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Ursachen des Nationalsozialismus | APuZ 25/1980 | bpb.de

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APuZ 25/1980 Artikel 1 Ursachen des Nationalsozialismus Legendäres über die Gründerzeit der Bundesrepublik. Bemerkungen anläßlich eines neuen politischen Bestsellers Der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953. Ursachen, Verlauf und gesellschaftspolitische Ziele

Ursachen des Nationalsozialismus

Jürgen Kocka

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Erklärung des deutschen Faschismus als eine Konsequenz der kapitalistischen Krise um 1930 reicht nicht aus. Wichtige Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie und Praxis wären so nicht zu begreifen, und unklar bleibe überdies, warum sich der Faschismus in Deutschland, nicht aber in anderen westlichen Ländern mit fortgeschrittener kapitalistischer Wirtschaftsordnung durchsetzte. Zum einen erklärt sich die besondere deutsche Anfälligkeit für den Faschismus aus Faktoren, die mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg zusammenhingen. Zum anderen: Die Krise des privatwirtschaftlichen Wirtschafts-und bürgerlichen Gesellschaftssystems endete in Deutschland deshalb in der Katastrophe, weil sich aufgrund eines spezifi-sehen Weges der deutschen Modernisierung mehr als in anderen westlichen Ländern vor-bürgerliche Reste erhalten hatten. Weil die deutsche Gesellschaft nie wirklich eine bürgerliche gewesen war, schlug deren Krise in den zwanziger Jahren so abrupt in das anti-bürgerliche System des Faschismus um. Dies wird hier vor allem an der Sozial-und Bewußtseinsgeschichte ausgewählter Sozialgruppen, die überproportional in der NS-Bewegung vertreten waren, gezeigt, insbesondere an den Angestellten. Die vorindustriellen Traditionen und Reststrukturen, die den Umschlag der kapitalistisch-bürgerlichen Krise in den Nationalsozialismus ermöglichten, sind durch dessen Sieg, vor allem aber durch den zweiten Weltkrieg wesentlich geschwächt oder ganz beseitigt worden. Dies wird als eine der Bedingungen des Erfolgs des demokratisch-parlamentarischen Systems in der Bundesrepublik beschrieben. Die Ergebnisse der Analyse werden abschließend in aktuelle Diskussionen eingeordnet. Erstens: Es erscheint als historisch unrichtig, Nationalsozialismus und Sozialismus als nah benachbart oder ähnlich zu sehen. Zweitens: Ohne die Rolle der Person Hitlers zu leugnen, ist es wissenschaftlich interessanter und politisch wichtiger, jene Strukturen und Prozesse aufzuweisen, die Hitlers Erfolge ermöglichten. Drittens: Die Untersuchung bedient sich sowohl des Begriffs „faschistisch" wie des Begriffs „totalitär", die oft überscharf gegeneinander ausgespielt worden sind, in Wirklichkeit aber miteinander zur Analyse des Nationalsozialismus verknüpft werden können. Ein sorgsam definierter Faschismusbegriff erweist sich als unverzichtbar für die sozialgeschichtliche Untersuchung des Nationalsozialismus. Er kann die deutschen Besonderheiten auf dem Hintergrund allgemeiner, auch in anderen Ländern auftretender Zusammenhänge in den Blick rücken und ermöglicht den sozialgeschichtlichen Vergleich besser als der Totalitarismusbegriff.

Ob man den deutschen Nationalsozialismus als eine Spielart des Faschismus oder eine Form des Totalitarismus begreifen soll, ist seit langem Streitpunkt in einer wissenschaftlichen Debatte mit politischen Obertönen. Wie sehr der Nationalsozialismus der Person Adolf Hitler, wie sehr er geschichtlichen Strukturen und Prozessen zugerechnet werden muß, ist Gegenstand einer anderen Dauerdebatte. Ein dritter, vor allem außerhalb der Wissenschaft geführter, Streit ging in der letzten Zeit um das Verhältnis von Sozialismus und Nationalsozialismus. Zu diesen Debatten soll am Schluß dieses Artikels kurz Stellung genommen werden.

Zunächst aber soll eine vornehmlich sozialgeschichtliche Erklärung des Nationalsozialismus vorgetragen werden, die auf einer Vielzahl von Einzelforschungen und Reflexionen der letzten Jahre fußt. Sie ordnet den Nationalsozialismus in lange Traditionen der deutschen Geschichte ein, ohne seine neue Qualität gegenüber dem Vorhergehenden zu leugnen und ohne die Notwendigkeit seines Aufstiegs zu behaupten. Sie unterscheidet zwischen langfristig und kurzfristig wirkenden Ursachen. Sie erlaubt die Einordnung des Nationalsozialismus im internationalen Vergleich. Und sie bietet eine Basis, um auch nach seinen sozialen Folgen zu fragen und damit eine Perspektive für die Interpretation der Bundesrepublik als eines nach-faschistischen Staates zu gewinnen.

L

„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen." Dieses Diktum Max Horkheimers von 1939 hat in vielerlei Variationen in den Diskussionen der letzten Jahre eine große Rolle gespielt. Die These, daß auch der deutsche Faschismus eine Frucht der Krise des kapitalistischen Wirtschafts-und bürgerlichen Gesellschaftssystems war und mit einer gewissen Notwendigkeit aus dieser hervorging, wird in vielen einschlägigen Veröffentlichungen vertreten, ins-besondere von marxistischer Seite Grob zusammengefaßt, sind es vor allem drei Zusammenhänge, die darauf hindeuten, daß eine solche These gewisse Berechtigung besitzt:

1. Kein Zweifel kann bestehen, daß der Aufstieg des Nationalsozialismus durch die Wirtschaftskrise um 1930, die selbst aus den inneren Widersprüchen des privatwirtschaftlichen Systems erklärt werden kann, deutlich gefördert worden ist. Die wirtschaftliche Wachstumsverlangsamung und die Reduzierung der Unternehmergewinne am Ende der zwanziger Jahre verschärften den Verteilungskampf und erschwerten den ohnehin schwierigen Verteilungskompromiß. Daß die letzte parlamentarische Regierung 1930 an einem sozialpolitischen Konflikt zerbrach, ist symptomatisch Die strukturell bedingte, d. h. schon vor dem Niedergang der Konjunktur relativ hohe (1929: 9 Prozent) Arbeitslosigkeit, die 1932 die Zahl von knapp sechs Millionen oder 30 Prozent erreichte, der durch die Brüningsche Deflationspolitik beschleunigte Lohn-und Gehaltsverfall seit 1930, der schließlich ausgeprägter war als der allgemeine Preisrückgang — all das war Ausfluß der Krise des privatwirtschaftlichen Systems und zugleich eine wichtige Bedingung des Aufstiegs des Nationalsozialismus.

Daraus resultierten Not und Enttäuschung, oft auch Hoffnungslosigkeit und Mißtrauen gegenüber den etablierten politischen Kräften. Dadurch lockerten sich die herkömmlichen politischen Bindungen und Identifikationen, wodurch eine neue Protestbewegung wie die Hitlers überhaupt erst die Chance der Massenwirksamkeit erhielt. Die Wirkungen der Krise erleichterten den Sieg des Nationalsozialismus auch dadurch, daß sie die Arbeiterbewegung, besonders die Gewerkschaften, in den Jahren 1929 bis 1933 erheblich schwächten. So nahm die Zahl der Streiks bei wachsender Not in diesen letzten Jahren der Weimarer Republik deutlich ab. Gewerkschaften und SPD fanden sich gezwungen, den Abbau der sozialen Leistungen und Lohnreduktionen stillschweigend zu tolerieren. Und als Papen und dann Hitler zu ungesetzlichen Schlägen auf sozialdemokratische Machtpositionen und schließlich zur Zerschlagung von KPD, SPD und Gewerkschaften ausholten, erhob sich kaum Widerstand, zeigte sich diese Millionen-organisation wie gelähmt. Darin kam etwas von der Demoralisierung und der Entmutigung dieser Krisenjahre zum Vorschein, die zur Erschütterung des Selbstbewußtseins, der Klassensolidarität und der im übrigen nie sehr ausgeprägten Kampfbereitschaft geführt hatten 2. Einen zweiten Beleg für den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Krise und Faschismus kann man im politischen Verhalten der Kapitalbesitzer und Unternehmer sehen.

