Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Entwicklungspolitik als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Verflechtung mit der Dritten Welt und die Öffnung der Märkte | APuZ 17/1979 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 17/1979 Artikel 1 Die internationale Rohstoffpolitik Rückblick und Ausblick Entwicklungspolitik als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Verflechtung mit der Dritten Welt und die Öffnung der Märkte Das entwicklungspolitische „Kongreß-Mandat" von 1973. Die „Grundbedürfnisse" der „armen Mehrheit" in der US-amerikanischen Entwicklungsstrategie *)

Entwicklungspolitik als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Verflechtung mit der Dritten Welt und die Öffnung der Märkte

Otto Matzke

/ 33 Minuten zu lesen

I. Einleitung

Abbildung 1

Eine vieldimensionale Entwicklungspolitik setzt in einem demokratischen Staat einen möglichst weitgehenden Konsens breiter Schichten der Bevölkerung und ihrer gesellschaftlichen Gruppen sowie der Parteien voraus. Ein Idealzustand wäre erreicht, wenn die Masse engagierter, informierter und kritisch mitdenkender Bürger die Entwicklungspolitik in ihrem Gesamtkonzept tragen würde. Von diesem Zustand ist man freilich in der Bundesrepublik Deutschland und in den meisten Industrieländern noch weit entfernt. Entwicklungshilfe ist für viele ein überflüssiger Luxus, für andere die Gelegenheit zu guten Taten, die allerdings keine spürbaren Opfer bedeuten. Die engagierten Entwicklungspolitiker bilden eine Randgruppe, welche bisher trotz aller Offentlichkeitskampagnen und moralisierender Appelle die bestehenden Barrieren nicht überwinden konnte. Wahrscheinlich erklärt sich das daraus, daß es bisher kaum gelungen ist, dem einzelnen und seinen Interessenverbänden sowie den Parteien den vitalen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Dritten Welt auf der einen Seite und der Lohntüte, dem Einfamilienhaus und dem jährlichen Urlaub im Süden auf der anderen zu verdeutlichen. Es ist wesentlich, diesen Zusammenhang, ja die Interessenverflechtung zwischen Nord und Süd über den Kreis der professionellen Entwicklungspolitiker hinaus transparent zu machen. Für die Erreichung eines auf Erweiterte Fassung eines Referats, gehalten im Rahmen des Entwicklungspolitischen Kongresses ENTWICKLUNG — GERECHTIGKEIT — FRIEDEN (veranstaltet vom Deutschen Evangelischen Kirchentag, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst und dem Katholischen Arbeitskreis Entwicklung und Frieden), Bonn-Bad Godesberg, 24. bis 27. Januar 1979.

Dieser Text berücksichtigt zu den behandelten Fragen den Verlauf der Diskussion in den Plenarsitzungen des Kongresses. solchen Erkenntnissen basierenden, möglichst umfassenden Grundkonsenses kommt den Zusammenschlüssen der verschiedenen gesell-schaftlichen Gruppen, die sich in zunehmendem Maße mit Entwicklungspolitik befassen, eine Schlüsselstellung zu

II. Traditionelle und andere Instrumente der Entwicklungshilfe

1 Gewisse traditionelle Instrumente der Entwicklungshilfe — wie z. B. Kapital-und technische Hille — sind nicht unbedingt von einem spezifischen gesamtgesellschaftlichen Konsens abhängig; sicherlich nicht mehr als zahlreiche andere finanzielle Aufwendungen des Staates. Das Parlament repräsentiert routinemäßig auch insofern den Volkswillen und sanktioniert durch Billigung des Staatshaushalts Zuwendungen an die Länder der Dritten Welt. Diese Zuwendungen stellen „Opfer" an Realeinkommen dar, die aber bisher niemandem weh tun.

Andere entwicklungspolitisch wirksame Maßnahmen sind viel einschneidender. Sie stellen nicht nur — wie die „traditionellen" Hilfszuwendungen — eine zusätzliche finanzielle Belastung aller Steuerzahler dar, sondern sie treffen direkt bestimmte gesellschaftliche Gruppen. Das ist insbesondere der Fall bei dem Abbau von Einfuhrschranken für industrielle und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den Entwicklungsländern. Die damit verbundenen Opfer an eigener Produktionsstruktur können Arbeitnehmer, Unternehmer und Landwirte in ihrer Existenzgrundlage bedrohen. Die insofern bestehenden Interessendivergenzen zwischen den betroffenen Gruppen einerseits und den übrigen Bevölkerungsgruppen andererseits können nur gesamtgesellschaftlich, und zwar durch Konsens, ausgeglichen werden. Dabei kommt es auf eine möglichst breite Verteilung der Lasten an.

Trotz mancher Gegenargumente, die nicht bagatellisiert werden sollten sprechen durchschlagende Argumente dafür, daß eine vernünftige Politik der Marktölfnung gegenüber den Entwicklungsländern (begleitet von privaten Kapitalinvestitionen) entwicklungspoli- tisch noch weitaus wichtiger ist als eine Ausweitung der traditionellen Kapital-und technischen Hilfe. Diese Hilfe stößt bereits jetzt bilateral und multilateral auf gewisse Grenzen der Absorptionsfähigkeit ganz abgesehen davon, daß ihre Ausrichtung auf eine Strategie der Deckung der Grundbedürfnisse nicht geringe — selbstverständlich zu überwindende — Schwierigkeiten bereitet. Demgegenüber schafft eine Politik der Marktöffnung in fast natürlicher Weise Arbeitsplätze in den Entwicklungsländern, stattet die neu Beschäftigten mit Kaufkraft aus und versetzt sie damit in die Lage, ihre Grundbedürlnisse wenigstens primitiv zu decken.

Nichts kennzeichnet die gesamtgesellschaftliche Bezogenheit einer auf die eigentliche Problemsubstanz ausgerichteten Entwicklungspolitik deutlicher als die Frage der Marktöffnung. Deswegen steht dieses Problem exemplifizierend im Vordergrund der folgenden Darlegungen, wobei auch auf den gegenwärtigen Stand der internationalen Interdependenz-Diskussion kurz einzugehen ist.

III. „Eigeninteresse'

Vorweg aber einige Bemerkungen zu dem Stichwort „Eigeninteresse". Für manche handelt es sich dabei um ein ausgesprochenes Reizwort. Schon in dem bloßen Hinweis auf das Geberinteresse wollen sie eine „Spekulation auf das Eigeninteresse des deutschen Steuerzahlers" und ein „Kalkül mit dem Egoismus" sehen

In die gleiche Richtung geht es, wenn Unicef wegen einer Inseratenserie unter dem Motto „Buy a good feeling" kritisiert wird Gegenüber solcher Überempfindlichkeit darf nicht übersehen werden, daß es in der Sache doch darum geht, Mittel für vernünftige Zwecke zu beschaffen. Die Abwertung oder gar Diffamierung des Eigeninteresses der Geber an der Entwicklungshilfe verkennt nicht nur die tatsächliche Lage und die Verängstigung mancher gesellschaftlicher Gruppen gegenüber der wirtschaftlichen Stärkung der Dritten Welt, sondern sie macht es in einer echten parlamentarischen Demokratie noch schwerer, die Entwicklungshilfe zu „verkaufen". Rainer Offergeld verdient Zustimmung, wenn er einmal sagte, daß sich in der Entwicklungspolitik „das moralisch Gute . . . mit dem Nützlichen verträgt" Entwicklungshilfe, die sowohl dem Interesse des Nehmers als auch dem des Gebers entspricht, kann als ideal angesehen und sollte nicht verteufelt werden.

Wenn eines der Hauptziele der Entwicklungspolitik darin besteht, einen internationalen sozialen Ausgleich zu erreichen, so stellt sie Dienst an der Zukunft aller Menschen — gleichgültig ob Geber oder Nehmer — dar. Es ist völlig legitim und moralisch einwandfrei, die sich in diesem Zusammenhang abzeichnende „Perspektive der eigenen Zukunft" auch der Geberländer klar als Eigeninteresse herauszustellen und damit die Solidarität der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu mobilisieren und zu stärken.

