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Reform oder Korrektur? Zur Dokumentation über den Abbau von Staatsaufgaben und zur Verwaltungsvereinfachung in Bayern | APuZ 21/1981 | bpb.de

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APuZ 21/1981 Artikel 1 Artikel 2 Mehr Gerechtigkeit durch mehr Gesetz? Reform oder Korrektur? Zur Dokumentation über den Abbau von Staatsaufgaben und zur Verwaltungsvereinfachung in Bayern

Reform oder Korrektur? Zur Dokumentation über den Abbau von Staatsaufgaben und zur Verwaltungsvereinfachung in Bayern

Heinz Laufer

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Beitrag ist eine kritische Analyse des Berichts der Bayerischen Staatsregierung zum „Stand der Verwaltungsvereinfachung und Entstaatlichung" von Dezember 1979 und der Dokumentation der Bayerischen Staatskanzlei über die Tätigkeit der „Kommission für den Abbau von Staatsaufgaben und für Verwaltungsvereinfachung" von Februar 1980. Die Analyse setzt beim generellen Problem der „Bürokratisierung“ und der administrativen Dominanz als politisch-sozialen Rahmenbedingungen an, fragt dabei nach den Ursachen für die Mehrung der öffentlichen Bürokratie und der aus der zunehmenden Bürokratisierung entstandenen Bedrohungen für Demokratie, Marktwirtschaft und Bürgerbewußtsein. Bei der Darstellung von Aufgaben, Organisationsstruktur und Verfahrensweise der Kommission wird vor allem die Arbeitsweise sorgfältig untersucht und als zu sehr in bürokratischen Kategorien und etatistischen Zwängen verhaftet kritisiert. Die Grundorientierung der Kommissionsarbeit wird einer genauen Analyse unterzogen, deren Ergebnis ist, daß die Kommission einfachste sozialwissenschaftliche Erkenntnisse nicht berücksichtigt hat, daß sie sich einerseits zu liberalistisch-privatistisch orientierte, soweit es die Entstaatlichung betrifft, andererseits einem nebulösen Staatsverständnis anhängt, soweit es den Abbau von Staatsaufgaben angeht. Die Kommission hat 410 Vorschläge unterbreitet, die vom Gesetzgebungs-und Verordnungsbereich des Bundes und des Freistaats Bayern über Kompetenzverlagerungen unter Dezentralisierungsaspekten bis in die feinen Verästelungen der Verwaltungspraxis reichen. Sie konnten nur summarisch dargestellt und auf ihre Realisierungschancen kurz geprüft werden. Zusammenfassend wird festgestellt, daß die Kommission ihrer Aufgabenstellung und ihren Anforderungen kaum gerecht werden konnte, daß sie nicht annähernd der Dimension und Dringlichkeit des Problems zunehmender Bürokratisierung entsprochen hat und daß auch sie in der Gefahr ist, nach einem Start mit großen Erwartungen nach und nach wie eine auslaufende Welle im Sand zu versickern.

Zum 31. Dezember 1979 legte die Bayerische Staatsregierung dem Bayerischen Landtag ihren „Ersten Bericht zum Stand der Verwaltungsvereinfachung und Entstaatlichung“ vor Im Februar 1980 veröffentlichte die Bayerische Staatskanzlei die „Erste Dokumentation der Tätigkeit der Kommission für den Abbau von Staatsaufgaben und für Verwaltungsvereinfachung" Beide Dokumente, weitgehend, aber nicht vollständig identisch, sind das Ergebnis eines Versuchs, „Staat und Verwaltung bürgernäher, das heißt: einfacher, schneller und verständlicher werden" zu lassen Durch sie soll dargelegt werden, „wo durch entbehrliche oder zu enge Rechts-oder Verwaltungsvorschriften der Verwaltungsvollzug erschwert wird oder die Bürger vermeidbar belastet werden" Dieses prinzipiell begrüßenswerte Vorhaben darf in einem demokratischen legitimierten Gemeinwesen jedoch nicht dem Arkanwissen relativ weniger Professioneller überlassen bleiben, sondern bedarf der möglichst umfassenden und gründli-chen öffentlichen Erörterung. Dies ist um so wichtiger, je verpflichtender das oben zitierte Anliegen — Sorge für das Wohl des Bürgers — empfunden wird.

Der nachfolgende Beitrag ist eine kritische Analyse der beiden Dokumente zur Verwaltungsvereinfachung und Entstaatlichung. Sein Ansatz ist das generelle Problem der „Bürokratisierung" und administrativen Dominanz als politisch-soziale Rahmenbedingungen einer solchen Thematik. Anschließend wird über Aufgaben, Organisationsstruktur und Verfahrensweise der Bayerischen Kommission berichtet und werden deren Vorschläge kurz dargestellt, analysiert und nach den Realisierungschancen gefragt. Abschließend soll geklärt werden, ob der von Bayern eingeschlagene Weg richtig und erfolgversprechend ist ober ob grundsätzlich andere Zielsetzungen und Methoden erforderlich sind, um aus der allgemein erfahrenen Misere der „Staatsumklammerung" herauszukommen.

I. Die Dominanz der öffentlichen Verwaltung

Meinungsumfragen zum Verhältnis „Bürger und öffentliche Verwaltung" stellen fest, daß viele Bürger mit der administrativen Apparatur ihres Staates unzufrieden sind. „Warteund Bearbeitungszeiten, die Arbeitsweise, das Amtsdeutsch und der Mangel an Verständlichkeit der Entscheidungen und Entscheidungsgrundlagen werden bemängelt. Zahlreiche Bürger befürchten, daß ihre Freiheit durch immer neue Reglementierungen eingeschränkt wird". Diese zutreffende Eingangs-feststellung des Berichts stützt sich auf zahlreiche Untersuchungen und Meinungsumfragen in denen das weitverbreitete Unbehagen der Bürger am gegenwärtigen Verwaltungsstaat, ja deren Aversion gegen die Dominanz der öffentlichen Verwaltung manifest wird 7). Drückt sich in solchem Unbehagen nur eine momentane Reizung eines übersättigten Bürgers in einer Überflußgesellschaft aus oder ist es ein Symptom für essentielle Strukturveränderungen im modernen Staat? Um diese Frage zu beantworten, soll nach dem Erscheinungsbild des Verwaltungsstaates, nach den Ursachen der zunehmenden staatlichen Reglementierung sowie nach den daraus möglicherweise resultierenden Problemen gefragt werden.

Ausweitung der Staatstätigkeit und bürokratisch gesteuerter Staat Die Ausweitung der Staatstätigkeit seit etwa eineinhalb Jahrhunderten und die daraus folgenden Konsequenzen bezüglich der Vermehrung der Rechtsnormen und der öffentlichen Bediensteten beschäftigen die Wissenschaft, seitdem die ersten Erfahrungen über das neue Phänomen vorgelegt waren. So faßte bereits 1846 Robert von Mohl die vielfach geäußerte Kritik an der Bürokratie zusammen. Danach beklagen sich die Gutsbesitzer, „durch die Bürokratie möglichst auf das allgemeine Maß der staatsbürgerlichen Verhältnisse heruntergedrückt zu werden". Die Gewerbetreibenden beklagten sich „einerseits über Untätigkeit und Stumpfheit", andererseits über unnötiges „und schädliches Vielregieren". Die Kirchen warfen der Bürokratie vor, sie mißbrauche die Geistlichen zu den „fremdartigsten Schreiber-geschäften, glaube durch die Beschreibung eines Foliobogens die Gewissen beiseite setzen (und) Weltansichten eines ganzen Lebens ändern zu können“. Die „im öffentlichen Dienst stehenden oder mit öffentlichen Aufgaben beauftragten ... Baumeister, Ingenieure bei Eisenbahnen und Kanälen ... wissen, fast ohne Ausnahme, kein Ende zu finden in ihren Beschwerden über den Mangel an wahrer Einsicht, über die Erdrückung durch nutzlose Schreiberei und störende ... Kontrolle, über die Befehle zu unzeitigen und unwirtschaftlichen Ersparnissen, über verletzende Formen im amtlichen Verkehr .. "