Zweifellos hat sich nur eine Minderheit von Unternehmern auch nur einigermaßen mit dem Weimarer System identifiziert. Die meisten von ihnen standen dem Parlamentarismus und dem demokratischen Wahlrecht eher skeptisch gegenüber, sie kritisierten den Ausbau der Sozialpolitik, und sie lehnten den seit dem Kaiserreich stark gewachsenen gewerkschaftlichen Einfluß ab. Ihre mangelnde Unterstützung für die erste deutsche Republik war denn auch ihr wichtigster Beitrag zum Aufstieg des Nationalsozialismus. Die direkte Unterstützung der NSDAP durch Unternehmer und Unternehmergruppen war dagegen bis 1932 äußerst begrenzt. Sieht man von einzelnen wie Adolf Kirdorf und Fritz Thyssen ab, so bestand in der „Wirtschaft" wenig Sympathie für die sozial-radikale Klein-Partei, die sich nicht ganz ohne Grund national-sozialistisch nannte. Die Finanzhilfen hielten sich auch noch nach 1930 sehr in Grenzen, besonders wenn man bedenkt, daß die großen Unternehmen und Unternehmerverbände meist mehrere Parteien (außer der KPD) finanziell unterstützten, um über mehrere Drähte gleichzeitig zu verfügen. Doch nahmen die Geldzuwendungen nach 1930 zu; und in den letzten Monaten vor der Machtergreifung scheinen besonders schwerindustrielle Gruppen, aber auch Bankenvertreter ihren Einfluß zunehmend für Hitler in die Waagschale geworfen zu haben. Weniger die Angst vor der KPD oder einer kommunistischen Revolution veranlaßte die Unternehmer dazu, mehr die Hoffnung, Hitler werde die Gewerkschaften und den Parlamentarismus zurückdrängen, die Ordnung wiederherstellen und wirtschaftspolitische Bedingungen schaffen, die es den Unternehmern erlauben würden, aus den roten Zahlen herauszukommen und erneut zu expandieren. Nachdem die Partei eine mächtige Massenpartei geworden war, fand sie also die kräftige und nicht zu unterschätzende Unterstützung vieler Unternehmer, die dann — wie viele andere — auf diesen Wagen aufsprangen und die ihnen weniger zusagenden Aspekte der Bewegung nachsahen oder unterschätzten 3. Drittens wird die These vom Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Fachismus gestützt, wenn man auf einige wichtige Ergebnisse nationalsozialistischer Politik 1933 bis 1939 blickt. Die organisierte Arbeiterschaft traf der Zugriff des sich etablierenden totalen Staats mit voller Kraft Sie wurde aufgelöst oder in Gliederungen der NSDAP eingebaut. Das alte Führungspersonal wurde entmachtet, verfolgt, zum Teil vernichtet, jedenfalls ausgetauscht. Die Ideologie der Arbeiterbewegung wurde bekämpft. Wenn verschiedene faschistische Bewegungen etwas gemeinsam haben, dann ihre anti-sozialistische, anti-marxistische, anti-kommunistische Stoßrichtung und ihre anti-bolschewistische Kampfideologie. Selbständige, freie Gewerkschaften, Tarif-und Streikrecht hat noch kein faschistisches System toleriert. Im Vergleich dazu wurden die Unternehmerorganisationen mit Glacehandschuhen angefaßt. Zwar kam es auch hier zu organisatorischen Umwandlungen; und in Konfliktfällen ließen die neuen politischen Führer wenig Zweifel, wer der Herr war. Doch gab es — sieht man von der sogenannten . Arisierung", dem Verdrängen der Juden aus dem Wirtschaftsleben, ab — wenig Personalwechsel; die größeren Industriellen und ihre Organisationen behielten bemerkenswerte Selbständigkeit (im Vergleich zu anderen Gruppen). Im großen und ganzen kam das Wachs-tum der sich früh auf einen späteren Krieg ausrichtenden Wirtschaft sehr viel mehr den Unternehmern zugute als den Arbeitnehmern: Die Reallöhne hoben sich nur ganz langsam aus ihrem Tiefpunkt von 1932; viele Arbeiter waren zufrieden, überhaupt wieder Beschäftigung zu haben; mächtige gewerkschaftliche Organisationen fehlten, die eine Umverteilung zuungunsten der Arbeitnehmer hätten verhindern können. Viel stärker wuchsen die Einkommen aus Kapitalbesitz und Vermögen; die Gewinne und damit die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen nahmen zu

Von diesem Aufschwung profitierten die großen Unternehmen, deren Konzentration fortschritt, mehr als die kleinen, die Produktionsgüterindustrien mehr als die Konsumgüterindustrien, und am meisten von allen die rüstungswichtigen Großunternehmen wie die IG Farben, die Vereinigten Stahlwerke oder die großen Elektrokonzerne. Die Schwächung der Arbeitnehmer und die relative Stärkung der Unternehmer war auch in den einzelnen Unternehmen beobachtbar. Das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit'1 von Anfang 1934 ließ keinen Zweifel an der Führerrolle der Unternehmer. Es degradierte die Betriebsvertretungen der Arbeiter zu relativ machtlosen, nur beratenden Organen, bestätigte allerdings auch die Eingriffsmöglichkeiten des Staates und der staatlich ernannten „Treuhänder der Arbeit".

Diese Schonung, diese Vorteile gewährten die neuen Herrscher den Kapitalisten und Unternehmern nicht aus Zuneigung und natürlich nicht etwa, weil sie die politischen Befehls-empfänger der wirtschaftlich Mächtigen waren. Sondern weil Hitler und seine Helfer ziemlich genau wußten, daß sie eine starke, effiziente Wirtschaft zur Erfüllung ihrer mittelfristigen und langfristigen Ziele brauchten, sowohl — zunächst — zur dringend notwendigen Behebung der Arbeitslosigkeit wie auch, später, zur Vorbereitung des Kriegs und zur Erkämpfung von „Lebensraum" und germanischer Herrenstellung

Es läßt sich also einiges dafür sagen, daß der deutsche Nationalsozialismus ein Produkt der Krise der damaligen kapitalistischen Wirtschafts-und bürgerlichen Gesellschaftsordnung war, wenn auch keineswegs bewiesen und eher unwahrscheinlich ist, daß die Machtergreifung 1933 die einzige Möglichkeit war, um jene Krise zu überwinden. Zweifellos aber bestand auch eine der wichtigsten Wirkungen des NS-Systems darin, die wirtschaftliche und soziale Krise jenes Systems durch Terror und Repression, durch Propaganda und ökonomischen Aufschwung zu bändigen und durch vielerlei Staatseingriffe mitzuhelfen, die Wirtschaft anzukurbeln, ohne doch andererseits die Staatseingriffe — jedenfalls mittelfristig — soweit zu treiben, daß die privatwirtschaftliche Grundstruktur in Frage gestellt worden wäre.

II.

Trotzdem greift die Erklärung, die den deutschen Faschismus als eine notwendige Spätgeburt des Kapitalismus in der Krise analysiert, zu kurz. Sie repräsentiert bestenfalls die Hälfte der Wahrheit; d. h., sie ist falsch, wenn sie sich als die ganze Wahrheit ausgibt. Auch dafür, in aller Kürze, drei Gründe:

1. Es gibt eine ganze Reihe von zentralen Bestandteilen nationalsozialistischer Politik, auch Wirtschaftspolitik, die nicht als Folge kapitalistischer Interessen oder kapitalistisch-bürgerlicher Systemerhaltungsimperative hinreichend erklärt werden können. Zum Beispiel: Die Forcierung der Rüstung nach 1936 führte zu Ansätzen einer Staatsverwaltungswirtschaft und zur Anspannung des Arbeitsmarktes in einem Ausmaß, das auch mächtigen Interessenvertretungen der Industrie keineswegs genehm war und deren Wi-derspruch herausforderte. Ein anderes Beispiel: Die Hitlersche Außenpolitik mit ihrem geradezu besessenen Streben nach „Lebensraum" im Osten ist nicht hinreichend aus wirtschaftlichen Interessen oder aus Selbsterhaltungsbestrebungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu erklären. Vielmehr gewann der außenpolitische Expansions-und Aggressionsdrang in der damaligen Politk ein gewisses Primat und ordnete sich wirtschaftspolitische und interessenmäßige Erwägungen unter. Schließlich eine dritte Bemerkung: Gerade die unmenschlichsten Züge der nationalsozialistischen Diktatur, vor allem ihre Ausrottungspolitik gegenüber den Juden, läßt sich in keiner Weise aus Interessen der Kapitalbesitzer oder aus der Logik des kapitalistischen Systems erklären

2. In der Ideologie und, wenn auch geringer, in der Praxis des Nationalsozialismus, gab es, stärker vor 1933 als nachher, eine Reihe von Elementen, die schlechtweg als anti-kapitalistisch und anti-bürgerlich, als anti-hierarchisch und anti-konservativ bezeichnet werden müssen. Es würde nicht schwerfallen, die klassenkämpferisch-populistischen Elemente in der Programmatik der Nationalsozialisten und in der Politik der nationalsozialistischen Basis aufzuzeigen. Auch die ständisch-restaurativen Elemente im nationalsozialistischen Programm — Reagrarisierung, „Blut und Boden" -Mythos, mittelständischer Antikapitalismus, etc. — standen in starker Spannung zu den Grundprinzipien und Werten einer modernen kapitalistisch-bürgerlichen Ordnung

3. Am wichtigsten und durchschlagendsten aber ist dies: Faschistische Bewegungen siegten in Deutschland und Italien, nicht aber in England und USA, also gerade nicht in jenen Nationen, in denen der Industriekapitalismus am weitesten entwickelt und die bürgerliche Gesellschaft am klarsten etabliert waren, obwohl auch in England und in den USA die Wirtschaftskrise einbrach, in USA übrigens sogar schärfer und länger als in Deutschland. Deshalb vor allem kann man den Faschismus nicht als Folge der kapitalistisch-bürgerlichen Krise hinreichend erklären, denn eine solche gab es ja auch in anderen westlichen Ländern, die gleichwohl nicht zur Beute des Faschismus wurden. Es ist deshalb notwendig, zur Erklärung nach Faktoren zu suchen, die in Deutschland, nicht aber in den USA und Großbritannien wirksam waren.

III.

