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Der Kernenergie eine Chance ? | APuZ 5/1978 | bpb.de

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APuZ 5/1978 Artikel 1 Energie und Sicherheit für Westeuropa Kernkraftnutzung als Bestandteil einer aktiven Wachstums-und Energiepolitik Der Kernenergie eine Chance ?

Der Kernenergie eine Chance ?

Ferdinand Wiebecke

/ 37 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Jahr 1977 bildete den bisherigen Höhepunkt der politischen Diskussion über den Ausbau der Kernenergienutzung in der Bundesrepublik. Die Parteien und die Bundesregierung haben in diesem Zusammenhang ihre Positionen erneut verdeutlicht, wobei sich eine breite Übereinstimmung über die Notwendigkeit des Ausbaus gebildet hat. Notwendige Voraussetzungen für den Ausbau der Kernenergie sind ihre Sicherheit und ihre Wirtschaftlichkeit. Sie allein reichen jedoch nicht hin: Aufnahmebereitschaft bzw. Durchsetzung der Kernenergie als Energiequelle erfolgt vor allem unter politischen Aspekten. Während die wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Voraussetzungen für den Ausbau der Kernenergie prinzipiell als gegeben angesehen werden können, ist die Klärung der politischen Voraussetzungen noch nicht abgeschlossen. Als Instrument zur Klärung der politischen Voraussetzungen wird die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Kernenergie" durch den Deutschen Bundestag empfohlen, in der Politiker und außerparlamentarische Experten gemeinsam die Lösung der anstehenden Probleme vorbereiten können.

1. Die Situation Obwohl die im Bundestag vertretenen Parteien versucht haben, teilweise durch Parteitagsbeschlüsse klärend in den Prozeß der Auseinandersetzung über die friedliche Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik einzugreifen, bleibt die Situation einigermaßen verworren. Während auf der einen Seite festgestellt wurde, daß es keine ernsthafte wissenschaftliche Kontroverse über die friedliche Nutzung der Kernenergie gibt, werden andererseits von Wissenschaftlern unterzeichnete Erklärungen in die Öffentlichkeit gebracht, die sich äußerst kritisch, wenn nicht gar ablehnend gegenüber dem Ausbau der Kernenergie in der Bundesrepublik äußern. Im politischen Raum steht der offenen oder begrenzten Zustimmung der Parteien und Gewerkschaften zum Ausbau der Kernenergie die Ablehnung durch Bürgerinitiativen und Jugendorganisationen gegenüber. Investitionen der Elektrizitätswirtschaft in den Bau von Kernkraftwerken werden blockiert durch Gerichte. Die von der Bundesregierung forcierte Entsorgung der Kernkraftwerke wird durch föderalistischen Eigensinn behindert. Der Aufbau einer Atomwirtschaft im Ausland stößt auf den Widerstand der Atommacht USA. Die Liste der Kontroversen, Ungereimtheiten und Widersprüche ließe sich beliebig fortsetzen.

In dieser Situation war es nötig, daß nicht nur die Parteien, sondern auch die Bundesregierung die Zielsetzungen der Kernenergiepolitik erneut verdeutlichte. Dies hat sie einmal mit der Vorlage eines Energieforschungsprogramms und zweitens mit der Verabschiedung der Zweiten Fortschreibung ihres Energieprogramms getan. Damit ist zusammen mit den Beschlüssen der Parteien und Fraktionen — die Opposition hat ein eigenes energiepolitisches Programm im Bundestag eingebracht — der Ansatz für eine erneute politische Be-

Ich danke den Abgeordneten Stahl und Dr. Steger sowie meinem Kollegen W. Heitmann für ihre Hinweise und Anregungen bei der kritischen Durchsicht des Manuskriptes.

Wertung der friedlichen Nutzung der Kernenergie und eine umfassende Chance für die Bestimmung der Rolle, die die Kernenergie künftig spielen kann, gegeben.

2. Die Positionen der Parteien

I. Einleitung

Das Jahr 1977 bildete bisher den Höhepunkt der politischen Diskussion über den Ausbau der Kernenergienutzung in der Bundesrepublik. Während noch im Mai 1976 der Bundestag mit Unterstützung aller Fraktionen sich für einen Ausbau der Kernenergie ausgesprochen und festgestellt hatte, daß das damit verbundene Risiko vertretbar sei, machte Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Re-INHALT -

I. Einleitung 1. Die Situation 2. Die Positionen der Parteien II. Sicherheit 1. Reaktorsicherheit 2. Schnelle Brutreaktoren 3. Entsorgung 4. Non-Proliferation 5. Sicherung atomarer Anlagen III. Wirtschaftlichkeit 1. Prognosen 2. Strombedarf und Stromversorgung 3. Atomstrom IV. Enguete-Kommission „Kernenergie"? gierungserklärung im Dezember 1976 zu Beginn der 8. Legislaturperiode den weiteren Ausbau von einer zureichenden Sicherung der Entsorgung abhängig. Obgleich mit dieser Koppelung der Atomwirtschaft lediglich die Auflage gemacht werden sollte, energischere Vorbereitungen für die Schließung des Brennstoffkreislaufes zu treffen, wurde diese Aussage in der politischen Diskussion als Konzession an die Gegner des Ausbaues der Kernenergie mißverstanden. Zugleich bot sie die willkommene Gelegenheit, ohne die bisherigen Festlegungen außer Kraft zu setzen, allgemein eine sachlich begründbare Pause für den Ausbau der Kernenergie zu fordern und damit dem wachsenden Druck der Gegner eines Ausbaus der Kernenergie in den Parteien auszuweichen. Dies wurde zuerst in der Haltung der FDP deutlich, deren Hauptausschuß — das zwischen den Parteitagen wichtigste Beschlußorgan — im Frühjahr 1977 deutlich machte, daß die Koppelung des Ausbaues der Kernenergie an die Sicherung der Entsorgung Auffassung der Gesamtpartei werden sollte. Einen ähnlichen Beschluß faßte nahezu gleichzeitig der Vorstand des DGB. Da die Vorbereitungen für die Errichtung eines deutschen Entsorgungszentrums nur sehr langsam anliefen und die Beschlüsse insgesamt nicht die Bedingungen für den weiteren Ausbau der Kernenergie hinreichend präzisierten, schien ein Moratorium, wie oft gefordert, unausweichlich. Seine Dauer war schwer absehbar.

Eine ähnliche Position schien sich in der SPD anzubahnen, wobei die Begründung für einen restriktiven Ausbau oder ein Moratorium häufig aus Überlegungen über eine Neubestim-mung des wünschbaren wirtschaftlichen Wachstums genommen wurde: die Parallelität von Wirtschafts-und Energiewachstum sollte im Rahmen von Energiesparmaßnahmen durchbrochen und so das quantitative Wirtschaftswachstum begrenzt werden. CDU und CSU hingegen haben, von Außenseitermeinungen abgesehen, nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie für den Ausbau der Kernenergie ohne Einschränkung eintreten würden.

Die Parteitage von SPD und FDP, die im November 1977 stattfanden, haben jedoch die vorbereiteten Positionen, die ein mehrjähriges Moratorium in jedem Fall vorsahen, nicht bestätigt. Beide Parteien beschlossen einen Spielraum für den unbedingt nötigen Ausbau der Kernenergie in der Bundesrepublik. Vorbedingung für den weiteren Ausbau sollte einmal die Entsorgung der Kernkraftwerke sein, wobei auch auf Zwischenlager-und Entsorgungsmöglichkeiten im Ausland, entsprechend den zwischen Bund und Ländern im Mai 1977 abgestimmten Grundsätzen zur Entsorgungsvorsorge, verwiesen wurde. Damit wurde die einseitige strikte Bindung an die Errichtung eines deutschen Entsorgungszentrums vermieden. Die Koppelung des Ausbau-es an die inländische Entsorgung wurde gelockert. Dafür wurde andererseits die ökonomische Bedingung für den weiteren Ausbau verschärft: Kernenergie soll künftig eigentlich kein konstituierender Faktor unserer Stromversorgung sein, sondern — gleichsam subsidiär — lediglich zur Restbedarfsdeckung dienen. Statt des Ausbaus der Kernkraftwerke wird — vor allem im Beschluß der SPD — der deutschen Steinkohle ein Vorrang bei der Sicherung der Energieversorgung eingeräumt.

Unterschiede zwischen den Beschlüssen der beiden Parteien bestehen hinsichtlich der Präzisierung der Entsorgungsbedingungen und ihrer Anerkennung sowie hinsichtlich der Einschätzung des Risikos Kernenergie. Von der SPD wird verlangt, daß neben dem Nachweis der wirtschaftlichen Notwendigkeit der Ausbau der Kernenergie auch sicherheitstechnisch und gesellschaftspolitisch unbedenklich sein muß.

Der Spielraum für den Ausbau der Kernenergie wird von den Regierungsparteien im Bundestag somit eingeengt. Andererseits sind die Grenzen, die die Anwendung der Kernenergie beschreiben sollen, auch in den Parteitagsbeschlüssen noch ziemlich vage. Auf einige wichtige Punkte, die der Präzisierung bedürfen, wird in den folgenden Ausführungen eingegangen und dabei in erster Linie die Frage aufgeworfen, ob es andere als politische Gründe für ein Moratorium bzw. für Restriktionen beim Ausbau der Kernenergie gibt. Damit sollen zugleich erste Vorüberlegungen für die Entwicklung eines Kataloges politischer Kriterien zur Beurteilung der friedlichen Nutzung der Kernenergie angestellt werden, der sich an wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Standards orientiert.

