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Politische Strömungen in der „Ökologie-Bewegung" | APuZ 43/1978 | bpb.de

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APuZ 43/1978 Artikel 1 Grüner Protest -Zeichen der Parteienverdrossenheit? Politische Strömungen in der „Ökologie-Bewegung" Verbraucherpolitik -trojanisches Pferd zur Systemveränderung? Stellungnahme zum Beitrag von Anke Martiny in B 24/78 Entgegnung auf den Beitrag von Gerd Hauth

Politische Strömungen in der „Ökologie-Bewegung"

Kurt Oeser

/ 17 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In den letzten Jahren wurde häufig in den Medien die Unterwanderung von Umweltschutzbürgerinitiativen durch Linksradikale behandelt; doch wenn man bei dem Thema „Unterwanderung" nicht unerlaubt einseitig sein will, dann muß das Augenmerk genauso intensiv auf die politisch-weltanschaulichen Rechtsaußen gerichtet werden. Gewiß soll hier nichts unnötig aufgebauscht und dramatisiert werden, die Unterwanderung von „rechts außen“ darf jedoch auch nicht verniedlicht werden. Zum Glück lassen sich die meisten Bürgerinitiativen und Umwelt-, Lebensschutzund Naturschutzverbände von politischen Außenseitern nicht umgarnen oder gar für deren Ziele einspannen. Aber da von den reaktionär Gesinnten wieder massiv Blut-und Boden-Ideologie gepflegt und unter Umweltschutzdeckmäntelchen eifrig verbreitet wird, verbunden mit üblen, ausgesprochen rassistischen und faschistischen Zungenschlägen, gilt es, den Anfängen zu wehren. Deshalb wendet sich dieser Beitrag vorrangig diesem Problem zu in der Hoffnung, zu mehr Wachsamkeit gegenüber bestimmten politischen Strömungen in der Ökologie-Bewegung und den „Okologisten" selbst zu mehr selbstkritischer Erkenntnis zu verhelfen.

Vielleicht ist uns bisher noch gar nicht richtig aufgefallen, wie sehr unsere Sprache in den letzten Jahrzehnten standardisiert, schematisiert und „entmenschlicht“ worden ist, wozu die Zeit von 1933 bis 1945 noch besonders beigetragen hat. Freilich wirkte sich die „Technokratur“, d. h. die Vorherrschaft des Technisch-Machbaren, nicht nur in den Zeiten des „totalen Staates" us, sondern hinterläßt weiterhin ihre tiefen Spuren in den verschiedensten Bereichen des Lebens. Es mag uns entgehen, daß wir ständig Begriffe „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ verwenden, um an den Titel eines offensichtlich zu wenig gelesenen Buches von Sternberger, Storz und Süskind zu erinnern. Wenn dies der Fall sein sollte, dann ist es ein trauriges und ernst zu nehmendes Zeichen. Aber man kann angesichts bestimmter Tendenzen in der Sprache bzw.des starken Gebrauchs von Begriffen „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen" auch überempfindlich gegenüber einzelnen Worten werden. Zu ihnen gehört zweifelsohne das Wort Bewegung, das neuerdings wieder so oft auftaucht, daß man darauf achten sollte.

Es ist gut, daß etwas in Bewegung gekommen ist, ja, es war unbedingt notwendig — überlebensnotwendig, denn die wirtschaftliche Entwicklung wurde und wird zunehmend problematischer und die gesellschaftliche Entwicklung ist weitgehend zum Stillstand gekommen. Die Frage ist nur, wer und aus welchen Gründen bzw. mit welchen Absichten etwas in Bewegung bringen will.

Die „Ökologie-Bewegung" hat gewisse Vorläufer in dem Engagement der sog. unruhigen Generation, in der studentischen Unruhe der sechziger Jahre, in der außerparlämentarischen Opposition und in mancherlei parallelen Erscheinungen zu der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. In der Hauptsache getragen von jungen Akademikern gab es in den sechziger Jahren Initiativen für die kleine Klasse, für eine repressionsfreie Erziehung, für mehr Kinderspielplätze, für sichere Fußgängerüberwege, für mehr Rechte der

