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Kernkraftnutzung als Bestandteil einer aktiven Wachstums-und Energiepolitik | APuZ 5/1978 | bpb.de

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APuZ 5/1978 Artikel 1 Energie und Sicherheit für Westeuropa Kernkraftnutzung als Bestandteil einer aktiven Wachstums-und Energiepolitik Der Kernenergie eine Chance ?

Kernkraftnutzung als Bestandteil einer aktiven Wachstums-und Energiepolitik

Gerhard Voss

/ 38 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag analysiert das Entscheidungsfeld der Energiepolitik und konfrontiert das Energieprogramm der Bundesregierung mit den Ergebnissen dieser Analyse. Es werden sodann die Risiken des Energieprogramms dargelegt und für eine konsequentere Nutzung der Kernkraft als Energiequelle der Zukunft plädiert. Risiken des Energieprogramms sieht der Verfasser bei den sehr stark nach unten revidierten Vorausschätzungen des Energieverbrauchswachstums. Mit diesem quantitativen Minimalprogramm werden Signale gesetzt, die die Investoren im Bereich der Energiewirtschaft von notwendigen Investitionen abhalten könnten. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten einer Energiepolitik, die eher Uberkapazitäten als Engpässe im Energiebereich einkalkuliert, wären ungleich günstiger. Ein weiteres Risiko liegt bei zu großen Hoffnungen, durch den Einsatz neuer energiesparender Techniken eine Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch zu erreichen. Fundamentale physikalische und technische Gegebenheiten schränken den Spielraum für Einsparmöglichkeiten auf kurze und mittlere Sicht deutlich ein. Die Einsparmöglichkeiten sind besonders beim Strom begrenzt, da eine Erweiterung der Basis der nationalen Energieversorgung nur über eine breitere Nutzung des Stroms zu erreichen ist. Eine Begrenzung des Energieverbrauchs über Konsumverzicht in den Haushalten ist keine Alternative. Eine Schwäche des Energieprogramms liegt auch bei der nur halbherzigen Unterstützung der notwendigen Substitution des Mineralöls und des Naturgases durch Kernenergie. Das Programm trägt auch nicht dazu bei, die Investitionshemmnisse und -Unsicherheiten beim Bau von Kraftwerken zu beseitigen. Ein entscheidendes Element einer aktiven, zukunftsorientierten Energieund Wachstumspolitik sieht der Verfasser bei der Anwendung der Kernenergie, weil sie das Niveau des wirtschaftlichen Wachstums steigert und zugleich die qualitative Struktur des Wirtschaftswachstums verbessern würde. Damit trüge die Kernkraftnutzung auch zur Reduktion des nationalen und internationalen Konfliktpotentials bei.

I. Fragestellung

Tabelle 1: Weltvorräte an fossilen Brennstoffen

Quelle: Bundesanstalt für Geowissenschaften, Energiewirtschaftliches Institut der Universität Köln

Seit der Entdeckung der Uranspaltung mittels Neutronen durch Otto Hahn und Fritz Straßmann im Jahre 1938 sind gerade 40 Jahre vergangen. Das ist eine recht kurze Zeit von der Entdeckung eines physikalischen Phänomens bis hin zu seiner wirtschaftlichen Nutzung in großtechnischen Anlagen zur Erzeugung von Elektrizität. Allerdings steht die Kernkraft-nutzung auch heute noch in den Anfängen. In der westlichen Welt waren Mitte 1976 insgesamt 140 Kernkraftwerke mit einer Kapazität von rd. 72 000 MW in Betrieb. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Kernenergie an der gesamten Kraftwerkskapazität von rd. 65 000 MW derzeit gerade mit einem Prozent beteiligt. Bis 1995 soll die Kernkraftwerksleistung in der westlichen Welt auf über 1 Mio. MW ausgebaut werden. Die geplante Kernkraftwerksleistung für die Bundesrepublik Deutschland beträgt dabei 60 000 MW. Wegen der großen Vorbehalte, die heute gegen eine breitere Nutzung der Kernenergie bestehen, ist es allerdings noch völlig offen, ob diese Planungen realisiert werden. Der Weg zu einer umfassenderen Nutzung des Energiepotential der Kernkraft führt aber nicht allein über einen zügigen Ausbau eines Netzes an Leichtwasserreaktoren zur Stromerzeugung 1). Erst die sogenannten fortgeschrittenen Reaktorlinien 2) werden die Kernenergie zu einer über längere Zeiträume Energiequelle Erst verfügbaren machen. diese Reaktortypen ermöglichen eine adäquate Ausnutzung des Kernbrennstoffes. Einschließlich des Brutprozesses, dessen wirtschaftliche Nutzung in den achtziger Jahren möglich sein wird, ist das Energiepotential der Kernspaltung 50 mal so groß wie dasjenige der Vorräte an fossilen Brennstoffen. Der Hochtemperaturreaktor, bei dessen Fortentwicklung die Bundesrepublik Deutschland eine führende Position einnimmt, ist außerdem in der Lage, Prozeßwärme auf sehr hohem Temperaturniveau anzubieten, die zur Veredelung von INHALT I. Fragestellung II. Das Entscheidungsfeld der Energiepolitik 1. Funktion des wirtschaftlichen Wachstums 2. Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch 3. Die verfügbaren Energiereserven und die Energieverbraudisstruktur 4. Kohle und Kernkraft als Zukunftsenergien 5. Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland III. Das Energieprogramm der Bundesregierung 1. Der quantitative Orientierungsrahmen 2. Die qualitativen Ziele und das Maßnahmenbündel 3. Die Risiken des Energieprogramms IV. Realisierung des Fortschritts durch Kernkraftnutzung 1. und Kernenergie Wirtschaftswachstum 2. Vorteile der Kernenergie bei der Stromerzeugung 3. Reduktion des Konfliktpotentials Kohle geeignet ist und damit zum Ersatz des knapper werdenden Erdöls und Erdgases beitragen kann.

Eine umfassendere Nutzung des Energiepotentials der Kernspaltung ist heute jedoch kein technisches Problem mehr. Die Kapazitätserweiterung der Kernkraftwerke sowie die Einführung der fortgeschrittenen Reaktorlinien werden heute weitgehend von politischen Entscheidungen und von der Einstellung der Bevölkerung zur Kernenergie bestimmt. Der Bau von Kernkraftwerken ist in erster Linie ein wirtschaftspolitisches und gesellschaftliches Problem. In der Bevölkerung wachsen die Vorbehalte gegenüber den möglichen Folgen einer im großen Stil betriebenen Kernspaltung in Kraftwerken. Trotz technischer Konzeptionen, die den Sicherheitsbedürfnissen gerecht werden können, sind bei dieser Einstellung der Bevölkerung die Politiker nicht bereit, eindeutige Entscheidungen für den weiteren Ausbau der Kernenergie zu fällen. In diesem Beitrag wird zu zeigen sein, daß die Nutzung der Kern-kraft ein unabdingbarer Bestandteil einer zukunftsorientierten Wachstums-und Energiepolitik zu sein hat. Die zweite Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung wird jedoch den Anforderungen an eine aktive Wachstums-und Energiepolitik nicht gerecht.

Die Vorbehalte gegen die Kernkraft beschränken sich aber nicht allein auf den physikalischen Kernspaltprozeß, dessen Anwendung ohne Beziehung zu den Möglichkeiten einer friedlichen Nutzung mit schwerwiegenden Konsequenzen im militärischen Bereich begann. Die kontroverse Diskussion um die Nutzung der Kernkraft wird auch mit der Frage nach dem Wert und den Funktionen des wirtschaftlichen Wachstums verknüpft. Kernenergie wird auch abgelehnt, weil sie mit der Forcierung eines quantitativen, schmutzigen oder schlechten Wachstums der Wirtschaft in Verbindung gebracht wird. Diese Diskussion um das Für und Wider des wirtschaftlichen Wachstums wird von der Vorstellung geprägt, die Industrieländer — und mit ihnen die Bundesrepublik Deutschland — seien zu einem anhaltenden Wachstum der Wirtschaft verurteilt, ohne daß dabei aber die negativen Auswirkungen des Wachstums, insbesondere im Bereich der Ökologie, beherrscht werden könnten Aus der Sicht von „Wachstumspessimisten" ist die Kernenergie besonders fragwürdig, weil sie sowohl als Promotor eines die natürlichen Lebensgrundlagen zerstörenden Wirtschaftswachstums als auch als Gefahrenquelle für die Umwelt und die persönliche Existenz gesehen wird. Der Aufsatz soll auch die Konsequenzen und Risiken aufzeigen, die mit einer Drosselung des Wirtschaftswachstums über eine Verhinderung des Ausbaus der Kernenergie verbunden sind.

Die zentrale These dieses Beitrags lautet: Die Nutzung der Kernkraft als Energiequelle si-chert nicht nur das für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt erforderliche Niveau des wirtschaftlichen Wachstums; Kernkraftnutzung verbessert zugleich die Qualität des wirtschaftlichen Wachstums und verringert das nationale wie internationale Konfliktpotential. Die Kernenergie muß deshalb einen festen Platz in dem Energieprogramm für die Bundesrepublik Deutschland erhalten.

II. Das Entscheidungsfeld der Energiepolitik

Tabelle 2: Energieverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland Quelle: Arbeitsgemeinschaft Eneranzen, eigene Berechnungen

Der entscheidende Anhaltspunkt für die Energiepolitik ist die quantitative und qualitative Auslegung des Wachstumsziels. Mit der kontinuierlichen Verlangsamung des Wachstums erhielt in der Bundesrepublik Deutschland das Wachstumsziel einen immer höheren Stellenwert. Das fand seinen sichtbaren Ausdruck in dem Zielkatalog des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (1963) und in dem Stabili-täts-und Wachstumsgesetz (1976). Bei den Diskussionen um die Frage, welche quantitative Wachstumsrate erforderlich ist, um die anstehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme zu lösen, kam es aber auch zu einer immer kritischeren Beurteilung der sozialen und ökonomischen Bedeutung des Wachstums. Inzwischen ist auch allgemein anerkannt, daß wirtschaftliche Expansion mit technischem Fortschritt und beschleunigter Anwendung neuer Produktionsmethoden ohne ausreichende Beachtung der Folgewirkungen weiterreichende Konsequenzen haben kann. Das gilt auch für den Sektor Energiewirtschaft. Dennoch muß aus gesell37 schaftspolitischen Gründen auch in der Energiewirtschaft das Wachstumsziel Priorität behalten. 1. Funktion des wirtschaftlichen Wachstums Ohne wirtschaftliches Wachstum lassen sich weder die internen gesellschaftspolitischen und weltwirtschaftlichen Probleme noch die zivilisationsökologischen Aufgaben lösen. Es ist vordergründig und sogar gefährlich, wegen der mit dem wirtschaftlichen Wachstum auftretenden Effekte auf Wachstum verzichten zu wollen und von der Priorität der Wirtschaft zugunsten zivilisationsökologischer Fragestellungen abzuweichen. Verzicht auf Wachstum diskriminiert, weil damit für einzelne Bevölkerungsgruppen, für bestimmte Regionen und Wirtschaftssektoren gravierende Folgen verbunden sind.

