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Mehr Gerechtigkeit durch mehr Gesetz? | APuZ 21/1981 | bpb.de

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APuZ 21/1981 Artikel 1 Artikel 2 Mehr Gerechtigkeit durch mehr Gesetz? Reform oder Korrektur? Zur Dokumentation über den Abbau von Staatsaufgaben und zur Verwaltungsvereinfachung in Bayern

Mehr Gerechtigkeit durch mehr Gesetz?

Rüdiger Voigt

/ 48 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der rechtspolitischen Diskussion stehen sich Gegner und Befürworter der Verrechtlichung in einer Art „politischem Glaubenskrieg" gegenüber. Mit dem Begriff der Verrechtlichung werden aber zum Teil ganz unterschiedliche Inhalte verbunden, so daß es notwendig erscheint, für eine begriffliche Klärung zu sorgen, um die Diskussion zu versachlichen. Als Grundtypen der Verrechtlichung werden daher Vergesetzlichung, Bürokratisierung und Justizialisierung herausgearbeitet. Da sich die Erscheinungsformen der Verrechtlichung besonders deutlich in neuen Politikbereichen zeigen, werden vor allem Sozialpolitik, Bildungspolitik und Umweltpolitik untersucht. Dabei erweist es sich, daß sich manche negativen Folgen der Verrechtlichung, insbesondere der Bürokratisierung, nur mit vermehrter Verrechtlichung bekämpfen lassen. Umgekehrt führt die Einsicht, daß der Staat und seine Rechtsordnung an ihre Grenzen gestoßen sind, zu der Erkenntnis, daß auch über Alternativen zur Verrechtlichung nachgedacht werden muß. Unter diesem Aspekt werden die Auswirkungen von Entregelung, Entstaatlichung und Entbürokratisierung analysiert. Der vierte Teil schließlich ist den Folgen der Verrechtlichung für den einzelnen gewidmet. Hierbei geht es in erster Linie um die Bedingungen von Effektivität und Mobilisierung des Rechts. Als Ergebnis läßt sich feststellen, daß Normen unter bestimmten Voraussetzungen wirkungslos bleiben und daß Menschen in bestimmten Fällen nicht zum Recht, sondern zu außerrechtlichen Konfliktlösungsmöglichkeiten Zuflucht nehmen.

Ein Beitrag zur Verrechtlichungs-Diskussion

Inhalt

Ich selbst kenne gar nicht mehr alle Gesetze, die ich unterschreibe. Den Fachministern geht es nicht anders. In Brüssel, in Bonn und in den Landesparlamenten — auch in der Hamburger Bürgerschalt — wird einlach zuviel davon produziert. Wir müssen uns davor hüten, alles reglementieren zu wollen.

Bundeskanzler Helmut Schmidt, im November 1979

Die aktuelle rechtspolitische Diskussion wird von einem Thema und seinen Variationen beherrscht, das sich ganz allgemein als Verrechtlichung bezeichnen läßt. Stichworte wie „Normenflut" und „Gesetzesinflation" deuten dabei auf einen wichtigen Teilbereich der Verrechtlichung hin: die schier unüberschaubare Vermehrung vor allem des geschriebenen Rechts. Das Anschwellen der Gesetzesblätter in Bund und Ländern — aber auch in der Europäischen Gemeinschaft — legt hierfür ein beredtes Zeugnis ab. Einer immer schneller rotierenden Gesetzgebungsmaschinerie steht auf der anderen Seite jedoch eine ständig steigende Zahl unbewältigter Probleme gegenüber. Beklagt werden darüber hinaus „Gesetzesperfektionis-mus" einerseits und „Paragraphendickicht“ andererseits. Mit der Neigung des Gesetzgebers, jeden gesellschaftlichen Sachverhalt so lük-kenlos und genau wie möglich zu regeln, ist nämlich ein wachsendes Unbehagen der Bevölkerung an der mangelnden Transparenz und Verständlichkeit der Gesetze und ihren oft nicht vorhersehbaren Nebenfolgen verbunden. Der juristische Laie sieht sich einer für ihn unverständlichen Rechtssprache konfrontiert; aber auch der spezialisierte Jurist kann häufig nur noch einen engen Rechtsbereich überblikken. Zur fortschreitenden Verrechtlichung trägt ebenfalls die Verwaltung bei, denn sie handelt zwar in der Regel aufgrund von Gesetzen, sie schafft sich u. U. aber auch eigene (untergesetzliche) Normen, die sie im Kontakt mit dem Bürger anwendet. Auch hier empfindet der einzelne oft das Gefühl eines „Ausgeliefertseins" gegenüber weitgehend anonymen Mächten in einer „verwalteten Welt". Und schließlich ist auch die Justiz an der Verrechtlichung beteiligt, wenn sie in „richterlicher Rechtsfortbildung" Lücken im Gesetzeswerk durch Auslegung, Interpretation etc. ausfüllt und damit für die nachgeordneten Gerichte und Behörden verbindlich regelt.

I. Verrechtlichung in der wissenschaftlichen Diskussion

Bildung eines Analyserahmens Der Begriff der Verrechtlichung wird in der rechts-und sozialwissenschaftlichen Literatur in letzter Zeit häufig gebraucht; mit ihm werden aber z. T. ganz unterschiedliche Inhalte verbunden. Zwar liegt die Assoziation mit Entfremdung, Reglementierung, Zentralisierung, Bürokratisierung und Bürgerferne auf der Hand, es fehlt aber bislang an einer umfassenden systematisierenden Analyse der verschiedenen Aspekte der Verrechtlichung 1) -Mit diesem Defizit steht eine unklare Begrifflichkeit in engem Zusammenhang, die die Verständigung erschwert. Zudem ist die wissenschaftliche Diskussion von einer politischen Auseinandersetzung überschattet, in der sich Befürworter und Gegner der Verrechtlichung unversöhnlich gegenüberstehen. Um eine drohende Polarisierung zu vermeiden, erscheint es daher als nützlich, nicht nur die bestehenden Unterschiede zwischen den verschiede-* nen Fachdisziplinen und politischen „Lagern" deutlich zu machen, sondern darüber hinausgehend das Verbindende der gegensätzlichen Positionen herauszuarbeiten. Dieses Vorhaben wird dadurch ermutigt, daß die scheinbar grundsätzlichen Positionsunterschiede zwischen konservativen und „linken“ Kritikern der Verrechtlichung bei näherem Hinsehen erstaunliche Übereinstimmungen aufweisen. Sprechen nämlich die einen von „Gesetzesflut", „Inflation im Recht" und „Bürokratisierung" so kritisieren die anderen denselben Sachverhalt als „Kolonialisierung der Lebens-welt" oder als „bürokratisch-rechtliche Zugriffe-). a) Sozialwissenschaftliche Analyse des Rechts Eine stärkere wissenschaftliche Durchdringung der Verrechtlichungsproblematik wird allerdings durch das Fehlen eines allgemein akzeptierten Analyserahmens erschwert. Die folgenden Ausführungen, die sich auf wichtige Vorarbeiten der Rechtssoziologie, der System-theorie, der Staats-und Rechtstheorie sowie der Politik-und Verwaltungswissenschaft stützen, sollen daher erste Ansätze hierzu liefern.

Aus rechtswissenschaftlicher Sicht erscheint Verrechtlichung als die ständige Vermehrung des Rechts zum einen durch das Erfassen immer neuer, bisher nicht normierter Lebens-sachverhalte, zum anderen durch weitere Detaillierung und Spezialisierung bereits vorhandener Normen Unter Verwendung system-theoretischer Erkenntnisse läßt sich als Ursache für diesen Expansionsprozeß die Notwendigkeit ständiger gesellschaftlicher Eingriffe zur Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gleichgewichts ermit. teln.

Aus politikwissenschaftlicher Perspektive ge. winnt Verrechtlichung besondere Bedeutung aus der Funktion des Rechts als eines der zentralen Handlungsinstrumente staatlicher Steuerung gesellschaftlicher Prozesse Aller-1 dings sprechen die von der Verwaltungsforschung festgestellten „Vollzugsdefizite" — z. B. im Umwelt-und Sozialrecht werden geltende Rechtsvorschriften nicht oder nicht vollständig ausgeführt — eher gegen die Steuerungseffizienz von Recht. Rechtssoziolo1 gische Untersuchungen haben überdies ge. zeigt, daß Rechtsnormen nicht um ihrer selbst willen befolgt werden, sondern von der Gesellschaft zunächst akzeptiert worden sein müssen.

Aus sozialpsychologischer Sicht ergibt sich hieraus die Frage nach der Reaktion des einzelnen auf die Verrechtlichung, insbesondere nach dem Verhalten der Betroffenen in einem verrechtlichten Konflikt. b) Politischer Immobilismus durch Verschiebung der Macht?

Ein weiterer Aspekt sozialwissenschaftlichen Interesses ist die durch die Verrechtlichung bewirkte Machtverschiebung zwischen Parlament, Verwaltung und Justiz. Während nämlich das Grundgesetz dem Parlament eine beherrschende Stellung im politischen Prozeß zuweist, sind die parlamentarischen Kontrollund Initiativfunktionen in der Verfassungsrealität zum großen Teil auf Verwaltung und Verfassungsjustiz übergegangen. Daß die Mi nisterialbürokratie bei der Gesetzgebung eine überragende Rolle spielt, wird allein an der Tatsache deutlich, daß der größte Teil der (erfolgreichen) Gesetzesinitiativen von der Bundesregierung ausgeht. Dem Parlament bleibt dabei oft nur ein geringer Entscheidungsspielraum. Dieser Spielraum wird zudem durch bestimmte Urteile des Bundesverfassungsgerichts eingeengt, die dem Gesetzgeber manchmal bereits den Inhalt künftiger Gesetze vorschreiben. Die Neigung der Parlamentarier, Konflikte — zumindest in Wahlzeiten — nicht zu entscheiden, sondern das politische Risiko auf die Gerichte abzuwälzen kann u. U. sogar zum politischen Immobilismus führen, nämlich dann, wenn umstrittene Gesetzesvorlagen erst gar nicht dem Parlament vorgelegt werden. Auf der anderen Seite sehen sich Parlamente und Regierungen in Bund und Ländern einer Bürokratie gegenüber, die sich zu verselbständigen droht. Die immer eingehendere Normierung gesellschaftlicher Sachverhalte führt zu einer Herrschaft der Experten und damit zu einem tendenziellen Übergewicht der Verwaltung. Da die meisten Gesetze als politische Kompromisse „offen" sind, erhalten sie ihren konkreten Regelungsgehalt oft erst durch die administrative Anwendung oder durch die gerichtliche Auslegung. 2. Grundtypen der Verrechtlichung Vor diesem Hintergrund der wissenschaftlichen Diskussion lassen sich unschwer drei Grundtypen der Verrechtlichung erkennen und gegeneinander abgrenzen: die Vergesetzlichung, die Bürokratisierung und die Justizialisierung. a) Vergesetzlichung Charakteristisch für die Vergesetzlichung oder Parlamentarisierung, die Verrechtlichung durch den Gesetzgeber, ist die vor allem durch den Wandel der Staatsaufgaben bedingte Zunahme der Gesetzesproduktion. Im Verlauf der Geschichte änderte sich auch das Verständnis der Funktion von Parlament und Gesetzgebung. Verlangte das liberale Bürger-um in der absoluten Monarchie zunächst nur die Bindung staatlichen Handelns an Gesetze und die parlamentarische Mitwirkung an ihrer Verabschiedung, soweit sie in Freiheit und Eigentum der Bürger eingriffen, so bedeutete die Konstituierung der parlamentarischen Demokratie in der Weimarer Republik, daß das Parament eine umfassende Kompetenz zu staatlicher Normsetzung erlangte. Zentrale Funk-ion des Parlaments wurde die Gesetzgebung, zugleich änderte sich aber auch der Charakter ier Gesetze.

Aus der Eingriffsermächtigung in bürgerliche Freiheit und Eigentum wurde ein variables Initrument zur Durchsetzung politischer Ord-nungsvorstellungen und schließlich sogar zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums Vor allem die Notwendigkeit, schnell auf nationale und internationale Veränderungen der ökonomischen Gegebenheiten reagieren zu müssen, führte zu einer Abkehr von den Grundsätzen der Allgemeinheit und Abstraktheit des Gesetzes und zu einer Zunahme von Maßnahme-und Einzelfallgesetzen. Denn gerade die neuen Aufgaben des Sozialstaates, Sozialleistungen und Subventionen zu erbringen sowie Finanzplanung, Global-und Konjunktursteuerung zu betreiben, erfordern nicht nur immer mehr, sondern auch immer speziellere gesetzliche Regelungen b) Bürokratisierung Unter Bürokratisierung wird in dem hier interessierenden Zusammenhang Verrechtlichung durch die Verwaltung verstanden. Ihre Charakteristika sind die zunehmende Selbststeuerung der Administration und — damit verbunden — die Schöpfung eigenen (d. h. neuen) Rechts auf untergesetzlicher Ebene. Das von Max Weber' entworfene Strukturmodell legal-bürokratischer Verwaltung hatte zur Voraussetzung, daß in erster Linie Rechtsnormen die Ergebnisse des Verwaltungshandelns steuern und so voraussehbar und kalkulierbar machen. Dieses auf den Rechtsstaat bezogene Verwaltungsmodell genügt allerdings modernen sozialstaatlichen Erfordernissen nicht mehr. Denn hier ist häufig der Ausgangspunkt administrativen Handelns ein bestimmtes politisches Ziel (Zweck) — wie z. B. die Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts —, während die Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, u. U. noch gar nicht bekannt sind. In diesem Fall bleibt es der Verwaltung überlassen, die ihr geeignet erscheinenden Mittel auszuwählen und anzuwenden.

