfte, als sie aus dem „Gebrauchsgegenstand" das selbstzweck-liehe und „in sich selbst vollendete“ Kunstwerk entwickelte. Denn in eben diesem autonomen Kunstwerk spiegelte sich der Anspruch des Menschen, des zum Selbstbewußtsein erwachenden bürgerlichen Menschen, nicht mehr „Gebrauchsgegenstand", Werkzeug und Mittel zum Zweck, sondern „Zweck sein selbst", ein unter Absehung von seinem Nutzen und seiner Verwertbarkeit „in sich selbst vollendetes Ganzes" zu sein

Dazu gehörte nun allerdings, daß sich der zweckfreie „schöne Schein" der Kunst nicht mit der Wirklichkeit verwechselte, sondern als „aufrichtiger Schein“ bekannte. Schiller hat das immer wieder betont und im Wallenstein-Prolog so knapp und präzis wie möglich formuliert, wenn er dort der Dichtkunst nachsagt, daß sie „das düstre Bild Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft, Aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt"

Um die „aufrichtige" Absonderung der Poesie von der Wirklichkeit ging es Schiller. Das entscheidende Kriterium der klassischen Poetik war immer wieder, eine klare Grenzlinie zu ziehen zwischen der Kunst und der Wirklichkeit, „die Markung in Acht" zu neh-men. Diese strenge Sonderung der Bereiche geschah aber nicht nur im Dienste der Kunst, sondern auch zum Wohle der Wirklichkeit. Denn, so meinte Schiller, der Mensch „kann den Schein nicht von der Wirklichkeit reinigen, ohne zugleich die Wirklichkeit von dem Schein frei zu machen". Das heißt doch, daß hier auch die Wirklichkeit vor der Entstellung, vor dem ideologischen Zugriff durch den „unreinen", „unaufrichtigen" Schein geschützt werden sollte. „Aufrichtig" ist dieser nur, wenn er sich „von allem Anspruch auf Realität ausdrücklich lossagt"; heuchelt er Realität, so ist er „nichts als ein niedriges Werkzeug zu materiellen Zwecken und kann nichts für die Freiheit des Geistes beweisen"

Diese Gefahr aber, den Anspruch auf Realität zu erheben, die bloßgestellte, kompromittierte Wirklichkeit, die doch immer eine im „Schein" der Literatur ideologisch aufbereitete Wirklichkeit ist, als „Realität" auszugeben, ist das Risiko im Selbstverständnis der modernen Gegenwartsliteratur — und auch der Literaturwissenschaft. Es wird zur verspielten Chance da, wo diese „die Täuschung, die sie schafft", nicht aufrichtig selbst zerstört, sondern ihren Schein der Wirklichkeit „betrüg-lieh unterschiebt", wo sie alles durchschaut, entlarvt, „hinterfragt“ und relativiert, nur nicht den eigenen Standort und die Mitverantwortung auch für nicht gewollte Konsequenzen. Dann ist die Wirklichkeit nicht vom Schein befreit, vielmehr hat sich im Anspruch auf „außerästhetische" Realität der „betrügli-che Schein" als „realistische" Suggestion durch die Hintertür wieder eingeschlichen — zum Zwecke einer ganz bestimmten Veränderung in einer ganz bestimmten ideologischen Richtung. Solch „zivilisiertes Rebellentum" entspräche dann — seitenverkehrt — ziem-lieh genau dem von Heine so heftig attackierten „zivilisierten Goethentum".

Was die „Aufrichtigkeit“ betrifft — denn auch der „Schein" der Kunst ist ein Medium der Erkenntnisvermittlung, ein Organ der Wahrheitsfindung —, so hat vor Schiller kaum ein anderer Aufklärer so entschieden darauf bestanden wie der „sozial" und „politisch bewegte" Lessing. „Ich weiß nicht," schrieb dieser 1770, und wir dürfen und sollten zum gegenwärtigen Zeitpunkt dabei auch an den Fall Solschenizyn denken, „ob es Pflicht ist, Glück und Leben der Wahrheit aufzuopfern; wenigstens sind Mut und Entschlossenheit, welche dazu gehören, keine Gaben, die wir uns selbst geben können. Aber das, weiß ich, ist Pflicht, wenn man Wahrheit lehren will, sie ganz, oder gar nicht, zu lehren ... und die Gaben, welche dazu erfordert werden, stehen in unserer Gewalt. Wer die nicht erwerben, oder, wenn er sie erworben, nicht brauchen will, der macht sich um den menschlichen Verstand nur schlecht verdient, wenn er grobe Irrtümer uns benimmt, die volle Wahrheit aber vorenthält, und mit einem Mitteldinge von Wahrheit und Lüge uns befriedigen will.“