Die wirtschaftlichen Realitäten der zurückliegenden Jahre zeigen deutlich die negativen Folgen unzulänglichen Wachstums auf. Das herausragende wirtschaftliche Element in dieser Periode waren Schrumpfungsprozesse im industriellen Sektor. Im Wachstumszyklus 1971 bis 1975 mußten von 36 Industriezweigen 22 Zweige absolute Substanzverluste hinnehmen, d. h., sie mußten ihre Produktion absolut einschränken. Diesen Schrumpfungsprozessen standen aber keine ausgeprägten Wachstumsprozesse gegenüber, so daß in dieser Periode Veränderungen im Branchengefüge der Industrie mehr von Schrumpfungs-als von Wachstumsprozessen geprägt waren. Dieser Prozeß war allerdings nicht davon gekennzeichnet, daß nur besonders umweltbelastende Produktionen schrumpften Auch umweltfreundliche Produktionen gingen zurück, so daß eine relative Verbesserung der Umweltsituation gar nicht eintrat.

Dagegen waren die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen beträchtlich. Infolge der niedrigen Wachstumsraten war die Möglichkeit begrenzt, die Produktionsstruktur auf Änderungen der Nachfragestruktur oder der Kostenstruktur (Energie-und Rohstoffverteuerung, Wechselkursveränderungen usw.) umzustellen und den technischen Fortschritt voranzutreiben. Der Strukturwandel, der in jeder dynamischen Wirtschaft wirksam sein muß, wurde gedrosselt, und es kam zu krisenhaften Branchenentwicklungen mit erheblichen Folgen für den Arbeitsmarkt: Die in schrumpfenden Branchen freigesetzten Arbeitskräfte konnten nicht mehr, wie in früheren Jahren mit ausreichenden Wachstumsraten, in Wachstumsbranchen aufgenommen werden. Konkret bedeutet das, daß bei einer Politik der bewußten Wachstumsdrosselung das Ziel, Vollbeschäftigung bei einer zudem noch wachsenden Zahl der Erwerbstätigen zu erreichen, zur Illusion wird. Vor allem Arbeitnehmer, die in schrumpfenden Branchen ihren Arbeitsplatz haben, sowie die vielen jungen Menschen, die in den kommenden Jahren ihren ersten Arbeitsplatz suchen müssen, würden von einer Politik der bewußten Wachstumsdrosselung, auch wenn sie von sozialökologischen Gesichtspunkten geleitet wird, diskriminiert. Zu einer Illusion würde es dann auch, den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben, weil zusätzliche Verteilungsspielräume gar nicht zur Verfügung stehen. Verbesserungen lassen sich nur für einzelne auf Kosten anderer erreichen. Auch der Abbau des weltweiten Entwicklungsgefälles, das auf der internationalen Bühne immer stärker gefordert wird, ist nur über das wirtschaftliche Wachstum in den Industrieländern erreichbar.

Aber auch sozialökologische Ziele lassen sich mit einer Politik der Wachstumsdrosselung nicht erreichen. Denn je geringer die Wachstumsraten des realen Sozialproduktes ausfallen, um so schwieriger wird es, Produktionspotential und Finanzmittel für die Durchführung umweltfreundlicher Technologien bereitzustellen. Natürlich besteht zwischen Wirtschaftswachstum einerseits und Umweltbelastung andererseits ein enger Zusammenhang. Wachstum setzt voraus, daß etwas da ist, was den Vorgang speist und dabei verbraucht wird. Es setzt Energie, Rohstoffe, Kapital usw. voraus. Bei gleichbleibender Technik führt jedes Wirtschaftswachstum zu einer Veränderung der Umwelt und zu Umweltbelastungen. Allerdings muß nicht jede Anstrengung zur Steigerung des Wirtschaftswachstums eine Umweltkrise oder gar eine „Okokatastrophe" zur Folge haben. Die These, daß wirtschaftliche Expansion „in keiner Weise mit der ökologischen Sanierung gekoppelt" sei, über-* sieht, wie auch der Club of Rome bei seinen Hochrechnungen zu den Grenzen des Wachstums, die fortschreitende technologische Entwicklung, die nicht zuletzt auch zum Schutz der Umwelt beiträgt. Wenn die technologische Entwicklung in die Überlegungen einbezogen wird, besteht keine zwingende negative Koppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung. In den Industrieländern und besonders in der Bundesrepublik Deutschland hat man längst begonnen, saubere Umwelt zu konsumieren, und das in wachsendem Maße. Möglicherweise ist das Umweltproblem heute objektiv ge-ringer als vor hundert Jahren, es ist aber subjektiv bedrängender. In vielen Fällen hat der technische Fortschritt in der industriellen Produktion direkt dazu beigetragen, die mit der Produktion verbundenen Umweltbelastungen auf ein erträgliches Maß abzubauen 8). Zweifellos ist dabei noch kein Optimum erreicht. Auch in Zukunft müssen alle wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten genutzt werden, um unseren Lebensraum zu erhalten und zu gestalten. Die Lösung kann dabei aber nicht lauten, über eine Drosselung der Expansionsrate der industriellen Produktion und des Verkehrs zu einer Verringerung der Umweltbelastungen zu kommen. Die Lösung kann nur lauten, bei positiven Wachstumsraten immer mehr Produktionskapital für die Durchführung umweltfreundlicher Neuerungen und Techniken bereitzustell Zweifellos ist dabei noch kein Optimum erreicht. Auch in Zukunft müssen alle wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten genutzt werden, um unseren Lebensraum zu erhalten und zu gestalten. Die Lösung kann dabei aber nicht lauten, über eine Drosselung der Expansionsrate der industriellen Produktion und des Verkehrs zu einer Verringerung der Umweltbelastungen zu kommen. Die Lösung kann nur lauten, bei positiven Wachstumsraten immer mehr Produktionskapital für die Durchführung umweltfreundlicher Neuerungen und Techniken bereitzustellen. Wachstum ist damit auch Ausdruck besserer Problemlösungen. 2. Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch

Ein ausreichendes, kontinuierlich verfügbares Energieangebot ist die grundlegende Voraussetzung für die Leistungs-und Wachstumsfähigkeit jeder Volkswirtschaft. Energie wird praktisch in allen Produktionsprozessen verwendet; sie kann nicht durch andere Produktionsfaktoren ersetzt werden. Ohne Energie gibt es keine wirtschaftliche Produktion, und ohne zusätzliche Energie gibt es kein Produktionswachstum. Energie wird zugleich zu konsumtiven Zwecken in den privaten Haushalten verbraucht. Die Energieversorgung kann damit auch direkt zur Verbesserung der Lebensbedingungen der einzelnen Bürger beitragen. Insofern ist Energiepolitik, die eine sichere und preisgünstige Energieversorgung der Wirtschaft und der Bevölkerung gewährleistet, in erster Linie Wachstumspolitik. Alle nationalen und internationalen Energieverbrauchsprognosen unterstellen wirtschaftliches Wachstum als Ziel der Wirtschaftspolitik 9). Allgemein wird deshalb auch mit einem weiteren Anstieg des Energieverbrauchs in der Welt gerechnet. Trotz gedämpfter Erwartungen an das allgemeine Wirtschaftswachstum und trotz verstärkter Anstrengungen, Energie rationeller und sparsamer einzusetzen, wird beispielsweise von den Forschungsinstituten 10) erwartet, daß der Weltenergieverbrauch von derzeit 8, 3 Mrd. t SKE pro Jahr (1975) auf 12, 1 Mrd. t SKE 1985 und auf 18 Mrd. t SKE im Jahre 2000 anwachsen wird.

Dabei wird ein großer Nachholbedarf der unterentwickelten Gebiete der Erde erwartet. Von dem Weltenergieverbrauch beanspruchen heute die Industrieländer in Ost und West mehr als 80 Prozent, obwohl dort nur etwas mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung lebt. Schon wegen des starken Bevölkerungswachstums in den Entwicklungsländern werden die Wachstumsraten des Sozialproduktes und des Energieverbrauchs über den Raten in den Industrieländern liegen müssen. In einigen unterentwickelten Gebieten hat sich diese Entwicklung bereits durchgesetzt. Es wird erwartet, daß dieser Anpassungsprozeß anhält und der Energieverbrauch der Entwicklungsländer von derzeit rd. 1 Mrd. t SKE auf knapp 3 Mrd. t SKE bis zum Jahr 2000 ansteigen wird.

Aber auch in den Industrieländern wird mit einem rasant wachsenden Energieverbrauch gerechnet. Die Prognose der Forschungsinstitute geht davon aus, daß allein in den OECD-Ländern der Energieverbrauch von derzeit 5, 0 Mrd. t SKE auf 7, 0 Mrd. t SKE 1985 und auf 9, 9 Mrd. t SKE im Jahre 2000 anwachsen wird. Einschließlich der Verbrauchsentwicklung in den Staatshandelsländern muß bis zum Jahre 2000 das verfügbare Energieangebot um 10 Mrd. t SKE erweitert werden. Wenn dabei Engpässe vermieden werden sollen, müssen neue Energiequellen erschlossen werden.

Entwicklungen auf den Weltenergiemärkten signalisieren bereits heute, daß Energie zunehmend knapper wird. Auf den internationalen Märkten für die heute wichtigsten Energieträger hat sich die Lage in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Die Erschließung neuer Vorkommen wird schwieriger und aufwendiger und hält mit dem Verbrauch schon nicht mehr Schritt. Vor allem wird sich die Produktion des heute noch wichtigsten Primärenergieträgers Ol in Zukunft nicht mehr im gleichen Rhythmus mit der Zunahme der gesamten Energienachfrage steigern lassen. 1976 wurde bereits mehr Ol verbraucht als neu gefunden.