Die Verwaltung muß also oft selbst erst die Voraussetungen schaffen, die zur Erreichung bestimmter konkreter Ergebnisse erforderlich sind Hierzu gehört nicht nur der bestimmende Einfluß der Ministerialverwaltung auf die Gesetzgebung, sondern auch der Erlaß von Rechtsverordnungen. Durch Gesetz können nämlich die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Zwar müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung nach Art. 80 GG im Gesetz bestimmt werden, dennoch lassen sich auf diese Weise Rechtsnormen schaffen, die nicht vom Parlament verabschiedet worden sind. Aber auch interne Verwaltungsvorschrif. ten und Verwaltungsgrundsätze für den Vollzug von Gesetzen haben Auswirkungen auf den Bürger, etwa dann, wenn durch sie festgelegt wird, wie ein Antrag auf Sozialhilfe bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zu entscheiden ist. c) Justizialisierung Kennzeichnend für die Justizialisierung, die Verrechtlichung in Form von Akten der Rechtsprechung, ist die zunehmende Verlagerung politischer Entscheidungsund Initiativfunktionen auf die Justiz. Besonders deutlich wird dies an der Rolle des Bundesverfassungsgerichts als „Hüter der Verfassung", die diesem eine Art Gesamtverantwortung für das demokratisch-politische Gemeinwesen auferlegt Verrechtlichung durch Kompetenzausdehnung der Judikative ist freilich nicht nur auf das Bundesverfassungsgericht beschränkt, sondern gilt in gewissem Maße für die gesamte Justiz. So wird die „richterliche Rechtsfortbildung" in der Rechtswissenschaft ganz allgemein als eine Form begrenzter Gesetzgebung qualifiziert und die Rechtsgestaltung als Aufgabe der Justiz angesehen. Von den drei Erscheinungsformen der „richterlichen Rechtsfortbildung: Gesetzesanwendung, Gesetzesergänzung und Gesetzeskorrektur, wird allerdings nur die Gesetzeskorrektur von der Rechtsprechung als Entscheidung gegen das Gesetz strikt abgelehnt Für die Gesetzesergänzung werden hingegen lediglich besondere Anforderungen gestellt I Sucht der Richter nach einem Ausweg aus den „Mauern des Gesetzes", so muß er die Notwendigkeit für die Gesetzesergänzung nachweisen. Wegen der Konkretisierungsbedürftigkeit jeder Rechtsnorm kommt dem Richter-recht aber auch im Falle der Gesetzesanwendung verrechtlichende Wirkung zu. So wird durch Gerichtsentscheidungen — vor allem der Obersten Gerichtshöfe des Bundes — u. U. neues Recht geschaffen, das dem vom Parlament verabschiedeten Gesetzesrecht in seiner Wirkung durchaus vergleichbar ist.

Dies ist die logische Konsequenz des in den Art. 20 und 28 GG festgelegten Rechtsstaatsprinzips, das einerseits bestimmt, daß der Staat nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes in die Rechte des einzelnen eingreifen darf und andererseits der Justiz — z. B. durch die Gewährung richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 GG) — eine besondere Rolle im Rahmen der Gewaltenteilung zuweist. Ist das durch die übrigen Gerichte „geschaffene Recht" aber durch den Gesetzgeber jederzeit korrigierbar, so gilt dies nicht für das Bundesverfassungsgericht. Denn seine Entscheidungen binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden und haben in bestimmten Fällen sogar Gesetzeskraft War die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen in der Weimarer Republik im wesentlichen noch auf die Einhaltung der von der Verfassung vorgeschriebenen Verfahrensregeln beschränkt gewesen, so zeigte der nationalsozialistische Un-rechtsstaat, daß die Vorkehrungen zum Schutze der Demokratie auch auf dem Gebiet der Gerichtsbarkeit versagt hatten. Aus dem bloß formalen Rechsstaat wurde daher der „materiale Rechtsstaat des Grundgesetzes, in dem staatliches Handeln zusätzlich auch auf die im Grundgesetz getroffenen Wertentscheidungen hin überprüft wird. Die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen sind allerdings zumeist auslegungsbedürftig, so daß der Interpretations-und Definitionskompetenz des Bundesverfassungsgerichts eine besondere Bedeutung zukommt. Denn angesichts der Neigung der im parlamentarischen Abstimmungsprozeß unterlegenen Minderheit, das Verfassungsgericht als Schiedsrichter anzurufen, ist eine Tendenz zur allmählichen Verschiebung des politischen Macht-gleichgewichts auf Kosten von Parlament und Regierung unübersehbar.

II. Verrechtlichung in der politischen Praxis

Seit geraumer Zeit klagen nicht nur Unternehmer und Wirtschaftsverbände über die Zunahme von oft geradezu unsinnigen Rechts-vorschriften, die den Handlungsspielraum des einzelnen einschränkten und die wirtschaftlichen Auswirkungen nur unzureichend berücksichtigten. Auch Lehrer und Hochschullehrer sehen sich weitgehend hilflos einer immer stärkeren Reglementierung ihrer Aufgaben gegenüber. Kommunalpolitiker beschwören die Gefahr eines Funktionsverlusts der gemeindlichen Selbstverwaltung durch Eingriffe des Staates. Gewerkschafter beklagen die Einengung ihres tarifpolitischen Handlungsspielraums durch Betriebsverfassungsrecht und Arbeitsgerichte. Auf der anderen Seite fordern Umweltschützer eine weitergehende rechtliche Regelung der Nutzung natürlicher Ressourcen (Boden, Luft, Wasser, Rohstoffe etc.), obgleich vor allem seit Mitte der siebziger Jahre zahllose Umweltgesetze in Kraft ge-treten sind Sozialpolitiker — aber auch Gewerkschafter — warnen überdies davor, daß im Zuge von Entstaatlichungstendenzen soziale Teilhaberechte ebenso wie politische Mitwirkungsrechte, die durch Reformen mühsam erkämpft worden sind, abgebaut werden könnten. Auch die Therapievorschläge sind also in sich widersprüchlich und offenbar nicht gründlich genug durchdacht. Verrechtlichung erweist sich damit als ein Phänomen, das ganz unterschiedliche Folgen haben kann, indem sie sowohl bestandssichernd wie handlungsbegrenzend wirkt. Im folgenden sollen daher Ausmaß und Wirkung der Verrechtlichung zunächst in einem allgemeinen Über-blick dargestellt werden. 1. Normenflut und Gesetzesdickicht Äußeres Kennzeichen der Verrechtlichung ist die vielfach als „Normenflut" bezeichnete Zunahme der Gesetze 196), die freilich allein über Regelungsinhalt und Regelungsdichte — und damit auch über ihre Folgen — noch nichts aussagt. Daneben fällt aber auch die Ausdehnung der Regelungsbereiche sowie der zunehmende Anteil an von den Regierungen erlassenen Rechtsverordnungen auf. Und schließlich trägt im Wirtschaftsbereich auch die Europäische Gemeinschaft dazu bei, durch den Erlaß von unmittelbar verbindlichen EG-Verordnungen das „Gesetzesdickicht" noch undurchdringlicher zu machen. So äußerten sich selbst Bundeskanzler Helmut Schmidt und sein damaliger Justizminister, Hans-Jochen Vogel, skeptisch gegenüber der „Normenflut". Nicht alles müsse unbedingt durch Gesetze geregelt werden. In ihrer dreiteiligen Dokumentation „Gängelwirtschaft statt Marktwirtschaft?" aus den Jahren 1977 und 1978 nannte die Industrie-und Handelskammer zu Koblenz zahlreiche Beispiele für einen offensichtlich unsinnigen Gesetzesperfektionis-mus. Noch deutlicher wurde die CDU in ihrer Dokumentation „Unsichtbare Staatsquote oder Was die Staatsquote verschweigt" vom Februar 1979. Unter der Überschrift „Eurokratie“ vermerkte sie: „Fast lachhaft wird der Hang zur Detailverordnung der EG-Bürokratie am Beispiel der Verordnung über den freien Verkehr von Frischeiern, für die sogar die Größe der Luftblase in der Eierschale festgelegt wurde. Eine solche Verstrickung im Detail muß zwangsläufig zu Ergebnissen führen, die das Gegenteil davon bewirken, was sie eigentlich bezwecken sollen: Klarheit, Gerechtigkeit, Praktikabilität" a) Das Parlament als „Normenpresse"?

Vergleicht man einmal die Zahl der im Kaiserreich jährlich verabschiedeten Gesetze mit der Bundesgesetzgebung heute, so ergibt sich eine Steigerung um 500 Prozent in hundert Jahren. Verabschiedete der Reichstag des Kaiser-reichs 1910 noch 22 Gesetze, so waren es in der Weimarer Republik 1930 bereits 99 Reichsgesetze, während der Deutsche Bundestag durchschnittlich 115 Gesetze pro Jahr verabschiedet . Besonders plastisch läßt sich diese Entwicklung an der Seitenzahl der Gesetzesblätter veranschaulichen. War das Reichsgesetzblatt im Kaiserreich etwa 570 Seiten stark, so erreichte dieses in der Weimarer Republik bereits einen Umfang von rd. 1 000 Seiten. Demgegenüber umfaßt das Bundesgesetzblatt, das seinen Umfang in den letzten 30 Jahren allein verdreifacht hat, heute etwa 1700 Seiten. Heute wird also in einem Jahr etwa soviel an Gesetzblattext veröffentlicht wie vor 100 Jahren in zehn Jahren . Und diese Zahlen erfassen nur die Bundesgesetzgebung; die Ländergesetzgebung vermehrt die „Gesetzesflut" noch einmal beträchtlich. Nach dem Fundstellennachweis A waren am 18. Februar 1977 etwa 1 480 Gesetze und 2 280 Rechtsverordnungen des Bundes in Kraft. Dazu kamen z. B. allein für Bayern nach dem Stand vom 1. Januar 1977 noch einmal 499 Landesgesetze und 1255 Rechtsverordnungen des Freistaates Bayern Ähnliche Zahlen gelten für die Gesetzesproduktion der übrigen Bundesländer. Nicht berücksichtigt sind dabei die zahllosen EG-Verordnungen (1975 etwa 3 500). b) Ursachen der „Normenflut"

Ohne Zweifel verursachen technischer, wirtschaftlicher und sozialer Wandel sowie die internationale Verflechtung der Bundesrepublik Deutschland einen gewissen Mehrbedarf an gesetzlichen Regelungen. Zudem hat die Entwicklung zum Wohlfahrts-und Verteilerstaat nicht nur zu einer Änderung der Staatsaufgaben, sondern auch zu einem neuen Verständnis der politischen Funktionen von Rechtsetzung geführt. Denn auch zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums muß heute der Staat immer häufiger eingreifen und als „Interventionsstaat" immer mehr Aufgaben selbst übernehmen Bei einem Vergleich der Gesetzesproduktion zu verschiedenen Zeiten muß zudem berücksichtigt werden, daß ein großer Teil der Seiten des Bundesgesetz-blattes gar nicht der Wiedergabe neuer Rechtsnormen, sondern z. B.der Bekanntmachung des zusammenhängenden Wortlauts eines vielfach geänderten Gesetzes, dem Abdruck von Listen, Tabellen, amtlichen Form-blättern etc. dient Dennoch bleibt eine genügend große Zahl neuer gesetzlicher Regelungen übrig, um die Frage gerechtfertigt erscheinen zu lassen, ob für alle Gesetze und Verordnungen der letzten Zeit tatsächlich ein echtes Regelungsbedürfnis bestand. Es ist daher vor allem nach den vermeidbaren Ursachen der „Normenflut" zu fragen. Hansjörg Jellinek nennt als Hauptursache die falsche und unkoordinierte Prioritätensetzung bei der Normgebung. Oft werden nämlich die eigentlich zu lösenden politischen Probleme über den technischen Details vergessen oder aber nicht in Zusammenhang mit den übrigen Zielen der Regierungspolitik gebracht. Die Folge sind zu viele Spezialistengesetze, die zudem nicht mit anderen Gesetzen koordiniert sind. Ottmar Bühler 27i) beschreibt diesen Sachverhalt als „jenen Dauerregen systemloser Gesetze und Gesetzesflicken", auf den er (1959) die „heutige Misere" zurückführt. Weitere Ursachen sind nach Jellinek: Zeitdruck und Hektik; zu perfektionistische Bestimmungen; Unklarheit und „Schlampigkeit" der Gesetzessprache; Verweisungssucht sowie Entscheidungsangst oder Profilierungssucht einzelner Beamter. Offenbar fehlt es an einer „Kontrolle der Rechtsanwendung". Der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Dr. Lenz, hat das vor einigen Jahren bereits zutreffend formuliert 27 : „Was passiert eigentlich mit den Gesetzen, die wir hier verabschieden? Diesem Gesichtspunkt ... haben wir bei unserer bisherigen Arbeit, ich möchte sagen, sträflich wenig Aufmerksamkeit gewidmet, weil wir ständig mit neuen . Produktionen'beschäftigt waren und deshalb unter Umständen gar nicht genau wissen konnten, wie der Stand der Dinge draußen ist und ob sich das, was wir neu machen, eigentlich in den richtigen Bahnen bewegt."