II. Sicherheit

1. Reaktorsicherheit

Ziel der Sicherheit atomarer Anlagen — und dazu gehören Reaktoren — ist es, diese so abzuschirmen, daß die Produkte von Kernreak-tionen und radioaktiven Substanzen nur in einem technisch unvermeidbaren und für die Umgebung unbedenklichen Mindestmaß nach außen dringen können. Dazu gehört auch, eine Freisetzung von Spaltstoffen, die durch einen Störfall hervorgerufen wird und zu ernsten Schäden in der Umgebung führen kann, nach menschlichem Ermessen auszuschließen. Das Ziel wird durch ein mehrstufiges Schutz-konzept verwirklicht. Einmal wird die Außenwelt durch hohe, hintereinander liegende Barrieren, wie Einschluß-Brennstoffe in die Brennelementhülle, Reaktorkühlsystem und Sicherheitsbehälter, gegen eine unzulässige Berührung mit Spaltstoffen abgeschirmt, zum anderen hat jeder Reaktor außer seinen Betriebssystemen ein Schutzsystem und ein Sicherheitssystem. Das Schutzsystem ist dafür ausgelegt, alle Betriebsvorgänge aufzufangen, die nicht normal sind, damit die Anlage sich nicht zerstört. Das Sicherheitssystem tritt dann in Betrieb, wenn die Anlage nicht mehr funktionsfähig ist. Die Sicherheit eines Reaktors wird vor allem garantiert durch die Zuverlässigkeit und Wirksamkeit der Reaktorabschaltung, der Notkühlung und des Containmentabschlusses

Die Erfüllung sicherheitstechnischer Erfordernisse sowie Funktionsfähigkeit und Wirksamkeit von Schutzeinrichtungen sind bei jedem Reaktor nachzuweisen; die Wirksamkeit von Sicherheitseinrichtungen kann nur an Hand von Rechenmodellen dargelegt werden, da für den Nachweis ihrer Wirksamkeit sonst größere Störfälle ausgelöst werden müßten.

Bei komplizierten technischen Anlagen wie Reaktoren sind Betriebsstörungen und Störfälle zu erwarten. Es hat solche bereits gegeben, wenn auch in etwas geringerem Umfang als in anderen Bereichen vergleichbar komplexer Technik. Ein Ziel der Reaktorsicherheitsforschung wird es dennoch sein, die Zahl der Möglichkeiten von Störungen weiter herabzusetzen. Für die bisher betriebenen Kernkraftwerke muß festgestellt werden, daß die Schutz-und Sicherheitseinrichtungen auch bei unvorhergesehenen Störfällen stets verhindern konnten, daß Personen in der Umgebung von Kernkraftwerken zu Schaden kamen. Es gibt bisher keinen einzigen Fall, wo Sicherheitssysteme in Funktion treten mußten und diese dann vollständig versagt haben. Auch Gesundheitsschäden beim Betriebspersonal von zivilen, kommerziell betriebenen Kernkraftwerken durch nukleare Störfälle sind in der Bundesrepublik bisher nicht bekanntgeworden. Die beiden im Kernkraftwerk Gundremmingen 1975 umgekommenen Monteure erlitten tödliche Verbrühungen durch Dampf, der nicht aufgrund eines nuklearen Zwischenfalls oder Reaktorversagens austrat.

Die besonderen Gefahren der Kerntechnik verlangen weitreichendere Sicherheitsvorkehrungen und höhere Sicherheitsstandards als andere Techniken. Diese werden beim Bau und beim Betrieb von Kernkraftwerken eingehalten, doch kann keine Technologie die Möglichkeit des Versagens völlig ausschließen: ein letztes Restrisiko verbleibt. Für amerikanische Leichtwasserreaktoren ist eine Abschätzung des Restrisikos zum erstenmal mit dem bekannten Rasmussen-Bericht erfolgt (veröffentlicht 1975). Ihre Ergebnisse sind nicht ohne weiteres auf die Bundesrepublik übertragbar, weil beispielsweise in der Bundesrepublik andere und teilweise höhere Anforderungen an die Sicherheit von Kernkraftwerken gestellt werden als in den USA, und die Bevölkerungsdichte in der Umgebung von Kernkraftwerken hier höher ist als dort, was zu anderen Ergebnissen bei der Gesamtbewertung des Risikos beiträgt. In der Bundesrepublik ist daher eine eigene Sicherheitsstudie, deren Referenzanlage das Kernkraftwerk Biblis B ist, begonnen worden. In welchem Umfange daher die Ergebnisse der kritischen Studie zum Rasmussen-Bericht, die unter Leitung von H. W. Kendall vorgelegt wurde, eine Veränderung der Kriterien in der deutschen Sicherheitsstudie nach sich ziehen und nach sich ziehen müssen, läßt sich zur Zeit noch nicht überblicken.

Die bisher bekanntgewordenen Ergebnisse der deutschen Sicherheitsstudie bestätigen den hohen Stand der Sicherheitstechnik der Kernkraftwerke: So liegen beispielsweise die ersten ermittelten Zuverlässigkeitswerte um den Faktor 10 höher als bei der US-amerikanischen Referenzanlage. Auch ist beim deutschen Druckwasserreaktor ein frühzeitiges Versagen des Sicherheitsbehälters selbst bei Ausfall der Notkühlung und dem darauffolgenden Schmelzen des Reaktorkerns nicht zu erwarten. Die weiteren deutschen Untersuchungen laufen darauf hinaus zu prüfen, ob überhaupt Störungsabläufe möglich sind, die den Sicherheitsbehälter schneller gefährden und damit das Risiko erhöhen können. Unter diesen Umständen kann angenommen werden, daß der höhere Stand der Sicherheit von Kernkraftwerken in der Bundesrepublik und das erhöhte Risiko durch die größere Bevölkerungsdichte sich bei der Gesamtbewertung des Risikos gegenseitig aufheben. Ferner ist davon auszugehen, daß das Risiko nicht proportional mit der Zahl der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik wächst. Zuverlässigkeit und Wirksamkeit der Sicherheitseinrichtungen wurden in den knapp 20 Jahren, seitdem Kernkraftwerke in der Bundesrepublik in Betrieb sind, vor allem im nuklearen Anlagenteil erheblich gesteigert; damit ist die Wahrscheinlichkeit, daß schwere Störfälle eintreten, stark reduziert worden.

Man kann auch erwarten, daß durch die Verfügbarkeit von technischen Sicherheitsanlagen und die größere Betriebserfahrung mit Kernkraftwerken die Sicherheit weiter erhöht wird, so daß mit dem Ausbau der Kernenergie in der Bundesrepublik das ohnehin sehr geringe Risiko nicht in dem gleichen Umfange wie die Leistung der Reaktoren wächst.

Hinsichtlich des Risikos sind, wenn auch manchmal anders behauptet wird, verschiedene Techniken und ihre Anwendung miteinander vergleichbar. Ob sie akzeptiert werden, ist dann eine Frage, die gesellschaftspolitisch entschieden wird, wobei Risikoabschätzungen als Entscheidungshilfe dienen können. Für die Atomtechnik gilt in der Bundesrepublik, daß das Risiko, einen gesundheitlichen Schaden zu erleiden oder gar zu Tode zu kommen, etwa zwei bis drei Größenordnungen, also hundert bis tausend Mal niedriger ist als bei vielen anderen vergleichbaren Techniken, die heute betrieben und benutzt werden. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die Sicherheitsstandards nach dem Atomgesetz höher sind als beispielsweise nach den Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes.

Die bisher schärfste Kritik an der als Rasmussen-Bericht bekanntgewordenen Sicherheitsstudie wird in dem bereits genannten Bericht der „Union of Concerned Scientists" (UCS) geübt, der unter Leitung des MIT-Professors Henry W. Kendall erarbeitet und Ende 1977 vorgelegt wurde. Die UCS-Studie wirft dem Rasmussen-Bericht schwere methodische Mängel vor. Die vorgenommenen Abschätzungen der Wahrscheinlichkeit von Unfällen und ihrer Folgen werden als ungültig qualifiziert und es wird unterstellt, Risiko und Schaden seien absichtlich zu niedrig angesetzt. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen: Die Rasmussen-Studie soll offiziell zurückgezogen werden; die Pläne für den Ausbau der Kernenergie in den USA sind gründlich zu überprüfen, wenn nicht gar zu stornieren; der Weiterbetrieb bestehender Kraftwerke ist in den USA von einer Sicherheitsüberprüfung abhängig zu machen; das gesamte Regelwerk der Genehmigung von Kernkraftwerken in den USA ist zu revidieren. Zugleich will die Studie deutlich machen, in welche gesellschaftspolitischen Zusammenhänge Risikoabschätzungen zu stellen sind. Es wird beispielsweise nicht nur darauf hingewiesen, daß mit der Rasmussen-Studie Mißbrauch getrieben wurde bei der Information des Kongresses und der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern es wird auch versucht, die Akzeptanz des Risikos Kernenergie im Vergleich zu anderen Zivilisationsrisiken zu diskutieren. Diese Ansätze weisen, wie auch die verschiedenen Anhörungstermine von Sachverständigen vor den Ausschüssen des Deutschen Bundestages gezeigt haben, darauf hin, daß es nicht genügt, allein eine technisch gute und einwandfreie Abschätzung alternativer Konsequenzen verschiedener, mit großen Risiken behafteter Techniken und ihrer Programme zu haben, vielmehr müssen insbesondere für eine derartig komplexe Technik, wie sie Reaktoren und atomare Anlagen bilden, Kriterien der Beurteilung und der Annehmbarkeit dieser Konsequenzen entwickelt werden. Dieses aber ist eine politische Aufgabe, bei deren Lösung wir erst am Beginn stehen.

