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Hindernisse und Voraussetzungen für die Europäische Union | APuZ 3/1976 | bpb.de

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APuZ 3/1976 Artikel 1 Hindernisse und Voraussetzungen für die Europäische Union Die Energiepolitik der Europäischen Gemeinschaft

Hindernisse und Voraussetzungen für die Europäische Union

Heinz Kramer /Reinhardt Rummel

/ 39 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

1. Der teilweise krisenhaften Entwicklung der EG seit 1972 liegen weniger kurzfristige als vielmehr dauernde Schwierigkeiten zugrunde. Die realen politischen Verhältnisse lassen sich in mehrfacher Weise nicht mit den vorgegebenen und wünschbaren Zielen in Einklang bringen. Die Ursachen dafür treten in erster Linie im strukturell-binnenpolitisehen Bereich der Gemeinschaft auf, wenngleich sie durch Entwicklungen im internationalen System intensiviert werden. Als hauptsächliche Gründe können der qualitative Wandel in der Integrationsmaterie, die strukturellen Disparitäten zwischen den Mitgliedsstaaten, das Legitimationsdefizit der nationalen und regionalen Entscheidungssysteme sowie das Fehlen einer politischen transnationalen Infrastruktur in der Gemeinschaft herausgestellt werden. 2. Das Konzept einer aktiven Politisierung des Prozesses der Gemeinschaftsbildung könnte zur Problemlösung beitragen, mit dem Ziel, die nationale politische Substruktur durch eine „ähnliche" europäische zu ergänzen und die grundsätzlichen Zielsetzungen der Europapolitik mit den Akteuren dieses nicht-gouvernementalen europäischen Unterbaus abzustimmen. Die ineinandergreifenden Elemente dieses Konzepts wären individuell zu entwickeln: — eine bewußte Einbeziehung (und nicht wie in der Tendenz bisher eine bewußte Ausklammerung) von politisch „empfindlichen" Materien in die Integrationsvorgänge, — in vertretbarem Umfang breiten Bevölkerungsschichten direkt und über ihre nicht-gouvernementalen Organisationen aktive Rollen im Gemeinschaftsgeschehen zu übertragen, — ein Auffüllen des Leerraums zwischen Basis und europäischem Gremium mit institutioneller und politischer Infrastruktur. Durch die ausgewogene gleichzeitige Entwicklung dieser Politisierungskomponenten wäre die gegebene eindimensionale Entscheidungsstruktur in der EG nach und nach von einer vervielfältigten Willensbildung gestützt. 3. Das Vorgehen nach dem angeregten Integrationsverfahren bringt kalkulierbare Vorteile, absehbare Realisierungsprobleme und im einzelnen nicht leicht abwägbare Risiken. Einige Problemursachen der Gemeinschaftsentwicklung wären neutralisierbar (Legitimationsdefizit, fehlende Infrastruktur), andere überbrückbar (strukturelle Disparitäten, qualitativer Übergang). Der jetzigen Integrationsphase wäre insofern entsprochen, als die Fähigkeit bestünde, Integriertes zu verfestigen, zu verwalten und Grundausstattungen für höhere Gemeinschaftsstufen vorzubereiten. Einer zügigen Verwirklichung des Konzepts stellen sich organisatorische, strukturelle und politische Gegebenheiten sowohl bei regierenden Eliten wie bei Parteien und nicht-gouvernementalen Gruppierungen entgegen. Diese Schwierigkeiten beruhen teilweise auf der weitgehenden Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse des Prozesses, der — einmal in vollem Gange — irreversibel sein könnte, möglicherweise ohne die Tragfähigkeit der neuen europäischen Ebene zu garantieren (z. B. mangelnde Koalitionsfähigkeit).

I. Vorbemerkung

I. II. III. IV. V. Vorbemerkung Krise oder Dauerprobleme der EG?

1. Qualitativer Wandel der Integrationsmaterie a) Integration im Gemeinsamen Markt b) Integration auf dem Weg zur Wirtschaftsund Währungsunion Strukturelle Disparitäten zwischen den Mitgliedsstaaten 3. Legitimationsdefizit der nationalen und regionalen Entscheidungsebenen Fehlen transnationaler Infrastruktur 2. 4. Stukturhilfen für europäische Politik 1. Erwägenswerter Ansatz: die Politisierung des Integrationsprozesses a) Elemente des Konݧ

Mit dem Auftrag an den belgischen Ministerpräsidenten Tindemans, bis zum Jahresende 1975 einen Bericht über die Probleme bei der Schaffung einer Europäischen Union der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft anzufertigen, haben sich die Regierungen wieder eines Problems angenommen, das lange Zeit in der tagespolitisch notwendigen Krisenbewältigung unterzugehen drohte: der Frage, in welche längerfristige Perspektive der westeuropäischen Einigungsbemühungen die Anstrengungen zur Bewältigung der vielfältigen Probleme, mit denen die EG in den letzten Jahren konfrontiert war, eigentlich einzuordnen sind. Wenn die Integration eine übergeordnete Zielsetzung haben muß oder soll, dann wäre darauf zu achten, daß die auch gegenwärtig noch vorherrschenden kurz-und mittelfristigen Maßnahmen der Entscheidungsgremien mit den angestrebten Zielsetzungen des Gesamtprozesses zu vereinbaren sind. Dazu bedarf es einer Klärung und Verdeutlichung dieser Zielsetzungen sowie der Mittel und Methoden ihrer Verwirklichung. Dies zu leisten, ist der Kernpunkt der „Mission Tindemans".

5. Spierenburg-Berlcht

Die bisher in diesem Zusammenhang und wohl auch in dieser Absicht von den Gremien der Gemeinschaft und anderen offiziellen und nicht-offiziellen Stellen geleisteten Beiträge lassen — soweit bekanntgeworden — eine gemeinsame Einseitigkeit erkennen: Sie vernachlässigen mehr oder weniger in ihren Vorstellungen zur Europäischen Union den Prozeß der politischen Willensbildung, der im „policy-making" dem Entscheidungsprozeß vorausgeht. Das äußert sich in einer starken Betonung institutionell-prozeduraler Elemente. (Vgl. die im Anhang dargestellte Synopse der Elemente einiger wichtiger, bisher vorliegender Papiere und Vorstellungen.)

Abbildung 8

In diesem Papier sollen hingegen Voraussetzungen der politischen Willensbildung im Vordergrund stehen. Sie sind ungeachtet der spezifischen Zielsetzungen der „Mission Tindemans" ein zentraler Faktor jeglicher Form westeuropäischer Konsensbildung und Politik. Dazu wird eine Analyse einiger wesentlicher Faktoren vorgenommen, deren Zusammenwirken die Struktur des Willensbildungsprozesses in gravierender Weise schwächt, die Entscheidungseffizienz in der Gemeinschaft mindert und somit nur eine beschränkte europäische Aufgabenwahrnehmung zuläßt (Teil II). In einem zweiten Schritt werden dann Möglichkeiten zur Behebung der in dieser Hinsicht bestehenden Schwierigkeiten diskutiert (Teil III).

II. Krise oder Dauerprobleme der EG?

1. Bericht der Kommission über die Europäische Union

Nach vorherrschender Überzeugung befindet sich die Europäische Gemeinschaft seit Beginn der siebziger Jahre, spätestens seit 1973, im Zustand einer Dauerkrise Diese Beurtei-lung scheint bestätigt zu werden durch das Verhalten der politischen Entscheidungsträger, die sich auf kurzfristiges Krisenmanagement zur Lösung anstehender Probleme konzentrierten und sich tiefgreifende Entscheidungen zur Überwindung der Krisenursachen versagen mußten.

7. Überlegungen des Istlluto Affarl Internazlonall, Ruin, zur Eurvpälschen Union

Hier wäre zum einen hinzuweisen auf die Beschlüsse, die zur allmählichen Aufhebung bzw. Vergemeinschaftung der einseitig getroffenen handelspolitischen Maßnahmen der italienischen Regierung führten; dazu gehören das währungspolitische Management im Zu-3 sammenhang mit dem Ausscheiden Frankreichs aus der „Schlange" sowie die unter dem Stichwort „renegotiations" angestellten Bemühungen, den britischen Wünschen nach einer Neuverteilung der Haushaltslasten in der EG Rechnung zu tragen.

Entwurf einer Stellungnahme zur EU an Tindemans

Zum anderen war nicht zu übersehen, daß die Mitgliedsregierungen nicht in der Lage waren, im Rahmen der Neun die durch die „Ölkrise" hervorgerufene energiepolitische Herausforderung zu bewältigen, die Voraussetzungen für eine funktionierende Wirtschafts-und Währungsunion zu schaffen oder etwa auch auf die mit Kissingers Vorschlag für eine neue „Atlantik Charta" gegebene Herausforderung mit einer kohärenten und abgestimmten politischen Antwort zu reagieren

9. Stellungnahme des Bundesrates der Europäischen Bewegung zur Europäischen Union

Gleichwohl wird die tatsächliche Pröblemlage sicher verkannt, wenn die Situation der Gemeinschaft seit dem Pariser Gipfel von 1972 mit dem Begriff der „Krise" beschrieben wird. Die Verwendung dieses Begriffes kann den Eindruck hervorrufen, daß der damit bezeichnete Zustand als eine mehr oder weniger kurzfristige Abweichung von einer an sich richtigen Entwicklung des Entscheidungsprozesses und seiner Instrumente aufgefaßt wird. Eine derartige Sicht der Dinge ist um so fraglicher, wenn damit — wie in der Vergangenheit häufig geschehen — der Gedanke verbunden wird, daß krisenhafte Zustände des Gemeinschaftsbildungsprozesses eine klärende, in der Integration weiterführende Funktion haben könnten

Abbildung 12

Bei der Entwicklung der EG seit 1972 handelt es sich aber vielmehr um dauernde Schwierigkeiten, die reale politische Entwicklung mit den vorgegebenen und wünschbaren Zielen in Einklang zu bringen. Dies zu sehen, ist Voraussetzung einer Analyse der tatsächlichen Ursachen für die Stagnation des Integra tionsprozesses.

Es wäre dabei gewiß verfehlt, alle aufgetrete nen Schwierigkeiten den Veränderungen im internationalen System und den wachsenden innerökonomischen Problemen der Mitglieds-staaten anzulasten oder aber den fehlenden politischen Willen der Regierungen zum Generalnenner der anzugehenden Probleme zu machen.