Im Sinne eines „legal self-restraint" empfiehlt Jellinek daher, die Normierungsnotwendigkeit schärfer zu prüfen sowie Gesetzesplanung und Gesetzestechnik zu verbessern. Dazu gehört vor allem eine sorgfältige Tatsachenprüfung bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen, aber auch die Verpflichtung, die Wirkung bereits geltender Gesetze zu kontrollieren und sie bei Änderungen der Entwicklung oder im Fall einer Fehlprognose zu korrigieren 27). c) Unzulänglichkeiten der Gesetzessprache Neben dem Umfang der Gesetzesproduktion wird besonders die Gesetzessprache kritisiert. Sie erscheint oft als unverständlich und verstärkt damit den Eindruck, man befinde sich in einem undurchdringlichen „Dickicht" der Gesetze. Eine der Ursachen für die geringe Verständlichkeit der Gesetzestexte ist die aus-ufernde Verweisungspraxis. Was der Gesetzgeber durch den Verweis auf an anderer Stelle veröffentlichtes Recht an Umfang des Gesetz-blattes einspart, geht nämlich ganz zu Lasten der Betroffenen. Denn der Bürger, der mit einem bestimmten Gesetz konfrontiert wird, hat kaum jemals die Möglichkeit, sich Zugang zu allen zitierten Gesetzen zu verschaffen. Ohne die Kenntnis dieser Zitate ist der Sinn der im Gesetz enthaltenen Aussage oft aber gar nicht zu verstehen. Das Gesetz erfüllt damit seine Aufgabe nicht, dem Bürger zu sagen, wie et sich in einer bestimmten Situation zu verhalten hat, was seine Recht sind, wo seine Pflichten liegen, wo er Einschränkungen im Interesse der Allgemeinheit hinzunehmen hat oder welche Leistungen er von der Allgemeinheit fordern kann 27).

Nicht zu Unrecht werden daher verständlichere Gesetze gefordert, da sich auch die Sprache an dem Adressatenkreis der Norm zu orientieren habe. Begnügen sich einige Kritiker mit der Forderung, zumindest der Rechtskundige (etwa der Rechtsanwalt) müsse ein Gesetz verstehen können, so geht Konrad Redeker 27^ noch einen Schritt weiter. Er fordert, daß Gesetze für jedermann so formuliert sein müßten, daß der Bürger sie in ihren Grundzügen verstehen könne, ohne Rechtsrat einholen zu müssen. Die Kritik an der Sprache der Gesetze ist allerdings keinesfalls auf unsere Zeit beschränkt, sondern wurde bereits vor der Jahrhundertwende laut. Das Besondere an der heutigen Situation ist jedoch, daß sich „Normenflut" und Regelungsdichte auf der einen Seite sowie Vieldeutigkeit der Begriffe und Formulierungsunschärfe auf der anderen Seite gegenseitig hochschaukeln. Trotz intensiver Bemühungen ist dieses Problem jedoch allenfalls teilweise zu lösen. Allzu kompliziert sind die Lebenszusammenhänge (vor allem die technischen Zusammenhänge), aber auch die rechtswissenschaftliche Durchdringung (Dogmatik) des Stoffes geworden, als daß sich Gesetzesaussagen ohne weiteres in der für jeden verständlichen Umgangssprache formulieren ließen. d) Sicherung des Rechtsstaats In einem Rechtsstaat spielt die Justiz eine besondere Rolle. Denn eine der Hauptaufgaben des Rechtsstaates ist es, die Freiheit des Individuums vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Nicht zufällig sind daher die meisten Grundrechte des Grundgesetzes Freiheitsrechte. Für den Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen steht in der Bundesrepublik Deutschland eine gut ausgebaute Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Verfügung, mit deren Hilfe der Betroffene nahezu jede Verwaltungsmaßnahme — wie z. B. die Verweigerung einer Baugenehmigung, die Erteilung eines Renten-bescheides etc. — auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen lassen kann. Damit dienen die Verwaltungsgerichte zugleich einer externen Kontrolle der Verwaltung.

Im „materialen Rechtsstaat" des Grundgesetzes werden aber auch die vom Parlament verabschiedeten Gesetze durch die Verfassungsgerichtsbarkeit an ihrer Vereinbarkeit mit den Grundentscheidungen der Verfassung gemessen. Die hierfür erforderliche Interpretation des Grundgesetzes ist Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Damit ist freilich die Gefahr verbunden, daß die Überprüfung von Gesetzen anhand „selbstgesetzter" Maßstäbe das Bundesverfassungsgericht quasi in die Rolle eines „Über-Gesetzgebers" drängt. Immer wieder wird daher von diesem Gericht mehr „richterliche Selbstbeschränkung" (judicial selfrestraint) gefordert, wenn es durch seine Entscheidungen Gesetze nicht nur als verfassungswidrig verwirft, sondern durch bestimmte Vorgaben oft sogar den Gesetzgeber selbst zum Handeln zwingt Solche Forderungen verkennen allerdings möglicherweise den engen Zusammenhang von Recht und Politik, durch den dem Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz nicht nur eine juristi-sehe, sondern auch eine politische Rolle zugewiesen worden ist. 2. Therapievorschläge Während die zumeist politik-oder verwaltungswissenschaftlich begründeten Änderungsvorschläge in erster Linie eine Verbesserung der Gesetzgebung zur besseren Durchsetzung politischer Ziele bezwecken, zielen die von Politikern vorgetragenen Therapie-vorschläge auf ein generelles Zurückdrängen des Staates aus dem gesellschaftlichen Bereich. Diese Vorschläge reichen von der Eindämmung der „Normenflut" durch das Außerkraftsetzen von Gesetzen über die Entstaatlichung bzw. Re-Privatisierung öffentlicher Aul-gaben bis zur Entbürokratisierung. Während Entbürokratisierung und Entstaatlichung offen als politische Ziele proklamiert werden, ist Charakteristikum der Entregelung, des direkten Gegenstücks zur Vergesetzlichung, daß diese weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit stattfindet.

Der bekannteste dieser Therapievorschläge ist sicher die Forderung nach Entstaatlichung, die vor allem von den Unionsparteien vertreten wird. Auf der wissenschaftlichen Fachtagung der CDU, die 1978 unter dem Motto „Verwalte Welt — Gesellschaft in Fesseln. Bürokratisierung und ihre Folgen für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft" in Bonn stattfand, wurde der wirtschaftspolitische Hintergrund dieser Forderung besonders deutlich. In Vortragsthemen wie „Bremsklötze weg!" (Rainer Barzel), „Im Dschungel des Steuersystems“ (Carl Heinrich Friauf), „Der Mensch im Labyrinth des Sozialstaates" (Theodor Schober), „. Normierungswut'als Ursache der Aufblähung der Bürokratie" (Roman Herzog), „Alle Macht dem Staate?" (Clemens-August Andreae) wurde das allgemeine Unbehagen an der „verwalteten Welt" auf gängige politische Formeln gebracht und mit Nachdruck für eine freie Marktwirtschaft plädiert. a) Entregelung Auf den ersten Blick erscheint die Entregelung als besonders geeignetes Mittel, der „Normenflut" Einhalt zu gebieten. Denn wenn es tatsächlich zuviele, d. h. überflüssige und vielleicht sogar unsinnige Gesetze gibt, was liegt dann näher, als diese abzuschaffen? In diesen Zusammenhang gehört beispielsweise der. Vorschlag, bestimmte Gesetze zeitlich zu befristen. Da viele moderne Gesetze nicht mehr Grundsatzfragen, sondern Einzelfälle regeln, sollten sie außer Kraft gesetzt werden, wenn sie ihren Zweck erfüllt haben. Ähnliches gilt für bestimmte Paragraphen eines größeren Gesetzgebungswerks (z. B.der Sozialgesetzgebung), die nicht mehr aktuell sind, weil sich seit ihrem Inkrafttreten ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen hat. Eine Bereinigung, die das Aussondern überholter Rechtsvorschriften womöglich mit einer Neuordnung der gesamten Materie verbindet — wie diese z. B. im Sozialgesetzbuch vorgenommen worden ist —, kann ebenfalls eine sinnvolle Verringerung der Gesetzesfülle bewirken.

Abbau von Gesetzesrecht Allerdings führt das Schlagwort von der „Gesetzesflut“ insofern in die Irre, als nicht jeder Abbau von Gesetzesrecht auch zugleich die Verrechtlichung und ihre Folgen beseitigt. Denn Verrechtlichung kommt ja nicht nur in Form von Vergesetzlichung vor, sondern auch als Bürokratisierung oder als Justizialisierung. Werden also gesetzliche Regelungen außer Kraft gesetzt, die aktuelle und regelungsbedürftige Probleme betreffen, dann ist damit zu rechnen, daß an die Stelle der Gesetzesbestimmungen Verwaltungsanordnungen und/oder Gerichtsurteile treten. Der „Erfolg" wäre äußerst problematisch, da auf diese Weise u. U. ein wichtiger Bereich der Kontrolle des demokratisch legitimierten Gesetzgebers entzogen würde, ohne daß — aufs Ganze gesehen — die Regelungsdichte wesentlich verringert würde. Eine solche Verlagerung rechtlicher Regelung auf einen anderen Verrechtlichungsträger, also auf Verwaltung oder Justiz, tritt ebenfalls dann ein, wenn der Regelungsgehalt von Rechtsnormen vorschnell zurückgenommen wird. An die Stelle eindeutiger gesetzlicher Regelungen treten dann offener gefaßte Formulierungen (Generalklauseln etc.), die z. B.der Verwaltung einen weiten Hand-lungs-und Ermessensspielraum einräumen. Eine extreme Form der Entregelung ist schließlich das Zurücknehnaen gesetzlich festgelegter sozialstaatlicher Teilhabe-oder Mitwirkungsrechte durch das ersatzlose Streichen der entsprechenden Vorschriften des Gesetzes

Schranken der Entregelung Im demokratischen Rechtsstaat ergeben sich freilich bestimmte Schranken für eine generelle Entregelung aus der Verfassung. Hierzu gehört insbesondere der Vorbehalt des Gesetzes, nach dem in die Freiheitsrechte des Bürgers nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden darf. Für die Verwaltung bedeutet das, daß sie zumindest im Bereich der Eingriffsverwaltung (hinsichtlich der Leistungsverwaltung ist dies nach wie vor strittig) eine gesetzliche Ermächtigung braucht. Um die parlamentarische Verantwortlichkeit und die rechtsstaatliche Vorhersehbarkeit des Staatshandelns sicherzustellen, erlaubt das Grundgesetz deshalb auch nur eine begrenzte Übertragung von Normsetzungsbefugnissen auf die Exekutive Zwar kann die Regierung durch Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Inhalt, Zweck und Ausmaß der vom Parlament erteilten Ermächtigung müssen aber nach Art 80 GG im Gesetz bestimmt werden.

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht für alle Träger der Staatsgewalt verbindlich festgestellt, daß „die Ordnung wichtiger Lebensbereiche zumindest in ihren Grundzügen von dem demokratischen Gesetzgeber selbst verantwortet werde“ (Wesentlichkeitstheorie) Als wichtig werden vor allem solche Bereiche angesehen, die durch Grundrechte geschützt sind. Zumindest der Rahmen für die Regelung dieser Bereiche muß also durch vom Parlament verabschiedete Gesetze festgelegt werden, die freilich durch gesetzes-abhängige Rechtsverordnungen — und schließlich durch Verwaltungsvorschriften — weiter konkretisiert werden können. b) Entstaatlichung Ein weiterer Gegentrend zur Verrechtlichung ist die Entstaatlichung. Diese zielt nach Ansicht der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, die sie in ihrer Entstaatlichungs-Interpellation vom 30. Juni 1977 dargelegt hat, auf drei Bereiche: a) Abbau zu engmaschiger Reglementierungen des Bürgers durch den Staat sowie Verzicht auf Gesetze und Verordnungen, die nicht zwingend notwendig sind, b) Privatisierung öffentlicher Leistungen, die von der privaten Wirtschaft ebenso wie von der öffentlichen Hand angeboten werden oder angeboten werden können, c) Anwendung moderner Organisationsprinzipien, soweit dies nach der Besonderheit der öffentlichen Aufgaben möglich und nützlich ist

Damit faßt die bayerische CSU unter dem Begriff „Entstaatlichung" im Grunde alle Gegen-tendenzen zur Verrechtlichung zusammen. Dem sei hier jedoch der Begriff der Entstaatlichung im engeren Sinne gegenübergestellt, der weder die Entregelung noch die Entbürokratisierung einschließt. In seinem Mittelpunkt steht die „Privatisierung" oder besser: Re-Privatisierung öffentlicher Aufgaben 35).