2. Schnelle Brutreaktoren Ein Sicherheitsvergleich zwischen den im Betrieb befindlichen Leichtwasserreaktoren und den im Bau befindlichen fortgeschrittenen Reaktortypen ist u. a. wegen der fehlenden Betriebserfahrungen nur schwer möglich. Aussagen lassen sich vorerst nur aufgrund von Planungsunterlagen und aufgrund des Betriebs kleiner Versuchsreaktoren machen. Während allgemein akzeptiert wird, daß der Hochtemperaturreaktor gute sicherheitstechnische Anlagen besitzt, werden gegen den natriumgekühlten Schnellbrutreaktor erhebliche Vorbehalte geäußert. Von der Planung und vom Genehmigungsverfahren her gibt es bisher jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß das Prototyp-Kraftwerk SNR-300, das in der Nähe von Kalkar errichtet wird, nicht ebenso sicher gebaut werden kann wie andere Kraftwerke mit Leichtwasserreaktoren. Insbesondere konnten die drei stärksten Einwände gegen den SNR-300 entkräftet werden: Erstens: Es wurde eingewendet, Brüter hätten einen positiven und damit einen die Leistung erhöhenden Reaktivitätskoeffizienten (größe-B res Risiko). Durch den deutsch-amerikanischen Großversuch SEFOR konnte dies widerlegt werden. Ein Anstieg der Brennstofftemperatur bewirkt auch beim Schnellbrutreaktor ein Absinken der Reaktivität.

Zweitens: Um die Bildung größerer Gasblasen im Kühlmittel Natrium innerhalb des Kerns auf jeden Fall zu vermeiden (Void-Effekt), ist zusätzlich ein Gasblasenabschneider beim SNR-300 vor dem Eintritt des Kühlmittels in den Kern eingebaut.

Drittens: Als zusätzliche Vorsorge gegen die Folgen eines Bethe-Tait-Störfalls (Versagen der Abschaltsysteme und schwere Kernzerstörung) wurde beim SNR-300 der Einbau eines „Core-Catchers" unter dem Reaktortank zur Auflage gemacht, durch den in dem angenommenen Störfall gewährleistet werden soll, daß geschmolzener Brennstoff im Containment eingeschlossen bleibt und gekühlt wird.

Demgegenüber konnten die Vorbehalte von Kritikern gegen die Schnellbrüter-Technologie vor allem in folgenden Punkten noch nicht ausgeräumt werden:

— Die beim Schnellbrutreaktor angewandte Natrium-Technologie weist noch Schwachstellen auf. Es wird befürchtet, daß Natrium aus dem Kern entweichen kann und daß die Schutzmaßnahmen gegen dessen hohe chemische Reaktionsfähigkeit unzureichend sind.

— Die hohe Leistungsdichte des Reaktors stellt zu hohe Anforderungen an die Brennelemente. Die Belastung ist um so höher, als Kühlungsstörungen nicht auszuschließen sind, die dann zum Schmelzen des Brennstoffs führen können.

— Es wird befürchtet, das kleine Siedevorgänge im Kühlmittel sich ausbreiten und es dann zu erheblichen Freisetzungen von Energie kommt, die zu Schäden im Primärkühlsystem und am Reaktortank führen.

Die Problematik und die Sicherheit eines Schnellbrutreaktors lassen sich, wie bereits gesagt, nicht allein aufgrund von Planungsunterlagen zureichend darstellen und beurteilen. Bisher sind für den SNR-300 nur Genehmigungen für Konzept, Standort und Errichtung von Gebäuden erteilt. Den Vorbehalten gegenüber Errichtung und Betrieb des SNR-300 kann daher Rechnung getragen werden. Dies geschieht auf drei Ebenen:

Zuerst unmittelbar im Genehmigungsverfahren. Die Weiterentwicklung von Sicherheitsanforderungen beeinflussen das laufende Genehmigungsverfahren, so daß neue Erkenntnisse noch in das Verfahren eingebracht werden können.

Zweitens: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in seinem Beschluß vom 18. August 1977 Vorbehalte gegen die atomrechtliche Genehmigung des SNR-300 angemeldet.

Drittens: Der Bundestag hat die Betriebsgenehmigung für den SNR-300 einer eigenen Beschlußfassung vorbehalten.

Die durch den Beschluß des Oberwaltungsgerichtes Münster entstandene Rechtsunsicherheit soll durch eine Novelle des Atomgesetzes beseitigt werden. Die Bundesregierung bereitet einen Gesetzentwurf, der auch dem Vorbehalt des Bundestages Rechnung tragen soll, vor. Mit der Novelle soll klargestellt werden, daß über Leichtwasserreaktoren hinaus Hochtemperaturreaktoren sowie Prototypen und Demonstrationsvorhaben für Brut-reaktoren als genehmigungsfähig anzusehen sind.

3. Entsorgung Ein weiterer Brennpunkt der derzeitigen allgemeinen und öffentlichen Diskussion über die Risiken der Kernenergie ist die Entsorgung der Kernkraftwerke, die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente und die Endlagerung radioaktiven Mülls. Die im Zusammenhang mit der Schließung des Brennstoffkreislaufs durch Wiederaufarbeitung für die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen sich ergebenden Probleme werden im folgenden Abschnitt erörtert.

Die Entsorgung der Kernkraftwerke vollzieht sich nach dem in der Bundesrepublik verfolgten Konzept in folgenden Schritten: Die in einem Leichtwasserreaktor abgebrannten Brennelemente — etwa 30 t jährlich bei einem Kraftwerk vom Typ Biblis mit 1 300 MW Leistung — werden dem Reaktor entnommen und innerhalb des Sicherheitsbehälters des Kraftwerkes zum Abklingen der Radioaktivität in Wasserbecken gelagert. Eventuell nach einer weiteren Zwischenlagerung — diese ist nach den bisherigen Erfahrungen länger als zehn Jahre problemlos möglich — werden in einer zentralen Wiederaufbereitungsanlage die wieder verwendbaren Bestandteile des Brennstoffes abgetrennt. Der verbleibende Atommüll wird, je nach Aktivitätsgrad verschieden, an einer nach menschlichem Ermessen sicheren Stelle nicht rückholbar gelagert. Hierzu gehören auch radioaktiv gewordene Bauteile von abgebrochenen atomaren Anlagen.

Als sicherste Lagerstätten für die Endlagerung gelten Salzstöcke, da sie seit Millionen von Jahren ohne Verbindung zum Grundwasser sind und damit auch künftig den Abschluß gegenüber die Biosphäre gewährleisten können. Steinsalz ist plastisch und bildet keine Klüfte, so daß Flüssigkeit oder Gase nicht in einem Salzstock zirkulieren können;

die gelagerten radioaktiven Materialien bleiben somit hermetisch gegen die Umgebung abgeschlossen. Damit zusätzliche, das Risiko erhöhende Transporte mit aktiven Materialien entfallen, sollen die Wiederaufbereitungsanlage und die Schächte für das Endlager auf dem gleichen Werksgelände liegen.

Die Schließung des Brennstoffkreislaufs durch Wiederaufbereitung erfolgt vor allem aus Gründen der Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Das aus den abgebrannten Brennelementen wiedergewonnene Uran — gegebenenfalls nach Rückführung in eine Anreicherungsanlage — und das im Reaktor erzeugte, durch Wiederaufarbeitung abgetrennte Plutonium können wieder in Leichtwasseroder Schnellbrutreaktoren als Kernbrennstoff genutzt werden. Die vorhandenen Brennstoffvorräte werden dadurch erheblich besser ausgenutzt. Dies trifft insbesondere für den Schnellbrutreaktor zu, der aus Abfalluran spaltbares Plutonium, das zur Energienutzung benutzt werden kann, erzeugt („erbrütet"), nach Aufbereitung dieses verbrennt und damit zugleich für die weitgehende Beseitigung des Plutoniums zu nutzen ist. Plutonium ist wegen seiner Giftigkeit, seiner Langlebigkeit und seiner Verwendbarkeit als atomarer Sprengsatz besonders gefährlich. Es durch Schließung des Brennstoffkreislaufs zum größten Teil wieder verwendbar und durch „Verbrennung" unschädlich zu machen, ist daher unter dem Vorrang der Sicherheit die wohl beste Lösung. Unter dem Gesichtspunkt des absoluten Vorrangs der Non-Proliferation hingegen wird derzeit von den USA ein anderes Konzept zu verfolgen versucht: Die abgebrannten Brennelemente aus den Leichtwasserreaktoren werden solange zwischengelagert, bis ein proliferationssicheres Verfahren der Weiterverarbeitung gefunden ist. Außer energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Gründen lassen sich gegen dieses Verfahren Sicherheitsgründe geltend machen. Weitere Aufschlüsse sind von den INFCE-Beratungen, auf die im nächsten Abschnitt kurz einzugehen ist, zu erwarten.

Gegen die sicherheitstechnische Realisierbarkeit einer Wiederaufbereitungsanlage sind in der Öffentlichkeit erhebliche Vorbehalte angemeldet worden, obwohl bekannt ist, daß militärisch genutzte Wiederaufbereitungsanlagen schon lange betrieben werden. Die Vorbehalte stützen sich vor allem auf die bekanntgewordenen Mängel der Anlagen für die friedliche Nutzung der Kernenergie in Cap La Hague und Windscale.