Ein wichtiges Signal, das auf künftige Versorgungsengpässe auf den Weltenergiemärkten hinweist, ist die Tatsache, daß die Hauptverbrauchsgebiete, die USA, Westeuropa und Japan, in der Energieversorgung wachsende Defizite aufweisen, die durch Importe ausgeglichen werden müssen. Dabei ist zu bedenken, daß über 70 Prozent der vorhandenen Erdöl-und 30 Prozent der nachgewiesenen Erdgasreserven sich in Regionen Afrikas, Asiens und Südamerikas befinden und damit dem Einflußbereich der Verbrauchsländer mit wachsenden Defiziten weitgehend entzogen sind. Die rohstoffreichen Länder der Dritten Welt werden auch verstärkt ihr Energieaufkommen zur Steigerung des Lebensstandards ihrer Bevölkerung selbst benötigen. Diese Länder sind zudem bestrebt, ihre Energierohstoffe zunehmend selbst zu verarbeiten, um sie als höherwertige Veredelungsprodukte zu exportieren-Die gegenwärtige Versorgungslage in diesen Ländern scheint aber diesen Befürchtungen zu widersprechen. Heute und wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren wird Primär-energie aller Art im Überfluß vorhanden sein, und auch Überkapazitäten in den Bereichen der Energieumwandlung (Elektrizität, Mineralölverarbeitung) werden festzustellen sein. In der Bundesrepublik ist der Primärenergieverbrauch 1977 noch niedriger gewesen als 1973, und der Stromverbrauch blieb seit 1973 weit unter der bisherigen langfristigen Zuwachsrate zurück.

Diese Situation sollte jedoch über mittelfristig absehbare Versorgungsengpässe nicht hinwegtäuschen. Diese Überschußsituation ist nur vorübergehend. Sie ergibt sich aus dem Zusammentreffen eines hauptsächlich rezessionsbedingten Rückgangs der Energienachfrage mit einem Ausbau des Energieangebotes, der noch vor der Ölkrise in Erwartung eines sehr viel stärkeren Verbrauchsanstiegs eingeleitet worden war. Welche Aufgaben sich für die Energiepolitik stellen, ergibt sich, wenn die verfügbaren Energiereserven der Energieverbrauchsstruktur in der Welt gegenübergestellt werden.

3. Die verfügbaren Energiereserven und die Energieverbrauchsstruktur Der Energieverbrauch der Welt wird zum überwiegenden Teil heute aus nicht regenerativen Substanzen, d. h. aus den in der Erde und in den Meeren gelagerten fossilen Brennstoffen gedeckt. Kohle, Erdöl und Erdgas dek-

ken zu 95 Prozent den Energiekonsum in der Welt. Diese Brennstoffe sind im Laufe von Millionen Jahren bei der Assimilation der Pflanzen aus Kohlendioxyd, Wasser und Sonnenenergie entstanden. Engpaßprobleme werden in der Zukunft insbesondere beim Erdöl und Erdgas erwartet. Allerdings ist das kein Mengenproblem.

Gemessen an dem globalen Energiekonsum in der Welt von derzeit rd. 8 Mrd. t SKE pro Jahr scheinen die fossillen Energieträger im Überfluß vorhanden zu sein, Von den Geologen werden die Vorkommen an fossilen Brennstoffen auf der Welt auf 70 962 Mrd. t SKE geschätzt, d. h.der Weltenergieverbrauch verschlingt lediglich einen Bruchteil der vorhandenen Ressourcen, und auch der für die nächsten Jahrzehnte vermutete Zuwachs des Weltenergiekonsums auf rd. 18 Mrd. t SKE würde das gesamte Potential an fossilen Brennstoffen kaum nennenswert verringern. Selbst wenn man allein die sicher bekannten Vorräte an fossilen Brennstoffen in der Welt von nur 12 442 Mrd. t SKE in Relation zum Weltenergieverbrauch stellt, würden die Vorräte noch rd. 1400 Jahre ausreichen, um den derzeitigen Energiebedarf zu decken (vgl. Tabelle 1). Energiewirtschaftliche und energiepolitische Probleme ergeben sich aber, wenn zwischen geologisch vermuteten und nachweisbaren Reserven einerseits und wirtschaftlich nutzbaren Energiereserven andererseits differenziert wird. Unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Förderwürdigkeit sind die Vorräte an fossilen Energierohstoffen wesentlich geringer. Sie betragen 782 Mrd. t SKE; bei dem heutigen Verbrauch würden sie in 87 Jahren erschöpft sein. Bei steigendem Energieverbrauch verschiebt sich die statistische Lebensdauer weiter nach vorn.

Noch problematischer wird die Situation, wenn die gegenwärtige Verbrauchsstruktur mit den quantitativen Vorkommen verglichen wird. Der Weltverbrauch an Primärenergie ist in dem Zeitraum 1950 bis 1975 um mehr als das Dreifache angewachsen. Dieses enorme Verbrauchswachstum wurde seit Beginn der fünfziger Jahre zunächst im wesentlichen allein vom Ol, seit den sechziger Jahren auch vom Erdgas getragen. Ol und Gas deckten von 1960 bis 1975 80 Prozent des Mehrverbrauchs ab. Der Anteil der Kohle am Weltenergieverbrauch ging dagegen allein in den letzten 15 Jahren von 52 auf 32 Prozent zurück.

Aus dieser Entwicklung resultierte eine Verbrauchsstruktur, die völlig im Gegensatz zu den quantitativen Vorkommen steht: Rund zwei Drittel des gegenwärtigen Weltenergiebedarfs werden durch Ol und Gas gedeckt, knapp ein Drittel durch Kohle. Von den klas-sischen Energievorräten entfallen aber rund vier Fünftel auf Kohle und nur rund ein Fünftel auf öl und Gas. Aus dieser Konstellation ergibt sich, daß bei steigendem Energieverbrauch und gleichbleibender Verbrauchs-struktur sich in absehbarer Zeit Engpässe beim Erdöl und Erdgas ergeben müssen. Betroffen davon wären vor allem Japan, das keine größeren eigenen Energievorkommen besitzt, und Westeuropa, das nur bei der Kohle über ausreichende eigene Reserven verfügt. 4. Kohle und Kernkraft als Zukunftsenergien Um Engpässe in den von Energieimporten abhängigen Ländern vermeiden zu können, muß dort das Energieangebot zunehmend von den Energieträgern Erdöl und Erdgas auf andere Energiearten verlagert werden. In Westeuropa wird die reichlich verfügbare Kohle und die Kernenergie zu den wichtigsten Energie-trägern werden. Der Einsatz der nicht fossilen und nicht nuklearen regenerativen Energieträger Sonnenenergie, geothermische Energie, Wind und Wasserkraft wird in diesen Regionen nicht nennenswert zur Deckung eines zusätzlichen Energiebedarfs beitragen können, auch wenn diese sich in einigen speziellen Anwendungsgebieten, wie die Sonnenenergie zur Wärmegewinnung im Niedertemperaturbereich, vorteilhaft nutzen lassen. Der Versorgungsanteil dieser Energiequellen wird nach dem derzeitigen Stand der Technik auch um die Jahrhundertwende nur wenige Prozent betragen.

Die Kohle bietet den höchsten Grad an Versorgungssicherheit, weil ihre großen Vorkommen ausreichen würden, den Energiebedarf über einen langen Zeitraum zu decken. Allerdings kann die Kohle allein in ihrer ursprünglich festen Form das knapp werdende Mineralöl und Erdgas nicht ersetzen. Im Endenergieverbrauch dominiert die Nachfrage nach Strom, Gas und flüssigen Brennstoffen (vgl. Tab. 2). Bei der Kohle, die heute ihre Verbrauchsschwerpunkte bei der Stromversorgung und Stahlerzeugung hat, muß die Vergasung und Verflüssigung in großtechnischem Maßstab erreicht werden, um mit Kohlegas und Kohleöl mittel-und langfristig auch den allgemeinen Wärmemarkt, den Rohstoff-bedarf z. B.der chemischen Industrie sowie den Treibstoffmarkt versorgen zu können.

Nach dem gegenwärtigen Stand der Technik hat die Kohle deshalb nur in Kombination mit der Kernenergie die Chance, zur Versorgungssicherheit wesentlich beizutragen. Mit Hilfe der Kernernergie läßt sich die Kohle in die vom Verbraucher gewünschten Formen umwandeln. Das setzt allerdings die Anwendung des Hochtemperatur-Kernreaktors voraus, in dem Prozeßwärme anfällt, deren Temperatur für die Vergasung und Verflüssigung von Kohle ausreicht und die auf niedrigem Temperaturniveau auch noch zur Stromerzeugung eingesetzt werden kann.

Auch die Kernenergie gehört in Zukunft zu den besonders sicheren Primärenergieträgern. Einschließlich des Brutprozesses, dessen wirtschaftliche Nutzung in den achtziger Jahren möglich sein wird, ist das Energiepotential der Kernspaltung 50mal so groß wie dasjenige der Vorräte an fossilen Brennstoffen. Uranreserven in der bereits heute wirtschaftlichen Gewinnungskostenklasse erschließen bei Verwendung allein in Leichtwasserreaktoren einen Energievorrat, der in der Größe der Steinkohlenvorräte liegt. Kernenergie ist dazu noch die einzige Möglichkeit, den Verbrauch an traditionellen fossilen Energieträgern diB rekt zu ersetzen. Sie kann als wichtigste Primärenergie bei der Erzeugung von Elektrizität eingesetzt werden. Diese Möglichkeit wird dadurch noch unterstützt, daß die technische Fortentwicklung der Wirtschaft und der Arbeitswelt und der Wunsch nach mehr Komfort im privaten Bereich in den Industrieländern einen schnell wachsenden Strombedarf zur Folge haben wird. Hinzu kommt, daß für die Elektrizität immer weitere Anwendungsbereiche erschlossen werden. So wird man beispielsweise in den Ballungsräumen schon aus Umweltschutzgründen verstärkt auf elektrische Antriebe für den Verkehr übergehen müssen. Auch die elektrische Beheizung geschlossener Wohngebiete, die Klimatisierung bei einer ständig größer werdenden Zusammenballung der Menschen wird eine immer gewichtigere Rolle einnehmen. Langfristig werden auch die Rezyklierung sich verknappender Rohstoffe und die Forderung nach mehr Umweltschutz in allen Bereichen der Wirtschaft und des täglichen Lebens einen zusätzlichen Bedarf an Elektrizität bewirken. Zugleich wird der Einsatz neuer Technologien im Energiebereich selbst einen wachsenden Stombedarf zur Folge haben. So erfordert etwa die Anwendung der Sonnenenergie mehr Strom. Denn der Transport des erwärmten Wassers vom Dach eines Hauses in den Hausspeicher und von da zu den Zapfstellen erfordert eine wesentlich höhere Pumpleistung gegenüber zentraler Wärmeversorgung. Noch größer ist der Stromverbrauch einer Wärmeversorgung der Gebäude durch die Nutzung der Erdund Umgebungswärme über den Einsatz von Wärmepumpen. Experten rechnen damit, daß die Elektrizität im Jahre 2000 in den Industrieländern einen Anteil von 50 Prozent am gesamten Energieverbrauch einnimmt. Die Elektrizität wird damit in Zukunft zum wichtigsten Produkt der Energie-wirtschaft. Dabei wird dem Ausbau der Stromerzeugung auf der Basis der Kernenergie eine besondere Rolle zukommen.