Re-Privatisierung öffentlicher Aufgaben Mit einer solchen Re-Privatisierung soll nämlich der historische Prozeß der allmählichen „Verstaatlichung" weiter gesellschaftlicher Bereiche rückgängig gemacht werden. Beschränkte sich der „Nachtwächterstaat" des wirtschaftlichen Liberalismus noch auf den Schutz von Freiheit und Eigentum seiner Bürger, so wurden mit dem Entstehen des Sozialstaates im Gefolge der Industrialisierung die für jedermann notwendigen Dienstleistungen (Gas, Wasser, Elektrizität, Abwasserentsorgung, Verkehrsmittel etc.) unter dem Begriff „Daseinsvorsorgd' (Ernst Forsthoff) zu öffentlichen (staatlichen) Aufgaben. Und schließlich mußte der „Interventionsstaat“ im Zeichen der Wirtschaftskrisen immer häufiger zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums eingreifen. Stabilitätspolitik wurde zu einer der wichtigsten Aufgaben des Staates, die durch Verfassungsänderung sogar in das Grundgesetz aufgenommen wurde (Art. 104a Abs. 4 GG). Zugleich mußte die öffentliche Hand immer mehr Aufgaben übernehmen, die mangels Rentabilität von privaten Unternehmen nicht mehr bearbeitet wurden. Da sich der „Steuerstaat" (Joseph A. Schumpeter) nicht über eine von ihm selbst organisierte und pro. duzierte Wertschöpfung, sondern nur über Abschöpfungsbeträge (Steuern etc.) finanzieren kann sind dem Staat bei diesen Aufga. ben enge finanzielle Grenzen gesetzt, will er die Steuerschuldner nicht über Gebühr belasten oder sich unverantwortlich hoch verschulden.

Senkung der Staatsquote Angesichts der Krise der Staatsfinanzen, die sich gerade jetzt wieder in Deckungslücken sowohl des Bundeshaushalts wie der Länder-haushalte zeigt, gewinnt das Argument der Entstaatlichungsbefürworter, man müsse den Staat von bestimmten Aufgaben und damit auch von ihrer Finanzierung entlasten, an Aktualität. Die Forderung nach einer Senkung der Staatsquote, dem Anteil der öffentlichen Hand am Bruttosozialprodukt ist daher auch nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Ländern populär. So haben sowohl die britische Premierministerin Magaret Thatcher wie der neue US-Präsident Ronald Reagan ausdrücklich gefordert — und z. T. auch bereits realisiert —, die Staatsquote zu senken und teure Konjunktur-und Sozialprogramme zu streichen. Auf diese Weise werden zwar die Staatsfinanzen zunächst entlastet, die sozialen Kosten hierfür sind jedoch noch nicht absehbar. So belastet beispielsweise der Verlust von Arbeitsplätzen die Träger der Arbeitslosenversicherung durch höhere Ausgaben bei geringeren Einnahmen, aber auch die der Rentenversicherung, die geringere Einnahmen hinnehmen müssen.

Fraglich erscheint auch, ob sich mit der Re-Privatisierung öffentlicher Aufgaben tatsächlich — wie vielfach behauptet wird — die Abgabenbelastung des Bürgers verringern läßt. Denn selbst wenn sich durch den Abbau von Staatsaufgaben und damit von Finanzierungsverpflichtungen des Staates wirklich die Steuern senken lassen würden, wären auf der anderen Seite sowohl negative Auswirkungen auf das Leistungsangebot als auch entsprechend höhere Marktpreise für privatisierte Leistungen nicht auszuschließen. Subsidiaritätsprinzip und christliche Staats-auffassung Ausgangspunkt der Entstaatlichungsbestrebungen der CSU und der von ihr gestellten Bayerischen Staatsregierung ist das Subsidiaritätsprinzip (Nachrangigkeitsgrundsatz), demzufolge „in erster Linie die kleinere Gemeinschaft wirken soll und mit staatlichen Mitteln erst dann einzugreifen ist, wenn es unausweichlich wird 1'38). Freilich haben die Verfassungsgerichte bisher nicht auf das Subsidiaritätsprinzip als Verfassungsgrundsatz zurückgegriffen. Es ist daher nach wie vor sowohl für das Bundes-wie für das Länderverfassungsrecht umstritten, ob diesem Prinzip der Rang eines Verfassungssatzes beigemessen werden kann. Nach den Worten des damaligen bayerischen Innenministers, Alfred Seidl, ist das Subsidiaritätsprinzip „für die Staatsregierung schon als Maxime christlicher Staats-auffasung eine Richtschnur für die Aufgaben-verteilung zwischen den gesellschaftlichen Kräften und der öffentlichen Hand" Damit nimmt Seidl bewußt Bezug auf die katholische Soziallehre und die in diesem Zusammenhang maßgebliche Formulierung in der Enzyklika „Quadragesimo anno" Nr. 79. Die Folge dieses besonderen Engagements besteht darin, daß in Bayern bereits die zweite „Entstaatlichungskommission“ am Werk ist, deren Vorschläge z. T. auch bereits realisiert sind In den anderen unionsregierten Bundesländern werden ebenfalls Entstaatlichungsbestrebungen erkennbar, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann c) Entbürokratisierung Ähnlich wie der Begriff der „Entstaatlichung“ ist auch der der „Entbürokratisierung" noch nicht eindeutig wissenschaftlich definiert und daher verschieden interpretierbar. In einer weiten Auslegung wird hierunter auch die Normreduzierüng verstanden. Dies gilt z. B. auch für den Beschluß der Regierungschef des Bundes und der Länder vom 15. Februar 1979 zur Rechts-und Verwaltungsvereinfachung, der folgenden Wortlaut hat: „Die Regierungschefs von Bund und Ländern sind sich darüber einig, der Gefahr einer Über-reglementierung und Perfektionierung im Bereich der Gesetzgebung und der Verwaltungsregelungen entgegenzuwirken. Sie werden darauf achten, daß folgende Grundsätze stärker verwirklicht werden:

— Die Rechts-und Verwaltungsvorschriften sollten auf das zur Erreichung der politischen Zielsetzung unbedingt Notwendige beschränkt werden.

— Die Regelungsbefugnis sollte stets dort den Ländern überlassen bleiben, wo eine bundesgesetzliche Regelung nicht zwingend geboten ist.

— Regelungen sollten bürgernah, einfach und verständlich abgefaßt und so sparsam, leicht und bürgernah durchführbar wie möglich gestaltet werden.

— Statistiken sollten nachhaltig eingeschränkt und gestrafft werden.

— Beim Erlaß von EG-Vorschriften sollten diese Grundsätze ebenfalls möglichst weitgehend verwirklicht werden."

Auch bereits zuvor von den Landesregierungen eingesetzte Kommissionen hatten bzw. haben eine ähnliche Aufgabenstellung. Hier soll jedoch der Begriff der „Entbürokratisierung" an der für die Bürokratisierung entwik-kelten Begriffsdefinition orientiert werden. Ihre Charakteristika sind . die zunehmende Selbststeuerung der Verwaltung durch die Produktion eigener Normen einerseits und die wachsende Distanz zwischen Verwaltung und Bürger aufgrund von Verständigungsbarrieren und Hemmschwellen andererseits. Überwachung exekutivischer Rechtsetzung Die Vorschläge zur Entbürokratisierung, die. darauf abzielen, die parlamentarische Kontrolle der Verwaltung zu verstärken, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen 42):

a) Straffe Formulierung der Leitlinien und des Rahmens exekutivischer Rechtssetzungen durch die Parlamente (vgl. Art. 80 Abs. 1 GG). b) Ausbau der Kontrollinstrumente zur Überwachung exekutivischer Rechtssetzung z. B. durch Einführung von Zustimmungsvorbehalten des Parlaments zu Rechtsverordnungen in besonderen Fällen sowie u. U. sogar zu bestimmten allgemeinen Verwaltungsvorschrif-ten. In diesen Zusammenhang gehören auch Überlegungen zur Einrichtung besonderer Kontrollausschüsse des Parlaments oder von Parlamentsbeauftragten für bestimmte Sachgebiete. c) Einführung der Veröffentlichungspflicht für alle Formen von Verwaltungsvorschriften zur Ausführung von Bundesrecht und von EG-Recht, ergänzt durch geeignete Informationsmethoden.

Bürgernähe der Verwaltung Dem stehen die folgenden Vorschläge zur Entbürokratisierung durch den Abbau bürokratischer Tendenzen im Verhalten von Bürger und Behörden gegenüber:

a) Verstärkung des Informationsaustauschs zwischen Bürgern und Abgeordneten z. B. durch die Einführung von „Bürgertelefonen" und „Bürgersprechstunden''.

b) Einwirkung auf die Verantwortungsfreude und das Verhalten von Beamten durch Maßnahmen der Beamtenrechtsreform. Auf diese Weise könnte u. U.der Leistungswille der Beamten auf Aktivitäten hin orientiert werden, die nicht bürokratiefördernd wirken. Hierzu gehört etwa eine Veränderung der Haftungsrisiken und der Beförderungskriterien für Beamte. c) Anhörung der durch Rechtsetzungen oder Planungen Betroffenen auf den jeweiligen Ebenen, Einbeziehung von Bürgerinitiativen in den Dialog zwischen Behörde und Bürger sowie die weitere Zulassung von Verbandsklagen.

d) Information der Bürger über geltendes und neues Recht in ihrem jeweiligen Bereich z. B. durch besondere Auskunftsstellen zur persönlichen Information der Bürger über Leistungen der Sozialhilfe, der Rentenversicherung etc.

Entbürokratisierung in der Privatwirtschaft Da die Bürokratisierung längst nicht mehr auf staatliches Handeln beschränkt ist, sondern zumindest die Verwaltungen großer privatwirtschaftlicher Betriebe selbst „Muster straffer bürokratischer Organisation"' sind, greifen Entbürokratisierungsbestrebungen, die auf die staatliche Bürokratie begrenzt bleiben, im Grunde zu kurz. Zwar ist die bürokratische Organisation ein Herrschaftsmittel, das zuerst im Staat eingeführt wurde. Im Laufe des historischen Prozesses wurde diese Organisationsstruktur aber von der Privatwirtschaft weitgehend übernommen Die Entbürokratisierung müßte also eigentlich auch die Verwaltungen privatwirtschaftlicher Organisationen erfassen, die — wie z. B. Versicherungsgesellschaften — oft einen behördenähnlichen Charakter haben und von denen die Bürger häufig ebenso abhängig sind wie von staatlichen Behörden. Diese privatwirtschaftlichen Organisationen sind allerdings weniger an einer auf sie gerichteten Entbürokratisierung, sondern vielmehr an einem Abbau der staatlichen Bürokratie interessiert, um ihren eigenen Handlungsspielraum zu vergrößern.

III. Verrechtlichung in einzelnen Politikbereichen

Insbesondere zwei Antriebskräfte lassen sich für die Verrechtlichung feststellen, die als gleichrangige Staatsziele vom Grundgesetz proklamiert werden, die aber zugleich Ausprägungen unterschiedlicher historischer Epochen und gesellschaftlicher Bedürfnisse sind. Während das RechtsstaatsprinzipNor allem zu zunehmender Detaillierung und Spezialisierung, also zu einer „Verrechtlichung nach innen" führt, ist das Sozialstaatsprinzip Grundlage für die fortschreitende Dynamisierung des Rechts, die man auch als „Verrechtlichung nach außen" bezeichnen könnte Sichert der von den Liberalen erfochtene Rechtsstaat individuelle Freiräume gegenüber dem Staat, so verlangt der von den Sozialisten erkämpfte Sozialstaat gerade staatliche Eingriffe zugunsten der Schwachen und Benachteiligten. Der Ausbau der Bundesrepublik Deutschland zum demokratischen Sozialstaat — besonders in den siebziger Jahren — ist daher eine der /-[auptursachen der Verrechtlichung. Denn mit dem Sozialstaatsmodell sind Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Mitbestimmung verbunden, die den Staat zu ständigen Eingriffen in Wirtschaft und Gesellschaft zwingen. Je mehr und je intensiver aber der Staat in diese Bereiche eingreift, desto besser muß sein Steuerungsinstrumentarium ausgebaut sein. Hierfür kommt in erster Linie das Recht in Betracht. Denn erst mit Hilfe von Rechtsnormen lassen sich politische Ziele durchsetzen, indem sie für alle verbindlich werden und ihre Nichtbeachtung Sanktionen nach sich zieht.