Da viele Faktoren Zusammenwirken, können die angestrebten langfristigen Ziele des Integrationsprozesses nur unter erheblichen Schwierigkeiten und durch die Entwicklung eines neuen Verständnisses von westeuropäischer Einigung erreicht werden. Als hauptsächliche Faktoren, die im folgenden aus analytischen Gründen getrennt untersucht werden, sind zu nennen der qualitative Wandel in der Integrationsmaterie, die strukturellen Disparitäten zwischen den Mitgliedsstaaten, das Legitimationsdefizit der nationalen und regionalen Entscheidungssysteme und das Fehlen einer politischen transnationalen Infrastruktur in der Gemeinschaft. 1. Qualitativer Wandel der Integrationsmaterie Die inhaltliche Ausdehnung der Integrationsmaterie, die mit den Zielsetzungen des Pariser Gipfels von 1972 angestrebt wird, wird hier vereinfachend — und sicher auch anfechtbar — 'als überschreiten der „negativen" zur „positiven" Integration bezeichnet. Es geht dabei um die Umwandlung eines Gemeinsamen Marktes in eine vollständige Wirtschaftsunion d. h. um einen qualitativen Sprung im Integrationsprozeß und nicht um den Über-gang innerhalb eines kontinuierlichen Phasen-und Stufenschemas. Dieser Sprung hat das bisher Gewollte und Erreichte zur Grundlage, doch er verlängert dies nicht einfach in die Zukunft, wie bestimmte politische und wissenschaftliche Interpretationen der westeuropäischen Integration nahelegen

Die hier betonte Änderung der Qualität der politischen Materie des Integrationsvorganges bedeutet nun aber nicht, daß der bisherige Integrationsprozeß mit dem qualitativen Sprung abbricht. Der Vorgang des Abbaus von Schranken für den Faktorverkehr wie für den freien Strom der Güter und Dienste geht vielmehr weiter und muß gleichzeitig auf dem erreichten Niveau stabilisiert und verwaltet werden. Er muß jedoch von „positiver" Integration überlagert werden. Dabei können zwischen beiden Typen der Integration Wechselbeziehungen auftreten, denen jedoch im vorliegenden Papier nicht nachgegangen wird. a) Integration im Gemeinsamen Markt Der EWG-und der EURATOM-Vertrag befaßten sich in der Hauptsache mit den Schritten und Maßnahmen, die zu einer Beseitigung der Handelsschranken zwischen den Mitgliedsstaaten notwendig waren. Sie hatten die Beseitigung jener Hemmnisse zum Ziel, die sich der Verwirklichung der vier Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes zwischen den Sechs entgegenstellten: freier Warenverkehr, freier Kapitalverkehr, freier Dienstleistungsverkehr und Freizügigkeit in der Berufsausübung und Niederlassung.

In den Verträgen fehlen weitgehend explizite prozeßund ordnungspolitische Ziele und Detailregelungen. Eine Ausnahme hiervon bilden lediglich der Agrarsektor und bis zu einem gewissen Grade der Verkehrsbereich.

So berührten in der Phase der Einigungsbemühungen im Gemeinsamen Markt — die um 1970 weitgehend abgeschlossen war — die aufgrund der vertraglichen Vorschriften getroffenen Maßnahmen die verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Gruppen noch in sehr unspezifischer Weise, d. h., es ließ sich kaum vorhersehen, ob und welche Gruppen spürbar bevorteilt oder benachteiligt wurden.

Diesem Integrationskonzept lagen einmal ein starkes Vertrauen in die Steuerungsfähigkeit und Verteilungsgerechtigkeit einer marktwirtschaftlichen Politik und zum anderen der Glaube an einen funktionalistischen Spillover zugrunde Der optimale Ablauf eines derartigen Integrationsprozesses sollte durch supranational-technokratische Institutionen erreicht werden

Die Erfahrung erweist indessen, daß selbst eine vollständige Verwirklichung des Konzeptes der „negativen" Integration — d. h.der vollständige Abbau aller Hindernisse für die

Verwirklichung der vier Grundfreiheiten — von einem bestimmten Niveau der Integration an das Umschlagen in einen Prozeß „positi-ver“ Integration bedingt, um den erreichten Integrationsstand zu sichern. Das reibungslose Funktionieren des durch den Abbau der Handelsschranken entstandenen Gemeinsamen Marktes setzt nämlich interventionspolitische Maßnahmen auf der regionalen Ebene voraus. Diese werden u. a. durch die ungleiche Verteilung des Wohlstandes, durch den unterschiedlichen Entwicklungsstand der Produktivkräfte in den Mitgliedsstaaten und damit durch ungleiche Wachstumschancen in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft notwendig. b) Integration auf dem Weg zur Wirtschaitsund Währungsunion (WWU)

Das Programm der Wirtschaftsund Währungsunion ist daher neben anderen Maßnahmen ein Mittel zur weiteren Verbesserung der Kapitalverwertungsbedingungen und zur Beseitigung oder Abschwächung stabilitätsgefährdender Ungleichgewichte. Somit wurde die allmähliche Entwicklung gemeinsamer Politiken der Neun (Konjunktur-, Finanz-, Regional-, Sozial-, Währungspolitik etc.) für notwendig erachtet

Wenn die Herausbildung von Regeln und Zielen für den koordinierten Einsatz des interventionspolitischen Instrumentariums in der EG als „positive" Integration bezeichnet wird, so geht es hierbei also nicht mehr um den gemeinsamen Abbau von Schranken, sondern um den Aufbau gemeinsamer Politiken zur Steuerung des politischen Prozesses in allen wesentlichen Bereichen der modernen Industriegesellschaften. Dadurch wird eine Einbeziehung von sogenannten „empfindlichen" Materien in den Integrationsprozeß angestrebt, und es findet eine Übertragung von nationaler Politik auf die Ebene der Gemeinschaft statt.

Für einen solchen Umschlag geben nun aber die Verträge von Rom nur wenige oder gar keine expliziten Verhaltensregeln. Lange Zeit wurde angenommen, daß die institutionell-prozeduralen Vorschriften der Römischen Verträge auch auf die Maßnahmen der „positiven" Integration angewendet werden könnten und sollten. Der Weg der EG seit dem Pariser Gipfel von 1972 hat indessen Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme aufkommen lassen.

Wie wenig die politischen Akteure in der Gemeinschaft — die Regierungen und die Kommission — den qualitativen Unterschied zwischen Integration im Gemeinsamen Markt und Integration zu einer WWU erkannt haben, verdeutlicht ihr Bemühen, das Programm des Gipfels von 1972 mit den gleichen Methoden zu verwirklichen, mit denen der Gemeinsame Markt geschaffen wurde: Die Entwicklung gemeinsamer Prozeßund Ordnungspolitiken sollte schrittweise auf der Grundlage allgemein akzeptierter Programme mit festem Fahrplan erfolgen. Durch kleine Harmonisierungsschritte und zunehmende Koordinierung sollte — was auf eine Entpolitisierung der „positiven" Integration hinausgelaufen wäre — die Ingangsetzung der WWU vollzogen werden

Es zeigte sich jedoch bald, daß diese normativ-funktionale Methode nicht erfolgreich war; alle Ansätze zur Wirtschafts-und Währungsunion erstickten im Keim, und im Gemeinsamen Markt bereits Erreichtes wurde durch einseitige Maßnahmen der italienischen und dänischen Regierungen in Frage gestellt Im Gemeinsamen Markt fehlten nicht nur die für eine Europäische Union notwendigen strukturellen Voraussetzungen, ihre zielgerechte Entwicklung wurde durch die technokratisch-orientierte Methode der „negativen" Integration auch teilweise eher verhindert. 2. Strukturelle Disparitäten zwischen Mitgliedsstaaten Die Praktizierung einer auf der regionalen Ebene ansetzenden Steuerung des politischen Prozesses mit Hilfe des prozeßund ordnungspolitischen Interventionsinstrumentariums des modernen Wohlfahrtsstaates wird durch die unterschiedlichen Ausgangssituationen in den einzelnen Mitgliedsstaaten sowie durch große Unsicherheiten über die künftige Entwicklung, die überwiegend durch äußere Ereignisse in die EG hineingetragen wurden, außerordentlich erschwert. Die auf der Basis der Römischen Verträge vollzogene Integration hatte zwar das Ziel, die zwischen den Mitgliedsstaaten bestehenden Entwicklungsunterschiede zu verringern und die Voraussetzungen für ein optimales Wachstum in der ganzen Region zu verbessern, doch hat die angewandte Methode nicht das gewünschte Ergebnis gebracht

Grundlegend muß bezweifelt werden, ob bei einer administrativ herbeigeführten Verbesserung der Faktoren-und Gülermobilität die angestrebten Ziele allein durch den Konkurrenz-mechanismus erreicht werden können, wenn die Ausgangssituation der beteiligten Länder so ungleich ist, wie sie es bei der Gründung der EWG war. Die eingetretene Festschreibung der Entwicklungsund Strukturunterschiede ist ein viel wahrscheinlicheres Ergebnis einer derartigen Politik

Die von der „Ölkrise" verursachten, stark divergierenden Zahlungsbilanzsituationen der verschiedenen EG-Staaten und die Verzögerung abgestimmter Maßnahmen zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten durch ein zahlungsbilanzorientiertes Recycling schaffen zusätzliche Probleme für eine harmonisierte Wirtschaftspolitik. Diese Tatsache ist von den Staats-und Regierungschefs der Neun im Kommunique des Pariser Gipfels vom Dezember 1974 ausdrücklich anerkannt worden Sie wird durch den weitgehenden Alleingang der Bundesrepublik und Frankreichs bei der koordinierten Überwindung der Stagnation im Herbst 1975 unterstrichen.

Neben den ökonomischen sind erhebliche Unterschiede in der politisch-sozialen Struktur der Mitgliedsstaaten ursächlich für die Integrationsschwierigkeiten. Hier verdienen die Differenzen zwischen den Strukturen und dem Verhalten der Sozialpartner besondere Beachtung, die über ihren Einfluß auf die einkommenspolitische Entwicklung eine entscheidende Einwirkung auf die staatliche Konjunktur-politik nehmen.

Die unterschiedliche Militanz, mit der die Gewerkschaften ihre einkommens-, gesellschafts-und wirtschaftspolitischen Ziele vertreten, setzt den verschiedenen Regierungen unterschiedlich enge oder weite Grenzen bei der Ausübung ihrer Wirtschafts-und Währungspolitik. Dadurch wird die notwendige Koordinierung und Harmonisierung dieser Politiken im EG-Rahmen von der einkommenspolitischen Seite her zusätzlich erschwert.