IV. Die mittel-und langfristige Perspektive: weltweite Interdependenz

Die mittel-und langfristige Perspektive Die in den nächsten Jahrzehnten auf die Menschheit zukommenden Probleme sind so komplex, daß keine demokratische Regierung sie ohne gesamtgesellschaftlichen Konsens lösen könnte. Für die Industrieländer wird es um weitaus mehr als etwa nur um die Erhöhung der öfientlichen finanziellen Hilfe gehen (z. B. um die Erreichung des magischen 0, 7-Prozent-Ziels) oder einen spezifischen Ressourcentransfer z. B. auf dem Rohstoffsektor oder in anderem Zusammenhang, sondern um die Einpassung in eine kontinuierlich wachsende weltweite Interdependenz, der sich kein Land entziehen kann. Die — im eigenen Interesse und im Geiste internationaler Solidarität — zu treffenden Entscheidungen sollten nicht nur von der jeweiligen Regierungskoalition getragen werden, sondern — ebenso wie die der Außenpolitik — von allen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen. Es geht nicht nur um die Aufbringung zusätzlicher finanzieller Mittel in irgendwelcher Form, sondern um die Bereitschaft zu tiefgreifenden Veränderungen struktureller Art, wobei einzelne gesellschaftliche Gruppen besondere Belastungen zu tragen haben.

Globale Interdependenz der armen und der reichen Länder beinhaltet nicht nur, daß der Wohlstand der Industrieländer eine unerläßliche Voraussetzung für jede Hilfe an die Dritte Welt darstellt. Vielmehr bedeutet dieses Konzept auch umgekehrt — und das wird noch immer nicht klar genug erkannt —, daß ein unaufhaltsamer Prozeß zunehmender Abhängigkeit der reichen Länder von den armen in Gang gekommen ist. Moderne Forscher sprechen in diesem Zusammenhang bereits von „reverse dependency" 9). Treffend hieß es daher im Kommunique über den Bonner Gipfel im Juli 1978: „Ein Erfolg unserer Bemühungen um eine Stärkung unserer Volkswirtschaften kommt den Entwicklungsländern zugute, und ihr wirtschaftlicher Fortschritt wird uns zugute kommen." 10)

Die zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit der Industrieländer von den Märkten der Entwicklungsländer findet ihren Ausdruck in den Exporten der Industrieländer. Z. B. haben sich die deutschen Exporte in die Entwicklungsländer zwischen 1962 und 1977 verfünffacht, und 1977 ging bereits

Die zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeit der Industrieländer von den Märkten der Entwicklungsländer findet ihren Ausdruck in den Exporten der Industrieländer. Z. B. haben sich die deutschen Exporte in die Entwicklungsländer zwischen 1962 und 1977 verfünffacht, und 1977 ging bereits ein Fünftel der Exporte der Bundesrepublik in die Dritte Welt. Die nicht Erdöl erzeugenden Entwicklungsländer konnten ihrerseits 1977 gegenüber der Bundesrepublik einen Überschuß von etwa 2, 9 Milliarden D-Mark erzielen (gegenüber einem deutschen Überschuß von noch 5, 3 Milliarden D-Mark im Jahre 1974)

Untersuchungen, die auf Veranlassung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit durchgeführt wurden, haben ergeben, daß gegenwärtig durch den Export in die Entwicklungsländer über eine Million Arbeitsplätze in der Bundesrepublik gesichert sind.

Was den Bereich der OECD-Länder angeht, so kam eine von der Universität Pennsylvania im Auftrag von UNCTAD im Jahr 1976 erarbeitete Studie zu dem Ergebnis, daß eine Steigerung der Wachstumsrate der nicht Erdöl produzierenden Entwicklungsländer um drei Prozentpunkte in den OECD-Ländern eine Steigerung der Wachstumsraten um einen Prozentpunkt verursachen würde. Das entspräche einer Steigerung des jährlichen Brutto-Sozialprodukts um etwa 45 Milliarden Dollar im OECD-Bereich.

Der Süden als Wachstumsmaschine Auch wenn gewisse Zweifel an diesen mit Hilfe nicht unproblematischer ökonometrischer Methoden ermittelten Größenordnungen erlaubt sind, so kann doch der tendenziellen Richtigkeit der Aussage der Studie kaum widersprochen werden. Amerikanische Wissenschaftler vom Overseas Council in Washington haben in Anlehnung an die vorerwähnte Untersuchung das Schlagwort vom „Süden als der Wachstumsmaschine“ geprägt. Ihre Kernthese lautet: Der Fortschritt der Entwicklungsländer muß schon deswegen in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik der Industrieländer gestellt werden, um den künftigen Fortschritt von Nord und Süd zu sichern An der Spitze des dazu erforderlichen Maßnahmenpaketes steht die Marktöffnung (neben Preisstabilisierung für Rohstoffe, Nahrung, Energie und Bevölkerungspolitik).

Die hinter dem Stichwort stehende „Marktöffnung" Philosophie wird in der Studie insbesondere in folgenden Thesen zusammengefaßt: — Die Billig-Importe aus den Entwicklungsländern wirken inflationären Tendenzen in den Industrieländern entgegen. — Die Exporte der Industrieländer in die Entwicklungsländer dienen der Sicherung von Arbeitsplätzen in den Industrieländern. — Da Handel aber eine Zweibahnstraße ist, hängt die Entwicklung der Exporte der Entwicklungsländer von einer Öffnung der Märkte der Industrieländer ab. Erst durch Exporte können sich die Entwicklungsländer die Kaufkraft für ihre Importe verschaffen.

— Die Vorteile der Marktöffnung übertreffen die Nachteile erheblich.

Die Studie erkennt an, daß einige Industriezweige in den Industrieländern durch die Marktöffnung schwer betroffen werden, meint aber, daß dieses Problem durch strukturelle Anpassungsmaßnahmen in den Industrieländern lösbar ist. Konklusion: „Das größte Reservoir der Welt an Produktionskapazität stellen die noch unterentwickelten und ungenutzten menschlichen und physischen Ressourcen der Entwicklungsländer dar. Durch Anhebung der Kaufkraft dieser Völker und durch Entwicklung neuer Märkte für Arme und Reiche kann der Warenaustausch innerhalb und zwischen allen Ländern verstärkt werden."

Das Problem der Marktöffnung wird — worauf Mahbub ul Haq in seinem bereits erwähnten Artikel (siehe Fußnote 9) aufmerksam macht — mittel-und langfristig nur dann richtig gesehen, wenn man es mit dem der (zu verstärkenden) weltweiten geographischen Verteilung der industriellen Erzeugung in Zusammenhang bringt. Die komparativen Vorteile der traditionellen Industrieländer haben sich in manchen Industriezweigen vermindert. Dabei spielen neben anderen Faktoren vor allem die Arbeitskosten eine entscheidende Rolle. Wenn die Entwicklungsländer versuchen, aus dieser Lage entsprechende Konsequenzen zu ziehen, so folgen sie dabei nur dem Prinzip der internationalen Arbeitsteilung. Das gilt vor allem für die Erzeugung von Halb-und Fertigwaren. Nach einer von Mahbub ul Haq genannten Zahl könnten die Entwicklungsländer ihre Devisenerlöse um jährlich 24 Milliarden Dollar steigern, falls die Industrieländer sämtliche Zolltarif-und sonstigen Handelsschranken abbauen würden. (Die in Frage stehende Größenordnung wird deutlich, wenn man der erwähnten Zahl die 14, 7 Milliarden Dollar gegenüberstellt, welche die OECD-Länder im Jahre 1977 an öffentlicher Entwicklungshilfe aufgebracht haben.)

V. Das Konzept der vollständigen Konkurrenz nur eine „heroische Prämisse"?

Wenn die Entwicklungsländer die weitere Öffnung — in jedem Fall aber die Offenhaltung im bisherigen Umfange — der Märkte der Industrieländer für die Ausfuhr verarbeiteter Erzeugnisse fordern, so läuft das — so Hans Dietrich Genscher — nur darauf hinaus, daß sie Grundprinzipien der bestehenden Weltwirtschaftsordnung auch dann angewendet wissen wollen, wenn es den Industrieländern unbequem ist Die Nichtöffnung ist gleichbedeutend mit Verweigerung der Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft. Es ist hart — aber zutreffend —, wenn Genscher in diesem Zusammenhang von einem „Bruch des Vertrauens“ spricht, „das die Entwicklungsländer zeigten, als sie unsere Investitionsgüter kauften" Für diejenigen, die das Postulat vertreten, daß die Weltwirtschaft marktwirtschaftlich, aber mit dem Korrektiv des Sozialen geprägt sein sollte, muß die Forderung auf Marktöffnung „die berechtigste aller Forderungen der Dritten Welt“ darstellen

Freilich ist das Konzept der vollständigen Konkurrenz in der Praxis nicht mehr als eine „heroische Prämisse" und bekanntlich droht in einer weltweiten Welle des Protektionismus sogar eine Verschlechterung des schon unbefriedigenden Status quo. Den Gewerkschaften kommt im Zusammenhang mit dem Problem der Marktöffnung bzw. Offenhaltung eine Schlüsselrolle zu, neben welcher die — z. T. ernste — Lage der betroffenen Unternehmungen fast in den Hintergrund tritt. Ohne Mitwirkung der Gewerkschaften sind auf diesem entwicklungspolitisch entscheidenden Gebiet Fortschritte nicht zu erzielen. Ihre Haltung zu der Frage ist durch wesentliche Vorbehalte gekennzeichnet.