Diese Probleme der Realisierung des demokratischen Sozialstaates mit Hilfe einer Erhöhung von Normenproduktion und Regelungsdichte treten in den „neuen" Politikfeldern besonders deutlich zutage. Stellvertretend für das politische System der Bundesrepublik Deutschland in seiner Gesamtheit sollen daher im folgenden Ursachen und Auswirkun-gen der Verrechtlichung in der Sozial-, Bildungs-und Umweltpolitik untersucht werden. Dabei ist freilich zu bedenken, daß durch diese begrenzte Auswahl die Komplexität despolitischen Systems reduziert wird, nicht zuletzt mit dem Ziel, die Probleme anschaulicher darstellen zu können. 1. Recht und Geld als Mittel der Sozialpolitik Tatbestand und Folgen der Verrechtlichung der Sozialpolitik sind eingehend erst in der Mitte der siebziger Jahre beschrieben worden obwohl es Diskussionsansätze hierzu bereits zwei Jahrzehnte zuvor gegeben hatte Ausgangspunkt der älteren Diskussion um Vergesetzlichung und Bürokratisierung der Sozialpolitik war die Feststellung, daß sich die Sozialverhältnisse im wesentlichen durch zwei Denkmodelle erfassen lassen: ein ökonomisches und ein juristisches. Soziale Notlagen werden danach in erster Linie als Mangel an Einkommen betrachtet, denen in aller Regel mit der Zuerkennung oder Versagung von Rechtsansprüchen auf Geldzahlung begegnet wird. Recht wird in diesem Zusammenhang als ein Mittel zur Feinsteuerung der ökonomisch-sozialen Verteilung angesehen a) Individualisierung sozialer Probleme Als Folgen dieser Verrechtlichung der Sozialpolitik nennt Florian Tennstedt die Individualisierung sozialer Probleme verbunden mit einer zumindest partiellen Verschleierung der Realzusammenhänge, und die Tendenz, nur solche Probleme zu bearbeiten, die mit den Instrumentarien der Sozialpolitik, also mit den Mitteln des Rechts und des Geldes, bewältigt werden können. Die Individualisierung sozialer Probleme bedeutet, daß die gesellschaftliche Verantwortung der mit der Industrialisierung verbundenen besonderen sozialen und kulturellen Konflikte und Risiken in der Sozialpolitik ausgeblendet werden. So werden gesellschaftlich verursachte Notlagen wie Krankheit, Unfall, geminderte Erwerbsfähigkeit, Alter etc. zu Rechtsproblemen Erschwerend kommt hinzu, daß der durch die rechtliche Ordnung angestrebte „soziale Ausgleich" nicht die gewünschten Wirkungen erzielt. Die Sozialleistungen des Staates (die so-genannten „Transferleistungen") erreichen keinesfalls immer diejenigen, die dieses Geld am nötigsten brauchen würden, sondern viel eher die Findigen, Sprachgewandten und Formularkundigen, die sich im „Dickicht der Sozialbürokratie" zurecht finden. So kommt es nicht zu dem erhofften Abbau der Armut, sondern zu einem neuen Armutspotential, das auch nach vorsichtigen Schätzungen immerhin 1, 2 Prozent aller Bundesbürger umfaßt b) Filterwirkung der Verrechtlichung Zur Erklärung der merkwürdigen Tatsache, daß die Zahl derer, die z. B. Ansprüche nach dem Bundessozialhilfegesetz stellen, viel klei-ner ist als die Zahl der Menschen, die unterhalb des Existenzminimums leben hat Stephan Leibfried^ die Filterwirkung der Verrechtlichung herangezogen. Dabei spricht er sowohl von gesellschaftlichen wie von administrativen Schwellen, von denen allerdings nur die letztgenannten in direktem Zusammenhang mit der Verrechtlichung der Sozialpolitik stehen. Demgegenüber hängt der erste Filter mit der Verinnerlichung der „Leistungsgesellschaft''zusammen, aus der Hemmungen resultieren, Sozialhilfeleistungen in Anspruch zu nehmen, für die man nicht „bezahlt“ hat. Die zweite Schwelle, die auch als „passive Institutionalisierung der Leistungsverwaltung''bezeichnet wird, besteht darin, daß die Sozialbürokratie nicht selbst soziale Probleme aufspürt, sondern wartet, bis diese an sie herangetragen werden. Das heißt, die Bedürftigen müssen sich melden, Anspruchsvoraussetzungen nachweisen und Anträge stellen, die dann aktenmäßig bearbeitet und entschieden werden können. Als dritter Filter ließe sich schließlich die Rechtsprechungsorientierung der Sozialbürokratie anführen c) Sicherung des sozialen Besitzstandes Gerade bei der Sozialpolitik setzt die Kritik der Verrechtlichungsgegner an, die von einer „Überfrachtung des Sozialstaates''sprechen. Ständige Klagen der Wirtschaftsverbände über die Höhe der Soziallasten, die als „indirekte Lohnkosten" die internationale Konkurrenzfähigkeit in der Bundesrepublik hergestellter Produkte mindere, legen die Befürchtung nahe, daß auch der sozialpolitische Besitzstand der Arbeitnehmer zur Disposition stehen könnte. Hinweise hierfür finden sich z. B. bei der Verschärfung des Kriteriums „zumutbare Tätigkeit" im Arbeitsförderungsgesetz durch die Arbeitsverwaltung Den negativen Folgen der Verrechtlichung der Sozialpolitik, d. h. vor allem der Individualisierung gesellschaftlicher Probleme sowie dem Mißverhältnis zwischen dem Bestand an Rechtsansprüchen und ihrer Inanspruchnahme, stehen auf der anderen Seite durchaus positive Wirkungen gegenüber. Nur durch Verrechtlichung war es möglich, einen einmal erkämpften sozialen Besitzstand durch „Festschreiben" — also durch Kodifizierung, Gerichtsentscheidungen, Verwaltungspraxis _ zu sichern. Auf diese Weise brauchte nicht mehr jede sozialpolitische Errungenschaft im tagespolitischen Kampf gegen eine drohende Demontage verteidigt zu werden. Gesetzgeber, Recht und Gerichtsbarkeit boten darüber hinaus bislang ausreichenden Schutz vor der Willkür der Sozialbürokratie. 2. Bildung zwischen Politik und Recht Als bevorzugter Bereich politischer Reform-bestrebungen ist das Bildungssystem — und hier vor allem das Schulsystem — ein besonders augenfälliges Beispiel für die Verrechtlichung Waren die ersten zehn Jahre nach Kriegsende durch Restauration und Stabilisierung des Schulsystems geprägt, so setzte bald darauf dessen Umgestaltung ein. Nach zahlreichen Teilreformen und Reformexperimenten begann spätestens 1970 eine Phase völliger Schulrechtserneuerung, die heute im wesentlichen abgeschlossen ist. Trotz dieses gewaltigen „Normschubes" ist die Schulgesetzgebung aber nach wie vor — vor allem im Hinblick auf den Schülerstatus und die (Teil-) Autonomie der Schule — lückenhaft. a) Verrechtlichung der Lehrinhalte?

Als Folge dieser Vergesetzlichung läßt sich immerhin eine deutliche Kompetenzverschiebung von der Schulverwaltung zur Schulgesetzgebung feststellen Waren vorher viele Bereiche durch administrative Normen geregelt, so sind diese inzwischen weitgehend durch gesetzliche Bestimmungen abgelöst worden. Das gilt insbesondere auch für die Lehrinhalte, deren Vergesetzlichung allerdings in letzter Zeit zunehmend auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt Eine besondere Rolle bei der Verrechtlichung der Bildungspolitik spielt das Bundesverfassungsgericht. Ist wichtigste Kontrollebene untergesetzlicher Lernzielentscheidungen nach wie vor der Verwaltungsprozeß mit vorgeschaltetem Widerspruchsverfahren, so können gesetzlich normierte Lernziele allein vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Zunehmende Vergesetzlichung bedeutet daher auch eine Verlagerung der Kontrollkompetenz von der Verwaltungs-auf die Verfassungsgerichtsbarkeit. Dieser Trend wird noch verstärkt durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, daß „Rechtsstaatsprinzip und Demokratieprinzip des Grundgesetzes ...den Gesetzgeber (verpflichten), die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen". Das gelte „insbesondere für die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechtsphäre im Bereich der Grundrechtsausübung .... Damit trägt das Bundesverfassungsgericht der Auffassung Rechnung, daß es im demokratischen Rechtsstaat keine „rechtsfreien Räume" geben darf, die jeglicher Kontrolle entzogen wären. Das bedeutet zwar nicht, daß ein Gericht in jedem Fall die eigene Entscheidung etwa an die Stelle der pädagogischen Entscheidung setzen darf. Letztlich muß es für den Betroffenen aber möglich sein, rechtlich überprüfen zu lassen, nach welchen Gesichtspunkten in der Schule „Lebenschancen zugeteilt" werden b) Ursachen und Folgen der Verrechtlichung Ursachen und Wirkungen der Verrechtlichung im Bildungssystem sind allerdings so vielschichtig, daß sie sich kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Neben einem gestiegenen Bedarf an bürokratisch-nor-mativer Steuerung nennt Lutz-Rainer Reuter ) drei Ursachen-Folgen-Zusammenhän-ge:

— Kritik an der Reformpolitik (Legitimitäts-’ Zweifel);

— Kritik an ausgebliebenen Reformen, uneingelösten Bildungsansprüchen bzw. ungleicher Leistungsverteilung (Numerus-clausus-Problematik);

— Kritik an der autoritären Bildungsbürokratie. Im Widerstand gegen Reformen schulstruktureller (z. B. Gesamtschule) und schulinhaltlicher (z. B. Sexualkunde) Art versuchten Eltern häufig, die Gerichte als Instrumente zur Reformverhinderung zu benutzen. Das führte jedoch in vielen Fällen nicht zum gewünschten Erfolg, sondern zur gesetzlichen Absicherung der Reformen. Eine ähnliche Verlagerung der Initiative von der Legislative auf die Judikative bewirkte die Kritik an der Nichteinlösung „individueller Ansprüche auf Schulreformen". In der Folge kam es zu immer neuen staatsvertraglichen und gesetzlichen Regelungen. Bei der Kritik an der autoritären Bildungsbürokratie, die bereits vor Beginn der Schulreformpolitik einsetzte, stehen Ursachen und Folgen in einer besonders engen Wechselwirkung zueinander. Denn einerseits wurde mit ihrer Hilfe schon früh ein stärkerer Rechtsschutz gegen Nichtversetzungen, Prüfungen etc. durchgesetzt. Andererseits erließen daraufhin die Schulverwaltungen weitere Verordnungen und Richtlinien, und auch die Lehrer bemühten sich um eine justizfeste Absicherung ihrer Entscheidungen, so daß es zu einer verstärkten Bürokratisierung kam. Wenn es auch (noch) keine Detailuntersuchungen über die Wirkungen der Bürokratisierung der Schule gibt, so muß doch befürchtet werden, daß mit ihr sowohl ein Verlust pädagogischer Freiheit, Initiative und Innovation als auch Entpersönlichung und Verantwortungsabbau verbunden sind. c) Abbau der Verrechtlichungsfolgen durch Verrech tlichung ?

Zwar werden die negativen Folgen der Verrechtlichung: Überreglementierung, Entscheidungszentralisierung, Immobilisierung, Entpä-dagogisierung, lauthals beklagt, wirklich durchdachte Lösungsvorschläge sind jedoch selten. Mit dem Hinweis auf die funktionale Ambivalenz der Verrechtlichung schlägt ReuteF vor, diese Auswirkungen der Verrechtlichung durch Verrechtlichung abzubauen. Konkret heißt das, daß der Gesetzgeber durch Rahmengesetze institutioneile Strukturen, Aufgaben, Status der Beteiligten etc. festzulegen hätte. Aufgabe der Bildungsadministration wäre es dann, die legislatorischen Vorgaben zu konkretisieren. Eine Chance für die Qualitätsverbesserung der Grundsatzgesetzgebung sieht Reuter in einem Zusimmungsvorbehalt für den Kulturausschuß des Parlaments. Mit der Vorlage des „Entwurfs eines Landesschulgesetzes" hat in allerjüngster Zeit die Schulrechtskommission des Deutschen Juristentages einen Versuch unternommen, das Schulwesen „rechtlich verläßlicher" zu gestalten und zugleich „größere Spielräume" zu schaffen. Mit der Zielsetzung, das „Erlaßunwesen im pädagogischen Bereich abzubauen'', wollen die auf Schulrechtsprobleme spezialisierten Juristen die pädagogische Freiheit der Lehrer dadurch sichern, daß ihre Arbeit nur noch durch Rechtsvorschriften und Konferenzbeschlüsse geregelt werde und nicht mehr Gegenstand ministerieller Erlasse sei. Auch die Schulrechtskommission zielt also auf einen Abbau der negativen Verrechtlichungsfolgen durch Verrechtlichung ab, indem sie Bürokratisierung zumindest teilweise durch Vergesetzlichung ersetzen will. 3. Umweltschutz oder Wirtschaftswachstum? Während Sozial-und Bildungspolitik bereits seit längerer Zeit Gegenstand intensiver rechtlicher Normierung sind, ist das Bewußtsein der Öffentlichkeit dafür, daß die Umwelt der Menschen durch Rechtsnormen geschützt werden muß, jüngeren Datums. Zwar wurden Gefährdung und Belästigung des einzelnen durch gewerbliche und industrielle Luftverschmutzung, Lärmentwicklung und Erschütterungen schon seit etwa hundert Jahren durch die Gewerbeordnung (1869) und das Bürgerliche Gesetzbuch (1900) gewisse Grenzen gesetzt. Der Ausgangspunkt hierfür war aber nicht der Schutz der Umwelt, sondern des Eigentums Die eigentliche Umweltschutzgesetzgebung setzte erst im Jahre 1957 mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts ein. Den entscheidenden Anstoß erhielt die Verrechtlichung des Umweltschutzes schließlich durch das Umwelt-programm der ersten sozialliberalen Bundesregierung aus dem Jahre 1971. Auf dieser Grundlage wurden nicht nur die bestehenden Umweltgesetze novelliert (z. B. Wasserhaushalts-, Altöl-, Pflanzenschutzgesetz), verstreute Bestimmungen zusammengefaßt und erheblich erweitert (z. B. Bundes-Immissionsschutzgesetz), sondern vor allem auch ganze Bereiche des Umweltschutzes erstmals gesetzlich geregelt (z. B. Fluglärm-, Bezinblei-, Waschmittel-, Abwasserabgabengesetz). Die Voraussetzung hierfür, eine Änderung der Art. 74 und 75 des Grundgesetzes herbeizufüh-ren, der eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zustimmen mußten, stieß auf keine nennenswerten Schwierigkeiten. a) Stagnation der Umweltpolitik Wurde das Umweltprogramm 1971 also noch einmütig als erster Ansatz, die aus der Überlastung der natürlichen Umwelt entstehenden Gefahren unter Kontrolle zu bringen, begrüßt, so änderte sich die politische Einstellung zum Umweltschutz aufgrund der Erfahrung mit der Wirtschaftskrise 1974/75 grundlegend. Jochen Hucke beschreibt die Folgen dieses Umden-kungsprozesses als Stagnation der Umweltpo. litik folgendermaßen:

a) In derpolitischen Programmatik wurde von nun an die Gleichrangigkeit von Umweltschutz und Wirtschaftswachstum hervorgehoben. Praktisch bedeute das jedoch, daß im Regelfall dem Wachstum Vorrang eingeräumt werde, während der Umweltschutz nur dann zum Zuge komme, wenn eine akute Gefährdung von der Bevölkerung abgewehrt werden müsse oder langfristig irreparable Schäden zu erwarten seien.

