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Zum „Offensivkonzept zur Bekämpfung des anarchistischen Terrorismus" der CDU/CSU | APuZ 25/1976 | bpb.de

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APuZ 25/1976 Verfassungstreue im öffentlichen Dienst Zum „Offensivkonzept zur Bekämpfung des anarchistischen Terrorismus" der CDU/CSU

Zum „Offensivkonzept zur Bekämpfung des anarchistischen Terrorismus" der CDU/CSU

Wilhelm Mensing

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag gibt eine zusammenfassende Darstellung des im Sommer 1975 bekannt-gegebenen „Offensivkonzepts zur Bekämpfung des anarchistischen Terrorismus und seiner Grundlagen" der CDU/CSU. Der Verfasser setzt sich mit der Kritik an diesem Konzept auseinander. Dabei geht er insbesondere auf das Umfeld des Terrorismus ein und erörtert das Für und Wider einiger besonders umstrittener Vorschläge aus dem Konzept.

Zum Thema „Politischer Radikalismus und Rechtsordnung" ist bereits im März d. J. in dieser Zeitschrift (B 13/76) ein Aufsatz erschienen: Rudolf Wassermann, Sicherung oder Aushöhlung des Rechtsstaates? Der nachfolgende Beitrag, in dem in vielen Punkten eine kontroverse Position vertreten wird,, konnte damals aus technischen Gründen nicht gleichzeitig erscheinen. Beide Artikel werden in dem von Rudolf Wassermann herausgegebenen Sammelband „Terrorismus contra Rechtsstaat", Verlag Hermann Luchterhand, Darmstadt, veröffentlicht.

Im Sommer 1975 veröffentlichten die Innenminister der von CDU und CSU regierten Länder gemeinsam mit dem Vorsitzenden des innen-und rechtspolitischen Arbeitskreises der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Friedrich Vogel, und den innenpolitischen Sprechern der in der Opposition stehenden Landtags-und Bürgerschaftsfraktionen der CDU ein „Offensivkonzept zur Bekämpfung des anarchistischen Terrorismus und seiner Grundlagen". Dieses politische Konzept enthielt eine skizzenhafte Darstellung der inneren Sicherheitslage unseres Landes besonders im Hinblick auf den anarchistischen Terrorismus und lieferte Vorschläge zu dessen Bekämpfung.

Das Konzept löste trotz seiner Bekanntgabe in der parlamentarischen Sommerpause ein kräftiges und vielfältiges Echo aus. Das Echo reichte von „na, endlich" über Kopfschütteln wegen des unter dem Aspekt der Publizität schlecht gewählten Zeitpunkts seiner Veröffentlichung bis zum „backlash der liberalen Rechtsreformen" und zum „Teufelsbräu der Union". Nach einer knappen Wiedergabe des wesentlichen Inhalts des Konzepts soll hier auf die nach Art und Gegenstand der Kritik besonders charakteristisch erscheinenden Streitpunkte eingegangen und versucht werden, die Positionen dazu möglichst deutlich zu machen.

I.

Lage der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland — Ursachen des anarchistischen Terrorismus „Die steigende Kriminalität, die Brutalisierung des Verbrechens und vor allem der anarchistische Terrorismus bedrohen den freiheitlichen Rechtsstaat und seine Bürger. Fragen der inneren Sicherheit gehören zu den zentralen politischen Themen unserer Zeit. Der anarchistische Terrorismus gefährdet das friedliche Zusammenleben der Bürger. Terror-anschläge und die Erpreßbarkeit des Staates beunruhigen die Menschen in unserem Lande. Die Bevölkerung erwartet mehr und besseren Schutz...

Das Phänomen des anarchistischen Terrorismus ist aus der politischen und sozialen Struktur der Bundesrepublik Deutschland nicht zu rechtfertigen"; denn hier gibt es einerseits „ein Höchstmaß an politischer Freiheit und sozialer Sicherheit", andererseits „keine nationale, religiöse oder rassische Diskriminierung. -Vieles spricht dafür, daß der anarchistische Terrorismus eine mit der Überbewertung des materiellen Wohlstandes zusammenhängende Folgeerscheinung der hohen Technisierung und fortschreitenden Anonymisierung unseres gesellschaftlichen Lebens ist... Die Aufnahmebereitschaft für die von den Anarchisten vertretenen gesellschaftspolitischen Utopien wurde gefördert durch ein schwindendes Geschichtsbewußtsein und den damit verbundenen Verlust von Orientierungswerten; die Preisgabe von ethischen Wertvorstellungen zugunsten materiellen Wohlstandes als höchstem Lebensprinzip; die zunehmende Entfremdung zwischen Staat und Bürgern als Folge einer unüberschaubaren Gesetzesflut und der Sucht, das menschliche Zusammenleben in allen Lebensbereichen perfektionistisch zu organisieren; einen fort-schreitenden Autoritätsverlust des Staates aufgrund einer falsch verstandenen Liberalisierung, die vielfach als Zeichen der Schwäche und Selbstaufgabe gedeutet worden ist; die gezielt propagierten Zweifel am Wert familiärer, nachbarschaftlicher und religiöser Bindungen, letztlich sogar am Sinn des Lebens; einen verbreiteten ethischen Nihilismus; den von linken Extremisten bewußt betriebenen Abbau der Achtung vor den Rechten des Nächsten und seiner persönlichen Integrität. Zu einer wirklichen Gefahr konnten die von marxistischen Vorstellungen ausgehenden Utopien der Terroristen aber erst dadurch werden, daß bestimmte Kräfte des sozialliberalen Lagers die Gefährlichkeit und zersetzende Kraft dieser Utopien lange nicht erkannten, sie selbst nach hinreichender Erkenntnis nicht entschlossen bekämpfen, sondern statt dessen lange sogar verharmlosten."

Bekämpfungsstrategie

Innere Sicherheit kann „nicht allein eine Frage der Macht und des Einsatzes staatlicher Vollzugsmittel gegen gewalttätige Störer sein . .. Sie hat auch moralische, geistige und politische Dimensionen. Das deutlich zu machen, ist Aufgabe der politischen Führung.

Eine wirksame Strategie gegen den Terrorismus erfordert seine geistig-politische Bekämpfung durch den Staat und die Bürger, eine Verbesserung des rechtlichen Instrumentariums und die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Sicherheitseinrichtungen der Länder und des Bundes. Die Ansprüche der Praxis und die Verfassung müssen dafür die Grundlage bleiben.

Geistig politische Bekämpfung des Terrorismus

Die pseudo-wissenschaftliche Verbrämung anarchistischer Kampfparolen und ihre verhängnisvolle Förderung durch einzelne Repräsentanten des kulturellen, kirchlichen und po-litischen Lebens haben in der Bundesrepublik Deutschland ein Klima entstehen lassen, in dem anarchistische Terroristen zunächst interessierte Toleranz und später auch aktive Unterstützung durch zahlreiche Sympathisanten fanden.

Der Abbau dieses Klimas falsch verstandener Liberalität setzt" voraus, daß „unsere Verfassung im Bewußtsein eines jeden Bürgers als die freiheitlichste und gerechteste Staatsordnung, die unser Land je in seiner Geschichte hatte, verankert wird. Der Bürger muß sich mit seinem Staat wieder identifizieren ... Die Bürger müssen über Methoden und Strategien des Kampfes der Anarchisten gegen unseren Staat und über das Ausmaß der damit verbundenen Gefahren für Leben und Freiheit jedes einzelnen voll informiert werden.

Es ist eine vorrangige Aufgabe der politischen Führung, dafür zu sorgen, daß die grundlegenden Prinzipien unserer staatlichen Ordnung nicht zur Disposition gestellt werden. ..

Gerechtigkeit und Freiheit setzen voraus, daß Gewalt nur vom Staat in den dafür gesetzlich vorgesehenen Fällen ausgeübt wird.