Sucht man nach solchen deutschen Besonderheiten, dann wird man zuerst an den verlorenen Ersten Weltkrieg und seine Folgen denken. Ohne den Ersten Weltkrieg, der näher als jeder Krieg zuvor an einen totalen Krieg herankam und der die Gesellschaftsstruktur und das gesellschaftliche Bewußtsein geradezu aufwirbelte, wären der deutsche und der italienische Faschismus nicht entstanden. Aus dem übersteigerten, aggressiven, hochgeputschten und schließlich enttäuschten Nationalismus des Weltkriegs gingen jene vielen kleinen nationalistischen, völkischen, radikalen Grüppchen hervor, die ihre Herkunft aus dem Krieg schon dadurch zeigten, daß sie militärische Aktionsformen pflegten und viele im Krieg entwurzelte deklassierte Existenzen in ihren Reihen hatten. Eine dieser kleinen radikalen, meist antisemitischen Grüppchen war die Deutsche Arbeiterpartei, in die der selbst zutiefst durch Weltkrieg, Fronterlebnis und Niederlage geprägte Adolf Hitler 1919 eintrat und aus der später die NSDAP wurde.

Die NSDAP hat wie andere faschistische Bewegungen in ihrem Führungspersonal und in ährer Mitgliedschaft viele Deklassierte und Entwurzelte gehabt, die durch den Krieg aus «der Bahn geworfen worden waren und in der bürgerlichen Gesellschaft nie mehr richtig Fuß faßten. Ihre militärische Traditionslinie offenbarte die NS-Bewegung natürlich auch in ihren angeschlossenen para-militärischen Organisationen, insbesondere in der SA und SS, aber auch in der Verehrung militärischer Embleme (Uniformen, Fahnen) und in der Betonung von Soldatentugenden, Soldatenkameradschaft, Kampfgeist und Führer-Gefolgschafts-Beziehungen in Ideologie und Organisation. Die nationalsozialistische Massenbewegung adaptierte die in der deutschen Geschichte bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg starken, durch den Ersten Weltkrieg ausufernden militärischen Traditionen unter einem kleinbürgerlich-plebejischen, antikon7 servativen Vorzeichen. Verkörperung des neuen Militarismus war nicht mehr der Monokel tragende adelige Gardeoffizier, sondern der SA-Mann im braunen Uniformhemd

Doch der Weltkrieg trug auch in anderer Beziehung zur Vorbereitung des Nationalsozialismus bei. Er bahnte einer Verwilderung der Sitten, einer Umwertung der Gewalt, einer merklichen Brutalisierung des öffentlichen Lebens und einer gewissen Desintegration alter Traditionen den Weg. Er führte zu einer bis dahin unerhörten Mobilisierung und Aktivierung der Massen und damit zu neuartigen Manipulationsund Herrschaftsmechanismen quasidemokratischer Art. Das politische Leben durchbrach die starren Strukturen des erfolglosen Obrigkeitsstaats. Neben neuen Demokratisierungschancen entstanden dadurch neue demagogische Möglichkeiten. Mehr als zuvor hatte die Politik jetzt mit den Massen zu rechnen, und Hitler zog daraus seine Konsequenzen. Der schon im Ersten Weltkrieg beobachtbare Aufschwung des Antisemitismus als weitverbreitete Hysterie und als leicht anwendbares Manipulationsinstrument steht in diesem Zusammenhang

Der Verlust des Krieges führte überdies bekanntlich zu großen Gebietsverlusten Deutschlands, zur Erklärung der alleinigen deutschen Kriegsschuld, zu exorbitant hohen Reparationsverpflichtungen und zu Souveränitätseinschränkungen vieler Art. Anders als nach 1945 wurde die deutsche Niederlage von 1918 nie akzeptiert, das „Diktat von Versailles" wurde über alle Klassen-und Schichtgrenzen hinweg abgelehnt. Es wurde zum Ausgangspunkt einer heftigen Kampagne rechtsgerichteter Kreise gegen die Republik, da deren Vertreter den Versailler Vertrag widerstrebend und unter dem Ultimatum der Sieger unterschrieben hatten. Sie wurden als „Erfüllungspolitiker" und als Verräter an der nationalen Sache verhöhnt und beleidigt. So belasteten Krieg und Niederlage die neue Republik. Ein auf Revision der Nachkriegssituation drängender, vehementer Nationalismus schwoll an, der, wie schon vor 1914, mit anti-parlamentarischen, anti-demokratischen und anti-sozialistischen Komponenten durchsetzt war, und auf dessen Woge später die Nazi-Bewegung nach oben schwamm

Schließlich startete der Krieg eine Inflation, die 1923 ihren Höhepunkt erreichte. Zu ihren Verlierern gehörten insbesondere die kleinen und mittleren Mittelstände — Angestellte, Beamte, kleine Selbständige, auch Freiberufliche. Mehr als in anderen Ländern brachte der Krieg einen Rückgang der realen Massenverdienste, Wachstumsstörungen und damit soziale Spannungen, die für die Entstehung einer radikalen Protestbewegung günstig waren Man muß bedenken: Während in den USA der Einbruch der Weltwirtschaftskrise auf eine lange Periode relativ erfolgreichen Wachstums folgte, wurde die Krise 1929— 33 in Deutschland von vielen als dramatische Verschärfung einer schon vorher latent krisenhaften Entwicklung, einer Dauerkrise so-zusagen, erfahren Inflation, Wachstums-verlangsamung, Massenverarmung und die vielseitigen Störungen des internationalen Wirtschaftslebens waren aber zum guten Teil eine Folge des Krieges und — in Deutschland — der Niederlage.

IV.

Doch wäre es problematisch, in der Vorgeschichte des Nationalsozialismus die Zeit seit dem Ersten Weltkrieg allzusehr zu betonen.

Längst vor 1914 zeigten sich Besonderheiten der deutschen Gesellschaftsgeschichte, die in vergleichbaren anderen Ländern fehlten und die den späteren Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigten. Um dies zu diskutieren, ist es zunächst noch einmal nötig, einen Blick auf die Jahre unmittelbar vor der Machtergreifung zu werfen. Welches waren die sozialen Gruppen, die die Massenbasis des aufsteigenden Nationalsozialismus vor allem ausmachten, welches waren seine Mitglieder, Wähler und Sympathisanten?

Es ist keine Frage, daß unter den Mitgliedern der NSDAP 1925 bis 1933 der sogenannte „Mittelstand", die Angestellten, die Handwerker und Kleinkaufleute überrepräsentiert, Lohnarbeiter dagegen unterrepräsentiert waren. 1930 etwa waren von den 400 000 NSDAP-Mitgliedern 28 Prozent Arbeiter, 26 Prozent Angestellte, 21 Prozent Selbständige, 14 Prozent Bauern und 8 Prozent Beamte. Wenn man in Rechnung stellt, daß die erwerbstätige Bevölkerung sich aus 46 Prozent Arbeitern, 12 Prozent Angestellten, 9 Prozent Selbständigen, 10 Prozent Bauern und 5 Prozent Beamten zusammensetzte, dann wird klar, daß der Selbständigen-und der Angestelltenanteil in der NSDAP mehr als doppelt so hoch war wie ihr Anteil an der Bevölkerung, während der Arbeiteranteil in der NSDAP nur gut halb so hoch war wie der Arbeiteranteil an der Bevölkerung. Auch unter den Wählern der NSDAP waren dieselben sozialen Gruppen unter-bzw. überrepräsentiert. Was als Arbeiterpartei gegründet worden war, hatte bei der meist sozialdemokratisch und kommunistisch, zum Teil auch am katholischen Zentrum orientierten Arbeiterschaft nur wenig Anklang gefunden, um so mehr beim „neuen" und „alten Mittelstand". Auch unter den Wählern der NSDAP waren dieselben sozialen Gruppen über-bzw. unterrepräsentiert. Diese Aussagen gelten natürlich nur in groben Zügen. In Wirklichkeit war das Sozialprofil der NSDAP-Mit-glieder und -Wähler viel differenzierter: Mehr Protestanten als Katholiken, mehr Norddeutsche als Süddeutsche, mehr jüngere als ältere Leute und mehr Klein-und Mittelstädter als Großstädter unterstützten die aufsteigende Bewegung. Doch lassen wir diese Differenzierungen jetzt beiseite

Die Frage nach den Ursachen der mittelständischen Basis des Nationalsozialismus führt auf die große Bedeutung hin, die die doppelte ideologische Frontstellung des Nationalsozialismus für seinen Aufstieg hatte. Was gerade die jüngeren Handlungsgehilfen des großen Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes und viele andere Angestellte zur Hitler-Bewegung zog, das war, daß ihrer Unzufriedenheit hier zum ersten Mal eine geradezu radikale Protestmöglichkeit gegen die herrschenden Zustände geboten wurde, ohne sie gleichwohl in die sozialistisch orientierte Einheitsfront der Arbeitnehmer einzuverleiben. Der Nationalsozialismus bot die Möglichkeit, zugleich einerseits radikal und anti-elitär, gegen Kapitalisten und „Bonzen" zu sein und andererseits scharf anti-sozialistisch, national und sogar standesgemäß aufzutreten. Diese Janusköpfigkeit der NS-Bewegung — ideologisch reaktionär und revolutionär zugleich zu sein — machte sie für große Teile der wachsenden Gruppe der Angestellten, so scheint es, attraktiv. — Ähnlich erklärt sich die Neigung vieler Mitglieder des „alten (selbständigen) Mittelstands" zum Nationalsozialismus. Den Antikapitalismus der kleinen Handwerker und Händler nahm die NSDAP geschickt auf, sprach ihn an, natürlich nicht unter marxistischem Vorzeichen. Die NSDAP bot den kleinen Selbständigen einen ideologischen Rahmen, in dem sie militant und konservativ, antikapitalistisch und antisozialistisch zugleich sein konnten

Aber woraus resultierte, sozialgeschichtlich gefragt, diese Unzufriedenheit und dieses Protestpotential, das unter bestimmten Bedingungen zur sozialen Basis einer rechtsradikalen Massenbewegung werden konnte? Hier nun kommt ein für meine Argumentation entscheidener Punkt, und um einen ohnehin sehr komplizierten Sachverhalt etwas zu vereinfachen, konzentriere ich mich jetzt — beispielhaft — auf die Angestellten.

