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Singapur — ein Modell für die Dritte Welt? Kapitalismus in der sozialistischen Republik | APuZ 19/1981 | bpb.de

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APuZ 19/1981 Indochina und das westliche Erbe Singapur — ein Modell für die Dritte Welt? Kapitalismus in der sozialistischen Republik Die Japaner denken und handeln anders

Singapur — ein Modell für die Dritte Welt? Kapitalismus in der sozialistischen Republik

Jürgen Dauth

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit seiner Entlassung in die Unabhängigkeit errichtet Singapur auf der Grundlage ausländischer Investitionen sein Wirtschaftsimperium und ist heute zum modernsten Industriestaat Asiens geworden. Die seit 1959 ununterbrochen regierende Peoples Action Party von Lee Kuan Yew diszipliniert den Vielrassenstaat mit straffen, autoritären Zügen. Gewissermaßen aus der Retorte wird die nationale Identität geschaffen, die die ethnischen Barrieren niederreißen soll. Dieser Beitrag will in erster Linie eine Antwort auf die Frage geben, ob die wirtschaftliche und politische Erfolgsgeschichte Singapurs als Modell auf andere asiatische Entwicklungsländer übertragen werden kann. Der Stadtstaat, der auf der philosophischen Grundlage des Konfuzianismus regiert wird, unterscheidet sich von vergleichbaren Nationen (Korea, Taiwan und auch den Nationen des malaiischen Archipels) durch die konsequente, volksbezogene Politik, die zwar das Gemeinwesen über die Rechte des Individuums stellt, den einzelnen jedoch am Allgemeinwohl teilhaben läßt. Die autoritäre Regierung Lee Kuan Yews dient nicht dem Machtstreben der Führungsklasse als Selbstzweck. Revolutionäre Ideen konnten somit auf diesem Terrain bisher nicht Fuß fassen. Die zweite Führungsgeneration, die jetzt in die vorderen Reihen tritt, kann auf ein solchermaßen gefestigtes Verständnis von den Pflichten des Staates gegenüber den Bürgern und den Pflichten gegenüber dem Staat in zunehmendem Maß ein liberales, demokratisches Staatsgebilde nach westlichem Muster errichten. Singapurs Erfolgsgeschichte kann zwar nicht als Schablone auf andere Nationen der Region angewendet werden; seine politische, wirtschaftliche und philosophische Strategie ist jedoch von modellhaftem Vorbild für diese Nationen, deren wirtschaftlicher Erfolg weitgehend von der bisherigen Konzeptionslosigkeit im Zusammenspiel von politischer Führung und Volksmassen gehemmt wird.

„Singapurs Wirtschaft prosperiert nicht auf der Grundlage eines sozialistischen Dogmatismus oder einer zentral gelenkten Wirtschaft, sondern auf der Grundlage eines freien Unternehmertums in Zusammenarbeit mit einer geordneten und vorhersehbaren Regierung. Wir haben ein Wettbewerbssystem gefördert, das die besten Leistungen aus jedem Arbeiter, Manager, Unternehmer und Professionellen herausholt, der in einer freien Marktwirtschaft beschäftigt ist. Verhielt sich der private Unternehmer zurückhaltend oder übervorsichtig, dann waren wir bereit, staatliche Initiativen zu ergreifen. Aber diese Unternehmen mußten sich im Wettbewerb der freien Marktwirtschaft bewähren."

Mit diesen Worten umriß Singapurs Premierminister, Lee Kuan Yew, jüngst das wirtschaftspolitische Konzept der Inselrepublik, die nach Japan in Asien den höchsten Lebensstandard aufweist. Die sozialistische Republik fördert den Kapitalismus in allen seinen Erscheinungsformen, multinationale Investitionen eingeschlossen. Die Regierung ist selbst der größte Grundstückseigentümer und der bedeutendste Unternehmer der Inselrepublik; sie managt Werften, den Tourismus, Lotterien, Ölraffinerien, Hotels, Supermärkte, Zementfabriken wie auch die Kamera-und Computer-herstellung. Als Lee die Führung Singapurs übernahm, gab es auf der Insel kaum eine nennenswerte Industrie. Heute beherbergt das Industriegebiet Jurong, eine gepflegte Gartenstadt, allein mehr als 800 Unternehmen. Von den rund 2, 5 Millionen Einwohnern — die Hälfte sind Kinder und Jugendliche — sind 1, 018 Millionen in den Arbeitsprozeß eingereiht. Die Arbeitslosenquote betrug 1979 wenig über drei Prozent. Obwohl nahezu 42 Prozent der Frauen arbeiten, muß Singapur Gastarbeiter aus Malaysia und Indonesien importieren. Ihre Zahl wird auf 100 000 geschätzt. Singapurs Bruttosozial21 produkt — 1979 bei 19, 450 Milliarden Singapur Dollar — wuchs in den zurückliegenden zehn Jahren um jährlich 14, 3 Prozent. Das Handelsvolumen des Inselstaates hat 70 Milliarden Singapur Dollar überschritten. Mit knapp zehn Milliarden sind die USA der größte Handelspartner, gefolgt von Japan und schließlich der Europäischen Gemeinschaft mit 8, 4 Milliarden. Mit 2, 5 Milliarden Singapur Dollar ist die Bundesrepublik Deutschland Singapurs wichtigster Handelspartner in der EG. Die ausländischen Investitionen belaufen sich derzeit auf rund sechs Milliarden Singapur Dollar.

Diese Zahlen sprechen eine eindrucksvolle Sprache, bedenkt man, daß Premierminister Lee Kuan Yew noch 1965 Singapurs Überlebenschancen in Zweifel stellte. Singapur baute seinen Erfolg auf dem Auslandskapital auf — eine Strategie, die in den meisten Entwicklungsländern umstritten ist, läuft sie doch dem jungen Nationalismus dieser Staaten zuwider und beinhaltet sie doch die Gefahr, vom Fremdkapital beherrscht zu werden.

Für Singapur bedeutet diese Strategie die einzige Möglichkeit, sowohl Produktionsmittel als auch technisches Know-how zu erwerben. „Unsere Erfahrung mit den multinationalen Firmen hat unseren Arbeitern und leitenden Angestellten genutzt. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Multis hierherkommen, um Geld zu machen. Solange wir jedoch die grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Richtlinien bestimmen, können wir sie für unseren eigenen Fortschritt benutzen", erklärte der Arbeitsminister, Ong Pang Boon.

Singapur ist von einer exportorientierten Wirtschaft abhängig. Wollte sie diese in eigener Regie betreiben, wäre die Insel längst am internationalen Protektionismus gescheitert. Die Auslandsinvestoren sind Singapurs Schlüssel zu den internationalen Märkten.