Derartige Kritik in der Frühzeit der Bürokratisierung konnte jedoch andere Gelehrte nicht hindern, den Prozeß der zunehmenden Staats-tätigkeitund sich ausdehnenden Administration nüchtern zu konstatieren und prinzipiell positiv zu beurteilen. 1887 formulierte Adolph Wagner das „Gesetz von den wachsenden Staatstätigkeiten", um damit auf eine Struktur-und Qualitätsänderung des neuzeitlichen Staates aufmerksam zu machen In den beiden ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts widmete Max Weber einen guten Teil seiner Arbeitskraft der Analyse der neu entstandenen Bürokratie als dem Herrschaftsmittel des modernen Staates. Er war von der Notwendig, keit, noch mehr aber von der Leistungsfähig, keit der staatlichen Verwaltungsorganisation überzeugt. Bezeichnete er doch Herrschaft mittels des bürokratischen Verwaltungsstabes als den reinsten Typus legaler Herrschaft. Er sah ihn allen anderen Herrschaftstypen gegenüber als überlegen an und meinte: „Der entscheidende Grund für das Vordringen der bürokratischen Organisation war von je her ihre rein technische Überlegenheit über jede andere Form. Ein voll entwickelter bürokratischer Mechanismus verhält sich zu diesem genau wie eine Maschine zu den nicht-mechanischen Arten der Gütererzeugung. Präzision, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibung, sachlicher und persönlicher Kosten sind bei streng bürokratischer, speziell: monokratischer Verwaltung durch geschulte Einzelbeamte gegenüber allen kollegialen oder ehrenamtlichen Formen auf das Optimum gesteigert.“ Trotz solcher fast enthusiastisch klingender Auffassung über bürokratische Organisation ahnte Max Weber wohl die Kehrseite dieser Entwicklung, wenn er meint, daß der Vormarsch der Bürokratie unaufhaltsam sei, denn „sie ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung der modernen Massendemokratie". Eine einmal voll durchgeführte Bürokratie gehöre zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden, ihre Machtstellung sei überragend, doch bedeute sie schließlich „das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft.., in welches vielleicht dereinst die Menschen sich ... ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden""). Die Vorhersagen Max Webers haben sich uneingeschränkt erfüllt. „Die öffentlichen Bürokratien sind zu einer . lautlosen Krake'gewor-den, deren Fangarme immer weiter in die private Gesellschaft hineinreichen." Mit einem derart außergewöhnlichen harten Urteil eines zeitgenössischen Kenners des modernen politisch-administrativen Systems wird die absolute Dominanz der öffentlichen Verwaltung und ihre Durchdringung aller Lebensbereiche zutreffend gekennzeichnet, öffentliche Bürokratie ist zum entscheidenden Herrschaftsfaktor moderner, demokratisch regierter Industriegesellschaften geworden. Die von den modernen Verfassungen normierte Gewaltenteilung ist de facto aus den Angeln gehoben. Die Bürger fühlen sich hilflos dem administrativen Apparat ausgeliefert und begegnen der öffentlichen Bürokratie mit einer Mischung von Angst, schlechtem Gewissen und Hoffnung Ausgelöst werden solche psychischen Zustände des Unbehagens, des Mißtrauens, ja der Ohnmacht durch ein Millionenheer von öffentlichen Bediensteten und deren hauptsächlichem Instrumentarium, den zigtausenden von Rechtsregeln und der damit gegebenen Macht des Regulierens, Förderns oder Verhinderns. Wodurch wurde diese Machtkonstellation verursacht, welche Gründe können für die damit verbundene Umstrukturierung des modernen demokratischen Systems genannt werden?

Ursachen für die Mehrung der öffentlichen Bürokratie Wenn nach den Kausalitätsfaktoren für das oben skizzierte Phänomen gefragt wird, so sollen interne Faktoren wie das „Parkinsonsche Gesetz" oder das „Peterprinzip" bei unserer Darlegung unberücksichtigt bleiben. Es sollen im folgenden nur externe Faktoren kurz genannt werden, nämlich — die zivilisatorische Entwicklung, — das Prinzip der Gleichheit und der Sozialstaatsgrundsatz, — das Erfordernis der demokratischen Legitimation, — die Rechtsstaatlichkeit, — das System der politischen Verflechtungen, a) Die zivilisatorische Entwicklung mit ihren Erfindungen und Entdeckungen, neuen Technologien und deren technisch-industrieller Verwertung, ökonomischen Umstrukturierungen und internationalen Verflechtungen stellt seit etwa 150 Jahren eine zunehmende Herausforderung des Staates und seiner Amtsträger dar. Jeder technische und wissenschaftliche Fortschritt und jede strukturelle Veränderung verlangt ein Tätigwerden des politisch-administrativen Systems, sei es nur durch neue rechtliche Regulierungen oder Kontrollmaßnahmen, durch Schaffung von Infrastruktureinrichtungen oder gar durch die Bereitstellung von Dienstleistungen und Kollektiv-gütern 17).

b) Das Prinzip der Gleichheit und der Sozialstaatsgrundsatz als Essentiale des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland lassen nicht zu, daß Politik sich damit begnügen kann, Gleichheit in einem nur rechtsförmlichen Sinne zu gewähren und zu garantieren Vielmehr erwartet der Bürger, daß der Staat Gleichheit im materiellen Sinne herstellt, daß er soziale Sicherheit in allen Lebenslagen gewährleistet 19). Eine derartige Politik führt zur immer stärkeren Normierung aller Lebensbereiche

c) Das Erfordernis der demokratischen Legitimation läßt bei den Politikern der konkurrierenden Parteien den Willen entstehen, dem umworbenen Bürger mit einem möglichst umfassenden Leistungsangebot des Staates, mindestens mit weitreichenden Leistungsversprechungen gegenüberzutreten. Die politischen Repräsentanten versuchen bei den Wählern die Assoziation zu wecken, daß der Politiker und die Partei die bessere sei, die mehr staatliche Leistungen zur Verfügung gestellt hat oder stellen wird. Insoweit aber jede zusätzliche oder erweiterte Staatsleistung in der Regel mehr Rechtsnormen und öffentliche Be-dienstete, damit mehr Regulierung und Kontrolle erfordert, wird die staatliche Bürokratie unumgänglich zunehmen

d) Die Rechtsstaatlichkeit erfordert, daß politisches Handels entweder in Rechtsform oder auf der Basis von Rechtsnormen erfolgt. „Die Rechtsprechung, besonders die des Bundesverfassungsgerichts, förderte das Bestreben, Gesetz und Verwaltungshandeln durch Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände justizsicher zu machen. Gesetzgeberische Akte hatten immer häufiger ihren Grund in Gerichtsentscheidungen. Parlament und Regierung verwandten darüberhinaus immer mehr Mühe darauf, letzte Gesetzeslücken aufzuspüren und zu schließen und jeden möglichen Sonderfall im voraus zwecks gleichheitlicher Behandlung in die Vorschriften einzubeziehen."

e) Das System der politischen Verflechtungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie innerhalb der Europäischen Gemeinschaft brachte weitere Vorschriftenfluten, erforderte zusätzliches Personal, komplizierte den staatlichen Entscheidungsprozeß und verdichtete die Unüberschaubarkeit der bürokratischen Apparatur auf allen Ebenen politischen Geschehens

Welche Probleme resultieren aus dieser Entwicklung für das politische System einer freiheitlichen Demokratie in der hochindustrialisierten Gesellschaft?

Die Bedrohungen aus der zunehmenden Bürokratisierung Welche Folgen die zunehmende Bürokratisierung auf die soziale Psyche, den Bewußtseinsstand und den Bürgerstatus des Individuums hat, wurde oben schon angedeutet. Es könnte nun die Auffassung vertreten werden, daß man sich über das individuelle und soziale Wohlbefinden der Bürger relativ einfach hinwegsetzen kann, wenn nur die Funktionsund Leistungsfähigkeit des politischen Systems nicht nur nicht reduziert, sondern durch Ausweitung der Staatstätigkeit quantitativ und qualitativ verbessert würden. Doch das ist, wie zu zeigen sein wird, nicht der Fall. Hinzu kommt, daß die Regierenden in einer freiheitlichen Demokratie von Verfassungs wegen sich nicht über das persönliche Glück und das soziale Wohlbefinden ihrer Bürger um der Funktionalität des Staates willen hinwegsetzen können.

Die Dominanz der öffentlichen Bürokratie hat Demokratiedefizite zur Folge, reduziert die ökonomische Leistungsfähigkeit und führt zur politischen Resignation.

Das demokratische System beruht u. a. auf der Anerkennung der personalen Würde seiner Bürger und deren Entfaltung und Lebensgestaltung in Freiheit, auf dem Prinzip der Volkssouveränität und dessen Verwirklichung durch repräsentative Staatsorgane sowie auf Beschränkung und Kontrollierbarkeit aller staatlichen Macht. Diese Conditiones und Essentiale freiheitlicher politischer Ordnung werden durch zunehmende Reglementierung des Bürgers und bürokratische Fesselung der Gesellschaft bedroht, ja zerstört.