Hausfrau usw., also ganz gezielte Bemühungen um menschenfreundlichere Bedingungen im „Reproduktionsbereich". Im Reproduktionsbereich, d. h. im Wohn-und Freizeitbereich, entwickelten sich Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre zahlreiche Bürgerinitiativen, denen es nicht nur um men-

sehen-, sondern zugleich auch um umwelt-freundlichere Verhältnisse ging. In der Kontroverse um die sog.friedliche Nutzung der Kernenergie nahmen dann die Bürgerinitiativen geradezu lawinenartig zu. Diese „Ökologie-Bewegung" ist nicht, wie die Vertreter traditioneller Umweltschutzverbände gern behaupten, durch diese Verbände geprägt, sondern durch das außerordentlich vielfältige, durchweg ganz spontane und entschiedene Engagement von Bürgern in Gestalt der Bürgerinitiativen. Claus Oife und andere haben den Bürgerinitiativen meines Erachtens zu Unrecht vorgeworfen, sie seien eben nichts anderes als Initiativen von Bürgern, die sich mit ihrer Tätigkeit und ihren Zielsetzungen auf die „dispari-tären" Bereiche Wohnen, Freizeit und Verkehr beschränken und dort nur ihren persönlichen Unmut kundtäten bzw. nur mit Hilfe bürgerlicher Formen des Protestes agierten. Ihnen fehle der Wille zur „sozialistischen Transformation" der Gesellschaft und damit die Bereitschaft zu handfesteren Formen des Widerspruchs wie Go-in, Blockade und andere direkte Aktionen.

Daß sich der überwiegende Teil der Bürgerinitiativen zu radikalen Aktionen nicht bereit findet, ist bekannt und hat seinen guten Grund. Auf der anderen Seite haben gerade die Auseinandersetzungen um die Planung und den Bau von Kernkraftwerken gezeigt, daß man seinen Widerspruch nicht nur verbal anmeldet, sondern ihm auch sehr deutlich Ausdruck zu verleihen vermag. Go-in, Blok-kade, Haus-oder Grundstücksbesetzungen sind für zahlreiche Bürgerinitiativen durchaus nichts mehr Fremdes, während sie Sabotageakte seither unmißverständlich abgelehnt haben. Die „Radikalisierung und Politisierung" der Bürgerinitiativen wird immer wieder mehr oder weniger unbesehen dem Einfluß linksex13 tremistischer Gruppierungen zugeschoben. Daß solche Einflüsse vorhanden sind, ist unbestritten, sie dürfen jedoch auf keinen Fall aufgebauscht und überbetont werden, so wenig sie verniedlicht werden dürfen. Den meisten Bürgerinitiativen ist nicht verborgen geblieben, daß sie ideologisch und taktisch unterwandert werden sollen, respektive, daß man sich ihrer zu bemächtigen sucht.

Sofern wir es nicht an Ort und Stelle selbst erlebt haben, wurden uns in den Medien beachtlich große Trupps mit roten Fahnen bei Anti-AKW-Demonstrationen gezeigt. Die meisten von uns werden die Bilder der heftigen Konfrontationen auf dem Gelände von geplanten oder in der Nähe von im Bau befindlichen Kernkraftwerken vor Augen haben. Bilder von übermäßiger Gewalt auf beiden Seiten, einer Gewalt, die zumindest teilweise gewünscht und provoziert war, um den „Bul-len-Staat" zu „entlarven" und den Beweis für die „absolute Repression durch den Atom-Staat" anzutreten. Weniger beachtet wurde dabei allerdings, daß sich — spätestens seit der „Schlacht um Brokdorf" — auch die Radikalen auf der anderen Seite zu Wort gemeldet haben.

Der hinlänglich bekannte Rechtsanwalt Manfred Roeder, die „überragende Führergestalt" der „Deutschen Bürgerinitiative“, hat ebenfalls zum „Sturm auf Brokdorf" aufgerufen und sich dabei bereit erklärt, mit den Linksradikalen gemeinsame Sache zu machen (Manfred Roeder wurde am 23. Mai 1975 auf dem „Reichstag“ in Flensburg auch zum Sprecher der „Freiheitsbewegung Deutsches Reich“ gewählt, die bis zur Bildung einer „freien Deutschen Reichsregierung“ die vorläufige Vertretung des Deutschen Reiches übernommen habe). Da'ß Manfred Roeder mehr Anhänger hat, als er zum „Sturm auf Brokdorf" aufbie-ten konnte, läßt sich aus vielem ablesen, was in der Publikation „Die Bauernschaft", dem „Organ der Bauern und Bürgerinitiative e. V.", zu finden ist, für die der „einzig wirkliche Bauernschriftsteller unserer Tage“, Thies Christophersen, verantwortlich zeichnet. Nach Thies Christophersen wird die „Bauernschaft“ inzwischen von mehr Freunden und Anhängern, die keine Bauern sind, gelesen als innerhalb des „Bauerntums" selbst.

Gewiß befinden sich Manfred Roeder und Gleichgesinnte auf dem äußersten rechten Rand der politischen Szenerie, aber mehr oder weniger unbemerkt siedeln sich in ihrer Nähe immer mehr Umwelt-bzw. Lebensschützer an, von denen man es zunächst gar nicht vermuten möchte, ja man kann sogar solche dort als geistig und politisch beheimatet antreffen, mit denen man sich in gemeinsamem Bemühen um eine bessere Umwelt verbunden gefühlt hat.

