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Verfassungstreue im öffentlichen Dienst | APuZ 25/1976 | bpb.de

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APuZ 25/1976 Verfassungstreue im öffentlichen Dienst Zum „Offensivkonzept zur Bekämpfung des anarchistischen Terrorismus" der CDU/CSU

Verfassungstreue im öffentlichen Dienst

Friedrich Schäfer

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet die Freiheit, jede auch extreme politische Meinung zu vertreten und sich, einzeln oder organisiert, für sie einzusetzen. In dieser freien politischen Auseinandersetzung entscheiden in der Demokratie letztlich die Wähler, wem sie vertrauen. Die extremistischen Parteien haben in den letzten Jahren schwere Niederlagen bei allen Wahlen erlitten. Eine davon zu unterscheidende Frage ist es, ob der aktive Anhänger einer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Politik eben jene von ihm bekämpfte Verfassung vertreten und verwirklichen kann, wie das von den Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu fordern ist. Die historische Erfahrung in Deutschland seit 1919 hat gezeigt, daß eine demokratische Verfassung nur Bestand haben kann, wenn der öffentliche Dienst für sie eintritt. Der Niedergang der Weimarer Verfassung und seine Folgen haben 1949 zu einer Verfassung geführt, in der diese historische Erfahrung ihren Niederschlag fand. Das Grundgesetz selbst enthält die Vorkehrungen, um die freiheitliche demokratische Grundordnung davor zu schützen, daß ihre rechtsstaatlichen Garantien und ihre bürgerlichen und politischen Freiheiten von Kräften mißbraucht werden, die diese Freiheiten selbst nicht gewähren wollen. Die unmittelbar danach entstandenen Beamtengesetze sind eine Konkretisierung dieses verfassungsrechtlichen Willens. Das Bundesverfassungsgericht hat dies bestätigt. Es bestätigte auch die Auffassung der Bundesregierung, daß die Frage, ob ein Bewerber zum öffentlichen Dienst wegen verfassungsfeindlicher Aktivitäten nicht eingestellt werden kann, in einem streng rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werden muß. Dabei ist jeder Einzelfall gesondert zu betrachten; der Bewerber muß sich gegen Vorwürfe verteidigen können; die Entscheidung muß von einem parlamentarisch Verantwortlichen getroffen werden; und der abgewiesene Bewerber muß dagegen die Gerichte anrufen können. Diese Grundsätze sind vom Deutschen Bundestag beschlossen worden. Sie werden von den Parteien SPD und FDP sowie von den Gewerkschaften unterstützt und vom Bundesverfassungsgericht bestätigt

I.

Die Bundesrepublik Deutschland schützt ihre verfassungsmäßige Ordnung gegen alle Ver-I suche von Gruppen oder von Einzelpersonen, diese demokratisch-parlamentarisch-rechtsstaatliche Ordnung zu beseitigen. Mit Parteien, die gegen diese Ordnung antreten, bedarf der politischen Auseinandersetzung; bei den Wahlen soll der Bürger entscheiden. Bei allen Wahlen zum Bundestag oder zu den Landtagen haben die Extremen, die gegen unsere Demokratie kämpfen, vernichtende Niederlagen erlitten.

j Sie versuchen, auf anderem Wege Einfluß zu ’ gewinnen. Da der Verwaltung durch eigenen I Verfassungsauftrag der Vollzug der Gesetze und dies durch Angehörige des öffentlichen Dienstes erfolgt, wird versucht, in einem „Marsch durch die Institutionen", wie es ausdrücklich genannt wurde, an entscheidende Stellungen im Staat heranzukommen, um so in der Lage zu sein, staatliche Macht aus-I zuüben gegen die staatliche Verfassungsord= nung. Wenn ein Lehrer seinen Lehrauftrag I dazu benutzt, die Kinder im kommunistischen oder nationalsozialistischen Sinne zu indok; trinieren, dann erfüllt er nicht seinen Auftrag, -sondern arbeitet gegen unsere demokratische Grundordnung. 1. Die Beamtengesetze des Bundes und der Länder bestimmen, daß in das Beamtenverhältnis nur berufen werden darf, wer I „die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für ; die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt".

Eine Änderung der Bestimmungen des Grundgesetzes und der Beamtengesetze ist nicht erforderlich und ist von keiner Seite vorgeschlagen worden.

Es geht also um die Anwendung der Gesetze, um die Verwaltungspraxis. Die Durchführung der Gesetze liegt bei den insoweit selbständigen Bundesländern; die Bundesregierung hat kein Weisungsrecht gegenüber den Ländern.

Am 28. Januar 1972 faßten die Regierungschefs des Bundes und der Länder einen Beschluß, mit dem eine einheitliche Anwendung der bestehenden Gesetze erreicht werden sollte. Der Beschluß hat folgenden Wortlaut: „ 1. Nach den Beamtengesetzen in Bund und Ländern darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt, sind Beamte verpflichtet, sich aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen.

Es handelt sich hierbei um zwingende Vorschriften. 2. Jeder Einzelfall muß für sich geprüft und entschieden werden. Von folgenden Grundsätzen ist dabei auszugehen: 2. 1 Bewerber 2. 1. 1 Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt.

2. 1. 2 Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, so begründet diese Mitgliedschaft Zweifel daran, ob er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird. Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung des Anstellungsantrages. 2. 2 Beamte Erfüllt ein Beamter durch Handlungen oder wegen seiner Mitgliedschaft in einer Organisation verfassungsfeindlicher Zielsetzung die Anforderungen des § 35 Beamtenrechtsrahmengesetz nicht, aufgrund derer er verpflichtet ist, sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des GG zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten, so hat der Dienstherr aufgrund des jeweils ermittelten Sachverhaltes die gebotenen Konsequenzen zu ziehen und insbesondere zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist. 3. Für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gelten entsprechend den jeweiligen tarifvertraglichen Bestimmungen dieselben Grundsätze."

Eine einheitliche Anwendung trat nicht ein. Nach Auffassung der SPD und der FDP haben die von der CDU und CSU regierten Länder die Gesetze nicht verfassungskonform ausgelegt und angewandt. Um die Länder dazu zu zwingen, legte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der am 24. Oktober 1975 von der SPD/FDP-Mehrheit des Bundestages als Gesetz beschlossen wurde. Ein solches Gesetz kann nur in Kraft treten, wenn der Bundesrat diesem Gesetz zustimmt. Die Mehrheit der CDU-und CSU-Länder verweigerte die Zustimmung. Die von der SPD und FDP geführten Länder erklärten daraufhin den Beschluß vom 28. Januar 1972 für gegenstandslos; sie werden in Zukunft nach dem vom Bundestag beschlossenen, aber nicht in Kraft getretenen Gesetz verfahren. 2. Während der Beratung des Gesetzentwurfes im Bundestag hat sich das Bundesverfassungsgericht mit den zur Entscheidung stehenden Fragen seinerseits — aus gegebenem Anlaß — befaßt. Es hat in seinem Beschluß vom 22. Mai 1975 u. a. folgende, für Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung verbindliche Leitsätze verkündet:

„Es ist ein hergebrachter und zu beachtender Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG), daß den Beamten eine besondere politische Treuepflicht gegenüber dem Staat und seiner Verfassung obliegt.

Es ist eine von der Verfassung (Art. 33 Abs. 5 GG) geforderte und durch das einfache Gesetz konkretisierte rechtliche Voraussetzung für den Eintritt in das Beamtenverhältnis, daß der Bewerber die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten.

Die sich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergebende Rechtslage gilt für jedes Beamtenverhältnis, für das Beamtenverhältnis auf Zeit, für das Beamtenverhältnis auf Probe und für das Beamtenverhältnis auf Widerruf ebenso wie für das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.

Ein Teil des Verhaltens, das für die Beurteilung der Persönlichkeit eines Beamtenanwärters erheblich sein kann, kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt — unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht.

Die durch Art. 33 Abs. 5 GG gedeckten Regelungen des Beamten-und Disziplinarrechts sind allgemeine Gesetze im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG.