Singapurs „zweite industrielle Revolution"

Jahrelang hat Singapur mehr oder weniger unkritisch Auslandsinvestitionen willkommen geheißen. Das Zoll-und Steuerparadies war darauf angewiesen, arbeitsintensive Industrien anzusiedeln, um die erforderlichen 30 000 neuen Arbeitsplätze pro Jahr zu beschaffen. Diese wenig selektive Investitionspolitik hat inzwischen Singapurs Arbeitsmarkt erschöpft. Zwar böten sich die armen Vettern Singapurs in der ASEAN, der Gemeinschaft der südostasiatischen Nationen, bereitwillig an, einen Teil ihres sozialen Problems — das Heer der Arbeitslosen — an die Inselrepublik auszuleihen, doch die Regierung betrachtet diese Möglichkeit als einen geteilten Segen. Zu viele Gastarbeiter — überwiegend ungelernte Kräfte — vergrößern das ohnehin angespannte Wohnungsproblem und stellen darüber hinaus in den Augen der Politiker einen politischen Risikofaktor dar. Gastarbeiter wollen in erster Linie Geld sparen und geben sich darum mit einem bescheideneren Lebensstandard zufrieden. Dies kann letztlich zu Frustrationen führen und die Anfälligkeit für politische Unterwanderung verstärken.

Langfristig bemüht sich die Regierung heute um eine Umstrukturierung der Wirtschaft, um eine „zweite industrielle Revolution". Der Minister für Handel und Industrie, Goh Chok Tong, präzisiert: „Es ist unsere Strategie, die Unternehmer zu drängen, ihre Effizienz und Produktivität durch Automatisierung und Rationalisierung zu erhöhen. Wir drängen zukünftig auf hochqualifizierte Technologie, die Produkte von größerem Wert herstellt."

Eine solche Kehrtwendung in der Investitionspolitik läßt sich auch in dem autoritär regierten Inselstaat nicht über Nacht verordnen. Die Regierung hat daher die Arbeitslöhne drastisch um 20 Prozent angehoben. Die Produktion arbeitsintensiver Niedrigpreis-Produkte ist nicht länger profitabel. Unproduktive Unternehmen werden eliminiert.

Materialismus als Gesellschaftsphilosophie Die Gesellschaft Singapurs ist ausschließlich auf Leistung aufgebaut. „In Singapur hat das Proletariat der Erfolglosen keine Chancen", versicherte S. Rajaratnam ausländischen Investoren. Und der Minister für Wissenschaft und Technologie, E. W. Barker, betont: „Unsere Politik baut auf dem Prinzip der Leistung auf. Jedermann soll entsprechend seiner Fähigkeiten und seines Beitrags für die Gesellschaft entlohnt werden.“ Ein solches System allein, so meint der Minister, lasse „Qualitäten wie Beharrlichkeit, Mut, harte Arbeit ... entstehen, wie sie für die Erfolge der Menschheit bestimmend sind."

Mit deutlicheren Worten kann man den Materialismus nicht zur Gesellschaftsphilosophie erheben. Was Wunder, wenn sich die Einkommensschere in der Inselrepublik weit geöffnet hat.

„Wir geben nicht vor, eine idyllische sozialistische Gesellschaft in Südostasien zu sein", sagt Lee Kuan Yew. „Wir haben immer noch die größte Anzahl von Millionären pro zehntausend Einwohner in Südostasien. Wir sind jedoch eines der wenigen Länder in Asien, wo niemand bettelt, wo niemand — weder jung noch alt — an Hunger und Vernachlässigung stirbt."

Singapurs Führer halten nichts von der Gleichmacherei, die andernorts zum Dogma sozialistischer Ideologen gehört. Künstliche Gleichmacherei könne die Not der Massen nicht beseitigen. Jeder habe jedoch das Recht, gleiche Chancen zu beanspruchen. Diese ließen sich jedoch nur im gesunden Wettbewerb entwickeln. Dazu Lee Kuan Yew: „Wir treten für eine soziale Revolution ein, die letztendlich die wirtschaftliche Macht im Staate in die Hände des gesamten Volkes überträgt. Das muß jedoch nicht Verstaatlichung heißen. Wichtiger als der Besitz wirtschaftlicher Macht sind Steuerung, Planung und Kontrolle dieser Macht im Interesse des Volkes."

Gewerkschaften ohne „britische Krankheit“

Als Singapur in die Selbständigkeit entlassen wurde, schwenkten die Gewerkschaften rote Fahnen und sangen kommunistische Kampflieder. Einer der letzten Aktivisten aus dieser Zeit, der Gewerkschafter Ho Piau, sitzt immer noch im Changi Prison, verhaftet am 2. Februar 1963 unter einem Ausnahmegesetz gegen politische Widersacher.

Singapur entdeckte frühzeitig, daß das englische Gewerkschaftsmodell, das der Inselrepublik vererbt worden war, die ohnehin schwach fundierte Wirtschaft der jungen Nation im Klassenkampf aufreiben würde. Lee verweist darauf, daß Singapurs Geschichte einen anderen Verlauf genommen habe. „Das Bedürfnis, sich an den Bossen zu rächen, hat bei uns keine Gültigkeit. Wir haben alle arm angefangen, sogar die Bosse."

Der National Trade Union Congress, NTUC, ist ein Ableger der People's Action Party (PAP), und Devan Nair, der allgewaltige Gewerkschaftsboß, ist ein Mitglied des Parlaments. In den 51 Mitgliedsgewerkschaften des NTUC sind 93 Prozent aller organisierter Arbeitnehmer erfaßt, 44 Prozent der Beschäftigten in der Inselrepublik. Singapurs Gewerkschaften sind mit einem jährlichen Umsatz von 32 Millionen Singapur Dollar aktiv am kapitalistischen Wettlauf beteiligt. Sie betreiben Supermärkte, Taxi-Gesellschaften, Versicherungen und Reisebüros. Insgesamt besitzen Singapurs Gewerkschaften — weitere 38 sind nicht Mitglied im NTUC — ein Vermögen von 28, 1 Millionen Singapur Dollar.

Die Kritiker der PAP schreiben den relativen Arbeitsfrieden in der Inselrepublik der absolutistischen Macht der Partei zu. Immerhin: 1977 gab es einen größeren Streik und zehn spontane Arbeitsniederlegungen. Eine Verschärfung der Trade Union Act verbietet es den Gewerkschaften nunmehr, einen Arbeitskampf fortzusetzen, wenn der Arbeitsminister sich in die Verhandlungen eingeschaltet hat. Streiks von mehr als einer Woche sind damit unmöglich geworden. Die „englische Krankheit", die die Wirtschaft in England durch ständige Streiks lähmt, ist in Singapur kuriert. Gesetze allein können jedoch den Arbeitsfrieden langfristig nicht sichern. Vieles hängt davon ab, ob die Führer der Gewerkschaften in Zusammenarbeit mit der Regierung und der Arbeitgeber-seite im National Wages Council zu ausgewogenen Entscheidungen kommen, die sowohl das wirtschaftliche Gesamtinteresse des Staates als auch die sozialen Bedürfnisse des Arbeitnehmers berücksichtigen. Die Arbeitnehmer Singapurs sind mit diesem System bisher nicht schlecht gefahren. Von 1972 bis 1977 stiegen die Löhne der unteren Einkommens-gruppe um 85 Prozent und die der mittleren Einkommen um 62 Prozent. Setzt man den Lohnindex des Industriearbeiters in Singapur mit 100 an, dann verdient der deutsche Kollege 4, 6mal soviel, der britische knapp dreimal soviel und der Arbeiter in Hongkong zehn Prozent weniger.