Doch ehe wir auf diesen ernst zu nehmenden Umstand bzw. auf diese Entwicklung näher eingehen, soll noch betont werden, daß die Rechtsradikalen in ihrem Haß auf die parlamentarische Demokratie zu Allianzen bereit sind, die manch einer für absurd hält. Leider gibt es Belege dafür, daß die politischen Außenseiter sich, und sei es auch für noch so kurze Zeit, zusammentun können, um die „herrschenden Cliquen hinwegzufegen" und die „morsche Demokratie" zum Einsturz zu bringen. Aber auch rechtsorientierte Lebens-schützer neigen zur ausgesprochen politisch fatalen Kooperation. Als Beleg dafür zitiere ich aus den „Lebensschutz-Informationen“ Nr. 6/1977, dem regelmäßig erscheinenden Mitteilungsblatt des „Weltbundes zum Schutze des Lebens“ (WSL):

„An die Redaktion , Arbeiterkampf', J. Reents Rutschbahn 35, 2 Hamburg 13 Hallo, Leute vom . Arbeiterkampf'

Weil ich Vorsitzender im Landesverband WSL geworden bin, habe ich vom Bundesverband einen Vorgang geschickt bekommen, aus dem ich Eure Vorwürfe gegen den WSL als , Braune Ratten'usw. kennengelernt habe. Hierzu kann ich nur sagen, daß ich mich der Antwort, welche Euch Prof. Haverbeck gegeben hat, im vollen Umfang anschließe. Was darüber hinaus speziell das Verbrechen angeht, welches offensichtlich in Euren Augen eine Anzeige in Christophersens . Bauernschaft'darstellt, so dazu in aller Kürze dies:

1. Die in der . Bauernschaft'vertretenen Ansichten sind teilweise nicht die meinen, besonders nicht das, was ich für antiquiert und unnötig aggressiv halte. Thies Christophersen aber schätze ich als aufrechten Menschen. Nachdem er darauf verzichtet hat, seine Ideologie anderen Initiativen (solchen, in denen ich tätig bin) aufzudrängen, habe ich nichts dagegen, daß seine Bauernschaft in einer Aufstellung biologischer Höfe auch Hof Springe anführt.

2. Die vom . Arbeiterkampf'vertretenen Ansichten sind teilweise nicht die meinen, besonders nicht das, was ich für antiquiert und unnötig aggressiv halte. Ich kenne manche Kommunisten, die ich als aufrechte Menschen schätze. Wenn Ihr darauf verzichten würdet, Eure Ideologie anderen Initiativen (solchen, in denen ich tätig bin) auizudrängen, würde ich nichts dagegen haben, wenn im , Arbeiter-kampf'im Zusammenhang biologischer Höfe auch Hof Springe genannt wird. 3. Ich halte sehr wenig von Aktionen, die sich im , anti'erschöpfen. Gegenseitige Faschisten-und Kommunistenhetze nützt ausschließlich den Trägern und Nutznießern solcher Verhältnisse, an deren Veränderung wir ein gemeinsames Interesse haben. Ich würde es ausgesprochen gut finden, wenn Ihr weniger Antifaschismus, dafür aber mehr pro vita bringen würdet. Für sinnvoller als Pressekampagnen halte ich ein Gespräch, vorausgesetzt, daß es nicht der Abgrenzung dienen soll, sondern dem Versuch, Möglichkeiten der Übereinstimmung und Zusammenarbeit herauszufinden."

Und Frau Haverbeck-Wetzel, die Frau des derzeitigen Präsidenten des „Weltbundes zum Schutz des Lebens, Bundesverband e. V." und Herausgeberin der „Lebensschutz-Informationen", argumentiert im gleichen Heft so: ... „In der ersten Deutschen Republik gab es zwei Parteien, die sich besonders unerbittlich bekämpften, Kommunisten und Nationalsozialisten. Dies ist ein historisches Faktum. Nachdem die eine der beiden Parteien 1933 durch allgemeine Wahlen an die Regierungsmacht kam, wurde die Situation für die andere Partei katastrophal, sie wurde verboten, ihre Anhänger verschwanden im Ausland, Untergrund oder in Konzentrationslagern. Es muß allerdings angenommen werden, daß dies im umgekehrten Fall, also bei Machtübernahme durch die Kommunisten, für die unterlegene Partei der Nationalsozialisten genau solche Folgen gehabt hätte . . .

