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Das Hambacher Fest von 1832 als liberaler Protest | APuZ 20/1982 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 20/1982 Das Hambacher Fest von 1832 als liberaler Protest Liberalismus und Tradition. Grundrechte und Liberalismus in Deutschland bis zur Revolution von 1848/49 Europäische Liberale in den Revolutionen von 1848. Gesellschafts-und verfassungspolitische Zielvorstellungen

Das Hambacher Fest von 1832 als liberaler Protest

Wolfgang Schieder

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der 150. Jahrestag des Hambacher Festes vom 27. Mai 1832 wirft Fragen zur historischen Identität der Deutschen auf. Antworten darauf lassen sich nur finden, wenn die Hambacher Ereignisse in den historischen Zusammenhang des deutschen Frühliberalismus eingeordnet werden. Als politische Verfassungsbewegung und als gesellschaftliche Emanzipationsbewegung war der deutsche Liberalismus nicht revolutionär. Die Hambacher Bewegung ist deshalb als politischer Höhepunkt einer Volksbewegung anzusehen, die man am besten als politische Protestbewegung bezeichnen kann. Ihre Entstehung ist nur aus den besonderen politischen Voraussetzungen der bayerischen Pfalz um 1830 zu verstehen; ihre Stärke erreichte sie auf Grund einer gleichzeitig bestehenden sozialen Unruhe. Der liberale Protest bediente sich öffentlicher Resolutionen und politischer Feste. Organisatorisch sammelte er sich im Preß-und Vaterlandsverein. Ihrer sozialen Qualität nach war die Hambacher Bewegung eine Volksbewegung mit einem breiten bürgerlichen Spektrum.

I. Hambach und die nationale Identität der Deutschen

Die Deutschen tun sich schwer mit ihrer nationalen Identität. Wo andere europäische Völker schon immer wußten, welche Erinnerungswerte aus ihrer nationalen Vergangenheit sie vorbehaltlos übernehmen konnten, blieb dies in Deutschland umstritten. Ursache fees Mangels ist nicht die deutsche Teilung und die Entstehung zweier selbständiger deutscher Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Das vorläufige Ende der insgesamt nur kurzen Geschichte des deutschen Nationalstaats von 1871 ließ nach der nationalen Verwüstung, welche das „Dritte Reich"

angerichtet hatte, den Mangel an geschichtlieher Gemeinsamkeit der Deutschen nur deutlicher hervortreten als zuvor. In beiden deutschen Staaten ist man seitdem auf der Suche nach Erinnerungswerten, wobei man sich in der DDR bisher leichter tat als in der Bundesrepublik Deutschland. Man hatte dort z. B. kei'ne großen Schwierigkeiten, den Bauernkrieg von 1525, den Befreiungskampf gegen Napoleon oder die Revolution von 1848 in die histo! rische Sondertradition des eigenen Staates einzufügen. Der Ansatz des historischen Materialismus erwies sich als flexibel genug, I selbst autoritäre oder militaristische Traditionen der deutschen Nationalgeschichte zu edaptieren, sofern sie für das Selbstverständnis des östlichen deutschen Staates als nützlich angesehen wurden.

Wie schwer man dagegen im westlichen deutschen Staat mit solchen Traditionen zurechtkommt, zeigte erst kürzlich die große Preu-Die in diesem Heft veröffentlichten drei Aufsätze " ^den für des internationale wissenschaftliche v'^posion „Liberalismus und Gesellschaft in der idt des Hambacher Festes“ erarbeitet, das vom 20. ^ 22. Mai 1982 in Trier stattfand. Wir danken den ^nstaltern für die Überlassung der Manuskripte.

Ie Studien von Günter Birtsch und Dieter Lange^sche werden in veränderterFassungin dem 1983 (rs^hemenden Sonderheft 9 der Zeitschrift „Ge^chte und Gesellschaft“ publiziert. ßenausstellung in Berlin. Vor klaren Aussagen zurückschreckend, führte sie eher unentschieden durch die Jahrhunderte preußischer Geschichte — Ratlosigkeit sowohl bei den Scharen der Besucher wie bei der kommentierenden Publizistik hinterlassend. Dabei war der mutige Versuch, mit dieser Ausstellung eine breitere Öffentlichkeit auf die Probleme der deutschen Identität aufmerksam zu machen, aller Unterstützung wert. Die Frage, wie es mit Preußen historisch gewesen ist, zielte ins Zentrum der nationalen Geschichte. Gerade weil es den preußischen Staat seit 1945 nicht mehr gibt, stand mit der Berliner Ausstellung die neuete deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit zur Diskussion.

Die Ausstellung unterschied sich damit grundsätzlich von der Flut regionaler historischer Ausstellungen, die in der Bundesrepublik in den letzten Jahren veranstaltet wurden. Die Präsentation z. B.der Wittelsbacher, der Parier, ja sogar der Staufer zielte mehr oder weniger bewußt jeweils auf deutsche Teiltraditionen, ohne diese immer in die Gesamttradition der deutschen Geschichte einzubinden. Die Preußenausstellung war hingegen nicht bloß ein regionales, sondern ein nationales Ereignis. Zumindest hätte sie das sein können, wenn sie in ihren historischen Aussagen eindeutiger gewesen wäre und über den Tag des Ausstellungsendes hinausgewiesen hätte.

Hieran zu erinnern, dürfte gerade im Hinblick auf das öffentliche Interesse angebracht sein, das der 150. Jahrestag des Hambacher Festes vom 27. Mai 1832 in diesem Jahre findet. Für eine Woche ist in diesem Mai dank der Mithilfe der Medien „Hambach" vielleicht in aller Munde. Der Gedenkeifer, den - das Erinne rungsdatum bewirkt, ist jedoch schnell wieder verschwunden, wenn sich post festum sonst weiter nichts ereignet. Historische Identität läßt sich nicht durch einmalige Jubiläumsfeiern herstellen.