Eine Entwicklungscharta der Gewerkschaften Die — vom Deutschen Gewerkschaftsbund mitgestaltete und gebilligte — „Entwicklungscharta" des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften vom Mai 1978 anerkennt die Entwicklungshilfe ausdrücklich als „Instrument der internationalen Solidarität". Sie enthält auch ein grundsätzliches Bekenntnis zur Liberalisierung des Handels, die erforderlich sei, „damit die Entwicklungsländer für die Verfolgung ihrer Entwicklungsstrategien ausreichend Devisen verdienen können". Diese Aussage wird allerdings durch den anschließenden Satz relativiert: „Der freie Handel kann jedoch nicht verteidigt werden, wenn die einzigen Nutznießer die Reichen und die Multinationalen sind." Eine Unterstützung der Liberalisierung des Handels ist nach der „Charta" nur dann annehmbar, wenn sie von Maßnahmen begleitet ist, „die gewährleisten, daß ihre Gesamtvorteile die vorübergehenden Nachteile, die sie für Arbeitnehmer in einem bestimmten Industriezweig mit sich bringen kann, aufheben'1 In dieser Klausel könnte ein Ansatzpunkt für eine eventuelle Problemlösung enthalten sein, der allerdings in anderen Punkten der — zahlreiche Wiederholungen und Überschneidungen aufweisenden — Charta wieder abgeschwächt wird.

So soll die industrielle Expansion in den Entwicklungsländern nach der Charta in erster Linie auf die Bedürfnisse der heimischen Bevölkerung abgestellt werden. Wörtlich: „Die eigentliche Aufgabe der Industrie in den Entwicklungsländern besteht nicht nur oder vor allem darin, Waren für den Handel mit den reichen Ländern zu erzeugen, sondern vor allem darin, Waren für die Menschen in den Entwicklungsländern herzustellen. Hierzu ist

VI. Die Rolle der Gewerkschaften

die Kauikraft der gesamten Bevölkerung in den Entwicklungsländern erheblich zu steigern.“ (Uber das „Wie" sagt die Charta nichts.) Gefördert werden soll auch ein umfassender Handel der Entwicklungsländer untereinander.

Die Ausfuhren in die Industrieländer sollen so „angepaßt" werden, „daß die Entwicklungsländer soviel Devisen verdienen, daß sie für lebenswichtige Einfuhren bezahlen können".

Forderung nach einer Sozialklausel Besonders hervorzuheben ist die Forderung nach einem „Minimum an gerechten Arbeitsnormen", darunter auch das Verlangen nach Mindestlöhnen und nach Einhaltung von Höchstarbeitszeiten.

Am weitesten ist das Konzept von den „gerechten Arbeitsnormen" in einer vom Textilausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) im April 1978 zur Aufnahme in das Allgemeine Zoll-und Handelsabkommen (GATT) vorgeschlagen Sozialklausel entwik-kelt worden In dem Vorschlag heißt es bezüglich der Theorie der internationalen Arbeitsteilung, sie sei, „wenn auch verlockend, in der Praxis undurchführbar". Zur Rechtfertigung der bekannten sogenannten „Selbstbeschränkungsabkommen" (Multifaserabkommen) auf dem Gebiet der Textilerzeugnisse wird angeführt, daß zwar „die Erweiterung des internationalen Handels ein grundlegendes Anliegen" bleibe, daß sie „aber nicht in einer wirtschaftlichen Anarchie erfolgen (könne), die sowohl für die industrialisierten als auch für die Entwicklungsländer unheilvolle Folgen haben würde"

Entwicklungspolitisch besonders relevant ist der einschlägige Passus in einer Erklärung über „Vollbeschäftigung und Wachstum", welche kurz vor dem Gipfeltreffen der sieben Staats-und Regierungs-Chefs im Juli 1978 von den Vertretern der Gewerkschaftsverbände aus den sieben Ländern abgegeben wurde Dort heißt es: „Das Hauptanliegen der Entwicklungspolitik sollte sein, die Entwicklungsländer in die Lage zu versetzen, für die Erfüllung der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerung zu sorgen, anstatt durch die Produktion billiger Waren für den Export die Ausbeutung der einheimischen Arbeitskräfte zu fördern." Diese Länder sollen ihre Anstrengungen „auf die so sehr benötigte Produktion für die eigenen Märkte richten". Zu diesem Zweck sollen die Industrieländer zusätzliche Entwicklungshilfe leisten. Mit anderen Worten: Das Grundproblem wird einfach ignoriert.

Heinz O. Vetter auf dem Entwicklungspolitischen Kongreß Auf dem Entwicklungspolitischen Kongreß der beiden Kirchen im Januar d. J. bekannte sich der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Heinz O. Vetter, erneut „uneingeschränkt zur Solidarität mit der Bevölkerung in den Entwicklungsländern und damit auch zu Opfern für diese Menschen". Aber die neue Weltwirtschaftsordnung dürfe „nicht losgelöst von einer neuen Weltsozialordnung angestrebt werden". Er bezog sich dabei ausdrücklich auf die Entwicklungscharta des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften, von der er keinerlei Abstriche machte.

Auch bei dieser Gelegenheit bezeichnete er die Aufnahme „von Sozialklauseln in internationale Handels-und Wirtschaftsverträge mit dem Ziel, die Lage der Arbeitnehmer in den Entwicklungsländern zu verbessern und mehr Arbeitsplätze zu schaffen", als vordringlich

Zu deutschen Auslandsinvestitionen meinte Vetter: „Die deutschen Gewerkschaften (haben) kein Verständnis für die'Förderung von Investitionen aus öffentlichen Mitteln, ohne daß sie mit sozialen Auflagen verbunden werden". Es gäbe — so Vetter — zahlreiche Klagen über „das unsoziale und gewerkschaftsfeindliche Verhalten ausländischer Unternehmen, und deutsche Unternehmer bilden dabei keine Ausnahme". Die Unternehmer verschanzten sich oft hinter der nationalen Gesetzgebung in den Entwicklungsländern.

Während Vetter vor dem vollbesetzten Plenum des Kongresses der Kirchen sprach, ließ die Gewerkschaft Textil-Bekleidung als ihren „Beitrag zum Dialog" ein Papier verteilen, welches in harter Terminologie in die Debatte eingreift. Darin heißt es u. a., daß sich bisher „die Geschäfte des internationalen Kapitals und Handels in und mit den Entwicklungsländern überwiegend nach frühkapitalistischen Regeln vollzogen" haben, die „der Bevölkerung in den Entwicklungsländern in sozialer Hinsicht nur geringe Verbesserungen gebracht" hätten. Den Unternehmern wird vorgeworfen, daß sie „aus den Industrieländern in die Entwicklungsländer flüchten, um dort ohne soziale Bindungen und Verpflichtungen zu geringmöglichsten Kosten produzieren zu lassen".

In dem Papier wird gefordert, „die Zugangs-möglichkeiten zu den Märkten der Industrieländer zu differenzieren" Kulminationspunkt des Forderungspakets ist der folgende: „Damit die Entwicklungsländer selbst aus der Industrialisierung Vorteile ziehen können, müßte auf die Importwaren aus diesen Ländern ein angemessener Sozialzoll erhoben werden, der den Entwicklungsländern für die Verbesserung ihrer Infraund Sozialstruktur zur Verfügung gestellt werden sollte."