Heute gibt es als zugelassene Partei nur noch die Kommunisten. Die Reaktionäre unter ihnen pflegen die Feindschaft der Väter wie ein heiliges Erbstück. Sie sind höchst erstaunt, wenn sie sich im Protest gegen die Atomreaktoren und den das Wirtschaftsleben beherrschenden Monopolkapitalismus in gleicher Front mit sogenannten Ehemaligen'finden. Dies führt — jedenfalls bei den Konservativen unter ihnen — nicht zu einer längst fälligen kritischen Überprüfung der Vorstellungen ihrer Väter. Es wird weiter gegenseitig verteufelt. Konservative — und das gilt ge nauso für . konservative'Kommunisten — kommen eben selten oder nie auf die Idee, übernommene Urteile und Ansichten kritisch zu prüfen oder sich gar zu fragen, ob nicht Weiterentwicklungen notwendig oder gar vollzogen seien.

Die meisten größeren Bürgerinitiativen sind parteipolitisch neutral, so auch der'WSL. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß in einem konsequenten Umwelt-und Lebensschutz biologische und wirtschaltspolitische Fragen im Vordergrund stehen und nicht ausgeklammert werden können, auch dann nicht, wenn sie NS-oder KP-fixiert erscheinen und demzufolge auch die Anhänger der einen oder anderen Richtung sich durch die Bürgerbewegung mit vertreten fühlen.

Wird das jetzt zum Anlaß genommen, sich gegenseitig zu diskriminieren und von Personen zu distanzieren, dann wird nicht mehr Umweltschutz, sondern die Politik der Wachstumsideologen betrieben. Dabei ließe sich aus der gegenwärtigen Situation Entscheidendes lernen. Nämlich, daß es nicht statthaft, weil unwahrhaltig ist, bestimmte politische Richtungen oder auch Weltanschauungen mit negativen Auswüchsen, die (sie) alle in ihrer Geschichte aufweisen, zu identifizieren. Das Christentum ist nicht gleich der Inquisition, der Kommunismus nicht gleich sibirischen KZs und stalinistischem Terror, der Nationalsozialismus ist nicht gleich Judenverfolgung und -Vergasung und die Demokratie nicht gleich dem Völkermord an den Indianern, wie zu Ende des vorigen Jahrhunderts von den US-Amerikanern praktiziert.

Erst wenn wir dies begreifen, haben wir eine Chance, wirklich progressiv Gedanken und Programme für eine menschenwürdige Zukunft entwickeln zu können.

Und Sie wollen gar noch denjenigen, der eine Anzeige aufgibt, identifizieren mit der vermuteten politischen Richtung der Zeitung, in der unter vielen anderen Zeitungen seine Anzeige ebenfalls erscheint? Hätte die Anzeige in Ihrer Zeitung gestanden, dann hätten ihn , Rechtsgläubige'als Kommunisten eingestuft! Das ist wirklich einem denkenden Menschen nicht gemäß.

Und hier gelangen wir an einen Punkt, wo für mich jedenfalls eine Grenze erreicht ist. Dort wo ein Mensch behauptet, die absolute Wahrheit, die richtige Weltanschauung zu besitzen, dort macht er sich selbst unglaubwürdig. Wenn wir nicht bereit sind, überkommene Schemata, sei es auf der rechten oder auf der linken Seite, aber auch im sogenannten Liberalismus, kritisch zu überprüfen und zu versuchen, zu einer auf selbständigem Denken und nicht auf übernommenen Urteilen basierenden Erkenntnis zu gelangen, dann werden sich auch in Zukunft positive Neuerungsansätze in Richtungskämpfen zersplittern und als kleinkariert von der Geschichte überrollt werden.“

Einerseits könnte man sagen, solche Darlegungen seien der doch beste Beweis die politische Harmlosigkeit ihrer Verfasser. Gewiß soll nichts unnötig dramatisiert werden, und eirl kritischer Zeitgenosse wird darüber nur verwundert, belustigt oder verärgert den Kopf schütteln. Zu fragen ist jedoch, ob derartiges nur von kritischen Zeitgenossen gelesen wird oder nicht auch von vielen weltanschaulich weniger versierten, politisch beeinflußbaren und verführbaren Zeitgenossen. Unter den traditionellen „Lebensschützern" überwiegt eindeutig der Anteil von Bürgern mittleren Alters, der sozialen Mittelschicht zugehörig, die für ökologische Fragen und umweltfreundliche Konzeptionen sehr aufgeschlossen sind, etwas schwierigeren politischen Problemen jedoch ausgesprochen hilflos gegenüberstehen. Die werden nun als regelmäßige Bezieher der „Lebensschutz-Informationen" des WSL immer wieder einer Lektüre von Gedankengut ausgesetzt, für das in zahlreichen Fällen die Bezeichnung als reaktionär noch zu zurückhaltend ist. Es lassen sich — leider — eine Reihe von unzweifelhaften Passagen anführen. Die verschiedenen Belegstellen dafür müssen zwar aus Platzgründen einer späteren umfassenderen Veröffentlichung Vorbehalten bleiben, doch schon eine etwas genauere inhaltliche Analyse der beiden eben zitierten Texte würde das bestätigen. Selbst eine relativ oberflächliche Durchsicht der „Lebensschutz-Informationen" führt uns eine erschreckende Mentalität vor Augen.