b) Die im Umweltprogramm angekündigte Umweltgesetzgebung blieb fragmentarisch. Zwar seien die angekündigten Gesetzesvorhaben dem Umfang nach weitgehend verwirklicht worden, die inhaltliche Qualität der Gesetze bleibe jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Zudem seien Anstöße für neue programmatische Ansätze im Umweltschutz kaum zu erkennen.

c) Auch auf lange Sicht muß davon ausgegangen werden, daß Bemühungen um eine erneute Intensivierung des Umweltschutzes unterbleiben. Vielmehr sei die Umweltpolitik fest an marktwirtschaftliche Ordnungsvorstellungen und politisch-ökonomische Wachstumsinteressen gebunden. b) Vollzugsdefizite im Umweltschutz Hat demnach die Umweltpolitik angesichts zunehmender Struktur-und Wachstumsprobleme der Wirtschaft ihren Schwung verloren, so wird obendrein immer deutlicher, daß selbst die bestehenden Umweltgesetze keineswegs immer buchstabengetreu ausgeführt werden. Bereits das Umweltgutachten 197165 des Rates von Sachverständigen für Umwelt-fragen hatte für die Probleme, die bei der Umsetzung von Umweltvorschriften in die Praxis entstehen, den Begriff „Vollzugsdefizit''geprägt. Mit diesem Begriff, dessen Aussagen inzwischen vielfach empirisch überprüft worden sind wird seither die dem Laien schwer verständliche Tatsache bezeichnet, daß besonders im Umweltschutz gesetzlich normierte Handlungsanweisungen häufig von den ausführenden Behörden nicht in die Tat umgesetzt oder die vorgegebenen Ziele nicht erreicht werden

Die Gründe für solche Vollzugsdefizite können in nicht oder nur mangelhaft vollziehbaren Gesetzen, in ungenauen gesetzlichen Vorgaben und insbesondere in Problemen des praktischen Vollzuges durch die Verwaltung liegen. So kann der parlamentarische Zwang zum Kompromiß u. U. dazu führen, daß Gesetze oder Verordnungen keine klaren Ziele enthalten. Die Zielkonflikte müssen dann von der Verwaltung gelöst werden. Vor allem Bundesgesetze enthalten häufig nur einen Rahmen für das Verwaltungshandeln; die erforderliche Konkretisierung durch Verordnungen etc. fehlt. Die weitaus größten Probleme liegen jedoch bei der vollziehenden Verwaltung selbst. Hier fehlt es oft an Personal, das für diese Aufgaben besonders qualifiziert wäre und das auch Verständnis für und Einsicht in Nachbarbereiche aufbringen würde. Und schließlich läßt die Überwachungstätigkeit der Vollzugsbehörden zu wünschen übrig, denen überdies kaum Möglichkeiten zur Verfügung stehen, im Fall von Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Verbote bzw. Gebote auch Sanktionen zu verhängen. c) Ausbau der rechtlichen Normierung Ähnlich wie bei der Bildungspolitik kommt als Möglichkeit zur Lösung der dargestellten Pro-bleme weniger eine Entregelung bzw. Entstaatlichung als vielmehr eine weitere Verrechtlichung in Form von Vergesetzlichung in Betracht. So plädiert Hucke für den Ausbau der rechtlichen Normierung in verschiedenen Bereichen des Umweltschutzes und fordert „mehr Mut zur Umweltgesetzgebung''. Als Beispiel für das Fehlen von Umweltschutznormen führt Hucke den Landschaftsverbrauch an. Da ohne die entsprechenden rechtlichen Eingriffsmöglichkeiten eine Verweigerung der Genehmigung von Bauleitplänen kaum möglich sei, käme es zu einer immer stärkeren Zersiedelung. Daher sollte das gesamte Umland der Ballungsgebiete unter verstärkten Schutz gestellt und eine kommunale Flächenausweitung nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden. Zweiter Beispielfall sind die umweltbelastenden Industrieanlagen: Hier sind die rechtlichen Regelungen durch eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise gekennzeichnet. Wünschenswert sei jedoch eine Regulierung der Umweltbelastung von der Immissionsseite her, wobei die Gesamtbelastung der Umwelt zugrunde gelegt werden müsse. Von der hierfür erforderlichen Umstrukturierung des Normensystems sei zudem eher ein Abbau als eine Erweiterung der Bürokratisierung zu erwarten.

Ein weiteres Anliegen in diesem Zusammenhang ist die institutionelle Absicherung der Beteiligung von Verursachern, Betroffenen und staatlichen Interessen an umweltpolitischen Entscheidungen. Durch die generelle Einführung der Verbandsklage im Umweltschutzb und durch die Übertragung von Umweltschutzaufgaben — wie z. B. Trinkwasserversorgung oder Abwasserbeseitigung — auf (Zweck-) Verbände zur eigenverantwortlichen Durchführung ließe sich der bürokratische Aufwand verringern, indem der Konsens-zwang von der Verwaltung auf Verursacher und Betroffene abgewälzt werde. Insgesamt gesehen bezweckt Hucke mit seinem Plädoyer für die Verrechtlichung des Umweltschutzes eine stärkere Politisierung von Entscheidungsprozessen in diesem Bereich

IV. Folgen der Verrechtlichung für den einzelnen

1. Wirksamkeit des Rechts Dem Laien erscheint es auf den ersten Blick als selbstverständlich, daß Rechtsnormen von der Mehrheit der Bevölkerung auch befolgt und durchgesetzt werden; für den Rechtssoziologen ist dies jedoch ein Gegenstand besonderen wissenschaftlichen Interesses. So sind zahlreiche Faktoren ermittelt worden, die als Voraussetzungen für die Effektivität des Rechts angesehen werden wie z. B., daß Rechtsnormen adressatengerecht gesetzt und durchgesetzt werden müssen. Dazu gehört beispielsweise, daß Rechtsnormen in einer verständlichen Sprache abgefaßt und den in Betracht kommenden Normadressaten bekannt gemacht werden müssen. Obgleich sowohl Rechtskenntnis-wie Verständlichkeit der Rechtsvorschriften stark zu wünschen übrig lassen, verhält sich die Bevölkerung im großen und ganzen in einem erstaunlichem Maße gesetzeskonform. Die Frage nach den Gründen hierfür stellt einer der bekanntesten deutschen Rechtssoziologen, Ernst E. Hirsch, im Jahre 1966 folgendermaßen: „Wie ist es zu erklären, daß der größte Teil der Bevölkerung trotz seiner Unkenntnis der zahllosen, ständiger Abänderung und Ergänzung unterworfenen Gesetze, Verordnungen und Verfügungen die Rechtsordnung tatsächlich respektiert und niemals mit Gericht, Rechtsanwalt und Staatsanwalt in Berührung kommt?" a) Rechtsnormen als „soziale Normen“

Manfred Rehbinder hält hierfür eine scheinbar einfache Antwort bereit: „Die Funktion der Verhaltenssteuerung geht mangels Kenntnis des Rechts auf die anderen sozialen Ordnungssysteme über. ” Damit greift Rehbinder auf das Konzept der „sozialen Normen" zurück, das Max Weberin seiner „Rechtssoziolo-gie“ entwickelt hat. Als soziale Normen defi. nierte Max Weber den Brauch als übereinstimmende Übung homogener Gemeinschaften, die Sitte als eine dem Herkommen ent-sprechende konforme Verhaltensweise und die Konvention als einen festen Verhaltensritus innerhalb eines bestimmten Menschen-kreises. In diesen Zusammenhang gehört auch das Recht, das seinerseits oft nur als das „Gewohnte, Eingelebte, Anerzogene, sich ständig Wiederholende" befolgt wird. Von anderen sozialen Normen unterscheiden sich Rechtsnormen aber dadurch, daß die Reaktion der Gesellschaft auf ihre Nichtbefolgung durch Recht formalisiert und u. U. auch sanktioniert ist. Recht dient damit also der Verhaltenssteuerung, z. B. indem es eine Verhaltenssicherung beim Handelnden und eine entsprechende Erwartungssicherung bei den möglichen Adressaten der Handlung bewirkt Daneben hat das Recht freilich auch noch andere Funktionen, wie z. B. Konfliktlösung, Legitimierung und Organisierung sozialer Herrschaft, Gestaltung der Lebensbedingungen etc. b) Wirkungslosigkeit des Rechts Verhält sich die Mehrheit der Bevölkerung auch gesetzeskonform, so zeigt andererseits doch allein die Kriminalitätsrate bereits, daß das Recht oft nicht befolgt wird. Das gilt jedoch nicht nur für das Strafrecht, sondern auch für alle anderen Rechtsbereiche. Zudem muß mit einer nicht unerheblichen Dunkelziffer ineffektiver Rechtsnormen gerechnet werden, da sich „offerierende" (z. B. 624, — DM-Ge-setz) und „deklamierende" (z. B. Grundgesetz) Gesetze schwerer auf ihre Wirksamkeit hin kontrollieren lassen als „kommandierende" (z. B. Strafgesetzbuch) Gesetze (Schelsky 1971), Peter Noll 7&) nennt drei Faktoren für die faktische Unwirksamkeit gesetzlicher Normen: individualpsychologische, sozialpsychologische und staatsorganisatorische. Danach kann normwidriges Verhalten z. B. durch eine einmalige individuelle Situation und/oder durch eine bestimmte individuelle Veranlagung be-dingt sein. Es kann aber auch zu der Bildung gesellschaftlicher Neben-oder Antiordnungen (Subkulturen) kommen, deren eigene Normen gesetzlichen Normen mittelbar oder unmittelbar zuwider laufen. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Strafanstalten, in denen „eigene Gesetze“ gelten. Als staatsorganisatorische Faktoren, die die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit gesetzlicher Normen beeinflussen, nennt Noll die folgenden Bedingungen: Schwere des angedrohten Nachteils für die Übertretung, Wahrscheinlichkeit seines Eintritts, Größe des Vorteils für normkonformes Verhalten, Wahrscheinlichkeit seines Eintritts. 2. Mobilisierung von Recht Die Feststellung, daß in bestimmten Fällen Rechtsnormen wirkungslos bleiben, sei es, weil sie nicht vollziehbar sind, sei es, weil sie nicht befolgt werden, legt die Frage nahe, unter welchen Umständen überhaupt Recht mobilisiert wird Mit anderen Worten: Wann und unter welchen Voraussetzungen bedient der einzelne sich bei der Austragung sozialer Konflikte des Rechts und findet notfalls den Zugang zu rechtlichen Instanzen (Gerichten)? Dabei macht es einen grundsätzlichen Unterschied, ob es sich um eine Situation handelt, die üblicherweise schon in rechtlichen Kategorien definiert ist, oder ob es dazu erst im Laufe des Konfliktes kommt. Erstattet beispielsweise die Polizei Strafanzeige wegen eines Delikts, dann hat der Betroffene keine Auswahlmöglichkeit. Er kann zwar Rechtsmittel gegen die Strafanzeige einlegen; der Versuch, die Situation durch Verhandlung, Über-zeugung oder gar Vermeidung zu lösen, ist aber von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der Fall des New Yorker Autofahrers, der jahrelang von der Polizei wegen falschen Parkens und ähnlicher Verkehrsverstöße gesucht wurde und dabei — nahezu unbehelligt — weiter mit seinem Äuto durch New York fuhr, und der während dieser Zeit laufend neue Strafmandate erhielt, ist bei uns undenkbar.