So lange der Nationalstaat nun aber das primäre Orientierungsfeld für die Bevölkerung und ihre organisierten Interessenvertretungen darstellt — und das ist der Fall, so lange die wichtigsten prozeß-und ordnungspolitischen Steuerungskompetenzen bei den Regierungen der Staaten liegen —, ist eine Koordinierung und Vereinheitlichung der interventionspolitischen Ziele und Maßnahmen der Regierungen weitgehend unmöglich. 3. Legitimationsdefizit der nationalen und regionalen Entscheidungsebenen Das Zögern der Regierungen, Kompetenzen in „empfindlichen" Bereichen der Politik an die Gemeinschaft abzutreten, wird durch Sachverhalte bedingt, die bisher im Zusammenhang mit Integrationsvorgängen zwischen entwickelten Industrieländern zu wenig beachtet oder aber unterschätzt wurden: Sie lassen sich durch die Formel vom Primat des Nationalstaates als Legitimationsbasis für politisches Handeln kennzeichnen

„Wir gehen davon aus, daß Regierungen an der Erhaltung ihrer Macht und damit an dem Fortbestand und der Stabilisierung ihres politischen Systems interessiert sind. Zu diesem Zweck bedürfen sie der Unterstützung der Regierten, die sie dadurch zu erlangen trachten, daß sie eine als ausreichend betrachtete Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts pro Kopf bei Sicherung der Vollbeschäftigung und der Umwelterhaltung garantieren, sowie für genügend und gerecht verteilte Chancen zur Verwirklichung der Grundrechte und Mitbestimmung sorgen." Dieses Urteil ist sicher zutreffend. Die Erfüllung dieser Aufgabendimensionen ist nun aber, historisch bedingt, institutionell und prozedural an den Nationalstaat gebunden.

Eine effektive Wahrnehmung der Aufgaben des modernen Interventionsstaates durch die nationalen Regierungen ist indessen in den letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden. Eine wesentliche Ursache hierfür ist neben der sogenannten „Vermachtung" des Wirtschaftssektors die im Zuge der weltwirtschaftlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg rapide anwachsende transnationale Interdependenz der nationalen Wirtschaftssysteme Sie hat die Wirksamkeit nationaler Konjunktur-, Wachstums-und Sozialpolitik erheblich verringert. Der Nationalstaat wird aufgrund von exogenen Ursachen ökonomischer und sozialer Schwierigkeiten und Störungen immer unfähiger, den sozio-ökonomischen Status seiner Bevölkerung zu garantieren und allein mit nationalen Mitteln die Voraussetzungen für eine fortdauernde Prosperität zu schaffen. Das wurde der breiten Öffentlichkeit erstmalig in der Energieverknappungsperiode im Winter 1973/74 deutlich bewußt und kennzeichnet auch die gegenwärtigen Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der weltweiten Rezession in den Einzelstaaten. Damit ist aber die gesellschaftliche und politische Integrationsfähigkeit des Nationalstaates entscheidend gemindert. Die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihren jeweiligen Regierungen ist die Kehrseite der Medaille; sie verringert zugleich deren Handlungsspielraum.

Entsprechend sind die Schwierigkeiten der Regierungen, sich die für ihr politisches Han-dein notwendige Legitimation durch Konsens mit der Mehrheit der Bevölkerung und deren organisierten Interessenvertretern, den großen gesellschaftlichen Verbänden, zu verschaffen. Die daraus resultierende Instabilität von Regierungen in den westlichen Industrienationen ist somit nicht zuletzt bedingt durch das Auseinanderklaffen der Dimension der problemverursachenden Faktoren und der Dimension des interventionspolitischen Instrumentariums. Durch die Bemühungen um eine Wirtschafts-und Währungsunion in der EG als Kernbereich einer zukünftigen Politischen Union wird versucht, hier Abhilfe zu schaffen. Wenn dieser Versuch Erfolg haben soll, d. h. wenn durch eine regionale Wirtschafts-und Konjunkturpolitik tatsächlich Fortschritte in bezug auf die angesprochenen Schwierigkeiten erzielt werden sollen, dann müssen im Rahmen der EG für alle Mitgliedsstaaten verbindliche politische Entscheidungen getroffen werden können. Dies ist gegenwärtig nicht der Fall. Eine Verbesserung dieser Situation zeichnet sich kaum ab. Ei., wesentliche Ursache für das Scheitern O. -Stagnieren der entsprechenden Bemühungc ist sicher darin zu sehen, daß die EG weder ausreichende institutioneile noch strukturelle Vorkehrungen bietet, derartige weitreichende Entscheidungen demokratisch-politisch zu legitimieren. Dies liegt in ihrer nach den besonderen Bedürfnissen eines interadministrativen Entscheidungsprozesses gestalteten Gesamtstruktur begründet.

So lange die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes weitgehend durch technokratische Maßnahmen auf der Grundlage eines Bargaining zwischen den verschiedenen nationalen Administrationen betrieben werden konnte, bestand kaum Veranlassung, sich um die legitimatorische Absicherung der Brüsseler Entscheidungen besondere Gedanken zu machen. Dafür genügte weitgehend eine von nationaler Regierungsentscheidung abgeleitete Legitimation. Dieses Entscheidungssystem erweist sich nun als zunehmend unzureichend, wenn es gilt, Maßnahmen zu treffen, die „empfindliche" Bereiche des soziopolitischen Systems der Nationalstaaten berühren, wenn also „positive" Integration betrieben werden soll. Bei ihrem Bemühen, gemeinsame oder gar gemeinschaftliche Interventions-und Ordnungspolitik zu entwickeln, sind die Regierungen entweder zum weitgehenden Verzicht auf eine legitimatorische Absicherung oder zum Rückgriff auf die nationalen Legitimationsprozesse und -Strukturen gezwungen. Diese unter dem Begriff der „Renationalisierung“ beklagte Entwicklung der EG ist somit nur eine Konsequenz aus der bisherigen Integrationsentwicklung.

Die sich parallel zur Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) und — von ihr beeinflußt — auch für die Materie der Römischen Verträge allmählich entwickelnde „Ratsverfassung" der Gemeinschaft ist gegenwärtig wahrscheinlich der einzig gangbare Weg, angesichts der geschilderten Problematik überhaupt Schritte in Richtung auf eine WWU und Europäische Union zu machen. Dadurch schaffen sich die Regierungen einmal die Möglichkeit, die Differenz zwischen Problemverursachung und Problemlösungs-Instrumentarium wenigstens ansatzweise zu verkleinern, andererseits eröffnet sich ihnen zusätzlich die Chance, das wachsende Legitimationsproblem auf der nationalen Ebene dadurch zu verringern oder abzuschwächen, „daß auf die verschobenen Grenzen des politischen Systems bzw.seiner Zuständigkeiten hingewiesen wird"

Die Nichterfüllung politischer Steuerungsfunktionen kann dann auf die unkooperative Haltung von Partnerregierungen („Die Engländer ziehen nicht mit!") oder auf das Wirken anonymer politischer Faktoren („Die Brüsseler Bürokratie") verlagert werden, während andererseits erfolgreiches politisches Agieren der Gemeinschaft weitgehend zur nationalen Machterhaltung der Regierungen herangezogen werden kann, denen im gegenwärtigen System der EG durch die Öffentlichkeit die Integrationserfolge zugeschrieben werden.

Diese Möglichkeit, EG-Politik im System einer „Ratsverfassung" zu betreiben, gilt aber wohl nur so lange, wie dadurch die sozio-ökonomischen Bedürfnisse und Erwartungen der Bevölkerung befriedigt werden können. Sobald das nicht mehr der Fall ist, werden die Regierungen unter Druck gesetzt und müssen aus Gründen der Machterhaltung diesem Druck nachgeben. An dieser Situation wird sich auch kaum etwas ändern, so lange auf der regionalen Ebene keine oder unzureichende Strukturen und Prozesse der politischen Legitimationsbildung gegeben sind. 4. Fehlen transnationaler Infrastruktur Jene Prozesse, die in den Nationalstaaten bisher dafür sorgen, daß sich die Regierungen bei ihrem Verhalten auf einen mehrheitlichen Konsens der Gesellschaft stützen können, finden auf der regionalen Ebene nicht statt, weil der nicht-gouvernementale Unterbau des politischen Entscheidungssystems, die politische Infrastruktur, zu wenig entwickelt ist und die vorhandenen Organisationen in nur unzureichendem Maße am Entscheidungshandeln beteiligt werden.

Auch diese Situation ist eine Konsequenz der bisherigen „negativen" Integration, deren Aufgaben und Entscheidungsmaterien den Parteien keine und den Sozialpartnern kaum wesentliche Anreize boten, sich in einem dem nationalen Maßstab vergleichbaren Ausmaß auf der regionalen Ebene zu organisieren und zu engagieren. So lange in der Gemeinschaft keine politisch kontroversen Probleme der Gestaltung einer westeuropäischen Gesellschaftsordnung und ihrer politischen Mechanismen zur Debatte stehen, können sich die Parteien ihre weitgehende Abstinenz leisten. Ebenso genügte es für die organisierten Gruppen und Verbände der Gesellschaft, ihre transnationale Organisation und Aktivität an den überwiegend technisch-funktionalen Gegenständen der bisherigen Integration zu orientieren. Sie brachten in der Vergangenheit eher ihren Sachverstand in den Willensbildungsprozeß ein und verzichteten auf ein umfassendes politisches Engagement auf der Ebene der Gemeinschaft

Damit droht jedoch, daß einerseits die Legitimationsproblematik der westeuropäischen Integration in einen Circulus vitiosus gerät, und daß andererseits eine „positive" Integration am fehlenden politischen Einfluß der Gruppen auf den Entscheidungsprozeß scheitert. Die für die. Entwicklung einer Europäischen Union unumgängliche Debatte über ordnungs-und prozeßpolitische Ziele der Gemeinschaft kann nicht hinreichend geführt werden, wenn sie lediglich den Regierungen überlassen bleibt bzw. von fest im nationalen System verankerten gesellschaftlichen Akteuren geführt wird.

Eine in der Perspektive des Pariser Gipfels von 1972 konzipierte Europäische Union bedarf zu ihrem Funktionieren transnational orientierter Perspektiven von Parteien und Verbänden, die damit im politischen Prozeß gleichzeitig zu Konkurrenten und Stützen der nationalen Regierungen werden müssen. Der Pluralismus einer Politischen Union in Westeuropa kann nicht allein im Pluralismus der Regierungen bestehen.

III. Strukturhilfen für europäische Politik

Abbildung 3

Die beschriebenen politisch-strukturellen Mängel und deren Ursachen, die dem Integrationsprozeß in Westeuropa zugrunde liegen, stellen keinen vollständigen Katalog dar Sie heben aber eine Reihe von Ursache-Wirkung-Kombinationen hervor, die die Einigungsentwicklung an zentraler Stelle und in einer entscheidenden Phase blockieren. Wenn es erklärtes und dominierendes Ziel ist, zunächst die Gemeinschaft zu konsolidieren und den Einigungsprozeß in die höhere Integrationsstufe hinein fortzuentwickeln, d. h.den Weg vom heutigen Stand zu einer bestimmten Qualität der sogenannten Europäischen Union der achtziger Jahre konsequent zu gehen, so wird die Beseitigung der bezeichneten Hindernisse notwendig sein. Die grundsätzliche Natur der Hindernisse verlangt auch grundsätzliche Erwägungen.