Wir verstellen uns durchaus den Blick, wenn wir die Relation Klassizität und Modernität nur in einer Richtung sehen und nicht auch mit umgekehrten Vorzeichen. Zu solcher doppelten Betrachtung ist freilich ein Perspektivenwechsel erforderlich. Denn sie setzt ein historisches Bewußtsein voraus, ein Bewußtsein, dem sowohl gewärtig bleibt, daß das Neue und Gegenwärtige zugleich immer das künftig Alte und Gewesene ist, wie auch, daß das Klassische und Vergangene uns nicht nur als das Alte überliefert, sondern zugleich auch aufbewahrt ist als das zurückgelassene Neue, will sagen: gewesene Modernität.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die nachfolgenden Überlegungen wurden für einen im November 1973 vor dem „Freien Deutschen Hochstift" in Frankfurt a. M. gehaltenen Vortrag konzipiert. Sie sind also unabhängig von dem in dieser Zeitschrift (B 51— 52/73, S. 3— 20) unter dem Titel „Der Schriftsteller und die Politik" veröffentlichten Essay Benno von Wieses entstanden. Dennoch können sie auch als Weiterführung eines über 25 Jahre währenden Gesprächs mit meinem verehrten Lehrer gelesen werden, der die freie, sich keiner Indoktrination und keinem ideologischen Druck opportunistisch fügende Diskussion nicht nur stets gefördert, sondern in Satz und Gegensatz, Spruch und Widerspruch unablässig selbst stimuliert hat. Auch mein Widerspruch, der die Fragestellung auf die Thematik „Klassizität und Modernität" und die „Krise der ästhetischen Wertmaßstäbe" ausdehnt, steht noch in dieser Tradition der engagierten Liberalität, einer Tradition, die nicht minder ernst genommen werden darf als der offenbare Generationengegensatz.

  2. So schrieb etwa H. E. Hass in seiner Untersuchung „Das Problem der literarischen Wertung" (Studium Generale, 1959), daß der „Glaube an die Möglichkeit absolut gültiger, normhaft objektiver Maßstäbe der ästhetischen Wertung zweifellos schon lange erschüttert", daß jedoch „eine mehr oder weniger dogmatische Grundvorstellung vom Wesen der Dichtung, und damit von der Absolutheit und Allgemeingültigkeit ihrer Wertbestimmung, . . . auch den modernen Bestrebungen noch eigen" sei (a a. O., S. 728 u. S. 736). Die Wertung literarischer Werke hat sich demgegenüber an der jeweiligen literarischen Situation, ihren verifizierbaren Intentionen und vor allem an dem sie wesentlich mitbestimmenden allgemeinen geschichtlichen und sozialen Kontext zu orientieren. Daß dabei die Beachtung der Wechselwirkung zwischen der literarischen Praxis und dem Erwartungshorizont des Rezipienten, d. h.des Lesers, Hörers oder Zuschauers, und seiner politischen, sozialen, intellektuellen und ökonomisch-materiellen Wirklichkeit unentbehrlich geworden ist, hat unlängst besonders H. R. Jauß mit seiner Forderung nach einer Überführung der traditionellen objektivistischen „Werkgeschichte" in eine relationale „Rezeptionsgeschichte" der Kunst und Literatur aufgezeigt (H. R Jauß, Literaturgeschichte als Provokation, Frankfurt 1970); ähnlich besteht Harald Weinrich auf einer die Werkgeschichte korrigierenden „Literaturgeschichte des Lesers". — Eine übersichtliche, historisch orientierte Darstellung des gegenwärtigen Standes der Diskussion jetzt durch J. Schulte-Sasse, Literarische Wertung, Stuttgart 1971 = Sammlung Metzler, M 98.

  3. K. Ph. Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, hrsg. v. H. J. Schrimpf, Tübingen 1962, S. 122.

  4. Schillers Sämtliche Werke, Säkular-Ausgabe, 12. Bd., S. 59, u. 16. Bd„ S. 121.

  5. W. von Humboldt's Ästhetische Versuche. 1. Theil, Braunschweig 1799, S. 6, 9 und 18 f.

  6. Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 11, S. 168.