Wohlstand und Arbeitsmoral

Obwohl die Lohnabsprachen im National Wages Council so gut wie bindend sind, kann der Arbeitnehmer sich jedoch nicht auf sie wie auf ein Gesetz berufen. Seine Leistung wird an einem Produktivitätsindex gemessen. Liegt er unter der Norm, kann er mit dem Entzug sozialer Leistungen bestraft werden, übertrifft er den Durchschnitt, steht ihm ein Bonus zu. Dieses System wird Singapur in den nächsten Jahren Kopfzerbrechen bereiten. Die „zweite industrielle Revolution", die eine qualitativ höhere Technologie anstrebt, verlangt nach qualitativ leistungsfähigeren Arbeitskräften. Ein großer Teil der heute manuell arbeitenden Arbeitnehmer wird den dann erforderlichen Maßstäben nicht gerecht werden. Darum die Warnung des Generalsekretärs des NTUC, Lim Chee Ong: „Was sollte unsere Antwort sein? Sollten wir nicht unsere Freizeit sowie einen Teil unseres neuerworbenen Wohlstands dazu benutzen, in den Gewerkschafts-Schulungszentren neue Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben?"

Lee Kuan Yew kritisierte jüngst mit harten Worten die seiner Ansicht nach unbefriedigende Arbeitsmoral der Singapureaner. Manager nutzten den angespannten Arbeitskräfte-markt zum häufigen Stellenwechsel. Arbeiter drängelten nach Weißen-Kragen-Jobs, ohne Mehrleistungen zu erbringen. Er sagte: „Unter den entwickelten Nationen ist die Bundesrepublik Deutschland ein erfolgreiches industrialisiertes Modell, von dem man lernen kann. Sie ist eine Gesellschaft, die es nicht zugelassen hat, daß ihre Ethik dahinwelkt, obwohl es ihr gut geht."

Während die Löhne jüngst um 20 Prozent kletterten, stieg die Produktivität lediglich um rund drei Prozent. Devan Nair, der Gewerk23 schafts-Boß, warnte davor, daß bei mangelnder Produktivität und steigenden Löhnen Singapurs Lebensnerv, nämlich der Auslandsinvestor, abgeschreckt werden könnte und sich benachbarten Billigländern wie Malaysia, Südkorea oder Taiwan zuwende. Verlöre Singapur seine internationalen Verbindungen, die ihm das Hinterland und die Rohstoffe ersetzen, wäre sein überleben in Frage gestellt.

Die Schöpfung des Singapureaners

Leistungsdruck und Materialismus als Gesellschaftsphilosophie — wen wundert es da, daß andere, mehr geistige und emotionale Werte zu kurz gekommen sind. Der Singapureaner ist im allgemeinen egozentrisch, recht humorlos und unkultiviert. Die Gesellschaft, in der er lebt, ist in seinen Augen wenig mehr als ein Versorgungsbündnis, nicht jedoch eine Gemeinschaft von Mitmenschen, denen man sich verpflichtet fühlt.

An der Wiege des unabhängigen Singapur stand vor 21 Jahren der separatistische Kommunalismus (der sich selbst verwaltenden kleinen Stadt-und Dorfgemeinschaften) von Chinesen, Malaien und Indern. Lee schwor am Tag der Trennung von Malaysia: „Wir werden in Singapur eine Vielrassengesellschaft schaffen. Wir werden ein Beispiel geben. Dies ist weder eine malaiische, noch eine chinesische, noch eine indische Nation."

Wenn Singapur heute auf eine geglückte Rassenintegration verweisen kann, so ist auch diese teilweise ein Verdienst der „LeistungsPhilosophie", die nur den persönlichen Einsatz kennt, nicht aber von der Rassenzugehörigkeit abhängt. Hat doch Singapur das andere Beispiel vor der Haustür vor Augen. In Malaysia gärt der Kommunalismus und der latente Rassenkonflikt weiter, der sich an den politischen Privilegien der Malaien aufheizt. Gewiß, die Malaien in Singapur sind im breiten Durchschnitt hinter dem allgemeinen Lebensstandard der Republik zurückgeblieben. Der Islam, der für sie allumfassende Existenz-Philosophie ist, hat sich schwer getan, den Anschluß an die Moderne zu finden, die mit einer gewissen, westlichen Permissivität verbunden ist.

Singapurs größtes Problem war und ist teilweise immer noch die Bändigung des „chinesiDiese Politik des überlebens wird im Ausland oft so interpretiert, daß der Arbeitnehmer in Singapur dazu mißbraucht werde, dem Auslandskapital ein profitables Investitionsparadies zu sichern. Allzu gerne wird übersehen, daß ohne die ausländischen Kapitalgeber in Singapur weder Milch noch Honig fließen könnten; der Stadtstaat wäre dann ein weiteres Armenhaus in der Dritten Welt. schen Chauvinismus". Professor Wu Teh Yao, ein Wissenschaftler an der jetzt aufgelösten chinesischen Nanyang Universität, erläutert: „Der traditionelle Chinese kennt seine Familie, aber nicht den Staat. Er ist bereit, für seine Familie zu arbeiten, nicht jedoch, der Nation zu dienen." Vor allem die ältere Generation der Chinesen ist immer noch dieser Tradition verbunden. Und sie färbt noch weiter auf die Jugend ab. Eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft wird es sein, die enge Familienbindung auf das Staatswesen zu übertragen, ohne daß dabei die Familie als der Nukleus der gesellschaftlichen Stabilität und sozialen Sicherheit zerbricht.

Mag es im Lande auch gelegentlich noch Anzeichen eines rassischen und kulturellen Kommunalismus geben, jenseits der Grenzen Singapurs bezeichnen sich die unterschiedlichsten Bürger der Republik selbstbewußt als Singapureaner, wie eine Studie der Singapur Universität herausgefunden haben will. Sie sind stolz auf die Leistungen ihres Landes, die sich sichtbar von denen der Nachbarländern abheben. Lee Kuan Yew sagt von sich selbst: „Tief in mir bin ich ein Chinese. Ja, ein entwurzelter Chinese, der in einen Singapureaner verwandelt wurde. Denn als ich China besuchte, entdeckte ich, daß ich kein Chinese mehr bin.“ Die Mehrheit der jungen Generation, die englischsprachig aufgewachsen ist, fühlt, daß sie nur noch statistisch Chinesen sind.

Westernisierung und Traditionskonflikt

Lee Kuan Yew hat jüngst dem „chinesischen Chauvinismus" den Todesstoß versetzt. Er hat die chinesische Nanyang Universität aufgelöst und in die englischsprachige Singapur Univer-B sität integriert, die sich nun Neue Singapur Universität nennt. Lee weiß nur zu genau, daß die Frage der nationalen Identität über die Bildungspolitik gelöst werden muß. Ohne die kulturelle Bedeutung der individuellen Sprachen der verschiedenen Kommunen zu übersehen, in der diese letztlich ihre moralischen und ethischen Werte verankert haben, glaubt Lee, daß Englisch als die allgemeingültige Sprache einer modernen Erziehung langfristig alle ethnischen Schranken niederreißen wird.

„Ich hoffe, daß alle Singapureaner eines Tages im gleichen Augenblick lachen oder weinen werden."