Die Sicherheitsorgane repräsentieren im freiheitlichen Rechtsstaat den Verteidigungswillen der Gemeinschaft. Deshalb ist jeder Versuch, den Einsatz rechtsstaatlicher Mittel gegen Verbrecher durch Vokabeln wie . Isolationsfolter', . politische Gefangenschaft'oder . Vernichtung von Minderheiten'zu diskriminieren, ein Angriff gegen die Fundamente unseres Staates.

Nur der Staat, der seinen öffentlichen Dienst von Verfassungsfeinden freihält, besitzt die notwendige innere Geschlossenheit, um sich des anarchistischen Terrorismus erfolgreich zu erwehren...

Seit Jahren werden in Bildungseinrichtungen Konflikttheorien und Parolen des Klassenkampfes verbreitet.. . Aufgabe der Schule ist es jedoch, den herwachsenden Staatsbürgern entsprechend ihrem Alter, ihrem Verständnis und ihrer Reife ... bewußtzumachen, ... daß die freiheitliche Demokratie in der Prägung des Grundgesetzes ein verteidigungswertes und ... zu erhaltendes Gut ist.

An unseren Hochschulen ist die Freiheit für Forschung und Lehre wiederherzustellen; Lehrmeinungen, die auf dem Boden unserer Verfassung stehen, dürfen nicht länger dem verbalen und handgreiflichen Terror linksex18 tremer Ideologen ausgeliefert bleiben. Hochschulen sind kein rechtsfreier Raum, sondern uneingeschränkt der Rechtsordnung unseres Staates unterworfen. Das Recht muß auch dort durchgesetzt werden... Organisationen und Personen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, dürfen durch den Staat weder ideell noch finanziell unterstützt werden. Auch die Parteienfinanzierung ist daraufhin zu überprüfen.

Die Presse-und Rundfunkfreiheit ist ein wesentliches Merkmal unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Nur in ihm ist sie denkbar. Daraus folgt die besondere Verpflichtung der Massenmedien und vor allem der öffentlich-rechtlichen Rundfunk-und Fernsehanstalten, für den Rechtsstaat einzutreten und Angriffe auf den Rechtsstaat nicht zu verharmlosen. Die Berichterstattung über Gewalttaten und Gewalttäter darf nicht wertfrei erfolgen und dadurch zur Abstumpfung und Gewöhnung an Gewalt und Terror führen...

Rechtliches Instnunentarium zur Bekämpfung des Terrorismus

Das geltende Recht wird seiner Schutzfunktion für den Rechtsstaat und seine Bürger nicht hinreichend gerecht. Das gilt besonders für die Bekämpfung des anarchistischen Terrorismus. Die Bundesregierung hat Initiativen der CDU/CSU und der CDU/CSU-regierten Länder erst unter dem Druck der öffentlichen Meinung zögernd, halbherzig und auch nur teilweise übernommen. Ohne eine umfassende Reform des rechtlichen Instrumentariums ist aber ein wirksamer Kampf gegen den Anarchismus nicht zu führen. Wer diese Bemühungen als Demontage des Rechtsstaates bezeichnet und dem Staat die Mittel zu seinem Schutz verweigert, handelt unehrlich; denn er ist es, der dadurch einer Demontage des Rechtsstaates Vorschub leistet."

Strafrecht

Der Initiativ-Entwurf der CDU/CSU-regierten Länder für ein Gesetz zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens „sieht die Neufassung des durch das Dritte Strafrechtsreformgesetz ausgehöhlten Tatbestandes des Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) und die Ergänzung des Tatbestandes der Androhung von Verbrechen (§ 126 StGB) vor." Die Propagierung und Anleitung zu besonders schweren Straftaten — besonders durch die Verbreitung von Handbüchern und Druckschriften — soll unter Strafe gestellt werden. „Wer sich unter bestimmten Voraussetzungen einer unfriedlichen Menge anschließt oder sich nicht aus ihr entfernt, wird mit Strafe bedroht."

Die Bundesregierung hat die Notwendigkeit solcher Regelungen mit dem von ihr inzwischen eingebrachten Entwurf eines Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes nur zum Teil anerkannt. „Die gegenwärtig in § 129 StGB — Kriminelle Vereinigungen — vorgesehene Strafdrohung ist nicht geeignet, der Entstehung bzw.dem Tätigwerden krimineller Vereinigungen, deren Ziel die Begehung schwerster Verbrechen ist, nachhaltig entgegenzuwirken. Die Strafdrohung für diese Fälle muß deshalb endlich ... wesentlich verschärft werden.

Strafverfahrensrecht Die durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. Dezember 1974 (BGBl I S. 3393) und das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 20. Dezember 1974 (BGBl I S. 3686) von der Bundestagsmehrheit durchgesetzten Regelungen, insbesondere z. B. Verteidigerausschluß, Beschleunigung des Strafverfahrens, Erweiterung der Befugnisse der Staatsanwaltschaft, haben sich, wie erwartet, als unzureichend herausgestellt... Eine schwerwiegende Gesetzeslücke besteht darin, daß eine Überwachung des Besuchs-und Schriftverkehrs anarchistischer Gewalttäter mit ihren Verteidigern in den gebotenen Fällen nicht zulässig ist.

Die CDU/CSU-regierten Länder haben deshalb den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung eingebracht..., durch den die Überwachung ermöglicht und damit di« im geltenden Recht bestehende Lücke geschlossen werden soll. Die Bundesregierung hat sich erst später bereit gefunden, diese Initiative zu unterstützen. Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind dahin fortzuentwickeln, daß auf richterliche Anordnung auch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten mit der Überwachung beauftragt werden können.

Zur wirksamen Bekämpfung krimineller Vereinigungen ist es zudem erforderlich, die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gegen solche Personen zu erleichtern, die dringend verdächtig sind, für eine kriminelle Vereinigung tätig zu sein.

Sicherheitsrecht

Zur wesentlichen Verbesserung der polizeilichen Fahndung ist die Einführung einer einheitlichen Hotelmelde-und Identifizierungspflicht im ganzen Bundesgebiet geboten... Die Identifizierungspflicht im Beherbergungsgewerbe würde besonders die Chance bieten, im Untergrund lebende anarchistische Terroristen zu finden, weil dieser Täterkreis zwar über verfälschte und gestohlene Ausweise verfügt, die Ausweisnummern aber erfahrungsgemäß unverändert bleiben... Nach den Feststellungen der Polizei hat der Mißbrauch von Kraftfahrzeugkennzeichen einen höchst bedenklichen Umfang angenommen. Bei 9O°/o aller Kapitalverbrechen werden von den Tätern Kraftfahrzeuge mit gefälschten oder entwendeten Kennzeichen als Tat-oder Flucht-mittel benutzt... Die Innenministerkonferenz hat bereits im Jahre 1972 Vorschläge zur Verhütung des Mißbrauchs von Kfz-Kennzeichen beschlossen... Die inzwischen verstrichene Zeit läßt den Schluß zu, daß die Bundesregierung die Angelegenheit nicht mit dem angemessenen Nachdruck verfolgt.

Aufgaben der Sicherheitseinrichtungen von Ländern und Bund

Das Verbrechen wird sowohl vorbeugend als auch strafverfolgend am erfolgreichsten am Ort des Geschehens bekämpft. Deshalb ist die Gewährleistung der inneren Sicherheit im exekutiven Bereich nach dem Grundgesetz vorrangig Aufgabe der Länder... Die föderative Aufteilung der Kompetenzen bewährt sich täglich aufs neue. Sie ermöglicht durch Orts-nähe und Vertrautheit der eingesetzten Kräfte mit dem Milieu eine wirksame Verbrechensbekämpfung. Das beweisen die hohen Aufklärungserfolge in der Bundesrepublik Deutschland, die an der Spitze aller vergleichbaren Staaten der Welt stehen... Diese Erfolge beruhen auf der Einheit von Schutz-und Kriminalpolizei, einheitlichen Befehlsstrukturen in den Ländern und dem engen und vertrauensvollen Zusammenwirken von 120 000 Schutz-polizeibeamten und 18 000 Kriminalbeamten, auch über Ländergrenzen hinweg.