Zum Beweis für diese Behauptung zitieren wir noch aus einer Rede, die Frau Ursula Haverbeck-Wetzel bei einer Umweltkonferenz im Rahmen der Stiftung ON 1NIA N 1UND 1 am 20. Mai 1977 in Moltrasio, Italien, gehalten hat: „Fortschritt und Zivilisation sind nach dieser Anschauung mit , Mehr-haben-wollen identisch, das immer Ausbeutung der Natur bedeutet. Aus solchen, die Weltwirtschaft be herrschenden, Vorstellungen waren das Autarkiestreben der Nationalsozialisten, ihre Geldordnung, ihre Spar-und Wiederverwertungsappelle sowie der , Mutterkult'und die Förderung des Bauerntums viel schwerwiegendere Sünden als die Judenverfolgung, womit nicht gesagt ist, daß dies nicht zu verdammen sei, die ja nur Fortsetzung einer jahrhundertealten europäischen Tradition war, und zudem Völkermord — wie z. B. an den Indianern — eine von den Vertretern aller europäischen Nationen in den USA sogar im der Demokratie Zeichen sanktionierte Maßnahme war, wenn es galt, den eigenen Lebensraum und Besitz zu vergrößern. Diese gefährlichen Wirtschaftstendenzen, die bei einem Teil der frühen National-Sozialisten vorhanden waren, ließen sich am besten von der Wurzel her ausrotten, wenn der ganze National-Sozialismus, wie nach 1945 geschehen, mit Judenmord gleichgesetzt wurde, was ihn indiskutabel machte und damit zugleich Vokabeln und Verhaltensweisen wie Sparen, Disziplin, Bauerntum, . Gemeinnutz geht vor Eigennutz''— übrigens alte preußische Tugenden — als anrüchig verschwinden ließ und so ausmerzte. Dieses heute auszusprechen ist schon ein Delikt. Dennoch können wir nicht umhin, hier kritisch nachzufragen. Scheint doch hier die Ursache und Begründung gegeben zu sein, warum es äußerst schwierig ist, vor allem den . umerzogenen'20-bis 45jährigen Bundesbürgern das notwendige Umdenken verständlich zu machen. Wie sonst wäre zu erklären, daß immer wieder auf den begründeten Hinweis: ohne Zurücknahme, ohne Sparsamkeit und Disziplinierung könnte der Mensch die Zukunft nicht gewinnen, als Reaktion der empörte Zwischenruf (zu hören) ist: , das ist faschistoid!'. Hier haben wir das Ergebnis einer äußerst geschickten und gelungenen Manipulation, deswegen so geschickt, weil die derart Manipulierten noch meinen, daß gerade diese Haltung systemkritisch sei. Dennoch sollte man meinen, daß heute, wo Umweltschäden, Vergiftungen und Zivilisationskrankheiten allen sichtbar werden, auch die Technokiieten und Politiker zur Erkenntnis gelangen müßten, daß der Mensch eben nicht von Industrieanlagen und Geld, sondern von Luft, Wasser und Brot lebt. Sie wissen dies unterschwellig auch, geben die Gefährdung unseres Lebensraumes zu, aber machen dennoch im alten Stil weiter. Der Umwelt-schützer steht oft fassungslos vor — wie er meint — so viel Dummheit oder Bosheit.“ ..: Die hier zutage tretende historische Ignoranz — gekoppelt mit politischer Naivität und Intoleranz — ist bemerkenswert und alarmierend zugleich.