Sie litten zweifellos in der Weltwirtschaftskrise Not, erfuhren Verdienstrückgang, Arbeitslosigkeit und Unsicherheit — doch weniger als die Arbeiter. Ihre Unzufriedenheit war ohnedies nicht erst eine Folge der Weltwirtschaftskrise. Schon lange vor 1930 hatten sie sich organisiert und ihre Proteste formuliert, zunehmend unter rechtsgerichtetem Vorzeichen. Sie klagten über ihre „Proletarisierung" und die „Nivellierung" des Unterschieds zwischen der eigenen Stellung und der Stellung des Proletariats, zu dem sie sich ja ganz betont nicht zählten. Sie sahen den einstmals größeren Vorsprung ihrer Gehälter vor den Arbeiterlöhnen etwas dahinschmelzen, beobachteten, wie bestimmte sozialpolitische Vorteile, die sie traditionell den Arbeitern vorausgehabt hatten, abbröckelten (etwa Arbeitsplatzsicherheit) oder von den Arbeitern aufgeholt wurden (Urlaub). Sie sahen, wie ihre Lebenssituation zunehmend der der gelernten Arbeiter ähnlicher wurde — und dies erlebten sie als relativen Abstieg, als Bedrohung, als Frustration, die leicht in Protest umschlagen konnte. Das Problem ist nicht so sehr, daß die Angestelltensituation der Arbeitersituation ähnlicher wurde — das geschah im 20. Jahrhundert in den entwickelten Industrieländern überall, auch dort, wo, wie in den USA, diese speziellen mittelständischen Proteste der Angestellten nicht oder kaum auftraten. Das Problem ist vielmehr, warum die Angestellten dies als „Proletarisierung" und Bedrohung erlebten und in Protest umsetzten. Weil, so möchte ich argumentieren, in Deutschland traditionell im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Angestellten aus der Arbeiterschaft besonders deutlich herausgehoben, besonders deutlich von dieser abgesetzt und unterschieden waren. Als „Privatbeamte" und „Handlungsgehilfen", mit kleinen Privilegien in den Unternehmen und in der Sozialpolitik, seit 1911 mit einer eigenen Sozialversicherung und einem separaten Arbeitsrecht — so abgehoben, definierten sie sich geradezu dadurch, nicht Arbeiter zu sein, fühlten sie sich als Teil des Bürgertums und durch eine Kluft vom Proletariat getrennt. Nicht so übrigens in anderen Ländern, etwa USA, wo die Unterscheidung zwischen „white collar" und „blue collar" nicht diese Schärfe und soziopolitische Relevanz hatte wie die Linie zwischen Angestellten und Arbeitern in Deutschland. Als nun diese, in Deutschland sozial und politisch besonders relevante Unterscheidungslinie in Frage gestellt und verwischt wurde, da entstand daraus ein Potential sozialen Pro-tests, das die neue rechtsradikale Bewegung später speiste. Es entstand, weil die Statusdifferenz zwischen Angestellten und Arbeitern einst objektiv und subjektiv relativ deutlich gewesen war, weil traditionell hierarchische Erwartungen im Bewußtsein der Betroffenen weiterwirkten, obwohl diese Erwartungen zunehmend mit der soziökonomischen Realität in Konflikt gerieten.

Warum aber war jene Statusdifferenz, jene Unterscheidungslinie zwischen Angestellten und Arbeitern in Deutschland schärfer, starrer und bedeutsamer geworden als etwa in den USA, so daß in Deutschland bestimmte, an sich überall auftretende, sozialökonomische Entwicklungen zu größeren Reibungen und Protesten führten als anderswo? Diese Eigenart der deutschen Sozialgeschichte läßt sich als Konsequenz der industriekapitalistischen Entwicklung selbst nicht hinreichend erklären. Vielmehr zeigt sich hier das kräftige Fortwirken vorindustrieller, vorkapitalistischer Traditionen ständischer und bürokratischer Art: Daß sich kaufmännische Angestellte so scharf von den Handarbeitern absetzten, hing mit ihrer Orientierung an zunehmend irrealen ständischen Vorbildern zusammen, die auch in ihrem Vereins-und Verbandswesen Niederschlag fanden. Bürokratische Vorbilder prägten die Erwartungen, das Verhalten und das Verbandswesen vieler Angestellter in der Industrie und in den Dienstleistungsunternehmen. Die Selbstbezeichnung „Privatbeamter" reflektierte das. Auch hierdurch gewann die Unterscheidungslinie zwischen Arbeitern und Angestellten an Schärfe und sozialer Bedeutung. Bis in die Gesetzgebung hinein wirkten sich diese ständischen und bürokratischen Traditionen aus, wie sich am Angestelltenversicherungsgesetz von 1911 zeigen ließe, das die Unterscheidung zwischen Angestellten und Arbeitern dauerhaft rechtlich zementierte. In den meisten anderen Ländern fehlt eine entsprechende sozialrechtliche Fixierung des Arbeiter-Angestelltenunterschieds. Vor allem in den USA, wo ständische und bürokratische Traditionen kaum eine Rolle spielten und deshalb eine interessante Kontrastsituation zu Deutschland gegeben ist, unterblieb diese Verfestigung des Arbeiter-Angestellten-Unterschieds. Damit war dort die Basis für die in Deutschland so mächtigen mittelständischen Proteste in der Angestelltenschaft viel weniger gegeben als in Deutschland

Dies ist hier nicht weiter auszuführen. Was hier an dem Beispiel der Angestellten gezeigt werden sollte, genauso gut aber am Beispiel der Handwerker oder am Beispiel der Bauern hätte demonstriert werden können, ist dies: Will man die Massenbasis und damit die Aufstiegsmöglichkeit des deutschen Faschismus sozialgeschichtlich erklären, dann kann man sicherlich nicht übersehen, daß es die krisenhaften Erscheinungen oder auch einfach die immer weiter fortschreitende Entwicklung des industriekapitalistischen Wirtschafts-und bürgerlichen Gesellschaftssystems waren, die zu Spannungen und Konflikten führten, welche unter bestimmten Bedingungen die rechtsradikale Protestbewegung speisten. Doch ebenso wichtig ist dies: Die sozioökonomischen Krisenerscheinungen und Modernisierungsfolgen wurden zur Quelle solch vehementen Protests nur, weil sie mit fortwirkenden Traditionen vorkapitalistischer und vor-bürgerlicher Herkunft zusammenprallten. Die Krise des privatwirtschaftlichen Wirtschafts-und bürgerlichen Gesellschaftssystems endete in Deutschland deshalb in der Katastrophe, weil sich aufgrund eines spezifischen Weges der deutschen Modernisierung mehr als in den anderen westlichen Ländern vorkapitalistische und vorbürgerliche, obrigkeitsstaatliche, feudale und ständische Überbleibsel erhalten hatten. Man könnte fast sagen: Weil die deutsche Gesellschaft nie wahrhaft eine bürgerliche Gesellschaft gewesen war, schlug deren Krise, als sie in den zwanziger Jahren auftrat, in das nachbürgerliche, anti-bürgerliche System des Faschismus um. Der Zwittercharakter des deutschen Nationalsozialismus — zugleich antimodern und dynamisch, antikapitalistisch und antisozialistisch, reaktionär und revolutionär zu sein — erklärt sich aus diesem Zusammenhang Horkheimers anfangs zitiertes Diktum ist nicht falsch. Aber man kann mit gleichem Recht sagen: „Wer von vorindustriellen, vorkapitalistischen und vorbürgerlichen Traditionen nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen."