Es steht nicht in Widerspruch zu Art. 12 GG, wenn der hergebrachte Grundsatz des Berufsbeamtentums im Beamtenrecht verwirklicht wird, vom Bewerber für ein Amt zu verlangen, daß er die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten.“ 3. Es geht also um die Frage, welche Qualifikationen wir in der Bundesrepublik Deutschland von denjenigen Bürgern verlangen, die in den öffentlichen Dienst eintreten wollen, also ihren Beruf darin sehen, unmittelbar für den Staat und seine Verwaltung zu arbeiten. Dieser Beruf ist in Deutschland mehr als nur ein einfaches ArbeitsVerhältnis: Wer Beamter wird — und dies ist die Mehrzahl der im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland tätigen Personen —, geht ein auf Lebenszeit angelegtes Verhältnis gegenseitiger Verpflichtungen zum Staat ein, das ihm einerseits eine Reihe wichtiger Ansprüche gibt; dazu gehören Unkündbarkeit, angemessene Bezahlung, Alters-und Krankheitsvorsorge für ihn und seine Familie, um nur die wichtigsten zu nennen. Andererseits hat sein Arbeitgeber, der Staat, Ansprüche an ihn: Er muß eine gute Ausbildung nachweisen, muß seine ganze Arbeitskraft zur Verfügung stellen, kann nicht streiken und hat gewisse besondere Loyalitätspflichten gegenüber der Verfassungsordnung. Die aktuelle Frage ist nun: übertreiben wir es mit dieser Loyalitätspflicht? Lassen wir dem Beamten zu wenig Spielraum für eigene politische Auffassungen? Suchen wir uns die Bewerber zum öffentlichen Dienst danach aus, ob sie besonders angepaßt sind an offizielle Regierungs-

truffassungen? Was ist mit dem Kommunisten, mit dem Rechtsextremisten, der Beamter werden will? 4. In der Öffentlichkeit ist in letzter Zeit manche Kritik geübt worden, allerdings in verschiedenen Richtungen. Die einen sagen, in der Bundesrepublik Deutschland würden mißliebige politische Richtungen diskriminiert, es werde die „Gesinnung" der Bewerber erforscht, es gebe „Berufsverbote" gegen bestimmte politische Gruppen und deren Angehörige, und die kritischen Staatsbürger würden überwacht und beschnüffelt, um sie aus dem Staatsdienst fernhalten zu können. Andere sind besorgt, der Staatsdienst werde den Feinden der freiheitlichen Verfassung geöffnet, er werde unterwandert von Gegnern der parlamentarischen Demokratie, und eine übertriebene Liberalität bei der Einstellungspraxis in den öffentlichen Dienst verschaffe politischen Extremisten die Möglichkeit, den freiheitlichen Staat von innen heraus zu zermürben — und dies unter Kündigungsschutz und Pensionsanspruch, also gewissermaßen durch staatlich besoldete Revolutionäre.

Beide Richtungen der Kritik sind so nicht berechtigt. Wir tun alles dafür, daß sie unberechtigt bleiben und begrüßen es, daß es eine große Sensibilität gibt gegenüber Entwicklungen in Deutschland, die das Verhältnis von Staat und Bürger, die Frage der politischen Meinungs-und Handlungsfreiheit, das Problem jedweder beobachtender oder überprüfender Tätigkeit von Verfassungsschutzbehörden berühren. Dieselbe Aufmerksamkeit gegenüber diesen Fragen zeigen wir in der Bundesrepublik Deutschland; das zeigt schon die Art, wie diese innenpolitische Diskussion geführt wird. Hier sind bittere Erfahrungen der Vergangenheit gegenwärtig, und wir müssen diese Diskussion im Bewußtsein historischer Hypotheken konsequent führen. Gleichzeitig müssen wir wachsam sein gegenüber Versuchen, absichtsvoll auf ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte anzuspielen und damit falsche Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen.

II.

Gerade die grausame Lektion des Faschismus und seiner Entstehungsgründe in der Zeit der Weimarer Republik zwischen den beiden Weltkriegen bildet die eigentliche, tiefere Ursache dafür, daß die Frage der Zulassung zum öffentlichen Dienst in so grundsätzlicher und so scharfer Form diskutiert wird. Der Ausgangspunkt ist ein völlig normaler Vorgang für jeden Staat, auch und gerade für den demokratischen Staat: Wir verpflichten unsere Beamten auf die Verfassung. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine besondere, eigens auf politische Interessen zugeschnittene „Extremistengesetzgebung", es gibt keine Sonderbestimmungen gegen bestimmte Gruppen oder Meinungen. Was es gibt, und zwar seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, sind Bestimmungen in den Beamtengesetzen des Bundes und der Länder, wonach die Beamten die Gewähr dafür bieten müssen, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Dies ist eine Konkretisierung des selbstverständlichen Grundsatzes, daß der Staat als ganzer an die Verfassung gebunden ist und deshalb auch seine Bediensteten verpflichtet sind, diese Verfassung einzuhalten und zu verwirklichen.

Dieser an sich ganz natürliche Vorgang hat bei uns in Deutschland besonderes Gewicht.

Wir betonen die Treue zur Verfassung gerade deshalb so besonders, weil wir einmal erlebt haben, wie die erste demokratische Verfassung unseres Landes — die Weimarer Verfassung von 1919 — mißbraucht, zermürbt und schließlich zerschlagen wurde.

Diese Erfahrung hat unsere zweite freiheitlich-demokratische Verfassung, das Grundgesetz von 1949, geprägt, und diese Erfahrung veranlaßt uns heute, den Staat und sein Personal als eingeordnet und eingebunden in die tragenden Grundwerte unserer Verfassung zu begreifen. Weil der Staat selbst unter dem Gebot der Verfassung steht, zugleich aber sie zu verwirklichen und sie zu schützen hat, verlangen wir vom Beamten mehr als vom anderen Staatsbürger: Er darf ihr nicht gleichgültig oder gar feindlich gegenüberstehen, sondern er soll eintreten für Menschenwürde, Freiheit und Demokratie. 1. Diese besondere historische Bedingtheit unserer Verfassung macht erst ganz deutlich, was der Kem der aktuellen Auseinandersetzungen ist. Die Weimarer Verfassung von 1919 enthielt bereits die wesentlichen bürgerlichen Freiheitsrechte der westlichen Demokratien. Sie war im übrigen ein reines Organisationsstatut, ein gleichsam neutralistischer Rahmen für das politische Handeln, der mit den Inhalten und Werten einer freiheitlichen und sozialen Gesellschaft erst zu füllen war. Diese Ausfüllung mit veränderten Werten, der materielle und substantielle Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur demokratisch-parlamentarischen Republik, ist damals nicht gelungen. Daß diese Verankerung demokratischer und sozialer Werte in der offenen Verfassung nicht hinreichend glückte, lag zu einem Teil auch an einer konservativen, teilweise noch monarchistisch eingestellten Beamtenschaft. Die höhere Verwaltungsbürokratie, die Richter und die Professoren standen der Demokratie und der Republik häufig noch skeptisch gegenüber und waren teilweise nicht bereit, sich mit voller Kraft und aus innerster Überzeugung für sie einzusetzen. Dies schwächte die Handlungsfähigkeit und die Überzeugungskraft der ersten deutschen Republik und machte sie anfällig, teilweise sogar wehrlos gegen eine maßlose und rücksichtslose Agitation von den politischen Extremen her. In der Folgezeit wurde die Weimarer Republik zwischen der äußersten Rechten und der äußersten Linken zerrieben. Faschisten und Kommunisten hatten bei aller Gegensätzlichkeit ein gemeinsames Ziel: die Zerschlagung des demokratischen Parlamentarismus. 2. Dies waren die Erfahrungen, die dem Verfassunggeber 1949 vor Augen standen, als das Grundgesetz geschaffen wurde. Man war sich einig: Diesmal sollte die Verfassung selbst die Grundwerte und Grundlagen des staatlichen Zusammenlebens statuieren und für alle verbindlich machen. Es entstand eine nicht mehr neutrale, sondern werterfüllte Verfassung; die Demokratie sollte „abwehrbereit" sein, die Verfassung selbst sollte die Mittel zu ihrem Schutz enthalten, um nicht noch einmal zum Spielball in den Händen unkontrollierter politischer Mächte zu werden.