All das würde durch die Einrichtung einer Bundeskriminalpolizei zerstört. Im übrigen kann allein der Verzicht auf eine zentrale Polizeigewalt einen möglichen Mißbrauch der gesamten Polizei verhindern. Nur geteilte Macht ist kontrollierbar.

Ein Höchstmaß an polizeilicher Wirksamkeit verlangt eine enge, vertrauensvolle und selbstlose Zusammenarbeit der Sicherheitseinrichtungen der Länder und des Bundes. Das gilt besonders für die Bekämpfung des Terrorismus. Dieses Ziel ist am besten durch einen kooperativen Föderalismus und nicht durch Verlagerung von Kompetenzen zu erreichen... Eine optimale Zusammenarbeit der Sicherheitseinrichtungen der Länder und des Bundes erfordert jedoch eine dezentrale Vereinheitlichung von rechtlichen Befugnissen, Organisation, Ausbildung und technischer Ausstattung der Polizei der Länder und des Bundes. Die dazu erforderlichen Schritte sind auf der Grundlage des Programms für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland bereits verwirklicht oder eingeleitet...

Der Einsatzwert des Bundesgrenzschutzes für den geschlossenen Einsatz zur Bewältigung schwerer Sicherheitsstörungen ist uneingeschränkt zu erhalten...

Das Bundeskriminalamt bildet als Informations-und Kommunikationszentrale der deutschen Polizei das notwendige Bindeglied im System des kooperativen Föderalismus... Das geltende BKA-Gesetz ist eine taugliche Grundlage für die Wahrnehmung der dem Bundeskriminalamt obliegenden Aufgaben. Seine Möglichkeiten sind auszuschöpfen. Dann erübrigt sich auch das Gerede über Kompetenzen.

Der Verfassungsschutz ist ein weiterer Garant unserer Freiheit und nicht etwa nur ihr notwendiger Preis. Unverzichtbare Voraussetzungen eines leistungsfähigen Verfassungsschutzes ist seine staatspolitische Anerkennung. Das erfordert, daß sich die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern offen und ohne Vorbehalt zum Verfassungsschutz bekennen und bereit sind, für ihn einzutreten. Der Verfassungsschutz hat sich schwerpunktmäßig mit dem anarchistischen Terrorismus zu befassen..."

II.

Es kann kaum überraschen, daß die Kritik am Offensivkonzept der Union nicht erst bei den darin vorgeschlagenen Maßnahmen ansetzte, sondern bereits bei der Darstellung der Umstände, in denen die Verfasser Ursachen und Bedingungen des anarchistischen Terrorismus zu finden meinen. Die apodiktische Härte der Formulierungen gerade im analysierenden Teil des Konzepts — wie ein politisches Aktionsprogramm sie forderte — hat zu einigen Fragen von grundlegender Bedeutung die nicht minder apodiktische Darstellung von Gegenpositionen herausgefordert.

1. Eine dieser Gegenpositionen sei hier herausgegriffen; sie ist ebenso grundsätzlich wie charakteristisch, was die höchst unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Vorstellungen angeht, von denen die Verfasser des Konzepts einerseits und ihre Kritiker andererseits ausgehen. Das Konzept betont, die soziale Struktur der Bundesrepublik Deutschland, gekennzeichnet von einem Höchstmaß sozialer Sicherheit, liefere keinen zureichenden Grund für das Phänomen des anarchistischen Terrorismus; wohl hätten neben anderem die bewußt geförderten Zweifel am Wert familiärer, nachbarschaftlicher und religiöser Bindungen den Nährboden für ihn geliefert.

Edgar Moron bestreitet das Er macht den Vorwurf, der Bereich der sozialen Probleme sei aus den „Ursachen des Terrorismus" völlig ausgeklammert, und empfiehlt eine erfolgreiche Sozialpolitik, die die Verwirklichung von Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit im weitesten Sinne zum Ziel hat, als „Schutzimpfung" gegen die Krankheit des Terrorismus. Terrorismus könne nur gedeihen, wo er auf Unzufriedenheit, Mißstände und soziale Spannungen stoße.

Der Gegensatz könnte kaum deutlicher gemacht werden. Hier klingt eben die Art von Verständnis für den Terrorismus an, die auf Seiten der Union für so verderblich angesehen wird: die Terroristen erscheinen als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit — Natürlich werden ihre Methoden nicht gebilligt. Aber die soziale Lage in unserem Lande erscheint so, daß sie einen zureichenden Grund für die Tätigkeit anarchistischer Terroristen abgibt. Das impliziert auch: Die Terroristen sind Vorkämpfer für soziale Verbesserungen.

Widerspruch zu beidem ist geboten: Unser Verfassungssystem hat sich seit mehr als 25 Jahren fähig erwiesen, die Grundlage für zunehmende soziale Gerechtigkeit und Sicherheit zu bieten. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, die zu den demokratischen Parteien unseres Landes steht, bestätigt das. Zum anderen zeigen die programmatischen Äußerungen der Terroristen bei aller Unklarheit ihrer Ziele jedenfalls eines ganz deutlich: der soziale Rechtsstaat ist nicht ihr Ziel.

Die Kritik zeigt dagegen den unreflektierten Glauben an staatlich hergestellte soziale Gerechtigkeit als Garantie für eine heile Gesellschaft. Seit ich erstmals Gelegenheit bekam, die Entwicklung sozialdemokratischer Sozialpolitik aus der Nähe zu beobachten, faszinierte und erschreckte mich die naiv aufklärerische Fortschrittsgläubigkeit, die ihr zugrunde lag: der Glaube an die Machbarkeit ungetrübter sozialer Glückseligkeit; die Vorstellung, mit der Aufklärung über soziale Probleme schon den wichtigsten Schritt zu ihrer Lösung getan zu haben. Ein Beispiel aus jüngster Zeit drängt sich auf: Im Auftrag des SPD-Vorstandes an den Parteitag zur inneren Sicherheit wird gefordert, besonders darauf zu achten, daß der Polizeibeamte die gesellschaftlichen Ursachen von Kriminalität und von sozialen Konflikten kennenlerne. Nun mag zwar solche Kenntnis durchaus für jeden Staatsbürger wünschenswert erscheinen; aber diese Forderung hat doch nur dann Sinn, wenn sie den Polizeibeamten zu einer besseren Bewältigung seiner Aufgaben befähigen könnte, nämlich Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. An der Pflicht des Polizeibeamten, zum Beispiel gegen illegale Hausbesetzer vorzugehen, ändert sich aber nichts, wenn ihm deren „soziale Konfliktsituation" vertraut ist. Er bleibt Polizist und wird nicht zum Sozialingenieur. Die Aufklärung hilft ihm nicht und trägt zur Lö-sung der Konflikte nicht bei; denn den Maßstab für sein Handeln liefert weiter das Gesetz, das ihm aufträgt, Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu verhüten oder zu beseitigen, und nicht seine Beurteilung der Ursachen einer (wirklichen? vermeintlichen?) sozialen Konfliktsituation. Die Forderung ist nur geeignet, Mißverständnisse über die Möglichkeiten zur Konfliktlösung hervorzurufen und den Glauben zu nähren, als könnte auf solche Weise der Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit bereitet werden.

Zurück zu Moron: Bei ihm tritt ganz unverhüllt der Glaube zutage, soziale Gerechtig. keit bilde eine Schutzimpfung gegen die gesellschaftliche „Krankheit" Terrorismus.

Dieser Glaube entspricht exakt der kürzlich von Kurt Sontheimer gelieferten Analyse „linker Theorie" in der Bundesrepublik Deutschland „Nie ist davon die Rede, daß das Leben in sich selbst widersprüchlich sein kann, ja vielleicht durch unausweichliche Widersprüche charakterisiert sein könnte; immer ist die Idee einer harmonischen, durch keine unauflöslichen Interessenkonflikte getrübten, von einem einheitlichen Willen beseelten Gesellschaft das utopische Leitbild, das den Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert wird."