Als beispielhaft „für eine geordnete und ausgewogene .. . Regelung der internationalen Industrialisierungsund Handelspolitik" betrachtet die Gewerkschaft Textil-Bekleidung das Welt-Textilabkommen. Dieses Abkommen bietet — so die Gewerkschaft — „einen geordneten Rahmen, der den Entwicklungsländern" nicht nur eine Absatzsicherung, sondern auch eine Absatzsteigerung in den Industrieländern garantiert

Die Argumentation der Gewerkschaften bietet viele Angriffsflächen. Was z. B. die Verweisung der Entwicklungsländer auf die Versorgung ihrer eigenen Märkte angeht (ein Pro-blem, welches diese Länder natürlich auch selbst voll erkennen), so wird — abgesehen von anderen Gesichtspunkten — die Bedeutung des Exports als Devisenbringer unterschätzt. Die Forderung nach einem „Minimum an gerechten Arbeitsnormen" läuft auf den Versuch einer Einflußnahme auf die soziale Gesetzgebung der Entwicklungsländer hinaus, die in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen pflegen, daß auch die westlichen Industrieländer mehr als ein Jahrhundert gebraucht haben, um das gegenwärtige hohe Niveau ihrer Sozialgesetzgebung zu erreichen. Für die Entwicklungsländer stellt die Haltung der westlichen Gewerkschaften nichts anderes als eine kaschierte Form des Protektionismus dar. In dieser Sicht sprächen die Gewerkschaften zwar vom Kampf gegen die soziale „Ausbeutung". In Wirklichkeit käme es ihnen aber darauf an, den Entwicklungsländern ihren derzeit wichtigsten Wettbewerbs-vorteil zu nehmen, nämlich ihre billigeren Arbeitskosten

Bezeichnend für die in manchen Gewerkschaftskreisen zur Zeit herrschende Mentalität ist es, wenn kürzlich der Vorsitzende der Gewerkschaft Textil-Bekleidung nicht nur triumphierend erklärte, der Importdruck habe dank der sogenannten Selbstbeschränkungsabkommen bereits „gewaltig nachgelassen", sondern es „hoffnungsvoll" nannte, daß sich Staatsanwaltschaften gebildet hätten, welche schwerpunktmäßig illegale Einfuhren bekämpften

VII. Politiker-Meinungen zum Stichwort Marktöffnung

Unmißverständlich sprach sich Bundespräsident Walter Scheel in seiner entwicklungspolitisch wichtigen Ansprache bei der Eröffnung des Entwicklungspolitischen Kongresses für Marktöffnung aus. Die Argumente gegen die Marktöffnung sind für Scheel Vorurteile, welche „die aufgeschlossenen Menschen in ihrem Willen verunsichern, etwas gegen Armut und Not in der Dritten Welt zu tun“. Wir müssen die Konkurrenz der Entwicklungsländer ertragen lernen: „Wird beispielsweise wirklich eine Gruppe von Industriebetrieben in unserem Lande von der Konkurrenz aus Südostasien bedroht, so darf es nicht heißen: dieser fremde Anbieter muß von unserem Markt verschwinden." Scheel übersieht nicht, daß bei uns Arbeitsplätze berührt werden. Aber er weist darauf hin, „daß wir — wie die Erfahrung lehrt — durch die Entwicklung der Dritten Welt insgesamt weit mehr Arbeitsplätze gewinnen als verlieren . . . Wir selbst sind in hohem Maße auf den Weltmarkt angewiesen. Ohne Außenhandel wäre es mit unserer Wohlfahrt schnell zu Ende."

Weniger spezifisch, aber doch deutlich äußerte sich Helmut Kohl im Plenum des Kongresses, wenn er alle politischen Kräfte und gesellschaftlichen Gruppen einlud, „mit uns zusammen über das von uns vorgeschlagene Konzept der internationalen sozialen Marktwirtschaft nachzudenken; und vor allem, sich mit uns einzusetzen für die strukturpolitischen Maßnahmen im Inland, die zur Verwirklichung einer marktwirtschaftlichen internationalen Ordnung erforderlich sind — und diese Maßnahmen mitzutragen".

Besonders drastisch hat wiederholt (außerhalb des Kirchenkongresses) Helmut Schmidt zu dem Problem Stellung genommen. Seiner Meinung nach wurde den Entwicklungsländern die Technologie doch wohl nicht in der Illusion geliefert, „daß sie daraus ein Museum für europäische Technologie machen ... Wir /haben doch wissen müssen, daß sie Technologie und Investitionen mit relativ billiger Arbeitskraft kombinieren würden" Als Beispiele erwähnte Schmidt Schiffe, Massenstähle, Textilien und Kameras. Für ihn sind „Opfer an eigener Produktionsstruktur unvermeidlich, und mehr Entwicklungshilfe wertet er als gleichbedeutend mit der wesentlichen Umstrukturierung unserer eigenen Industrie". Dieser Umstrukturierungsprozeß könne „sogar zu eher mehr Arbeitslosigkeit" führen.

Nicht weniger deutlich ist der Standpunkt Herbert Wehners, der sich nachdrücklich zur internationalen Arbeitsteilung bekennt, da sie viel mehr an Arbeitsplätzen geschaffen als vernichtet habe. Er zitiert Untersuchungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, wonach bis 1985 in den deutschen Verbrauchsgüterindustrien fast ein Fünftel der Beschäftigten Folge preiswerter Importe aus Entwicklungsländern ihre Arbeitsplätze verlieren wird. Aber er rechnet damit, daß die Entwicklungsländer durch ihre Industrialisierung zu interessanten Absatzmärkten für die alten Industriestaaten werden und daher durch ihre wachsende Aufnahmefähigkeit für hochwertige Erzeugnisse zur Arbeitsplatzsicherung in den Industriestaaten beitragen

Auch Rainer Offergeld, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, bekennt sich entschlossen zur Marktöffnung: „Auch wer annimmt, unsere -Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern schade uns, weil wir Konkurrenten von morgen aufbauen, der irrt. Unsere größten* Handelspartner sind die indu-strialisierten Länder, obwohl sie auch unsere schärfsten Konkurrenten sind. Je weiter also die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas entwickelt sind, desto mehr können sie zu beider Nutzen mit uns Handel treiben."

Auf dem Entwicklungspolitischen Kongreß der Kirchen zählte Offergeld die Frage der Marktöffnung zu den besonders „konfliktträchtigen“ Problemen und stellte die Forderung, „den offenen Markt bei uns auch dann zu verteidigen, wenn man vor der Betriebsversammlung eines betroffenen Unternehmens spricht".

Die Haltung der Unternehmer umriß der Präsident des Deutschen Industrie-und Handelstages, Otto Wolff von Amerongen, vor dem Plenum des Kongresses. Kernpunkt: „Es ist auch ein Gebot der Redlichkeit und Glaubwürdigkeit, daß man nach großen Erfolgen beim Export von Anlagen und Maschinen dann keine Maßnahmen gegen die damit hergestellten Produkte ergreift, wenn sie auf die Märkte der Industrieländer vordringen. Im übrigen halte ich die Furcht vor den Industriegütern Entwicklungsländern überzogen. für Gerade der inter-und intraindustrielle Austausch macht den wesentlichen Teil des Welthandels zwischen den industrialisierten Ländern aus." Als repräsentativ für die in den Entwicklungsländern vorherrschende Meinung kann ein „Appell an die Reichen" von Manuel Perez Guerrero (Minister für Internationale Angelegenheiten von Venezuela) gewertet werden. Für ihn ist ein Einverständnis erfor-derlich, „daß die Lösung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme immer mehr auf einer Stärkung der Kaufkraft der Entwicklungsländer basieren muß. Auf diese Weise könnten auch die Industrieländer den Export ihrer Investitions-und Konsumgüter in diese Länder steigern."

VIII. Bereitschaft zum Strukturwandel

Marktöffnung ist gleichbedeutend mit ständigem Strukturwandel. Strukturwandel beinhaltet Verlust bestehender und Schaffung neuer Arbeitsplätze. Es bedarf keiner besonderen Phantasie, um sich der damit verbundenen — oft schweren — Opfer bewußt zu werden, die nicht nur von den Unternehmern, sondern vor allem von den Arbeitnehmern zu bringen sind. Die Versuchung könnte naheliegen, die Arbeitsplätze durch staatliche Interventionen zu erhalten. Aber (wie es Graf Lambsdorff einmal formuliert hat): „Auf längere Sicht wäre jedoch Konservierung eher kontraproduktiv. Trotz steigender Kosten würde der Schutz der Arbeitsplätze letztlich nicht gelingen."