Indem Singapurs Bildungspolitik nunmehr westlichen Mustern folgt, werden westliche Philosophien und moralischer Liberalismus nicht draußen vor der Tür bleiben. Zwar glaubt Lee, daß eine gewisse, kontrollierte Westernisierung Singapurs Bemühen um Modernisierung beschleunigen kann; doch hat der Premier deutlich gemacht, was er nicht vom Westen nachzuahmen gewillt ist: „Wenn wir uns nicht ernsthaft bemühen, unserer jungen Generation übergeordnete Werte von Gruppen-disziplin einzupflanzen, die das Wohl der Allgemeinheit über das Recht des einzelnen stellen, werden mehr und mehr junge Singapureaner von europäischen und amerikanischen Ideen beeinflußt werden: daß die Rechte und Freiheiten des Individuums die vorrangigste Pflicht der Gesellschaft sind und daß es die Aufgabe der Regierung sei, diese individuellen Rechte gegen die Interessen des Kollektivs durchzusetzen." Der Singapureaner soll mehrsprachig sein, westlich erzogen, aber nach Asien hin orientiert. Der Einfluß der Westernisierung soll sich auf Wissenschaft, Technologie und Fortschritt beschränken.

Vor allem aber strebt Lee Kuan Yew heute nach dem gebildeten Singapureaner, der nicht nur effizient und produktiv ist, sondern auch kunstbeflissen und geisteswissenschaftlich interessiert. Die Neue Singapur Universität will die besten Dozenten „auf dem Weltmarkt einkaufen". Ein Brain Trust für den „guten Singapureaner", der eine „gute Gesellschaft" aufbaut.

Disziplin, Recht und Ordnung Lee Kuan Yew steht als Symbol für Recht und Ordnung. Der Singapureaner von heute, sein ausgeprägter Individualismus, seine soziale Disziplinlosigkeit erschrecken ihn mehr als die Frage, wer dereinst sein politisches Erbe antreten mag. Und Disziplin ist es, was Lee der jungen Generation mit allen Mitteln einzuhämmern versucht.

Singapur hängte 1979 eine Frau, die Rauschgift handelte. Wer die Zeitschrift „Playboy" liest, zahlt 130 Singapur Dollar Strafe. Für eine weggeworfene Zigarettenkippe werden 500 Dollar bezahlt. Wer in seinem Garten Unkraut wuchern läßt oder in einer unbeobachteten Pfütze Moskitos züchtet, wird vor den Kadi gezerrt. In Singapurs Gefängnissen sitzen derzeit etwa 4 200 Häftlinge — prozentual 25mal mehr als in England. Seit 1949 wurden 102 Männer und Frauen zum Schafott geführt. 1978 warteten in der Todeszelle von Changi Prison 20 Kandidaten auf den Strang. Ein Angeklagter kann sein Recht bis hinauf zum Privy Council suchen, dem obersten Gerichtshof des britischen Commonwealth. Darüber hinaus kennt die Justiz der Inselrepublik kein Pardon. Gerechtigkeit wird nach dem Buchstaben des Gesetzes geübt.

In Singapur werden Kriminelle mit der Stokkade geprügelt, bis bleibende Narben auf dem Gesäß entstehen. Eine Zeitungskolumnistin schrieb: „Persönlich finde ich es abstoßend, daß ein entwickeltes und weitgehend liberales Land wie Singapur noch derart erniedrigende Formen der Bestrafung gebraucht. Aber ich bin ebenso bereit zu aktzeptieren, daß unterschiedliche Gesellschaften unterschiedliche Abschreckungsmittel benötigen.“

Als Lee Kuan Yew an die Regierung kam, waren 60 Prozent aller Singapureaner Mitglieder oder Abhängige einer Secret Society. Die , Tongs'— wie die Geheimbünde genannt werden — beherrschten das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben. Ein Ausnahmegesetz ermöglicht die Inhaftierung von Geheimbündlern ohne Gerichtsverfahren. Denn — so argumentiert die Regierung — niemand wäre bereit gegen eine mächtige Secret Society auszusagen. Mehr als 21 500 Mitglieder solcher Unterweltorganisationen haben bisher eine Umerziehungshaft abgesessen.

Kritiker werden nicht müde, vom Polizeistaat Singapur zu reden. Lee beruft sich dagegen le25 diglich auf vorzuweisende Erfolge. Die Kriminalität ist in Singapur rückläufig; 1975 zählte die Gefängnispopulation noch 7 821 Häftlinge, heute sind es weniger als 4 200. Singapur ist sauber, grün und das einzige Land in Asien, wo Menschen an Bushaltestellen und Schaltern geduldig anstehen. Mens sana in corpore sano — ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, sowohl den Menschen als den Staat betreffend.

Die Presse an kurzer Leine Lee Kuan Yew wurde einmal gefragt, ob er nicht erbittert darüber sei, daß die Erfolgsgeschichte Singapurs im Westen — vor allem in den Medien — keinen Widerhall findet. Er meinte, daß er schon lange seiner Position beraubt wäre, wenn die Bürger Singapurs — „die im Lande leben und selbst sehen können" — der Auslandspresse Glauben schenkten.

Dem interessierten Leser in Singapur sind ausländische Zeitungen, politische Magazine und politische Bücher zugänglich. Von 500 000 englischsprachigen Publikationen, die im Zeitraum von drei Monaten nach Singapur importiert werden, finden durchschnittlich 6 000 nicht die Billigung des Zensors. Die meisten von ihnen fallen unter die Kategorie der Por. nografie.

Die lokale Presse muß jährlich ihre Lizenz erneuern lassen. Publikationen, die der westlichen Regenbogenpresse nacheifern, können dabei auf der Strecke bleiben. Singapurs Journalisten fügen sich einem strengen professionellen Kodex, zu dem auch gehört, daß die Kritik an der Regierung beweisbar sein muß. Will man Lee Kuan Yews Konzept von der Rolle der Medien gestrafft wiedergeben, kann man eine Anleihe bei Mao Tse-tung machen: „Die Rolle und die Macht der Presse bestehen darin, das Programm der Partei, die Parteilinie, die allgemeine und die spezifische Politik der Partei, ihre Zielsetzung und Arbeitsmethoden schnellstens und ausführlich in die Massen zu tragen."

Die in Singapur erscheinende englischsprachige Straits Times schrieb einmal: „Der Sozialismus der PAP ist nicht streng dogmatisch und ihre Demokratie nicht sehr demokratisch. Wir müssen uns damit abfinden, daß dies so ist."

Der Kommunismus — Bedrohung oder Papiertiger?

Im November 1979 wurden zwei politische Gefangene, Dr. Lim Hock Siew und der Journalist Said Zahari, nach 15jähriger Haft unter der Internal Security Act in die Freiheit entlassen. Sie waren mit mehr als hundert weiteren Politikern der Barisan Sosialis und der Communist United Front am 2. Februar 1963 verhaftet worden. Singapur befand sich zu dieser Zeit in der Übergangsphase zur Unabhängigkeit. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte sich in einem Referendum für den Anschluß an Malaysia ausgesprochen.

Die Prokommunisten, mit denen Lee Kuan Yew seit Mitte der fünfziger Jahre paktiert hatte, widersetzten sich diesem Anschluß. Sie verließen die PAP und formten die Communist United Front, die den Volkswillen in blutigen Straßenkämpfen zu revidieren versuchte. Lee mobilisierte den Internal Security Council, in dem die Briten nach wie vor vertreten waren, und ließ seine Gegner in der „Opera-tion Coldstorage" aus dem Verkehr ziehen. Lee berief sich auf die Internal Security Act, die aus der Zeit stammte, als die Kommunistische Partei Malaysia (zwischen 1948 und 1960) den Aufstand probte. Nach diesem Gesetz kann auf eine Gerichtsverhandlung verzichtet werden.