Ich weiß, welcher Gefahr ich mich aussetze, gründlich mißverstanden zu werden. Dennoch: Mein entschiedenster Einwand gegen diese Politik ist, daß für sie das Böse keine reale Kategorie ist. Mit ihm glaubt sie nicht wirklich rechnen zu müssen. Nicht, daß ich glaubte, mit dieser Kategorie allein eine hinreichende Erklärung für den anarchistischen Terrorismus zu haben. Das Konzept nennt einige seiner Grundlagen. Soziale Ungerechtigkeit ist schwerlich eine der wichtigeren. Wer hätte denn gehört, daß je die Baader-Meinhof-Bande von denen Zuspruch bekommen hätte, die allenfalls Grund haben könnten, über ihre soziale Benachteiligung zu klagen: von Gastarbeitern oder jugendlichen Arbeitslosen, von alleinstehenden alten Menschen oder psychisch Kranken? Und wo gab es bis zur Mitte der sechziger Jahre in unserem Lande anarchistischen Terrorismus, als noch nicht einmal sozialliberale Reformen für eine Auflokkerung erstarrter Sozialstrukturen gesorgt hatten (ich übernehme für einen Augenblick diese Sicht)?

Dem *„Verständnis für den anarchistischen Terrorismus entspricht ein Mißverständnis von „Staatsautorität" und „Liberalität". Wenn Erhard Eppler Liberalität gegenüber unbequemen und manchmal auch unsinnigen Anschauungen und die Diskussion auch extremer Positionen fordert, möchte man ihm gern zustimmen, wenn man nicht sähe, in welchen Zusammenhang er seine Forderung stellt: junge Leute sollten nicht um ihre Berufschance gebracht werden. Das heißt also offenkundig, den Verfechtern „unsinniger Anschauungen" und „extremer Positionen" soll der öffentliche Dienst nicht versperrt werden; nur gegen „Politkriminalität" soll hart und entschlossen gekämpft werden.

Das erscheint mir nicht als „Liberalität", sondern als mangelnde Bereitschaft, geschichtliche Lehren (nämlich aus unserer Weimarer Vergangenheit) anzunehmen und den Verfassungsauftrag zur Verteidigung unserer grundgesetzlichen Ordnung zu erfüllen: Der öffentliche Dienst ist nicht dazu da, in seinen eigenen Reihen die Auseinandersetzung mit „extremen Positionen" zu führen. Auch „Liberalität" schuldet dem Vertreter „extremer Positionen" keine Plattform im öffentlichen Dienst, die es ihm erlaubt, solche Positionen mit der Autorität eines Amtes zu vertreten und zu verbreiten. In diesen Dienst gehören allein diejenigen, die die verfassungsrechtliche Grundordnung zu verteidigen bereit sind. Was rechtfertigt eigentlich die Unterstellung, daß solche Beamte nicht bereit und in der Lage seien, den öffentlichen Dienst mit kritischem und liberalem Geist zu erfüllen? Zu solcher Unterstellung kann man nur kommen, wenn man sich der Monopolisierung des Attributes „kritisch" für demokratische Sozialisten oder weiter links Orientierte beugt. Die Bereitschaft dazu findet sich allerdings — wie eine Zwischenentscheidung im Rechtsstreit über die Einstellung einer Funktionärin der kommunistisch gelenkten VDJ in den bayerischen Justizdienst zeigt — inzwischen sogar in unabhängigen deutschen Gerichten. Dies ist eines der eindrucksvollsten Beispiele für die mit Hilfe der Sprache ausgeübte „strukturelle Gewalt" der Linken in Deutschland.

Das „Offensivkonzept“ hält die Integrität des Rechtsstaates und die Freiheit und Unver-sehrtheit seiner Bürger nur für gewährleistet, wenn die Gefährlichkeit des anarchistischen Terrorismus von allen politischen Kräften erkannt und seine Bekämpfung aufrichtig gewollt wird. Dazu gehöre es, verlorene Staats-autorität wiederzugewinnen.

Das hat dem Konzept den Vorwurf „plumper Verdächtigung" und die Kritik eingetragen, damit werde „nur den Kräften in unserer Gesellschaft Auftrieb (gegeben), die grundsätzliche Gegner unserer freiheitlichen Ordnung sind"

Nur am Beispiel des Verfassungsschutzes sei hier gezeigt, worauf das Konzept zielt: Die Art, wie der Verfassungsschutz mal auf grobe, mal auf subtile Art von Politikern aus dem sozialliberalen Bereich denunziert wird.

Die grobe Art betreibt Eppler wenn er verspricht, „den Bürger gegen obrigkeitsstaatlische Gesinnungsschnüffelei (zu) schützen", die subtilere Art zieht Maihofer vor, indem er den Verfassungsschutz als den Preis bezeichnet, den wir für unsere Freiheit zu zahlen hätten.

Auf die eine wie auf die andere Weise wird Staatsautorität untergraben. Die Verfassungsschutzbehörden sind — ich folge insoweit Genscher — „Ausdruck des legitimen Selbstbehauptungswillens unserer Demokratie" mit ihnen erfüllen wir eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Verteidigung unserer grundgesetzlichen Ordnung. Die Erfüllung dieser Pflicht verdient weder das Schimpfwort „obrigkeitsstaatliche Gesinnungsschnüffelei"

noch die Herabwürdigung zu einem „Preis", den man notgedrungen, aber widerwillig zahlt, obwohl man ihn als „Liberaler" viel lieber einsparen würde.

Wieso dient derjenige, der sich gegen einen solchen Abbau von Staatsautorität wehrt, den Feinden unserer Freiheitsordnung? Was rechtfertigt es, ihn der reaktionären Sehnsucht nach dem Polizei-und Obrigkeitsstaat der Vergangenheit und gar des effektiven Zusammenspiels mit Terroristen zu zeihen? Ein solcher Vorwurf trifft eher den, der Positionen und Institutionen des Rechtsstaates aufgibt, sie öffentlich herabwürdigt oder nur spürbar widerwillig in Kauf nimmt, nicht wer an ihnen festhält.

2. Eine andere Gegenposition zum „Offensivkonzept" — bekannt schon aus Debatten zwischen Brandt und Barzel — wird in zwei knappen Bemerkungen so deutlich, wie man sich das nur wünschen kann: „Terroristen demonstrieren nicht, sondern planen und begehen Anschläge" sagt Wassermann und — abstrakter, aber womöglich noch klarer — Eppler spricht von dem messerscharfen Strich, der zwischen radikaler politischer Fragestellung und politisch verbrämter Kriminalität gezogen werden müsse.

Was hier unterstellt wird, würde zwar manchem eine höchst wünschenswert erscheinende politische Entlastung bringen; nur: es entspricht durchaus nicht der Wirklichkeit — und hat ihr nie entsprochen. Diese Wirklichkeit zeigt nämlich einen gesellschaftlichen Hintergrund des anarchistischen Terrorismus, der von aktiver materieller Unterstützung über Verschiedene Formen „aktiver" und „passiver" Sympathie bis zu Erklärungen unserer Sozialstruktur reicht, die auf eine Rechtfertigung oder Stützung der Anarchisten hinauslaufen. Auf diesem Hintergrund Sieht man Personen sich bewegen, deren politische Standorte zwischen der „Neuen Linken" und dem linken Rand des „Demokratischen Sozialismus" liegen. Diese Sicht der Situation — man muß das nach allem, was hier an bösen gegenseitigen Vorwürfen vorgekommen ist, leider ausdrücklich sagen — enthält keineswegs die Unterstellung, daß Terroristen aus dem Bereich einer demokratischen Partei unterstützt würden. Aber sie macht deutlich, daß es den von Eppler behaupteten messerscharfen Strich zwischen Terroristen und Vertretern radikaler politischer Fragestellungen nicht gibt, ebensowenig die von Wassemann angedeutete säuberliche Trennung von Terroristen hier und Demonstranten dort. Das Letzte ist erst jüngst in Frankfurt bei der Demonstration nach dem Tod von Ulrike Mein-hof deutlich geworden.