Dies führte zu einer ganz spezifischen Gestaltung des Grundgesetzes. Es beginnt mit den Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" (Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz). Während die Weimarer Verfassung noch mit der Aussage begann: „Das Deutsche Reich ist eine Republik", stellt das Grundgesetz den Menschen allen anderen Bestimmungen voran und macht ihn damit zum obersten Bezugspunkt jedes staatlichen und politischen Bemühens. Dies bleibt nicht unverbindliche Erklärung, sondern wird in Artikel 1 Abs. 3 GG rechtlich verbindlich gemacht: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." Es folgen sodann die Grundrechte, an deren Spitze die allgemeine Handlungsfreiheit und die Freiheit der Person steht, gefolgt vom Gleichheitsgrundsatz und von den bürgerlichen Freiheitsrechten. Auf die Garantie der Vereinigungsfreiheit mit ihrer Bestandsgarantie für die Gewerkschaften und der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Streikrechts folgt einer der vollständigsten Menschen-und Bürgerrechtskataloge aller europäischen Verfassungen. Dazu kommt ein weit ausgebauter Verwaltungsrechtsschutz, formuliert als Anspruch jedes Bürgers auf lückenlose gerichtliche Nachprüfbarkeit allen staatlichen Handelns. In Freiheits-und Beteiligungsrechte darf entweder gar nicht oder nur auf Grund von Gesetzen eingegriffen werden. Dies alles ist unmittelbar geltendes Recht für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, das einklagbar und vollziehbar ist; es sind also keine bloßen Programm-sätze. Zusätzlich enthält das Grundgesetz eine „Ewigkeitsklausel", die die Grundwerte der Verfassung, wie sie im Zusammenhang mit Artikel 1 GG skizziert wurden, vor Änderungen auch durch den Verfassunggeber selbst schützt; es gibt also keine Mehrheit in den Gesetzgebungsorganen der Bundesrepublik Deutschland, mit der jene grundlegende Konstruktion der werthaften Demokratie (Artikel 1 und Artikel 20 GG) abgeändert werden könnte. 3. Eine so stark auf den Menschen bezogene, freiheitliche Verfassung kann selbstverständlich mißbraucht werden. Ihr Schutz kann auch von ihren Gegnern in Anspruch genommen werden. Wer diese Verfassung beseitigen will, kann sich geraume Zeit ihrer Vorteile bedienen.

Auch dagegen sucht das Grundgesetz selbst Vorkehrungen zu treffen, um gegebenenfalls notwendige Gegenmaßnahmen nicht in das Ermessen der Exekutive zu stellen, sondern ihrerseits verfassungsrechtlich zu fixieren. Dazu gehört die Möglichkeit, daß das Bundesverfassungsgericht. bestimmte Freiheitsrechte — vor allem solche der politischen Betätigungsfreiheit — demjenigen aberkennt, der sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht (Artikel 18 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat davon allerdings noch in keinem Falle Gebrauch gemacht. Eine andere Vorkehrung fin6 det sich in der Wissenschaftsfreiheit des Artikels 5 Abs. 3 GG: Hier wird festgestellt, daß die Freiheit der Lehre nicht von der Treue zur Verfassung entbindet. Eine weitere Sicherung stellt die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien dar. Das Grundgesetz spricht in Artikel 21 ihre Anerkennung als verfassungsrechtliche Institutionen aus, sieht aber andererseits die Möglichkeit vor, sie durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig zu erklären, wenn sie darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Davon wurde in den ersten Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch gemacht: Auf der äußersten Linken wurde die Kommunistische Partei Deutschlands, auf der äußersten Rechten die Sozialistische Reichspartei für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst. Die Bekämpfung von Aktivitäten, die die Freiheitsrechte zu deren Abschaffung mißbrauchen, findet eine Entsprechung in Artikel 17 der Menschenrechtskonvention, wonach keines der in der Konvention gewährten Grundrechte mit der Tendenz ausgeübt werden darf, die von der Menschenrechtskonvention gewährten Rechte zu beschränken. 4. Während diese Schutzbestimmungen für die Verfassung für und gegen jedermann gelten, hat der Beamte eine zusätzliche Pflicht: Er darf die Verfassung nicht nur nicht bekämpfen, sondern muß für sie eintreten. Der Grund dafür erschließt sich leicht, wenn wir nunmehr die Erfahrungen mit dem Niedergang der Weimarer Verfassung und die daraus im Grundgesetz gezogenen Folgerungen heranziehen: Weil Menschenwürde und Freiheit auch die Verwaltung unmittelbar als geltendes Recht binden, muß ihr Instrument, der öffentliche Dienst, auch bereit sein, sich auf diese Grundwerte verpflichten zu lassen. Letztlich besteht die Verwaltung aus den Menschen, deren sie sich bedient; wären diese nicht bereit, sich von der Verfassung binden zu lassen und ihren Zielen und Werten zur Verwirklichung zu verhelfen, so könnte auch die Verwaltung als ganze diesem ihrem Verfassungsauftrag nicht gerecht werden. Dies ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht umstritten. Ein verfassungstreuer Staatsdienst ist eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Erhaltung der Freiheit

Von hier aus wird das eigentliche Problem sichtbar: Es ist nicht umstritten, daß der öffentliche Dienst die Verfassung einhalten, schützen, verwirklichen, kurz, für sie eintreten muß. Umstritten ist vielmehr, wie wir erkennen können, ob ein Beamter oder ein Bewerber zum öffentlichen Dienst hierzu nicht bereit ist. Wie sollen wir die Feindseligkeit gegenüber der Verfassung definieren, wie den Verfassungsfeind erkennen? Was darf der Staat den Bewerbern für die Beamtenlaufbahn abverlangen? Wie hat er sie zu behandeln?

Um diese Fragen kreist der Konflikt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, und hier liegt auch die politische und ideologische Brisanz des Themas. Das Problem darf nicht unterschätzt werden; denn an ihm zeigt sich — über seinen eigentlichen Inhalt hinaus—, inwieweit wir in der Bundesrepublik Deutschland in der Lage sind, innenpolitische Auseinandersetzungen ohne jede Beeinträchtigung der Verfassungsprinzipien zu führen. Der Staat darf nicht, indem er Grundgesetzgegner in die Schranken weisen möchte, seinerseits die Grundrechte beschränken. Es gibt gewissermaßen einen bequemen Weg und einen mühsamen Weg bei der Auseinandersetzung mit Gegnern der Verfassung. Den bequemen Weg möchte das konservative Lager in der Bundesrepublik Deutschland, die CDU und die CSU, gehen. Sie verlangen, daß ein Bewerber für den öffentlichen Dienst, der einer verfassungsfeindlichen Partei oder Vereinigung als Mitglied angehört, schon allein aus diesem Grund nicht in den Staatsdienst übernommen werden darf. Das Bequeme daran ist nicht nur die Pauschalität, mit der einfach auf Mitgliedschaften abgestellt wird, sondern vor allem die Ungeklärtheit des Begriffs der Verfassungsfeindlichkeit. Wer Verfassungsfeind ist oder welche Gruppe sich verfassungsfeindlich betätigt, steht nämlich der politischen Bewertung offen, und die Maßstäbe können in der politischen Auseinandersetzung verändert werden. Macht man den Begriff der Verfassungsfeindlichkeit zum Kriterium für die Ablehnung von Bewerbern zum öffentlichen Dienst, so kommt es entscheidend darauf an, wie sie definiert wird und wie der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit gegenüber einem Bewerber begründet und bewiesen wird.

III.

Sozialdemokraten und Freie Demokraten in der Bundesrepublik Deutschland haben die Tragweite dieser Grundfrage erkannt. Sie haben deshalb eine Meinungsbildung der gesamten Partei herbeigeführt und durch Beschlüsse auf Bundesparteitagen ihre Haltung dazu festgestellt. Die Unionsparteien haben dieses Thema nicht zum Gegenstand von Parteitagen gemacht.

Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Hannover im April 1973 folgendes beschlossen:

„Die von der SPD geführten Regierungen, die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Landtagsfraktionen werden aufgefordert, darauf hinzuwirken, daß bei der Bekämpfung verfassungswidriger Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten, eine verfassungsgemäße und rechtsstaatliche Behandlung von Bewerbern und Bediensteten im öffentlichen Dienst gewährleistet ist.