Am 18. März 1977 schrieb die in London erscheinende Times: „Was soll man von einer Regierung halten, die vorgibt, die kommunistische Bedrohung abzuwehren und sich dabei exakt solcher Methoden bedient, wie sie in kommunistischen Ländern üblich sind?" Wenn die westliche Presse über die Vergewaltigung von Menschenrechten in Singapur schreibt, fallen Namen wie die bereits oben genannten oder der des Korrespondenten der Financial Times und des Economist, Arun Sen-kuttuvan, oder der des Korrespondenten der Far Eastern Economic Review, Ho Kwan Ping — beides Singapureaner —, die wegen pro-B kommunistischer Berichterstattung vorübergehend inhaftiert worden waren. Lee gibt den politischen Häftlingen die Möglichkeit, sich öffentlich von ihrer staatsgefährdenden Aktivität zu distanzieren, wonach sie unmittelbar freigelassen werden. Arun und Ho hatten ein Geständnis abgelegt. Lee und seine Senior-Minister — die alte Garde — sind unbeugsame Antikommunisten. Es waren die Kommunisten, die Singapurs friedvolle Überleitung in die Unabhängigkeit beinahe in Frage gestellt hätten. Zwölf Jahre lang kämpfte Singapur gegen den kommunistischen Untergrund, der die Macht an sich zu reißen versuchte. Immer noch halten sich 3 000 kommunistische Guerillas der Communist Party of Malaya (CPM) in den Dschungeln verborgen. Es war der pro-kommunistische Flügel des indonesischen Sukarno-Regimes, der 1964 und 1965 die Konfrontation auslöste, Singapur und Malaysia militärisch attackierte, um die Malaysische Föderation zu behindern. Und schließlich ist Singapur unmittelbarer Nachbar eines Indochina unter Hanois Einfluß, das dem vietnamesischen Hegemonismus in der Region Südostasien noch lange nicht abgeschworen zu haben scheint.

Als Lee Kuan Yew einmal gefragt wurde, ob er sich eine legale kommunistische Partei als politische Alternative vorstellen könnte, bejahte er dies. Voraussetzung sei jedoch, die Kommunisten könnten glaubhaft versichern, keine politische Gewalt anwenden zu wollen, und garantieren würden, daß es auch nach einem eventuellen Wahlsieg der Kommunisten noch freie Wahlen geben werde.

Die Antwort kam prompt von der Voice of Malayan Revolution, dem Propagandasender der CPM, der von Südchina aus operiert. Am 10. Mai 1976, in einer Botschaft zum 46. Jahrestag der Parteigründung, erklärte der Sender, daß die revolutionären Truppen der CPM mit dem Versuch fortfahren würden, die Macht in Malaysia und Singapur mit Gewalt an sich zu reißen.

Der Sozialist Lee und die neue Linke Ebenfalls 1976 beschuldigte die Dutch Labour Party Lees PAP vor der Sozialistischen Internationale — der Singapur seit 1966 angehörte —, bewußt und systematisch gegen die Charta der Menschenrechte zu verstoßen. Lee konterte mit der Frage, warum die Sozialistische Internationale die PAP zehn Jahre früher zugelassen habe, wo doch schon die gleichen Gesetze in Kraft gewesen seien, die jetzt zum Stein des Anstoßes genommen würden. Lee Kuan Yews PAP war von der politischen Entwicklung der sozialistischen Parteien in Europa, die zu einer praktischen und ideologischen Koexistenz mit dem Kommunismus gefunden haben, unberührt geblieben. Die sogenannte „Neue Linke" Europas, die nunmehr in der Sozialistischen Internationale tonangebend war, betrachtet den Euro-Kommunismus als einen möglichen politischen Partner. Sie beging damit den gleichen Fehler, der auch vielen westlichen Journalisten anzulasten ist, indem sie glaubte, die europäischen Verhältnisse auf Singapur übertragen zu können — oder aus Gründen des dogmatischen Prinzips übertragen zu müssen. Lee warnte davor, die Grenzen zwischen Kommunismus und Sozialismus zu verwischen. Für Staaten wie Malaysia, Thailand oder Singapur sei der Kommunismus „ein ernstes Geschäft mit Gewehren, Subversion und Terrorismus". Lee, der sich selbst einen „altmodischen Sozialisten“ nennt, erklärte den Austritt der PAP aus der Sozialistischen Internationale.

Demokratie „The Singaporean Way“

Kein Zweifel, Lee Kuan Yews PAP ist autoritär. Das heißt jedoch nicht, daß der Wähler in der Inselrepublik sich nicht für eine politische Alternative zur PAP entscheiden könnte. Ein knappes Dutzend Oppositionsparteien kann sich ungehindert zur Wahl stellen. 1976 errangen sie zusammen 25, 3 Prozent der Wählerstimmen. Mit 72, 4 Prozent entschieden sich Singapurs Bürger jedoch für Lee Kuan Yew und die PAP, die seither alle 69 Sitze im Parlament kontrolliert. Der Premier begründet das totale Versagen der Opposition mit deren politischem Programm, das zu viele Anleihen aus der kommunistischen Vergangenheit gemacht habe. Von nennenswertem Einfluß ist ohnehin nur die United Peoples Front, die die Singapureaner jedoch allzu sehr an die Communist United Front erinnert, die für den blutigen Terror am Anfang der sechziger Jahre verantwortlich zeichnete. Am aktivsten gebärdet sich die Worker’s Party des Rechtsanwalts J. B. Jeyaretnam, den Lee im vergangenen Jahr wegen Verleumdung vor den Richter schleppte. Selbst kritische Beobachter der PAP-Herrschaft sind der Meinung, daß die Opposition solange unglaubwürdig bleibe, wie sie den Wahlkampf auf der Basis einer blindwütigen perönlichen Diffamierungskampagne gegen Lee Kuan Yew betreibe.

Als Stadtstaat kann Singapur seine Demokratie nicht auf der Kommunalpolitik als der Basis der demokratischen Kräftepyramide errichten. Die Aufgabe der Basis kommt in Singapur den Citizen Consultive Committees zu. Dies sind außerparteiliche Bürgerforen, die in allen Wahlbezirken gebildet wurden. Die Mitglieder dieser Bürgerkomitees sind keinesfalls alle Mitglieder der PAP. Aufgabe dieser Komitees ist es einmal, die Regierungspolitik für die Basis transparent zu machen und zum anderen Anregungen oder Unzufriedenheiten der Basis über den jeweiligen Abgeordneten an die Regierung heranzutragen. Auf diesem Weg, so sieht es Lee, kann die PAP sicherstellen, daß „jede politische Entscheidung, der sich der Wähler widersetzt, die er diskutiert, die zu Ängsten und Unbehagen führt, ins Parlament gebracht und diskutiert wird".