Der Staat als immer totaler werdende Betreuungsinstanz und omnipotenter Dienstleistungsunternehmer reduziert die personale Freiheit und Selbstentscheidungsbefugnis in zunehmenden Maße, bis am Ende der verwaltete und betreute Mensch als „Unpersönlichkeit" steht Diese ist nur noch Akklamationsorgan für bürokratisch gesteuerte Parlamentarier, die im Weberschen „Gehäuse der Hörigkeit" selbst zu Vollzugsorganen der Verwaltung degradiert worden sind Deren Macht ist so gut wie unkontrollierbar geworden, denn es ist die Administration, die materielles Recht setzt, dieses in der Exekutive interpretiert und letztlich durch vielfältige personelle Verflechtungen mit der Gerichtsbarkeit, vor allem der allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit, auch überprüft

Mit dem stetigen Anwachsen der staatlichen Apparatur schritt sukzessive die Ausweitung des Staatsanteils am Sozialprodukt fort, so daß er im Jahre 1980 bei ca. 47 % des Sozialprodukts liegt. Daraus resultieren nach Günther Schmölders drei Gefahren für das Wirtschafts-und Gesellschaftsleben: _ die Gefahr des „Staatsbankrotts" im finanz-wirtschaftlichen Bereich, _ die Gefahr der wieder angeheizten Inflation im Währungsbereich, _ die Gefahr der Außerkraftsetzung der freiheitlichen Marktwirtschaft zugunsten eines hemmungslosen Wohlfahrtsund Interventionsstaates im Bereich der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung

Der bürokratisch gesteuerte Daseinsvorsorge-, Leistungsund Interventionsstaat birgt überdies die Gefahr der politischen Resignation in sich. Und zwar auf doppelte Weise. Einmal hat das mittlerweile entstandene System der Risikovermeidung die Bürger in eine Anspruchs-und Erwartungsmentalität gedrängt, die vom allzuständigen Gesamtversorger Staat verlangt, mit möglichst vielen produzierbaren materiellen und geistigen Gütern versorgt zu werden. Wenn der demokratische Staat und seine Amtsträger diesem Verlangen nicht oder nicht mehr hinreichend gerecht werden können, besteht die Gefahr der demokratischen Resignation in dem Sinne, daß mit der Enttäuschung über die zu geringe oder mangelnde Leistungsfähigkeit des demokratischen Systems sich die Enttäuschung über die Demokratie als solche paart. Zum anderen vermag die allmählich total werdende Vormacht der Bürokratie den Bürger zu schrek-ken und seine implizit häufig vorhandene Untertanenmentalität, seine Ängstlichkeit vor der Obrigkeit, seine Furcht vor dem Staat zu verstärken. Die Komplexität der demokratisch regierten Industriegesellschaft wird ihm durch die bürokratischen Verfahrensweisen unheimlich, seine eigene Desinformiertheit weckt in ihm allzu leicht Inferioritätsgefühle, die nun ihrerseits seine Untertanenmentalität intensivieren und seine Ohnmacht gegenüber dem Staatsapparat ins Unermeßliche und damit nicht Faßbare steigern können. Resignation, aber auch Aggression können die Folgen sein

Angesichts der geschilderten Situation und der sich daraus ergebenden Bedrohungen für die freiheitliche Demokratie, die Funktions-und Leistungsfähigkeit des politischen Systems sowie die personale Existenz der Bürger ist jedes Engagement, sei es wissenschaftlicher, sei es praktischer Art, zu begrüßen, das sich der Problemkomplexe Entbürokratisierung, Verwaltungsvereinfachung, Entstaatlichung oder Reduzierung der Normenflut annimmt. Es ist deshalb prinzipiell verdienstvoll, wenn in Bund und Ländern seit einigen Jahren Aktivitäten in dieser Hinsicht festgestellt werden Vor allem im Freistaat Bayern sind zahlreiche diesbezügliche Initiativen verschiedener Ausprägung entstanden Soweit jedoch Kongresse oder Kommissionen versuchten oder versuchen, konkrete Schritte einzuleiten oder auszuführen, ist eine grundsätzliche Skepsis angebracht. So bedeuten Rationalisierungsmaßnahmen wie etwa der zweckökonomische Einsatz von Schreibkräften oder Dienstwagen, die Zusammenlegung von Amtsstellen, die Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen, die Vereinfachung von Formularen und Dienstwegen, die Übernahme staatlicher Aufgaben durch Private nicht per se schon einen antibürokratischen Schritt. Nicht allein die Zahl der Rechtsvorschriften und der Kompliziertheitsgrad des Verwaltungsaufwandes, sondern die Qualität, Reichweite, Transparenz und Kontrollierbar-keit administrativer Maßnahmen sind für das Verhältnis Bürger — Staat bestimmend. Die Kriterien für Reformmaßnahmen müssen aus dem Gesamtkomplex des geistig-politischen Umbruchs, des strukturellen Wandels, der organisatorischen Veränderungen und der daraus resultierenden Probleme, Defizite und Bedrohungen gewonnen werden. Diese Erfordernisse haben auch die oben angestellten Überlegun-gen veranlaßt, in die die Analyse der bayeri-sehen Bemühungen nun einzubeziehen sein werden.

II. Aulgaben, Organisationsstruktur und Verfahrensweise der Kommission

Der Vorstoß der CSU-Landtagsfraktion, zahlreiche schriftliche parlamentarische Anfragen zur Entstaatlichung und Gesetzesflut sowie ein Vorschlag des CSU-Parteitags vom September 1977 motivierten die Bayerische Staatsregierung, am 4. April 1978 durch Ministerratsbeschluß eine unabhängige Kommission für den Abbau von Staatsaufgaben und für die Verwaltungsvereinfachung einzusetzen. Welche Aufgaben obliegen der Kommission, wie ist sie zusammengesetzt, organisiert, und welches sind ihre Arbeitsweisen?

Die Aufgabenstellung der Kommission Der Ministerrat hat der Kommission folgende Aufgabe übertragen, die um der Vollständigkeit und Deutlichkeit willen wörtlich wiedergegeben werden soll:

„I. Die Kommission untersucht in unmittelbarer und ausschließlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Ministerpräsidenten, wo durch entbehrliche oder zu enge Rechts-oder Verwaltungsvorschriften der Verwaltungsvollzug im einzelnen erschwert wird oder die Bürger vermeidbar belastet werden.

Zu den Rechts-und Verwaltungsvorschriften in diesem Sinne gehören auch Vorschriften des Bundes.

Ebenso untersucht die Kommission, welche öffentlichen Aufgaben und Einrichtungen privatisiert werden können.

In diesem Rahmen wird die Kommission, soweit nicht besondere Aufträge des Ministerpräsidenten vorliegen, von sich aus prüfend und begutachtend tätig werden.

II. Rechts-und Verwaltungsvorschriften werden insbesondere unter folgenden Gesichtspunkten geprüft:

(1) Handelt es sich derzeit um eine verzichtbare Staatsaufgabe oder kann aus anderen Gründen auf eine Regelung verzichtet werden?

Den Fragen der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung soll seitens der Kommission Beachtung geschenkt werden.

(2) Kann eine staatliche Leistung zeitlich befristet werden?

(3) Kann eine Regelung inhaltlich vereinfacht werden?'

Sind insbesondere Genehmigungs-und Eingriffsvorbehalte entbehrlich?

Einzelregelungen werden auch daraufhin untersucht, ob auf Einvernehmungsoder Benehmungserfordernisse verzichtet werden kann. Auf ihre Entbehrlichkeit werden auch alle besonderen Verfahrensregelungen außerhalb des Bayer. Verwaltungsverfahrensgesetzes geprüft.

(4) Können Zuständigkeiten nach den Grundsätzen der Funktionalreform nach unten verlagert werden?

Die von der Staatsregierung 1973 beschlossenen allgemeinen Grundsätze zur Funktionalreform werden berücksichtigt.

(5) Bestehen Möglichkeiten, den eigenverantwortlichen Vollzug durch den einzelnen Beamten zu fördern?

(6) Können die Regelungen und die dazu ausgegebenen behördlichen Formulare und Erläuterungen verständlicher gefaßt werden? Bei der vorstehenden Problemstellung (Punkte 5 und 6) kommt es insbesondere darauf an, die Sprache und den Aufbau einer Regelung so zu vereinfachen, daß diese von der mit der Anwendung befaßten Person leichter gehandhabt und vom Bürger besser verstanden werden kann."

Zusammensetzung und Organisation der Kommission Die Kommission setzt sich aus 11 Mitgliedern zusammen, die von Ministerpräsident Alfons Goppel am 20. Juni 1978 berufen wurden Mit dem Vorsitz wurde der Staatssekretär im Innenministerium Franz Neubauer (CSU) betraut Die Auswahlkriterien, nach welchen Jie Kommissionsmitglieder berufen worden sind, werden nicht genannt. Offensichtlich sollte mit dieser Zusammensetzung weniger der verwaltungsinterne oder verwaltungswissenschaftliche Sachverstand repräsentiert werden. Vielmehr schien es primär darum zu gehen, einmal die verwaltungspolitische Spitze der verschiedenen administrativen Ebenen zu berücksichtigen, zum anderen Repräsentanten organisierter ökonomischer Interessen zu beteiligen. Solche einseitige Rekrutierung läßt darauf schließen, daß die Kommissionsaufgabe nur unter bestimmten Vorteilsgesichtspunkten wahrgenommen werden soll, daß nur spezifische Interessenlagen berücksichtigt werden sollen, unter Vernachlässigung der generellen Zielsetzung. Man muß fragen, warum nicht Mitglieder des Landtags berufen wurden, warum nicht Mitglieder von Gemeinde-oder Kreisräten, warum nicht politische Publizisten, warum nicht „Durchschnittsbürger", warum nicht ausgewiesene Wissenschaftler verschiedener einschlägiger Disziplinen?