Handelt es sich jedoch um Sozialbeziehungen, in denen Recht zunächst keine Rolle spielt, dann können sich die Beteiligten mehr oder weniger frei entscheiden, ob sie sich des Rechts und schließlich der Gerichte zur Streit-beilegungbedienen wollen, oder ob sie sich „gütlich" einigen wollen. Dies gilt besonders für zwischenmenschliche Beziehungen, die erst beim Eingreifen von Rechtskundigen zu den üblichen Kategorien des Zivilrechts wie Kaufvertrag, Miete oder sogar Schenkung (§§ 516ff. BGB) etc. werden. Für die Inanspruchnahme des Rechts spielt in diesen Fällen der Glaube an das Recht eine besondere Rolle. Dabei geht es bei dieser „Rechtsgläubigkeit“ nicht nur um den Glauben an die generelle „Richtigkeit" des Rechts, sondern im besonderen auch um die Vorstellung, man werde vor Gericht schon „sein gutes Recht" bekommen. Sind solche (naiven) Vorstellungen zudem mit mangelnder Rechtskenntnis verbunden, dann kommt es leicht zu einem „Michael-Kohlhaas-Effekt", d. h.der vor Gericht Unterlegene ist persönlich gekränkt, protestiert, leistet Widerstand und versucht, Hilfe und Zustimmung gegen die getroffene Entscheidung zu organisieren a) Rechtsgläubigkeit So naiv der Glaube an die Richtigkeit des Rechts und an die Unfehlbarkeit der Richter in einer aufgeklärten Gesellschaft auch sein mag, so wichtig ist andererseits doch die Überzeugung der Menschen, daß das geltende Recht mit ihren eigenen Wertvorstellungen übereinstimmt. Denn daß der Glaube an die Richtigkeit der „formal korrekt und in der üblichen Form zustande gekommenen Satzungen" (das sind insbesondere die vom Parlament verabschiedeten Gesetze) eine wesentliche Legitimationsgrundlage staatlicher Herrschaft ist, hat bereits Max Weber hervorgehoben. Freilich wird dieser „Legalitätsglaube" heute dadurch in Frage gestellt, daß viele Gesetze aufgrund des raschen sozialen Wandels ständig geändert werden müssen, ihre Geltungsdauer also oft nur kurz ist. Niklas Luhmann hält daher den Glauben an das „richtige Recht" für keine ausreichende Legitimation politischer Entscheidungen. Da kein Mensch in der Lage sei, für alle aktuellen Entscheidungsthemen eigene (motivierte) Überzeugungen zu bilden, könne auch nicht auf die Überzeugung von der Richtigkeit der Werte, Rechtfertigungsprinzipien oder Inhalte der Entscheidungen abgestellt werden. Die Komplexität moderner Gesellschaften erfordere vielmehr eine Generalisierung und Formalisierung des Anerkennens von Entscheidungen. Es müsse also erreicht werden, daß der Betroffene — aus welchen Gründen auch immer — die getroffene Entscheidung als Grundlagen seines eigenen Verhaltens zu übernehmen bereit sei.

Folgerichtig definiert Luhmann Legitimität als generelle Bereitschaft, „inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen zu akzeptieren". Danach dienen z. B. Gerichtsverfahren dazu, daß die Betroffenen in einer Art „institutionalisiertem Lernprozeß" ihre eigenen Erwartungen an das Recht nach dem Ausgang des Verfahrens entsprechend umstrukturieren.

Empirische Untersuchungen, mit deren Hilfe in verschiedenen Ländern Meinungen und Einstellungen zum Recht erforscht worden sind bestätigen diese Theorie freilich nur zum Teil. Dabei zeigte sich nämlich, daß nur auf einer sehr abstrakten Ebene eine allgemeine Zufriedenheit mit dem Recht besteht. Sind jedoch konkrete Erfahrungen mit der Justiz vorhanden, dann nimmt diese Zufriedenheit deutlich ab. Das gilt sogar für positive Erfahrungen mit dem Recht. Ralf Rogowski ) i) zieht daraus den Schluß, daß Rechtskontakte zwar die Rechtskenntnis erhöhen und damit zu einer realistischen Einschätzung des Rechts führen, den Glauben an das Recht aber negativ beeinflussen. Als Ursachen hierfür nennt er die wichtigsten Merkmale des gerichtlichen Verrecktlichungsprozesses:

— Eine Überlagerung der materiellen Konfliktthemen durch formelle Themen des Konfliktablaufs; — eine Verlagerung der Diskussion über den ursprünglichen Konflikt auf die Bewältigung zukünftiger Folgen;

— eine Reduktion der Forderungen der Parteien, der sogenannten Streitgegenstände, auf Geldforderungen;

— und eine beobachtbare Rollen-und Situationsgebundenheit des Verhaltens der Beteiligten bis hin zu ritualisierten Verhaltensabläufen. b) Konfliktvermeidung In einem Versuch, Grade der Verrechtlichung aufzuzeigen, arbeitet Erhard Blankenburg )„Urteilen" und „Vermitteln" als idealtypische Alternativen heraus. Da der Richter an einer Auslegung des Rechts gebunden ist und sich auf das „rechtlich Relevante" beschränken muß, sind die Grenzen des Justiziablen sehr eng gezogen. „Je komplexer eine soziale Beziehung, desto wahrscheinlicher ist, daß Konfliktregelungen von einem . Vermittler'wahrgenommen werden." Dieser „Vermittler" kann u. U. sogar der Richter selbst sein, wenn er den Parteien einen „Vergleich" anbietet. Anders als ein Urteil ermöglicht nämlich der Vergleich als „Alternative im Recht", Themen zu diskutieren und Kompromisse auszuhandeln, Folgen zu berücksichtigen und außerrechtliche Zusammenhänge einzubeziehen Dabei kommt Blankenburg zu dem Ergebnis, daß Vergleiche dann am häufigsten sind, wenn die Parteien sich gegenseitig kennen und zwischen ihnen fortdauernde Sozialbeziehungen bestehen. Umgekehrt ist ein Urteilsspruch wahrscheinlicher, wenn sich die Parteien gegenseitig unbekannt sind, wie z. B. bei Verkehrsunfällen, oder nur noch um die Bedingungen der Auflösung ihrer Sozialbeziehung gestritten wird, wie dies etwa bei Ehescheidungen der Fall ist. Mit der Zunahme anonymer Sozialbeziehungen ist offenbar auch die fortschreitende Verrechtlichung ihrer Konfliktaustragung verbunden.

Dieser Trend verkehrt sich jedoch in bestimmten Bereichen geradezu in sein Gegenteil. Ist nämlich mit der Entscheidung, das Gericht anzurufen, die Drohung verbunden, die Sozialbeziehungen zu beenden, so kommt es zu bestimmten Formen des Vermeidungsverhaltens. Zur Verdeutlichung seien hier Auszüge aus Interviews angefügt, die Stewart Macaulay im Jahre 1963 veröffentlicht hat: „Ein Einkäufer drückte die übliche Einstellung von Geschäftsleuten so aus: . Wenn irgendein Konflikt hoch kommt, kriegst Du den anderen ans Telefon und sprichst über das Problem. Man läuft nicht zu einem Rechtsanwalt, wenn man im Geschäft bleiben will, sondern da muß man sich anständig benehmen.'Oder wie ein Geschäftsmann sich ausdrückte: „Man kann jeden Streit beilegen, wenn man die Rechtsanwälte und Buchhalter heraushält. Die verstehen ein-fach nicht das Gesetz des Gebens und Nehmens, das man im Geschäftsleben braucht."

Diese Beispiele zeigen besonders deutlich, daß in der rechtspolitischen Diskussion, die um die Begriffe „Gesetzesflut" auf der einen Seite und „Entstaatlichung" auf der anderen Seite kreist, das Verhalten des einzelnen nicht außer acht gelassen werden darf. Verrechtlichung ist also nicht nur ein institutionelles Problem von Parlament, Verwaltung und Justiz, sondern es ist zugleich auch ein individuelles Problem der Einstellung der Menschen zum Recht.

V. Schlußbetrachtung

Ziel dieser Abhandlung war es, die Ambivalenz (Doppelwertigkeit) der Verrechtlichung, aber auch ihre Gegentendenzen, deutlich zu machen, um die Verrechtlichungsdiskussion, die ein wenig den Charakter eines „Glaubenskrieges" angenommen hat, zu versachlichen. Die wissenschaftliche Analyse von Ursachen und Folgen der Verrechtlichung öffnet den Blick für die Erkenntnis, daß weder die Verrechtlichung in ihren Erscheinungsformen Vergesetzlichung, Bürokratisierung und Justizialisierung noch ihre Gegentendenzen Entregelung, Entstaatlichung und Entbürokratisierung nur „gut" oder ausschließlich „schlecht" sind. Schließlich wird durch Verrechtlichung nicht nur die individuelle Freiheit eingeschränkt (z. B. bei Baugenehmigungen etc.), sondern gerade auch gesichert (z. B. im Datenschutzgesetz). Auch der politische Gestaltungsspielraum wird zwar durch die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als „Hüter der Verfassung“ oft begrenzt (z. B. bei der Wehrdienstverweigerung); die Verrechtlichung ist aber auch ein Mittel sozialstaatlicher Reform-politik, u. U. sogar angestoßen durch das Bundesverfassungsgericht (wie z. B. bei der Verwirklichung des Nichtehelichenrechts). Ohne das Recht als Instrument der Politik ist die Bewältigung der vielfältigen Auswirkungen des sozialen Wandels kaum vorstellbar.

Andererseits zeigen die Vollzugsdefizite auf institutioneller Ebene (z. B. beim Umweltschutz) ebenso wie die Wirkungslosigkeit von Gesetzen auf individueller Ebene (z. B. in den Subkulturen von Großstädten), daß dem Recht als Mittel zur Steuerung ökonomischer und gesellschaftlicher Prozesse Grenzen gesetzt sind. Zu diesen Grenzen des Rechts als Handlungsinstrument des Staates kommt die aus der „Krise der Staatsfinanzen''gewonnene Erkenntnis hinzu, daß sich der Staat übernommen zu haben scheint. Als „Wohlfahrtsstaat" ist er in Frage gestellt, weil er die Soziallasten nicht mehr länger aufbringen kann; als „Inter-

ventionsstaat" muß er angesichts fehlender Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft die Segel streichen. Zu alledem wird erkennbar, daß weder die Sozialleistungen noch die Subventionen des Staates den erwünschten Erfolg zeitigen. Armutspotential und Arbeitslosenquote zeigen jedenfalls kaum eine fallende Tendenz. Vorschläge zur Entlastung des Staates von „überflüssigem Ballast" dürfen daher nicht voreilig „verteufelt" werden. Sie müssen vielmehr sorgfältig geprüft, ihres ideologischen Beiwerks entkleidet und auf ihre gesellschaftlichen und politischen Folgen hin abgeklopft werden. Erst auf dieser Grundlage lassen sich Vorschläge zur künftigen Ausgestaltung des Rechts als Instrument der Politik für den Einzelfall vorlegen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe hierzu aber: Rüdiger Voigt, Verrechtlichung in Staat und Gesellschaft, in: ders. (Hrsg.), Verrechtlichung. Analysen zu Funktion und Wirkung von Parlamentarisierung, Bürokratisierung und Justizialisierung sozialer, politischer und ökonomischer Prozesse (Athenäum Taschenbücher Rechtswissenschaft, Bd. 6221), Königstein 1980, S. 15 ff.

  2. Karl Hillermeier, Eindämmung der Gesetzesflut, in: Bayerische Verwaltungsblätter 1978, S. 321 ff.: Hans-Jochen Vogel, Zur Diskussion um die Normenflut, in: Juristenzeitung 1979, S. 321 ff.: Georg Berner, Inflation im Recht, in: Bayerische Verwaltungsblätter 1978, S. 617 ff.

  3. Z. B. Horst Bosetzky, Bürokratisierung in Wirtschaft und Unternehmen, in: Heiner Geißler (Hrsg.), Verwaltete Bürger — Gesellschaft in Fesseln. Bürokratisierung und ihre Folgen für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, Frankfurt a. M. /Berlin/Wien 1978, S. 55 f.

  4. Hans-Dietrich Weiß, Verrechtlichung als Selbst-gefährdung des Rechts. Betrachtungen zur Gesetzesflut aus dem Blickwinkel der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, in: Die öffentliche Verwaltung 1978, S. 601 ff.

  5. Renate Mayntz, Regulative Politik in der Krise!, in: Joachim Mathes (Hrsg.), Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Deutschen Soziologentages in Berlin 1979, Frankfurt a. M. /New York 1979, S. 55 ff.

  6. Ein Vollzugsdefizit liegt dann vor, wenn die im Gesetz normierten Handlungsanweisungen nicht in die Tat umgesetzt oder die vorgegebenen Ziele nicht erreicht werden; vgl. Umweltgutachten 1976 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (BT-Drs. 8/1938), S. 507.

  7. Otwin Massing, Das Bundesverfassungsgericht ils Instrument sozialer Kontrolle, in: Politische /ierteljahresschrift 1970, S. 180ff.

  8. Vgl. das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967, das auf Art. 104 a Abs. 4 Satz 2 GG beruht.

  9. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1947 , S. 161 ff.