Demnach handelt es sich bei der Kernenergie und der Kohle kaum um Alternativen. Sie werden beide benötigt, und zwar die Kohle vorwiegend als Grundstoff für synthetische Energieprodukte, die Kernenergie dagegen für die Strom-und Wärmeerzeugung. Gleichzeitig bedarf es der Kernenergie, um die Kohle in ihrer neuen Funktion zu unterstützen. Beide Energieträger bedürfen aber noch entscheidender Die technischer Kernenergie wird nur dann langfristig zur Energieversorgung beitragen können, wenn die neuen Reaktorsysteme zur Anwendung kommen, die den heute gebräuchlichen Leichtwasserreaktor ablösen. Dazu zählt der Brutreaktor und vielleicht die Kernfusion, insbesondere aber der Hochtemperaturreaktor, der erst mit der Kohlevergasung und -Verflüssigung einen innfassenden Einsatz der Kernenergie auch außerhalb der Stromerzeugung ermöglicht. Für die Kohle müssen dazu die Technologien fortentwickelt werden, die die Vergasung und Verflüssigung in großtechnischem Maßstab möglich machen.

5. Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland

Die energiewirtschaftliche Situation in.der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet sich nur wenig von den oben dargestellten globalen weltweiten Konstellationen. Der Spielraum ist begrenzt von einer starken Abhängigkeit der inländischen Energieversorgung vom Weltmarkt. Fast 60 Prozent der im Inland benötigten Primärenergie muß importiert werden. Beim Mineralöl, das gegenwärtig 53 Prozent des inländischen Primärenergieverbrauchs deckt, beträgt die Importabhängigkeit sogar 96 Prozent. An dieser Situation dürfte sich auch in absehbarer Zeit kaum etwas ändern. Bei realistischer Einschätzung der Kosten-und Reservebedingungen der inländischen Energieträger dürfte mit steigendem Energieverbrauch die Importabhängigkeit sogar von heute 60 Prozent auf 70 bis 76 Prozent im Jahre 2000 wachsen. Die weltweiten Zusammenhänge bestimmen weitgehend den Handlungsspielraum der Energiepolitik.

Als wichtigste Eckwerte sind dabei zu berücksichtigen: — die spezifisch geologisch gegebenen Abbaubedingungen der weltweit verfügbaren Reserven an fossilen Brennstoffen, die besonders die wirtschaftlich nutzbaren Erdöl-und Erdgasreserven in absehbarer Zukunft begrenzen, — die unterschiedlichen quantitativen Vorkommen der einzelnen Energieträger in Relation zur Verbrauchsstruktur, — die Verteilung der Lagerstätten über die Erde, die den Zugriff der Industrieländer auf die heute wichtigsten fossilen Energieträger einschränken, — die Entwicklung der Energiegewinnungs-und Wandlungstechnologie und deren Umsetzung in die industrielle Praxis.

Nach einer Prognose der Mineralölwirtschaft (vgl. Tabelle 3) wird der Energieverbrauch trotz gedämpfter Erwartungen hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichen Wachstums und des Produktivitätsfortschritts sowie verstärkter Anstrengungen zur rationelleren Energie-verwendung auch in der Bundesrepublik Deutschland kontinuierlich steigen. Nach dieser Prognose muß schon bis 1980 das Energie-angebot gegenüber 1976 um 44 Mio. t SKE ausgeweitet werden. Von 1980 bis 1985 muß das Energieangebot um weitere 65 Mio. t SKE und von 1985 bis 1990 um zusätzlich 50 Mio. t SKE aufgestockt werden.

Das bedeutet, daß praktisch alle Energieträger ihr Angebot gegenüber 1976 ausweiten müssen. Dabei wird allerdings die Zuwachsrate des Mineralöls deutlich unter der Zunahme des gesamten Primärenergieverbrauchs liegen. Der Mineralölanteil wird sich nach den Schätzungen der Mineralölwirtschaft von 53 Prozent (1976) auf rund 51 Prozent 1980 und auf 45 Prozent im Jahre 1990 reduzieren. Dennoch wird das Mineralöl bis 1990 mit knapp 240 Mio. t SKE der bedeutendste Primärenergieträger bleiben.

Auch das Erdgas wird nach dieser Prognose weiterhin zu den wichtigsten Energieträgern zählen. Bis Mitte der achtziger Jahre wird sein Anteil sogar noch auf 17 Prozent wachsen und dann bis 1990 in etwa konstant bleiben. Die Steinkohle wird ihren Beitrag zur Primärenergieversorgung bei 70 bis 72 Mio. t SKE stabilisieren, damit aber ihren Anteil am Primärenergieverbrauch kontinuierlich von 19 Prozent auf knapp 14 Prozent bis 1990 senken. Der Verbrauchszuwachs von insgesamt 159 Mio. t SKE bis 1990 gegenüber 1976 soll nach dieser Prognose zu 50 Prozent von der Kernenergie getragen werden. Das ergibt sich aus einem weiter angenommenen überproportionalen Anstieg des Stromverbrauchs, zu dessen Deckung der Primärenergieverbrauch immer stärker in Anspruch genommen wird. Der Anteil der Prämienenergien, die 1990 zur Elektrizitätserzeugung eingesetzt werden, wird bei knapp 40 Prozent liegen. Dabei soll die Kernenergie etwa die Hälfte des Bedarfs decken. Das erfordert einen Ausbau der Kernkraftwerkskapazität von ca. 7 000 MW 1977 auf gut 40 000 MW 1990, eine Leistung, die allerdings kaum mehr erreicht werden dürfte. Ende 1977 waren 14 Kernkraftwerke mit zusammen 7 366 MW Kernkraftwerksleistung in Betrieb. Im Bau befanden sich 14 Kernkraftwerke mit einer Leistung von 14 811 MW. Bei drei dieser Werke mit zusammen 4 088 MW sind jedoch die Bauarbeiten durch Gerichtsurteile gestoppt. Weitere fünf Kernkraftwerks-blöcke mit 6 052 MW sind in Planung. Dies ergibt zusammen 33 Kernkraftwerksblöcke mit 28 229 MW in Betrieb, in Bau und bestellt.

III. Des Energieprogramm der Bundesregierung

Tabelle 3: Primärenergieverbrauch nach Energieträgern (Mio. t SKE)

Prognose unterstellt ein durchschnittliches jährliches Wachstum des Bruttosozialproduktes von 3, 5 Prozent bis 1980, 3, 2 Prozent im Zeitraum 1980 bis 1985 und 2, 8 Prozent bis 1990.

Die Bundesrepublik Deutschland kann sich rühmen, eines der Länder zu sein, das ein Energieprogramm besitzt. Schon Ende 1973, noch vor dem „Olschock", hatte die Bundesregierung ein Energieprogramm verabschiedet, das versuchte, alle erkennbaren Probleme im Energiebereich in einer umfassenden Gesamtschau zu analysieren. Absicht des Programms war es, für die Bundesrepublik Deutschland eine breitere und tragfähigere Grundlage zu schaffen. Das Konzept setzte schon damals schwerpunktmäßig bei den Problemen der Mineralölversorgung an und sah insbesondere eine Stärkung krisenfester und preisgünstiger Energieträger vor, um die Abhängigkeit der Bundesrepublik von der Mineralölversorgung abzubauen. Das Programm nannte eine Reihe von Zielen, die die Energiepolitik bis heute bestimmen: — Verminderung der Risiken im Mineralölbereich und bessere Sicherung einer kontinuierlichen Mineralölversorgung.

— Schneller Ausbau der krisenfesten und preisgünstigeren Energieträger Erdgas und Kernenergie.

— Nutzung der deutschen Steinkohle im gesamtwirtschaftlich angemessenen und energiewirtschaftlich notwendigen Rahmen.

— Sachgerechte und frühzeitige Berücksichtigung der Erfordernisse des Umweltschutzes. — Sicherung des bedarfsgerechten Ausbaus der Energieversorgungsanlagen unter Beachtung der siedlungsstrukturellen Entwicklungsziele der Raumordnung.

— Förderung der Energieforschung.

— Einführung und Anwendung von Maßnahmen, Methoden und Verfahren, die zur rationellen Verwendung von Energie führen.

1. Der quantitative Orientierungsrahmen

Für die ersten drei Ziele wurde auch ein quantitativer Orientierungsrahmen erarbeitet: Der Anteil des Mineralöls am Primärenergieverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland von damals (1972) 55, 4 Prozent sollte bis 1985 bei 54 Prozent eingefroren werden. Dagegen sollte der Anteil des Erdgases von damals 8, 6 Prozent auf 15— 16 Prozent bis 1985 aufgestockt werden. Der größte Zuwachs sollte allerdings auf die Kernenergie entfallen. Ihr Anteil von damals 1 Prozent sollte auf 9 Prozent bis 1980 und auf 15 Prozent bis 1985 erweitert werden. Die Kernkraftwerkskapazität sollte bis 1985 auf 45 000 MW ausgebaut werden. Den gesamtwirtschaftlich und energiepolitisch angemessenen Anteil der Steinkohle sah man für das Jahr 1985 bei 8 Prozent, was einen Rückgang um gut 15 Prozentpunkte gegenüber 1972 bedeutet hätte.