Aus etlichen Erklärungen verschiedener Mitglieder der Bundesregierung ist bekannt, daß nach Kenntnis der Bundesregierung der harte Kern der Terroristen auf jeden Fall unter 200 liegt; noch im vergangenen Jahr waren allerdings Zahlen zwischen dreißig und hundert genannt worden. Dazu kommt eine Schar akti-ver Sympathisanten, die auf 200 bis 300 geschätzt wird. Dann gibt es einen Kreis von 2 000 bis 3 000 Personen, bei denen wir gewärtig sein müssen, daß sie einmal in die aktive Sympathisantenszene abgleiten. Und schließlich gibt es eine noch viel größere Schar ideologischer Sympathisanten, die bei Demonstrationen auf die Beine gebracht werden Schon diese Tatsachen zeigen, daß der „messerscharfe Schnitt" zwischen Terroristen und Vertretern radikaler Positionen nicht möglich ist.

Aber man braucht bei abstrakten Zahlen nicht stehenzubleiben. Konkrete Ereignisse bestätigen die Zusammenhänge und Übergänge zwischen Terroristen und „Vertretern radikaler Positionen". Nach der Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann verbreiteten in Frankfurt die Gruppen „Revolutionärer Kampf", „Häuserrat", „Sozialistische Hochschulinitiative", „Rote Hilfe" und „Komitee gegen die Folter" ein Flugblatt, in dem es hieß: „Eine Nachfolgeorganisation der RAF hat den Tod von Holger Meins als Signal verstanden. Sie haben ihre Trauer und ihren Haß in Handlung umgewandelt und den Kammergerichtspräsidenten von Berlin, Drenkmann, erschossen. Keine Folter, kein Gefängnis konnte sie davon abschrecken." Entschiedene Trennung, Distanzierung spricht nicht aus diesen Worten. Zur gleichen Zeit ließ sich Daniel Cohn-Bendit auf einer Versammlung mit tausend Teilnehmern in einem Hörsaal der Frankfurter Universität zujubeln. Er erklärte: „Es kann die Frage sein, ob es taktisch richtig war, Drenkmann zu erschießen, auf jeden Fall werden wir das diskutieren. Wir werden unsere Zeitungen und Schriften den Berliner Genossen zur Verfügung stellen, wenn sie die Gründe für ihr Handeln darlegen wollen. Wir werden uns nicht von ihnen distanzieren"

Um etliches kritischer zwar, aber doch nur aus taktischen Gründen, gab sich die „Sozialistische Assistentenzelle" am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin in einer Stellungnahme, die auf einer Vollversammlung des Politologischen Instituts der FU nahezu einhellig begrüßt wurde: „Für eine sozialistische Strategie kommt es aber gerade darauf an, die staatliche Gewalt nicht als individuell ausgeübte, sondern als strukturell in der bürgerlichen Klassengesellschaft angelegt zu bekämpfen. Der Mord an Drenkmann hat das Individuum Drenkmann beseitigt, nicht den Präsidenten des Kammergerichts. Daß das Attentat ein Akt der Verzweiflung gewesen sein mag, die aus politischer Ohnmacht resultiert, wollen wir nicht bezweifeln. Aber Verzweiflung ist keine Basis für politische Aktionen ..."

Während die zuvor zitierten Aktionen und Stellungnahmen zwar schon das recht weite, zum Teil auch gegenüber einzelnen Aktionen kritisch urteilende Umfeld der Anarchisten beleuchten reicht bei ihnen doch der Kreis der Beteiligten noch nicht erkennbar unmittelbar bis an eine demokratische Partei heran.

Das ist aber anders bei der Diskussionsveranstaltung „Der Hungerstreik der politischen Gefangenen und die Krise der Linken" des „Komitees Kritischer Juristen" im Dezember 1974 im Volksbildungsheim in Frankfurt. Ihr Ziel war es, die Solidarität mit dem Hungerstreik politischer Gefangener in der Bundesrepublik nicht den Rote-Hilfe-Spezialisten zu überlassen, sondern eine „Diskussion der Linken" zu führen. Die Beteiligten reichten von Daniel Cohn-Bendit über Vertreter der „Neuen Linken" bis zu solchen des „Sozialistischen Büros". Es ist bekannt, daß beim „Sozialistischen Büro" (Offenbach) auch Mitglieder der SPD mitarbeiten.

Dann kommen geradewegs aus der SPD Erklärungen für das Phänomen des Terrorismus, die unser Land zeihen, durch Gewalt die Gegen-gewalt der Terroristen proviziert zu haben.

So lieferte Jochen Steffen auf dem Landesparteitag der SPD Schleswig-Holstein im Oktober 1972 folgende Analyse: „Aber eines dürfen denkende Menschen doch nicht übersehen, daß nämlich fast aller Terror nicht aus sich selbst geboren wurde, sondern das Kind unerträglicher Verhältnisse, amoralischer Machtausübung und Terror von , Oben'ist. Der Terror, über den man sich empört, ist häufig das Kind jenes Terrors, den man duldete oder gar selbst ausübte." Die Erklärung der Bremer Jungsozialisten vom Dezember 1974, von den schleswig-holsteinischen Jungsozialisten übernommen, verkehrte dann vollends die Fronten: Nicht von der RAF drohe die Hauptgefahr für die Demokratie, sondern von Reaktionären wie Dregger, Carstens, Strauß und Stoltenberg.

Dieses Mehr an Verständnis für anarchistische Terroristen als für den politischen Gegner im Bereich der demokratischen Parteien kam sicher nicht von ungefähr. Ihm lag eine Haltung in Bereichen der veröffentlichten Meinung zugrunde, die BKA-Präsident Herold aus der Sicht der Polizei in der Innenministerkonferenz im Januar 1972 so geschildert hat: „Es ist festzustellen, daß eine erhebliche Klimaverschlechterung in den überregionalen Medien eingetreten ist. — ... sind Fernsehen, Rundfunk, Der Spiegel, Die Zeit, Vorwärts, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Rundschau zu einer äußerst kritischen Negativhaltung übergegangen. — Das Solidarisierungsfeld hat sich seit dem letzten Bericht für die Innenministerkonferenz deutlich verbreitert ... Im Bereich der Presse reicht das Solidarisierungsfeld so weit, daß sich die dpa-Redakteure ganz Süddeutschlands mit dem Waffen-vermittler Bornheim, der die Lieferung der Firebird-Pistolen von der EL Fatah vermittelt hat, solidarisch erklärten."

Jedermann, der sich nur etwas mit der Erscheinung des Terrorismus in unserem Lande beschäftigt hat, kennt Massen von Material, das Erkenntnisse über das engere und weitere Umfeld des Terrorismus liefert. Seit Jahren bemühen sich Strafverfolgungsbehörden und Innenminister, auf eine Abtrennung der Terroristen von diesem Umfeld hinzuwirken, weil nur dann die Aussichten wachsen, über Einzelerfolge bei der Bekämpfung hinauszugelangen. Diese Situation der fließenden Grenzen — das Gegenteil von Epplers „messerscharfem Strich" — wird immer wieder bestritten, so offenkundig sie auch längst geworden ist. Das läßt sich nicht mit politischer Unkenntnis derer erklären, die sich dabei hervortun. Vielmehr scheint das Motiv solchen entschiedenen Leugnens von Tatsachen eher eine Überreaktion darauf zu sein, daß in der Bevölkerung gelegentlich nach Stammtisch-Manier eine Gleichung Sozialisten — Kommunisten = Terroristen aufgemacht wird. Ein weiteres Motiv scheint die fehlende Bereit-schäft zu dem Eingeständnis zu sein, daß die deutschen Sozialdemokraten ihre Fähigkeit zur Integration von Mitgliedern der APO offenkundig überschätzt haben und deshalb nicht immer entschieden und rechtzeitig genug auf Distanz gegangen sind gegenüber Leuten, die Verständnis auch für sehr „handfeste“ Methoden der Systemüberwindung haben. 3. Das „klassische staatspolitische Konzept aller reaktionären und rechtsextremen Parteien" erkennt Andreas von Schoeler im „Offensivkonzept". Liberalität werde aufgegeben, ein starker Staat mit viel Polizei und mächtiger Staatsanwaltschaft empfohlen.