Wie es in einem, im Januar 1979 vorgelegten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats (Vorsitzender Prof. Hans K. Schneider) des Bundesministeriums für Wirtschaft über „Staatliche Interventionen in einer Marktwirtschaft" heißt, ist Strukturpolitik kein „Ziel an sich"

Vielmehr müsse sie der Ergänzung, erforderlichenfalls der Korrektur der marktwirtschaftlichen Steuerung dienen. Der Beirat warnt vor strukturpolitischen Sonderprogrammen und fordert, daß sich die Strukturpolitik den allgemeinen wirtschaftlichen Zielen unterzuordnen habe. Das Auftreten von Uberkapazitäten dürfe nicht fast automatisch eilige staatliche Ad-hoc-Strukturhilfen auslösen. Nach dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe" sei die Bereitschaft zu fördern, durch eigene Leistung zu bestehen. Der Wettbewerb dürfe auch in Krisenfällen nicht ausgeschaltet werden. Staatliche Eingriffe sollten sich daher an dem Ziel orientieren, den Anpassungsprozeß „sozial erträglich" zu gestalten, ihn aber nicht zu schnell ablaufen zu lassen. Die langfristig kostengünstigen Betriebe müßten erhalten bleiben.

Wie die internationalen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte gezeigt haben, haben „vorsorgliche und nachträgliche Korrekturen" anzupassender Produktionsstrukturen in keinem System so reibungslos funktioniert wie in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung

Auf der bereits erwähnten Veranstaltung der SPD mit Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen am 1. Februar d. J. (siehe Fußnote) stellte Helmut Schmidt nicht in Abrede, daß Strukturschwierigkeiten bei Kohle und Stahl im Ruhrgebiet zu überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenzahlen geführt haben. Schmidt warnte aber vor einer wachsenden Feindschaft gegen die Technik und vor einem allgemeinen Zivilisationspessimismus: „Wer menschengerechte Arbeitsplätze bei steigendem Lebensstandard will, muß wissen, daß dies alles ohne Technik und Forschung, Innovation und Fortschritt nicht geht." Für Schmidt sind die deutschen Erzeugnisse auf den Weltmärkten schon die teuersten, und sie müßten daher zumindest auch „die besten, die modernsten, die schnellsten und die zuverlässigsten sein".

In klarem Widerspruch dazu vertrat der DGB-Vorsitzende, Heinz O. Vetter, bei gleicher Gelegenheit die These, daß die Technik nicht länger allein unter der — am Gewinnstreben orientierten — Verfügungsgewalt der Arbeitgeber bleiben dürfe.

Von einem Konsens bezüglich all dieser — für das Problem der Marktöffnung relevanten — Probleme kann bis heute überhaupt noch nicht die Rede sein. Auch der Kongreß der Kirchen hat zu keinen wesentlichen Fortschritten in der Diskussion geführt. Er hat allenfalls bestätigt, daß den Gewerkschaften bezüglich der Probleme der Marktöffnung und der damit verbundenen Strukturmaßnahmen eine Schlüsselstellung zukommt.

In diesem Zusammenhang ist die bereits erwähnte Klausel in der Entwicklungscharta des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften vom Mai 1978 relevant, wonach die Anpassungs(sprich Restrukturierungs-) Politik „beschäftigungsorientiert" sein muß

Da die Herausforderung der Dritten Welt an die Industrieländer alle angeht, ist der Staat „auf das Verständnis, auf kritische Zustimmung, auf engagierte Unterstützung und die Opferbereitschaft der Bürger angewiesen"

IX. Agrarprotektionismus

Die Marktöffnung zugunsten der Entwicklungsländer auf dem Agrargebiet trifft auf noch weitaus größere Schwierigkeiten als die auf dem Industriesektor. Die Agrarpolitik gibt ein klassisches Beispiel für den spezifischen Konflikt zwischen den Interessen eines gesellschaftlichen Sektors und den Interessen der Gesamtgesellschaft bzw. zwischen Agrarpolitik und Entwicklungspolitik.

Wie die Welternährungsund Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) in ihrem neuesten einschlägigen Bericht feststellt ist der weltweite Protektionismus in der Landwirtschaft ein „ernstes und chronisches Problem". Wörtlich: „Einige neue Handelsbeschränkungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse wurden in den letzten Jahren eingeführt, und einige alte Handelsschranken sind aufgelockert worden. Die wesentlichsten Handelsbeschränkungen — welche sich vor allem auf Zucker, Fleisch und Milcherzeugnisse beziehen — sind der Ausdruck der Wirkungen lang bestehender inländischer Agrarstüt-zungs-und Stabilisierungsmaßnahmen in entwickelten Ländern."

Die Spezialisten der FAO stellen resignierend fest, daß es schwer sei, die Tragweite der letzten Veränderungen protektionistischer Art „auch nur annähernd abzuschätzen", da die Definition des Begriffs Protektionismus wechselnden Interpretationen unterworfen ist, insbesondere soweit es sich um nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen handelt. Die Maßnahmen werden laufend verändert und oft nicht veröffentlicht.

Ein Beispiel für einen hochperfektionierten Agrarprotektionismus liefert die EG. Zwar bekennt sie sich (ebenso wie ihre einzelnen Mit-

gliedstaaten) immer wieder mit Emphase zur Notwendigkeit der Entwicklungshilfe, aber auf dem Gebiet der Agrarpolitik wirken diese Deklamationen allenfalls wie Lippenbekenntnisse. Wenn Landwirtschaftsminister Josef Ertl auf der „Internationalen Grünen Woche" im Januar d. J. in Berlin einmal mehr die „oft gehörte Anschuldigung eines sogenannten deutschen oder EG-Agrarprotektionismus” als „absurd" zurückwies und von einer „weltoiienen und liberalen (!) Handelspolitik“ auf dem Agrargebiet sprach so steht das im Gegensatz zur tatsächlichen Lage. Solche offensichtlichen overstatements tragen nicht zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit der hinter ihnen stehenden Interessengruppen bei.

Wie Hermann Priebe zutreffend feststellt, war das Marktordnungssystem der EG mit demGrundsatz des freien Warenverkehrs im EG-Raum zunächst ein gewisser Fortschritt gegenüber den früheren Agrarsystemen der einzelnen Mitgliedstaaten mit ihren vielfältigen, teilweise gegensätzlichen protektionistischen Maßnahmen Aber die durch unterschiedliche Interessen verursachte schrittweise Ausweitung der Marktordnungsmaßnahmen brachte „eine Summierung der agrarpolitischen Protektionsmaßnahmen auf der Gemeirischaftsebene". Die verantwortlichen Politiker — auch die deutschen — wurden „Gefangene eines Systems, in dem . . . schließlich wirtschafts-und agrarpolitisch unsinnige Entscheidungen nur noch getroffen werden, um nicht durch ihre Ablehnung die Integration zu gefährden" (so Priebe a. a. O.). Die unbegrenzten Absatzgarantien zu — von Politikern ausgehandelten — Festpreisen wurden zum „neuralgischen Punkt" des Systems.

Daß die Aufrechterhaltung dieses Systems jährlich einen finanziellen Aufwand von mehr als 30 Milliarden DM erforderlich macht (wobei Lagerhaltung und Verschleuderung von Überschüssen einen nicht unwesentlichen Teil dieser Mittel beanspruchen), müssen sich europäische Entwicklungspolitiker immer wieder von den Entwicklungsländern entgegenhalten lassen.

Nüchtern stellte schon vor einigen Jahren Professor E. Buchholz in der Anlage zu einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom Sommer 1973 folgendes fest „Mit der bisherigen Handhabung dieses (Abschöpfungs-) Systems ist der Wettbewerb durch Angebote aus dritten Ländern auf den Agrarmärkten der Gemeinschaft praktisch ausgeschaltet worden. Der in Art. HO des EWG-Vertrags niedergelegten Absichtserklärung, auch mit der Agrarpolitik zur Harmonisierung des Welthandels und der Beseitigung von Handelshemmnissen beizutragen, ist kaum entsprochen worden. Hierher gehört auch, daß die EG-Länder durch hoch subventionierte Exporte von Überschüssen in Drittländer mögliche Exporte der Entwicklungsländer verdrängen."