Diese kritischen Erwägungen müssen auch für die Organisation der Kommission gelten. Deren technisch-organisatorische Arbeit wurde von einer Geschäftsstelle, eingerichtet bei der Staatskanzlei, übernommen und wird vom Generalsekretär des Landespersonalausschusses geleitet. Während der Berichtszeit war das Büro überwiegend mit zwei Beamten des höheren Dienstes besetzt. In jedem Staatsministerium ist jeweils ein Referent (Stabsreferent) als Anlaufstelle und Koordinationsorgan benannt

So bleibt der administrative und personelle Rahmen der Kommission bescheiden. Dennoch ist kritisch zu bemerken, daß sie damit — ebenso wie durch die kritisierte Zusammensetzung — im Bereich der Exekutive angesiedelt wurde und somit einem grundsätzlichen Dilemma unterliegt. So wenig (mit Ivan Illich) zu erwarten ist, daß die Krise des Gesundheitswesens von den Ärzten behoben wird, so wenig ist auch eine Radikalkur der Bürokratie durch Bürokraten wahrscheinlich. In diesem Sinne ist die von der FDP geübte Kritik berechtigt, daß die Kommission nicht unter der Verantwortung des Landtags gebildet worden ist, sondern bei der Bürokratie eingesetzt wurde, „deren Wildwuchs ja gerade beschnitten werden soll"

Die Arbeitsweise der Kommission Für die bisherige Arbeitsweise der Kommission ist deren starke Außenorientierung kennzeichnend. Bereits nach der konstituierenden Sitzung am 27. Juni 1978 wurden durch eine gemeinsame Bekanntmachung der Staatsministerien alle Behörden und Stellen der bayerischen Staatsverwaltung, aber auch die nicht-staatliche öffentliche Verwaltung einschließlich der Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts aufgefordert, der Kommission Vorschläge zu übermitteln. Eine entsprechende Bitte hat die Geschäftsstelle durch Anschreiben an zahlreiche Spitzenverbände und Kammern gerichtet. Ebenso wurden durch persönliche Gespräche mit Amtsträgern und durch eine öffentliche Aufforderung die Staatsbürger zu Vorschlägen ermuntert

In den rund eineinhalb Jahren bis zum Abschluß des Zwischenberichts vom Januar 1980 wurden 1 029 Vorschläge registriert. Diese stammten teilweise auch von der Kommission bzw.deren Sekretariat. Über ein Drittel der Vorschläge fiel in den Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums, die übrigen verteilten sich relativ gleichmäßig auf die anderen Fachministerien. Lediglich 7 Vorschläge betrafen die Staatskanzlei, 68 Vorschläge hatten ressortübergreifenden Charakter. Alle eingegangenen Vorschläge wurden im Sekretariat gesichtet, hinsichtlich der Auftragstellung der Kommission, möglicher Überschneidungen und Verdoppelungen geprüft und dann an die Stabsreferenten der betroffenen Ministerien zur Stellungnahme oder Kenntnisnahme weitergeleitet. Entsprechend dem Inhalt dieser Stellungnahmen ergab sich eine jeweils spezifische Verfahrensweise: — Befürworteten die beteiligten Staatsministerien einen Vorschlag, so wurde er unmittel-bar vom federführenden Ministerium aufgegriffen. Der Kommission wurde hierüber lediglich Bericht erstattet. Nur in Ausnahmefällen kam es zu einer Beschlußfassung durch die Kommission.

— Vorschläge, die auf einer falschen Rechts-auffassung beruhten, die bereits in anderer Weise verwirklicht worden waren oder gegen die sachliche Argumente sprachen, wurden mit einer entsprechenden Begründung an den Einreicher zurückgeleitet. Sofern dieser an seinem Vorschlag festhalten wollte, wurde er vom Sekretariat der Kommission um eine Gegenäußerung gebeten.

Nach Eingang und Klärung dieser Stellungnahmen erarbeitete das Sekretariat eine Beschlußvorlage, zu der sich wiederum die beteiligten Staatsministerien äußern konnten.

Bei weiterreichenden oder komplexen Vorschlägen, insbesondere bei der materiellen Bereinigung von Rechtsbereichen, wurde eine derartige Vorlage jedoch erst nach intensiven Vorbesprechungen aller Beteiligten formuliert. Den Beschlußvorlagen zum Baurecht ging sogar ein besonderes Hearing voraus. Laut Kommissionsbericht konnten Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Sekretariat und den Ministerien in der überwiegenden Zahl der Fälle beigelegt werden. Innerhalb der Kommission wurden die Beschlußvorlagen in der Regel vom Sekretariat, zuweilen aber auch von einzelnen Mitgliedern der Kommission vertreten. Bei den Abstimmungen entschied die Mehrheit der Anwesenden. Meist konnten jedoch einstimmige Beschlüsse erzielt werden. Ein Recht auf Stimmenthaltung wurde eingeräumt. Aus pragmatischen Gründen verzichtete die Kommission auf eine Geschäftsordnung

Positive Beschlüsse der Kommission wurden zusammen mit den Stellungnahmen der beteiligten Ministerien an den Ministerpräsidenten übermittelt. Dieser leitete den Beschluß entweder dem federführenden Ministerium zum Vollzug weiter oder veranlaßte die Ausarbeitung einer Kabinettsvorlage zur Änderung oder Aufhebung eines Landes-bzw. Bundesgesetzes. Im Falle differenzierender Stellungnahmen lag die Entscheidung bei der Staatsregierung. Parallel zum Ministerpräsidenten wurden auch die Landtagsfraktionen von den Beschlüssen der Kommission unterrichtet

Die Kommission berichtet, daß sie vorn 27. Juni 1978 bis zum 21. Januar 1980 in 15 Sit.

zungen 410 positive Einzelempfehlungen größtenteils im Rahmen umfassender Untersuchungen zu verschiedenen Themenbereichen beschlossen habe 41). Die Einzelempfehlungen wurden in 64 Beschlüssen und 24 Erledigungen aufgrund der vorbereitenden Arbeiten des Sekretariats gefaßt, sie sind zu ca. 200 Rechtsbereichen ergangen

Ein solches Quantum vielfältiger Empfehlungen von einem kleinen Gremium in kurzer Zeit vorgelegt, verdient nicht nur Bewunderung, sondern sollte auch skeptisch betrachtet werden. Können elf Persönlichkeiten, die im Hauptberuf voll ausgelastet sind und zahlrei. ehe Nebenverpflichtungen haben, konzeptionell orientiert mit Sachkunde und in derart kurzer Zeit so zahlreiche wichtige Entschei-düngen treffen? Wieviel Aktenstudium war schon allein erforderlich, um die 1 026 eingegangenen Vorschläge zur Kenntnis zu neh men, sie in den jeweiligen Kontexten zu verstehen, davon 786 in ihrer Ist-und Soll-Wirkung zu überprüfen? Welcher Zeitaufwand war jeweils notwendig, um die Problematik zu artikulieren und die Fragen an die betroffenen staatlichen Stellen zu formulieren? Welche Zeit mußte aufgewandt werden, um die Änderungsvorschläge unter allen in Frage kommenden Aspekten in der Kommission umfassend zu erörtern? Wenn die Kommission in ihrer Dokumentation auf die wichtige Rolle der Stabsreferenten und des Sekretariats verweist, wenn sie den eingeschlagenen Amtsweg und schriftlichen Kontakt zwischen sich und den staatlichen Dienststellen hervorhebt, dann sind das Indizien nicht nur für relativ enge Kommunikationsbahnen und konventionelle Arbeitsweise, sondern vor allem auch für die maßgebende Rolle der Beamten in der Kommission. Aus der Relation von Zeitinput und Arbeitsoutput muß bei Würdigung der angeführten Umstände geschlossen werden, daß die Kommissionsmitglieder mehr als Vollzugsorgane von in der Administration erarbeiteten Vorlagen und weniger als politisch-administrativ kundige und reformengagierte Sachverständige gewirkt haben. Schließlich muß auch die mangelnde Bürger-beteiligung an der Kommissionsarbeit kritisiert werden. Zwar wurden die Bürger über die staatseigene Zeitung BY aufgefordert, Eingaben an die Kommission zu machen, doch kann darin wohl nicht mehr als ein symbolischer Akt-gesehen werden. Das Potential bürger-gehaltlicher Erfahrung und Kritik wurde in keiner Weise angesprochen und ausgeschöpft. So hätte, um nur einen Vorschlag zu nennen, eine unmittelbare Befragung von Bürgern wahrend ihrer Behördengänge den konkreten Anlaß für Unzufriedenheit und Unmut offen-gelegt und konstruktive Lösungen anregen können.