Demgegenüber stellt das Gutachten der Reaktorsicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission für das deutsche, bei Gorleben geplante Entsorgungszentrum fest, daß dieses grundsätzlich sicherheitstechnisch realisierbar ist. Die für die sicherheitstechnische Realisierbarkeit der Wiederaufbereitung entscheidenden Probleme werden als gelöst angesehen. Gegen die Eignung des vorgesehenen Standortes bestehen keine Bedenken. Der erforderliche Strahlenschutz für die Beschäftigten in der Anlage kann gewährleistet werden. Die Lagerung abgebrannter Brennelemente ist einwandfrei zu lösen. Die Verfahren zur Behandlung, Zwischenlagerung und Endkonditionierung der radioaktiven Abfälle sind technisch so ausgereift, daß auch hier die grundsätzliche technische Realisierbarkeit gewährleistet ist. Dies gilt auch für die Verglasung hochaktiver Abfälle. Uran-und Plutoniumverarbeitung und die Herstellung neuer Brennelemente sind bekannte und längst betriebene Verfahren. Alle Verfahren sind soweit erprobt, daß sie auf großtechnische Verfahren übertragen werden können. Die noch notwendigen Forschungsund Entwicklungsarbeiten stellen nach Ansicht des gemeinsamen Gutachtens der beiden Kommissionen die grundsätzliche sicherheitstechnische Realisierbarkeit ebenfalls nicht in Frage.

Die Errichtung des Entsorgungszentrums bei Gorleben stellt also weniger ein technisches oder sicherheitstechnisches als vielmehr ein politisches Problem dar. Hierzu hat die wohl wahltaktisch bedingte Haltung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht in nicht unerheblichem Umfange beigetragen. Dennoch bleibt ein Rest von Fragen, der durch die Stichwörter „Sicherheit" und „NonProliferation" zu kennzeichnen ist.

Im Dezember 1976 wurde mit der Regierungserklärung von Helmut Schmidt zu Beginn der 8. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages der Ausbau der Kernenergie in der Bun-B desrepublik von einer zureichenden Entsorgung der Kernkraftwerke abhängig gemacht. Der Zeitpunkt für ein Ende der Lagerungsmöglichkeiten abgebrannter Brennelemente wurde absehbar. Eine neue Initiative für die Schließung des Brennstoffkreislaufes wurde nötig, nachdem die chemische Industrie von ihrem anfänglichen Interesse, dieses Problem zu lösen, abgerückt war. Inzwischen hat die deutsche Energiewirtschaft sich zur Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) zusammengeschlossen. Sie ist der organisatorische und finanzielle Träger des deutschen Entsorgungszentrums. Die Endlagerung hingegen verbleibt in öffentlicher Verantwortung. Sie liegt in der Hand der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Um auch in Zukunft keine Entsorgungslücke entstehen zu lassen und die Geltung des Verursacherprinzips auch für die Atomwirtschaft zu bestätigen, wird erwogen, Entsorgungsgrundsätze in das Atomgesetz unmittelbar aufzunehmen. Damit wären die Voraussetzungen für die Schließung des Brennstoffkreislaufes gesichert.

4. Non-Proliferation

Die derzeitige verwirrende Situation der „Nicht-Verbreitung" von Kenntnissen und Einrichtungen der Atomtechnik hat sich aus einer durch Widersprüche gekennzeichneten Entwicklung ergeben, in der sich sicherheits-, handels-und außenpolitische Interessen miteinander überschnitten und durchkreuzt haben. Ohne hier auf die Vorgeschichte eingehen zu können, stellt sich das Problem der friedlichen Nutzung der Kernenergie international etwa folgendermaßen dar: Einerseits soll allen Staaten die friedliche Nutzung der Kernenergie möglich sein, um ihre Ansprüche auf Deckung ihres Energiebedarfs zu erfüllen, andererseits muß dies ohne Eingriff in ihre Souveränität so geschehen, daß eine Ausweitung der Möglichkeiten, nukleare Sprengsätze mit Hilfe dieser Kenntnisse und Einrichtungen zu produzieren, für weitere Länder verhindert wird. Nichtverbreitung bezieht sich auf Kernwaffen und Kernwaffenmaterial, doch können Gerätschaften und Einrichtungen von Teilen der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu ihrer Herstellung mißbraucht werden. Um die Gefahr der Kemwaffenherstellung zu bannen, muß also entweder der Mißbrauch der Anlagen ausgeschlossen werden können, oder die Ausfuhr von „sensitiven Anlagen" muß unterbleiben. Die meisten Länder, die Atomanlagen exportieren können, sind selbst Atommächte. Zwei Länder aber — die Bundesrepublik und Japan — sind zwar Exporteure, haben aber auf den Bau und den Besitz von Atomwaffen verzichtet. Dadurch ergeben sich zusätzliche Probleme.

Bisher hat man versucht, die komplizierte Situation durch internationale vertragliche Abmachungen zu meistern. Kernstück sind einerseits der Vertrag für die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NV-Vertrag), der von der Bundesrepublik im Mai 1975 ratifiziert wurde, andererseits die schon 1957 gegründete EURATOM, der die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft die überwachungsrechte für das Kernmaterial in ihren Anlagen übertrugen. Durch Meß-, Protokoll-und Berichterstattungssysteme, die aufgrund dieser Verträge eingerichtet wurden, soll die Abzweigung von solchen Mengen Kernmaterials frühzeitig entdeckt werden, die zur Herstellung von Kernsprengsätzen oder zu anderen, nicht im Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie stehenden Zwecken dienen können.

Der Stand der Kriegs-und Waffentechnik eines Staates war bisher für seine über-oder Unterlegenheit bei einer kriegerischen Auseinandersetzung von großer, wenn nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Mit dem NV-Vertrag setzt eine gegenläufige Tendenz ein: Es wird begonnen, die verfügbaren technischen Möglichkeiten nicht zur Steigerung, sondern zur Begrenzung und Kontrolle des vorhandenen Potentials für die Herstellung von Kernwaffen und kerntechnischem Material einzusetzen. Die Kriegstechnik soll zur Friedenstechnik werden. Die Unterzeichner des NV-Vertrages verpflichten sich daher auch, den Austausch von kemtechnischen Ausrüstungen, Materialien, wissenschaftlichen und technischen Informationen zur friedlichen Nutzung soweit wie irgend möglich zu erleichtern. Allen Vertragspartnern wird das Recht zugestanden, an diesem Austausch zu partizipieren, wobei auf die besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer besonders eingegangen wird.

Meinungsverschiedenheiten zwischen Unter-zeichnern des NV-Vertrages, insbesondere den USA und der Bundesrepublik, hat es dadurch gegeben, daß das Abkommen über die friedliche Nutzung der Kernenergie mit Brasilien, das dem NV-Vertrag bisher nicht beigetreten ist, als mit den Zielen und dem Geist des NV-Vertrages schwer vereinbar angese61 hen wurde. Von Seiten der Bundesrepublik wird mit Recht behauptet, daß die in einem dreiseitigen Abkommen vorgesehenen Sicher-

heits-und Kontrollmaßnahmen nicht nur den Maßnahmen des NV-Vertrages entsprechen, sondern über dessen bisherige Handhabung hinausgehen. Damit wird dem Ziel, eine wirksame Nichtverbreitungspolitik zu betreiben, voll Rechnung getragen. Demgegenüber wird in den USA — wie Dr. J. S. Nye jr. vor dem Senatsausschuß für Regierungsangelegenheiten in Washington ausführte — die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß ein Staat etwa bei einem Regierungswechsel oder wegen einer überraschenden Initiative eines Nachbarstaates plötzlich seine Motivation ändert und sich dann, falls er über die technischen Voraussetzungen verfügt, schnell zu einer Atommacht entwickeln kann.

Diese Befürchtung betrifft jedoch nicht so sehr das deutsch-brasilianische Abkommen als den NV-Vertrag selbst und speziell das noch nicht zureichend gelöste Problem seiner Weiterentwicklung. Die Vorbehalte der USA beziehen sich einmal auf den Export von kerntechnischem Material, das für die Herstellung von Kernsprengsätzen verwandt werden kann, wie Plutonium und hochangereichertes Uran, vor allem aber auf den Export von Anreicherungs-und Wiederaufbereitungsanlagen, durch die solches Material hergestellt werden kann. Die USA haben daher erklärt, sie würden den Export dieser Anlagen nicht zulassen. Dieser Initiative hatten sich sowohl Frankreich als auch die Bundesrepublik angeschlossen. Dies konnte aber nur eine vorläufige Maßnahme sein, denn Entsorgung der Kernkraftwerke, Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente und Endlagerung sind bisher unabdingbare Bestandteile der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Inzwischen wurden Richtlinien von der Gruppe der Nuklearlieferländer für den Nuklearexport entwickelt und auch von der Bundesrepublik der Internationalen Atomenergiekommission in Wien übergeben. Dennoch ist eine Weiterentwicklung des NV-Vertrages, die den US-amerikanischen Befürchtungen Rechnung trägt, nötig.

Bei der Weiterentwicklung muß davon ausgegangen werden, daß der Zugang zu Material für Kernsprengkörper und deren Entwicklung grundsätzlich für alle Staaten, wenn sie dazu motiviert sind, nur eine Frage der Zeit ist. Daher müssen Anstrengungen, die Zahl der Unterzeichnerstaaten des NV-Vertrages zu erhöhen, intensiviert und die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und zur gemeinsamen Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen verstärkt werden. Dies soll, wie auch in den Richtlinien der Nuklearlieferländer formuliert, dazu führen, daß sensitive Anlagen gemeinsam von Liefer-und Empfängerländern errichtet und betrieben werden. Ein weiterer Schritt ist die Schaffung eines wirksamen Bündels von wirtschaftlich und politisch gestuften Sanktionen gegen Staaten, die die Sicherungsvereinba-rungeh nicht einhalten oder brechen. Auf diese Weise würde der Gefahr des Mißbrauchs, die sich durch die Ausbreitung der friedlichen Nutzung der Kernenergie ergeben kann, nicht weiter Vorschub geleistet und ein weiterer Schritt auf dem Wege der Umfunktionierung einer Kriegstechnologie zu einer Friedenstechnologie getan. Unter diesem Aspekt ist auch die Konferenz für die internationale Bewertung des Brennstoffkreislaufs (INFCE) zu sehen, die in Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien in den kommenden Jahren eine technische und analytische Studie erarbeitet. Die Arbeit ist auf acht Gruppen verteilt. Die Bundesrepublik hat mit Frankreich gemeinsam den Vorsitz in der Gruppe 2, die die Verfügbarkeit von Anreicherung überprüfen und bewerten soll. Die internationale Bewertung des Brennstoffkreislaufs soll dazu beitragen, wirksame Maßnahmen im nationalen wie im internationalen Bereich vorzubereiten, die die Gefahr der Verbreitung von Kernwaffen verringern, ohne dabei die Entwicklung der friedlichen Nutzung von Kernenergie für die Energieversorgung zu gefährden.