Von der Vielzahl der möglichen Überlegungsansätze wird im folgenden ein Denkanstoß präsentiert, der einige Charakteristika und Größenordnungen des Problems verdeutlichen mag. Aus analytischen Gründen erfolgt zunächst eine (idealtypische) Beschreibung des erwogenen Konzepts und im Anschluß daran eine Diskussion seiner Möglichkeiten und Leistungsgrenzen. 1. Erwägenswerter Ansatz: die Politisierung des Integrationsprozesses Mit dem hier in Betracht gezogenen Konzept wird nur bedingt an Überlegungen der integrationstheoretischen Diskussion der sechziger Jahre angeknüpft Auch geht es weder um die Vergemeinschaftung aller nationalen Politiken noch um die Konzipierung einer weiteren Vorstellungsvariante der Europäischen Union Demgegenüber soll hier — zugeschnitten auf die oben beschriebene Problematik — ein von den praktischen Problemen abgeleitetes Konzept inhaltlich und in seiner möglichen Anwendung skizziert und zur Diskussion gestellt werden Es orientiert sich an folgenden übergeordneten Grundeinstellungen oder Prämissen, die sich an den Auftrag Tindemans anlehnen:

— Langfristiges Ziel der Integration ist die Errichtung einer Staatengemeinschaft in Westeuropa mit bundesstaatlicher Zentralgewalt für gemeinsame Wirtschafts-, Finanz-, Währungs-, Außen-und Verteidigungspolitik. Es handelt sich um eine Föderation mit eigenen Organen und unabhängigen Entscheidungen unter parlamentarischer Beteiligung der Völker und Mitwirkung der Bürger und Staaten. — Mittelfristiges Ziel der Integration ist die Absicherung des erreichten Gemeinschaftsbestandes und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Erreichung des langfristigen Zieles.

— Kurzfristiges Ziel der Integration ist die Lösung aktueller Probleme Westeuropas und die Inangriffnahme der Problemursachen unter gleichzeitiger Berücksichtigung der mittel-und langfristigen Ziele. a) Elemente des Konzepts Das Politisierungskonzept, das nicht die Erreichung der zeitlich gestaffelten Ziele zum Brennpunkt hat, sondern lediglich die Voraussetzungen dafür zu verbessern gedenkt, beruht auf einer schwerpunktartigen Hervorhebung von Faktoren, die für die Erfüllung der Integrationsziele konstitutiv sind. Dies trifft zu für bestimmte Integrationsmaterien, für eine Reihe von Handlungsträgern im Integrationsprozeß und für Maßnahmen zur politischen Inirastrukturbildung innerhalb dei EG. Bei der Förderung dieser Einzelelemente soll-te deren koordinierte und gleichgewichtige Entwicklung im Vordergrund stehen. aa) Integrationsmaterien Politisierung würde in erster Linie den bewußten Einbezug und nicht die bewußte Ausklammerung von politisch „empfindlichen" Materien in die Integrationsvorgänge bedeuten. Dabei wäre von der Überzeugung auszugehen, daß die Dauerhaftigkeit und Entwicklungsfähigkeit der Gemeinschaft zumindest auf längere Sicht nicht dadurch gefördert wird, daß Probleme, die die Bürger und gesellschaftlichen Gruppen innerstaatlich in hohem Maße engagieren, aus dem interstaatlichen Verkehr herausgehalten werden, oder daß Schwierigkeiten, die sich in europäischer Dimension stellen, deshalb auf die nationale Lösungsebene abgeschoben werden, weil die politische Konfrontation der Gliedstaaten desintegrative Tendenzen erwarten läßt. Integration sollte nicht Verdrängung, sondern Annahme von Konflikten in dem genannten Sinne sein.

Beispielsweise hat die nationale Lohn-und Einkommenspolitik, die in der Innenpolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten eine Schlüssel-rolle bei der politischen Auseinandersetzung der innerstaatlichen Kräfte spielt, entscheidende Auswirkungen auf eine erstrebte gemeinschaftliche Konjunkturpolitik in Europa, ist jedoch u. a. wegen ihrer politischen Brisanz und ihrer nationalen Eigenheiten nicht ernstlich in eine gemeinschaftliche Orientierung einbezogen worden. Sie hat auch durch den sogenannten Sachzwang bisher keine europäische Ausrichtung erfahren. Ähnliches gilt für jene Materien, die bereits ein transnationales Ausmaß haben, wie die Kontrolle von Euro-Konzernen, Energie-und Versorgungsprobleme, die Verkehrspolitik, weite Teile der wirtschaftlichen und außenpolitischen Kooperation Westeuropas, Umweltschutzfragen etc. Sie berühren jeweils unterschiedliche, aber gewichtige nationale Empfindlichkeiten und geben daher Anlaß zu der Versuchung, sie in ihrer Substanz aus dem Gemeinschaftsprozeß herauszuhalten.

Dennoch hieße Politisierung hier nicht, diese bisherige Art des selektiven Einbezugs von Politiken in den Gemeinschaftsprozeß durch ein generelles Verfahren zu ersetzen. Sie bedeutet vielmehr, die Selektion nach neuen Gewichtungen vorzunehmen. Im Vordergrund stünde statt der für die „negative" Integration charakteristischen, tendenziell unpolitischen Auswahl eine Vorgehensweise, die den höheren Politikgehalt der heutigen integrationswürdigen Materie als Herausforderung annähme. bb) Träger der Integration Auch beim zweiten Element der Politisierung, den Integrationsträgern, würde es sich um eine problemorientierte Neuverteilung der Schwerpunkte innerhalb des Gemeinschaftsprozesses handeln. Entgegen der bisherigen Gepflogenheit, die nationalen und europäischen Administrationen nahezu als alleinige Planer, Vollzieher und Träger von Integrationsschritten zu betrachten, sollten diese Funktionen aufgeteilt und teilweise delegiert werden. Es ginge darum, in vertretbarem Umfang breiten Bevölkerungsschichten direkt und über ihre Verbände aktive Rollen in der Gemeinschaftspolitik und im Einigungsvorgang zu übertragen, und zwar je nach dem Selbstverständnis ihrer Aufgaben in der Gesellschaft. Dazu würde auch gehören, daß dieses Selbstverständnis im Einzelfall für den europäischen Rahmen neu zu bestimmen wäre und die Akteure folglich auch ihre innere Organisation dementsprechend umzubilden hätten. cc) Infrastruktur Dritte Komponente der Politisierung wäre die Entwicklung einer europäischen institutionellen und politischen Substruktur, die den Leerraum zwischen der Basis und den entscheidenden europäischen Gremien auszufüllen vermöchte. Damit sind einmal verschiedene transnationale Plattformen gemeint, auf denen die Vielzahl der nicht-staatlichen Integrationsakteure sich über ihre Interessen und Werte bezüglich europäischer Politik auseinandersetzen bzw. ihre Bedürfnisse gegenüber Europa überhaupt artikulieren können. Zum anderen geht es um Mechanismen der Weitervermittlung von politischen Ansprüchen und Einstellungen nach Brüssel sowie — in umgekehrter Richtung — um die Multiplizierung des Informationsflusses von der Gemeinschaftszentrale in die europäische Öffentlichkeit hinein. Schließlich gehört in diese Kategorie die ganze Palette der Kooperations-und Regelungsmöglichkeiten zwischen Akteuren von Einzelstaaten, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland als Bundesstaat mehr oder weniger exemplarisch angelegt sind. Für diese Art von Direktkontakten auf subgouvernementaler Ebene mit wechselnden Partnern und Anlässen wären von den nationalen und europäischen Regierungen die Rahmenbedingungen zu entwickeln. Die Entstehung einer solchen politischen Infrastruktur würde der beiden oben genannten Politisierungselemente als Ergänzung bedürfen: Nur bei gleichlaufender Schwerpunktbildung in nicht-technischen Integrationspolitiken und bei Bereitschaft zu intensivierter Beteiligung der Bürger an den Planungen und Entscheidungen der Gemeinschaft würde sich eine dauerhafte Basis für die Konsens-und Integrationsfähigkeit der europäischen Regierungen entwickeln lassen.

Unter diesen Bedingungen würde beispielsweise die Diskrepanz zwischen nationalem Politikmonopol und transnationaler Problem-struktur nicht mehr als Dilemma hingenommen, sondern als Uberbrückungsaufgabe interpretiert. Die Förderung nur einer der drei Komponenten des Politisierungskonzepts würde dagegen im Integrationszusammenhang kaum etwas bewirken. Ein Infrastrukturrahmen, der weder durch geeignete Akteure noch durch politische Masse ausgefüllt wäre, vermöchte nicht jene Problemursachen der Europapolitik so in Angriff zu nehmen, wie es deren Komplexität und Verwobenheit verlangt. Erst die gleichgewichtige Entwicklung der Politisierungselemente würde sie voll funktionsfähig machen. b) Simulation des Vorgehens Der Prozeß der Politisierung in der Gemeinschaft befindet sich bereits in Bewegung, seine Faktoren sind ansatzweise entwickelt. Eine Reihe politisch schwieriger Materien, wie beispielsweise die Statuten der Europa-AG, die Währungsschlange, die gemeinsame Energie-politik, ist in Angriff genommen. Eine Vielzahl von Interessenvertretern und Verbänden, vor allem Wirtschaftsverbänden und Berufsorganisationen, ist im Willensbildungsprozeß der Gemeinschaft engagiert; dafür sind auch institutionelle und politische Substrukturen vorhanden. Dieser Bestand, der quasi als Nebenprodukt der „negativen" Integration mehr oder minder spontan entstanden ist und als „passive" Politisierung bezeichnet werden kann, wäre durch einen „aktiven" Politisierungsprozeß fortzuentwickeln.

Am Beginn dieses Vorhabens müßte eine Verständigung der Beteiligten über Ziele, Motive und Maßnahmen stehen, d. h. es müßte umfangreich vorbereitet sein und dürfte seinem Charakter entsprechend nicht nur in einer Ressort-oder Interessenperspektive allein gestartet werden. Die Initiative dazu könnte zwar von jeder der europäischen Akteursebenen ausgehen, würde aber zur Multiplizierung ihrer Wirkung von Anfang an der Aktionsbereitschaft und -fähigkeit mehrerer Integrationsträger bedürfen. Denkbar wäre, daß die neun Regierungen in Zusammenarbeit mit der EG-Kommission Maßnahmen zur aktiven Politisierung der Gemeinschaftsbildung in Gang setzten, und zwar durch eine Einigung darüber, daß den Problemursachen der stagnierenden Integration mit einem politisch-strukturellen Konzept begegnet werden müßte. Eine solche Deklaration könnte Teilergebnis einer Sitzung des Europäischen Rates sein oder als qualitativ inhaltlicher Anspruch im Rahmen der Berichte und Stellungnahmen zur Substanz der Europäischen Union eingebracht werden.