Dabei ist nach folgenden Grundsätzen zu verfahren: 1. Entsprechend den Vorschriften des Grundgesetzes, der Beamtengesetze und Tarifverträge ist Voraussetzung für die Tätigkeit im öffentlichen Dienst das Bekenntnis und der aktive Einsatz für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes. Einer zusätzlichen Treueerklärung bedarf es nicht.

2. Nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 1961 kann , bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen'. Die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen politischen Partei steht daher einer Mitarbeit im öffentlichen Dienst nicht entgegen. Dies gilt auch für die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Organisation. 3. Jeder einzelne Zweifelsfall ist genau zu überprüfen. Auf Angaben anonym bleibender Zeugen darf die Ablehnung nicht gestützt werden. Der Betroffene ist anzuhören; im Falle der Ablehnung oder Entfernung aus dem Dienst müssen ihm die Gründe schriftlich mitgeteilt werden, damit er sie gerichtlich überprüfen lassen kann. Eine derartige Entscheidung darf nur von der obersten Dienstbehörde ausgesprochen werden. Hat die öffentliche Hand ein Ausbildungsmonopol rechtlicher oder faktischer Art, muß einem Bewerber Gelegenheit gegeben werden, seine notwendige Ausbildungszeit zu absolvieren.

4. Auch im Bereich des öffentlichen Dienstes muß die verfassungsrechtlich garantierte Vielfalt von Meinungen erhalten bleiben, damit eine Verengung des Freiheitsraumes vermieden wird und für weiterführende Ideen und Initiativen, die auf nicht gewaltsame Veränderungen im Rahmen des Grundgesetzes gerichtet sind, Platz bleibt.

5. Verfassungswidrige Bestrebungen müssen vor allem politisch bekämpft werden; administrative Mittel können stets nur ergänzend hinzutreten.

6. Die bisherige Entscheidungspraxis ist zu überprüfen. Entscheidungen, die mit den vorstehenden Grundsätzen nicht übereinstimmen, sind aufzuheben. Der Beschluß der Ministerpräsidenten vom 28. Januar 1972 ist entsprechend zu ändern und zu präzisieren."

Im November desselben Jahres hat die FDP auf ihrem Parteitag in Wiesbaden den folgenden, in der Sache parallelen Beschluß gefaßt: 1. Der Öffentliche Dienst in einem freiheitlichen Rechtsstaat darf nicht den Gegnern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung überlassen werden.

2. Die Verteidigung der Freiheit muß auch und gerade gegenüber den Feinden der Freiheit mit einem Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit erfolgen.

3. Der Beschluß der Ministerpräsidenten vom 28. Januar 1972 hat das Ziel einer eindeutigen und einheitlichen rechtsstaatlichen Handhabung der geltenden Gesetze nicht erreicht.

4. Alle Entscheidungen über die Einstellung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst können sich nur auf geltendes Recht stützen.

5. Hiernach muß in jedem Einzelfall geprüft werden, ob tatsächlich Anhaltspunkte für einen begründeten Zweifel bestehen, daß der Bewerber die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsteht.

6. Diese Einzelprüfung verbietet jede pauschale und generalisierende Wertung.

7. Vor der Entscheidung über die Versagung ist dem Bewerber die Möglichkeit zur Stellung-B nähme zu den gegen ihn vorliegenden Ablehnungsgründen zu geben.

8. Der Bewerber hat einen Anspruch darauf, daß die Ablehnung der Einstellung schriftlich zu begründen ist. Die Ablehnung darf nur auf gerichtsverwertbare Tatsachen gestützt werden.

9. Die F. D. P. tritt darum in Bund und Ländern dafür ein, das geltende Recht nach den oben dargelegten Grundsätzen auf gesetzgeberischem Wege zu ergänzen, um seine eindeutige und einheitliche rechtsstaatliche Handhabung sicherzustellen.

10. Im Interesse der Rechtssicherheit hält es die F. D. P. zugleich für notwendig, in der Frage des Verhältnisses zwischen der Treuepflicht der Beamten und dem Parteiprivileg des Grundgesetzes eine Grundsatzentscheidung des Bundesgesetzgebers und ggfl.des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen."

Dies entspricht auch der Haltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in dieser Frage. Der DGB hat auf seinem 10. Ordentlichen Bundeskongreß 1975 folgenden Beschluß gefaßt:

„Der Deutsche Gewerkschaftsbund unter streicht das in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland niedergelegte Grundrecht, daß niemand wegen seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Wer dieses Grundrecht antastet oder einzuengen trachtet, gefährdet oder beseitigt die entscheidende Grundlage der freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie in unserem Lande.

Ebenso klar und unmißverständlich bejaht der Kongreß die Verpflichtung des Staates, seine demokratische Grundordnung zu sichern. Dazu gehört das Recht des Staates, von den Beamten, Angestellten und Arbeitern des Öffentlichen Dienstes die Gewähr zu fordern, sich jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzusetzen, wie dies in den Beamtengesetzen von Bund und Ländern und in den für Angestellte und Arbeiter entsprechend geltenden Bestimmungen festgelegt ist. Die Feststellung darüber, ob ein Bewerber für den Öffentlichen Dienst oder ein Angehöriger des Öffentlichen Dienstes diese Pflicht nicht erfüllt und damit in Gegnerschaft zur Verfassung steht, muß in jedem Einzelfall nachgewiesen sein und von den zuständigen Gerichten überprüft werden können. Erst eine im Einzelfall rechtlich endgültige Feststellung bietet die Handhabe, die Eignung für den öffentlichen Dienst abzusprechen. Diese Grundsätze, zu denen sich der Deutsche Gewerkschaftsbund ausdrücklich bekennt und die er mit allen Mitteln zu verteidigen verpflichtet ist, verbieten eine pauschale Hexenjagd und gebieten höchste Wachsamkeit der Demokraten."

Diese Erklärung macht die innenpolitische Konfliktlinie deutlich. Sozialdemokraten, Freie Demokraten und Deutscher Gewerkschaftsbund haben sich auf dem mühsameren, aber demokratisch und rechtsstaatlich einwandfreien Weg verpflichtet. Sie lehnen es ab, Bewerbern zum öffentlichen Dienst pauschal den Stempel der Verfassungsfeindlichkeit aufzudrücken und verlangen deshalb die besondere Bewertung und Beurteilung jedes Einzelfalles. Niemand soll auf Grund seiner Gesinnung oder gar auf Grund von Gesinnungen anderer, die ihm zugerechnet werden, zurückgewiesen werden; allein seine persönlichen Aktivitäten können ausweisen, ob er für die Verfassung eintritt oder sie bekämpft. Werden einem Bewerber diesbezügliche Zweifel entgegengehalten, so muß die Behörde mit Tatsachen belegen können, worauf sich diese Zweifel gründen; der Bewerber muß sich mit Zweifelsgründen auseinandersetzen können — wofür er auch einen Anwalt zuziehen kann—, und ein etwaiger ablehnender Bescheid kann von ihm vor Gericht gebracht werden.

IV.

1. Dieses rechtsstaatliche Verfahren sieht das Gesetz vor, das der Deutsche Bundestag beschlossen hat, das aber vom Bundesrat — der Vertretung der Länder, in welcher die von CDU und CSU regierten Bundesländer zur Zeit die Mehrheit besitzen — abgelehnt und damit am Inkrafttreten gehindert wurde. Die Bundesrepublik Deutschland ist föderali-stisch strukturiert, und gerade Fragen des Beamtenrechts, der Ausbildung und auch teilweise der inneren Sicherheit fallen in die relativ selbständige Regelungsbefugnis der Bundesländer. Weil in einigen Ländern die oben genannten Grundsätze der Behandlung von Bewerbern zum öffentlichen Dienst nicht immer eingehalten wurden, hat der Bundestag dieses Gesetz beschlossen, mit dem ein einheitliches Verfahren überall im Bundesgebiet erreicht werden sollte. Dabei ist anzumerken, daß dieses Gesetz keine neuen materiellen Bestimmungen einführt oder etwa die Rechte bestimmter politischer Gruppen oder Positionen beschneidet; es handelt sich nicht um eine besondere „Extremistengesetzgebung" oder um eine gesetzliche Einschränkung des Berufszugangs. Das Bundesverfassungsgericht stellt dazu in seiner bereits zitierten Entscheidung fest:

„Die Verfassung und die sie konkretisierende Regelung des Beamtenrechts statuiert kein Berufsverbot. Sie stellen nur eine legitime Zulassungsvoraussetzung auf, die zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nötig ist und von jedem, der den Staatsdienst anstrebt, erfüllt werden kann, wenn er will."