Dieser quantitative Orientierungsrahmen wurde jedoch mit der ersten Fortschreibung des Energieprogramms als Reaktion auf die Olpolitik der Nahostländer korrigiert. Die Korrektur setzte beim O 1 an, das mit der ersten Fortschreibung des Energieprogramms im Jahre 1980 einen Anteil an der Primärenergieversorgung von nur noch 47 Prozent und 1985 von 44 Prozent haben sollte. Dagegen wurde der ursprünglich starke anteilsmäßige Rückgang der Steinkohle deutlich abgeschwächt und die Anteile für 1980 bei 17 Prozent und für 1985 bei 14 Prozent festgesetzt, was einer Stabilisierung der Förderkapazität bei etwa 95 Millionen t pro Jahr entspricht. Daneben sollte auch das Erdgas den Rückgang des Erdöls auffangen (vgl. Tabelle 4).

Aber auch dieser quantitative Orientierungsrahmen stellte sich bald als nicht realistisch heraus. Ausschlaggebend waren dafür zwei Entwicklungstendenzen. Zum einen stellte sich die in der ersten Fortschreibung des Energieprogramms angenommene, bereits nach unten korrigierte Zuwachsrate des globalen Energieverbrauchs weiterhin als zu hoch heraus. Infolge der schwachen konjunkturellen Entwicklung blieb das gesamtwirtschaftliche Wachstum hinter den Erwartungen zurück, was auch Auswirkungen auf den Energieverbrauch hatte. Gleichzeitig setzten mit dem gestiegenen Olpreisniveau Sparvorgänge und Substitutionsmaßnahmen der Verbraucher ein, so daß der Primärenergieverbrauch in der Bundesrepublik auch 1977 noch niedriger als 1973 war. Die gedämpften Wachstumsaussichten sowie der Trend zu einer sparsameren und rationelleren Energieverwendung machten es notwendig, die globalen Ansätze des quantitativen Orientierungsrahmens des Energieprogramms erneut zu korrigieren. Neben den gedämpften gesamtwirtschaftlichen Wachstumsaussichten mußte das Energieprogramm aber auch wegen der starken Vorbehalte, die gegenüber der Kernenergie geltend gemacht wurden, korrigiert werden. Der in dem ursprünglichen Energieprogramm und in der ersten Fortschreibung vorgesehene Ausbau der Kernenergie au einen Anteil am Primärenergieverbrauch von 15 Prozent, was einer Kernkraftwerkskapazität von 45 000 MW entsprochen hätte, wurde immer unrealistischer.

Für eine zweite Fortschreibung ließ sich die Bundesregierung Gutachten über die künftige Entwicklung des Energieverbrauchs anfertigen, deren Ergebnisse in den „Grundlinien und Eckwerten für die Fortschreibung des Energieprogramms" zusammengefaßt wurden. Der gesamte Primärenergieverbrauch steigt nach dieser Prognose von 347, 7 Millionen t SKE 1975 auf 496 Millionen t SKE 1985. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate des Primärenergieverbrauchs von 3, 6 Prozent bei einem gesamtwirtschaftlichen Wachstum von 4 Prozent. In der ersten Fortschreibung des Energieprogramms, d. h. zu Beginn der Rezession 1974/75, war für das Jahr 1985 — vor allem wegen höherer Annahmen über die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungstendenzen — ein um etwa 10 Prozent höherer Primärenergieverbrauch von 555 Millionen t SKE vorausgeschätzt worden.

Allerdings wurde auch diese korrigierte Ziel-größe für den Primärenergieverbrauch von 496 Millionen t SKE nicht in die inzwischen verabschiedete zweite Fortschreibung des Energieprogramms übernommen. Im Vergleich zu den „Grundlinien und Eckwerten" vom März 1977 wird für 1985 ein um weitere 13, 5 Millionen t SKE geringerer Primärenergieverbrauch in Höhe von 482, 5 Millionen t SKE erwartet, weil infolge von Einsparmaßnahmen mit einer Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch gerechnet werden könne.

Was die Kernenergie anbelangt, kamen die Institute zu dem Ergebnis, daß im Jahre 1985 kaum noch mit einer über 30 000 MW hinausgehenden Kernkraftwerksleistung gerechnet werden kann, so daß der Anteil der Kernenergie am Primärenergieverbrauch auf nur noch 13 Prozent festgesetzt werden mußte. Aber auch dieser Eckwert fand keinen Eingang in die zweite Fortschreibung des Energieprogramms. Eine Überprüfung der „Eckwerte" durch die Institute hat ergeben, daß 1985 die Kernenergie an der Primärenergieversorgung gerade mit 10, 3 Prozent beteiligt sein wird. Das setzt aber voraus, daß die bereits genehmigten Kernkraftwerke gebaut werden können, so daß die Kernkraftwerkskapazität bis 1985 auf rd. 24 000 MW ausgebaut wird.

Zur Fortschreibung des Energieprogramms ließ die Bundesregierung aber nicht nur die in den „Eckwerten" von 1977 festgehaltene Energiemarktprognose überprüfen. Die Institute wurden auch aufgefordert, die Prognose bis 1990 und bis zum Jahre 2000 zu verlän-gern. Ein Blick auf diese Prognose zeigt, daß infolge der geringen Veränderungen der Energieverbrauchsstruktur bis 1985 die Zeit nach 1985 energiepolitisch von entscheidender Bedeutung sein wird. Die einschneidenden Änderungen werden erst nach 1990 erwartet, da spätestens zu diesem Zeitpunkt Engpässe bei den wichtigsten Energieträgern Erdöl und Erdgas eintreten werden.

Bemerkenswert an dieser verlängerten Prognose der Institute ist, daß im Jahre 2000 das Ol und die Kernenergie den gleichen Anteil an der Primärenergieversorgung haben werden. Das würde bedeuten, daß der Ölverbrauch nicht nur relativ, sondern auch absolut gegenüber 1975 um rd. 10 Prozent und gegenüber 1985 um über 25 Prozent bis zum Jahre 2000 gesenkt wird. Dagegen müßte die Kernkraftwerkskapazität im Jahre 2000 auf 75 000 MW erweitert werden, was zwischen 1985 und 2000 einen Zubau von 55 000 MW Kernkraftwerksleistung voraussetzt.

Das Ausmaß dieses Zusatzbedarfs zeigt, welche Anstrengungen gemacht werden müssen, wenn die Energieversorgung auf diese für das Jahr 2000 prognostizierte Basis gestellt werden soll. Es zeigt zugleich, daß das eigentliche Problem der Kernenergie erst nach 1985 gegeben ist. Aber auch das erlaubt keinen Aufschub beim Ausbau der Kernenergiebasis, da dazu lange Zeiträume erforderlich sind. Da außerdem um die Jahrtausendwende für das Uran, soweit es in den heute gebauten Leichtwasserreaktoren eingesetzt wird, die maximale Produktion erwartet wird, kommt es wesentlich darauf an, daß nicht nur Kernkraftwerks-leistung überhaupt, sondern vor allem neue Reaktorsysteme mit besserem Wirkungsgrad zur Verfügung stehen. 2. Die qualitativen Ziele und das Maßnahmenbündel Auch die Gewichtung der qualitativen Ziele des ursprünglichen Energieprogramms der Bundesregierung von 1973 hat sich im Laufe der Zeit verschoben. Mit der ersten Fortschreibung des Energieprogramms Ende 1974 wurden — der Energieforschung, — der Krisenvorsorge sowie — dem Ausbau der internationalen Zusammenarbeit auf dem Energiesektor besondere Priorität beigemessen. Schon im Januar 1974 wurde ein „Rahmenprogramm Energieforschung 1974— 1977" verabschiedet, das — parallel zum 4. Atomprogramm — die staatliche Forschungsförderung auf nicht-nuklearem Gebiet zusammenfassen sollte. Für den Zeitraum 1974— 1977 umfaßte das Rahmenprogramm Energieforschung ein Finanz-volumen von 1, 45 Mrd. DM. Knapp zwei Drittel davon (946 Mio. DM) kamen Forschungsprojekten im Bereich des Kohlenbergbaus zugute, der Rest entfiel auf die Elektrizitätswirtschaft, die Erdgas-und Erdölindustrie sowie auf Forschungsarbeiten über energieeinsparende Technologien. Diese Forschungsförderung soll auch in Zukunft fortgesetzt werden. Für den Bergbau stehen in den Jahren 1977 bis 1980 rund 900 Mio. DM zur Verfügung. Weitere 391 Mio. DM sollen in diesem Zeitraum für energiesparende Technologien bereitgestellt werden.

Im Bereich des Steinkohlenbergbaus sollen die staatlichen Mittel auf zwei Forschungsschwerpunkte konzentriert bleiben. Einerseits sollen bergtechnische Entwicklungsvorhaben finanziell unterstützt werden, andererseits sollen die Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Veredelung von Stein-und Braunkohle (Vergasung oder Verflüssigung) intensiv erforscht werden.

Die Krisenvorsorge wurde mit der Verabschiedung des Energiesicherungsgesetzes vom 20. Dezember 1974 vorangetrieben. Für den Krisenfall wurden vor allem die Bevorratungspflicht der Mineralölindustrie ausgeweitet und eine nationale Steinkohlenreserve angelegt. Sichtbares Ergebnis der Bemühungen, die internationale Zusammenarbeit auf dem Energiesektor voranzutreiben, sind die Krisenregelungen, die die Europäische Gemeinschaft und die im Herbst 1974 gegründete Internationale Energieagentur (IEA) unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet haben.

Mit der zweiten Fortschreibung des Energie-programms vom 14. Dezember 1977 kam ein weiterer Schwerpunkt hinzu. Die zweite Fortschreibung des Energieprogramms zielt in erster Linie auf eine Eindämmung des langfristigen Zuwachses des Energieverbrauchs ab, was sich auch deutlich in dem nach unten revidierten qualitativen Orientierungsrahmen niedergeschlagen hat. Ein neues Maßnahmen-bündel soll nach der zweiten Fortschreibung

— den Zuwachs des Energieverbrauchs durch sparsame und rationelle Energieverwendung begrenzen.