Diese These, die die Anfangshypothese vom Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus deutlich modifiziert, habe ich hier an den Angestellten exemplifiziert. Sie wäre leicht an anderen Gruppen und Institutionen zu demonstrieren. Nur ganz kurz: Es ist ja allgemein bekannt, daß die Machtergreifung erst möglich wurde, als es der neuen nationalsozialistischen Rechten gelang, sich mit der alten Rechten, Teilen der konservativen Eliten in Industrie, Großlandwirtschaft, Militär und Bürokratie zu verbünden. Sichtbare Stationen auf dem Weg zu dieser Allianz waren 1929 die Zusammenarbeit der NSDAP und konservativer Gruppen wie „Stahlhelm" und „Landbund" auf der gemeinsamen Plattform der „nationalen Opposition" gegen die Annahme des Young-Plans, der die Reparationsfrage neu regelte und den die Regierung mangels besserer Alternativen unterstützte; die „Harzburger Front" von 1931; die Unterstützung, die Hitlers Kanzlerkandidatur seit den letzten Monaten des Jahres 1932 seitens konservativer Partei-und Interessenvertreter, hoher Offiziere und Beamten erfuhr; und schließlich das erste Kabinett Hitler/Hugenberg, dem bekanntlich nur drei Nationalsozialisten, aber acht Konservative, mit enger Verbindung zu Großindustrie, Großlandwirtschaft, DNVP und Reichswehr angehörten. Emphatische Demonstration dieses Bündnisses, in dem Hitler seine konservativen Partner dann allerdings schnell ausmanövrierte, war der „Tag von Potsdam" am 21. März 1933. über diese wichtige Rolle gewichtiger Teile der konservativen Führungsschichten bei der „Machtergreifung" Hitlers — auf der Seite der Arbeiterbewegung gab es bis zur „Machtergreifung" nichts Vergleichbares — darf die Betonung der mittelständischen Massenbasis des Nationalsozialismus nicht hinwegtäuschen. Die „Mittelstandsthese" darf keine falsche Entlastungsfunktion haben. Die verschiedenartigen Gründe und Motive hinter der zunächst sehr zögernden, zuletzt aber entscheidenden Unterstützung für Hitler in Teilen der deutschen Führungsschichten wurden oben angedeutet; sie waren vielfältig. Im Zusammenhang der hier vertretenen Argumentation aber ist besonders wichtig, daß sich in Teilen der deutschen Führungsschichten eine eigenartige Mischung zwischen Modernität und Rückständigkeit erhalten hatte: Produkt einer Entwicklung, in der schnellste ökonomische Modernisierung zum Industriestaat ohne gleichzeitige soziopolitische Radikalreform stattgefunden hatte. Die große Macht der Junker im industriellen Deutschland, die Feudalisierungstendenzen im Großbürgertum; die außerordentliche Macht von Bürokratie und Militär in einem Staat, der nie eine erfolgreiche bürgerliche Revolution erlebt hatte und der von oben geeinigt worden war-, die soziale und politische Allianz von aufsteigendem Bürgertum und sich immer noch haltendem Agraradel gegen ein dadurch scharf ausgegrenztes Proletariat; die dadurch bedingte antiparlamentarische, antidemokratische und antiliberale Ausrichtung großer Teile der deutschen Führungsschichten — all das fiel in der Wirtschaftsund Sozialkrise um 1930 verhängnisvoll ins Gewicht. Die große Rolle der Agrarier in der Endphase der Weimarer Republik ist in diesem Zusammenhang besonders aufschlußreich. Der deutsche Weg der ökonomischen Modernisierung ohne gründliche soziale Liberalisierung und politische Demokratisierung rächte sich jetzt

Dies wäre auch an den politischen Institutionen, an der politischen Kultur und an den herrschenden Ideologien zu zeigen. Der bis 1918 abgeblockte Parlamentarismus, dessen Geburt in Deutschland mit dem Kainszeichen der nationalen Niederlage versehen war, war weder eingeübt noch akzeptiert genug, um von den anschwellenden sozialen Konflikten nicht gesprengt zu werden. Die Parteien waren nach Struktur und Ideologie aufgrund langer Traditionen für die Kunst des parlamentarischen Interessenausgleichs schlecht geeignet, sie stahlen sich denn auch bald aus der Verantwortung, versagten beim Kompromiß und überließen die Macht dem Reichspräsidenten. Kleine starke Interessengruppen hinter den Kulissen und die fanatisierte Politik der Straße füllten das so entstehende Vakuum aus. Die lange obrigkeitsstaatliche Blockierung einer liberal-demokratischen Verfassungsentwicklung rächte sich hier

Und was die politische Kultur angeht: Bürgerliche Tugenden wie individuelle Verantwortung, Bereitschaft zum Risiko und zum ratio-nalen Interessenausgleich, Toleranz und Einsatz für individuelle und kollektive Freiheiten — all das war in Deutschland jedenfalls traditionell weniger entwickelt als in Westeuropa und USA. Die antiliberalen Ideologien der Zwischenkriegszeit fanden hier einen guten Nährboden

V.

Wenn man so den deutschen Faschismus als Produkt der kapitalistisch-bürgerlichen Krise im fortwirkenden vorkapitalistischen und vor-bürgerlichen Rahmen analysiert, so ergeben sich Hypothesen über die Langzeitfolgen des deutschen Nationalsozialismus, die ich jetzt nur noch andeute. Eine Reihe der traditionellen Belastungen, die den deutschen Nationalsozialismus allererst mit hervorbrachten, wurden durch diesen selbst, durch den Krieg und den Zusammenbruch beseitigt oder doch geschwächt. Die soziale Klasse der ostelbischen Agrarier ist verschwunden. Obrigkeitsstaatliche und militaristische Traditionen wurden zutiefst diskreditiert. Die vor-industriekapitalistischen Traditionen im Kleinbürgertum und in den angestellten Mittelschichten sind fühlbar schwächer geworden. Bestimmte Belastungen der Verfassungsstruktur gehören der Vergangenheit an. Die Basis des traditionellen Widerstands gegen Modernität und Liberalität, die das NS-System allererst ermöglicht hat, wurde von dessen Dynamik, vom Krieg und vom Zusammenbruch letztlich mitabgebaut. Auch deshalb hatte der nach Hitler unternommene zweite Versuch, ein liberal-demokratisches Gesellschafts-und Verfassungssystem zu realisieren, weniger Widerstände zu überwinden als der erste von 1918/19. Daraus erklärt sich mit, warum das demokratisch-parlamentarische System der Bundesrepublik nunmehr schon über 30 Jahre besteht, länger, als die Weimarer Republik und das Dritte Reich zusammen. Daß bestimmte Traditionen der unbürgerlichen Illiberalität weiterwirken und krisenbedingt wieder stärker hervortreten könnten, ist gleichwohl nicht auszuschließen. Daß der Traditionsbruch durch Diktatur, Krieg und Zusammenbruch auch Belastung und Verlust bedeutet, kann hier nicht weiter ausgeführt werden

VI.

Die Diskussion um die Gründe der „deutschen Katastrophe" (Friedrich Meinecke) beschäftigt die Historiker seit langem. In der letzten Zeit sind dabei drei Kontroversen in den Vordergrund getreten. Zum einen ist heiß umstritten, ob es erlaubt bzw. angemessen sei, den Nationalsozialismus als eine Spielart des umfassenderen Phänomens „Faschismus" zu analysieren, oder ob es angemessener bzw. ob es überhaupt legitim sei, den Nationalsozialismus als einen Fall des umfassenderen Phänomens „Totalitarismus" aufzufassen Zum andern geht es um die Frage, wie stark die Person Adolf Hitlers als Ursache zu gewichten ist bzw. wie sehr andererseits der Aufstieg und Sieg des Nationalsozialismus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen und Prozessen zuzurechnen ist Und schließlich wurde zuletzt, stärker im Bereich der politisch-ideologischen Auseinandersetzung als in der Diskussion der Historiker, die Frage des Verhältnisses von Sozialismus und Nationalsozialismus, auch in bezug auf dessen Entstehungsbedingungen, debattiert

Die in diesem Artikel zusammengefaßten Forschungsergebnisse sprechen eindeutig dagegen, Nationalsozialismus und Sozialismus als nah benachbart zu sehen. Zweifellos gab es in der Ideologie — und zum kleineren Teil auch in der Praxis — des Nationalsozialismus gewichtige egalisierende, antikapitalistische, antibürgerliche und antikonservative Elemente. Sie wurden oben als „populistisch" bezeichnet und als wichtige Bedingung der Massen-wirksamkeit des Nationalsozialismus gewertet. Ihre Einordnung als „sozialistisch" verbietet sich. Zu eindeutig waren sie nämlich von völkisch-rassistischen, antisemitischen Komponenten durchsetzt und aus den freiheitlich-demokratischen und aufklärerischen Traditionen herausgelöst, in denen der demokratische Sozialismus — im Unterschied zum Stalinismus und zur kommunistischen Diktatur überhaupt — steht. Was die soziale Basis der nationalsozialistischen Bewegung betrifft, so gab es zwar schon vor 1933 keine soziale Gruppe, die unter den Wählern und Mitgliedern der NSDAP gar nicht vertreten gewesen wäre, und keine politische Partei, die nicht Stimmen an die NSDAP verloren hätte. Aber es ist eindeutig, daß Arbeiter sehr viel weniger NS-anfällig waren als Bürger, Bauern und Führungsschichten, obwohl sich die Propaganda der „Nationalsozialistischen Arbeiter-Partei“ zunächst vor allem auf sie gerichtet hatte; dies hing damit zusammen, daß sich der Sozialismus und der Kommunismus länger als resistent gegenüber der ideologischen und propagandistischen Sogkraft des Nationalsozialismus erwiesen als die verschiedenen liberalen und konservativen Strömungen. Es war insofern ganz symptomatisch, daß nicht die liberalen, konservativen und christlichen Parteien im März 1933 gegen Hitlers „Ermächtigungsgesetz" stimmten, sondern nur die SPD; die KPD war schon verboten.

Blickt man weg von der „Bewegungsphase" und hin auf die „Systemphase", also auf den Nationalsozialismus nach seiner Machtergreifung, dann sieht man, daß von einer sozialistischen Praxis keineswegs zu sprechen ist. Es gab zwar viel Gleichschaltung, aber mehr Chancengleichheit für die breite Bevölkerung gab es nicht. Die Grundprinzipien der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wurden von den Nazis nicht angetastet, aber Sozialisten und Kommunisten wurden verfolgt. Aus all diesen Gründen: Wer von den Nazis als „nationalen Sozialisten" spricht und damit Nationalsozialismus und Sozialismus nahe zusammenrückt, fällt nachträglich auf die propagandistische Selbstdarstellung der NSDAP herein und verwischt einen fundamentalen Unterschied.