Freilich ist das nur ein schwacher Abglanz der hochtrabenden und schwülstigen Sprache des „genialen Gründers" des „Weltbundes zum Schutze des Lebens", Prof. Günther Schwab. Neben seinem Buch „Tanz mit dem Teufel“, das beachtliche Auflagen hatte, ist die Reihe „glücklicher leben“, herausgegeben vom „Verein für Lebenskunde", Salzburg, als „Leseprobe" dafür zu nennen. Die nicht gerade wenigen literarischen Produkte sind zwar für Leser mit einigermaßen normalem sprachlichem Empfinden und politischem Denken eine Zumutung und Strapaze, aber auch sehr aufschlußreich. Offensichtlich bemühen sich fast alle anderen Autoren der Schriftenreihe glücklicher leben" eifrig, mit Günther Schwab sprachlich und gedanklich mindestens gleichzuziehen, wenn nicht gar den „genialen Gründer" noch zu übertreffen (siehe z. B. Heft 23 „Das verlorene Maß", Verfasser: der derzeitige Präsident des WSL, Bundesverband Deutschland e. V., Prof. Dr. Gg. W. Haverbeck). Die eigene Haltung kennzeichnet man mit gesunden Widerstand, Aufstand der Seele, Helden, Führer, charakterlich Höchstwertige, Elite u. ä. Man lebt echt und sauber, ist von Kampf-und Pioniergeist erfüllt, tritt für Ordnung ein, für edles Menschentum, gesundes Bauern-und Volkstum und wird somit zu einem Stern der Hoffnung. Auf der anderen Seite steht ein indifferentes Publikum, eine Masse, ein biologisches Proletariat, das von einer Diktatur des Profit-und Konsumgeistes, von geistig-seelischen, stumpf-trägen Reaktionären und weltweiten Kapitalmächten sowie von Handlangern der Industrie beherrscht wird. Dieses Volk, die Masse, besteht aus Minderwertigen, die innerlich ausgehöhlt sind, deren Lebenssinn entleert ist, deren Seele entfremdet von der Natur und vergiftet ist und die Opfer psychischer Verschmutzung sind. Sie leben in Termitenbauten und sind reine Befehlsempfänger, sie verfaulen, deshalb muß aufgerufen werden wider den Ungeist, wider die Mächte der Unordnung, diese müssen aus-gemerzt, ja ausgerottet werden. Man scheut sich nicht, davon zu sprechen, daß das Publikum, das Volk, die Masse, die sich Konsum-und Arbeitsexzessen hingibt, Opfer von Rattenfängern geworden ist, daß hier die Drachensaat des Materialismus aufgeht, Erscheinungsformen einer Afterkultur uns entgegentreten, hervorgerufen von Gangstern und Unmenschen, obwohl — wie ausdrücklich festgestellt wird — nicht alle Repräsentanten der reaktionären Wirtschaft Unmenschen und Gangster sind.

Es ist deshalb notwendig, Einkehr zu halten, umzudenken, umzukehren bzw. umzupolen und damit heimzukehren zum Heil, eine gesunde Gesellschaft zu schaffen bzw.deren Gesundung herbeizuführen, in der alle vorher genannten Übel geheilt werden, und zwar endgültig, in der man nach psychischer Genesung in lebensgesetzlicher Ganzheit und Harmonie existiert.

Eine weitere geradezu klassische Fundgrube für Denken und Formulieren in Wir-und-die-anderen-Kategorien, in vereinfachenden und vereinfachten Polaritäten, ist das Buch von Dr. W. Dürsch „Der naturgerechte Weg“. Das Gegensatzpaar „naturgerecht — natur-widrig" ist -ein Paradebeispiel für gedankliche und sprachliche Verstiegenheiten, allerdings artikuliert sich darin etwas, was nicht nur Gegenstand linguistischer Untersuchungen sein dürfte.