Mir scheint, ein schwacher Staat ist der schlechteste Garant für Liberalität — jedenfalls, wenn ihr Ziel nicht nur einseitig darin besteht, den vor Unrecht zu bewahren, der vom Verdacht einer Straftat belastet wird. Keine mindere Aufgabe des Rechtsstaates sollte es sein, seine Bürger vor Verbrechen zu bewahren. Ist der Bürger, der sich durch seinen Staat nicht so gut wie möglich vor Verbrechen geschützt sieht, weniger unfrei als der, der sich vor unberechtigtem Zugriff des Staates fürchten muß? Gerade der sozial Schwächere kann, wenn ihm denn eine Ordnung angeboten werden soll, in der er unbehelligt und gesichert leben kann, diese nur finden in der Rechtsordnung eines Staates, der die Kraft und Autorität hat, diese Ordnung zu sichern und durchzusetzen. Gesetz und Ordnung — law and order — wurden von vorgeblich Liberalen zu einem Schimpfwort gemacht, das gegen jeden Versuch gewandt wurde, rücksichtslosem Gebrauch von Freiheitsrechten entgegenzuwirken. So gezeugte Liberalität kam dann zuvörderst dem zustatten, der sie auf Kosten anderer ausnutzte. Wer schützt den Freiheitsraum dessen, dem durch Demonstranten das öffentliche Verkehrsmittel für die Heimfahrt zum Feierabend blockiert wird?

Strafandrohungen gegen den Teilnehmer an einer Demonstration, aus der heraus Gewalt verübt wird, seien ein Anschlag gegen den liberalen Rechtsstaat, wird dem „Offensivkonzept" vorgeworfen. Aber daß zugleich aus dem sozialliberalen Lager der Ruf nach mehr Bundeskompetenz in Sachen Polizei erhoben wird, daß den Ländern auch das Gesetzge-bungsrecht in Sachen Polizei genommen werden soll löst keine vergleichbaren Sorgen aus. Niemand scheint zu bedenken, daß gerade in Sachen Polizei der Föderalismus ein Garant des Rechtsstaates ist. Hier wird seit Jahren unter Berufung auf angebliche (bisweilen auch wirkliche, aber bei allseitiger Bereitschaft durch Kooperation behebbare) Mängel und Unzulänglichkeiten immer wieder einer größeren Polizeigewalt und Polizeimacht des Bundes in einem Maße das Wort geredet, daß nun wirklich Anlaß wäre zu fragen, ob damit nicht der Liberalität in diesem Lande Schaden droht. Es ist verwunderlich zu sehen, daß den Verfechtern von „Liberalität" die institutioneile Sicherung von Freiheitlichkeit durch föderalistische Machtverteilung so wenig gilt, aber dafür um so mehr die Freiheit, bei Demonstrationen dabei sein zu dürfen, deren Veranstalter uns — und sei es mit Gewalt — auf den Weg zum „demokratischen Zentralismus“ führen wollen.

III.

Einige Vorschläge des Offensivkonzepts haben eine Kritik erfahren, die nach einer Antwort verlangt, sei es wegen ihres grundsätzlichen Charakters, wegen ihrer inneren Unschlüssigkeit oder wegen der dabei zutage tretenden Nichtachtung längst bekannter Gegenargumente. Dazu gehören die Bereiche Demonstrationsstrafrecht, Haftrecht, Verteidigerüberwachung und die Forderungen an Rundfunk und Fernsehen.

1. Die Forderung, den mit Strafe zu bedrohen, der sich einer gewalttätigen Demonstration anschließt oder aus ihr nicht entfernt, zielt nach Wassermann „auf den Kernbestand unserer freiheitlichen Verfassung"

Kein Zweifel, daß das Demonstrationsrecht zu diesem Kernbestand gehört. Aber schon im März 1970, als die sozialliberale Koalition gegen die CDU/CSU-Opposition einen weitgehenden Abbau der Strafvorschriften zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens durchsetzte, wies die Opposition darauf hin, daß für sie die Abwägung zwischen dem Schutz der Demonstrationsfreiheit einerseits und dem Schutz von Gesundheit, Leben und Eigentum der Bürger andererseits dann zugunsten der letzten ausschlägt, wenn die Demonstrationsfreiheit bis zur Gewalttätigkeit genutzt wird.

Es gibt keinen überzeugenden Grund, von diesem Standpunkt abzugehen. Welche Freiheit — unterstellt, dieser Begriff soll den Sinn behalten, den er in unserer Verfassungsordnung auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 1 GG hat — wird denn dem Bürger genommen, wenn ihm zugemutet wird, sich von einer un-friedlichen Demonstration zu trennen oder sich ihr nicht anzuschließen? Doch jedenfalls keine, die ihm das Grundrecht der Versammlungsfreiheit in Art. 8 GG gewährt, da dieses Grundrecht ausdrücklich nur für die friedliche Versammlung gilt. Wer an einer Demonstration teilnimmt, aus der heraus Gewalttätigkeiten verübt werden — nur darum geht es, nicht wie irreführend immer wieder dargestellt wird, um bloßes Lärmschlagen, Verkehrsbehinderungen oder rabiate Parolen und Transparente —, erhöht die Gefährlichkeit der Situation, auch die Gefahr für die Bürger, die die Polizei schützen soll. Das ist keine Behauptung aufs Geratewohl, sondern die Folgerung aus zahlreichen Demonstrationen, bei denen Gewalttäter nach raschen Attacken in der sie deckenden Menge der Sympathisanten oder Neugierigen untertauchen, sich so der Identifizierung durch die Polizei entziehen oder bereitwillige „Entlastungszeugen" finden.

Der Frankfurter Polizeipräsident Müller äußerte sich kürzlich so zu der Situation: „Die Polizeipräsidenten haben bereits damals bei der Reform des Demonstrationsstrafrechts auf die Gefahren hingewiesen, die sich aus der Änderung des Landfriedensbruch-Tatbestandes ergeben werden. Die inzwischen gemachten Erfahrungen haben unsere damaligen Sorgen bestätigt. Der Gesetzgeber muß entweder den alten Rechtszustand in einem nicht unerheblichen Teil wiederherstellen oder er muß durch die Schaffung eines klaren Auflauftatbestandes, der damals auch gestrichen worden ist, der Polizei die nötige Unterstützung geben, damit sie ihre Aufgabe erfüllen kann und mit diesen Gruppen besser fertig werden kann.“ Nun mag man sagen, daß für die Beurteilung der vertretbaren Grenzen der Demonstrationsfreiheit ein Polizeipräsident kein klassischer Zeuge sei, auch nicht, wenn er der SPD angehört und als liberal angesehen werden darf.

Aber dann muß man sich doch der Frage stellen, ob es der Liberalität und Rechtsstaatlichkeit dient, wenn der Gesetzgeber sich auf Kosten der Polizei großzügig erweist, indem er sie nötigt, sich mit dem Schlagstock zu den „Politrockern“ durchzukämpfen, statt die Bürger, die an einer zu Gewalttaten ausartenden Demonstration teilnehmen, auch mit dem Druck des Strafgesetzes zur Loyalität anzuhalten. 2. Die Forderung des „Offensivkonzepts", die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gegen Personen zu erleichtern, die verdächtig sind, für eine kriminelle Vereinigung tätig zu sein, wird von Kritikern in das „Repertoire regressiver Rechtspolitik" eingeordnet.