Für die Sicherstellung eines ausreichenden Selbstversorgungsgrades für Grundnahrungsmittel in den Industrieländern haben auch die Entwicklungsländer Verständnis. Was sie mit Erbitterung zur Kenntnis nehmen, ist das Inkaufnehmen laufender, gewaltiger Überschußproduktionen. Die auch von Buchholz erwähnte Tatsache, daß die — mit hohen Subventionen — in den Weltmarkt gepumpten Überschüsse den Entwicklungsländern potentielle Märkte wegnehmen, ist ein besonders bedenklicher Aspekt einer falschen Agrarpolitik. Die Zuckerpolitik ist in krasses, aber nicht das einzige Beispiel in diesem Zusammenhang. Wie der „FAO-Commodity Review" feststellt, werden die EG-Zuckerüberschüsse auf dritten Märkten „mit Hilfe zunehmend steigender Exportsubventionen abdisponiert". Die Kosten dieser Verschleuderungspolitik allein für Zucker beliefen sich 1978 auf etwa 800 Millionen US-Dollar (gegen 414 im Jahr 1977). Entwicklungsländern, die nicht Mitglieder des Lome-Abkommens sind, die aber auf Zuckerexporte als Devisenbringer angewiesen sind, wurden durch die EG-Zuckerpolitik die Märkte genommen und die Preise verdorben.

Das Argument von der Notwendigkeit der Sicherstellung eines gewissen Selbstversorgungsgrades bietet keine überzeugende Begründung dafür, daß es immer noch nicht gelungen ist, alle Einfuhrhemmnisse für tropische Erzeugnisse (und zwar als Rohstoffe und in verarbeiteter Form) völlig abzubauen. Besonders passen die in weitem Umfange fort-geltenden Restriktionen für die Einfuhr verarbeiteter Agrarerzeugnisse nicht in das Konzept einer „weltoffenen und liberalen Handelspolitik" (Ertl). Die von den Industrie-ländern bisher für verarbeitete Produkte gemachten handelspolitischen Zugeständnisse werden von den Entwicklungsländern mit Recht als völlig unzureichend und als eklatanter Beweis dafür gewertet, daß es bei den „Reichen" im Grunde immer noch am politischen Wille fehle, den „Armen" eine faire Chance zum Aufbau arbeitsintensiver und devisenbringender Industrien zu geben. In dem auf dem Godesberger Kongreß im Namen des Präsidenten des Deutschen Bauern-verbandes, Constantin Freiherr Heereman, verlesenen Referat wird vor der Unterschätzung des politischen Risikos einer internationalen Arbeitsteilung gewarnt, und es wird als „kurzsichtig und unverantwortlich" bezeichnet, die auf dem Gebiet der Nahrungsversorgung bestehende „potentielle Unabhängigkeit leichtfertig aufs Spiel zu setzen". Das — von niemandem angefochtene — Konzept eines gewissen Selbstversorgungsgrades mit Grundnahrungsmitteln wird hochgespielt, wenn die Möglichkeit einer offenen Konfrontation im Nord-Süd-Konflikt erwähnt und gesagt wird: „Von einer Position der Stärke zu verhandeln, ist immer besser als umgekehrt."

Heereman erweckt den Eindruck, als ob irgend jemand die „schrankenlose Liberalisierung" des Agrarhandels fordere und bezeichnet gegenüber diesem — von niemandem vertretenen — Petitum die „ausreichende Berücksichtigung der zwingenden Nebenbedingungen, der . politischen Unsicherheit'und der . faktischen Verhältnisse'" als unerläßlich. Er spricht von „pragmatischen, auf die konkrete Situation zugeschnittenen Lösungen", ohne freilich auch nur andeutungsweise zu sagen, wo etwaige Kompromißmöglichkeiten liegen könnten.

Der Bauernverband ist sich natürlich der Tatsache bewußt, daß der Agrarprotektionismus in seinem gegenwärtigen Ausmaß nicht den Interessen der Gesamtgesellschaft und den Forderungen der Entwicklungsländer entspricht und damit immer unhaltbarer wird. Man spielt aber weiter auf Zeitgewinn und bietet an, den mit den Kirchen begonnenen Dialog zu den „noch offenen Grundsatzfragen" fortzusetzen „und gleichzeitig durch geduldige Aufklärungsarbeit in den eigenen Reihen die Basis für eine offenere entwicklungspolitische Haltung vorzubereiten"

Die Kirchen sollen an der Aufklärungsarbeit auf dem Lande mitwirken, um wenigstens eine „Politik der kleinen Schritte" treiben zu können („aus unserer Sicht der einzig richtige Weg").

Diese Haltung bedeutet praktisch, daß man für absehbare Zukunft nicht bereit ist, substantielle Zugeständnisse zu machen. Es erscheint hoffnungslos, von den Landwirten zu erwarten, daß sie einer weiteren Marktöffnung zustimmen. Die entscheidende Frage ist die, ob die anderen gesellschaftlichen Gruppen eine solche Taktik noch jahrelang hinnehmen werden. Es geht nicht um eine „schrankenlose Liberalisierung des Agrarhandels", vor der Heereman warnt, sondern um substantielle, entwicklungspolitisch wichtige Teilzugeständnisse. Die Gesamtgesellschaft muß diese — nötigenfalls gegen partikularistische Interessen — durchsetzen. Es ist freilich eine spannende Frage: „Was muß noch geschehen, damit in der Agrarpolitik etwas geschieht?"

In dem Arusha-Programm der „Gruppe der 77", welches auf einer Ministertagung im Februar zur Vorbereitung der fünften UNCTAD-Session (im Mai in Manila) beschlossen wurde, ist erneut die Eliminierung des Protektionismus bei Fertigwaren und Agrarprodukten als eine der wichtigsten Forderungen aufgestellt worden

X. Verschlechterung des Status quo?

Die Plädoyers für eine weitere Marktöffnung auf industriellem und landwirtschaftlichen Gebiet beinhalten selbstverständlich auch die These der Olfenhaltung der Märkte, d. h.der Erhaltung wenigstens des Status quo. Die insofern bestehenden ernsten Gefahren werden immer deutlicher. Eine Zeitungsüberschrift* „Die Grenzen werden dicht gemacht“ schockiert kaum noch, und man nimmt weithin mit Gleichgültigkeit die kontinuierliche Ausuferung des Brüsseler Protektionismus hin. Die erfindungsreichen Neo-Protektionisten arbeiten vorzugsweise mit nichttarifären Maßnahmen: z. B. mit problematischen Ursprungsregeln, „freiwilligen" Exportbeschränkungsmaßnahmen bzw. „orderly mar-keting agreements", Antidumpingverfahren, überspitzten Preisprüfungsverfahren und ganz allgemein mit raffiniert ausgeklügelten verwaltungsprotektionistischen Maßnahmen

Der Godesberger Kongreß der beiden Kirchen hat dazu beigetragen, das Problem der Marktöffnung bzw. -Offenhaltung transparenter zu machen. Konkrete Fortschritte waren nicht erwartet und sind nicht erreicht worden. Es bleibt zu hoffen, daß der begonnene Dialog weitergeht. Die Entwicklungsund Handels-politiker dürfen freilich für die von ihnen zu treffenden Entscheidungen nicht auf die Ergebnisse dieses Dialogs warten. Die fünfte UNCTAD-Session im Mai d. J. in Manila wird sie auch mit dem Problem der Marktöffnung konfrontieren. Das Gesamtproblem hat in besonders kompakter Form der Präsident der Weltbank, Robert S. McNamara, im September 1978 auf der Weltbank-Jahrestagung in Washington umrissen „. . . Unterstützung ist in erster Linie auf dem Handelssektor nötig. Gerade als die Entwicklungsländer ihre natürlichen komparativen Vorteile in bestimmten arbeitsintensiven Fertigindustrien zu entfalten begannen, erhob sich in der entwickelten Welt eine neue Woge des Protektionismus. Dies ist unangemessen und kurzsichtig zugleich, da den Entwicklungsländern dadurch die Verwirklichung der einzigen langfristigen Wirtschaftsstrategie verweigert wird, die ihre Abhängigkeit von ausländischer Unterstützung beenden kann .. . Wenn die Entwicklungsländer künftig mehr Güter und Dienstleistungen aus den OECD-Ländern importieren sollen — was sie tun müssen und auch wollen —, dann muß man ihnen umgekehrt auch zugestehen, mehr in diese Länder zu exportieren, um die für ihre Importe erforderlichen Devisen zu erwirtschaften."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Mit ihrem ökumenischen Dialogprogramm leisten die beiden Kirchen in diesem Zusammenhang einen überaus wichtigen Beitrag. Das auf drei Jahre angelegte Programm will „zu mehr Verständnis für die gemeinsame Verantwortung führen und Wege für entwicklungspolitisches Handeln aufzeigen" (so Karl Osner, Generalsekretär des Katholischen Arbeitskreises Entwicklung und Frieden). Auf dem in der Eingangsfußnote erwähnten Entwicklungspolitischen Kongreß der Kirchen im Januar d. J. (Teilnehmerzahl etwa 800) wurden der breiten Öffentlichkeit die ersten Ergebnisse des Dialogs bekanntgegeben. Der Kongreß war ein beachtlicher Erfolg, zumal er die Vorstufe zu einem eigenständigen Dialog zwischen den gesellschaftlichen Gruppen sein könnte. Es spricht für das Problembewußtsein der Veranstalter, wenn sie den Kongreß — wohl zu bescheiden — als „nur einen Schritt im Dialogprogramm“ bewerten (so Karl Osner).