Singapurs Rolle in der Region

Singapur hat sich 1967 mit Thailand, Malaysia, Indonesien und den Philippinen zur ASEAN, der Gemeinschaft der südostasiatischen Nationen, zusammengeschlossen. Diese regionale Bündnisgemeinschaft — wenn auch in erster Linie eine wirtschaftliche — ist für die Zukunft Singapurs von vitaler Bedeutung. Lee Kuan Yew war die treibende Kraft in der ASE-AN, den Anschluß an Europa zu suchen. Im März 1980 wurde der Kooperationsvertrag zwischen ASEAN und den Europäischen Gemeinschaften besiegelt. Singapur besteht darauf, daß Südostasien sich im westlichen Lager auch sicherheitspolitisch absichern müsse.

Aber auch Singapurs Nachbarn sind sich ihrer Abhängigkeit von der Zwergrepublik durchaus bewußt. Die Insel ist die wirtschaftliche Drehscheibe der Region. Sie ist das Kernstück des Inner-ASEAN-Handels, das Tor der Fünfergemeinschaft zu den Weltmärkten. Singapur ist wirtschaftlich und technologisch seinen Nachbarn weit voraus. Es versteht sich als die „Service Station" Europas für Asien. Im. merhin beträgt Singapurs Inner-Asien-Handel inzwischen mehr als 45 Milliarden Singapur Dollar. Die Nachbarn — vor allem Malaysia und Indonesien — sind zwar über Singapurs wirtschaftliche Vormachtstellung nicht neidlos glücklich, geben jedoch uneingeschränkt zu, daß sie von Singapur in dem Maße profitieren, wie dessen Wirtschaft prosperiert. Singapurs „zweite industrielle Revolution" wird zukünftig solche Industrien, die die Inselrepublik für zu teuer halten, in die Partnerstaaten der ASEAN umleiten, die noch mehrere Jahre brauchen, bis sie hochqualifizierte Technologien beherrschen.

Wer und was kommt nach Lee Kuan Yew?

„Niemand kann einen Nachfolger ernennen und niemand kann bis zu seinem Tod an der Spitze bleiben. Nachwuchs muß nachwachsen“ konstatiert Sinnathamby Rajaratnam, bis vor einem Jahr Singapurs Außenminister und jetzt zweiter stellvertretender Premierminister. Eine Machtübergabe im „Stil Maos" schließt der heute 65jährige Mitbegründer der PAP aus. Die Männer der ersten Stunde, die Singapur in den fünfziger Jahren in die Unabhängigkeit und bis zum heutigen Tage geführt haben, wollen ihr politisches Erbe dennoch nicht dem Zufall überlassen. Lee Kuan Yew meint: „Ich bin mir nicht sicher, welches die schwierigere Aufgabe ist: die People's Action Party zu gründen und dorthin zu gelangen, wo wir heute stehen, oder eine Nachfolge von fähigen und verantwortungsbewußten jungen Leuten zu sichern, die auf dem Erreichten aufbauen können." Lee Kuan Yew, heute 58 Jahre alt und auf der Höhe seiner Schaffenskraft, hat bereits seit Jahren junge Leute in die Politik berufen, damit diese sich an der politischen Realität orientieren können. Lee sieht den Zeitpunkt seines Rücktritts irgendwann in den achtziger Jahren kommen. Seit jeher rekrutiert er den Führungsnachwuchs für die Verwaltung aus der akademischen Elite der Singapurer Universitäten und den höheren berufsbezogenen Ausbildungsstätten, die insgesamt jährlich rund 15 000 Professionals ausstoßen.

Lee befürchtet jedoch, daß die alma mater der Singapurer Intelligenz nicht genügend Talente produziert „Seit einigen Jahren beobachten wir ein Sterben der Talente. Da ist aller-höchstens ein fähiger Kopf unter Tausend." Bei einer derzeitigen Geburtenrate von jährlich 40 000 sieht Lee in der von ihm anvisierten Altersgruppe zwischen 35 und 45 kaum 40 ideale und rund 400 potentielle Kandidaten für den Führungsnachwuchs heranwachsen, den sich die Politik zudem mit dem privaten Sektor der Wirtschaft teilen muß. Aus der freien Wirtschaft will Lee den politischen Nachwuchs keinesfalls nehmen. „Wenn wir deren Krämer-seelen-Mentalität in die Politik einbringen, ist Singapur ruiniert." Der Premier sucht die Staatsmänner der Zukunft in der intellektuell hochkalibrigen Verwaltung.

Was die Nachfolge der alten Garde keineswegs erleichtert, ist die zunehmende Entpolitisierung der Jugend. Der akademische Nachwuchs wird durch strenge Disziplinarregeln von politischen Aktivitäten ferngehalten. Darüber hinaus schränkt die Alleinherrschaft der PAP, der die Opposition kaum eine Alternative entgegenzusetzen hat, ein lebhaftes und kontroverses politisches Klima ein, das die politische Bewußtseinsbildung der Jugend fördern könnte.

Die zweite Führungsgeneration

Anläßlich der Nachwahlen zum Parlament im Februar 1979 hatte Lee zum erstenmal die fähigsten seines lange gehegten politischen Nachwuchses an die Bewährungsfront geschickt. Lee hatte den dritten Mann in der Parteihierarchie, den 38 Jahre alten Wirtschaftswissenschaftler Goh Chok Tong, mit der Wahlkampfführung um sechs vakante Parlamentssitze beauftragt. Obwohl die Opposition in allen Wahlkreisen Gegenkandidaten aufstellte, erzielte Goh für die PAP 71, 06 Prozent und blieb damit nur geringfügig hinter dem Spitzenergebnis der Partei von 1976 (72, 4 Prozent) zurück.

Goh war erst 1976 in die Politik übergewechselt, nachdem er Singapurs nationale Schiffahrtsgesellschaft trotz einer internationalen Krise in der Schiffahrt aus den roten Zahlen herausmanövriert hatte. In kurzer Zeit avancierte Goh zum Senior-Staatsminister für Finanzen und danach zum Minister für Handel und Industrie. In Goh Chok Tong sehen die Auguren den Kronprinzen von Lee Kuan Yew.

Ein weiterer Neuling im Kabinett ist der 41jährige Suppiah Dhanabalan, der S. Rajaratnam als Außenminister abgelöst hat. In das Er-Ziehungsministerium rückte Dr. Tony Tan nach. In das Verteidigungsministerium zog Berhard Chen ein. Devan Nair, der Boß des NTUC, fand seinen politischen Erben in dem amtierenden Generalsekretär Lim Chee Onn. Goh, Dhanabalan, Chen und Lim werden als die „Viererbande der Zukunft" apostrophiert. In ihr glaubt die alte Garde das Team der Zukunft gefunden zu haben, das dereinst Lee Kuan Yew, Sinnathamby Rajaratnam, den Arbeitsminister Ong Pang Boon, den Gesundheitsminister Toh Chin Chye und den stellvertretenden Premier, Goh Keng Swee, ablösen wird.

Neben diesem Spitzenteam ist eine ganze Reihe weiterer junger Leute von den Hinter-bänken der Partei ins vordere Glied gerückt. Für sie ist die alte Garde zwar nicht ab-, sondern nur zur Seite getreten. Gemeinsam ist ihnen, daß sie ihre akademische Ausbildung sowohl in Singapur als auch im Westen erhalten haben. Zwar stehen sie festgefügt hinter den traditionellen Prämissen der alten Garde, bringen jedoch gleichzeitig ein kritischeres Element in die Politik Singapurs ein. Lee Kuan Yew hält es nicht länger für erforderlich, daß die politische Führung der Partei mit einer einzigen Stimme — das Echo seiner eigenen — spricht Solange die Grundsätze der PAP-Strategie unangetastet bleiben, sind Kritik, Reformen und innerparteiliche Opposition erlaubt.