Was das „Repertoire“ angeht, so hat in der Tat die Union sich immer wieder in den letzten Jahren genötigt gesehen, angesichts offenkundiger Lücken im Haftrecht Vorschläge zu dessen Ergänzung zu machen. 1970 wurde das Verlangen der Unionsfraktion nach einer Änderung der StrafprozeßOrdnung mit dem Ziel, die Gefährdung der Allgemeinheit durch Serientäter zu bekämpfen, als „Law-and-Order" -Reden und als „Schattenboxen“ abgetan. Ein Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Änderung des Haftrechts wurde zunächst auf die lange Bank geschoben und dann bei seiner schließlichen Beratung als „Geschäft mit der Angst" disqualifiziert. Nur ein halbes Jahr später, als der Terror der Baader-Meinhof-Bande die Szene beherrschte, stimmte die Koalition der Änderung des Haftrechts zu.

Diese späte Einsicht, daß das Strafverfahrens-recht an der falschen Stelle liberalisiert worden war, mag man „regressive Rechtspolitik''nennen; aber ein Rückschritt war das wohl nicht aus der Sicht des Bürgers, der sein Dasein durch den Staat geschützt sehen will, sondern allenfalls aus der Sicht dessen, der sich zu Unrecht solcher Handlungen verdächtigt glaubt, die ihm eine Verhaftung eintragen könnte. Und da stellt sich doch wieder die Frage: Ist es wirklich rückschrittlich, ist es illiberal, wenn nicht um jeden Preis der Freiheitsschutz eines Verdächtigen den Vorrang vor dem Freiheits-und Rechtsschutz durch Verbrechen bedrohter Bürger erhält? Warum gilt die ganze Sorge „fortschrittlicher"

Rechtspolitiker stets dem vom staatlichen Zugriff Bedrohten, nicht dem Opfer von Straftaten?

Nun ist es notwendig, erneut Korrekturen am Haftrecht anzubringen. Denn im Fall des untergetauchten Rechtsanwalts Sigfrid Haag war eben nicht unrichtige Rechtsanwendung, sondern eine Schwäche des Gesetzes der entscheidende Mangel. Das belegt eine Reihe vergleichbarer Fälle, unter anderem der des ebenfalls untergetauchten ehemaligen Rechtsanwalts Jörg Lang und der Anarchistin Astrid Proll. v Deshalb ist der Bundesregierung zuzustimmen, wenn sie — insoweit dem Offensivkonzept folgend — zu den Punkten, in denen Gesetzesänderungen „zu einer noch wirksameren Bekämpfung terroristischer Gewalttaten beitragen können", das Haftrecht zählt. Denn: „Auch im Falle des Verdachts strafbarer Handlungen im Rahmen einer terroristischen Vereinigung kann Untersuchungshaft in der Regel nur bei Vorliegen einer der im § 112 Abs. 2 StPO aufgezählten Haftgründe verhängt werden. Dies erscheint beispielsweise dann unbefriedigend, wenn sich die Fluchtgefahr nicht in dem erforderlichen Maße dartun läßt. Die Aufnahme dieser Handlungen in die Bestimmung des § 112 Abs. 3 StPO stellt sicher, daß der Richter einen Haftbefehl in all den Fällen erlassen kann, in denen der vorläufige Freiheitsentzug geboten erscheint“ 3. Was das „Offensivkonzept" zur Verteidigerüberwachung sagt — Gesprächsüberwachung evtl, auch durch die Staatsanwaltschaft oder deren Hilfsbeamte —, nennt Wassermann ein weiteres Beispiel für seine „exzessive Richtung". Vielleicht wäre eine deutlichere Formulierung des Konzepts an dieser Stelle geeignet gewesen, den Vorwurf zu mildern: nämlich, daß der Staatsanwalt oder sein Hilfsbeamter nicht anstelle des Richters, sondern neben ihm unter den gesetzlichen Voraussetzungen ein Gespräch zwischen dem der Konspiration verdächtigen Anwalt und seinem Mandanten überwachen sollte. Denn angesichts der hoch entwickelten Methoden konspirativer Zusammenarbeit wird man von einem Richter nicht erwarten können, daß er einen verschlüsselten Informationsaustausch stets erkennt; seine Anwesenheit wird also den Zweck des Gesetzes nicht mit hinreichen-der Sicherheit erfüllen können, wenn nicht außerdem ein auf die Strafverfolgung krimineller Banden spezialisierter Staatsanwalt oder Kriminalbeamter beteiligt wird.

Die Bundesregierung hat es bei der Frage der Gesprächsüberwachung versäumt, ihre politische Führungsaufgabe wahrzunehmen. Nach dem vorhersehbaren — und von Kennern der Szene vorhergesagten — Fehlschlag der Ausschlußregelung legte sie zwar schließlich einen Gesetzentwurf vor, der — unter bestimmten begrenzten Voraussetzungen — eine Gesprächsüberwachung vorsah. Aber schon bald darauf begann in der FDP-Fraktion unter führender Beteiligung eines Kabinettsmitgliedes die Absetzbewegung gegenüber diesem Entwurf. Von nennenswerten Anstrengungen der Regierung zur Verteidigung ihres Entwurfs war dagegen nichts zu spüren, obwohl sie ihn ausdrücklich als „streng rechtsstaatlich" charakterisiert hatte. Diesen Vorgang mag man als koalitionsinternes Problem abtun.

Aber die Tatsache, daß die Bundesregierung schon Anfang 1972 sehr genau über das unzulässige Zusammenspiel einiger Dutzend Verteidiger mit ihren Mandanten informiert war und darüber weder das Parlament unterrichtet noch von sich aus Initiativen ergriffen hat, um solches Handeln unmöglich zu machen, hat sie gegenüber allen Bürgern zu vertreten. Welche Maßnahmen man immer für notwendig und vertretbar ansehen mag, sie hätten bei gehöriger Initiative der Bundesregierung wesentlich früher einsetzen können. Und wer Bedenken gegen die rechtsstaatliche Vertretbarkeit der Verteidigerüberwachung hat, sollte dann bereit sein, an Überlegungen mitzuwirken, wie Juristen, die aus ideologischen Gründen zur Unterstützung krimineller Aktivitäten ihrer Mandanten bereit sind, möglichst von vornherein dem Anwaltsstand ferngehalten oder aus ihm entfernt werden können. Es erscheint mir fraglich, ob dazu die Bundesrechtsanwaltsordnung in ihrer heutigen Fassung ausreicht, die für die Abweisung eines die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpfenden Anwalt-bewerbers eine rechtskräftige strafrichterliche Verurteilung voraussetzt. Unzulänglich ist auch die Verweisung auf die anwaltliche Ehrengerichtsbarkeit. Alle Erfahrungen sprechen dagegen, daß die Selbstreinigungskraft eines Berufsstandes ausreicht, um mit Sachverhalten fertig zu werden, für deren Ermittlung dieser Ehrengerichtsbarkeit die Voraussetzungen und Mittel fehlen. 4. „Ungeheuerlich" findet von Schoeler daß das „Offensivkonzept" von den öffentlich-rechtlichen Rundfunk-und Fernsehanstalten verlangt, ihre Berichterstattung über Gewalttaten und Gewalttäter dürfe nicht wertfrei erfolgen. Wenn dieser heftige Vorwurf nicht etwa bloß auf einem Mißverständnis beruhen sollte, dann ist er einigermaßen erstaunlich. Die Rundfunkgesetze der Länder und die Satzungen der Rundfunkanstalten des Bundes enthalten eine ausdrückliche Verpflichtung der Sendeanstalten auf die Verfassungsordnung. So heißt es in § 23 der Satzung der Deutschen Welle und des Deutschland-funks: „Die Sendungen müssen in ihrer Gesamtheit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entsprechen.“ Und in § 4 des Gesetzes über den Westdeutschen Rundfunk wird vorgeschrieben, daß sich die „Sendungen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung halten"; der Rundfunkanstalt wird aufgegeben, daß sie mit ihren Sendungen „die demokratischen Freiheiten verteidigen" solle.