III. Die Grundorientierung der Kommissionsarbeit

Die oben referierte Aufgabenstellung wirft eine Reihe von Fragen auf, die aus dem Kontext von Bericht und Dokumentation zu beantworten versucht werden sollen. Dabei erweckt die Heterogenität der Aufgaben Bedenken, da sie offensichtlich primär auf die Probleme des Verwaltungsvollzugs und der sich daraus ergebenden Belastung des Bürgers abgestellt werden sollen. Andererseits soll untersucht werden, welche öffentlichen Aufgaben und Einrichtungen privatisiert werden können. Eine solche Vermischung von Mikro-und Makroproblemen, von internen Regulierungsfragen und umfangreichen Gesetzesänderungen, nicht nur auf Landesebene, sondern auch im Bundesbereich, läßt Zweifel entstehen, ob die Kommission sich bei der Aufgabenformulierung der Vieldimensioniertheit, Komplexität und Quantität ihres Auftrags auch tatsächlich bewußt war. Die Formulierungen klingen etwas sehr routinehaft und es wird bei Analyse der Grundlinien sowie des Kriterienkatalogs zu zeigen sein, daß die Kommission kaum ihre eigenen Voraussetzungen reflektiert hat und in überkommenen Denkschemata und Verhaltensmustern verhaftet blieb.

Die Grundlinien der Kommissionstätigkeit Die Kommission will sich ausschließlich vom „wahren Bürgerinteresse" und von „Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit“ leiten lassen. Sie will parteipolitische Erwägungen ausschließen und ohne jede Beeinflussung arbeiten. Ihr Ziel ist es vor allem, „die Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit und seine Beengung durch vielfältige Reglementierungen abzubauen, die staatliche und sonstige öffentliche Tätigkeit einzuschränken und zweckentsprechend zu gestalten, den Bürger dadurch auch finanziell zu entlasten." Die Kommission scheut sich nicht, Bestehendes abzulehnen, noch es zu verteidigen, weder eine völlig neue Lösung vorzuschlagen noch sich zu einer bewährten Lösung zu bekennen. Sie will auch an Kleinem und scheinbar Geringfügigem nicht vorübergehen und hält wenig von „allgemein gehaltenen bloßen Prüfungsempfehlungen"

Aus solchen Formulierungen spricht ein außergewöhnlich hoher Anspruch, der zahlreiche Fragen aufwirft und zu Gegenargumenten provoziert. Ist das „wahre“ Bürgerinteresse überhaupt zu ermitteln oder wer ist befugt, es repräsentativ festzustellen und verbindlich festzulegen? Der Anspruch suggeriert, es gäbe tatsächlich so etwas wie ein homogenes, kompaktes, eindeutig feststellbares „Bürgerinteresse"; er unterstellt der Kommission die Fähigkeit und Legitimation, über dieses wahre Bürgerinteresse autoritativ zu befinden. Ein derartiger Anspruch geht von Voraussetzungen aus, die wissenschaftlichen Kriterien nicht standhalten.

So wenig es den „wahren Menschen“ an sich gibt, so wenig gibt es den „wahren Bürger" an sich. Das Lebewesen Mensch ist einerseits auf Grund seiner Verhaftetheit in den verschiedenen Seinsbereichen, andererseits auf Grund seines Freiheitspotentials ein Wesen voller Widersprüche, in sich selbst gegensätzlich, von Spannungen bestimmt Der Bürger in der hochtechnisierten und komplizierten Massengesellschaft ist ein System von gegensätzlichen Anforderungen und konkurrierenden Erwartungen eingespannt, daß er selbst bei kritischer Reflexion kaum in der Lage sein dürfte, alle seine „wahren Interessen“ zu artikulieren Die Kommission setzt sich über solche anthropologischen und soziologischen Erkenntnisse hinweg. Sie interessiert sich anscheinend auch nicht dafür, ob und wenn, mit welchen Methoden Bürgerinteressen festgestellt werden können. Statt wenigstens die Frage nach möglichen Erkenntnisverfahren — demoskopische Befragung, Aktenanalyse, Literaturauswertung etc, — zu stellen, wird apodiktisch das eigene Wissen über die „wahren Bürgerinteressen“ herangezogen. Was die Mitglieder der Kommission aus ihrem Erfahrungsbereich, ihrer Interessenlage, ihrem sozialen Milieu, von ihrem Ausbildungs-und Bildungsniveau her als „wahres Bürgerinteresse“ verstehen, soll es dann auch sein. Dasselbe gilt wohl auch für ihre Kriterien der „Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit". Sie sind utilitaristische Leerformeln, mit deren Hilfe jede beliebige Argumentation geführt werden kann.

Genau so kritisch müssen die anderen Ansprüche der Kommission beurteilt werden, so die über die parteipolitischen Erwägungen und Beeinflussungen. Wenn in der Kommission nur ein Vertreter der Gewerkschaften ist, die übrigen Mitglieder entweder der Regierungspartei angehören oder ihr nahestehen, wenn die Mitglieder Repräsentanten von Arbeitgeber-und Unternehmerverbänden sind, wenn die Geschäftsstelle von einem hohen Beamten der Staatskanzlei geleitet wird und wenn Staatsbeamte die Hauptarbeit der Kommission leisten, dann ist das erkenntnisleitende Interesse ihrer Arbeit derart verinnerlicht, daß es in der Tat keiner Beeinflussungsversuche bedarf

Erwägungen der Kommission für die Entstaatlichung Zugunsten der Kommission kann aber auch festgestellt werden, daß sie gerade für den Problemkreis „Entstaatlichung" eine Reihe von motivierenden und zu rechtfertigenden Erwägungen anstellte, nämlich solche ordnungspolitischer, finanzpolitischer und gesellschaftspolitischer Art Nach Auffassung der Kommission würde eine Entstaatlichung den Frei-raum und Markt für Private wieder erhöhen, damit marktwirtschaftliche Mechanismen freisetzen, die Selbständigkeit und Eigeninitiative, den Bürgersinn, die Engagementbereitschaft und Eigenverantwortung des Bürgers stärken, und schließlich dem Abbau der Staatsverschuldung dienen.

Die Erwägung der Kommission, daß der schleichenden Entmündigung des Bürgers begegnet werden muß und daß es erforderlich ist, das Bewußtsein zu stärken, für sich und sein Wohlergehen in erster Linie selbst verantwortlich zu sein, ist zutreffend. Doch ist damit nicht gesagt, daß dieses Ziel nur mit Mitteln der Entstaatlichung und Verwaltungsvereinfachung erreicht werden kann. Möglicherweise kann dadurch eine wichtige, ja unerläßliche Voraussetzung für diese essentielle Bürgerqualität geschaffen werden. Dabei ist es richtig und begrüßenswert, wenn diese Zielsetzung die Arbeit der Kommission mitbestimmt. Gleichwohl wird zum Abschluß unseres Beitrages gefragt werden müssen, ob institutioneile und rechtli. ehe Maßnahmen ausreichen können, um den genannten Zweck zu erreichen.

Die finanzpolitischen Erwägungen sind mögli-cherweise zu enthusiastisch angestellt worden, insbesondere was den Abbau der Staatsverschuldung betrifft. Einer solchen Erwägung liegt die Annahme zugrunde, daß staatliche Tätigkeit, nur mit staatlichen Mitteln finanziert werde, während private Tätigkeit sich ausschließlich mit privat erwirtschafteten Mitteln finanziere. Ein solcher Trugschluß hätte der Kommission nicht passieren dürfen. Gerade ihre Mitglieder aus der Wirtschaft hätten wissen und zugestehen müssen, daß der moderne Interventions-und Subventionsstaat private wirtschaftliche Tätigkeit in bisher noch nie gekanntem Ausmaße aus öffentlichen Mitteln finanziert Die Bereiche Landwirtschaft, Bergbau, Eisen-und Stahlindustrie können dies ebenso verdeutlichen wie die staatlichen Aufwendungen für nichtstaatliche Leistungen im Erziehungs-und Bildungsbereich, im Gesundheits-und Sozialbereich Die Erledigung öffentlicher Aufgaben durch Private ist per se keine Garantie für eine Reduzierung von Staatsausgaben und damit für den Abbau der Staatsverschuldung. Diese könnte unabhängig von Reprivatisierung sogar noch zunehmen, wenn Regierung und Parlament meinen, aus konjunkturellen oder strukturellen wirtschaftlichen Gründen, aus Wahlkalkül oder zum Zwecke von Befriedungsaktionen interventionistisch tätig werden zu müssen Auch die ordnungspolitischen Erwägungen der Kommission veranlassen zu kritischen Einwänden. Sie sind ausschließlich auf die Marktwirtschaft orientiert, so als sei diese verfassungsrechtlich als allein zulässiges Wirtschaftsmodell determiniert Daß dem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht so ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden Die Kommission läßt aber schon von ihrem Grundansatz andere als marktwirtschaftliche Modelle gar nicht zu, wenn sie die Sicherung wirtschaftlicher Entfaltungsfreiheit und des Wettbewerbs sowie die Eröffnung weiterer Räume für den Markt als Motiv für eine Entstaatlichungspolitik nennt. Markt um des Marktes, Produktion um der Produktion willen im Sinne eines frühkapitalistischen Wirtschaftsliberalismus drückt sich darin aus, nicht bedenkend, daß längst die Grenzen des Wachstums sichtbar werden 53), daß nicht alles produziert werden darf, was produzierbar wäre und daß schließlich wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit, Wettbewerb und weitere Markterschließung wiederum mehr Staat erfordern