Liberalismus durch Bildung

Die neue Führungsgeneration ist aufgrund ihres Bildungsganges zwangsläufig stärker westlich exponiert als ihre politischen Väter. Sie hat westliche Ideologien und westliche Ideale aufgesogen. Zwar ist sie nach der strengen Schulung durch die alte Garde hart genug, um nicht in übertriebenem Liberalismus zu schwelgen, doch neigt sie weniger zum hierarchischen Feudalismus wie die alte Garde.

In der gleichen Richtung wird die Neuordnung des Bildungswesens nach westlichen Mustern die Jugend Singapurs beeinflussen. Westliches gesellschaftspolitisches Gedankengut wird verstärkt in den Lehrstoff aufgenommen und Singapurs Jugend mehr als bisher allgemeinpolitisch motivieren. Der gebildete Singapureaner von morgen soll nach der Vorstellung Lees nicht nur ein nützlicher Fachidiot sein, sondern ein Wesen, das die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge der Republik versteht und mitgestaltet.

Dem Liberalismus im Bildungswesen folgt ein linderes Lüftchen auf dem Meinungsmarkt. Jüngst meinte ein leitender Redakteur einer führenden Tageszeitung: „Die uns einst so gewohnten täglichen Anrufe aus den Ministerien, die uns beschimpften sowohl für das, was wir schrieben, als auch für das, was wir ausgelassen hatten, bleiben seit einiger Zeit aus. Die junge und gebildetere Generation von Singapureanern gibt sich nicht länger damit zufrieden, zu lesen, was andere für gut befunden haben. Ebensowenig nehmen sie heute die politische Meinung der Führung als das absolute Credo hin. ”

Politische Beobachter in Singapur glauben insgesamt Anzeichen für eine Liberalisierung zu sehen. So hat die Justiz in den vergangenen drei Jahren 27 von 61 politischen Häftlingen entlassen, ohne daß die meisten von ihnen ein öffentliches Loyalitäts-Bekenntnis ablegen mußten. Wird die politische Führung Singapurs in ihrem Alter „weich”? Dazu meint ein Dozent für politische Wissenschaften an der Neuen Singapur Universität: „Singapur kann sich heute Liberalismus, mehr Menschenrechte und mehr populäre Demokratie leisten. Die Führung der PAP ist sich ihrer und der Position Singapurs heute sicher." Und Lee Kuan Yew selbst gibt sich zuversichtlich: „Da bleibt gewissermaßen nicht viel zu tun übrig. Da gibt es nun einmal keine schwerwiegenden innenpolitischen Probleme, zumindest keine soleben, die die zweite Führungsgeneration nicht lösen könnte."

Lee Kuan Yew und das Prinzip „Li"

Beobachter der asiatischen Szene fragen sich oft, warum Singapurs Nachbarn nicht zu erreichen vermochten, was Lee Kuan Yew in der Inselrepublik leistete. Sie geben sich allzu leicht mit der Erklärung zufrieden, daß Singapur als Stadtstaat überschaubarer sei als die übrigen Länder der Region. Gewiß, diese Überschaubarkeit hat der PAP die Kontrolle über die von ihr zu verantwortende Politik erleichtert. Doch mit Kontrolle allein ist der Erfolg Singapurs nicht zu erklären. Er ist viel mehr in Singapurs Lebenslinie zur Vergangenheit begründet, ist in der Ebene des Gelben Flusses, 4 000 Jahre in der Geschichte zurück, zu suchen. Bereits damals forschten chinesische Denker nach dem politischen Weg der Goldenen Mitte, nach einem System, das in der menschlichen Gesellschaft das Gleichgewicht der Natur widerspiegelt, die Balance zwischen Yin — dem Guten, Lichten und Schöpferischen — und Yang — dem Bösen, dem Dunklen und dem Zerstörenden. Der Taoismus wurde geboren.

Später schrieb der chinesische Philosoph Konfuzius, der Begründer der chinesischen Staatsreligion: „Wenn ein Herrscher das Rechte tut, wird er über sein Volk herrschen, ohne befehlen zu müssen. Wenn ein Herrscher selbst Unrecht tut, werden seine Befehle ohne Wirkung sein. ” Konfuzius stellte das Prinzip „Li” auf, das Prinzip des guten Benehmens und der gesellschaftlichen Ordnung, das das Zusammenspiel von Obrigkeit und Volk regelt Das Prinzip „Li" war das übergeordnete Gesetz für den Herrscher und die Beamten, auf die er Macht delegierte. Danach hatte der Herrscher vor allem gutherzig zu sein, gebildet und selbstdiszipliniert. Er war verpflichtet, eine Politik zu verfolgen, die die Grundlagen für den Wohlstand des Gemeinwesens schuf. Wurde der Herrscher diesen Anforderungen gerecht, durfte er vom Volk absolute Loyalität verlangen.

Mencius, ein Schüler Konfuzius', klagte später darüber, daß Potentaten dazu neigten, durch die ihnen anvertraute absolute Macht korrumpiert zu werden, daß sie dem persönlichen Ruhm Priorität über das Wohlergehen der Massen einräumten. Ein solcher Herrscher wird dem Prinzip „Li" untreu. Mencius erklärte darum, daß in einem solchen Fall die Revolution nicht nur angezeigt, sondern unumgänglich sei.

Sucht man in Asien nach Führern, die sich auf die konfuzianische Tradition berufen, so treten Japan, Korea, Taiwan, China und Singapur hervor. Die Regierungen dieser Länder haben die konfuzianische Tradition als genuines asiatisches Gesellschaftsmodell gewählt, weil sie glauben, in ihm der asiatischen Identität am nächsten zu kommen. Die westliche Demokratie, die ihnen von den westlichen Kolonial-herren hinterlassen worden war, fand in den breiten Massen keine Resonanz. Der einzelne sah sich nur sich selbst, der Familie und dem Klan verpflichtet. Nach seinem konfuzianischen Selbstverständnis war die Staatsführung ausschließlich Aufgabe des Herrschers.

Was weite Kreise im Westen heute immer noch nicht als Tatsache respektieren wollen: die auf der konfuzianischen Tradition fußenden Nationen Asiens waren für eine Demokratie nach westlichem Muster noch nicht reif. Wo es den Kolonialmächten gelang, eine Verfassung nach westlichem Vorbild zu hinterlassen, wurde das Mitbestimmungsrecht des Volkes, wurde das Recht des einzelnen früher oder später eingeschränkt.

Lee Kuan Yew mußte nach einschlägigen Erfahrungen in den Gründerjahren der Republik Singapur damit rechnen, daß die westliche demokratische Praxis von den egozentrischen Interessen des Individuums als ein „frei für alle" mißbraucht und allein dem persönlichen Gewinn nutzbar gemacht werden könnte.