Abschließend sei darauf aufmerksam gemacht, daß es deutliche Hinweise dafür gibt, daß es sehr schwer ist, aus Reaktorplutonium, das nicht für militärische Zwecke erzeugt worden ist, Bomben zu bauen, und zwar wegen des hohen Gehaltes an Pu 240. Sollte dies in der Tat so sein, ist das bisher beschworene Anwachsen der Gefahr einer Verbreitung von Kernwaffen parallel dem Anwachsen der Kapazität zur friedlichen Nutzung der Kernenergie sehr viel geringer, als bisher angenommen wurde.

5. Sicherung atomarer Anlagen

Die Sicherung kerntechnischer Anlagen gegen Störmaßnahmen und „Einwirkungen Dritter" ist im Atomgesetz vorgeschrieben. Der Sicherheitsstandard gegenüber schweren äuB ßeren Einwirkungen wird in der Bundesrepublik sehr hoch angesetzt. Im Vergleich zu anderen Staaten sind auch gegenüber äußeren Einwirkungen deutsche Kernkraftwerke besser und umfassender gesichert. Der Grundsatz, daß die Sicherheit atomarer Anlagen absolute Priorität vor deren Wirtschaftlichkeit genießt, zwingt nicht nur zu entsprechenden Schutzmaßnahmen, sondern auch dazu, daß das Genehmigungsverfahren steigenden Sicherheitsanforderungen ständig angepaßt wird. Auch im Vergleich mit anderen Industrieanlagen, beispielsweise im Chemie-oder Erdölbereich, sind Kernkraftwerke im Hinblick auf das Gefahrenpotential als außerordentlich gut geschützt anzusehen. Die Bundesregierung hält daher die friedliche Nutzung der Kernenergie mit der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik für vereinbar.

Die Maßnahmen für die äußere Sicherung werden für Kernkraftwerke und andere atomare Anlagen von den Betreibern und der Polizei getroffen. Die Belange der militärischen Verteidigung werden durch die Beteiligung des zuständigen Ministeriums am Genehmigungsverfahren berücksichtigt. Dieses geht davon aus, daß es wenig wahrscheinlich ist, daß ein potentieller Gegner auf eine Zerstörung von kerntechnischen Anlagen und radioaktive Verseuchung großer Gebiete aus ist. Vielmehr wird er versuchen, das Gebiet der Bundesrepublik zu besetzen, um das vorhandene Wirtschaftspotential zu nutzen, wofür es soweit wie möglich unbeschädigt erhalten bleiben muß. Auch die Eskalation einer mit konventionellen Waffen geführten Auseinandersetzung zu einer atomaren ist waffentechnisch unwahrscheinlich. Kerntechnische Anlagen sind in einer kriegerischen Auseinandersetzung keine lohnenden Angriffsziele.

Das Gefährdungspotential bei Sabotage und Terrorismus entsteht vor allem aus der Möglichkeit des Diebstahls von Plutonium und anderen radioaktiven Materialien oder in der Möglichkeit von gewaltsamen Eingriffen in Kernkraftwerke oder kerntechnische Anlagen. Bei entsprechendem Sachverstand und zulänglicher technischer Ausrüstung könnte es schon möglich sein, aus entwendetem oder erbeutetem Material atomare Sprengsätze herzustellen.

Während der Einsatz panzerbrechender Waffen bei den geplanten Kernkraftwerken keine katastrophalen Folgen haben würde, müssen gegen alle anderen gewaltsamen Eingriffe durch Terror und Sabotage entsprechende Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Die Gefährdung der Bevölkerung, durch radioaktive Verseuchung zu Schaden zu kommen, ist als gering einzuschätzen, wenn Anschläge von politisch motivierten Terroristen durchgeführt werden. Motivation und Konsequenzen des terroristischen Anschlages würden in einem unlösbaren Widerspruch miteinander stehen. Erbeutetes oder entwendetes Material hingegen kann — ähnlich wie im Verhältnis der Staaten untereinander — als Mittel einer nuklearen Erpressung bei entsprechender Glaubhaftmachung eingesetzt werden. Hiergegen muß eine massive Sicherungsvorsorge getroffen werden.

Die wichigsten Voraussetzungen für die Sicherung kerntechnischer Anlagen nach den Vorschriften des Bundesinnenministeriums sind:

— Mehrfachauslegung und räumliche Trennung von sicherheitstechnisch wichtigen Teilen einer Anlage und ihr verstärkter baulicher Schutz;

— Maßnahmen zur frühzeitigen Entdeckung von Störaktionen und zur Erschwerung des Zugangs bzw.des Entkommens bei Diebstahl von radioaktivem Material;

— Errichtung gestaffelter Barrieren zur Sicherung funktionsnotwendiger Anlageteile;

— Bewachung kerntechnischer Anlagen und Sicherheitsüberprüfung des Schlüsselpersonals;

— Festlegung von Maßnahmen der Sicherheits-und Polizeibehörden für Eingriffe bei konkreter Gefahr.

Ein entsprechender Maßnahmenkatalog gilt für den Transport radioaktiver Stoffe.

Bei dem derzeitigen Stand der Technik und des Wissens bilden die Erfüllung dieser Voraussetzungen einen größtmöglichen Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren durch äußere Einwirkung. Dadurch aber werden weitere Analysen der Maßnahmen im einzelnen und im Zusammenhang nicht überflüssig; im Gegenteil: sie tragen zur Aufdeckung möglicher Schwachstellen des Sicherungskonzepts bei. Daß derartige Analysen und die Konsequenzen, die aus ihnen gezogen werden, nicht für die öffentliche Diskussion freigegeben werden, erscheint selbstverständlich.

Dennoch werden in öffentlichen Diskussionen immer wieder Vorbehalte und Kritiken so-63 wohl am Konzept wie an Einzelmaßnahmen der Sicherung von kerntechnischen Anlagen geäußert. Die Einwürfe zu beurteilen, ist unter den gegebenen Umständen außerordentlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich, da die nötige Transparenz für eine öffentliche Diskussion nicht herstellbar ist. Es ist beispielsweise müßig, die Wirksamkeit von Waffentypen und -arten im Hinblick auf ihre Zerstörungskraft bei Kernkraftwerken zu erörtern oder zu diskutieren, ob sie geeignet wären, die Sicherheitsund Schutzhüllen eines Reaktors zu durchschlagen, um so eine atomare Katastrophe herbeizuführen. Die Stichhaltigkeit vieler in einer solchen Erörterung angeführten Argumente ist — wie auch in ähnlichen Diskussionen — nicht nachprüfbar. Ob diese Debatten zur Sicherung der kemtechnischen Anlagen beitragen, sei dahingestellt. Beachtenswert bleibt jedoch die Wirkung der Debatte selbst: Da öffentlich über das Für und Wider nicht endgültig entschieden werden kann, bleibt in der Meinung vieler Betroffenen und Beteiligten das Problem offen. Die Debatte, die eine bessere Sicherung der Kernkraftwerke intendierte, führte zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung.

Einwände gegen die Sicherung von atomaren Anlagen sollten daher weniger in der allgemeinen Öffentlichkeit als vielmehr in der begrenzten Öffentlichkeit von Aufsichts-und Kontrollgremien diskutiert werden. Vor allem sind hier die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages zu nennen, die diese Aufgabe haben. Es würde für die Verantwortung der Kritiker sprechen, eine Überprüfung von Schwachstellen bei der Sicherung atomarer Anlagen auf diese Weise in Gang zu setzen. In der allgemeinen öffentlichen Auseinandersetzung geraten sie leicht in die Nähe von Besserwissern und Rechthabern.

Von der Frage der Sicherung von atomaren Anlagen zu unterscheiden ist das Problem, welche Konsequenzen ihre Existenz auf das Verteidigungskonzept der Bundesrepublik bzw.der NATO hat. Das Zusatzprotokoll I zum Genfer Rotkreuzabkommen von 1949 bestimmt, daß auch atomare Anlagen unter besonderen völkerrechtlichen Schutz gestellt sind. Der Angriff auf Kernkraftwerke ist damit ein Kriegsverbrechen. Dadurch können sich Folgen für die örtliche Lage von militärischen Einrichtungen ebenso ergeben wie die Veränderung gewisser taktischer und strategischer Konzepte. Die Diskussion hierüber ist seit der Unterzeichnung der Zusatzprotokolle durch die Bundesrepublik am 10. Juni 1977 auch hier in vollem Gange.

III. Wirtschaftlichkeit

1. Energieprognosen

Im Jahre 1973 ist von der Bundesregierung zum erstenmal der Versuch gemacht worden, ein Energieprogramm zu erstellen. Es analysierte den Bedarf und die Versorgung mit einzelnen Energiearten mehr als zehn Jahre im voraus. Die Ölkrise des Winters 1973/74 machte alle Voraussagen dieses Programms hinfällig und, kaum war es gedruckt, wurde eine Erste Fortschreibung nötig, die von veränderten Grunddaten ausgehen mußte.