Kriterienkatalog für den Abbau von, Staats-aufgaben und für Sanktionen Die Kommission hat für die Privatisierung von Unternehmen einen Kriterienkatalog beschlossen, an Hand dessen die Weiterführung staatlicher Tätigkeit zu untersuchen ist. Sie fragt, welche Aufgabe gegenwärtig vom Staat erfüllt wird, ob an der Erfüllung der Aufgabe ein besonderes Interesse besteht, ob eine vom Staat zu erfüllende Aufgabe vorliegt und welche Gestaltungskriterien erkennbar sind. Mit Hilfe eines Fragenkatalogs will sie jeweils die Gestaltungsalternativen überprüfen

Bei diesem Kriterienkatalog fallen legalistische Enge und die etatistischen Denkkategorien auf. Es wird zu ausschließlich de lege lata argumentiert. Wiederum werden zu wenig die eigenen Voraussetzungen reflektiert, bleiben der Kontext des gesellschaftlichen Wandels und die sich daraus ergebende Anforderung an Staatsorganisationsstruktur und Staatstätigkeit weitgehend unberücksichtigt.

Welche Aufgaben der Staat zu erfüllen hat, läßt sich zwar positivrechtlich aus der Verfassung ableiten — wie die Kommission das getan hat — aber kann man so eng die Grenzen ziehen, um die Staatsaufgaben zu bestimmen? Ist eine solche Auffassung für eine Reform-kommission nicht eine falsche Selbstbescheidung? Man muß nicht so weit gehen und behaupten, der Staat als solcher habe überhaupt keine genuinen Aufgaben, sie könnten immer nur historisch-traditional, zivilisatorisch-gesellschaftlich bestimmt werden Aber man sollte doch in einer Reformkommission den jeweiligen Entstehungsprozeß und die vielfältigen Entstehungsgründe für staatliche Tätigkeit berücksichtigen und sich nicht ausschließlich an verfassungsrechtlichen Vorschriften oder tradierten Hoheitsfunktionen orientieren.

Wie wenig durchdacht und widersprüchlich der Kriterienkatalog ist, wird an den Fragen zur Überprüfung der Gestaltungsalternativen erkennbar. Einerseits wird die soziale Verantwortung des Staates für seine Bürger (Arbeitsund Ausbildungsplätze, finanzielle Entlastung, Gewährleistung der Leistungserstellung auf Dauer, soziale Auswirkungen für die Beschäftigten) herausgestellt. Andererseits wird größter Wert auf die Sicherung staatlicher Einflußnahmen (Beachtung steuerrechtlicher Gesichtspunkte, ausreichende staatliche Einflußmöglichkeiten, Kontrollaufwand der Verwaltung, parlamentarische Kontrolle) gelegt. Die Kommission versucht hier die Quadratur des Kreises: Staat und Bürger sollen entlastet, die Freiheit des Bürgers soll risikolos erweitert, die Effizienz der Staatstätigkeit soll bei Kostensenkung gesteigert, die Freiheit des marktwirtschaftlichen Systems soll intensiviert werden. Gleichzeitig soll aber der Staat keineswegs aus seiner Verantwortung für das marktwirtschaftliche System und für die Wettbewerbsverhältnisse sowie für das Gedeihen der bayerischen Wirtschaft entlassen werden. Man muß fragen, wie diese Kommission sich diese coincidentia oppositorum vorstellt, warum sie die existentielle Grunderfahrung vernachlässigt hat, daß Mensch und Gesellschaft in Widerspruchssystemen leben, daß bestimmte Prinzipien und Maximen andere ausschließen, und daß auch der demokratische Staat eben nicht allen in allem gerecht werden kann Die Kommission unternimmt Harmo-nisierungsversuche, die auf ein Modell „Staat als Heilsanstalt" hinauslaufen. Muß so etwas nicht schon vom Ansatz her zum Scheitern verurteilt sein?

IV. Die Vorschläge der Kommission

Die Kommission hat bis 21. Januar 1980 786 Vorschläge behandelt; von diesen befanden sich bei der Vorlage ihrer Dokumentation noch 363 in Bearbeitung; 13 waren von ihr nicht übernommen worden; 410 wurden zur Realisierung vorgeschlagen Diese 410 Kommissionsvorschläge im einzelnen darzustellen, sie zu analysieren und auf ihren Gehalt und ihre Auswirkungen zu beurteilen, ist ausgeschlossen. Kein Einzelner verfügt über die Sachkompetenz, die Vielfalt der angesprochenen Fachgebiete und Rechtsmaterien in vollem Umfang zu würdigen. Ein solches Vorhaben bedürfte einer Vielfalt von Sachkundigen, die kooperativ oder integrativ die Vorschläge im Detail untersuchen und würdigen müßten. Das ist aus zahlreichen Gründen nicht möglich, es ist aber auch nicht unbedingt erforderlich. Denn, wie schon kritisch angemerkt, hat sich die Kommission in großem Umfang mit „Kleinem" und „Geringfügigem" befaßt und entsprechend detaillierte Einzelvorschläge unterbreitet. Änderungsvorschläge und Innovationsideen grundsätzlicher Art sind kaum feststellbar.

Im folgenden kann es daher nur darum gehen, eine kurze Übersicht über die Rechts-und Verwaltungsbereiche zu geben, für die Vorschläge vorgelegt worden sind und nach Erfolgsquoten und Wirkungschancen zu fragen.

Kommissionsempfehlungen zu einzelnen Bereichen der Staatstätigkeit Die Empfehlungen der Kommission betreffen den Gesetzgebungsund Verordnungsbereich des Bundes und des Landes, haben ressort-übergreifende Maßnahmen zum Gegenstand und beziehen sich auf einzelne Ministerien des Freistaats Bayern.

Für den Bundesbereich schlägt die Kommission vor, eine Anzahl von Gesetzen aufzuheben, weil sie nicht mehr angewandt würden — wie zum Beispiel das Reichsheimstättengesetz aus dem Jahre 1920 oder das Gesetz über den Verkehr mit unedlen Metallen von 1926 60). Sie regt an, zahlreiche Bundesgesetze — so etwa das Abfallbeseitigungsgesetz oder das Krankenhausfinanzierungsgesetz zu ändern, und eine Reihe von Rechtsverordnungen zu revidieren. Ihrer Ansicht nach sollten Bagatellsteuern des Bundes wie die Steuern auf Tee, Zucker, Salz, Essigsäure, Zündwaren, Leuchtmittel und Spielkarten aufgehoben werden

Ressortübergreifende Empfehlungen der Kommission sollen vor allem die Straf-und Bußgeldvorschriften bereinigen. Dafür unterbreitet sie 249 Einzelvorschläge zu ca. 90 Rechtsbereichen, die vom Abfallgesetz und Abmarkungsgesetz über das Baurecht und Naturschutzgesetz bis zum Tierzuchtgesetz und Wasserrecht reichen Sie legt Vorschläge vor, die sich mit der Gestaltung des innerministeriellen Dienstbetriebes und der den Ministerien nachgeordneten Behörden befassen, vor allem mit der Rationalisierung der Verwaltungspraxis, Kompetenzverlagerungen nach unten und der Handhabung des Personalwesens Die Empfehlungen können als bürger-nah, praxisorientiert und am Kosten-Nutzen-Prinzip ausgerichtet bezeichnet werden.

Die Kommission schlägt auch für den Bayerischen Gesetzgebungsbereich vor, Gesetze aufzuheben, vor allem solche, die den Bürger belasten, wie die Getränkesteuer, die Vergnügungssteuer, die Jagdsteuer und der Fremdenverkehrsbeitrag. Wie im Bund gibt es auch in Bayern Rechtsregeln, die seit langem nicht mehr angewendet werden, weil entweder niemand mehr existiert, auf den sie zutreffen, oder weil der Sachverhalt nicht mehr besteht, für dessen Regelung sie geschaffen worden waren. Deshalb empfiehlt die Kommission, solche Gesetze oder Rechtsverordnungen aufzuheben 64). So ist zum Beispiel das Gesetz Über die Prüfung der Filmvorführer oder das Gesetz über die Torfwirtschaft ebenso irrelevant geworden wie die Landesverordnung über die Rattenbekämpfung oder die Grubenanschlußbahnverordnung. Für die einzelnen Staatsministerien macht die Kommission eine Vielzahl von Einzelvorschlägen. Sie umfassen Bauordnungs-Wasser-, Straßen-und Wegerecht sowie Staatsangehörigkeitsrecht, empfehlen die Einführung des Steuerplakettensystems für die Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer, betreffen Zuständigkeitsverlagerungen, den Wegfall von Meldepflichten und Bestätigungsvorlagen, Fristverlängerungen oder Formularänderungen, regen an, daß auf staatliche Bestätigung verzichtet und die staatliche Planungstätigkeit reduziert werden soll, oder haben Regelungen zur Verwaltungsvereinfachung zum Inhalt Solche zahlreichen und vielfältigen Empfehlungen, durch die dem Bürger wieder einmal in erschreckender Weise bewußt werden kann, in welchem Ausmaß und mit welcher Intensität er vom Staat reglementiert und überwacht wird, haben aber nur dann politische Bedeutung, wenn eine Chance besteht, daß sie realisiert werden können. Die Bürger, die staatlichen Bediensteten, die politischen Amtsträger können zu Recht erwarten, daß derartige Kommissionsvorschläge auch unter dem Aspekt ihrer Verwirklichung gemacht werden. Es ist daher im folgenden nach den Durchsetzungschancen der Kommissionsempfehlungen zu fragen.