Umgekehrt könnte die Diskussion um die Europäische Union eine Ansatzthematik sein für eine umfangreiche Beteiligung aller politischen Kräfte in Europa Bei solchen Grundsatzdebatten müßten die Aufgabenhorizonte und -dimensionen für die westeuropäische Gesellschaft insgesamt überschaubar gemacht werden, so daß die europäischen Interessengruppen die Definition ihrer meist binnenpolitischen Ziele vor dem Hintergrund der außenpolitischen Notwendigkeiten der Staatengruppe vornehmen könnten. Es handelt sich dabei um Problemverbindungen, die sich nicht von der Ministerialbürokratie allein klären lassen. Hier ist die Situation zumindest in dieser Hinsicht anders als bei der Phase vor den Verträgen vom Jahr 1958. Es geht um Entscheidungen, von denen die Bevölkerung weiß, daß sie sie unmittelbar berühren; es geht letztlich um die Ausarbeitung einer Europäischen Verfassung.

Für die Erstellung von Verfassungsinhalten scheinen die Ausschüsse hoher Beamter nur wenig liefern zu können. Eher wären die nationalen Abgeordneten, die gleichzeitig europäische Abgeordnete und lokale Wahlkreis-vertreter sind, in der Luxemburger Versammlung wohl das berufene Gremium. Der Ankündigungseffekt der Direktwahl des Europäischen Parlaments für 1978 hat schon erwiesen, daß es durchaus politisches Gewicht und Autorität entwickeln kann, daß die Parteien Möglichkeiten und Notwendigkeiten für substantiellere Zusammenarbeit sehen und daß politische Strukturveränderungen mit dieser Methode eingeleitet werden können Dieses Beispiel für materielle Ansatzstellen zur Politisierung der Gemeinschaft läßt sich durch eine Fülle weiterer Materien im Rahmen europäischer Außen-und Binnenpolitik ergänzen. Hinweise dafür geben etwa der Wunsch des Europäischen Gewerkschaftsbundes, die Implikationen des Lome-Abkommens mitzutragen und das Verlangen der Europäischen Unternehmerorganisation UNICE nach einer Erörterung von Inhalten gemeinschaftlicher Rohstoffpolitik u. a.

Entscheidend bei der Aufnahme dieser Ansätze wäre, daß nach der Anstoßphase der Politisierung ihre Inganghaltung gesichert bliebe, und zwar mit Hilfe andauernder politischer Funktionen und Herausforderungen, an denen sie sich fortentwickeln könnte. Gleichzeitig müßten die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Entfaltung des Politisierungsprozesses verbessert und der Prozeß selbst gesteuert werden. Vor allem den Regierungen fiele hierbei neben der Kommission die entscheidende Rolle zu. Prozeßsteuerung würde über eine Leitlinienbildung hinaus bedeuten, Anreize und Pilot-Projekte zu schaffen sowie materielle und immaterielle Hilfestellungen zu leisten.

Diese Fragen der Prozeßlenkung sind aber auch unter den nicht-gouvernementalen Akteuren selbst von Bedeutung. Beispielsweise sind zumindest in der Bundesrepublik die Gewerkschaften davon überzeugt, „daß ohne Rückendeckung durch die politischen Parteien, die einheitliche Programme für Europa entwickeln, die Gewerkschaften nicht der entscheidende Stoßtrupp sein können" Die Politisierungsstrategie in Westeuropa wäre von diesen Interdependenzen unter den großen gesellschaftlichen Gruppen ebenso bestimmt wie durch deren Ideen-und Interessengegensätze. Die europäische Auseinandersetzung der gesellschaftlichen Gruppen in Westeuropa untereinander müßte daher als Teil eines neuen Entscheidungsprozesses in der EG betrachtet und betrieben werden: Durch Einbezug bisher im europäischen Geschäft marginal operierender Integrationsakteure wäre die gegebene eindimensionale Entscheidungsstruktur nach und nach von einer vervielfältigten Willensbildung gestützt.

Parteien und Verbände wären anzuhalten, auf breiter Front als Vermittler für Forderungen und Stellungnahmen zwischen Bevölkerung und europäischer Administration zu wirken. Umgekehrt wären die Programme und Vorhaben der europäischen Gremien in den Unter-gliederungen der Verbände und Parteien zu diskutieren. So hätten sich hier wie da substantielle Leitlinien, europapolitische Standpunkte und Aktionskonzepte herauszubilden. Die Wechselwirkungen von konkreten Anliegen und ihre Diskussion auf breiter Basis einerseits sowie den Entscheidungsimpulsen von unten auf die europäische Handlungsinstanzen andererseits würden das prozedurale Kernstück politisierter Gemeinschaftsbildung ausmachen. -

Für die Wechselwirkungen und Kommunikationsprozesse zwischen der Bevölkerung und der europäischen Administration stünden grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung: aa) Der vertikale Weg In diesem Fall würde die Erörterung und Promovierung europäischer Fragen essentiell im nationalen Rahmen erfolgen, in den eingespielten Gremien und unter Benützung der nationalen Vermittlungskanäle. Endstation dieses parallelen und isolierten Prozesses in den neun Staaten wäre entweder die nationale Regierung, die sich mit den politischen Führungen der übrigen Mitgliedsländer konzertiert, oder direkt die europäische Administration. Europäischer Adressat und Absender würden somit über die jeweiligen nationalen Spitzen als Relais bedient. bb) Der horizontale Weg Hier käme es zu direkter Querschaltung innerhalb der neun Staaten auf — soweit wie möglich — jeder Artikulations-und Aktionsebene. Die Behandlung von europäischen Problemen würde hier in erster Linie transnational erfolgen, d. h. die nationalen Willensbildungsprozesse wären miteinander verflochten.

Beide Wege sind zwar analytisch trennbar, in der Realität jedoch teilweise miteinander verknüpft. Die Entwicklung der Möglichkeit, sowohl auf die eine wie auf die andere Weise vorgehen zu können wie die Verbindung beider zu benutzen, würde den Akteuren wichtige Handlungsoptionen verschaffen. Während auf dem bisher überwiegend verfolgten ersten Weg im Höchstfall die Interessen der nationalen Gruppen europäischen Charakter er-13 hielten, würde sich über den horizontalen Weg zusätzlich eine Europäisierung von Gruppenorganisationen herausbilden. Im Rahmen der Politisierungsstrategie der Gemeinschaft wäre folglich der zweite Weg besonders zu betonen, da er auf eine Vervielfachung der zwischenstaatlichen Konsensbildungsebenen abzielt und somit Potentiale für die Bildung einer innergemeinschaftlichen Infrastruktur entstehen läßt. Die Entwicklung des politisch-strukturellen Unterbaus in Westeuropa hätte je nach Handlungsträger und Fragestellung besondere Ausprägungen. Eine zentrale Rolle käme den politischen Parteien und den Sozialpartnern zu. Ein bedeutender Teil ihrer Aktivitäten wäre daraufhin zu untersuchen, ob und in welchem Umfang er europäisiert werden sollte. Dies wäre zu betreiben über häufigere europäische Zusammentreffen, über Anstrengungen zur Identifizierung europäischer Probleme und Erörterungen ihrer Lösungsmöglichkeiten. Hier würden sich allmählich institutionelle und politisch-normative Verflechtungen einstellen, Absprachen gemeinsamer europaspezifischer Ziele und Aktionen entwickeln lassen, und schließlich käme es zur Bildung von Föderationen. Weitere Aufbauelemente wären die Bildung grenzüberschreitender Regional-und Lokal-verbände sowie Kooperationsabkommen zwischen Kammern und Kommunalverbänden. Grenzarbeitsgemeinschaften hätten vornehmlich an den Binnengrenzen der Gemeinschaft ein weitreichendes Feld für fruchtbare Zusammenarbeit (Regionalplanung etc.) Möglicherweise ist diese Betonung der lokalen transnationalen Orientierung der Integration weitaus förderlicher als bisher angenommen. Neben der Entwicklung dieser zwischenregionalen und zwischennationalen Direktbeziehungen auf verschiedenen Ebenen der Gemeinschaft würde die Intensivierung der politischen Aussprache und Aktion in den bestehenden europäischen Gremien (Europäisches Parlament, Wirtschaftsund Sozialausschuß, Ständiger Ausschuß für Beschäftigungsfragen, Paritätische Ausschüsse, etc.) einen weiteren Schwerpunkt des Vorgehens nach dem hier erwogenen Konzept bilden. Uber die qualitative Verbesserung dieser Organe und Institute ist in jüngster Zeit sehr viel diskutiert wor-den Darüber hinaus wäre der quantitative Ausbau dieser Mitwirkungsgremien (z. B. Sozialkonferenz, Regionalpolitischer Ausschuß) für die Mobilisierung der Direktkontakte zwischen europäischen Bevölkerungsgruppen einerseits und deren Verknüpfung mit den europäischen Entscheidungsgremien andererseits zentral Nur wo Partizipation auch erkennbaren Gestaltungseinfluß auf europäische Politik bedeutet, wird sich hinreichend breit gestreutes Engagement für europäische Problemlösungen finden lassen.

Dies gilt nicht nur für den unmittelbar verbandsbezogenen Selbstzweck, sondern vor allem für die Entwicklung der europäischen Integration als eines nicht verbandsspezifischen Fremdzwecks. Die Politisierungsstrategie basiert darauf, daß Selbstzweck optimal nur durch gleichzeitige teilweise Übernahme von Fremdzweck erfüllt werden kann. Die Aufgabe, die sich insofern für alle Akteure einschließlich der Regierungen stellt, lautet, die europäische Bewußtseinsbildung zu erhöhen und die Voraussetzungen dazu zu entwickeln, indem das politische Leben auf europäischer Ebene organisiert und gleichzeitig das innerstaatliche politische Leben europäisiert wird. 2. Das Konzept in der Anwendung: ambivalente Konsequenzen Das Politisierungskonzept ist als integrationspolitische Maßnahme gedacht, und zwar zur Beseitigung und Überbrückung der oben beschriebenen politisch-strukturellen Unzulänglichkeiten im Prozeß der Gemeinschaftsbildung. Innerhalb dieser Aufgabe liegt das Schwergewicht auf der Entwicklung europäischer Substrukturen als integralem Teil des gesamten policy-making-Prozesses in der EG, d. h. erst in zweiter Linie auf einer Reformierung der Entscheidungswege und -organe in Brüssel wenngleich diese im Zuge der Entwicklung der Substrukturen adäquate Veränderungen zu erfahren hätten. Das Anliegen besteht also weniger in der Reform vorhandener Organe als in der prinzipiellen Fort-und Neuentwicklung des bisher schwachen europäischen Unterhaus. a) Erfolgversprechende Wirkungen Die Erwägung der Politisierung böte die Chance, sich die Unausgewogenheiten und Defizite im Integrationszusammenhang bewußt zu machen. Dies wäre entscheidend für das Erkennen der Voraussetzungen einer qualitativen Fortentwicklung zu „positiver" Integration, für die folglich notwendige Änderung der Optik bei den Integrationsträgern. Gleichzeitig wären die Ansprüche und Erwartungen an eine Europäische Union damit in ein realistisches Licht gerückt. Es wäre deutlich, daß zur Überwindung der andauernden europäischen Schwierigkeiten an den Problemursachen anzusetzen ist. Beispielsweise könnte dem Erfordernis Rechnung getragen werden, daß Wohlstandssicherung ein transnationales Unterfangen ist und die Gemeinschaft als regionale Ebene eine optimale Größe dafür besitzt. Dies gilt ferner für die Erhaltung eines beständigen sozialen und gesellschaftlichen Fortschritts. Aber ebenso für Währungs-, außenpolitische und Versorgungsfragen wäre durch Politisierung eine Effizienzsteigerung möglicher, u. a. über gesteigerte Solidaritätsbereitschaft aufgrund gemeinsamer Willensbildung breiter Bevölkerungsgruppen