Kernstück des Sparprogramms sind dabei Maßnahmen zur Begrenzung des Verbrauchs-wachstums bei den privaten Haushalten. Ansatzpunkt sind finanzielle Anreize zur Förderung heizenergiesparender Investitionen. Nach dem Programm sollen Investitionen in Altbauten für eine bessere Wärmedämmung und für sparsamere Heizund Warmwasser-Anlagen mit insgesamt 4, 35 Mrd. DM subventioniert werden. Aus diesem Etat sind auch Zuschüsse geplant für Solar-Kollektoren und Wärmepumpen in Neubauten. Weiter sieht das Sparprogramm für Haus-und Wohnungseigentümer und private Haushalte vor:

— Normen für die Wärmedämmung von Neubauten — Änderung des Mietrechtes, das die Duldungspflicht des Mieters gegenüber energie-sparenden Investitionen erweitert und das die Möglichkeit schafft, die Miete nach Investitionen mit Energieeinspareffekten angemessen zu erhöhen.

— Prüfung der Möglichkeit, die Zentralsteuerungsanlagen oder Thermostat-Ventile in allen Gebäuden mit Zentralheizung zur Pflicht zu machen sowie Fenster mit doppelt verglasten Scheiben vorzuschreiben.

— Kühl-und Gefriergeräte sowie Geschirrspüler sollen vom Frühjahr an Energieverbrauchskennzeichnungen erhalten.

— Der Stromtarif II, durch den bei Mehrverbrauch ein Bonus gewährt wird, soll abgeschafft werden.

Im Bereich der Wirtschaft und bei den Versorgungsunternehmen sowie im Verkehr sind folgende Sparmaßnahmen geplant:

— Verstärkung der Mißbrauchsaufsicht bei den Versorgungsunternehmen.

— Besondere und erweiterte Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung.

— Entlastung des Betriebs stationärer Diesel-anlagen zur Strom-und Wärmeerzeugung.

— Förderung der Markteinführung energie-sparender Technologien.

— Mitte 1978 wird eine veränderte DIN Norm für den Benzinverbrauch von Personenwagen eingeführt, deren Angaben über den Verbrauch realistisch sein sollen.

Das gesamte neue Maßnahmenbündel zur Energieeinsparung ist jedoch noch nicht mehr als eine Absichtserklärung. Für viele der geplanten Maßnahmen müssen noch Gesetze verabschiedet werden, an denen auch die Länder mitwirken müssen. (Das Programm für heizenergiesparende Investitionen kann wegen der Einsprüche der Länder gegen die Finanzierungsmodalitäten schon als gescheitert gelten.)

3. Die Risiken des Energieprogramms Neben der Landwirtschaft, dem Verkehrs-und Wohnungswesen ist die Energiewirtschaft einer der Wirtschaftssektoren mit den meisten selektiven wirtschaftspolitischen Eingriffen. Das ergibt sich aus wirtschaftlichen und technischen Besonderheiten dieses Wirtschaftssektors sowie aus der Verantwortung des Staates, politisch bedingte Störungen bei der für eine Volkswirtschaft lebenswichtigen Energieversorgung zu vermeiden. In der marktwirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dürfen die staatlichen Ziele der Energiepolitik grundsätzlich aber nicht über direkte Eingriffe des Staates, sondern indirekt über adäquate staatliche Rahmendaten (wie Steuern, Subventionen, Auflagen) sowie entsprechende Orientierungshilfen für die privaten Investoren erreicht werden. Nur in begründeten Ausnahmefällen, z. B. bei der Regulierung einer akuten Mangelsituation, ist die direkte Staatsintervention erlaubt. Das Energieprogramm wird dieser Aufgabenstellung des Staates in der Energiepolitik nur bedingt gerecht. Das gilt sowohl für den quantitativen und qualitativen Orientierungsrahmen als auch für die mit dem Energieprogramm vorgenommene Ausgestaltung der Rahmendaten.

Probleme ergeben sich schon aus der globalen , Vorausschätzung des künftigen Primärenergieverbrauchs. Es steht außer Frage, daß jede Prognose mit großen Risiken behaftet ist. Bei dem quantitativen Orientierungsrahmen des Energieprogramms handelt es sich aber nicht um eine Status-quo-Prognose, sondern um die Darstellung einer von der Bundesregierung erwünschten Entwicklung, wobei die geplante Politik mit in die Vorausschätzungen einbezogen wurde. Der Orientierungsrahmen trägt damit den Charakter von Programmzahlen. Das große Risiko des gegenwärtig gültigen quantitativen Orientierungsrahmens liegt darin, daß die Vorausschätzung auf einem Minimalanstieg des Energieverbrauchs basiert. Selbst gegenüber der ersten Fortschreibung des Energieprogramms geht die zweite Fortschreibung von erheblich reduzierten Wachstumsraten des Energieverbrauchs aus. Gegenüber dem ursprünglichen Programm werden die Schätzungen sogar um 130 Mio. t SKE zurückgenommen.

Auch wenn nach der Rezession der vergangenen Jahre und in der sich gegenwärtig nur langsam wiederbelebenden Konjunktur heute besondere Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Energiebedarfs besteht, muß davon ausgegangen Werden, daß der Energieverbrauch wieder stark zunehmen wird, Sobald sich die Wirtschaftsentwicklung in den Industrieländern wieder normalisiert. Die langen Zeiträume, die heute für die Erschließung neuer Primärenergievorkommen und auch für den Bau von Energieumwandlungsund -Übertragungsanlagen notwendig sind, macht es im Zweifelsfall erforderlich, daß der Planung eher zu hohe als zu geringe Zuwachsraten zugrunde gelegt werden.

Mit diesem quantitativen Minimalprogramm werden Signale gesetzt, die die Investoren in eine falsche Richtung drängen könnten. Fällt der tatsächliche Verbrauchsanstieg höher als geplant aus, so werden die aufgrund der niedrigen Planungssätze unzulänglichen Investitionen für die Erweiterung des Energieangebotes zu Versorgungsengpässen führen. Energiemangel wird dann das Wachstum der Volkswirtschaft von der Angebotsseite her begrenzen, mit weitreichenden Konsequenzen für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt. Dagegen wären die gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten einer Energiepolitik, die eher Uberkapa-

zitäten als Engpässe im Energiebereich einkalkuliert, ungleich günstiger.

Die Gesamtkapazität läßt sich kurzfristig durch die Stillegung älterer Anlagen an die Nachfrage anpassen.

Fragwürdig ist darüber hinaus, daß die revidierten Annahmen über den globalen Verbrauchsanstieg nicht allein auf gedämpfteren Erwartungen hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichen Wachstums, die einen niedrigeren Anstieg des Energieverbrauchs begründen könnten, beruhen: Der Verbrauchsanstieg soll in Zukunft auch deshalb relativ gering ausfallen, weil mit einer rationelleren und sparsameren Energieverwendung gerechnet wird.

Die Hoffnungen, durch den Einsatz neuer energiesparender Techniken eine Entkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch zu erreichen, sind wenig begründet. Sie haben nur auf sehr lange Sicht eine Realisierungschance. Fundamentale physikalische und technische Gegebenheiten enB gen den Spielraum für Einsparmöglichkeiten, jedenfalls im Bereich der Wirtschaft, deutlich ein.

Allerdings setzt das Energieprogramm nicht allein auf Einsparmaßnahmen im Bereich der Wirtschaft. Die Maßnahmen setzen mehr im Bereich der privaten Haushalte an. Eine Begrenzung des Energieeinsatzes kann letztlich nur über Konsumverzicht und Verringerung des Lebensstandards erreicht werden, was unter gesellschaftspolitischen Aspekten allerdings keine Alternative ist.

Ein Teil des nach dem Energieprogramm abflachenden Energieverbrauchwachstums wird auf ein langsameres Wachstum des Stromverbrauchs zurückgeführt. Hier liegt wohl eines der größten Risiken des Energieprogramms. Eine Erweiterung der Basis der nationalen Energieversorgung wird nur möglich sein über eine breitere Nutzung des Stroms. Neue Energiegewinnungstechniken sind weithin identisch mit Techniken der Stromerzeugung. Erdöl und Erdgas sparen heißt letztlich Strom nutzen. Sowohl in der Wirtschaft als auch in den Haushalten wird deshalb der Trend zum steigenden Stromverbrauch anhalten.

Allerdings wird mit der zweiten Fortschreibung des Energieprogramms die Politik der fortschreitenden Substitution des Mineralöls und des Naturgases durch Kernenergie und Kohle, kombiniert mit einer stärkeren Anwendung der Elektrizität, nicht konsequent fortgesetzt. Das ergibt sich schon allein daraus, daß der Stromverbrauch durch administrative Eingriffe in die Preispolitik gedrosselt werden soll. Aber auch der quantitative Orientierungsrahmen des fortgeschriebenen Energieprogramms zeigt, daß der notwendige Substitutionsprozeß mehr auf die neunziger Jahre verschoben wird. Hinzu kommt, daß der quantitative Orientierungsrahmen aus dem Programm herausgenommen und nur als Anlage zum Energieprogramm beigefügt Wurde. Damit drückt die Bundesregierung eine Distanz zu den ohnehin stark revidierten Annahmen über den künftig notwendigen Substitutionsprozeß im Energiebereich aus. Angesichts der langen Vorbereitungszeiten für die Abteufung neuer Schachtanlagen oder beim Bau neuer Kraftwerke, die acht bis zehn und mehr Jahre erfordern, müssen klare Anhaltspunkte gegeben werden. Weder für die Kernenergie, also für die Elektrizitätswirtschaft, noch für den Steinkohlenbergbau liefert das Energieprogramm klare Investitionsziele. Das Energieprogramm verlagert die Entscheidung über den Bau von Kernkraftwerken sogar noch auf die Länder. Sie sollen nach dem neuen Energieprogramm prüfen, ob nicht auch Steinkohle eingesetzt werden kann. Das Energieprogramm sieht demnach zwischen der Kernenergie und der Steinkohle eine Alternative, obwohl beide Energieträger für die Deckung des Energiebedarfs der Zukunft gebraucht werden. Besonders gravierend ist aber auch, daß mit dem fortgeschriebenen Energieprogramm die Investitionshemmnisse und Investitionsunsicherheiten beim Bau von Kraftwerken, die für die Stromversorgung benötigt werden, nicht beseitigt wurden. Das halbherzige Ja zur Kernenergie stellt noch nicht einmal sicher, daß die im Bau und in Planung befindlichen Kraftwerke rechtzeitig in Betrieb genommen werden können.

IV. Realisierung des Fortschritts durch Kernkraftnutzung

I Tabelle 4: Struktur des Primärenergieverbrauchs nach den Prognosen der Bundesregierung in v. H.