In ihrem Energieprogramm hatte die Bundesregierung als Grundziele festgelegt, ein ausreichendes und preisgünstiges Energieangebot mittel-und langfristig unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Umweltschutzes sicherzustellen. Unter dem Eindruck der Ölkrise wurde etwa ein Jahr später versucht, durch einige Strukturveränderungen bei der Versorgungssicherung die ursprüngliche Zielsetzung aufrechtzuerhalten. Diese Veränderungen bestanden vor allem in der Zielsetzung, den Mineralölanteil an der Energieversorgung zurückzudrängen, Kernenergie, Braunkohle und Erdgas beschleunigt zu nutzen und verstärkt auf Energieeinsparung hinzuwirken. Prinzipiell blieben auch in der 1977 vorgelegten Zweiten Fortschreibung diese Ziele erhalten: Hauptziel ist nach wie vor die sichere und kostengünstige Bereitstellung von Energie. Aber Schwerpunkt der Zweiten Fortschreibung ist es, „den langfristigen Zuwachs der Energienachfrage zu verringern und das Angebot zur Deckung dieser Nachfrage zu verbreitern und zu sichern". Damit treten neben die Versorgungsorientierung verstärkt bedarfsorientierte Zielsetzungen.

Die im Energieprogramm genannten energiepolitischen Ziele der Bundesregierung sind abgestützt auf die Analyse und Prognose dreier energiewirtschaftlicher Institute. Sie lassen sich zwar nicht ohne weiteres mit den Aussagen anderer Prognosen, beispielsweise von großen Ölgesellschaften oder der OECD, vergleichen, doch stimmen alle Prognosen tendenziell überein: Keine der Studien prognostiziert einen sinkenden Energiebedarf.

Sie stimmen ebenfalls darin überein, daß der Energiebedarf, auch bis zum Jahre 2000, weltweit wachsen wird; doch wird sich dieses Wachstum, wenn auch regional verschieden, mehr und mehr verlangsamen. Der weltweite Energiebedarf liegt danach wahrscheinlich zwischen dem Zwei-bis Zweieinhalbfachen des heutigen Verbrauchs. Voraussichtlich wird der Verbrauch in den Industrieländern in Ost und West unterproportional, in den Entwicklungsländern überproportional steigen.

Eine größere Präzisierung dieser Aussagen scheint angesichts der Verschiedenartigkeit der Grundannahmen, von denen die einzelnen Prognosen ausgehen, kaum möglich. Mindestens ebenso sehr fällt jedoch die große Prognoseunsicherheit ins Gewicht. Schon bei sehr geringen Änderungen der Grundannahmen ergeben sich wegen der verwendeten Methoden und Rechenverfahren erhebliche Abweichungen bei den Prognoseergebnissen.

Die Bundesregierung schätzte den Energieverbrauch für 1985 in ihrem Ersten Energieprogramm 1973 noch auf 610 Mio. t SKE; in ihrer Ersten Fortschreibung 1974, also nach der Ölkrise, auf 555 Mio. t SKE; in den „Grundlinien und Eckwerten" 1977 auf ca. 500 Mio. t SKE.

Die Prognose der energiewirtschaftlichen Institute kommt im Anhang an die Zweite Fortschreibung des Energieprogramms schließlich nur noch auf 482, 5 Mio. t SKE. Vergleiche, wie sie sich an einigen Beispielen durchführen lassen, zeigen, wie sich durch geringfügige, plausible Änderungen in der Fortschreibung des gleichen Zahlenmaterials völlig andere Schlußfolgerungen ergeben.

Einerseits muß eine verantwortungsbewußte Energiepolitik schon jetzt Vorausschau halten auf das Jahr 2000, vor allem, weil neue Entwicklungen und Investitionen in diesem Bereich sehr lange Vorlaufzeiten benötigen. Dennoch bleiben alle Aussagen, die über die Maßnahmen für so langfristige Zeiträume gemacht werden, mit großen Unsicherheiten behaftet. Diese resultieren einmal aus der schwer voraussehbaren Entwicklung unserer Wirtschafts-und Industriestruktur, der Ausdehnung des tertiären Sektors und der Präge nach dem künftigen Anteil von besonders viel energie-bzw. stromverbrauchenden Industriezweigen (Aluminiumherstellung, Zement-fabrikation). Sie rühren zweitens her aus der Unübersichtlichkeit bei der Entwicklung der Struktur unserer Energieversorgung und neuer Techniken der Erzeugung und Nutzung insbesondere regenerativer Energien wie Sonne und Gezeiten. Als drittes müssen schließlich die künftige Struktur der Nachfrage nach Energie, das Verhalten der Verbraucher und die Entwicklung des Preisgefüges für Energie als Unsicherheitsfaktoren in Betracht gezogen werden, so daß sich insgesamt nur sehr schwer und unter großen Vorbehalten Voraussagen über die künftige Versorgung und den Bedarf machen lassen, insbesondere, wenn aus wirtschaftspolitischen Konsistenzgründen bestimmte Wachstumsraten der Prognose vorgegeben werden.

Es wäre daher sinnvoller, wenn statt der Versorgungssicherung, die den Studien der energiewirtschaftlichen Institute als Modell zugrunde liegt, ausgegangen würde von einer Bedarfsanalyse, in die politische Zielvorgaben als Rahmenbedingungen eingehen. Dadurch wäre zwar keine größere Versorgungssicherheit geschaffen, aber es könnten bessere Instrumente entwickelt werden, sie zu erreichen. Dies gilt vor allem für die Bestimmung des Anteils der einzelnen Energieträger. Die Diskussion über die Bestimmung des „Restbedarfs" bei der Stromerzeugung aus Kernenergie muß solange unfruchtbar bleiben und wird zu keinem Ziel führen, solange nicht der künftige Energiebedarf einigermaßen klar bestimmt ist. Dies aber ist nicht mit Hilfe von Prognosen des bisherigen Typs zu leisten, sondern muß aufgrund einer politisch entschiedenen Rahmenplanung erfolgen; diese steht noch aus.

2. Strombedarf und Stromversorgung

Alle bekannten Prognosen für den Energieverbrauch in der Welt und in der Bundesrepublik gehen von steigenden Wachstumsraten aus. Dabei wird der Anstieg des Energiebedarfs wegen der Sättigungseffekte in den am weitesten entwickelten Volkswirtschaften aufgrund der Verbesserung des Leistungsgrades im Energie-einsatz, vor allem bei der Stromerzeugung und wegen wirksamer Maßnahmen gegen die Verschwendung von Energie, besonders im Haushaltsbereich, unter den Steigerungsraten für das wirtschaftliche Wachstum liegen. So ist in der Bundesrepublik bei der Stromerzeugung in den letzten Jahren eine tendenziell rückläufige Zuwachsrate zu beobachten, die teilweise unabhängig von konjunkturellen Schwankungen Ausdruck einer langfristigen Entwicklung ist.

Bei Einsatz von knapp einem Drittel der Primärenergie beträgt der Anteil des Stroms in der Bundesrepublik wenig mehr als ein Achtel am Endenergieverbrauch; die Differenz sind Umwandlungs-und Leitungsverluste. Der Hauptverbraucher für Strom ist nach wie vor die Industrie, die etwa zwei Fünftel verbraucht, während auf die privaten Haushalte in der Bundesrepublik wenig mehr als die Hälfte des industriell genutzten Stroms entfällt Dabei ist die Zuwachsrate auf dem industriellen Sektor deutlich niedriger als im Haushaltssektor. Dies schlägt sich auch in den Schätzungen der Steigerungsrate des künftigen Bedarfs bis 1985 nieder, die für die Industrie mit 5 0/o bis 6, 1 °/o, für die Haushalte aber mit 5 °/o bis 6, 8 % jährlich angenommen wird.

Wie im Zusammenhang mit den Energieprognosen allgemein bereits dargestellt wurde, ist auch die Unsicherheit hinsichtlich des künftigen Verbrauchs an Strom, der wegen geringer Speicherkapazität mit dem zu erwartenden Bedarf koinzidiert, sehr groß. Die Mittelwerte der Prognosen für den künftigen Stromverbrauch schwanken zwischen 510 und 530 Mrd. kWh. Dies bedeutet eine durchschnittliche jährliche Zuwachsrate, die deutlich unter 6 °/o liegt, wie sie von der Bundesregierung noch in ihren energiepolitischen „Grundlinien und Eckwerten" im Frühjahr 1977 angenommen wurde. Die energiewirtschaftlichen Institute haben die durchschnittliche jährliche Stromzuwachsrate für die Jahre bis 1985 inzwischen auf 5, 6 °/o und für den Zeitraum zwischen 1985 und 1990 sogar auf 4, 2 % gesenkt. Dies bedeutet gegenüber der Zunahme für die Jahre zwischen 1960 und 1975, in denen eine durchschnittliche Zuwachsrate von 6, 3 % jährlich zu verzeichnen war, eine Korrektur nach unten. Ob diese Korrektur jedoch genügt, ist angesichts spezieller sektoraler Schätzungen, die nur noch einen Zuwachs zwischen 4, 9 und 5, 4 °/o sehen, zweifelhaft 3).

Die Unsicherheit der künftigen Entwicklung des industriellen Stromverbrauchs und die Engpaßstruktur der Kapazität der Kraftwerke machen es nötig, bei allen Schätzungen eine verhältnismäßig große Sicherheitsmarge einzuräumen, wenn am Ziel einer sicheren Stromversorgung festgehalten wird. Es ist bei allen Vorausschätzungen daher sinnvoll, nicht von Werten an der unteren Grenze der Wachstumsrate für den bisherigen industriellen Stromverbrauch auszugehen, sondern sich eher am Mittelfeld zu orientieren.