Realisierungschancen der Kommissionsvorschläge Fragt man, ob und in welchem Maße die Kom-missionsvorschläge realisiert werden können, so ergibt sich folgendes Bild:

a) Im Gesetzgebungsbereich des Freistaats Bayern wurden die Empfehlungen, die landeseigenen Bagatellsteuern aufzuheben, bereits verwirklicht Andere Kommissionsvorschläge, Landesgesetze außer Kraft zu setzen, wurden von der Staatsregierung gebilligt und entsprechende Aufhebungsgesetze sind in Vorbereitung Soweit sich die Empfehlungen jedoch auf Bundesrecht erstrecken, ist Skepsis angesichts der bundesstaatlichen Struktur und der politischen Kräfteverhältnisse im Bund angebracht. Selbst wenn die Bayerische Staatsregierung eine Gesetzesinitiative unternimmt und auf Grund der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat ein entsprechender Änderungsantrag zustandekommt, muß offen bleiben, ob Bundesregierung und Bundestagsmehrheit dem Begehren folgen werden. Soweit es sich nicht um Rationalisierungsvorschläge in Verfahrensangelegenheiten handelt, sondern um parteipolitisch kontroverse Rechtsmaterien wie z. B. das Abwasserabgabengesetz, das Zweite Wohnungsbaugesetz, das Grunderwerbsteuergesetz, das Dritte Verstromungsgese'tz, das Grundstücksverkehrsgesetz, das Krankenhausfinanzierungsgesetz oder das Bundesimmissionsschutzgesetz, dürften die Kommissionsempfehlungen bald Makulaturcharakter haben. b) Verordnungsbereich: Für den Bereich der Rechtsverordnungen der Bundesregierung oder einzelner Bundesminister gilt das oben zur Bundesgesetzgebung Ausgeführte. Doch auch im Landesbereich hat sich bisher die Kommissionstätigkeit nur gering ausgewirkt

c) Dasselbe muß für den Bereich der Verwaltungsvorschriften und Verwaltungspraxis festgestellt werden. Von den zahlreichen Kommissionsvorschlägen sowohl für das interne Verwaltungsverfahren als auch für das Verwaltungshandeln gegenüber dem Bürger wurden bisher nur wenige verwirklicht Doch bestehen Chancen, daß die vielfältigen Empfehlungen für die Verwaltungspraxis zugunsten einer besseren, reibungsloseren und menschenwürdigeren Behandlung der Bürger auch durchgesetzt werden können.

Die größten Chancen zur Realisierung dürften die sehr umfassenden und detaillierten Vorschläge der Kommission im Bereich des Bauordnungsrechts haben. Der von der Bayerischen Staatsregierung vorgelegte „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Bayerischen Bauordnung“ wurde in erheblichem Umfang von der Arbeit und Vorschlägen der Kommission geprägt. Wenn auch ihr favorisierter Vorschlag, das Bauanzeigeverfahren für bestimmte Bauvorhaben einzuführen und dafür das Erfordernis der Baugenehmigung wegfallen zu lassen, aus guten und überzeu-genden Gründen abgelehnt wurde, so kann doch gleichwohl für den Bereich des Bauordnungsrechts festgestellt werden, daß fast alle Kommissionsempfehlungen durchgesetzt wer-den dürften. Ob derartige Durchsetzungschancen in den anderen Bereichen auch nur annähernd erreicht werden können, erscheint zweifelhaft.

V. Korrektur statt Reform

Zum Abschluß der Analyse ist zu überlegen, ob die von der Kommission in Aussicht genommenen weiteren Aufgaben den oben genannten Herausforderungen der Staatsomnipotenz und Bürokratiedominanz gerecht werden können. Auch ist zu erörtern, daß die Aufgabenerledigung einer umfassenderen Basis und einer weiter gesteckten Zielsetzung bedarf.

a) Zusammensetzung, Arbeitsweise und Vorschläge der Kommission müssen von der Aufgabenstellung und den selbstgestellten Ansprüchen eher als wenig befriedigend bezeichnet werden. Ihr bisheriges Wirken kann schwerlich als Reformleistung qualifiziert werden. Wie mehrfach kritisch bemerkt, blieb die Kommission zu stark in überkommenen Organisationsstrukturen, legalistischer Enge und vordemokratischem Etatismus verhaftet. Mangelnde Distanzierungsfähigkeit und fehlende Selbstreflektion ließen nicht zu, daß der historisch-politische Kontext, die sozio-ökonomischen Strukturen und die geistigen Strömungen, durch die der neue Leviathan verursacht und wirksam wurde, die Kommissionsarbeit nachhaltig beeinflußten. Diese konzentrierte sich zu stark auf den verwaltungstechnischen Bereich sowie auf die bloße Reduzierung von Rechtsnormen. Es fehlte ihr der Kenntnisstand der seit etwa fünf Jahren geführten internationalen wissenschaftlichen Diskussion und sie hatte keine überzeugende Reformidee.

b) Da die Tätigkeit der Kommission nach deren eigener Aussage weiter geführt werden soll, besteht Anlaß zu der Sorge, daß sie auch ihre weiteren Aufgaben nach dem bisherigen Muster durchführen wird. Bei dem derzeitigen Modus der Zusammensetzung und der Arbeitsweise wird sie sich auch künftig auf Korrekturvorschläge beschränken müssen. Zu befürchten ist ferner, daß sie auch bei ihren weiteren Arbeiten nicht annähernd der Dimension und Dringlichkeit des Problems zunehmender Bürokratisierung entsprechen können wird, daß sie vornehmlich werbewirksam aktuelle Fragen aufgreift, ohne eine Ursachen-forschung betreiben und wirkliche Reform-maßnahmen — die stets mehr oder weniger einschneidend sein werden — einleiten zu wollen.

c) Wenn eine existentielle Bedrohung des demokratischen Staates in der hochindustrialisierten und vielfach interdependenten Gesellschaft evolutionär abgewehrt werden soll — was letztlich die Zielbestimmung der Kommissionstätigkeit sein sollte —, so müssen sich an einem solchen Vorhaben weitaus mehr politische Kräftegruppierungen beteiligen, muß vor allem der betroffene Personenkreis sich das Reformvorhaben zu eigen machen, und ist ein möglichst umfassender Konsens der Bürger erforderlich. Das scheint der Kommission und ihrem Auftraggeber nicht bewußt geworden zu sein. Die Rekrutierungsbasis ist zu schmal, maßgebende Personengruppen und wichtige politische Kräfte bleiben ausgeschlossen. Der Personenkreis, der die durchgesetzten Kommissionsvorschläge zu verwirklichen haben wird, kann nicht per „ordre de mufti" veranlaßt werden, die neuen Regelungen automatenartig zu vollziehen. Die Sozialisationsprozesse, die öffentlich Bedienstete durchlaufen haben, ihre Mentalität und ihr Habitus, ihr Selbstverständnis und ihre Amtsauffassung sind weitaus wichtigere Faktoren für Bürokratiereformen als noch so viele Korrekturvorschläge, über diesen zentralen Problemkomplex ist in den Veröffentlichungen der Kommission jedoch nichts zu finden. Schließlich bedarf ein Vorhaben, das um des Bürgers und seiner Freiheit willen durchgeführt wird, eben dieses Bürgers, wenn es erfolgreich verlaufen soll. Das Projekt der Verwaltungsvereinfachung und Entstaatlichung in Bayern geht weitgehend am Bürger vorbei. Mangelnde Informationstätigkeit und zu geringe öffentliche Diskussion der Kommissionsvorschläge sind ein Indiz für die Vernachlässigung des Bürgers. Das weite Feld der politischen Bildung in den Schulen sowie das der Erwachsenenbildung blieb bisher von dem Kommissionsvorhaben unberührt. So besteht die Gefahr, daß sich die Kommission wohl in eine lange Reihe von Reformbemühungen einreihen wird, die mit großen Versprechungen und Erwartungen gestartet wurden, um dann nach und nach wie eine auslaufende Welle im Sand zu versickern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Erster Bericht der Bayerischen Staatsregierung zum Stand der Verwaltungsvereinfachung und Entstaatlichung zum 31. Dezember 1979 — KAV-X/38-1 (im folgenden zitiert als „Bericht“).