W. Dürsch fühlt sich mit anderen Umwelt-bzw. Lebensschützern den „konstruktiven Kräften" zugehörig. Er stellt in seiner Person und mit seinem geistigen Produkt Querverbindungen her zu dem WSL einerseits und der „Vereinigung Verfassungstreuer Kräfte (VVK)“ andererseits. Der „Informationsdienst der Arbeitsgemeinschaft aller Konstruktiven Kräfte" erschien als Doppelnummer 1/2 1978 unter der Überschrift „Einigkeit für Recht und Freiheit" mit dem nicht gerade bescheidenen Untertitel „Stimme der Vernunft und Verantwortung". Die paar Sätze auf der Titelseite mögen zur „Einstimmung" genügen: „Politik für morgen! Weltweite Problemstellungen erfordern heute eine , Neue Politik'. Der Kapitalismus alten Stils zerstört zunehmend die Erde, den so einmalig schönen Planeten, die , blaue Perle im schwarzen All', auf der wir leben: der Kommunismus führt zur totalen Sklaverei, ohne in den entscheidenden Fragen vom Schema kapitalistischer Fehlentwicklungen abweichen zu können. Im Osten und im Westen Deutschlands wird die deutsche Jugend zum nationalen Selbstmord vorbereitet; kein deutscher Teilstaat würde einen III. Weltkrieg überleben — die französische Pluton, die amerikanische Neutronenbombe, die Atomkraftwerke auf deutschem Boden und die .deutschen'Politiker auf beiden Seiten, die Bürgerkriegsdemagogen im Dienste der Supermächte, würden dafür sorgen. Die tödliche Konfrontation, erwachsen aus den widernatürlichen Nachkriegsgrenzen, führt uns immer näher an diesen letzten Krieg der Menschenheitsgeschichte heran, wenn nicht, wie schon vor Jahrzehnten gefordert, eine , Dritte Macht'diesem Wahnsinn ein Ende setzt. Aus dieser Erkenntnis und daraus folgerndem Verantwortungsgefühl für unser Volk, Europa und die Welt sind wir angetreten. ’ In dieser „Einigkeit...“ ist ein Gedicht von Renate Schütts, der Haus-Lyrikerin der „Bauernschaft", abgedruckt. • In den „Lebensschutz-Nachrichten’ wird für den Bezug von „UN" gleich „Unabhängige Nachrichten“, den Nachrichtendienst und Mitteilungsblatt „unabhängiger Freundeskreise’, einer klar rechtsradikalen Gruppierung, geworben. (So z. B. vor allem für „UN" 12/77 mit „Lebensschutz-und Nationalpolitik“ von D. Vollmer.) Zu dem Stichwort Querverbindungen wäre noch allerlei zu sagen, doch das müssen wir, wie bereits erwähnt, einer umfassenderen Publikation vorbehalten.

Nicht immer lassen sich Querverbindungen so einfach nachweisen. Daneben sind Ähnlichkeiten und Parallelen zu konstatieren, die mehr unter „geistige und politische Wahlverwandtschaften" zu subsumieren sind. Hier soll nur die „Biologische Zukunft", die „Zeitschrift für Biopolitik und Eugenik’, Herausgeber: „Gesamtdeutsche Arbeitsgemeinschaft, Sektion Biopolitik“, stellvertretend für andere genannt werden.

Dem bisher Gesagten wird man wahrscheinlich entgegenhalten, um einige wenige geistig und politisch Versprengte, um diese Ewig-Gestrigen solle man nicht so viel Aufhebens machen, ja, sie bekämen dadurch nur eine unangemessene, ihnen sonst verwehrte, jedoch von ihnen sehr erhoffte Publizität. Aber so wenig wir bestimmte Vorkommnisse und Tendenzen auf der politischen und speziell umweltpolitischer Szene überschätzen und überbewerten sollen, so wenig dürfen wir sie unterschätzen und unterbewerten, zumal wir oft oder stets in der Gefahr stehen, auf dem „rechten Auge blind" zu sein oder wenigstens einiges gerne zu übersehen oder einfach zu negieren.

Ohne Zweifel gibt der „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (BBU) im Blick auf „Rechtsausleger" und reaktionäre Umwelt-und Lebensschützer politisch eine gute Figur ab. Die große Mehrzahl der lokalen und regionalen Umweltschutzgruppierungen, Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbände fiel bisher ebenfalls nicht reaktionärem oder schließlich sogar faschistischem Gedankengut zum Opfer, doch es gilt, den Anfängen zu wehren, und die sind unbestreitbar vorhanden. „Blut und Boden" und „Artverwandtes“ feiern Comeback und in ihrem Gefolge Nationalismen und Rassismen. Man gibt sich gerne progressiv und bedient sich der antikapitalistischen und antiimperialistischen Klaviatur, aber das Ganze ist nur dem Scheine nach auf Sozialismus gestimmt, es klingt mehr nach National-Sozialismus, wie gehabt.

Es ist schwer zu übersehen, wie viele „Stille im Lande" tatsächlich dem rechten bis rechtsradikalen Flügel unter den Umwelt-und Lebensschützern zuzurechnen sind. Dafür, daß es keine unbedenklich kleine Zahl ist, spricht einiges. Vor allem die Anzahl der Abonnenten regelmäßig erscheinender Informationsdienste und der Käufer entsprechender Einzelpublikationen könnte darüber genaueren Aufschluß geben; der „multiplikatorische Effekt" dieser Schriften kommt dann noch hinzu. Außerdem ist der Einfluß von Umwelt-und Lebensschützern mit solchem geistigen und politischen Hintergrund, die in vielen örtlichen und überörtlichen Umweltschutzinitiativen und -grup-pierungen mit geradezu missionarischem Eifer mitarbeiten, nicht zu gering zu veranschlagen. Stärker als viele Einzelpublikationen zu Fragen der Umweltgefährdung und des Umweltschutzes hat die „Botschaft von den Grenzen des Wachstums" die Menschen aufgerüttelt und sie zu konkretem Umweltengagement motiviert, vor allem aber dazu, sich der Ökologie-Bewegung anzuschließen. Demokratische Sozialisten haben schon im frühen Stadium der Umweltdiskussion versucht, über negative Einzelphänomene und Einzelprobleme hinausgehende politische Analysen der Umwelt-misere und politische Konzeptionen oder mindestens Ansätze zu ihrer Überwindung einzubringen. Leider war ihnen wesentlich weniger Erfolg beschieden als den Dooms-day-Prophetien, d. h.den Voraussagen des Jüngsten (Umwelt-) Gerichtes. Die Wirkung dieser Art von Umweltliteratur war oft Ratlosigkeit bis hin zur Resignation auf der einen oder Aktivismus bis hin zur Hektik auf der anderen Seite.