  2. Pointiertester Vertreter der Gegenthese im deutschen Sprachbereich ist Dieter Senghaas, welcher für „Dissoziation", d. h. eine weitgehende Loslösung der Dritten Welt von den Industrieländern, plädiert. (Siehe sein Buch: Weltwirtschaftsordnung und Entwicklungspolitik, Frankfurt 1977. Senghaas faßt seine Thesen zusammen in Nr. V der entwicklungspolitischen Artikelserie der Neuen'Zürcher Zeitung, „Abkoppelung als entwicklungspolitische Devise", Fernausgabe 7. 9. 78.) Eine kurze kritische Würdigung der Thesen von Senghaas bringt die Rezension seines Buchs in der Neuen Zürcher Zeitung vom 17. 6. 1977: Plädoyer für eine . revolutionäre’ Entwicklungsstrategie. Kritisch auch: Hans-Jürgen Harborth, Demographie Implications of Autocentric Development, in: Intereconomics, Hamburg, No. 3/4, 1978.

  3. Siehe Rainer Offergeld vor der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungsländer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (Pressemitteilung 79/78 vom 20. 9. 78 des BMZ): „Die bei Kritikern immer beliebte Forderung, Schwerpunkte zu setzen, kann leicht überzogen werden. Gerade wegen der geringen Absorptionsfähigkeit vieler Entwicklungsländer sind Regeln nach dem Muster: . Nicht klek-kern, sondern klotzen’ nicht angemessen. Wir können mit unseren vergleichsweise bescheidenen Mitteln nur mit einer jeweils maßgerechten Politik einen optimalen Erfolg erwarten."

  4. Z. B. W. Saulheimer, Das „Goldene Bett" des BMZ, in: epd-Entwicklungspolitik 23/78.

  5. Al Imfeld, Eine gefährliche Mentalität, in: epdEntwicklungspolitik 23/78.

  6. Siehe die in Fußnote 3 zitierte Pressemitteilung des BMZ.

  7. Manfred Sollich, Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden, in: E + Z 11/78.

  8. Volle Zustimmung zum Stichwort Interdependenz verdient Hildegard Hamm-Brücher, wenn sie im Plenum des Entwicklungspolitischen Kongresses dazu folgendes bemerkte: „Wir haben nicht nur moralische Verpflichtungen, den armen und

  9. Dazu Otto Graf Lambsdorff: „Die Verständigung zwischen Nord und Süd ist nicht nur ein Gebot der Humanität; sie ist zuallermindest eine notwendige Bedingung für ein reibungsloses Funktionieren der Weltwirtschaft“ (in: LIBERAL, 11/78).

  10. Siehe FAZ, 29. 12. 78 („Importe helfen der Dritten Welt"). Nach den dort zitierten Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums nahm — bezogen auf den Kopf der Bevölkerung — der deutsche Markt bei der Einfuhr von Halb-und Fertigwaren hinter den Niederlanden zusammen mit Schweden den zweiten Platz ein. Die Niederlande importierten je Einwohner für 91 Dollar, die Bundesrepublik und Schweden jeweils für 84 Dollar. Dazu Lambsdorff, a. a. O. (Fußnote 10): „Die Erweiterung der industriellen Angebotspalette der Entwicklungsländer rückt den Nord-Süd-Handel des Typs . Industriegüter gegegen Industriegüter", statt wie bisher . Industriegüter gegen Rohstoffe", immer mehr in greifbare Nähe."

  11. Nicht direkt durch die Entwicklungshilfe, wie gelegentlich mißverständlich berichtet worden ist. — Nach einer Prognos-Studie (Christel Bergmann/Helge E. Grundmann, Arbeitsplatzsicherung durch Entwicklungshilfe-Kredite und Exporte in Entwicklungsländer, Basel 1978) flossen aus den Nettoleistungen der staatlichen deutschen Hilfe in Höhe von 3, 48 Mrd. DM im Jahr 1976 2, 3 Mrd. in Form von Aufträgen an die deutsche Wirtschaft zurück. Dadurch wurden 42 000 Arbeitsplätze gesichert. Siehe auch H. E. Grundmann; Auswirkungen der Entwicklungshilfe auf Exporttätigkeit, in: Wirtschaftsdienst, August 1978.

  12. Trade Prospects and Capital Needs of Delevop-ing Countries, 1976— 80, Unctad-Dokument TD/B/C. 3/134, 15. 4. 1976.

  13. John W. Sewell u. a. (Overseas Development Council, Washington), Can the Rich Prosper With-out the Progress of the Poor?, in: International Development Review, 1978/2.

  14. In diesem Zusammenhang ist das folgende Zitat aus einer Weltbankstudie von Interesse (Prospects for the Developing Countries, 1978— 1985, in: Development Policy Staff, The World Bank, November 1977): „Der internationale Zuschnitt der komparativen Kosten ist schneller Wandlung unterworfen. Die Entwicklungsländer werden zunehmend Lieferanten eines erweiterten Angebots von Fertigwaren. Gleichzeitig geht in den entsprechenden Sektoren der Industrieländer die Erzeugung und Beschäftigung zurück. Das entspricht an sich den Erwartungen der Wirtschaftsgeschichte und -theorie. Aber diese Entwicklung findet mit einer niemals dagewesenen Geschwindigkeit statt, und es ist nicht überraschend, daß es zu Friktionen und zu einer Abwehrhaltung kommt."

  15. H. -D. Genscher, in einem Vortrag („Perspektiven der deutschen VN-Politik") vor der Deutschen Gesellschaft für die VN, Bonn, 24. 10. 1978 (Bulletin, 26. 10. 1978).

  16. So Genscher am 14. 6. 1978 im OECD-Mini-sterrat (Bulletin, 16. 6. 78).

  17. Peter Hermes (Rede in Berlin), Herausforderung der Dritten Welt an die Industrieländer, in: Bulletin, 6. 5. 1978.

  18. Theodor Dams, Weltwirtschaft im Umbruch — Konfrontation oder Kooperation mit der Dritten Welt?, Freiburg—Würzburg 1978, S. 47 u, 49.

  19. Voller Text in: Materialien Nr. 60 des BMZ: Gewerkschaften und Entwicklungspolitik, Nov. 1978.

  20. „Charta", Ziff. 7.

  21. Siehe die in Fußnote 20 zitierten BMZ-Materialien, S. 57 ff. — Die Sozialklausel geht auf Empfehlungen des Kongresses der internationalen Textil-, Bekleidungs-und Ledervereinigung vom März 1976 in Dublin zurück.

  22. Siehe BMZ-Materialien Nr. 60, S. 59. — In einem Gespräch mit Helmut Schmidt am 15. 11. 1978 bezeichnete der Ministerpräsident von Singapur, Lee Kuan Yew, die EG-Textileinfuhrquoten als „eigensüchtig und kurzsichtig" und fügte hinzu: „Die Umstrukturierung veralteter Industrien wurde nur verschoben. Später wird der Prozeß noch schmerzhafter sein."

  23. Siehe BMZ-Materialien Nr. 60, S. 65 ff.

  24. Vetter weiter: „Wenn wir die Vollbeschäftigung als internationales Ziel erkennen, haben wir bis zum Jahre 2000 noch 1 Milliarde Arbeitsplätze zusätzlich zu schaffen."

  25. Wörtlich heißt es in dem Papier: „Es ist nicht tragbar, daß hochindustrialisierte Entwicklungsländer, deren einziger Kosten-und Standortvorteil gegenüber den Industrieländern in den Hungerlöhnen der Beschäftigten besteht, durch den Massen-absatz ihrer Güter in den Industrieländern Arbeitslosigkeit herbeiführen."