Gerade daraus erklärt sich, daß der von CDU und CSU beherrschte Bundesrat seine Zustimmung verweigert hat. Politisch rechtsstehende Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland wünschen keine klare Entscheidung und zweifelsfreie Regelung dieser Frage. In bestimmten Bundesländern wird weiterhin so verfahren, daß in der Bevölkerung Unsicherheit wachgehalten und gegenüber der gesamten Linken in der Bundesrepublik Deutschland der Vorwurf verfassungsrechtlicher Unzuverlässigkeit erhoben wird. 2. Demgegenüber halten SPD und FDP an den vom Bundestag beschlossenen Bestimmungen für ein rechtsstaatliches Verfahren fest. Nach der Ablehnung dieses Gesetzes durch den Bundesrat haben die Innenminister der sozialliberal regierten Bundesländer am 20. Februar 1976 beschlossen, in ihren Ländern so zu verfahren, wie das Bundesgesetz es vorgesehen hat. Sie befinden sich damit in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht, das in seinem Urteil ausgesprochen hat, daß die Zurückweisung eines Bewerbers zum öffentlichen Dienst nur auf Grund einer rechtsstaatlichen, gerichtlich nachprüfbaren Behandlung jedes Einzelfalls erfolgen darf. Innerhalb dieser Bewertung jedes Einzelfalles gilt nach dem Beschluß des Gerichts: „Ein Teil des Verhaltens, das für die Beurteilung ... erheblich sein kann, kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt." Es genügt demnach nicht, einfach auf die Parteizugehörigkeit als solche abzustellen. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, die betreffenden Personalbehörden dürften sich Unterlagen über Bewerber „nicht erst von anderen (Staatsschutz-) Behörden systematisch zutragen lassen". Denn derartige Ermittlungen „vergiften andererseits die politische Atmosphäre, irritieren nicht nur die Betroffenen in ihrem Vertrauen in die Demokratie, diskreditieren den freiheitlichen Staat (und sind) schwerlich vereinbar mit dem irn Rechtsstaatsprinzip verankerten Gebot der Verhältnismäßigkeit". Dies ist nach dem verbindlichen Spruch des Bundesverfassungsgerichts die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland.

Dies bedeutet, daß ein rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren zur Verfügung steht, nach dem sich der Staat gegenüber Bewerbern zum öffentlichen Dienst zu verhalten hat. Das entbindet uns nicht von der dauernden Überprüfung unserer Maßstäbe, unserer Beurteilungskriterien. Keinesfalls sind wir berechtigt, Bestrebungen nach einer Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse leichthin abzuqualifizieren und von vornherein als gegen die Verfassung gerichtet zu beurteilen.

Gerade auch der Staatsdienst in einer sich schnell wandelnden Gesellschaft braucht Menschen, die über den Tag hinaus denken können, die Phantasie und Kreativität entfalten und nicht nur auf ausgetretenen Pfaden gehen wollen. Dies gilt um so mehr, als wir uns dem Auftrag der Sozialstaatlichkeit in hohem Maße verpflichtet fühlen. Je mehr der Staat selbst gestaltend in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingreift, dem Bürger als Partner gegenübertritt und ihn seinerseits zur Mitwirkung und Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten ermuntert, desto mehr benötigen wir auch einen öffentlichen Dienst, der Sensibilität für die Bedürfnisse der Bevölkerung entwickelt, neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen ist und jede Diskussion offen führen kann. Wir brauchen im öffentlichen Dienst keine Menschen, die sich ängstlich an vermeintliche offizielle Auffassungen anpassen und vor jedem persönlichen Urteil zurückscheuen. Ich habe darauf schon Anfang 1974 in der Verfassungsdebatte des Deutschen Bundestages hingewiesen, in der die Parteien aus Anlaß der 25jährigen Wiederkehr des Erlasses des Grundgesetzes ihre unbedingte Loyalität gegenüber dieser Verfassung zum Ausdruck brachten. Ich habe damals u. a. ausgeführt, daß wir eine Jugend haben wollen, die ihr Mißbehagen, wo es besteht, auch zum Ausdruck bringt, eine Jugend, die sich — wenn auch manchmal mühsam und für uns beängstigend — hindurchentwickelt zum politischen Träger unseres Staates; daß unsere Jugend in der Bundesrepublik Deutschland die erste Generation ist, die in einer Demokratie geboren wurde, aufwächst und in ihr politische Verantwortung übernimmt; und daß es unsere Aufgabe ist, diese Jugend in den Staat unseres Grundgesetzes hineinzuleiten durch Diskussion und Überzeugung. Dies sollte aüch zeigen, welche Hoffnung wir in diese demokratisch und freiheitlich erzogene j Jugend setzen. 3.

In diesem Rahmen ist das zu verstehen, was zum Umfang extremistischer Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland zu sagen bleibt. Wir haben ganz auf der Rechten eine politische Partei, die NPD, und ganz auf der , Linken eine Partei, die DKP; gegen beide ist niemals ein Verbotsantrag gestellt worden, weil unsere Überzeugung immer wieder bestätigt wurde, daß die Auseinandersetzung mit diesen politischen Positionen offen und vor den Augen der Wähler geführt werden muß. Jede Parlamentswahl beweist die fehi lende Resonanz dieser Parteien in der Bevöli kerung. Die NPD, die früher in einigen Bunj desiändern eine größere Rolle zu spielen ! schien, ist heute zur völligen Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Bei der Bundestagswahl 1972 erhielt sie 0, 6 v. H.der Stimmen, ; die DKP 0, 3 v. H.

4. Dies heißt aber nicht, daß wir extremistiI sehe politische Bestrebungen einfach ignorie'ren könnten. Nicht nur gegenüber der äußersten Rechten haben wir unsere besondere, historisch begründete Einstellung und die daraus erwachsende Verpflichtung zur Wachsamkeit. Auch unsere Haltung gegenüber den ist nicht frei von Besonderheiten der deutschen Geschichte und der deutschen Gegenwart. Die Situation in Deutschland ist insofern nicht vergleichbar etwa mit der in Frankreich oder Italien. Die Rolle der Kommunisten bei der Zerstörung der Weimarer Republik wurde schon angesprochen. Die deutsche Teilung als Folge des Zweiten Weltkrieges — der seinerseits mit eine Folge der Zerstörung der Weimarer Republik war—, die Eingebundenheit der beiden deutschen Staaten in die gegensätzlichen Weltmachtblöcke bewirken ein Sonderproblem für die Einstellung zum Kommunismus in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb geht es hier nicht um eine nur innenpolitisch zu verstehende Auseinandersetzung; sie wird vielmehr verschärft durch außenpolitische und weltpolitische Aspekte und Bedingungen. Der eine deutsche Staat, die DDR, interveniert beim anderen, der Bundesrepublik Deutschland, mit dem gesamten Arsenal von Ausspähung, Agententätigkeit und ideologischer Kriegführung. Sie selbst schützt sich vor möglichen Gegenaktivitäten durch ein geschlossenes, unfreiheitliches System, das die in der Bundesrepublik gewährten und faktisch ausgeübten Freiheitsrechte, vor allem die politischen Handlungsmöglichkeiten, nicht gewährt. Die DKP in der Bundesrepublik Deutschland ist in größter Abhängigkeit finanzieller und ideologischer Art von der SED in der DDR. Hier liegt der Grund, warum die Mitgliedschaft von Bewerbern zum öffentlichen Dienst in der'DKP für uns nicht gleichgültig sein kann, sondern, zusammen mit anderen konkreten Aktivitäten des jeweiligen einzelnen Bewerbers, Zweifel an der Verfassungstreue des Betreffenden wachrufen muß. Hier spielt nicht marxistische Weltanschauung die entscheidende Rolle, sondern die Notwendigkeit, eine massive und durchaus feindselige Einwirkung auf unsere Verfassungsordnung in Grenzen zu halten.