Die aktivierten Bürger gerieten in nicht wenigen Fällen entweder in das Schlepptau linksradikaler Gruppen oder in den Sog rechtsradiB kaler Kreise, denen im — zum Teil fanatischen — Haß auf die parlamentarische Demokratie fast jedes Mittel zur „Demaskierung" und Provokation von Staat und Gesellschaft recht ist. Aber auch die Abstufungen zwischen den politischen Außenseitern sind noch fragwürdig genug. Gerade auf diese gefährdeten Gefährder, in deren Reihen wir so manchen finden, mit dem man gerne auch weiterhin zusammenarbeiten möchte, muß sich unser besonderes Augenmerk richten. Die überwiegende Mehrheit der Bürgerinitiativen und Umwelt-, Lebens-und Naturschutzverbände will ihren Weg innerhalb unserer staatlichen und sozialen Ordnung weiterhin gehen, was ihnen freilich nicht selten durch mangelnde Partizipation, durch die zunehmende Undurchschaubarkeit politischer Entscheidungen und durch eine Übermacht wirtschaftlicher Interessen ungemein schwergemacht wird und speziell durch eine allzu häufige „Unangemessenheit“ staatlicher Mittel; denn jeglicher Anflug von polizeistaatlicher, repressiver Gewalt nützt nur den Radikalen. Unbehagen und Verdrossenheit über die „Etablierten“ haben nun die „Ökologie-Bewegung" gespalten in die, die Umweltbewußtsein in die vorhandenen Parteien tragen und dort bestimmte Umweltzielsetzungen durchsetzen wollen, und die, die als eigene Partei oder Wählergemeinschaft vorrangig Umweltverantwortung in Alltagspolitik umsetzen wollen. Die „Grünen" untereinander oder die „Grünen" und „Bunten" gegeneinander spiegeln politische Grundströmungen der „Ökologie-Bewegung" wider und haben teil an der besonderen ideologischen Anfechtung der „Okologisten".

Im Unterschied zur allgemein üblichen Beschreibung der Gefahr der „Unterwanderung von links" habe ich mich auf eine Skizzierung der „Unterwanderung von halbrechts bis ganz rechts" konzentriert und nehme dabei den Vorwurf der Einseitigkeit in Kauf. Keinen Platz hat — verständlicherweise — innerhalb der „Ökologie-Bewegung" der Laisser-faire-Liberalismus der „Strukturkonservativen“, allmählich mehr Raum und Anerkennung verschafft sich — erfreulicherweise — die verpflichtete Liberalität der „Wertkonservativen“. Das ist ihre Chance angesichts der Bedrohung durch die extremen Flügel samt Mitläuferschaft, eine allerdings mühevolle und nicht publizitätsträchtige Chance.

Fussnoten

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Kurt Oeser, geb. 1928 in Mainz; Studium der Theologie in Mainz und Marburg; seit 1973 Umweltbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland; Mitgründer der „Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen e. V.", Bonn, und deren stellvertretender Vorsitzender; Vorsitzender des Fachausschusses II „Umweltinformation und Umweltbewußtsein" der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen e. V.; von 1972 bis 1978 Vorsitzender des Hessischen Umwelt-beirates; seit 1968 Stadtverordneter und Kreistagsabgeordneter. Veröffentlichungen u. a.: bürget initiativ, hrsg. zus. mit Seb. Haffner (mit Grundsatzbeitrag über „Progressive und reaktionäre Bürgerinitiativen"), Stuttgart 1974; Fragen einer kirchlichen Umweltpolitik, in: Umweltstrategie, Gütersloh 1975; Kernenergie — Mensch — Umwelt, hrsg. zus. mit H. Zilleßen, Köln 1976; „Evang. Kirche und Bürgerinitiativen" und „Reaktionäre Tendenzen bei Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbänden", in: Bürgerinitiativen und gesellschaftliche Großgruppen, Bd. 4 der Reihe „Argumente in der Energiediskussion", Villingen 1978.