  2. Verwaltungsvereinfachung in Bayern 1. Februar 1980, hrg. von der Bayerischen Staatskanzlei München (im folgenden zitiert als „Dokumentation").

  3. So der Bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß in seinem „Vorwort" zur Dokumentation, S. 11.

  4. So der Bericht S. 10.

  5. Ebd., S. 1.

  6. Institut für Demoskopie (Allensbach) 1978; Sinus-Institut (Heidelberg); Wickert-Institute (Tübingen), 1979.

  7. über Bürokratie, in: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. II/l, Tübingen 1862, S. 103.

  8. Finanzwissenschaft und Staatssozialismus, in: Sozialökonomische Texte, Frankfurt a. M. 1948, S. 56. 10) Wirtschaft und Gesellschaft (hrgs. von Johannes Winckelmann), Tübingen 1972, S. 561 f.

  9. Ebd., S. 567 ff.

  10. So Ulrich Lohmar, Staatsbürokratie — Das hoheitliche Gewerbe, München 1978, S. 15.

  11. Ebd. S. 12, S. 21.

  12. Zahlen zum Personal im öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland und zu den verfügbaren Rechtsnormen, siehe bei Laufer, a. a. O„ S. 225 ff. sowie im Bericht, S. 1 ff.; der Betrag von 54 Mrd. DM, der pro Jahr als öffentliche Subventionen verteilt wird, stellt schon für sich allein ein außergewöhnliches Steuerungsinstrument dar.

  13. Siehe dazu C. Northcote Parkinson, Parkinsons Gesetz und andere Untersuchungen über die Verwaltung, Reinbek 1978.

  14. Siehe dazu Lawrence J. Peter, Das Peter-Programm, Reinbek 1976.

  15. Laufer, ebd.

  16. So Roman Herzog, Gleichheit und Gerechtigkeit. „Normierungswut" als Ursache der Aufblähung der Bürokratie, in: Geißler, a. a. O„ S. 83— 92; in diesem Sinne auch der Bericht, S. 6.

  17. Siehe dazu Laufer, Der sozialisierte Mensch, S. 105 ff.; Peter Graf Kielmansegg, Demokratisierungsprinzip und Regierbarkeit, in: Regierbarkeit Bd. 1, hrg. von Peter Graf Kielmansegg, Ulrich Matz, Wilhelm Hennis, Stuttgart 1977, S. 110 ff.; Karl Ernst Schenk, Demokratie und Bürokratie? Dezentralisierung — Selbstverwaltung — Entbürokratisierung, in: Geißler, a. a. O„ S. 207 ff.

  18. So der Bericht, S. 6 f.

  19. Vgl. dazu Bericht, S. 7.

  20. So Helmut Schelsky, Der selbständige und betreute Mensch, Stuttgart 1976, S. 13 ff.; in diesem Sinne auch Lothar Späth, Auf dem Prüfstand: Der moderne Staat, in: Schlankheitskur für den Staat, hrg. von Hubertus Zuber, Stuttgart 1979, S. 22 f.

  21. Vgl. dazu Niklas Luhmann, Macht und System-ansätze zur Analyse von Macht in der Politikwissenschaft, in: Universitas 5/1977, S. 480 f.; Hubert Treiber/Erhard Blankenburg, Bürokraten als Politiker, Parlamentarier als Bürokraten, in: Die Verwaltung, Bd. 5/1972, S. 273 ff.

  22. Lohmar, a. a. O., S. 41, S. 49, S. 111.

  23. Stoppt den Staat, er wird zu teuer -— die Gefahr des wachsenden Staatsanteils am Sozialprodukt, in: Schlankheitskur für den Staat, a. a. O., S. 284 ff.

  24. Laufer, Der sozialisierte Mensch, a. a. O., S. 124.

  25. Eine gute Übersicht über Maßnahmen des Bundes, einzelner Bundesländer sowie auf Bund-Länder-Ebene und auf Länder-Ebene gibt der Bericht, S. 16 ff.

  26. Bericht (S. 10 ff.) und Dokumentation (S. 13 f.) haben ausführlich die bisherigen Bemühungen in Bayern zu diesem Problemkomplex zusammengestellt. Soweit derartige Vorhaben nicht ohnehin in dem bundesweiten Rahmen der Gebietsreform und der Funktionalreform eingebunden sind, seien im folgenden die wichtigsten genannt:

  27. Dokumentation, S. 14.

  28. Drei Kommunale Wahlbeamte, vier Vertreter von Wirtschaftsverbänden, ein Gewerkschaftsvertreter, zwei hohe Verwaltungsbeamte, darunter der Präsident des Obersten Bayerischen Rechnungshofs.

  29. Dokumentation, S. 14.

  30. Ebd., S. 15.

  31. Ivan Illich, Medical Nemesis: the expropriation of health, New York 1976, dt. Die Nemesis der Medizin, Reinbek bei Hamburg 1979.

  32. Süddeutsche Zeitung vom 26. April 1978, S. 21.

  33. Staatsanzeiger Nr. 30, S. 1.

  34. Dokumentation, S. 15.

  35. Ebd., S. 15 ff.

  36. Ebd., S. 17.

  37. Ebd., S. 20.

  38. Ebd., S. 17 f.

  39. Vgl. statt vieler Handbuch der philosophischen Grundbegriffe (hrsg. von Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner und Christoph Wild), München 1977, Stichwort: Mensch, bearbeitet von Helmut Fahrenbach, S. 888 ff.

  40. Vgl. dazu Heinz Laufer, Der sozialisierte Mensch, a. a. O., S. 29 ff.; ders., homo homini homo, in: Politische Ordnung und menschliche Existenz — Festgabe für Eric Voegelin zum 60. Geburtstag, München 1962, S. 336 ff.

  41. Zum Problem vgl. Jürgen I labermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1973, S. 418 ff.

  42. Bericht, S. 22 f.

  43. Vgl. z. B. Dirk Beckerhoff, Der deutsche Subventionsführer, Frankfurt 1979.

  44. Siehe dazu Wolfram Engels, Reform der Staatswirtschaft — eine Problemübersicht, in: Schlankheitskur für den Staat, a. a. O., S. 35 ff.

  45. Vgl. dazu Elmar Altvater, Zu einigen Problemen des Staatsinterventionismus, in: Probleme des Klassenkampfes Nr. 3/1972, S. 1— 55; Joachim Hirsch, Funktionsveränderungen der Staatsverwaltung in spätkapitalislischen Industriegesellschaften, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 14/1969, S. 150 ff.; Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt 1972.

  46. Zum Streit über die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes siehe statt vieler Theodor Maunz, Deutsches Staatsrecht, München 1977, S. 170 ff.

  47. Vgl. dazu BVerfGE 4, 7; 50, 290.

  48. Vgl. dazu Erklärung der Deutschen Bischöfe zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 224 vom 26. September 1980.

  49. Laufer, Demokratie und Bürokratie, a. a. O., S. 238.

  50. Dokumentation, S. 27 f.

  51. Zu diesem Problemkomplex siehe Hans Peter Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, Frankfurt 1973, bes. S. 3 ff., S. 90 ff., S. 369 ff.

  52. Vgl. dazu Heinz Laufer, Die Widersprüche im freiheitlichen demokratischen System, in: Freiheit und Gleichheit, hrg. von Leonhard Reinisch, München 1974, S. 15 ff.

  53. Dokumentation, S. 19.

  54. Ebd.

  55. Ebd., S. 42- 77, S. 94- 97.

  56. Ebd., S. 29, S. 82, S. 85 ff., S. 98 ff., S. 114 ff.

  57. Ebd., S. 22fL S. 81, S. 85, S. 90 ff., S. 100 ff., S. 110 ff., S. 120.

  58. Ebd., S. 122 f.; auch die Hundesteuer wurde als Landessteuer aufgehoben. Es wurde vorgesehen, daß künftig die Hundesteuer mittels gemeindlicher Satzung erhoben werden kann — was auch allenthalben bereits geschieht.

  59. Ebd., S. 124 ff.

  60. Ebd., S. 20. S. 89 f„ S. 93, S. 126.

  61. Ebd., S. 22, S. 98 ff., S. 115, S. 117.

  62. Senatsdrucksache 180/80.

  63. Aa. O„ S. 128.

Weitere Inhalte

Heinz Laufer, Dr. jur. utr., geb. 1933; seit 1969 Professor für Politische Wissenschaft an der Universität München; Vorstand des Geschwister-Scholl-Institutes für Politische Wissenschaft. Neuere Veröffentlichungen u. a.: Der Bundesrat, Bonn 1972; Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, München 1973, 19814; Föderalismus (Edition), München 1974; Die Landesvertretungen der Bundesrepublik Deutschland, München 1974; Der Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1974; Freizeitpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden, Göttingen 1976; Der sozialisierte Mensch, Stuttgart 1977, 1 9782; Verfassungsreform in der Bundesrepublik Deutschland?, München 1979.