Die Partizipation vieler Handlungsakteure und Gruppen würde unter dem Aspekt der Verantwortungsübernahme vor allem Krisen-und Rezessionssituationen gerecht, aber auch die Schwierigkeiten der Schönwetter-Perioden, wie die wachsenden nationalen Disparitäten und Prioritätsunterschiede, wären eher überbrückbar: Die Politisierung wäre nicht als Mittel zur Beseitigung solcher Ungleich-gewichte und Disharmonien gedacht, sondern als Weg zur Verständigung über solche Ungleichartigkeiten sowie über Fragen der Opportunität des Ausgleichs. Damit könnten Lösungen in der Sache möglich sein und doch Integrationsoptionen offengehalten werden, möglicherweise wären wegen „klimatischer" Verbesserungen sogar Fortschritte erleichtert. Integrative Wirkungen selbst wären vornehmlich durch die Schaffung der strukturellen Voraussetzungen für „positive" Integration in Westeuropa zu erwarten. Die Politisierung träfe sich hier inhaltlich mit dem Prozeß der Herausbildung von Regeln und Zielen für den koordinierten Einsatz des interventionistischen Instrumentariums in der EG. Es würde sich um den Anspruch handeln, die Dimen-sion der gemeinschaftlichen Interventionspolitik nicht nur der Dimension der problemverursachenden Faktoren anzupassen, sondern darüber hinaus das bestehende Vakuum legitimatorischer Sicherungen auszufüllen. Für die einzelnen Entscheidungen im Rahmen gemeinsamer Prozeßund Ordnungspolitik würde durch die Politisierung begonnen, die adäquaten Legitimationsebenen aufzubauen. Neben der bisherigen europäischen Organisation des Sachverstandes der Gruppenvertreter würden nunmehr auch ihre politischen Orientierungen über den nationalen Rahmen transzendiert. Die europäisierte Auseinandersetzung der gesellschaftlichen Gruppen untereinander wäre Bestandteil des neuen Willensbildungsprozesses in der EG. Die Kapazitäten der Konfliktaustragung auf Gemeinschaftsebene würden ausgedehnt. Diesem Prozeß läge einmal die Bewahrung des Ideals der gesellschaftlichen Gruppenvielfalt und -konkurrenz zugrunde, zum anderen die Vermutung, daß damit eine wesentliche Voraussetzung für eine europäische Machtbestätigung der regierenden Eliten erfüllt sein könnte.

Dadurch wäre der Gemeinschaftsbildungsprozeß an zentraler Stelle verbessert. Der Aufbau einer europäischen politischen Infrastruktur würde helfen, den Entwicklungsgang Europas ausgeglichener und stabiler zu gestalten. National geschwächte Regierbarkeit wäre europäisch konpensierbar. Der jetzigen Integrationsphase wäre insofern entsprochen, als die Fähigkeit bestünde, Integriertes zu verfestigen, zu verwalten und seine Eigendynamik im Rahmen „positiver" Integration zu lenken. Damit wären zentrale Teile der erforderlichen Grundausstattung der Europäischen Union vorbereitet.

Im Ergebnis können daher die positiven Wirkungen des Politisierungskonzepts als Möglichkeit eingestuft werden, die Voraussetzungen für die Realisierung von kurz-und mittelfristigen Grundzielen der westeuropäischen Einigung schafft und die Erreichung des langfristigen Ziels einer Staatengemeinschaft erleichtert. Anders als die normativ-funktionale Integrationsmethode, die ihren Wert für die „negative" Integration bewiesen hat, wäre für die neuen Probleme der „positiven" Integration die hier umschriebene Methode adäquat, wenngleich noch zu prüfen ist, inwieweit sie schwieriger zu verwirklichen und risiko-reicher sein wird. b) Risiken der Realisierung Die Inangriffnahme massiver Politisierung der Gemeinschaft unterliegt teils begünstigenden, teils hemmenden Bedingungen. Im Gefolge der internen EG-Krise und der wirtschaftlichen Rezession wurde die Unzulänglichkeit der gegebenen Verfahren zur Steuerung und Fortentwicklung der Gemeinschaftspolitik nur zu evident. Die Bereitschaft zur grundsätzlichen Behebung einiger Konstruktionsmängel der EG scheint insofern bei den Regierungen gestiegen zu sein. Andererseits dürfte die instinktive Flucht der Regierungen aus der EG in den Nationalrahmen bei Belastungssituationen nach wie vor die Regel bleiben so daß möglicherweise eher die Handlungsträger der nicht-gouvernementalen Ebene für eine Umsetzung der Politisierungsstrategie in Frage kämen. Sie wiederum sind weitgehend auf Initialzündungen seitens der Regierungen angewiesen, da sie — bezogen auf ihre Aufgaben und ihre Organisation — noch dem Trägheitsmoment der nationalen Ausrichtung unterliegen.

Dieser Kreislauf deutet bereits an, daß mit einem plötzlichen Durchbruch zugunsten einer weitgreifenden Politisierungswelle kaum zu rechnen ist, selbst wenn eine solche Aktion durch einen spektakulären Entschluß der Regierungschefs eingeleitet würde. Die Erfolgs-erwartungen müßten sich daher weniger auf den großen Wurf als vielmehr auf eine stetig durchdringende Einsicht stützen, wie sie bei einigen Akteuren und Gruppen bereits zu beobachten ist. Die europäischen Parteitreffen mit spezifisch europäischen Diskussionsthemen werden in jüngster Zeit häufiger. Die Berufs-und Unternehmensverbände sind seit langem installiert. Die Gewerkschaften haben sich im EGB fast vollständig versammelt und organisieren allmählich gemeinsame Aktionen

Noch sind diese Aktivitäten etwas zufällig, mehr oder weniger isoliert. Die europäischen Verbandsteile sind weitgehend damit beschäftigt, sich intern zu strukturieren. Ihre personelle und materielle Substanz ist im Vergleich zu den nationalen Verbänden meist recht dünn. Den nationalen Verbänden fällt es schwer, ihre Rolle und teilweise ihre Organisationsstruktur bezogen auf die neuen Gegebenheiten zu reformieren und zu relativieren, was die entsprechende europäische Strukturbildung behindert. Auch die Interes senvielfalt und die politische Spektrumsbreite in einem einzigen „Lager" setzt die politische Wirksamkeit stark herab Es erfordert vie. Kraft, die verbandsinternen Diskussionen ir Gang zu bringen, wenn die Anreize, z. B. ir Form von tatsächlichem Entscheidungsein fluß, fehlen.

Die Schwierigkeiten im institutionell-organisatorischen Bereich sind demnach noch beträchtlich, im Verhältnis zu den politischen Barrieren gerade im Anfangsstadium einer Politisierungsinitiative sind sie jedoch gering. Die Regierungen sind unsicher in bezug auf Stellenwert und Dynamik einer wachsenden europäischen Infrastruktur. In einigen Hauptstädten (z. B. Paris) wird befürchtet, daß der Einfluß von Parteien und besonders der Gewerkschaften auf europäischer Ebene unverhältnismäßig ansteigt, wodurch die Steuerungsfähigkeit von nationaler und Gemeinschaftspolitik weiter sinken würde. Darüber hinaus wird befürchtet, daß mit dem Einflußzuwachs auf europäischer Ebene und durch transnationale Kooperation ein Machtzuwachs der nicht-gouvernementalen Eliten auch im nationalen Rahmen zu erwarten ist. Diese Entwicklungsperspektive bremst die Initiativfreundlichkeit der Regierungen, was sich um so stärker auswirkt, wenn sie im Integrationsprozeß (gering gesagt) Meinungsführer sind bzw.sein sollten, so wie es in der Bundesrepublik Deutschland etwa die Parteien für die Gewerkschaften sind.

Neben diesen psychologisch-strukturellen Hemmnissen wird die Realisierungsaussicht des Politisierungskonzepts nicht unerheblich durch die Tatsache beeinflußt, daß es mit seinen drei Komponenten („empfindliche" Materie, Vielzahl von Akteuren, europäische Substruktur) mitten in zwei zentrale Problem-komplexe der Gemeinschaftszukunft führt. Zum einen: Wie soll die gesellschaftliche Ordnung im Europa der Zukunft aussehen? Wie offen soll die Gesellschaft sein? Wie differenziert sollen Macht und Kontrolle verteilt sein? Wo sind Grenzen der Partizipation? Welchen Stellenwert soll Pluralismus haben etc.? Zum anderen: Welche Integrationsdichte wird für Europa angestrebt? Wieviel nationale Eigenständigkeit soll gegenüber der europäischen Zentralgewalt bewahrt bleiben? In welchem Umfang können je Sektor unter-schiedliche Gemeinschaftsqualitäten fortbestehen etc.?

Diese Fragen sind in Europa weitgehend offen, teilweise noch nicht einmal ernstlich politisch diskutiert. Eine Entscheidung für den Weg der Politisierung wäre in gewissem Umfang eine bestimmte Antwort. Beispielsweise könnte in der Verfolgung des Politisierungskonzeptes eine Gegenbewegung zur heutigen Betonung intergouvernementaler Gemeinschaftsbildung gesehen werden. Es ist einleuchtend, daß die Gewichtigkeit dieser Entscheidungen, die mit der Politisierungsfrage verbunden sind, einiges Zögern bei den Handlungsträgern erzeugt.

Diesen Umschaltschwierigkeiten von der „passiven" zur „aktiven" Politisierung und den Ungewißheiten der Entwicklung des Politisierungskonzepts stünde andererseits die Gewißheit gegenüber, daß substantielle Integrationsfortschritte in verschiedenen Bereichen ohne Beseitigung methodischer, politischer und struktureller Blockierungen, wie sie in Teil II beschrieben wurden, nicht zu erreichen sind. Solche Felder sind in erster Linie dort, wo die Bevölkerung gewohnheitsmäßig oder in jüngster Zeit ein gewisses Maß an Partizipation und Kontrolle verlangt und wo die Staatsregierungen auf Legitimation und Steuerungsfähigkeit angewiesen sind.