V.

Die unverminderte Aktualität der Problematik hat die SPD veranlaßt, in einem weiteren Pari teitagsbeschluß ihre Position zu verdeutlichen und zu begründen. Seit dem oben zitierten BeI Schluß waren zweieinhalb Jahre vergangen, das Bundesverfassungsgericht hatte gesprochen und der Bundestag hatte das erwähnte i Gesetz zum Einstellungsverfahren beschlossen, das nun vor dem Bundesrat stand. In die-ser Situation beschloß der Parteitag der SPD im November 1975 in Mannheim:

„ 1. Die von der SPD auf ihrem Bundesparteitag in Hannover betonte Selbstverständlichkeit, daß Personen, die verfassungswidrige Ziele verfolgen, nicht in den öffentlichen Dienst gehören, darf nicht länger dazu mißbraucht werden, Konservativismus oder Duckmäuserei mit Verfassungstreue gleichzuB setzen. Zur Verwirklichung unserer freiheitlichen, auf einen demokratischen und rechtsstaatlichen Sozialstaat ausgerichteten Grundordnung werden vielmehr zukünftig mehr denn je auch im öffentlichen Dienst geistig unabhängige und selbstbewußte Demokraten benötigt, die über politische Urteilsfähigkeit verfügen und politische Überzeugung nicht nur besitzen, sondern auch vertreten. 2. Der Bundesparteitag nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, daß der Deutsche Bundestag den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften angenommen hat. Das Gesetz will gewährleisten, daß einerseits der öffentliche Dienst der Bundesrepublik Deutschland keine Personen aufnimmt, die verfassungswidrige Ziele verfolgen, daß aber andererseits auch angesichts der notwendigen Auseinandersetzung mit verfassungswidrigen Bestrebungen jedem Bewerber eine Behandlung zuteil wird, die den Grundsätzen des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates entspricht. 3. Der Bundesparteitag begrüßt die Gesetzesvorlage der Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag, derzufolge anstelle des geltenden beamtenrechtlichen Vorbereitungsdienstes ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis ohne jede Diskriminierung eingeführt wird. Danach kann die Aufnahme in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis nur bei Bewerbern abgelehnt werden, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in strafbarer Weise bekämpfen. Überprüfungen dürfen sich deshalb nur auf diesen Umstand beziehen. 4. Die bloße Gesetzesänderung allein kann allerdings den heute teilweise bestehenden Mißbrauch noch nicht ausschließen. Eine Änderung von Verwaltungsrichtlinien und Verfahrenspraxis muß hinzutreten.

Der Bundesparteitag begrüßt daher die vom Deutschen Bundestag zusammen mit dem Gesetz angenommene Entschließung, die die Hauptanforderungen an eine streng rechtsstaatliche Verfahrenspraxis aller Behörden in Bund, Ländern und Gemeinden verdeutlicht.

Der Bundesparteitag vertritt zur Verfahrens-praxis folgende Auffassung: — Im freiheitlich-demokratischen Staat spricht die Vermutung für die Verfassungstreue eines jeden Bürgers; — die Beurteilung eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst hat daher durch die Einstellungsbehörden grundsätzlich auf Grund des Eindrucks zu erfolgen, den die Einstellungsbehörden vom Bewerber persönlich sowie aus seinen Bewerbungsunterlagen gewinnt; — die Einstellungsbehörde darf, wenn sie auf Anfrage feststellt, daß über einen Bewerber Erkenntnisse des Verfassungsschutzes vorliegen, diese nur anfordern, und der Verfassungsschutz darf sie nur weitergeben, wenn dafür im Einzelfall ein Anlaß vorliegt. Ohne einen solchen Anlaß darf eine systematische karteimäßige Überprüfung eines Bewerbers nicht durchgeführt werden;

— Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers können nur durch überprüftes und ausgewertetes, gerichtsverwertbares Material ausgelöst und begründet werden, nicht durch bloße Berichte, Meldungen oder Anzeigen; — ein länger zurückliegendes Verhalten, besonders in der Studien-und Ausbildungszeit eines jungen Menschen, darf nur in besonders schwerwiegenden Fällen herangezogen werden;

— ein Bewerber, dessen Verfassungstreue bezweifelt wird, muß sich zu den dafür vorgebrachten Tatsachen und Begründungen auch unter Mitwirkung eines Rechtsbeistandes äußern können. Der Rechtsbeistand soll bei der Anhörung anwesend sein. Er hat das Recht der vollen Akteneinsicht;

— die Begründung der Ablehnung eines Bewerbers muß nicht nur die Tatsachen angeben, auf die die Ablehnung gestützt wird, sondern auch die Bewertung dieser Tatsachen; — die politische Verantwortlichkeit des jeweiligen Ministers erfordert bei der Ablehnung eines Bewerbers wegen mangelnder Verfassungstreue, daß der Minister die Entscheidung selbst trifft.

Diese Grundsätze sind im Zusammenhang mit den beschlossenen gesetzlichen Verfahrensregelungen geeignet, den vom Bundesverfassungsgericht abgesteckten Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens auszufüllen. 5. Der Bundesparteitag stellt fest, daß die vom Bundesparteitag 1973 in Hannover beschlossenen Grundsätze durch Bundesregierung und Bundestag konkretisiert worden sind, wonach bei Bewerbern zum öffentlichen Dienst in Zweifelsfällen eine Einzelprüfung unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, eine Anhörung des Bewerbers, die Verantwortung der obersten Dienstbehörde für die Entscheidung und eine schriftliche Begründung auf der Grundlage gerichtlich nachprüfbarer Tatsachen gegeben sein müssen.

Die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen politischen Partei kann für sich allein die Ablehnung eines Bewerbers nicht begründen.

Der Parteitag stellt weiter fest, daß CDU und CSU im Bundestag diesen Regelungen und Leitlinien für ein rechtsstaatliches Verfahren nicht zugestimmt haben. Dies legt die Besorgnis nahe, daß konservative Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland es hinnehmen, wenn nicht fördern, daß ein Klima von Mißtrauen und Furcht entsteht, daß Unterwürfigkeit und Obrigkeitsdenken wieder aufkeimen und daß die Vielfalt von Meinungen und Bestrebungen eingeengt wird.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wird demgegenüber unbeirrt für die Freiheit der politischen Meinung und der politischen Betätigung einstehen und Offenheit und Kritikvermögen junger Menschen, gerade auch wenn sie im öffentlichen Dienst mitwirken wollen, fördern. 6. Der Bundesparteitag erwartet, — daß der Bundesrat dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz seine Zustimmung nicht verweigern und sich den Inhalt der Entschließung zu eigen machen wird; daß in Bund, Ländern und Gemeinden das vom Bundesgesetzgeber beschlossene rechtsstaatliche Verfahren genauestens beachtet wird;

— daß die Praxis der Verfassungsschutzämter und der Einstellungsbehörden gemäß den in diesem Beschluß niedergelegten Grundsätzen gehandhabt wird;

— daß die Länder dieses Verfahren einheitlich regeln und im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten auf ein entsprechendes Verfahren im kommunalen Bereich sowie bei Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts hinwirken;

— daß die Versuche konservativer und reaktionärer Politiker beendet werden, kritische Demokraten einer Sympathie für verfassungswidrige Bestrebungen zu verdächtigen;

— daß alle sozialdemokratischen Regierungsverantwortlichen sich für die Durchsetzung und Einhaltung dieser Grundsätze einsetzen; — daß alle Sozialdemokraten mit Wachsamkeit dafür sorgen, daß jeder Versuch der bewußten Mißdeutung oder des schleichenden Abbaus der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vereitelt wird. 7. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands führt die Auseinandersetzung mit verfassungswidrigen Bestrebungen, Gruppen und Parteien politisch. Administrative Maßnahmen können nur eine ergänzende Wirkung haben. Nur eine Politik, die als ganze dem äußeren und inneren Frieden, der Freiheit und dem sozialen Fortschritt verpflichtet ist, wird die Bestandskraft unserer Verfassung für die Zukunft bewahren."