Das entscheidende Element einer aktiven, zukunftsorientierten Wachstumspolitik besteht in der Förderung der Anwendung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts in der industriellen Praxis. Die Bedeutung, die einer sicheren und preisgünstigen Energieversorgung in einer Volkswirtschaft zukommt, macht es dabei erforderlich, daß gerade auch in der Energiewirtschaft technische Entwicklungen zur Anwendung kommen. Eine Anpassung an die naturwissenschaftliche und technologische Entwicklung heißt heute in der Energiewirtschaft Anwendung und Fortentwicklung der Energiegewinnung aus Kernkraft.

1. Wirtschaftswachstum und Kernenergie

Die wachstumspolitische Beurteilung einer Anwendung der Kernenergie bzw.des Baus von Kernkraftwerken erfolgt oft zu einseitig nach den unmittelbaren Beschäftigungswirkungen. Angesichts der gegenüber früheren Jahren relativ hohen Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland sind diese Beschäftigungswirkungen zweifellos ein wichtiger Aspekt. Sie sind allerdings nur dann richtig einzuschätzen, wenn die Frage nach dem Ausbau der Kraftwerkskapazität in der Bundesrepublik ganz generell stellt. Denn für den Arbeitsmarkt ist entscheidend, daß die Kraftwerkskapazität überhaupt erweitert wird, sei es durch fossile oder durch Kernkraftwerke. Wie das DIW untersucht hat, verringert sich bei einem — nicht durch den Zubau anderer Kraftwerksleistungen kompensierten — Bau-ausfall eines Kernkraftwerkblocks der heute üblichen Größe die Nachfrage nach Arbeitskräften pro Jahr um etwa 40 000 Beschäftigte.

Dieser Beschäftigungsausfall würde aber weitgehend kompensiert, wenn zusätzliche Steinkohlenkraftwerke anstelle von Kernkraftwerken gebaut würden. Zwar erfordert der Bau eines Steinkohlenkraftwerks selbst direkt und indirekt weniger Arbeitskräfte, doch würden für den laufenden Betrieb dann wesentlich mehr Arbeitskräfte benötigt, wenn die zusätzlichen Kohlemengen im Inland gefördert werden.

Gravierend wären aber die sektor-und branchenspezifischen Effekte eines Verzichts auf den Ausbau der Kernenergie. Ein Verzicht auf die Nutzung der Kernkraft hätte zur Folge, daß in der Energiewirtschaft die Anpassung an versorgungspolitische und wirtschaftliche Änderungen unterbleibt. Der Struktur-wandel in der Energiewirtschaft würde gestoppt, was volkswirtschaftlich nicht ohne Folgen bleiben könnte. Besonders betroffen wäre von einem Abbruch der Nutzung und Entwicklung der Kernenergie die Elektrizitätswirtschaft, die ihre Anlagen zur Elektrizitätserzeugung nicht auf einen angemessenen technischen Stand bringen könnte. Das Ausmaß des volkswirtschaftlichen Schadens kommt in folgender Relation zum Ausdruck: Mit jedem Tag Verzögerung eines 1 300-MWKernkraftwerk-Blocks, an dem die entsprechende Strommenge aus anderen Quellen beschafft werden muß, entstehen dem Elektrizitätsunternehmen Mehrkosten von nahezu 1 Mio. DM, die letztlich über die Strompreise vom Endverbraucher zu finanzieren sind. Damit werden die Voraussetzungen für den internationalen Wettbewerb nachdrücklich verschlechtert. Höhere Stromkosten treffen ins-besondere Industriezweige mit stromintensiven Erzeugungsprozessen, die nicht selten gerade zu den zukunftsorientierten Zweigen gehören. Die Expansionsmöglichkeiten würden durch „hausgemachte" Kostensteigerungen erschwert.

Gravierend wären aber auch die Auswirkungen auf die heute noch international anerkannte Nuklearindustrie in der Bundsesrepublik Deutschland selbst. Ein Verzicht auf die Kernenergie würde eine Schrumpfung dieser Industrie auf den Stand erzwingen, der größere Eigenentwicklungen auf dem innovationsträchtigen Gebiet der Nukleartechniken nicht mehr möglich machen würde. Ein innovatorisches Kapital, das in der Nachkriegszeit unter Einsatz massiver öffentlicher Unterstützung aufgebaut werden konnte, bliebe — ganz zu schweigen von dem Verlust des Renommees eines auf den Export angewiesenen Industrie-landes — einer wachstumsorientierten Nutzung vorenthalten.

Das Aussetzen der Anwendung neuer Entwicklungen in der Energiewirtschaft hätte aber auch zur Folge, daß später die Nutzung und Entwicklung der Kernenergie nicht problemlos wieder aufgenommen werden könnte.

Eine leistungsfähige Nuklearindustrie muß die entsprechenden Kapazitäten schaffen und kontinuierlich ausbauen können. Dabei geht es nicht vorwiegend um die Erweiterung von Kapazitäten, sondern um deren Verbesserung. Zusätzlich muß das nötige Personal für Planung, Konstruktion, Fertigung und Montage von Kraftwerken rechtzeitig aus-und fortgebildet bzw. umgeschult werden. Schließlich muß das eigentliche Novum, das die Kernkraft in die Energiewirtschaft gebracht hat, weiterentwickelt werden. Der Brennstoffkreislauf der Kernkraftwerke ist ein technisch komplexes System aufwendiger und zum Teil komplizierter Operationen, die im wesentlichen die Uranbeschaffung, Anreicherung, Brennelementenherstellung, Wiederaufbereitung und Abfallbeseitigung umfassen. Dieser Kreislauf ist aber noch nicht „geschlossen". Weitere Forschungs-und Entwicklungsanstrengungen sowie deren Umsetzung in die industrielle Praxis sind erforderlich.

Von der Nutzung der Kernkraft gehen aber auch wesentliche Wachstumsimpulse auf die gesamte Wirtschaft aus. Zahlreiche Ergebnisse der Forschung und Entwicklung auf dem Kernenergiegebiet können andere Gebiete der Technik befruchten und damit das industrielle Potential vergrößern. Neuartige Anforderungen stellt die neue Energieerzeugungstechnik insbesondere an die Elektrotechnik, Metallurgie und Chemie sowie den Großapparatebau.

Die Bedeutung der Kernindustrie für die Volkswirtschaft insgesamt zeigt sich aber darin, daß nur bis zu 30 Prozent der für den Bau eines Kernkraftwerks benötigten Lieferungen und Leistungen von der beauftragten Herstellerfirma erbracht werden. Der Rest entfällt auf rd. 300 Zulieferer. Die Kernenergie ist damit eine Schlüsselindustrie, für die zahlreiche Unternehmen, insbesondere der Elektroindustrie, des Maschinenbaus und der Chemie, teils unmittelbar, teils als Unterauftragnehmer tätig sind

2. Vorteile der Kernenergie bei der Strom-erzeugung Elektrischer Strom als Sekundärenergieträger läßt sich aus allen Primärenergieträgern herstellen und eignet sich, wie bereits gezeigt, für alle Anwendungsbereiche, insbesondere auch zur Substitution des Mineralöls und seiner Veredelungsprodukte. Dies bedingt jedoch eine unter wirtschaftlichen und versorgungspolitischen Bedingungen vernünftige Primärenergiebasis für die Stromerzeugung. In einer sinnvollen Kombination der heimischen Primärenergiequellen — Braunkohle, Steinkohle und Wasserkaft — und der Kernenergie könnte diese Bedingung erfüllt werden. Aus versorgungspolitischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten muß dabei aber der überwiegende Teil der neuen Kraftwerks-leistung auf Kernenergiebasis erstellt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die heimische Steinkohle schon wegen ihrer beschränkten Förderkapazität nicht in der Lage ist, den gesamten Stromverbrauchzuwachs zu decken. Die neuesten Vorausschätzungen unter Berücksichtigung der Rezession der letzten Jahre gehen davon aus, daß die Stromer-zeugung in der Bundesrepublik Deutschland von rd. 300 Mrd. kWh auf etwa 530 Mrd. kWh zunehmen wird Etwa die Hälfte davon könnte aus Kernenergie gewonnen werden, wenn Kernkraftwerke mit einer Leistung von insgesamt rund 35 000 MW erstellt würden. Sollte der benötigte Strom statt in Kernkraftwerken in Steinkohlenkraftwerken erzeugt werden müssen, so wäre allein im Jahre 1985 eine zusätzliche Kohlenmenge von rund 74 Mio. t Steinkohle bereitzustellen. Es ist jedoch ausgeschlossen, daß in diesem Zeitraum eine solche zusätzliche Kohleförderung der benötigten Qualität in der Bundesrepublik sinnvoll erschlossen werden kann.

Aber auch die übrigen fossilen Energieträger, Erdöl und Erdgas, scheiden aus versorgungspolitischen Gründen zur zusätzlichen Stromversorgung aus. Aufgrund der dargestellten Unsicherheiten darüber, in welchen Mengen und zu welchen Konditionen öl in Zukunft für die Energieversorgung zur Verfügung steht, ist es wenig zweckmäßig, weitere Kapazitäten zur Stromerzeugung auf der Basis des Mineralöls zu bauen. Das Energieprogramm schließt das auch ausdrücklich aus. Auch die Erdgas-vorräte sind nicht so groß, daß man mit diesem Energieträger einen bedeutenden Versorgungs-anteil sicherstellen könnte.

Für die Nutzung der Kernenergie sprechen aber auch allein wirtschaftliche Gesichtspunkte. Vergleicht man die Kostenstruktur konventioneller Kraftwerke mit Kernkraftwerken, so kommt man zu dem Ergebnis, daß Kernkraftwerke den fossilen Kraftwerken überlegen sind. Nach Berechnungen der Brown, Boveri & Cie. AG, Mannheim, liegen zwar die Anlagekosten eines konventionellen Kraftwerkes bei ca. 26 Prozent der Stromerzeugungskosten, die von Kernkraftwerken bei ca. 64 Prozent. Umgekehrt dazu verhalten sich aber die Brennstoffkosten, die beim Kernkraftwerk nur ca. 27 Prozent, beim fossilen Kraftwerk ca. 68 Prozent betragen. Die Bedie-nungsund Wartungskosten sind in etwa vergleichbar.