Dieser Artikel hat keinen Beitrag zum Verhältnis von Strukturen und Personen in der Geschichte und Vorgeschichte des Nationalsozialismus geleistet. Er kann nicht beanspruchen, eine umfassende Erklärung des Nationalsozialismus zu sein. Es wäre absurd, die große Rolle Hitlers zu leugnen, und im Grunde tut dies auch niemand. Doch es läßt sich viel dafür sagen, daß es wissenschaftlich interessanter und politisch vernünftiger ist, jene wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Strukturen und Prozesse aufzuweisen, die Hitlers Erfolg erst möglich machten. Ableiten kann man einzelne Personen, Handlungen und Ereignisse aus den ihnen zugrundeliegenden Strukturen und Prozessen zwar nie ganz; die Notwendigkeit des Siegs des Nationalsozialismus läßt sich nicht beweisen. Aber einzelne Personen, Handlungen und Ereignisse soweit wie möglich auf die sie bedingenden und teilweise erklärenden Strukturen und Prozesse zurückzuführen, darin besteht wohl der Kern wissenschaftlicher Beschäftigung mit der Geschichte

Die vorstehende Zusammenfassung einiger Forschungsergebnisse zur Entstehung des Nationalsozialismus hat sich sowohl des Begriffs „faschistisch" wie des Begriffs „totalitär" bedient, in der Meinung, daß sie bei der Analyse des Nationalsozialismus durchaus miteinander verknüpft werden können und sollen. Ein sinnvoll definierter Totalitarismus-Begriff betont am Nationalsozialismus dessen diktatorische Negation liberal-demokratischer Verfassungsprinzipien wie den Verzicht auf Minderheitenschutz, die systematische Verletzung von Menschen-und Bürgerrechten bis hin zum Terror, die Aufhebung der Gewaltenteilung und die Zerstörung der Mehr-Parteien-konkurrenz. Er betont seine institutionalisierte Ideologie mit Ausschließlichkeits-und Totalitätsanspruch wie auch seine Tendenz zur Mediatisierung gesellschaftlicher Gruppen und zur allumfassenden, gleichschaltenden Massenmobilisierung. Dadurch wird am Nationalsozialismus das betont, was er in der Tat mit anderen — eben, so definiert, totalitären —-Systemen, z. B. mit der stalinistischen Sowjetunion, gemeinsam hatte Damit wird eine wichtige Erfahrung dieses Jahrhunderts auf den Begriff gebracht: die doppelte Bedrohung liberaler Demokratie — soweit sie überhaupt bisher mühsam und überall unvollkommen durchgesetzt worden ist — durch moderne Antidemokraten von links und rechts. Doch der Hauptnachteil dieses Ansatzes besteht darin, daß er Systeme zusammenrückt, die sich nach sozialökonomischen Entstehungsbedingungen, Klassenbasis und sozialen Folgen scharf unterscheiden, ohne diese Unterschiede genügend thematisieren zu können.

Wie im Fall von „Totalitarismus" wird der Begriff des „Faschismus" in verschiedenen Bedeutungen und oft sehr vage gebraucht. Der Begriff des Faschismus, wie er hier verwandt wurde, hebt am Nationalsozialismus zwar auch dessen anti-liberaldemokratische, totalitär-diktatorische Elemente hervor. Zugleich aber betont er dessen sozialgeschichtliche Bedingungen, Inhalte und Funktionen, vor allem seine Bedingtheit durch Krisenerscheinungen kapitalistisch-bürgerlicher Systeme seit dem Ersten Weltkrieg, seine in Klassen-und Schichtungskategorien beschreibbare „soziale Basis", in der unter Druck geratene Mittel-schichten vorwiegen, die Abhängigkeit seines Durchbruchs von der Hilfestellung bzw. Koalition bisheriger, sich durch Parlamentarisierung, Demokratisierung oder soziale Reformen in Frage gestellt sehender Führungsgruppen (trotz seiner populistisch-revolutionären Elemente), seine antisozialistische, antikommunistische Stoßrichtung in Entstehungs-und Systemphase sowie seinen jedenfalls kurz-und mittelfristig unbestreitbaren Beitrag zur Stabilisierung kapitalistischer Grundprinzipien. Dadurch wird das betont, was „linke" und „rechte" Diktaturen unterscheidet und den Nationalsozialismus mit dem italienischen fascismoMnd — der Tendenz nach — mit anderen Faschismen jedenfalls der Zwischenkriegszeit verbindet

Ein so gefaßter Begriff von Faschismus teilt nicht die fatale Schwäche manches anderen

Faschismusbegriffs, keine scharfe Abgrenzung faschistischer Bewegungen und Systeme von liberaldemokratischen Bewegungen und Systemen zu geben. Er nimmt die wichtigsten Bestimmungen des Totalitarismusbegriffs in sich auf. Er ist, darauf lief die Argumentation dieses Artikels hinaus, durchaus in der Lage, die Rolle vorindustrieller, vorkapitalistischer, anti-bürgerlicher Elemente zu thematisieren und er regt zur Frage nach den sozialgeschichtlichen Eigenarten der deutschen Entwicklung an. Er stellt sich der Frage, warum der Faschismus in Deutschland durchbrach, aber nicht in den westlichen Demokratien. Insofern entzieht er sich der berechtigten Kritik, die an anderen Faschismusbegriffen geübt werden mag

Zur Einordnung des Nationalsozialismus in seinen gesellschaftsgeschichtlichen Zusammenhang ist ein solcher Zugriff wohl unverzichtbar und dem sozialgeschichtlich unergiebigen Totalitarismusbegriff überlegen. Besser als dieser erlaubt er es, zwischen den sehr ungleichen Beiträgen zu differenzieren, die einzelne Klassen und Schichten zum Aufstieg des Nationalsozialismus geleistet haben und die Frage nach der ungleichen Verteilung von Vorteilen und Nachteilen in der Systemphase zu stellen, also die sehr ungleiche Betroffenheit der verschiedenen Klassen, Gruppen und Schichten durch die nationalsozialistische Diktatur zu thematisieren. Letztlich muß der Faschismusbegriff allerdings seine Nützlichkeit im Vergleich verschiedener faschistischer Bewegungen und Systeme erweisen. Diese noch nicht voll bewältigte Aufgabe geht weit über die Möglichkeiten dieses Artikels hinaus.

Fussnoten

Fußnoten

  1. M. Horkheimer, Die Juden in Europa, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 8, 1939, S. 115— 37, hier S. 116.

  2. Z. B. in dem einflußreichen Taschenbuch: R. Kühnl, Formen bürgerlicher Herrschaft Liberalismus — Faschismus, Reinbek 1971. Vgl. als Überblicke über die theoretische Diskussion: W. Wippermann, Faschismustheorien, Darmstadt 2. Aufl. 1975; A. Kuhn, Das faschistische Herrschaftssystem und die moderne Gesellschaft, Hamburg 1973; R. Saage, Faschismustheorien, München 1976. — Eine sehr gute Auseinandersetzung ist: H. A. Winkler, Die „neue Linke“ und der Faschismus: Zur Kritik neomarxistischer Theorien über den Nationalsozialismus, in: ders., Revolution, Staat, Faschismus, Göttingen 1978, S. 65— 117. Vgl. auch E. Hennig, Bürgerliche Gesellschaft und Faschismus in Deutschland, Frankfurt 1977.

  3. Bekanntlich war der Streit über die Frage, wie das mit der Krise entstandene Defizit in der staatlichen Arbeitslosenversicherung zu decken sei, der Anlaß, der die Große Koalition sprengte, auf die sich die Regierung Hermann Müller stützte. Sie trat am 27. März 1930 zurück. Die auch Industrieinteressen vertretende Deutsche Volkspartei (DVP) wollte den bisherigen Versicherungsbeitrag von je 3, 5 % für Arbeitgeber und Arbeitnehmer beibehalten, die mit den Gewerkschaften eng verbundene SPD forderte eine Erhöhung auf 4%. Ein Kompromiß kam nicht zustande. Damit hörte das parlamentarische System auf zu funktionieren. Denn die nun folgenden „Präsidialkabinette" unter Heinrich Brüning (ab 30. 3. 1930), Franz von Papen (ab 1. 6. 1932) und Kurt von Schleicher (ab 3. 12. 1932) konnten sich nicht mehr auf parlamentarische Mehrheiten stützen, sondern regierten mit der Autorität des Reichspräsidenten. Der Reichstag duldete das. Er war zu zerstritten, um sich auf eine von der Mehrheit getragenen Politik zu einigen. Vgl. K. D. Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalis-mus, Köln/Berlin 1969, S. 185— 218.