  7. Ebd., S. 323.

  8. Ebd., Bd. 12, S. 56. Die hier angesprochene Analogie zwischen Natur-und Kunstorganisation — die im übrigen für den Künstler das Gegenteil von Naturnachahmung, vielmehr „Wetteifern mit der Natur" (Bd. 12, S. 42) nach eigenen Gesetzen besagen soll —, ist besonders eingehend begründet in Goethes naturwissenschaftlichen Schriften. In der späteren Vorrede zur „Metamorphose der Pflanzen" heißt es an einer Stelle: „Je unvollkommener das Geschöpf ist, desto mehr sind die . .. Teile einander gleich oder ähnlich, und desto mehr gleichen sie dem Ganzen. Je vollkommner das Geschöpf wird, desto unähnlicher werden die Teile einander. In jenem Falle ist das Ganze den Teilen mehr oder weniger gleich, in diesem das Ganze den Teilen unähnlich. Je ähnlicher die Teile einander sind, desto weniger sind sie einander subordiniert. Die Subordination der Teile deutet auf ein vollkommneres Geschöpf" (Bd. 13, S. 56).

  9. A. a. O., Bd. 12, S. 42.

  10. Weimarer Goethe-Ausgabe, I, Bd. 47, S. 326.

  11. Brief an Zelter vom 23. — 29. März 1827.

  12. Politische Schriften, hrsg. v. J. Habermas, Frankfurt a. M. 1966, S. 26 f.

  13. Arnold Hirsch, Die Leiden des jungen Werther. Ein bürgerliches Schicksal im absolutistischen Staat, in: Etudes Germaniques 13, 1958, S. 229— 250.

  14. Georg Lukäcs, Die Leiden des jungen Werther (1936), in: G. L., Goethe und seine Zeit, Berlin 1953, S. 51 u. S. 45.

  15. Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. 7, S. 290

  16. Ebd., S. 291 u. S. 290.

  17. K. Ph. Moritz, Anton Reiser, hrsg. v. W. Martens, Reclam-Stuttgart 1972, S. 366.

  18. Schriften, a. a. O., (vgl. Anm. 3), S. 17 u. S. 30.

  19. F. Schlegel, über das Studium der griechischen Poesie (1795/96), hrsg. v. Paul Hankamer, Bad Godesberg 1947, S. 101 u. ö. Vgl. auch S. 93.

  20. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. E. Behler u. a„ 2. Bd., S. 198.

  21. Heines Werke in 15 Teilen, hrsg. v. H. Friedemann u. a., 2. Aufl. 1927, 9. Teil, S. 234 (Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, 1834).

  22. Germaine de Stael, Uber Deutschland, hrsg. v. Sigrid Metken, Reclam-Stuttgart 1963, S. 191 f.

  23. A. a. O. (vgl. Anm. 4), 16. Bd., S. 120.

  24. A. a. O. (vgl. Anm. 21), 9. Teil, S. 41 f. (Die Romantische Schule, 1833).

  25. Ebd., 9. Teil, S. 59 f. u. S. 58.

  26. Ebd., 11. Teil, S. 51.

  27. Ebd., 11. Teil, S. 252 ff. — Es ist durchaus nicht einzusehen, warum Benno von Wiese — mit Recht auf der Wahrung von „Freiräumen" bestehend (vgl. Anm. 59) — sich so arglos dem Verdacht auszusetzen bereit ist, zu den „Rechtsintellektuellen" gezählt zu werden (a. a. O., vgl. Anm. 1, S. 9). Denn abgesehen davon, daß die Begriffe „links" und „rechts" — den Linksextremismus und den Rechtsextremismus sogar nicht ausgenommen — schon lange zu nichtssagenden Floskeln geworden sind (wir kennen die Praxis des „Linksfaschismus" ebenso gut wie die des „Rechtssozialismus"), so verliert seine Warnung vor der „linken" Indoktrinierung (a. a. O., S. 5) in dem Maße an Überzeugungskraft, als die Gefahr der „rechten" Indoktrination weniger bewußt gemacht wird. Es erscheint auch allzu verharmlosend und einen komplizierten Zusammenhang vereinfachend, vom „Zusammenbruch des fatalen Bündnisses von Konservatismus und Rechtsradikalismus" (a. a. O., S. 10) zu sprechen. Dieses Bündnis ist nicht „zusammengebrochen", sondern von außen zerschlagen worden; und es ist ebensowenig wie ein Schicksalsschlag oder eine zufällige Naturkatastrophe auf uns niedergegangen. Die ideologiegeschichtliche Logik der Zusammenhänge ist inzwischen sehr viel präziser analysiert worden. — Z. B. schrieb der damals konservative, „rechtsintellektuelle" Dichter Rudolf G. Binding — nachweislich niemals ein Nationalsozialist — im Mai 1933 in einem offenen Brief an den damals „linksintellektuellen" Weltbürger Romain Rolland: „Vor diesem Geschehen, wie wir es an uns erfuhren, — und ich bin völlig unverdächtig, denn ich habe der Bewegung nie angehört —, vor dieser Einung aus der Kraft, Deutschland zu wollen, verstummt alles. Deutschland - dieses Deutschland - ist geboren worden aus der wütenden Sehnsucht, aus der inneren Besessenheit, aus den blutigen Wehen, Deutschland zu um jeden Preis, um den wollen:

  28. A. a. O. (vgl. Anm. 21), 11. Teil, S. 257 f.

  29. Berthold Brecht, Schriften zum Theater, zus. gest. v. Siegfried Unseld, Berlin u. Frankfurt a. M. 1957, S. 144.

  30. Ebd., S. 142 f.

  31. Ebd., S. 124 u. S. 127.

  32. A. a. O. (vgl. Anm. 4), 11. Bd„ S. 250 f.

  33. Ebd., 16. Bd., S. 120 u. S. 239 f.

  34. Ebd., 16. Bd„ S. 126.

  35. Vgl. hierzu die Diss. von Jochen Schulte-Sasse, Die Kritik an der Trivialliteratur seit der Aufklärung (Bochum 1968), München 1971.

  36. E. Lunding, Absolutismus oder Relativismus? Zur Wertfrage, in: Orbis Litterarum, 1966, S. 79.

  37. Ebd., S. 86.

  38. F. Sengle, Die literarische Formenlehre, Stuttgart 1967, S. 13 ff.

  39. A. a. O. (vgl. Anm. 30), S. 85.

  40. Ebd., S. 59.

  41. Die Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik“ hat 1968 einen Sammelband aufgezeichneter Vorträge und Diskussionen unter dem Titel „Die nicht mehr schönen Künste" herausgegeben, in des-sen Vorwort es heißt, seine Beiträge widmeten sich „einem gegenwartsbezogenen Problem der kunstphilosophischen und literaturwissenschaftlichen Diskussion. Die Auseinandersetzung mit Erscheinungen der zeitgenössischen Kunst und der Versuch, ihr mit ästhetischen, anthropologischen, soziologischen oder hermeneutischen Kategorien eine theoretische Grundlage zu geben, geraten immer wieder in das keineswegs nur begriffliche Dilemma einer . Ästhetik des Unästhetischen'“ (München 1968, S. 11).

  42. Th. Fontane. Nymphenburger Taschenbuch-Ausgabe in 15 Bänden, München 1969, Bd. 14, S. 109 f. u. S. 115 f.

  43. Gottfried Keller, Werke, Atlantis-Ausgabe, 2 Bde., Zürich 1951, 1. Bd., S. 267 f.

  44. A. a. O. (vgL Anm. 21), 9. Teil, S. 228. 46) Frankfurt a. M. 1972, S. 142.

  45. G. W. F. Hegel, Ästhetik, hrsg. v. F. Bassenge, mit einem einf. Essay v. Georg Lukäcs, Berlin 1955, S. 1087.

  46. Der ganze Fall ist als „Der Zürcher Literaturstreit“ dokumentiert in den Heften 22/1967 und 26/1968 der Zeitschrift „Sprache im technischen Zeitalter". Zitat: Heft 22/1967, S. 94 f.

  47. Die fortdauernde Unsicherheit der Gegenwartsschriftsteller im Selbstverständnis ihrer politischen und sozialen Funktion, ihr aggressives Schwanken zwischen politischem Engagement und Narrenfreiheit, kritischem Anspruch und faktischer Ohnmacht, zwischen Selbstüberschätzung und Selbstverstümmelung untersucht E. Lämmert, „über die öffentliche Verantwortung des Schriftstellers“: „Es hat sich gezeigt, daß die Krisis der schönen Literatur keineswegs wie ein unverhoffter Schicksalsschlag über die kunstliebende Bevölkerung komfortabler Länder hereingebrochen ist, sondern daß diese Bevölkerung mit Eifer und Beharrlichkeit, nicht weniger aber auch die Schriftsteller selbst in zunehmend selbstkritischer Verantwortung, diese Krisis herbeigeführt haben. Die Sache steht nun so, daß vielfach gerade die auf herkömmliche Bildungsvorstellungen eingeschworenen Schichten ... die Kunst gegen die abtrünnigen Schriftsteller verteidigen, während deren fortdauernde Unsicherheit über ihre Rolle in der Gesellschaft sich ... periodisch in immer verbisseneren, gleichwohl aber literarisch anmutigen Nekrologen auf die schöne Literatur äußert. Fest steht allerdings, daß auch eine solche Frontstellung noch indirekt bedingt ist, ja sich nur erhalten kann durch die relative Autonomie gegenüber der Gesellschaft, die die Schriftsteller seit zwei Jahrhunderten errangen und verteidigten." In: Poesie und Politik. Zur Situation der Literatur in Deutschland, hrsg. v. W. Kuttenkeuler, Bonn 1973, S. 49 f.