Aus dieser Konstellation ergibt sich, daß sich eine Erhöhung der Brennstoffkosten in fossilen Kraftwerken stark auf die Stromerzeu-13 gungskosten auswirken wird. Dagegen sind Kernkraftwerke mehr oder weniger stabil gegenüber Veränderungen auf dem Brennstoff-markt. Auch wenn in Zukunft mit steigenden Uran-, Anreicherungs-und Entsorgungskosten zu rechnen ist, wird das Verhältnis zwischen Brennstoffkosten fossiler Kraftwerke und Kernkraftwerke erhalten bleiben, weil gerade die fossilen Brennstoffe weiterhin erheblichen Preissteigerungen ausgesetzt sein werden.

Dagegen fallen die hohen Anlagekosten bei Kernkraftwerken nicht so stark ins Gewicht, weil die Baukosten mit zunehmender Kraftwerksblockleistung sinken. Ein Kraftwerk mit kleiner Leistung braucht dieselben Anlagen und Sicherheitseinrichtungen wie ein Kraftwerk mit großer Leistung. Dadurch sind Kernkraftwerke im Grundlastbereich den fossil gefeuerten Kraftwerken deutlich überlegen. Der Kraftwerkspark in der Bundesrepublik ist zur Zeit mit Anlagen für den Mittellastbetrieb reichlich ausgestattet, während kostengünstig arbeitende Grundlastkapazitäten fehlen, so daß auch von hier aus der Ausbau der Kernenergie intensiviert werden müßte. Schließlich ist auch aus Umweltschutzgründen ein Ausbau der Kernenergie geraten. Die Belastung der Luft durch chemische Schadstoffe aus dem gesamten Bereich der Energieerzeugung stößt heute in Zentren der Energieerzeugung an die Grenzen tolerabler Konzentration. Wenn auch weiterhin zur Deckung des steigenden Energiebedarfs nur fossile Energieträger eingesetzt werden, würde das zu einem weiteren Anstieg des COz-Gehaltes in der Atmosphäre führen. Dagegen könnte ein vollständiger Ersatz der fossil gefeuerten Anlagen durch nukleare Kraftwerke die gesamten Belastungen auf unbedeutende radiologische Werte reduzieren.

Zweifellos stellt die Radioaktivität eine ernste potentielle Gefahrenquelle dar. Um sie sicher zu beherrschen, müssen die Entwicklungsarbeiten deshalb mit einem weiteren Ausbau der Kernenergie vorangetrieben werden. Flüssige und gasförmige radioaktive Abfallstoffe werden im Normalbetrieb des Kernkraftwerks nur kontrolliert abgelassen, und zwar im allgemeinen weit unter der Toleranzgrenze der Strahlenschutzverordnung. Im Normalbetrieb eines Kraftwerks darf die Strahlendosis an keiner Stelle außerhalb des Kraftwerks den Wert von 30 mrem/a, etwa ein Viertel der mittleren natürlichen Strahlendosis, überschreiten. Die deutschen Kernkraftwerke geben zur Zeit etwa 10 Prozent der maximal zulässigen Aktivität ab. Im Kernkraftwerk selbst sorgen verschiedene konstruktive Maßnahmen dafür, daß auch beim größten anzunehmenden Unfall, dessen Eintritt außerordentlich unwahrscheinlich ist, keine bleibende Beeinträchtigung der Umgebung stattfindet. 3. Reduktion des Konfliktpotentials Die Analyse des Entscheidungsfeldes der Energiepolitik sowie der besonderen energie-wirtschaftlichen Situation in der Bundesrepublik Deutschland hat ergeben, daß aus versorgungspolitischen und wirtschaftlichen Gründen in Zukunft verstärkt die Kernkraft als Energieträger genutzt werden muß. Die Natururanversorgung der Elektrizitätswirtschaft erfordert wertmäßig einen Import, der, verglichen mit einer zur gleichen Stromerzeugung importierten Menge fossiler Brennstoffe, ungleich niedriger liegt. Von großem Vorteil ist auch, daß die Uranvorkommen geographisch breit gestreut sind und vielfach in politisch stabilen Ländern liegen. Kernkraftnutzung trägt daher zur Versorgungssicherheit bei.

Als preisgünstige Energiequelle kann die Kernkraft die Kostensituation der energieabhängigen Wirtschaft nachhaltig verbessern und so die Wettbewerbsfähigkeit der international verflochtenen Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland fördern. Darüber hinaus gehen von der Kernkraftnutzung selbst Wachstumsimpulse aus, weil mit ihr innovationsträchtiges Potential erschlossen wird. In der hochindustrialisierten Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland muß das Wachstum in erster Linie von der Anwendung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts getragen sein. Mit der Nutzung der Kernkraft werden nicht nur zusätzliche, sondern sichere und zukunftsorientierte Arbeitsplätze geschaffen.

Wenn eine Nutzung der Kernkraft dazu beitragen kann, das Niveau des Wirtschaftswachstums zu steigern und zugleich die Struktur des wirtschaftlichen Wachstums qualitativ zu verbessern, so reduziert sie das interne Konfliktpotential. Sie erweitert die Möglichkeiten des sozialen Ausgleichs und verhindert Konflikte, die bei unzulänglichen Wachstumsraten auftreten können.

Aber auch auf internationaler Ebene trägt die Kernkraftnutzung zu einer Reduktion des Konfliktpotentials bei. Mit der Nutzung der Kernenergie wird der Weltmarkt für fossile Energieträger geschont. Konflikte, die durch Engpässe auf den Weltenergiemärkten entstehen können, werden dadurch vermieden. Vor allem können zusätzliche Preissteigerungen auf den Weltenergiemärkten verhindert werden, die vor allem die Entwicklungsländer treffen würden. Kernkraftnutzung kann deshalb auch dazu beitragen, daß die politischen Nord-Süd-Spannungen nicht zunehmen. Schließlich wird die Bundesrepublik Deutschland mit der Kernkraftnutzung der Anforderung weiterhin gerecht, an Lösungen mitzuwirken, die den notwendigen Übergang von den natürlichen fossilen Energieträgern auf künstlich erzeugte Energieträger möglich machen. Diese Aufgabe kann nur von den fortgeschrittenen Industrieländern geleistet werden, weil dazu höchst komplizierte Groß-technologien eingesetzt und entwickelt werden müssen. Die Forderung nach einem weiteren Ausbau der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland kann deshalb auch nicht mit einem „unkritischen Technik-und Wachstumsoptimismus" identifiziert werden.

Technologien, die das Problem der weltweiten Energieversorgung einer Lösung näher bringen können, können nur dann weitergegeben werden, wenn sie ihre Bewährungsprobe im eigenen Lande bestanden haben. Mit der Vermeidung von Konflikten, die durch Engpässe bei der Energieversorgung entstehen, wird auch die Gefahr gemindert, daß die Kernspaltung zu anderen Zwecken genutzt wird. Erst die friedliche Nutzung der Kernenergie schafft die Voraussetzungen, daß sie nicht für kriegerische Zwecke eingesetzt wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Bundesregierung verabschiedete am 10. März 1973 ein Energieprogramm (Bundestags-Drucksache 7/1057), das am 30. Oktober 1974 fortgeschrieben (Bundestags-Drucksache 7/2713) wurde. Die zweite Fortschreibung des Energieprogramms erfolgte am 14. Dezember 1977.

  2. Vgl. dazu die Ausführungen von Harald Stumpf in dieser Zeitschrift B 32/77 und B 44/77.

  3. Das Wachstum der Wirtschaft ist seit den 50er Jahren kontinuierlich abgeflacht. Die durchschnittlich jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts betrug während der sechs abgeschlossenen Wachstumszyklen in der Bundesrepublik Deutschland in v. H.: 1950/54 = 8, 8; 1954/58 = 7, 1; 1958/1963 = 5, 9; 1963/67 = 3, 7; 1967/71 = 6, 0; 1971/1975 ee 1, 4.

  4. Siehe dazu ausführlich: Sektorale Verschiebungen der Industrieproduktion 1950— 1975, in: IW-Trends Nr. 4/77, hrsg. v. Institut der deutschen Wirtschaft, Köln.

  5. Vgl. Harald Stumpf, Ein Wachstumskonzept und seine Grenzen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 32/77.

  6. Siehe dazu ausführlich: Antworten auf eine Fierausforderung. Der Bundesverband der Deutschen Industrie berichtet über praktizierten Umweltschutz in den Unternehmen, Köln 1977.

  7. Siehe dazu ausführlich Stefan Rath-Nagel, Alternative Entwicklungsmöglichkeiten der Energie-wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland, Basel-Stuttgart 1977, S. 15 ff.

  8. Während der Primärenergieverbrauch zeigt, wieviel Energie produziert und eingeführt werden muß, macht das Bild des Endenergieverbrauchs deutlich, wieviel Energie von den einzelnen Verbrauchsgruppen (Industrie 35, 9 Prozent, Verkehr 19, 7 Prozent, Haushalte und Kleinverbraucher 44, 4 Prozent) und in welcher Form benötigt wird.

  9. Siehe Fußnote 3

  10. Siehe Fußnote 3

  11. Grundlinien und Eckwerte für die Fortschreibung des Energieprogramms, Bulletin Nr. 30 vom 25. März 1977.

  12. Siehe Fußnote 3

  13. DIW Wochenbericht, 26-27/76, S. 265 ff.

  14. Vgl. Bundesminister für Forschung und Technologie, Zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, Bonn 1977, S. 430 ff.

  15. Informationsanlage zur zweiten Fortschreibung des Energieprogramms, a. a. O.

  16. Eduard Pestel, Grundfragen langfristiger Energiepolitik, Vortragsmanuskript für CDU-Kongreß „Energie und Umwelt".

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Gerhard Voss, Dr. rer. pol., Dipl. -Volkswirt, geb. 1940; Leiter des Referates Regionale und sektorale Strukturpolitik im Institut der deutschen Wirtschaft, Köln; nach kaufmännischer Lehre in der Industrie und dem Studium der Volks-und Betriebswirtschaft seit 1969 tätig im Verbandsund Kammerwesen der Wirtschaft. Veröffentlichungen: Erfolgskontrolle regionaler Strukturpolitik, Köln 1973 (Diss.); Soziales Bodeneigentum und Bodenmarkt, Köln 1973; Strukturtrends und Strukturpolitik, Köln 1975; Trend zur Dienstleistungsgesellschaft?, Köln 1976; Sektorale Strukturpolitik. Anspruch und Praxis, Köln 1977; Veröffentlichungen in Fachzeitschriften zur strukturellen Entwicklung der Wirtschaft sowie zur Strukturund Regionalpolitik.