Singapur — ein konfuzianisches Modell Lee Kuan Yew hatte ein Staatswesen zu führen, dessen Einwohner noch überwiegend aus China eingewandert waren. Ihr Weltbild kannte lediglich die Machtpyramide Herrscher-Vater-Sohn. Für die Chinesen Singapurs, die China aus eigennützigen Motiven verlassen und letztlich die Rückkehr nach China ins Auge gefaßt hatten, war der Staat nicht existent. Lee Kuan Yew, Taoist und in der konfuzianischen Tradition erzogen, berief sich beim Aufbau der jungen Nation auf die Werte und Machtstrukturen, die ihm und der Mehrheit des Volkes zu eigen waren. Darein konnte sich, wollte die Gesellschaft funktionieren, die westliche Demokratie nicht unmodifiziert einpassen. In der jungen Nation, die noch der nationalen Identität entbehrte, hatten Minderheitsrechte — die Menschenrechte nach dem Buchstaben der UN-Charta — eine untergeordnete Rolle zu spielen. Das Allgemeinwohl genoß absolute Priorität.

Lees PAP hat sich die politische Macht nicht gesichert, weil sie ruchlos absolutistisch regierte, sondern weil sie — getreu dem Prinzip „Li" folgend — stets eine Politik der Goldenen Mitte betrieben hat, eine Politik, in der der einzelne mit dem Allgemeinwohl prosperierte. Lee hat dem Individuum die Chancen-gleichheit eröffnet, die dieses jedoch wahrnehmen muß. Sie wird ihm jedoch nicht — wie in westlichen Demokratien — per Gesetz zugesichert. Die Opposition in Singapur kann dem politischen Mittelkurs der PAP nur die extremistischen Flanken entgegensetzen, will sie sich von der Regierung abheben. Eine derart limitierte Alternative kann nur jenen frustrierten Bodensatz einer Gesellschaft anlocken, der glaubt, daß der Staat den Mangel an Eigeninitiative auch noch honorieren müsse.

Lee Kuan Yew mußte zunächst eine homogene Identität schaffen, er mußte den Singapureaner disziplinieren. Erst heute kann die PAP zum nächsten Schritt im Aufbau der Nation ansetzen. Lee ist sich sehr wohl der Tatsache bewußt, daß keine Nation im Zeitalter der globalen Interdependenz ausschließlich im eige31 nen Kulturkreis schweben kann. Die Völkergemeinschaft muß zu allgemeingültigen Normen des nationalen und zwischenmenschlichen Zusammenlebens finden. Dazu bedarf es eines wechselseitigen Anpassungsprozesses zwischen Ost und West, zwischen Konfuzius und Christus. Indem Lee Singapurs Bildungspolitik reformierte, hat er diesen Anpassungsprozeß eingeleitet. Den Vollzug muß er der zweiten Führungsgeneration überlassen.

Diese zweite Führungsgeneration, ein Produkt beider Welten, ist zum einen der Garant dafür, daß Prinzipien der Staatsführung — wie sie von der alten Garde festgelegt wurden — gewahrt bleiben. Sie ist jedoch westlichen Werten so stark ausgesetzt gewesen, daß das absolutistische konfuzianische Prinzip für sie in Frage gestellt ist. Sie wird mehr als die alte Garde eine Teamarbeit anstreben, an der das Volk teilhaben wird. Die zweite Führungsgeneration kann sich auf stabile Fundamente stützen. Sie kann sich liberalere Züge leisten. „Singapur ist nicht mehr allzu weit von einem demokratischen System entfernt, das zwar nicht dem der Bundesrepublik Deutschland, dem der USA oder dem Englands gleichen wird, in dem es jedoch einen gesicherten Platz für international respektierte humanitäre Prinzipien und elementare Menschenrechte gibt", prophezeit ein westlicher Sozialwissenschaftler an der Neuen Singapur Universität.

Ausblick

Was das Werden Singapurs vom Werden der benachbarten Staaten in der Region unterscheidet, ist die konsequente Politik der People's Action Party, die in ihren groben Umrissen und weit vorausschauend bereits am Tage der Parteigründung festgelegt wurde. In den Nachbarländern wird dagegen nur allzu deutlich, daß die politische Führung mehr oder weniger kurzsichtig zwischen Legislaturperioden operiert und ansonsten ihre Politik an aktuellen Symptomen orientiert. Wo der Demokratisierungsprozeß in der Region nur zögernd oder gar nicht stattfindet, haben die Herrschenden es versäumt, dem Volk ein klares Konzept zu unterbreiten, das aus der individualistischen oder gruppenspezifischen Denkweise der vorkolonialen Vergangenheit heraus in die Neuzeit einer nationalen Identität führt. Vergessen wir doch nicht, daß die meisten Nationen der Region vor ihrer Kolonialisierung nicht in den heutigen Grenzen bestanden. Indem die Regierenden der neu abgegrenzten staatlichen Einheiten es nicht vermochten, ein weitreichendes Konzept zu entwickeln, das den rivalisierenden Gruppen Vertrauen einflößte, in dem sie ihre Rechte und Interessen überzeugend gewahrt sahen, wird das von ihnen verwaltete System weiterhin vom Gruppenegoismus erschüttert. Die einzige Antwort, die diesen Regierenden ein-fällt,um gegen diesen Gruppenegoismus den Bestand der Nation zu sichern, ist autoritäre Härte, in der sich keine Milde absehen läßt. Die Regierenden klammern an einer Macht, die sie im Interesse einer Nation ausüben zu müssen glauben, für die sich sonst kaum jemand im Volk verantwortlich fühlt. Die daraus resultierende ständige Gegenwart der Revolution behindert die nationale Gesamtentwicklung. Diese Nationen sind nicht in der Lage, etwas aus ihrer neuerworbenen Unabhängigkeit zu machen. Dies gilt nicht nur für solche Staaten, die sich philosophisch auf die konfuzianische Tradition berufen können, sondern auch für die Völker des malaiischen Archipels. Begründet sich doch auch hier die Hierarchie auf einem vergleichbaren System, nämlich dem des benevolenten Autokraten. Wo westlich beeinflußte junge Intellektuelle gegen den überkommenen hierarchischen Feudalismus der Staatsgründer rebellieren, jedoch nicht zur politischen Mitverantwortung zugelassen werden, flüchten sie sich in den Sozialismus marxistisch-leninistischer Prägung. Sie fallen der Illusion zum Opfer, daß sich Gerechtigkeit durch staatlich verordnete Gleichmacherei erreichen lasse, ohne Rücksicht darauf, daß das Wohl eines Staatswesens in erster Linie auch davon abhängt, daß das Volk gleich empfindet. Singapur ist — so meine ich — ein Modell, das zwar nicht in allen Einzelheiten kopierbar übertragen werden kann, das jedoch ein Beispiel gibt, wie eine moderne Nation aus einer verharschten Vergangenheit entstehen kann.

Singapur ist modellhaft für eine junge Nation, die eine relative Harmonie zwischen staatlichen Belangen, dem Volk als Gesamtheit und den Erwartungen des einzelnen geschaffen hat.

Fussnoten

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Jürgen Dauth, geb. 1941 in Frankfurt/M.; Studium der Missionstheologie in Wuppertal; seit 1975 Rundfunk-und Zeitungskorrespondent für Südostasien mit Sitz in Kuala Lumpur/Malaysia.