IV. Fazit

2. Bericht im Namen des Politischen Ausschusses über die Europäische Union (Berichterstatter: Alfred Bertrand)

Selbst eine zügige Verwirklichung des Politisierungskonzepts wird die beschriebenen politisch-strukturellen Mängel der Integration Westeuropas nur teilweise beheben können. Die Politisierung selbst schafft zusätzliche Schwierigkeiten, die Unwägbarkeiten bleiben erheblich. Aber ein Wandel in der Integrationsstrategie scheint ohne Risikobereitschaft nicht denkbar. Möglicherweise provoziert gerade ein gewisses Maß an Unkalkulierbarkeit jene kreativen und innovativen Kräfte, die für die Ausformung der neuartigen Gemeinschaftsqualität erforderlich sind.

Andererseits läßt sich unerwünschtes Risiko sicher nicht dadurch einschränken, daß der Prozeß sich selbst überlassen bleibt. Ungleichartige oder ausufernde Bewegungen, z. B„ in Richtung eines von den Gewerkschaften oder den Unternehmern gesteuerten Europa, könnten die Folge sein. Politische Willensbildung könnte sich am europäischen System vorbei entwickeln. Befürchtungen solcher Art mögen aus der Erfahrung vom Einzelstaat her als unrealistisch erscheinen; unter Berücksichtigung der Situation aller Mitgliedsstaaten zusammen, die gerade in einem qualitativen Wandel der Gemeinschaftspolitik zum Zuge kämen, kann sich jedoch eine andere Einschätzung ergeben. Vor allem durch Beteiligung am Prozeß ließen sich insofern Gefahren kalkulierbarer machen.

Die unerläßliche Beteiligung der Regierungen kann — wie gezeigt — nur bestimmte Inputs leisten. Dazu gehört in erster Linie die rationale Verarbeitung des Problems, d. h. die Erkenntnis, daß zu Unrecht vielerorts die Grundlinien der bisherigen Integrationsver-fahren weiterhin für zukunftsträchtig gehalten werden, obwohl sich der Integrationsprozeß inhaltlich gewandelt hat. Tatsächlich behalten jene Methoden weiterhin einen Wert, aber für die „positive" Integration sind sie untauglich; hier müssen adäquatere Konzepte erwogen werden.

Die Methodenentwicklung für „positive" Integration ist unterentwickelt. Sie wird um so wichtiger, je weitreichender die Erwartungen sind, die neuerdings wieder an die Europäische Union geknüpft zu werden scheinen. Selbst wenn die Europäische Union lediglich eine Festschreibung des Erreichten bringt oder als einfache Durchgangsstufe zu einer fernen Finalität definiert wird, würde ohne die beschriebene Konzeptbildung ein Teil des Fundaments fehlen. Welche qualitative Form der Staatengemeinschaft in Westeuropa auch immer anvisiert wird, ihre Inhalte (z. B. eine europäische Wirtschafts-und Währungspolitik) werden die Politisierung des Prozesses als Realisierungsvoraussetzung haben. Es gibt genug Gründe, um diesen eingangs bewußt an die „Mission Tindemans" geknüpften Diskussionsbeitrag von jener einseitigen Bindung zu befreien, denn selbst wenn die Prämissen und Hypothesen, von denen die Pläne zur Europäischen Union 1980 ausgehen, nicht akzeptierbar erscheinen, behalten die hier erwogenen binnenpolitischen Strukturverbesserungen ihre Bedeutung.

Diese Überlegungen mögen verdeutlichen, daß es konkrete Notwendigkeiten gibt, sich grundlegende Gedanken zu machen, ob und wie dieses „missing link" nicht nur im Rahmen der Pläne einer Europäischen Union diskutiert, sondern auch in den langfristigen In-17 tegrationsprozeß und das tägliche Gemeinschaftshandeln eingeführt werden soll, beziehungsweise wo es dort zu innovativen Schwerpunktbildungen kommen müßte. Nicht nur die Synopse der Pläne und Vorstellunge über die Europäische Union im Anhang die ses Arbeitspapiers zeigt, daß für das Angehei dieser Aufgabe noch Raum vorhanden ist.

V. Anhang

3. Vorschläge des Gerichtshofes zur Europäischen Union

Tabellarische Übersicht von Plänen und Überlegungen zur Europäischen Union Die nachfolgende Aufbereitung von Berichten und Diskussionsbeiträgen zum Problemkreis „Europäische Union" gibt einen Überblick über die Positionen — der Organe der EG — von gesellschaftlichen Gruppen aus Mitgliedsstaaten — des Europarates.

Die tabellarische Form wurde gewählt, um die Präsentation der unterschiedlich umfangreichen, in ihren Schwerpunkten und Intentionen z. T. erheblich divergierenden Beiträge zu vereinheitlichen und somit die Orientierung in ihnen und die Vergleichbarkeit zwischen ihnen zu erleichtern. Unvermeidlich werden auf diesem Wege einige Stellungnahmen in ein Prokrustesbett gezwängt, doch wiegt der Vorteil der größeren Übersichtlichkeit diesen Nachteil auf. Dennoch erlaubt die grobe Rasterbildung eine flüchtige Vergleichsprüfung, ob und in welcher Weise auf bestimmte Problemfelder eingegangen wird. Die so gewonnenen Aussagen sind zwar für ihren Zweck als Background-Material zur Einordnung des vorliegenden Arbeitspapiers hinreichend. Für weiterführende Analysen ist jedoch eine Lektüre der ausführlichen Originaltexte erforderlich. Während in die Übersicht alle Berichte der Organe der EG einbezogen wurden, handelt es sich bei den aufbereiteten Stellungnahmen gesellschaftlicher Akteure und Gruppen der Mitgliedsstaaten um eine zufällige Auswahl. Das Verfahren scheint gerechtfertigt, weil eine Vollständigkeit der Berichte bzw. eine Repräsentation der westeuropäischen Öffentlichkeit ohnehin nicht zu erreichen ist, wenn es in das Belieben dieser Akteure gestellt ist, ob sie Stellung beziehen oder nicht. Die aufgeführten Texte haben somit eher illustrativen als repräsentativen Charakter. Eine Ausnahme mag hiervon der Spierenburg-Bericht darstellen, der auf einer Diskussion der wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen der Niederlande beruht und für die eigene Regie rung erstellt wurde.

Berichte der Organe der EG 1. Kommission der Europäischen Gemein schäften: Bericht der Kommission über die Europäische Union, Brüssel, 25. 6. 1975 Dokument KOM (75), 400, 68 S.

2. Europäisches Parlament: Bericht im Namen des Politischen Ausschusses über die Europäische Union (Berichterstatter: Alfred Bertrand), Europäisches Parlament Sitzungsdokumente 1975— 1976, Dokument 174/75, 7. 7. 1975, 12 S.

3. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften: Vorschläge des Gerichtshofs zur Europäischen Union, Brüssel, 19. 7. 1974, Dokument 1/101/74 (AG 1), 10 S.

4. Wirtschafts-und Sozialausschuß der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom: Stellungnahme des Wirtschaftsund Sozialausschusses zur „Europäischen Union", Brüssel, 16. 7. 1975, Dokument CES 805/75, 21 S., mit Anhang Stellungnahmen gesellschaftlicher Gruppen 5. Adviescommissie Europese Unie: Europese Unie, Den Haag, 1. 5. 1975, 131 S.(Spierenburg-Bericht).

6. Institut für Europäische Politik: Europäische Union 1980. Fragen und Thesen im Hinblick auf den Tindemans-Bericht, Bonn 1975 (Verf.: H. Schneider, W. Wessels), 30 S.

7. Istituto affari internazionali: ohne Titel, ohne Datum (Entwurf eines Berichtes für die Association d'Etude politique Transeuropeenne), 12 S.

8. Association Franaise d’Etude pour l'Union Europeenne: ohne Titel, 23. 5. 1975 (Entwurf eines Berichts der Association d’Etude politique Transeuropeenne), '17 S.

9. Europäische Bewegung: Stellungnahme des Bundesrates der Europäischen Bewegung zur Europäischen Union v. 9. /10. 5. 1975, in: Informationsdienst des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, 8/1975 (Beilage der Zeitung „Europa Union", August 1975).

Bericht des Europarats 10. Europarat, Parlamentarische Versammlung, Ausschuß für politische Fragen, „Charta der Europäischen Union" (Leynen-Bericht), Straßburg, 9. Juni 1975, 13 S.

ß

4. Stellungnahme des Wirtschafts-und Sozialausschusses zur Europäischen Union

Fussnoten

Fußnoten

  1. So z. B. bei U. Everling, Die Europäische Gemeinschaft nach der zweiten Pariser Konferenz, in: Europa-Archiv, Vol. 30, Nr. 3 (1975), S. 59— 68. Auch der Tenor der Ausführungen von P. Fischer: „By the skin of our teeth — Gedanken zum Stand der europäischen Einigung", unterstreicht den krisenhaften Zustand der Gemeinschaft. In: Europa-Archiv, Vol. 30, Nr. 4 (1975), S. 95— 102. Diese Stimmen aus jüngster Zeit ließen sich unschwer um ähnliche Äußerungen aus den vergangenen Jahren ergänzen.

  2. Vgl. dazu Elke Thiel, Die europäische Gemeinschaftsbildung im Zeichen währungspolitischer Unsicherheit, SWP — S 230, Ebenhausen, August 1974.

  3. Vgl. dazu G. Roth, Zur Europapolitik der Regierung Nixon, SWP — S 238, Ebenhausen, Mai 1975.

  4. Diese Annahme wird am deutlichsten bei Ph. C. Schmitter, A Revised Theory of Regional Integration, in: International Organization, Vol. 24, Nr. 4 (1970), S. 836— 868, der Integration als „crisis in-duced cycles" beschreibt. Aber auch die Analyse der EWG-Krisen durch Zellentin legt nahe, daß die krisenhaften Zustände den Integrationsprozeß letztlich nicht entscheidend aufhalten können. Vgl. G. Zellentin, Krisen der europäischen Integration. Ursachen und Wirkungen, in: Integration, Nr. 1 (1970), S. 20— 37. Zur Anwendung des Begriffs „Krise" in der sozialwissenschaftlichen Analyse politischer Prozesse ist in den letzten Jahren eine lebhafte Diskussion entstanden, die zusammenlassend gewürdigt wird in: W. D. Eberwein, Krise und Konflikt. Zum Stand der Theorie, Saarbrücken 1973. Siehe zu dieser Thematik auch die Arbeiten von M. Jänicke, der versucht, eine eigenständige „Krisenforschung" als Bestandteil der Politikwissenschaft zu etablieren. Vgl. hierzu M. Jänicke (Hrsg.), Politische Systemkrise, Köln 1973.