  4. D. Petzina, Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, Wiesbaden 1977. Eine gute Einführung ist weiterhin: W. Fischer, Deutsche Wirtschaftspolitik 1918— 1945, 3. Auflage., Opladen 1968. Wirtschaftsgeschichtlich im internationalen Maßstab: C. P. Kindleberger, Die Weltwirtschaftskrise, 1929/1939, München 1973. Zuletzt vor allem K. Borchardt, Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre: Zur Revision des überlieferten Geschichtsbildes. Vorabdruck aus: Bayerische Akademie der Wissenschaften, Jahrbuch 1979, München 1979, S. 1— 47. Borchardt betont, wie klein der wirtschaftspolitische Handlungsspielraum der deutsche Regierungen 1930— 1932 gewesen sei. Er weist insofern die häufige Kritik der Historiker an Brünings „Krisen-Management" zurück. Solche Kritik zuletzt zusammengefaßt bei W. Jochmann, Brünings Deflationspolitik und der Untergang der Weimarer Republik, in: D. Stegmann u. a. (Hrsg.), Industrielle Gesellschaft und Politisches System. Beiträge zur politi-

  5. Zu diesem kontroversen Thema vgl. eine ostdeutsche Position bei E. Czichon, Wer verhalf Hitler zur Macht? Zum Anteil der deutschen Industrie an der Zerstörung der Weimarer Republik, Köln 1972; eine Gegenposition vertritt H. A. Turner, Jr., Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1972, bes. S. 9— 32; ders., Großunternehmertum und Nationalsozialismus 1930— 1933, in: Historische Zeitschrift, Bd. 221, 1975, S. 18-— 68. Dazu wiederum kritisch D. Stegmann, Kapitalismus und Faschismus in Deutschland 1929— 1934, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie, Bd. 6, Frankfurt 1976, S. 19— 91; ders., Antiquierte Personalisierung oder sozioökonomische Faschismustheorie? Eine Antwort auf H. A Turners Kritik an meinen Thesen zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Großindustrie vor 1933, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 17, 1977, S. 275— 96. Jetzt wieder kritisch gegen Stegmann: V. Hentschel, Weimars letzte Monate. Hitler und der Untergang der Republik, Düsseldorf 1978, S. 102— 138. Der unmittelbare Einfluß der Unternehmer auf die Entscheidungen 1930— 33 wird m. E. von Czichon und Stegmann überschätzt, von Turner wohl am besten abgewogen und von Hentschel etwas unterschätzt (u. a. weil er die wirtschafts-, sozial-und parteiengeschichtliche Einbettung unterläßt). — K. Borchardt, Zwangslagen, a. a. O., S. 13— 23, hat der Diskussion indirekt eine neue Dimension insofern hinzugefügt, als er zeigen konnte, daß in der wachstumsgestörten Wirtschaft der Weimarer Republik die Verteilung zwischen Kapital-und Unternehmereinkommen einerseits und Löhnen, Gehältern und Sozialleistungen andererseits im Vergleich zu der Zeit vor 1914/18 und der Zeit nach 1933 bzw. 1945 außerordentlich ungünstig für Unternehmer-und Kapitaleinkommen war (als Folge von sozial-und lohnpolitischen Entscheidungen, vor allem am Anfang der Weimarer Republik). Damit hingen, so Borchardt, die weit unterdurchschnittliche Investitionsquote und hohe Arbeitslosigkeit zusammen. Er diagnostiziert eine Strukturkrise, so muß man folgern, in deren Licht manchen Unternehmer-Forderungen (z. B. nach Lohnabbau, längerer Abeitszeit und Beschränkung der sozialen Leistungen) ökonomische Rationalität nicht abzusprechen ist und mancher Unternehmer-Widerstand gegen gewerkschaftliche Politik und Sozialstaat ökonomisch einsehbar wird. Natürlich läßt sich so weder erklären noch gar rechtfertigen (und Borchardt tut das auch nicht), warum Unternehmer schließlich mit der nationalsozialistischen Lösung der Krise sympathisierten. Über Borchardt hinaus wird man überdies fragen müssen, ob nicht in anderen Ländern (England zum Beispiel) ähnliche Verteilungsungleichgewichte bestanden, ohne daß die dortigen Unternehmer derart systemkritische Konsequenzen daraus zogen wie in Deutschland. Man wird überdies den generellen Befund von Borchardt sehr nach Branchen differenzieren müssen,

  6. Im Licht der Argumentation von Borchardt (siehe letzte Anmerkung) erscheint diese Umverteilung zugunsten der Kapital-, Besitz-und Unternehmer-einkommen, die schon in der Krise vorangetrieben und unter der Herrschaft des Nationalsozialismus fortgesetzt und befestigt wurde, als ökonomisch notwendige Korrektur. Allerdings folgt aus Borchardts Analyse nicht, daß diese „Korrektur" nur mit faschistisch-totalitären Mitteln möglich war und daß sie in dieser Form kommen mußte. Im übrigen siehe die kritischen Bemerkungen am Ende der letzten Anmerkung.

  7. Als Einstieg informativ und zuverlässig die einschlägigen Abschnitte von K. Borchardt u. W. Fischer, in: H. Aubin u. W. Zorn (Hrsg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts-und Sozialgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1976, S. 703— 720, 817— 832 (mit ausführlichen Literaturangaben). T. W. Mason, Sozialpolitik im Dritten Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, Opladen 1975; A. Schweitzer, Big Business in the Third Reich, Bloomington 1964; C. Bettelheim, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus, München 1974; A. S. Milward, Die deutsche Kriegswirtschaft, 1939— 1945; D. Swatek, Unternehmenskonzentration als Ergebnis und Mittel nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik, Berlin 1972; eine DDR-marxistische Perspektive bei D. Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939— 1945, Bd. 1, Berlin, 2. Aufl. 1971.

  8. Vgl. M. Broszat, Der Staat Hitlers, München 1969; D. Petzina, Autarkiepolitik im Dritten Reich, Stuttgart 1968; T. W. Mason, Der Primat der Politik. Politik und Wirtschaft im Nationalsozialismus, in: Das Argument, Nr. 41, 1966, S. 473— 94; ders., Primat der Industrie?, in: ebd., Nr. 47, 1968, S. 193— 209. Zum Kriegsausbruch jetzt W. Deist u. a., Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik, Stuttgart 1979; W. Benz u. H. Graml (Hrsg.), „Sommer 1939". Die Großmächte und der Europäische Krieg, Stuttgart 1979. — U. D. Adam, Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1972.

  9. Vgl. einführend Kap. I. u. II. von D. Schoenbaum, Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches 1933— 1939, Köln 1968.

  10. Vgl. W. Sauer, National Socialism: Totalitaria-nism or Fascism?, in: American Historical Review, Bd. 73, 1967/68, S. 404— 24; W. Horn, Führerideologie und Parteiorganisation in der NSDAP (1919— 1933), Düsseldorf 1972. Den Zusammenhang zwischen Erstem Weltkrieg und Nationalsozialismus betont auch E. Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action francaise. Der italienische Faschismus. Der Nationalsozialismus, München 1963.

  11. Teilaspekte behandeln: D. Stegmann, Zwischen Repression und Manipulation: Konservative Macht-eliten und Arbeiter-und Angestelltenbewegung 1910— 1918. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der NSDAP, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 12, 1972, S. 351— 432-, W. Jochmann, Die Ausbreitung des Antisemitismus, in: W. E. Mosse (Hrsg.), Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916— 1923, Tübingen 1971, S. 409— 510. Die hier angedeuteten Veränderungen sind Voraussetzungen der Möglichkeit effektiver charismatischer Herrschaft, wie sie dann von Hitler verwirklicht wurde. Sie sind strukturelle Bedingungen dafür, daß die Person des „Führers" so wichtig werden konnte. Vgl. zu den strukturellen Voraussetzungen der so entscheidenden Rolle Hitlers jetzt vor allem: M. R. Lepsius, From Fragmented Party Democracy to Government by Emergency Decree and National Socialist Takeover: Germany, in: J. J. Linz u. A. Stepan (Hrsg.), The Breakdown of Democratic Regimes: Europe, Baltimore u. London 1978, S. 34— 79, hier S. 61— 65.

  12. Vgl. F. L. Carsten, Reichswehr und Politik 1918— 1933, Köln 1964; R. M. Lepsius, Extremer Nationalismus. Strukturbedingungen vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, Stuttgart 1966.

  13. Die Erforschung der Wirkungen der deutschen Inflation ist neu in Bewegung gekommen. Vgl. dazu O. Büsch u. G. D. Feldman (Hrsg.), Historische Prozesse der deutschen Inflation, Berlin 1978. Dabei dürfte sich herausstellen, daß die Auswirkungen der Inflation auf die verschiedenen mittelständischen Gruppen sehr verschiedenartig war. Vor allem litten Besitzer von Geldvermögen und darauf ruhenden Rentenansprüchen; in der Inflation wuchsen die nominalen Gehälter langsamer als die nominalen Löhne, sodaß die durchschnittliche Differenz zwischen Löhnen und Gehältern zurückging. Aus der älteren Literatur vor allem: F. Eulenburg, Die sozialen Wirkungen der Währungsverhältnisse, in: Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik in Stuttgart 1924 (= Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 170), München 1925, S. 87— 108.

  14. Vgl. R. Vierhaus, Auswirkungen der Krise um 1930 in Deutschland. Beiträge zu einer historisch-psychologischen Analyse, in: V. Conze u. H. Raupach (Hrsg.), Die Staats-und Wirtschaftskrise des Deutschen Reichs 1929/33, Stuttgart 1967, S. 155— 175.