Während im industriellen Bereich Veränderungen des Strombedarfs weniger durch Einsparungen, sondern eher aufgrund von Veränderungen in der Industriestruktur und im gesamtwirtschaftlichen Bereich durch Erweiterung des Dienstleistungssektors zu erwarten sind, liegen im Haushaltssektor nicht gering einzuschätzende Einsparkapazitäten, besonders durch die Verringerung der elektrischen Raum-heizung. Die bisherige Politik der Elektrizitätsversorgungsuntemehmen, zur Kapazitätsauslastung die Einführung der Nachtstromspeicherheizung zu forcieren, hat zu gesamtwirtschaftlich sehr negativen Konsequenzen für die Energiebilanz geführt. Eine Verringerung der Wachstumsraten für den Stromverbrauch im Haushaltsbereich ist daher durch die Beschränkung der Heizung mit Strom zu erreichen. Dies ist im Zusammenhang mit der Verbesserung der Wärmeisolierung bei Bauten volkswirtschaftlich möglich und nötig.

Unter Einbeziehung der wichtigsten derzeit bekannten Prognosen für den künftigen Stromverbrauch und unter Berücksichtigung der zuvor genannten Einflüsse ergibt sich für 1985 ein Stromverbrauch, der zwischen 565 und 470 Mrd. kWh liegt. Die energiewirtschaftlichen Institute, die von der Bundesregierung beauftragt waren, eine Prognose zu liefern, schätzen den Strombedarf für 1985 auf 534 Mrd. kWh, liegen damit also im oberen Drittel der Prognosewerte. Die Fortschreibung für 1990 weist eine zu große Bandbreite auf, als daß sie noch sinnvoll für die Planung genutzt werden könnte.

Dem prognostizierten Strombedarf für 1985 entspricht eine Kraftwerkskapazität zwischen 90 000 und 115 000 MW. Die energiewirtschaftlichen Institute rechnen mit ca. 110 000 MW, wobei 24 000 MW auf Kernenergie entfallen sollen. Dieser Wert ist unter den derzeitigen Umständen als sehr optimistisch anzusehen. Die jetzige Kapazität der in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke beträgt ca. 7 300 MW. Im Bau befinden sich, so daß sie bis 1985 fertiggestellt werden können, Kernkraftwerke mit. etwa 15 000 MW, so daß bis 1985 bestenfalls mit etwa 22 000 MW installierter Leistung gerechnet werden kann. Realistisch hingegen scheint eher eine Prognose, die von 15 000 bis 20 000 MW installierter Leistung bis 1985 für Kernkraftwerke ausgeht, wenn man die langwierigen Prozeduren des Genehmigungsverfahrens, die Verzögerungen durch Einsprüche und technische Schwierigkeiten in Rechnung stellt.

Unter Ausschöpfung aller Reserven könnte diese Kapazität möglicherweise sogar zureichen, um entsprechend den energiepolitischen Zielsetzungen für die Bundesrepublik die Stromversorgung für 1985 sicherzustellen. Die derzeitige Kraftwerkskapazität, die diesen Zielen entspricht, beträgt 82 000 MW. Der Ausbau auf HO 000 MW für 1985 soll jedoch nicht durch Zubau von Oloder Gaskraftwerken erfolgen, da dies anderen energiepolitischen Zielsetzungen, wie Minderung der Importquote beim Erdöl und Versorgungssicherheit, widersprechen würde. Trotz des derzeitigen Energieüberflusses wird, wie im vorigen Abschnitt zu zeigen versucht wurde, mittel-und langfristig eine Versorgungslücke auftreten. Ein Ausbau der Kraftwerkskapazitäten muß daher in jedem Falle erfolgen. Aus Gründen des Umweltschutzes ist der Ersatz kleiner Steinkohlekraftwerke mit schlechtem Wirkungsgrad nötig. Hierfür sind allein die Substitution von ca. 10 000 MW anzusetzen. Größere Reserven ergeben sich vor allem aus den bisher ungenutzten Potentialen der industriellen Kraftwirtschaft (etwa 10 000 MW), dem Bau neuer Steinkohlekraftwerke mit besserem Nutzungsgrad durch Kraft-Wärme-Koppelung (etwa 8 000 MW) und dem Bau von mehr Speicherkraftwerken (etwa 8 000 MW) als Ersatz für Nachtstromspeicherheizung.

Ob die Reserven jedoch in dem genannten Umfang mobilisiert werden können, ist noch nicht sicher. Insbesondere für den Bau neuer Speicherkraftwerke sind bisher Initiativen größeren Ausmaßes erkennbar. Doch sind diese Reserven andererseits auch schwer ersetzbar. Sie müssen also mobilisiert werden. Die deutsche Steinkohlenförderung ist bis 1985 nicht so weit auszudehnen, daß sie an die Stelle anderer Reserven treten kann. Das Ausweichen auf Importkohle ist energiepolitisch wenig wünschenswert. Wegen der sehr langen Bauzeit ist jedoch auch Atomstrom bis dahin nicht in genügendem Umfang verfügbar, so daß bei unzulänglichem Kraftwerksneubau sowohl die Belastung unserer Umwelt durch überalterte Kohlekraftwerke bestehen bleibt und zusätzlich eine Lücke in der Stromversorgung entstehen kann. Energiepolitisch ist unter den derzeit absehbaren Bedingungen der Ausbau der Kernenergie in der Bundesrepublik daher notwendig, zumal auch nach 1985 der Strombedarf vermutlich weiter steigen wird, dessen Deckung nur zum geringen Teil aus anderen Energiequellen erfolgen kann. 3. Atomstrom Die Entscheidung für die friedliche Ausnutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik ist vor knapp 20 Jahren mit der Verabschiedung des Atomgesetzes gefallen. Der erste größere Reaktor zur kommerziellen Stromerzeugung (KRB I in Gundremmingen) wurde 1966 in Betrieb genommen. Ein neuer Industriezweig samt Zulieferindustrien mit einigen zigtausend Arbeitsplätzen konnte sich — durch wirtschaftliche und politische Entscheidungen oder Einsprüche bis in die Mitte der siebziger Jahre fast völlig unbehindert — in der Zwischenzeit entwickeln und auf dem Weltmarkt Fuß fassen. Erst die Diskussion der letzten Jahre hat am Wachstum der Industrie im allgemeinen und deren Notwendigkeit bei der Atomindustrie im besonderen massive Zweifel aufkommen lassen. Unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten ergeben sich daraus zwei Fragen:

Ob es möglich und sinnvoll ist, Maßnahmen zur Restriktion der Atomindustrie zu ergreifen und ob der Preis des Atomstroms dem Ziel, über ein ausreichendes und preisgünstiges Energie-angebot mittel-und langfristig unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Sicherheit und des Umweltschutzes zu verfügen, entspricht. Bei einer Bejahung der ersten Frage müssen erhebliche Zweifel geäußert werden, wenn man die Instrumente und Mittel betrachtet, die in den nächsten Jahren eine derartige wirtschaftspolitische Umsteuerung bewirken sollen und können. Abgesehen von den gesamtwirtschaftlich immensen Kosten für den Aufbau von Alternativen und den tiefen Eingriffen des Staates in die Industriestruktur, würde eine Umsteuerung kaum ohne die Verletzung anderer wirtschafts-und infrastrukturpolitischer Ziele vonstatten gehen können. Neben Problemen der Beschäftigungs-und Umweltpolitik, die zusätzlich zu den bestehenden auftreten, würden bei einer Restriktion der Atomindustrie in der Bundesrepublik die Erfüllung internationaler Verträge und die Sicherheit der Stromversorgung ernsthaft in Frage gestellt, wenn nicht unmöglich gemacht. Innerhalb der nächsten Jahre ist es daher wenig sinnvoll, durch drastische Eingriffe die Atomindustrie einzuschränken oder sie durch andere Industrien zu ersetzen.

Die zweite Frage betrifft die Wirtschaftlichkeit des Atomstroms bzw. die Preisgünstigkeit der Versorgung mit Strom. Energiepolitisch können hier sinnvoll bei der Großversorgung nur die Preise für Atomstrom mit Kohlestrom verglichen werden; alle anderen Energiequellen scheiden aus, weil sie zur Stromerzeugung nicht in genügendem Umfang zur Verfügung stehen, oder — wie das Erdöl — zur Stromerzeugung nicht weiter herangezogen werden sollen.

Lange Zeit sind erhebliche Zweifel daran geäußert worden, ob die Kosten der Erzeugung von Strom aus Kernenergie volks-und betriebswirtschaftlich insbesondere gegenüber dem Kohlestrom vertretbar sind. Im September 1977 wurde hierzu eine Studie gemeinsam vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln und der Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München erarbeitet. Sie kommt zu dem Ergebnis, daß im Grund-wie im unteren Mittellastbereich Atomstrom prinzipiell kostengünstiger ist als Kohlestrom.

Der Vergleich bezieht sich auf die Kosten der Erzeugung von Strom bei Steinkohlekraftwerken im Grund-und Mittellastbereich für reviernahe, revierferne und mit Importkohle befeuerte Kraftwerke an Küstenstandorten sowie eine 80 °/oige Rauchgasentschwefelung der Hälfte und der gesamten Rauchgasmenge. Bei Kernkraftwerken werden nur Leichtwasserreaktoren, bei der Kühlung Naßkühltürme und Frischwasserkühlung in Betracht gezogen. In den Vergleich gehen bei den Kernkraftwerken die Kosten für den Brennstoffkreislauf (Wiederaufbereitung und Endlagerung) wie für die Stillegung ein. Bei den Kohlekraftwerken werden die direkten Subventionen berücksichtigt. Das Ergebnis des Vergleichs zeigt bei allen Vorbehalten, die gegenüber Kosten-prognosen angemeldet werden müssen, daß allein mit Importkohle befeuerte Steinkohle-kraftwerke in Küstenstandorten bei weniger als 000 Betriebsstunden im Jahr Strom kostengünstiger produzieren können als Kernkraftwerke.