Die Entschließung des Deutschen Bundestages, auf die der Parteitagsbeschluß Bezug nimmt, war zusammen mit dem Gesetz am 24. Oktober 1975 angenommen worden; sie sollte alle Behörden zu einem sorgfältigen, rechtsstaatlichen Verfahren anhalten und damit das Gesetz ergänzen und verdeutlichen. Die Entschließung hat folgenden Wortlaut: „ 1. Der Bundestag ist der Auffassung, daß mit dem Gesetz die notwendige verfahrens-rechtliche Ergänzung der materiell-rechtlichen Vorschriften über die politische Treue-pflicht der Beamten, Richter und Soldaten geschaffen worden ist. Die neuen, den Beschluß des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 berücksichtigenden Regelungen geben den Einstellungsbehörden sachgerechte und eindeutige Anweisungen für das bei Einstellungen zu beachtende Verfahren. Die einheitlich und unmittelbar für Bund und Länder geltenden Vorschriften sollen sicherstellen, daß die Prüfung der Verfassungstreue der Bewerber bei allen Dienststellen nach einheitlichen, ein Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit verbürgenden Grundsätzen erfolgt, und die berechtigten und schutz-würdigen Belange der Betroffenen, insbesondere ihr Interesse an einem fairen und nachprüfbaren Verfahren in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Der Bundestag erwartet, daß bei der Prüfung, ob ein Bewerber für die Einstellung in den öffentlichen Dienst die von der Verfassung geforderte Gewähr des jederzeitigen Eintretens für die freiheitliche demokratische Grundordnung bietet, unter Zugrundelegung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 insbesondere folgende Grundsätze beachtet werden: — Der freiheitliche demokratische Staat geht von der Verfassungsloyalität seiner Bürger aus. Zugunsten der Bewerber für den öffentlichen Dienst spricht daher grundsätzlich die Vermutung, daß sie in ihrer Person die Gewähr der Verfassungstreue bieten. Wenn bei Behörden Tatsachen vorliegen, die diese Vermutung im Einzelfall ernsthaft in Frage zu stellen geeignet sind, ergibt sich für die Einstellungsbehörden das Recht und die Pflicht, eine konkrete Überprüfung vorzunehmen.

— Der Bewerber hat das Recht, sich zu den Tatsachen und Gründen zu äußern, die gegen die Gewähr seiner Verfassungstreue sprechen. Zu seiner Unterstützung kann er einen Rechtsbeistand hinzuziehen.

— In der Begründung einer Einstellungsablehnung sind nicht nur die Tatsachen anzugeben, auf die sich die Entscheidung stützt, sondern auch deren Bewertung (Verfassungsfeindlichkeit). — Äußerungen und Handlungen eines jungen Menschen aus seiner Ausbildungs-und Studienzeit, insbesondere wenn sie längere Zeit zurückliegen, dürfen zur Begründung einer Einstellungsablehnung nur herangezogen werden, wenn sie nach Art und Schwere berechtigten Anlaß zu der Annahme geben, der Bewerber werde nach seiner Ernennung nicht die Gewähr bieten, daß er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintritt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt:

Ermittlungen'der letztgenannten Art können nur Verhaltensweisen zutage fördern, die in die Ausbildungs-und Studienzeit eines jungen Menschen fallen, häufig Emotionen in Verbindung mit engagiertem Protest entspringen und Teil von Milieu-und Gruppenreaktionen sind, also sich wenig eignen als ein Element (von vielen), aus dem man einen Schluß auf die Persönlichkeit des zu Beurteilenden ziehen könnte; sie vergiften andererseits die politische Atmosphäre, irritieren nicht nur die Betroffenen in ihrem Vertrauen in die Demokratie, diskreditieren den freiheitlichen Staat, stehen außer Verhältnis zum . Ertrag'und bilden insofern eine Gefahr, als ihre Speicherung allzu leicht mißbraucht werden kann. 2. Die Bundesregierung wird ersucht, in ihrem Bereich — einschließlich der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit Dienstherrenfähigkeit — die Beachtung der vorstehenden Grundsätze sicherzustellen. 3. Zur Sicherung der Rechtseinheit im Bundesgebiet werden die Länder gebeten, das bei der Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst anzuwendende Verfahren einheitlich zu regeln und dabei insbesondere die oben aufgeführten Grundsätze zu beachten.

Ausgehend davon, daß die kommunalen Gebietskörperschaften oberste Dienstbehörden für ihren Bereich sind, werden die Länder außerdem gebeten, im Rahmen des rechtlich Möglichen darauf hinzuwirken, daß Einstellungsablehnungen im Kommunalbereich nur unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze erfolgen. Entsprechendes gilt für sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit Dienstherrenfähigkeit nach Landesrecht."

Die von SPD und FDP geführten Regierungen in den Ländern und im Bund halten sich an das Gesetz und an die Entschließung. Leider sind aus von CDU oder CSU geführten Bundesländern Verstöße hiergegen bekanntgeworden. Selbst Mitglieder der SPD sind von Zurückweisungen nicht verschont geblieben. Da die Bundesregierung keine rechtlichen Mittel hat, gegen solche Praktiken einzuschreiten, wird es wohl eines weiteren Urteils des Bundesverfassungsgerichts bedürfen, um die Befolgung der in dem Beschluß von 1974 aufgestellten Grundsätze überall durchzusetzen.

VI.

Die Bundesregierung hat nach Mitteilung des Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 59 vom 21. Mai 1976 am 19. Mai 1976 folgende Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue zustimmend zur Kenntnis genommen: „I.

Die Feststellung, ob der Bewerber die Eignungsvoraussetzung der Gewähr der Verfassungstreue erfüllt, trifft die für diese Entscheidung zuständige Behörde unter Beachtung des Beschlusses des Bundesverfassungs-B gerichts vom 22. Mai 1975 — 2 Blv 13/73 — und der in der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 24. Oktober 1975 aufgestellten Grundsätzei

II.

Bei der Entscheidung, ob ein Bewerber die für die Einstellung in den öffentlichen Dienst erforderliche Gewähr der Verfassungstreue bietet, sollen einheitlich folgende Verfahrens-grundsätze beachtet werden:

1. Die Einstellungsbehörden sind verpflichtet, Bedenken, die gegen die Einstellung eines Bewerbers sprechen, und die. dafür erheblichen. Tatsachen schriftlich mitzuteilen.

2. Der Bewerber hat das Recht, sich hierzu mündlich oder schriftlich zu äußern.

3. Findet ein Anhörungsgespräch statt, ist ein Protokoll zu führen. Dem Bewerber ist auf Antrag Einsicht zu gewähren.

4. Die Mitwirkung eines Rechtsbeistands ist auf Antrag des Bewerbers zu gestatten. Sie ist auf die Beratung des Bewerbers und auf Verfahrensfragen zu beschränken.

5. Die Entscheidungszuständigkeit in den Fällen, in denen die Eignung des Bewerbers nicht festgestellt werden kann, liegt bei der obersten Dienstbehörde, d. h. grundsätzlich bei dem politisch verantwortlichen Minister. 6. Ablehnende Entscheidungen dürfen nur auf gerichtsverwertbare Tatsachen gestützt werden.

7. Dem Bewerber ist die Ablehnungsbegründung unter Angabe der hierfür maßgeblichen Tatsachen, jedenfalls auf seinen Antrag hin, schriftlich mitzuteilen. Der Bescheid erhält eine Rechtsmittelbelehrung.

8. Es wird sichergestellt, daß den anfrageberechtigten Stellen nur solche (gerichtsverwertbaren oder vorhaltbaren) Tatsachen mitgeteilt werden, die Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers begründen können.

Neben diesen Grundsätzen kommt von der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 24. Oktober 1975 den nachfolgenden Punkten besondere Bedeutung zu:

— Der freiheitlich-demokratische Staat geht von der Verfassungsloyalität seiner Bürger aus. Zugunsten der Bewerber für den öffentlichen Dienst spricht daher grundsätzlich die Vermutung, daß sie in ihrer Person die Gewähr der Verfassungstreue bieten. Wenn bei Behörden Tatsachen vorliegen, die diese Vermutung im Einzelfall ernsthaft in Frage zu stellen geeignet sind, ergibt sich für die Einstellungsbehörden das Recht und die Pflicht, eine konkrete Überprüfung vorzunehmen.