  26. Die Kompliziertheit dieses Konzepts, welches auf die „Sensibilität" der einzelnen Produkte für die Märkte der Industrieländer abstellt, wird durch den folgenden Passus aus dem Papier der Gewerkschaft Textil-Bekleidung illustriert: „Die jährlichen Steigerungsraten sind je nach Sensibili-

  27. Ansgar Skriver (Publik-Forum, 9. 2. 1979, S. 11) meint zu diesen — vom Verfasser auf dem Kongreß der Kirchen, vertretenen — Thesen, daß „ein Minimum an Menschlichkeit auch gegenüber den . Sachzwängen'der wirtschaftlichen Arbeitsteilung politisch durchgesetzt werden" müsse, über dieses Ziel dürfte allgemeine Übereinstimmung herrschen. Aber: Ist es nicht Sache der Entwicklungsländer, selbst zu definieren, was sie unter einem „Minimum an Menschlichkeit" verstehen? Können die Industrieländer mit ihren völlig verschiedenen Maßstäben gegenüber den souveränen Entwicklungsländern in sozialpolitischen Fragen eine Schiedsrichterrolle beanspruchen?

  28. Stuttgarter Zeitung vom 21. 12. 1978: Welttextilabkommen zeigt Erfolge.

  29. Helmut Schmidt auf den Hamburger Wirtschaftslagen der Friedrich-Ebert-Stiftung am 28. 4. 1978, Bulletin 8. 5. 1978.

  30. H. Wehner in der Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Verbandes Beratender Ingenieure VBI, Essen 1978. — Wehner schreibt dort ferner, daß „die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen ...der schlechteste Ratgeber für lautstarke Rufe nach Protektionismus und Dirigismus" sei. — An Formulierungen von Adam Smith erinnert folgende These Wehners: „Verkaufen kann man nur, wenn andere auch kaufen können. Durch vermehrte weltweite Arbeitsteilung kann der Wohlstand aller gesteigert werden.“

  31. R. Offergeld, Entwicklungshilfe sichert Arbeitsplätze auch in der Bundesrepublik, in: DSG-Betriebs-Zeitung, Frankfurt 9/10— 1978.

  32. ) Otto Wolff von Amerongen, Elemente für einen entwicklungspolitischen Grundkonsens — aus der Sicht der Unternehmer (Referat auf dem Kongreß der beiden Kirchen). Aus dem Referat verdienen auch die folgenden Sätze Hervorhebung: „Die deutsche Wirtschaft muß davon ausgehen, daß der zunehmende Importdruck der letzten Jahre auch in Zukunft anhalten wird. Sie unterstützt diese Strategie einer Einbeziehung der Entwicklungsländer in den internationalen Handel, auch wenn sie die Folgen am eigenen Leibe zu spüren bekommt. Sie darf für sich in Anspruch nehmen, „die größte Offenheit und Anpassungsbereitschaft gegenüber Entwicklungsländern aufzuweisen ... Ich bin auch der Meinung, daß wir per Saldo und über längere Zeit durch den verstärkten Warenaustausch mit Entwicklungsländern Beschäftigungsverluste erleiden. Aber wir können diesem Strukturwandel einfach nicht ausweichen. Jedes Konservieren von Struktur schafft noch größere Probleme. Die Probleme werden zusätzlich dadurch verschärft, daß die Exportausweitung der Entwicklungsländer sich gegenwärtig auf verhältnismäßig wenige Kategorien von Fertigprodukten beschränkt."

  33. M. Perez Guerrero, „Ein letzter Versuch" — Appell an die Reichen, in: Die Zeit, 8. 12. 1978. — Zur Marktöffnung meint Guerrero: „Die Entwicklungsländer können nicht dazu verdammt werden, ständig Rohstoffe zu exportieren, obwohl ihre Bevölkerung dringend Arbeitsplätze benötigt, die durch die Bearbeitung der Rohstoffe geschaffen werden könnten. Von selten der Industrieländer ist es unvernünftig, den freien Markt zu verteidigen und gleichzeitig den Fertigprodukten aus den Entwicklungsländern den Zugang zu ihren eigenen Märkten zu verwehren."

  34. A. a. O. (s. Fußnote 10).

  35. Siehe Kurzbericht über das Gutachten in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. 2. 1979 (Ho.) — Das Gutachten befaßt sich ausführlich mit der immer stärker werdenden Kritik an der Marktwirtschaft, insbesondere mit der Gefahr, daß die Funktionsbedingungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung immer mehr ignoriert werden. Bei richtiger Ausgestaltung biete die Marktwirtschaft auch bei der Bewältigung des Strukturwandels bessere Lösungen als die anderer bürokratischer Ordnungssysteme. Kernthese: „Wachsender Wohlstand und freie Betätigung werden als gegeben hingenommen, zusätzlich werden aber immer weitergehende Absicherungen des einzelnen gegenüber den wechselnden Marktlagen und sonstigen Garantien für den individuellen Besitzstand gefordert."

  36. So Ernst Günter Vetter in: Ohne Grundsätze zerfließt alles, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 2. 1979. — Vetter weist auf ein immer ernster werdendes Problem hin, nämlich das, ob mit einem anhaltenden Wachstum gerechnet werden kann. Während z. B. Graf Lambsdorff glaubt, strukturelle Schwierigkeiten im Rahmen anhaltenden Wachstums bewältigen zu können, äußert Biedenkopf Skepsis hinsichtlich des anhaltenden Wachstumspotentials einer reifen Volkswirtschaft. Dazu Vetter wörtlich: „Die Expansionskraft einer an Bedürfnissen gesättigten und mit hoher Kapitalausstattung bereits arbeitenden Volkswirtschaft muß nachlassen. Die Erschöpfung von Rohstoff-und Energiequellen setzt auch dem Innovationspotential Grenzen." — Es ist daher überaus problematisch, ob auf die „Medizin Wachstum" auch künftig noch Verlaß sein kann.

  37. S. Charta Ziff. 7 und 8.

  38. So Peter Hermes, a. a. O. (s. Fußnote 18).

  39. FAO Commodity Review and Outlook: 1977— 79, S. 11.

  40. Bulletin, 30. 1. 1979, S. 92.

  41. Hermann Priebe, Vom Getreidezoll bis zur grünen Währung — Hundert Jahre Agrarprotektion, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. 1. 1979.

  42. 166 der Sammlung Landwirtschaft — S. Heft Angewandte Wissenschaft: Zur Reform der Agrarpolitik der EWG, Hiltrup bei Münster (Westf.) 1973. — S. ferner O. Matzke, Die Dritte Welt und die Agrarpolitik der EG-Länder, Frankfurt 1974, mit zahlreichen Literaturhinweisen.

  43. S. die in Fußnote 40 zitierte FAO-Veröffent-lichung S. 12 - Nach fachlichen Schätzungen wird die Finanzierung der Milchmarkt-„Ordnung" im Jahre 1979 rund 12 Milliarden DM kosten.

  44. Constantin Freiherr Heereman, Elemente für einen entwicklungspolitischen Grundkonsens — Aus der Sicht des Deutschen Bauernverbandes, Dokument 13 des Entwicklungspolitischen Kongresses.

  45. S. dazu das vom ökumenischen Arbeitskreis Kirche und Entwicklung veröffentlichte Papier: Zwischenbilanz eines Dialogs der Kirchen mit dem Deutschen Bauernverband, Bonn 1978.

  46. Heereman wörtlich: „Kein Verband, auch nicht der Deutsche Bauernverband, kann eine Politik betreiben, die nicht von den Mitgliedern getragen wird. Ich spreche das hier ganz offen aus, um keine Illusionen zu wecken."

  47. So Hermann Priebe in dem in Fußnote 42 zitierten Artikel.

  48. Siehe: Das Arusha-Programm der „Gruppe der 77“, in: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe, 28. 2. 1979 (O. M.).

  49. Siehe den Artikel unter diesem Titel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung — Blick durch die Wirtschaft vom 6. 1. 1979, welcher eine vom Bundesverband des Deutschen Groß-und Außenhandels Ende 1978 herausgegebene „Dokumentation" zusammenfaßt. — Als Einzelbeispiel aus dieser „Dokumentation" ist der Hinweis darauf von besonderem Interesse, daß eine Vielzahl komplizierter und diskriminierender EG-Ursprungsregeln die vom Westen stets propagierte Arbeitsteilung zwischen den Entwicklungsländern erschwert, wenn nicht verhindert.

  50. Eine zusammenfassende Würdigung der Gefahren des Neo-Protektionismus bringt Bela Balassa, New Face for Protectionism, in: Report-News of the World Bank Group, Sept. /Okt. 1978.

  51. Zitiert nach Udo Kollatz, Entwicklungszusammenarbeit — Lehrstücke praktischer Politik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 50/78.

Weitere Inhalte