Dieser gesetzliche Auftrag ist ausdrücklich auf alle Sendungen bezogen, auch auf die Nachrichtensendungen. Die gesetzlichen Bestimmungen geben den Sendeanstalten also gerade das Gegenteil von „wertfreier Berichterstattung" auf. Alle Sendungen sind ausdrücklich an die Wertordnung unseres Grundgesetzes gebunden, und das nicht nur in der Weise, daß sie nicht gegen die „verfassungsmäßige Ordnung" verstoßen dürfen; vielmehr wird positiv verlangt, daß sie die „demokratischen Freiheiten verteidigen". Damit wird auch ausgeschlossen (soll ausgeschlossen werden), daß die Arbeit der Sende-anstalten unter Vorgabe, „wertfrei" zu sein, in Wahrheit für Wertvorstellungen eintritt, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind. Natürlich kann diese Verpflichtung der Sendeanstalten sich schwerlich in jeder einzelnen Nachricht ausdrücken, die sie mitteilen. Aber es wäre naiv, so zu tun, als könne nicht auch durch die Auswahl, Placierung und Nuancierung von Nachrichten die Bewertung zum Beispiel des anarchistischen Terrorismus zum Ausdruck gebracht werden.

Da im übrigen im „Offensivkonzept'von „kritischer Berichterstattung" die Rede ist, wird deutlich, daß hier nicht nur die Nachrichtengebung, sondern auch die Kommentierung und sonstige Darstellungen von Vorgängen auch aus dem Bereich des anarchistischen Terrorismus gemeint sind.

Die Formulierungen des Konzepts erlauben es — meine ich — kaum, hier „das Ansinnen an die Medien" zu erblicken, „in einem bestimmten Bereich sich jedweder Kritik an staatlichen Maßnahmen zu enthalten" Solche Kritik ist hier nicht minder nötig als irgendwo sonst, wo der Gebrauch staatlicher Gewalt auch die Gefahr des Mißbrauchs birgt. Mir scheint es sehr wohl möglich, das Verhalten staatlicher Organe zu kritisieren, wo nötig sogar scharf zu kritisieren, ohne zugleich Sympathie für Terroristen zu wecken; es gibt genug Beispiele, die das belegen.

Auf eine noch weitere höchst kritische Bemerkung von Schoelers möchte ich eingehen. Er sieht im „Offensivkonzept" demokratische Parteien verdächtigt, sie unterstützten über ihre staatliche Finanzierung verfassungsfeindliche Bestrebungen. Dieser Vorwurf, meint er, übersteige das Maß des Erträglichen.

Seine Kritik geht ins Leere, denn der Vorwurf wird gar nicht erhoben. Etwas anderes steht im Konzept, und das nicht ohne Grund: Der Staat dürfe Gruppen nicht unterstützen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Es hat in der Tat nachdrücklicher Interventionen bedurft, um die Förderung des kommunistisch orientierten SHB und des von Gruppen der „Neuen Linken" gesteuerten Fachhochschul-Studentenverbandes SVI aus Mitteln des Bundesjugendplans zu stoppen. Es sollte selbstverständlich sein, daß die Bundesregierung von sich aus auf solche Förderung verzichtet. Leider zeigt das Beispiel der durch und durch von Kommunisten unterwanderten Naturfreundejugend Deutschlands, daß Bundesregierung und sozialliberale Koalition noch keineswegs dazu bereit sind. Obwohl der Tatbestand klar und unstreitig ist, setzen sie eine weitere — wenn auch gekürzte — Förderung durch. Auch die andere Forderung des Konzepts, die Parteienfinanzierung unter dem gleichen Gesichtspunkt zu überprüfen, hat ihren guten Grund: Es ist schwer erträglich zu sehen, daß Spenden an Parteien mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung, wie die NPD, die DKP, die KPD, den KBW und andere mit Steuervergünstigungen honoriert werden. Es scheint mir immerhin der Mühe wert zu diskutieren, ob das unvermeidlich ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So jünqst noch Horchern: „Die RAF hat ihr Konzept nicht aus dem Anarchismus entwickelt, sondern aus dem durch maoistische Lehren erweiterten Marxismus/Leninismus.“ Kölner Stadtanzeiger vom 24. Januar 1976. Im Titel des Konzepts war auf eine entsprechende Kennzeichnung verzichtet worden aus Sorge, sie könnte einmal mehr als vermeintlich unzulässige Vermengung neomarxistischer Vorstellungen mit den Theorien der RAF und ihrer Folgegruppen mißverstanden werden.

  2. „Auch hier das Ziel verfehlt — Ungenügende Anti-Terroristen — Strategie der Opposition". SPD-Pressedienst P/XXX/132 vom 16. Juli 1975

  3. Weit deutlicher wurde allerdings Jochen Steffen in „Das da" Januar 1975: „Bei den Anarchisten ist nur eines völlig klar. Das ist ihre sympathische Zielvorstellung. Sie wollen eine auf Recht und Freiheit gegründete Gesellschaft ohne Gewalt."

  4. Antrag Parteivorstand Innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland, Vorwärts vom 9. Oktober 1975.

  5. Kurt Sontheimer, Die Bundesrepublik aus der Perspektive linker Theorie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/76

  6. „Innere und soziale Sicherheit gehören zusammen". SPD-Pressedienst P/XXX/184 vom 26. September 1975.

  7. Rudolf Wassermann, Sehnsucht nach dem Polizeistaat, in: Vorwärts vom 24. Juli 1975.

  8. A. a. Ö.

  9. Antrittsrede vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz am 16. Juli 1974 — Veröffentlichung des Pressereferats des BMI.

  10. Bericht über die Einführung von BfV-Präsident Nollau, General-Anzeiger Bonn vom 9. Mai 1972.

  11. A. a. O. '‘ ‘

  12. A. a. O.

  13. Angaben nach Maihofer, ZDF-Magazin vom 28. Mai 1975.

  14. Zitiert nach FAZ vom 14. November 1974.

  15. berliner EXTRA dienst Nr. 92/VIII vom 15. Nov. 1974.

  16. In diesen Bereich gehört auch eine Reihe regelmäßig erscheinender Publikationen, die aus ihrer Sympathie für die Anarchisten keinen Hehl machen, so z. B.der in Frankfurt erscheinende „Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten" und die in Hannover hergestellte „Norddeutsche Fresse" mit einer Auflage von immerhin 500 Exemplaren.

  17. Zitiert nach: Der Baader-Meinhof-Report, Mainz 1972, 209 ff.

  18. Frankfurter-Rundschau vom 15. Juli 1975: Im Gespräch „Teufelsbräu" der Union.

  19. Einerseits: Innenminister Hirsch (FDP), FAZ vom 19. Juli 1975; andererseits: Antrag SPD-Parteivorstand; vgl. Anmerkung 4.

  20. Wassermann, a. a. Ö.

  21. Interview ZDF-Magazin vom 20. August 1975.

  22. Recht — Eine Information des Bundesminister» der Justiz, Nr. 37/1975 vom Juni 1975.

  23. A. a. O.

  24. BKA-Präsident Herold im Januar 1972: „Die Kommunikation innerhalb der Bande und mit Dritten wird weitgehend von linksradikalen Anwälten vermittelt und getragen. Diese Anwälte üben erwiesenermaßen folgende Tätigkeiten aus: Sie ... transportieren Nachrichten aus den Gefängnissen und vermitteln Kassiber." (Der Baader-Meinhof-Report, S. 212).

  25. A. a. O.

  26. So die Stuttgarter Zeitung in ihrem Kommentar „So den Rechtsstaatverteidigen?“ vom 11. Juli 1975.

Weitere Inhalte

Wilhelm Mensing, Dr. jur., geb. 1935 in Werl/Westfalen; von 1964 bis 1972 im Bundesministerium für Gesundheitswesen und im Bundesministerium des Innern; seit 1972 wissenschaftlicher Mitarbeiter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Fragen der inneren Sicherheit.