— Äußerungen und Handlungen eines jungen Menschen aus seiner Ausbildungs-und Studienzeit, insbesondere wenn sie längere Zeit zurückliegen, dürfen zur Begründung einer Einstellungsablehnung nur herangezogen werden, wenn sie nach Art und Schwere berechtigten Anlaß zu der Annahme geben, der Bewerber werde nach seiner Ernennung nicht die Gewähr bieten, daß er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt.

Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt: >, Ermittlungen'der letztgenannten Art können nur Verhaltensweisen zutage fördern, die in die Ausbildungs-und Studienzeit eines jungen Menschen fallen, häufig Emotionen . in Verbindung mit engagiertem Protest entspringen und Teil von Milieu-und Gruppenreaktionen sind, also sich wenig eignen als ein Element (von vielen), aus dem man einen Schluß auf die Persönlichkeit des zu Beurteilenden ziehen könnte; sie vergiften andererseits die politische Atmosphäre, irritieren nicht nur die Betroffenen in ihrem Vertrauen in die Demokratie, diskreditieren den freiheitlichen Staat, stehen außer Verhältnis zum . Ertrag'und bilden insofern eine Gefahr, als ihre Speicherung allzu leicht mißbraucht werden kann. "

VII.

Gegen die nach alledem eindeutige Rechtslage werden nach wie vor gewisse Bedenken vorgebracht. Auch wenn es sich dabei teilweise um von interessierter Seite zugespitzte Fragen und manchmal, auch um bloße poli-tisch-ideologische Agitation handelt, werden wir diese Kritik nicht einfach beiseiteschieben, sondern uns auch in Zukunft sorgfältig mit ihr beschäftigen. So ist beispielsweise vorgebracht worden, die . Fernhaltung von Verfassungsfeinden vom öffentlichen Dienst verstoße gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, deren Artikel 21 Abs. 2 lautet: „Jedermann hat Zugang zu jedem öffentlichen Amt seines Landes". Dies trifft jedoch nicht zu. Das zitierte Prinzip des Artikel 21 Abs. 2 ist in Artikel 25 Buchstabe c) des — noch nicht in Kraft getretenen — Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 folgendermaßen ausformuliert worden: „Jeder Staatsbürger soll ohne Unterschied nach den in Artikel 2 des Paktes genannten Merkmalen und ohne unangemessene Einschränkungen das Recht haben, unter allgemeinen Gesichtspunkten der Gleichheit zu öffentlichen Ämtern seines Landes Zugang zu haben." Dies zeigt, daß Grundlage dieser Bestimmung der Gleichheitsgrundsatz ist; dieser Grundsatz, der auch in Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland seine Verankerung erfahren hat und der im öffentlichen Leben der Bundesrepublik einen hohen Rang hat, wird nicht verletzt, wenn unterschiedliche Sachverhalte auch unterschiedlich behandelt werden. Die Voraussetzung, daß ein Bewerber für den öffentlichen Dienst für die vom Grundgesetz vorgegebene freiheitlich-demokratische Grundordnung eintritt, ist sachgerecht; an sie anzuknüpfen verletzt deshalb nicht den Gleichheitsgrundsatz. Denn vom Bewerber wird nur verlangt, daß er die Grundsätze der Demokratie, die Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden und den Schutz der Freiheitsrechte vertritt. Die Verwirklichung eben dieser Grundsätze verlangt aber auch der Pakt von den Vertragsstaaten, besonders in den Artikeln 2 und 25. Diese Prinzipien kann — wie oben ausgeführt — jeder Staat nur dann schützen, wenn sein öffentlicher Dienst dazu auch bereit ist.

Es trifft auch nicht zu, daß die Nichteinstellung von Verfassungsfeinden in den öffentlichen Dienst gegen das Grundrecht des Artikels 12 GG auf freie Berufswahl verstoße oder generell ein „Berufsverbot" darstelle. Denn zunächst einmal hat niemand einen Rechtsanspruch darauf, vom Staat als Beamter auf Lebenszeit eingestellt zu werden — ebensowenig wie jeder andere Arbeitnehmer einen Anspruch darauf hat, gerade von demjenigen Wirtschaftsunternehmen oder sonstigen Betrieb eingestellt zu werden, bei dem er gerne arbeiten möchte. Was der Bewerber verlangen kann, ist aber eine gerechte Behandlung, also keine Schlechterstellung gegenüber den Mitbewerbern. Dies aber ist gewährleistet; an sie alle wird die Anforderung gestellt, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten in dem Umfang, wie die Beamten-gesetze es verlangen. Diese Einstellungsvoraussetzung ist geltendes Recht, das die Berufsfreiheit nicht verletzt; oben wurde gezeigt, daß es nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts sogar eine „von der Verfassung geforderte rechtliche Voraussetzung für den Eintritt in das Beamtenverhältnis" ist. Die Gründe, aus denen wir das Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung verlangen müssen, wurden oben im einzelnen erörtert.

Schließlich wird manchmal behauptet, in der Bundesrepublik würden Rechtsextremisten besser behandelt als Linksextremisten; damit wird versucht, die deutschen Behörden einer Sympathie für alte Nationalsozialisten zu verdächtigen oder ihnen allgemein einen Hang zur politischen Rechten zu unterstellen. Dazu ist festzustellen, daß die Gründe, aus denen Bewerber zum öffentlichen Dienst abgelehnt werden können, sich gegen keine bestimmte politische Richtung wenden, sondern am Tatbestand der Verfassungsfeindlichkeit anknüpfen. Es wird also nicht festgestellt, welche Gesinnung ein Bewerber hat oder welche Idealvorstellungen von Staat und Gesellschaft ihn bewegen, sondern konkret danach gefragt, ob er für Freiheit, Demokratie und für den übrigen Kernbestand unserer Verfassung eintritt oder aber ihn bekämpft. Aus welcher politischen Richtung oder unter welcher Ideologie er gegen diesen Kernbestand unseres Grundgesetzes ankämpft, spielt keine Rolle.

Es trifft auch nicht zu, daß im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland viele Rechtsextremisten, aber wenige Linksextremisten tätig seien; die Feststellungen der Innenminister des Bundes und der Länder weisen das Gegenteil aus. Die politische Auseinandersetzung mit den extremistischen Positionen wird, auch das wurde oben ausgeführt, auf dem Felde der Politik und dort vor allem, wie es einer parlamentarischen Demokratie auch ansteht, in den allgemeinen Wahlen geführt. Diese allgemeinen Wahlen sind ein unerbittlicher Test darauf, welche politischen Ziele die Bevölkerung befürwortet und welche nicht. Gerade diese freien Wahlen sind einer der wesentlichen Bestandteile derjenigen Verfassungsordnung, die wir auch in Zukunft für schützenswert halten.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Friedrich Schäfer, Dr. jur., geb. 6. April 1915 in Sindelfingen; Professor Staatssekretär a. D., Studium der Rechtswissenschaft in Tübingen und Berlin;' von 1957 bis 1967 und seit 1969 Mitglied des Deutschen Bundestages, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei; Vorsitzender des Innenausschusses und der Enquete-Kommission Verfassungsreform. Veröffentlichungen u. a.: Der Bundestag. Eine Darstellung seiner Aufgaben und seiner Arbeitsweise, verbunden mit Vorschlägen zur Parlamentsreform, 1967, 2. neubearbeitete und erweiterte Auflage 1975; Verfassungsprobleme einer Finanzreform, 1967; Zur Frage des Wahlrechts in der Weimarer Republik, 1967; Sozialdemokratie und Wahlrecht, 1967; Die Funktion von Bundesparteitagen im föderativen modernen Parteienstaat, 1970; Aktuelle Probleme des Föderalismus, 1972; Entspricht unsere Verfassungsordnung dem Wandel der kommunalen Selbstverwaltung?, 1974; Zur Stellung des Präsidenten des Bundesrechnungshofs, 1975; Bundesstaatliche Ordnung als politisches Prinzip, in: Friedrich Schäfer (Hrsg.), Schwerpunkte im Kräftefeld von Bund und Ländern, »Verfassung und Verfassungswirklichkeit" Bd. 9, Jahrbuch 1974, 1975.