Bei den Ist-Kosten der Stromerzeugung beträgt die Kostendifferenz zugunsten der Kernenergie 3, 58 Pfennig/kWh im Grundlast-, und 3, 22 Pfg. /kWh im Mittellastbereich. Bei den Prognosekosten variiert der Kostenvorsprung je nach verglichenen Kraftwerksarten zwischen 6, 8 Pfg. /kWh und 1, 6 Pfg. /kWh im Grundlastbereich. Auch eine Variation der Kostenfaktoren kann den Vorteil der Kernenergie gegenüber der Kohle nicht in Frage stellen 4).

Mit diesen Berechnungen und Aussagen sind — alle Vorbehalte gegenüber Prognosen eingerechnet — Anhaltspunkte für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Atomstrom gegeben. Danach ist die Erzeugung von Strom aus Kernenergie unter den derzeit absehbaren Bedingungen in weiten Bereichen zur Sicherung der Grundversorgung preisgünstiger als die Stromerzeugung aus Kohle. Sie führt strukturell die bisherige Linie der Zentralisierung der Versorgung großer Gebiete durch große Kraftwerksblöcke fort.

IV. Enquete-Kommission „Kernenergie"?

Sicherheit und Wirtschaftlichkeit sind die notwendigen Voraussetzungen für Bau und Betrieb atomarer Anlagen. Das „Risiko Kernenergie" muß so klein bleiben, daß es nicht zu Schäden bei Menschen und zu erheblichen Beeinträchtigungen der Umwelt führt. Andererseits wird die Kernenergie nur genutzt werden können, wenn dies für die Erzeugung von Strom volks-und betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Diese Vorbedingungen können als prinzipiell erfüllt gelten. Sie reichen jedoch für die Durchsetzung der Kernenergie als neuer Energiequelle nicht hin. Wie die Diskussion der letzten Jahre gezeigt hat, bestehen nicht unerhebliche Widerstände gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie, die sich mit Hilfe der Gerichte auch durchzusetzen vermögen. Es sei in diesem Zusammenhang jedoch darauf aufmerksam gemacht, daß Teilgenehmigungen und Vorbescheide für Kernkraftwerke bisher nirgends rechtskräftig als rechtswidrig erkannt und aufgehoben worden sind. Die politischen Parteien können diese Probleme, die teilweise von einer „außerparlamentarischen Opposition" getragen werden, nicht übersehen, wenn sie nicht selbst in Legitimationsschwierigkeiten geraten wollen, zumal sich ein großer Teil der Abwehr gegen Kernkraftwerke außerhalb der Parteien entwickelt hat. Die innerparteilichen Meinungsbildungen sind zwar — durch Kongresse teils vorberei-1 tet, teils nachvollzogen — mit Parteitagsbeschlüssen und Fraktionsanträgen erfolgt, doch » der Prozeß der Umsetzung von Parteiauffas; sungen in politisch bindende Entscheidungen, i insbesondere der Legislative, ist noch nicht ab-> geschlossen.

[In den vorangegangenen Überlegungen zur Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der friedli> chen Kernenergienutzung hatte sich gezeigt, » daß bestimmte politische Probleme noch un-> gelöst sind, politische Entscheidungen noch > ausstehen, politische Entwicklungen abgewar-I tet werden müssen. Im Bereich der Wirtschaftlichkeit sind Strukturprobleme bei der [Nutzung der Kernenergie noch offen. Hier ) geht es einmal um die im Zusammenhang mit ) den Prognoseproblemen erwähnte Ermittlung von Bedarfsstrukturen. Hierzu gehört auch die Aufstellung von Kriterien für die Rolle der Kohle im Gesamtkonzept der Energieversorgung unter dem Blickwinkel, ob volks-'wirtschaftlich, beschäftigungspolitisch und öko[logisch mittel-und langfristig Kohleverstro[mung in größerem Umfange sinnvoll sei. Auch > alternative Kriterien für Standortentscheidun-> gen über Kraftwerke müssen hierzu entwickelt werden. Ebenfalls bedürfen Entscheidungsgrundlagen für die weitere Zentralisierung bei der Energieversorgung durch Großkraftwerke i insofern der Erörterung, als durch sie Fragen • der Sicherheit, der Betroffenheit, der Mitbe! Stimmung und der Umweltgestaltung tangiert : sind.

Im Zusammenhang mit der Sicherheit atom-technischer Anlagen geht es um die Ermittlung und Darstellung tolerabler Schadens-grenzen, auch im Hinblick auf einzelne Reaktortypen. Der Zweifel an der Zuverlässigkeit ! sicherheitstechnischer Einrichtungen und ihrer Wirksamkeit wird vor allem genährt aus der Angst, die „Zähmung" der Atombombe ; sei doch nicht voll gelungen, mächtige Inter-

I essen aber versuchten, dies zu vertuschen und die Einführung der Kernenergie zu erzwingen. Ein Zerrbild dieser Angst hat R.

Jungk in seinem Florrorszenario vom „Atom: staat" entworfen. Derartigen Auffassungen ist vor allem zu begegnen, wenn das „Risiko

Kernenergie" nüchtern beschrieben und seine Vertretbarkeit aufgrund politischer Kriterien dargetan wird. Dies gilt prinzipiell auch für die Probleme der Non-Proliferation und die Sicherung atomtechnischer Anlagen.

Ein Ansatzpunkt zur Entwicklung politischer Kriterien für die Vertretbarkeit des Ausbaus der Kernenergie in der Bundesrepublik ist beispielsweise in dem Genehmigungsvorbehalt des Bundestages für den Betrieb des Schnellbrutreaktors SNR-300 zu entdecken. Das Gesamtproblem der Erarbeitung eines Kriterienkataloges für die Genehmigungsfähigkeit atomarer Anlagen ist jedoch nicht punktuell und am Einzelfall zu leisten. Es läge daher nahe, wenn der Deutsche Bundestag von seinem Recht nach § 74 a seiner Geschäftsordnung Gebrauch machte und, wie zur Vorbereitung von Entscheidungen über andere umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe, auch für den Ausbau der Kernenergie in der Bundesrepublik eine Enquete-Kommission einsetzen würde. Enquete-Kommissionen des Bundestages haben die Aufgabe, in komplexen Bereichen die Situation zu analysieren und dem Bundestag dann Grundlagen für seine Entscheidungen zu liefern. Sie haben sich weniger um ein einzelnes Gesetz oder einzelne Maßnahmen zu kümmern, vielmehr müssen sie versuchen, den Gesamtkomplex politisch zu erfassen und auf dieser Basis Maßnahmen und Initiativen auch über einen längeren Zeitraum hinweg vorzuschlagen.

Im Unterschied zu Ausschüssen des Bundestages setzen sich Enquete-Kommissionen aus Abgeordneten und Sachverständigen außerhalb des Parlaments zusammen, um Experten-wissen in die Vorbereitung des politischen Willensbildungsprozesses von vorneherein miteinzubeziehen. Sie sind im Vorbereitungsstadium von politischen Entscheidungen tätig. Ihre Arbeit gehört also nicht unmittelbar zum Verfahren der Gesetzgebung. Eine Enquete-Kommission „Kernenergie" wäre somit der geeignete politische Ort, die bestehenden Probleme der Kernenergienutzung zu sichten, zu klären und Lösungen vorzubereiten.

Die Kommission darf sich nicht in technische Einzelheiten verlieren, sondern wird sich darauf konzentrieren müssen, politische Kriterien zu erarbeiten und politische Maßnahmen vorzuschlagen. Die Arbeit der Kommission könnte aber dazu beitragen, technokratische Verhaltensweisen in der Bundesrepublik abzubauen und Maßstäbe für die künftige Einführung komplexer Technologien vorzubereiten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Das Containment wird durch die Stahlsicherheitshülle und die äußere Betonhülle gebildet.

  2. Die genauen Werte für 1975 sind: Anteil des Stroms am Endenergieverbrauch 13, 3%; Anteil des Stroms am Primärenergieeinsatz 29 %; industrieller Verbrauch 40, 5%; Verbrauch privater Haushalte 21, 9 %.

  3. Zur Verdeutlichung sei darauf hingewiesen, daß selbst Differenzen von Zehntel-Prozenten in den Wachstumsraten durch die Progression, die sie erzeugen, erhebliche Auswirkungen auf die absoluten Beträge haben.

  4. Der Kostenvorteil mag auf den ersten Blick gering erscheinen. Man möge sich aber vor Augen halten, daß Kostenvorteile Differenzen sind. Die Millionenunterschiede in den Endbeträgen sind leicht ersichtlich, wenn man bei der Berechnung von einem Kraftwerk mit 1 300 MW elektrischer Leistung und 4 000 Betriebsstunden jährlich ausgeht.

Weitere Inhalte

Ferdinand Wiebecke, Dr. phil., geb. 1935; Referent der SPD-Bundestagsfraktion, Lehrbeauftragter für Bildungs-und Forschungspolitik an der Gesamthochschule Paderborn. Veröffentlichungen u. a.: Wissenschaft und gesellschaftliche Effizienz, in: U. Lohmar, Wissenschaftspolitik und Demokratisierung, Düsseldorf 1973 (zus. mit U. Lohmar); Bildungspolitik, in: Die zweite Republik, hrsg. von R. Löwenthal und H. P. Schwarz, Stuttgart 1974 (zus. mit W. Strzelewicz); Speicherung und Verbreitung von Wissen über Unterricht, in: W. Schulenberg, Transformationsprobleme der Weiterbildung, Braunschweig 1975.