  5. Diese Unterscheidung wurde von Pinder in die Diskussion eingeführt mit dein Versuch, den dahinterstehenden, sehr komplexen realen Sachverhalt mit Hilfe relativ griffiger Konzepte zu bezeichnen. Vgl. für Einzelheiten: J. Pinder, Positive Integration and Negative Integration, in: The World Today, Vol. 24, Nr. 3 (1968), S. 88— 110. Die Kommission spricht von „passiver" und „aktiver" Integration, um den qualitativen Wandel zu verdeutlichen. Vgl. Kommission der EG, Bericht der Kommission über die Europäische Union, Brüssel, KOM (75) 400.

  6. Als Protagonisten dieser Position können genannt werden: W. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, Düsseldorf 1973; P. Werner, Die Wirtschafts- und Währungsunion im Hinblick auf den politischen Zusammenschluß Europas, in: Europa-Archiv, Vol. 27, Nr. 10 (1972), S. 329— 340. Auch die Vertreter der neofunktionalistischen Integrationstheorie anglo-amerikanischer Provenienz (Haas, Lindberg, Nye u. a.) sowie jene europäischen „Praktiker", die die Integrationsentwicklung in eine erste und zweite Generation einteilen (Weinstock u. a.), erwecken den Eindruck, als handle es sich um einen kontinuierlich fortschreitenden Prozeß.

  7. Zum Konzept des Spillover vgl. E. B. Haas, The Uniting of Europe, Stanford 1958; Ph. C. Schmitter, Three Neo-Functional Hypotheses about International Integration, in: International Organization, Vol. 23, Nr. 1 (1968), S. 161- 166.

  8. Die deutlichste Darstellung dieser Konzeption, in der gesellschaftlicher Pluralismus, marktgesetzliche Steuerungsmechanismen und technokratische Elitenkooperation Zusammenwirken, gibt E. B. Haas, Technocracy, Pluralism and the new Europe, in: St. Graubard (Hrsg.), A New Europe?, Boston 1964. Vgl. auch den Beitrag desselben Autors über „Regional Integration", in: International Encyclopedia of the Social Sciences, Band 7 (1968), S. 522- 528.

  9. Vgl. dazu J. Pinder, Positive Integration, a. a. O., und das Kommunique der Konferenz der Staats-und Regierungschefs der erweiterten Europäischen Gemeinschaft am 19. /20. Oktober 1972 in Paris, in: Europa-Archiv, Vol. 27, Nr. 21 (1972), S. D 502— 508.

  10. Vql. dazu W. Neubauer, Europäische Integrationspolitik heute — Alternativen zum Werner-Plan, in: Europäische Wirtschaftsintegration und Währungsvereinigung. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, Brüssel, Oktober 1973.

  11. Zum Begriff und seinen Inhalten vgl. H. von der Groeben und E. J. Mestmäcker, Ziele und Methoden der europäischen Integration, Frankfurt 1972, S. 13— 23.

  12. Vgl. dazu E. Thiel, Die Problematik der westeuropäischen Integration unter veränderten Rahmenbedingungen. Das Beispiel der italienischen Importrestriktionen, SWP — LN 2044, Ebenhausen, Mai 1974.

  13. Vgl. dazu die Bilanz der bisherigen Integration in F. Deppe (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Reinbek 1975, bes. S. 186— 233'.

  14. Vgl. dazu M. Preisinger-Monloup, Strukturpolitische Bedingungen einer europäischen Wirtschafts-und Währungsunion im Industriebereich, SWP — S 229, Ebenhausen, Juli 1974; H. Berg, Zur Funktionsfähigkeit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Göttingen 1972.

  15. Vgl.den Text des Kommuniques in: Europa-Archiv, Vol. 30, Nr. 2 (1975), S. D 41— 46, bes. Ziffer 19.

  16. Die folgenden Überlegungen versuchen, einige Aspekte der gegenwärtig in der bundesdeutschen Politikwissenschaft geführten „Legitimations-Diskussion" aufzugreifen und für die Analyse der EG-Situation fruchtbar zu machen. Dabei wird darauf hingewiesen, daß es nicht um die Frage der Legitimation politisch-sozialer Gesamtsysteme geht, sondern daß nur die Legitimation von politischer Entscheidungsmacht einzelner Akteure, besonders von nationalen Regierungen, im Prozeß der Integration analysiert wird. Damit bekommt die Erörterung der Problematik einen vorwiegend macht-und herrschaftsorientierten Aspekt, weniger einen formalen staatsrechtlich-institutionellen.

  17. G. Zellentin, Europa 1985, Bonn 1972, S. 62.

  18. Vgl. zum Problem der „Vermachtung" des Wirtschaftsbereiches u. a. H. Arndt, Wirtschaftliche Macht, München 1974; D. Grosser, Konzentration ohne Kontrolle, Köln 1969; R. Miliband, Der Staat in der kapitalistischen Gesellschaft, Frankfurt 1972.

  19. Vgl. dazu A. Lindbeck, The Changing Role of the National State, in: Kyklos, Vol. 28 (1975), Fase. 1, S. 23— 46; R. Keohane, J. Nye (Hrsg.), Transnational Relations and World Politics, Cambridge/Mass. 1972.

  20. Vgl. zum Begriff Ratsverfassung J. Preisinger, Neue Institutionen für Europa?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42-43/72, S. 1— 14.

  21. Zellentin, übernationale Zusammenschlüsse als Bedingung der Globalsteuerung in Europa (unveröffentl. Manuskript), 1973, S. 24.

  22. Vgl. zu den hier behandelten Verhaltensweisen der gesellschaftlichen Akteure u. a. K. H. Nass-macher, Demokratisierung der Europäischen Gemeinschaften, Bonn 1972; W. Elsner, Die EWG — Herausforderung und Antwort der Gewerkschaften, Köln 1974.

  23. Nicht behandelt werden die exogenen Problemursachen, die sich aus der Verflechtung der EG mit dem internationalen System ergeben, ebenso bleiben auch die auf Bedürfnis-und Interessen-unterschiede zwischen den Staaten beruhenden Schwierigkeiten außerhalb des hier gesetzten Analyseschwerpunktes.

  24. Vgl. dazu Ph. C. Schmitter, Three Hypotheses, a. a. O.

  25. Vgl. J. Schwarz, Entwicklungsprobleme der Europäischen Gemeinschaft, in: H. -P. Schwarz (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, München 1975, S. 711— 722.

  26. Vgl. die im Anhang angeführten Berichte und Stellungnahmen zur Europäischen Union.

  27. Für ein auf den sozial-und gesellschaftspolitischen Bereich der EG beschränktes Konzept vgl. R. Rummel, Soziale Politik für Europa — Ein integrationspolitisches Konzept, Europäische Schriften, Band 38, Bonn 1975.

  28. In diesem Sinne hat beispielsweise der Kongreß

  29. In diesem Sinne äußerte sich Kommissionsmitglied Guido Brunner; vgl. Vereinigte Wirtschaftsdienste (VWD), 28. 5. 1975, S. 1/4. Tatsächlich ist in

  30. Vgl. VWD, 29. 4. 1975, S. 1/5.

  31. Vgl. VWD, 16. 1. 1975, S. 1/4.

  32. Vgl. Hensche (DGB-Bundesvorstand) in Frankfurter Rundschau, 16. 7. 1974, S. 4.

  33. Vgl. V. v. Malchus, Partnerschaft an europäischen Grenzen — Integration durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Europäische Schriften, Band 39/40, Bonn 1975; Ortoli, Die Europäische Union im Jahre 1980: Bürger, Gemeinden und Regionen — deren Stellungnahmen zu den Regierungsvorschlägen, Ansprache, Wien 3. 4. 1975.

  34. Beispielsweise wurde eine Neubelebung des Ständigen Ausschusses für Beschäftigungsfragen im Herbst 1974 erwogen und auch durchgeführt, nachdem er seit 1972 brachgelegen hatte. Vgl. VWD, 18. 12. 1974, S. 1/5.

  35. Die europäischen Gewerkschaften forderten z. B. eine außerordentliche Sozialkonferenz über die Folgen der Energiekrise. Vgl. VWD, 28. 1. 1974.

  36. Vgl. die Anregungen hierzu bei Ch. Sasse, Regierungen, Parlamente, Ministerrat, Bonn 1975 (Europäische Studien, Bd. 6).

  37. Als punktförmiger Ansatz dazu könnte die bereits erwähnte Bereitschaft des EGB „zu einer wirksamen Mitarbeit an einer offenen Politik der Entwicklungs-Zusammenarbeit" gesehen werden.

  38. Diese Reaktion ist besonders einleuchtend, wenn man den Uuterschied zwischen „Integration im Wachstum" und „Integration in der Rezession" berücksichtigt.

  39. Beispielsweise hat der EGB eine Initiative zur Kontrolle „ausufernder internationaler Wirtschaftsmacht" unternommen und einen Vorschlagskatalog der EG-Kommission übermittelt. Vgl. VWD, 5. 2. 1974, S. 1/3.

  40. Vgl. dazu G. Vedel, Europäische Parteien vorerst noch Zukunftsmusik, in: VWD, 29. 4. 1974, S. 1/1 f.; ferner: Welten liegen zwischen den Gruppen, in: VWD, 16. 7. 1975, S. 1/1 f.

Weitere Inhalte

Heinz Kramer, Dipl. -Volkswirt, geb. 1945; Studium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Hamburg und Saarbrücken; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit, Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen/Isartal. Veröffentlichungen: Regionale und internationale Integration als Wege zu einer Friedensordnung, in: Europa-Informationen, Bergisch Gladbach 1970; Transaktionen zwischen Ost-und Westeuropa als Mittel kooperationsfördernder System-veränderung, in: Jahrbuch für Friedens-und Konfliktforschung Bd. 2, Düsseldorf 1972; Politische Ursachen der Krise der Europäischen Gemeinschaften, in Die Europäische Gemeinschaft in der Krise, Hamburg 1974; Nuklearpolitik in Westeuropa und die Forschungspolitik der EURATOM, (im Druck) Köln 1976. Reinhardt Rummel, geb. 1944; Studium der Volkswirtschaftslehre in München und der Politischen Wissenschaft in Paris; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit; Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen/Isartal, und Lehrbeauftragter am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. Veröffentlichungen u. a.: Une agriculture europeenne ä visage humain, in: 30 Jours d'Europe, Paris 1971; Aufgabe der Wirtschaft: Rückbesinnung auf den Menschen, in: Marktwirtschaft, München, Oktober 1972; Soziale Politik für Europa (Europäische Schriften, Bd. 38), Bonn 1975.