  10. Vgl. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied 19752.

  11. Massing 1970, S. 187.

  12. Vgl. Hans-Peter Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht. Bemerkungen zum Beruf der Rechtsprechung im demokratischen Gemeinwesen, Frankfurt a. M. 1969, S. 16ff.

  13. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Amtliche Sammlung, Bd. 12, S. 224.

  14. Schneider 1969, S. 18.

  15. Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht. 1) Vgl. hierzu § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht i. d. F. vom 3. Februar 1971.

  16. Ulrich Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats, in: Ernst Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, Darmstadt 1968, S. 462 f.

  17. Siehe hierzu: Rüdiger Voigt, Soziale Sicherung zwischen Anpassung und Strukturreform, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/79, S. 27 ff.

  18. Vgl. hierzu die Diskussion im Bundesrat, abgedruckt in der Wochenzeitung „Das Parlament“, Nr. 11 vom 15. März 1980.

  19. CDU-Bundesgeschäftsstelle, Hauptabteilung Politik, Abt. Analysen (Hrsg.), Unsichtbare Staatsquote oder Was die Staatsquote verschweigt. Eine Dokumentation, Stand: 15. Februar 1979, S. 26.

  20. Klaus Tiggemann, Die unaufhaltsame Flut? Bemerkungen zu einem Vergleich von Reichs-und Bundesgesetzen, in: Materialien zur Politischen Bil-dung 1979, S. 30 ff., 38; Waldemar Schreckenberger, Sozialer Wandel als Problem der Gesetzgebung, in: Verwaltungsarchiv 1977, S. 28ff., 31.

  21. Hans-Jochen Vogel, Zur Diskussion um die Normenflut, in: Juristenzeitung 1979, S. 321 ff.

  22. Der Fundstellennachweis A enthält das Bundesrecht ohne völkerrechtliche Verträge und Vereinbarungen mit der DDR.

  23. Vgl. Georg Berner, Inflation im Recht, in: Bayerische Verwaltungsblätter 1978, S. 617ff.

  24. Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt a. M. 19753, S. 53 f.

  25. Vgl. Vogel 1979, S. 322.

  26. Hansjörg Jellinek, Ursachen und Reduktionsmöglichkeiten der Überfülle von Rechtsvorschriften, in: Verwaltung und Fortbildung (Schriften der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung), 2/78, S. 62ff„ 65. Ottmar Bühler, Grundsätzliches zum Thema von der . Gesetzesinflation 1'und der „aufgeblähten Verwaltung", in: Juristenzeitung 1959, S. 297 ff., 298. ”b) Zitiert nach: Hermann Maassen, Die Freiheit des Bürgers in einer Zeit ausufernder Gesetzgebung, in: Neue Juristische Wochenschrift 1979, 1473 ff., 1477.Maassen 1979, S. 1478.

  27. Martin Gralher, Verrechtlichung der Politik durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts?, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, Königstein 1980, S. 218 ff.

  28. Heiner Geißler (Hrsg.), Verwaltete Bürger — Gesellschaft in Fesseln. Berlin/Wien 1978.

  29. Z. B. § 67 Bundes-Immissionsschutzgesetz, § 155 a Bundesbaugesetz, § 4 Städtebauförderungsgesetz; vgl. hierzu: Reinhard Hendler, Partizipationsdemontage im Städtebaurecht?, in: Zeitschrift für Rechts-politik, 1979, S. 137ff.

  30. Vgl. Wolfgang Piepenstock, „Grundgesetz", in: Axel Görlitz (Hrsg.), Handlexikon zur Rechtswissenschaft, München 1972, S. 166 ff., 170.

  31. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in: Die öffentliche Verwaltung 1979, S. 49ff., 50, sowie: Amtliche Sammlung, Bd. 34, 169, 192 f. und Bd. 41, S. 251 ff., 259.

  32. CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag (Hrsg.), Entstaatlichung. Ein Begriff gewinnt Gestalt (Schriftenreihe der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Bd. 1), Neuwied b. München o. J. (1977), S. 9.

  33. Siehe hierzu: Wolfram Engels, Die organisierte Verschwendung. Warum die Staatsbürokratie so wenig leistet und wie sie reformiert werden könnte, in: Die Zeit, Nr. 12 vom 13. März 1981, S. 9ff.

  34. Rolf-Richard Grauhan/Rudolf Hickel (Hrsg.), Krise des Steuerstaats? Widersprüche, Perspektiven, Ausweichstrategien, Opladen 1978, S. 8.

  35. Das Bruttosozialprodukt ist die Summe der Wertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche einschließlich aller staatlichen und anderen Dienstleistungen.

  36. CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, 1977, S. 30.

  37. Zu den Einzelheiten: Drs.des Bayerischen Landtags Nr. 9/4256, S. 8f.

  38. Vgl. hierzu: Rüdiger Voigt, Sozialpolitik zwischen Verrechtlichung und Entstaatlichung - Bestandssicherung oder Abbau des sozialpolitischen Besitzstandes?, in: Leviathan, 1981, H. 1.

  39. Siehe hierzu: Dieter Grunow/Friedhart Hegner/Franz-Xaver Kaufmann, Bürger und Verwaltung (4 Bde), Frankfurt a. M. /New York 1978, sowie Dieter Grunow/Friedhart Hegner, Sozialpsychologische Konsequenzen der Verrechtlichung: Alltagskontakte mit der Verwaltung, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, Königstein 1980, S. 261 ff.

  40. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Berlin 1964, S. 717; vgl. hierzu auch Horst Bosetzky, Bürokratische Organisationsformen in Behörden und Industrieverwaltungen, in: Renate Mayntz (Hrsg.), Bürokratische Organisation, Köln/Berlin 19723, S. 179 ff.

  41. Mayntz 1971, S. 13.

  42. Weiß 1978, S. 601 ff.

  43. Florian Tennstedt, Zur Ökonomisierung und Verrechtlichung in der Sozialpolitik, in: Axel Murswieck (Hrsg.), Staatliche Politik im Sozialsektor, München 1976, S. 139 ff.

  44. Hans Achinger, Soziologie und Sozialreform, in: Soziologie und moderne Gesellschaft (Verhandlungen des 14. Deutschen Soziologentages vom 20. bis 24. 5. 1959 in Berlin), Stuttgart 19662, S. 39 ff.

  45. Christian von Ferber, Sozialpolitik in der Wohlstandsgesellschaft, Hamburg 1967, S. 16 ff.

  46. Tennstedt 1976, S. 144 ff., sowie ders., Soziale Selbstverwaltung, Geschichte der Selbstverwaltung in der Krankenversicherung, Bonn o. J. (1978), S. 94 ff.

  47. Eckart Reidegeld, Vollzugsdefizite sozialer Leistungen: Verrechtlichung und Bürokratisierung als Grenzen der Sozialpolitik, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, Königstein 1980, S. 275 ff., 277.

  48. Karl Kortmann, Probleme der Armut im Sozialstaat, in: Martin Pfaff/Hubert Voigtländer (Hrsg.), Sozialpolitik im Wandel. Von der selektiven zur integrierten Sozialpolitik. Bonn 1978, S. 127 ff.; demgegenüber schätzt Heiner Geißler (die „Neue soziale Frage" — Eine Dokumentation, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Material zu Problemen der Sozialpolitik, Bonn 1975, S. 41 ff.) diesen Prozentsatz sehr viel höher,

  49. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hrsg.), Arbeit und Soziales, H. 2/1978: „Sozialhilfe in der Meinung der Bevölkerung“ (Ergebnisse einer Umfrage), S. 6ff.

  50. Stephan Leibfried, Armutspotential und Sozialhilfe in der Bundesrepublik, in: Kritische Justiz 1976, S. 377 ff.

  51. Achinger 1966, S. 41 f.

  52. Ursula Engelen-Kefer, Probleme und Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/79, S. 16 ff., 24 f.

  53. Vgl. Lutz-Rainer Reuter, Bildung zwischen Politik und Recht. Zur Parlamentarisierung, Bürokratisierung und Justizialisierung im Bildungssystem, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, Königstein 1980, S. 116 ff.

  54. Reuter 1980, S 118.

  55. Knut Nevermann, Lehrplanrevision und Vergesetzlichung. Verfassungsrechtliche Grenzen der Parlamentarisierung curricularer Entscheidungen, in: Verwaltungsarchiv Bd. 17 (1980), S. 241 ff.

  56. Friedhelm Hufen, Zur „Verrechtlichung“ der Lehrinhalte — Tendenzwende durch eine „pedago-gical-question-Doktrin” des Bundesverfassungsgerichts?, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens 1978, S 25 ff., 30 f.

  57. Reuter 1980, S. 125.

  58. Reuter 1980, S. 129f.

  59. Vgl. hierzu die Berichte in der „Süddeutschen Zeitung" vom 11. 3. und vom 12. 3. 1981.

  60. Vgl. Rüdiger Voigt, Umweltschutz zwischen Politik, Ökonomie und Recht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 17/80, S. 7.

  61. Jochen Hucke, Umweltschutz — Ein Plädoyer für den Ausbau der rechtlichen Normierung, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung. Königstein 1980, S. 62.

  62. Vgl. z. B. Renate Mayntz u. a„ Vollzugsprobleme der Umweltpolitik, Stuttgart 1978; Gerd Winter, Das Vollzugsdefizit im Wasserrecht. Ein Beitrag zur Soziologie des öffentlichen Rechts, Berlin 1975.

  63. Umweltgutachten 1978, S. 507; s. auch: Peter Knoepfel, Verrechtlichung und Interesse. Interessenberücksichtigungsmuster in drei Grundtypen von Verrechtlichungsstrategien aus der Umwelt-, Risiko-und Bildungspolitik, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, Königstein 1980, S. 77ff.

  64. Hucke 1980, S 63.

  65. Vgl. Eckard Rehbinder, Argumente für die Verbandsklage im Umweltrecht in: Zeitschrift für Rechtspolitik 1976, S. 157 ff.

  66. Hucke 1980, S. 72f.

  67. Hans Ryffel, Bedingende Faktoren der Effektivität des Rechts, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 3, 1972, S. 225 ff.

  68. Otto Rudolf Kissel, Gibt es zuviele Gesetze? Zur Kritik am Umfang und an der Sprache unserer Gesetze, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 9. 1978.

  69. Ernst E. Hirsch, Das Recht im sozialen Ordnungsgefüge. Beiträge zur Rechtssoziologie, Bd. 1, Berlin 1966, S. 62 f.

  70. Manfred Rehbinder, Rechtskenntnis, Rechtsbewußtsein und Rechtsethos als Probleme der Rechts-politik, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 3, 1972, S. 25 ff., 26.

  71. Max Weber, Rechtssoziologie, in: ders., Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 19725, S. 3 ff.

  72. Werner Maihofer, Die gesellschaftliche Funktion des Rechts, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1, 1970, S. 11 ff.

  73. Manfred Rehbinder, 1972, S. 26.

  74. Erhard Blankenburg, Mobilisierung von Recht, über die Wahrscheinlichkeit des Ganges zum Gericht, über die Erfolgsaussichten der Kläger und über die daraus ableitbaren Funktionen der Justiz, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie, 1980, S. 33ff.

  75. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied 19752, S. 32.

  76. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 19725, S. 19, 124, 822.

  77. Luhmann 19752, a. a. O., S. 31.

  78. Adam Podgorecki et al., Knowledge and Opinion about Law, London 1973.

  79. Ralf Rogowski, Rechtsgläubigkeit oder die Antizipation vermuteter Rechtsfolgen, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, Königstein 1980, S. 254.

  80. Erhard Blankenburg, Recht als gradualisiertes Konzept. Begriffsdimensionen der Diskussion um

  81. Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, Neuwied 1964, S. 61 ff.

  82. Stewart Macaulay, Non Contractual Relations in Business, in: American Social Review 55 (1963); der übersetzte Text wurde dem Aufsatz von Blanken-burg 1980, S. 83ff„ entnommen.

  83. Knoepfel 1980, S. 77.

Weitere Inhalte

Rüdiger Voigt, Dr. jur., geb. 1941; Studium der Rechts-, Wirtschafts-und Politikwissenschaft in Kiel und Tübingen; bis 1978 Assistenzprofessor für öffentliches Recht an der Freien Universität Berlin; seit 1978 Akademischer Rat für Politikwissenschaft an der Universität — Gesamthochschule — Siegen. Veröffentlichungen u. a.: Die Auswirkungen des Finanzausgleichs zwischen Staat und Gemeinden auf die kommunale Selbstverwaltung, Berlin 1975; Kommunale Partizipation am staatlichen Entscheidungsprozeß, Würzburg 1976; Finanzsystem und Lebensqualität, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46/77; Haushaltsrecht zwischen Parlament und Regierung, in: Bayerische Verwaltungsblätter, 1978, S. 101 ff.; Verrechtlichung des Rechsstaats, in: Materialien zur Politischen Bildung, 1979, S. 23 ff.; Das System des kommunalen Finanzausgleichs in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1980; Umweltschutz zwischen Politik, Ökonomie und Recht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 17/80; Verrechtlichung (Hrsg.), Königstein 1980.