  48. Vgl. z. B. Fontane, a. a. O. (vgl. Anm. 43), Bd. 14, S. 110 u. S. 114.

  49. S. Neumeister, Poetizität, Heidelberg 1970, S. 58 f.

  50. Poesie und Politik (vgl. Anm. 49), S. 326 f.

  51. Ebd., S. 336 f.

  52. Ebd., S. 341, S. 344 u. S. 403.

  53. Rede aus Anlaß der Verleihung des Bremer Literaturpreises (1962), S. 282. — Auffällig ist die Häufigkeit, mit der hier überall der Begriff der „Rechtfertigung“ wiederkehrt. Das verunsicherte Selbstbewußtsein (der Schriftsteller wie der Literaturwissenschaft) hat zu einer permanenten Theoriekonjunktur geführt und die Literaturtheorie auf weiten Strecken zu einer Rechtfertigungslehre gemacht. Vgl. auch die Anm. 49.

  54. E. Piscator, Schriften, hrsg. v. L. Hoffmann, Berlin 1968, 1. Bd„ S. 267.

  55. Brief an die Frankfurter „Neue Kritik“ vom 12. Dez. 1965.

  56. Peter Handke, Prosa, Gedichte etc., Frankfurt a. M. 1969, S. 264 f.

  57. Der „Freiraum" der Kunst und Literatur — den-politischen und gesellschaftlichen Zwängen und Erfordernissen zugleich weit unterlegen und weit überlegen — und die darin mitgarantierte „Selbst-zwecklichkeit" des Menschen erscheint in der Tat — und insoweit ist B. von Wiese voll zuzustimmen — unverzichtbar. Dieser Freiraum ist freilich durchaus nichts Unpolitisches, Individuelles und Privates, kein „Kulturgut" von klassischer Dignität; er ist vielmehr ein Politikum ersten Ranges, jederzeit gewaltsam abschaffbar und nicht durch Erhaltung und Festschreibung, sondern nur durch dauerndes Fortschreiten zu retten, das heißt aber durch Bewegung und Veränderung.

  58. A. a. O. (vgl. Anm. 4), 5. Bd., S. 9.

  59. Ebd., 12. Bd., S. 107.

  60. Ebd., 12. Bd„ S. 107 f.

  61. Ankündigung des Berengarius-Werks. In: Les-sing, Ges. Werke in zehn Bdn., hrsg. v. Paul Rilla, 2. Aufl. Berlin 1968, 7. Bd., S. 323 f.

Weitere Inhalte

Hans Joachim Schrimpf, Dr. phil., o, Professor der Neugermanistik und Direktor des Germanistischen Instituts der Ruhr-Universität Bochum; geb. 1927 in Mülheim a. d. Ruhr; Schüler von Benno von Wiese und Joachim Ritter. 1962/63 a. o. Professor für deutsche Literaturgeschichte an der Universität Münster; Mitbegründer der Ruhr-Universität; seit 1965 Direktor des Akademischen Auslandsamtes; Gastprofessuren und Vortragsreisen in den USA, Japan, Skandinavien, den Niederlanden, Großbritannien und der Republik Irland; 1968— 1971 External Examiner der Chinese University of Hong Kong; 1969/70 Dekan der Abteilung für Philologie der Ruhr-Universität, 1970/71 Prodekan. Veröffentlichungen u. a.: Hamburger Goethe-Ausgabe, 12. Bd. (Hrsg. 1953), 7. Aufl. 1973; Struktur und Metaphysik des sozialen Schauspiel; bei Gerhart Hauptmann, 1963; Literatur und Gesellschaft (Hrsg.), 1963; Lessng und Brecht. Von der Aufklärung auf dem Theater, 1965; Goethes Begriff der Weltliteratur, 1968 (auch in japan. übers.); K. Ph. Moritz: Andreas Hartknopf (Hrsg.), 1968; Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet. Zum politisch engagierten Theater im 20. Jahrhundert: Piscator, Brecht, Hochhuth, in: Untersuchungen zur Literatur als Geschichte. Festschrift für Benno von Wiese, hrsg. v. V. J. Günther, H. Koopmann, P. Pütz, H. J. Schrimpf, Berlin 1973.