  15. Zur sozialen Zusammensetzung der NSDAP-Mitgliedschaft vgl. J. Noakes u. G. Pridham (Hrsg.), Documents on Nazism, 1919- 1945, London 1974, S. 112 f.; W. Schäfer, NSDAP. Entwicklung und Struktur der Staatspartei des Dritten Reiches, Hannover 1956, S. 17, 19; sowie zuletzt: B. Moore, Jr., In-justice. The Social Bases of Obedience and Revolt, London 1978, S. 400- 411. Moore vergleicht den Anteil von männlichen Angestellten in der gesamten Bevölkerung mit dem Anteil von männlichen Angestellten in der NSDAP (die bekanntlich vornehmlich eine Männer-Partei war) und kommt damit zu Zahlen, die eine noch höhere Über-Repräsentation der Selbständigen und der Angestellten in der NSDAP anzeigen. - Auch die Analysen der NS-Führungsgruppen zeigen eine deutliche Überrepräsentation von Angestellten. Vgl. z. B. B. E. Döblin u. C. Pohly, The Social Composition of the Nazi Leadership, in: American Journal of Sociology, Bd. 51, 1945/46, S. 42- 49, bes. 47. - Die beste Zusammenfassung der Forschung zur Zusammensetzung der NSDAP-Wählerschaft bis 1933 ist: J. W. Falter, Wer verhalf der NSDAP zum Sieg? Neuere Forschungsergebnisse zum parteipolitischen und sozialen Hintergrund der NSDAP-Wähler 1924- 1933, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, B 28- 29/79, 14. Juli 1979, S. 3- 21, bes. S. 13- 19. - Siehe auch Th. Childers, The Social Bases of the National Socialist Vote, in: Journal of Contemporary History, Bd. 11, 1976, Nr. 4, S. 17- 42 (zeigt, daß die NSDAP besonders ab 1930 den „neuen Mittelstand“ erreichte, während sie vorher bereits stärker vom „alten Mittelstand“ gewählt worden war). Siehe auch H. A. Winkler, Mittelstandsbewegung oder Volkspartei? Zur sozialen Basis der NSDAP, in: W. Schieder (Hrsg.), Faschismus als soziale Bewegung. Deutschland und Italien im Vergleich, Hamburg 1976, S. 97- 118; Winkler, Extremismus der Mitte? Sozial-geschichtliche Aspekte der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1972, S. 175- 191; wd. in: ders., Liberalismus und Antiliberalismus. Studien zur politischen Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 1979, S. 205- 217.

  16. Zum „alten Mittelstand" vgl. neben den soeben zitierten Aufsätzen von Winkler auch dessen Buch: Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus, Köln 1972. Zu den Angestellten: J. Kocka, Angestellte zwischen Faschismus und Demokratie. Zur politischen Sozialgeschichte der Angestellten: USA 1890— 1940 im internationalen Vergleich, Göttingen 1977, S. 49— 57 (Überblick über den Forschungsstand zur politischen Sozialgeschichte der deutschen Angestellten bis 1933). Danach erschienen: H. Speier, Die Angestellten vor dem Nationalsozialismus. Ein Beitrag zum Verständnis der deutschen Sozialstruktur 1918— 1933, Göttingen 1977 (die derzeit beste Synthese); H. -J. Priamus, Angestellte und Demokratie. Die nationalliberale Angestelltenbewegung in der Weimarer Republik, Stuttgart 1980.

  17. Dazu ausführlich und mit Belegen Kocka, Angestellte zwischen Faschismus und Demokratie, besonders Kap. E.

  18. VgL zu dieser Interpretation generell bereits E. Bloch, Erbschaft dieser Zeit (1935), erweiterte Neuausgabe Frankfurt 1962, S. 104— 42, wd. in: E. Nolte (Hrsg.), Theorien über den Faschismus, Köln 1967, S. 182— 204; R. Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965; s. auch Th. Nipperdey, Probleme der Modernisierung in Deutschland, in: Saeculum, Bd. 30, 1979, S. 292— 303.

  19. Vgl. generell und mit zahlreichen Literaturhinweisen H. A. Winkler, Die „neue Linke“ und der Faschismus, bes. S. 74— 83; H. Rosenberg, Die Pseudodemokratisierung der Rittergutsbesitzerklasse, in:

  20. Vgl. K. D. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, Villingen 1955 (Neudr.

  21. VgL dazu die in Anm. 19 zitierten Werke von Stern u. Sontheimer sowie: G. L. Mosse, The Grisis of German Ideology: Intellectual Origins of the Third Reich, New York 1964; H. Glaser, Spießer-Ideologie, Freiburg 1964; L. Krieger, The German Idea of Freedom. History of a Political Tradition (1957), Chicago 1972. Zuletzt J. J. Sheehan, German Liberalism in the 19th Century, Chicago 1978; auch K. D. Bracher, Europa in der Krise. Innengeschichte und Weltpolitik seit 1917, Frankfurt 1979, S. 119 ff.

  22. Zum Gesamtkomplex ausführlicher J. Kocka, 1945: Neubeginn oder Restauration? in: C. Stern u. H. A Winkler (Hrsg.), Wendepunkte deutscher Geschichte 1848— 1945, Frankfurt 1979, S. 141— 168.

  23. Verschiedene Totalitarismus-Begriffe finden sich vorgestellt bei B. Seidel u. S. Jenkner (Hrsg.), Wege der Totalitarismus-Forschung, Darmstadt 1968; M. Funke, Totalitarismus. Ein Studien-Reader zur Herrschaftsanalyse moderner Diktaturen, Düsseldorf 1979; W. Schlangen, Die Totalitarismus-Theorie. Entwicklung und Probleme, Stuttgart 1976. — Zu verschiedenen Faschismus-Begriffen: E. Nolte (Hsg.), Theorien über den Faschismus, Köln 1967; R. Kühnl (Hrsg.), Texte zur Faschismus-Diskussion, Reinbek b. Hamburg 1974; ders., Faschismustheorie. Texte zur Faschismusdiskussion II, Reinbek b. Hamburg 1979; sowie die oben in: Anm. 2 genannten Titel. Zur Kontroverse jetzt die Beiträge in: Totalitarismus und Faschismus. Eine wissenschaftliche und politische Begriffskontroverse, München/Wien 1980.

  24. VgL die Beiträge von K. Hildebrand u. H. Mommsen in: M. Bosch (Hrsg.), Persönlichkeit und Struktur in der Geschichte, Düsseldorf 1977, S. 55— 71.

  25. VgL dazu F. K. Fromme, Ein Stoiber, Staub auf-wirbelnd, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18. 10. 1979, S. 11; H. A. Winkler, Die Mär vom Sozi Hitler, in: Die Zeit, Nr. 45, 2. 11. 1979, S. 10; E. Forn-dran, Sozialismus und Nationalismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament", B 20/80, 17. Mai 1980. S. 21— 30.

  26. Vgl. oben Anm. 11 u. 24. Allgemein: R. Koselleck, Darstellung, Ereignis und Struktur, in: G. Schulz (Hrsg.), Geschichte heute, Göttingen 1973, S. 307— 317, wd. in Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt 1979, S. 144— 57; Th. Schieder, Strukturen und Persönlichkeiten in der Geschichte, in: ders., Geschichte als Wissenschaft, Wien 1965, S. 149— 186; J. Kocka, Struktur und Perönlichkeit als methodologisches Problem der Geschichtswissenschaft, in: Bosch (Hrsg.), Persönlichkeit und Struktur, S. 152— 169.

  27. Vgl. aber die Betonung der eingebauten Instabilität als eines Hauptmerkmals von „Totalitarismus"

  28. Genauer Kocka, Angestellte zwischen Faschismus und Demokratie, S. 26 f. sowie vor allem

  29. Vgl. K. D. Bracher, Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie, München 1976, S. 13— 33. Bracher radikalisiert allerdings seine Ablehnung jedes Faschismus-Begriffs in wenig überzeugender Weise.

  30. Ich glaube nicht, daß die Denkfigur „antibürgerliche Welle" (K. D. Bracher, Europa in der Krise. Innengeschichte und Weltpolitik seit 1917, Frankfurt 1979, S. 119— 128; auch P. Gay, Die Republik der Außenseiter. Geist und Kultur in der Weimarer Zeit, Frankfurt 1970) dem Totalitarismusbegriff die sozialgeschichtliche Dimension hinzufügt, die ihm ansonsten fehlt. So überzeugend der Aufweis der antibürgerlichen Strömungen in der Zwischenkriegszeit ist (vor allem in kultur-und geistesgeschichtlicher Hinsicht), so unpräzise bleibt das Argument, was die Identifikation von sozialen Gruppen, Schichten, Klassen, Interessen und Mechanismen angeht.

Weitere Inhalte

Jürgen Kocka, Dr. phil, geb. 1941, Studium der Geschichte und Politischen Wissenschaft; o. Prof, für Allg. Geschichte unter bes. Berücksichtigung der Sozialgeschichte, Universität Bielefeld. Veröffentlichungen u. a.: Unternehmensverwaltung und Angestelltenschaft am Beispiel Siemens 1847— 1914, 1969; Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914— 1918, 1 9782; (mit G. A. Ritter) Deutsche Sozialgeschichte. Dokumente II: 1870— 1914, 1974; (mit G. Hohorst u. G. A. Ritter) Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, 1870— 1914, 1975; Unternehmerin der deutschen Industrialisierung, 1975; Angestellte zischen Faschismus und Demokratie, 1977; Sozialgeschichte, 1977. Mithrsg, der »Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft« und von »Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft«.