II. Historische Zusammenhänge des frühen deutschen Liberalismus

Erste Voraussetzung für ein über den Tag hinausreichendes Verständnis der Hambacher Ereignisse von 1832 muß deren Einordnung in einen weiteren historischen Zusammenhang sein. Das Hambacher Fest steht zunächst im Zusammenhang der Geschichte des vormärzlichen Deutschland. Sowohl der Zahl seiner Teilnehmer wie der unmittelbaren öffentlichen Aufmerksamkeit nach, die es weit über seinen Anlaß hinaus erfuhr, hatte es als politisehe Massenveranstaltung vor 1848 in Deutschland nicht seinesgleichen. Allenfalls könnte man es mit dem Wartburgfest von 1817 vergleichen, das freilich in viel bescheidenerem Rahmen stattfand. Es waren besondere historische Umstände, welche dem Hambacher Fest seinen unvergleichlichen historischen Charakter gaben. Nur weil das polizei-staatliche System, das der österreichische Staatskanzler Metternich seit 1819 im Deutschen Bund durchgesetzt hatte, infolge der Ausstrahlungen der französischen Julirevolution von 1830 auf Deutschland vorübergehend gelockert war, konnte es zu einer solchen Demonstration politischen Oppositionsgeistes kommen. Wenig später herrschte schon wieder Ruhe im Lande, und die Obrigkeit hatte die Lage im Griff. Erst 1848 brachen in Deutschland die Dämme, die gegen die freie Volksbewegung nach den Ereignissen von 1832 errichtet worden waren.

Auch wenn dem Hambacher Fest keine vergleichbaren Veranstaltungen gefolgt sind, handelte es sich doch nicht bloß um ein einmal aufflackerndes Strohfeuer. Die Mai-Ereignisse von 1832 müssen vielmehr im Zusammenhang mit einer sehr viel umfassenderen und langfristigeren politischen Emanzipationsbewegung gesehen werden: mit der des Liberalismus. Mit dieser historischen Einordnung wird ein Rahmen gesetzt, der das Hambacher Fest in den europäischen Zusammenhang der neuzeitlichen Verfassungsbewegung seit dem 18. Jahrhundert stellt Sieht man es aus einem etwas engeren Blickwinkel, gehört es in die deutsche Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, die aus guten Gründen als „deut-sehe Sonderform" des Liberalismus bezeich net worden ist

Im Unterschied zu seinen westeuropäische: Vorbildern war nämlich der deutsche Libera lismus seinem politischen Ursprung und sei nen Intentionen nach nicht revolutionär. Da wird ihm oft als Schwäche oder gar als Vem angerechnet. In Wahrheit freilich kann vo einem solchen Versagen nicht die Rede seit da die liberale Bewegung in Deutschland ga nicht die Absicht hatte, durch revolutionär Veränderungen etwas zu bewirken. Ihre Be Sonderheit bestand in historischer Sicht gera de darin, daß sie politische Mitwirkung un Mitverantwortung aller Bürger am staatliche Leben durch Vereinbarungen mit dem büro kratischen Fürstenstaat durchsetzen wollte gegen den sie angetreten war. Nicht der Kon flikt, sondern der Kompromiß war die zentral politische Leitvorstellung des frühen deut sehen Liberalismus.

Nur wenn man dies in Rechnung stellt, wir verständlich, weshalb sich die deutschen Li beralen in ihrer ganz großen Mehrheit in de Revolution von 1848-49 so eigentümlich pas siv verhalten haben. Sie haben diese Revolu tion nicht gewollt. Als sie nun einmal nich mehr aufzuhalten war, haben sie sich wide Willen daran beteiligt. Unerschütterlich hiel ten sie aber auch unter den Ausnahmebedin gungen der Revolution an ihrer Vereinba rungsstrategie fest, so widersprüchlich die von Anfang an sein mochte. So blieb es den preußischen König Friedrich Wilhelm IV überlassen, durch seine harsche Zurückwei sung der deutschen Kaiserkrone das Janusge sicht des Paulskirchen-Liberalismus zu ent hüllen

Die Revolution von 1848/49 bildet denn aud nach übereinstimmender Forschungsansich die Wasserscheide der liberalen Bewegung in Deutschland. Während die Liberalen bis 1848 selbstgewiß daran glauben konnten, daß ihnen trotz aller Widerstände des Alten Staates die politische Zukunft gehöre, wurde ihre Selbstsicherheit durch die Niederlage in der Revolution gebrochen. In der Zeit des preußischen Verfassungskonfliktes stellten sie sich zwar noch einmal dem Kampf gegen den Obrigkeitsstaat, jedoch nur um neuerdings zu erfahren, dieses Mal von Otto von Bismarck, daß sich mit diesem kein politischer Kompromiß nach liberalem Muster schließen ließ.

Ordnet man die Hambacher Ereignisse in die Geschichte des deutschen Liberalismus ein, so können diese nicht nur als politische Verfassungsbewegung, sondern auch als gesellschaftliche Emanzipationsbewegung verstandenwerden. Es stellt sich allerdings die Frage, inwelchem Umfang der Liberalismus emanzipatorisch wirken wollte. Nach verbreiteter marxistischer Ansicht war der „Liberalismus als Theorie und politische Bewegung der Bourgeoisie" eng mit deren „ Formierung und Konsolidierung als Klasse" verbunden Als politische Theorie diente der Liberalismus nach dieser Auffassung somit ausschließlich der gesellschaftlichen Emanzipationsbewejung einer Klasse: der des Wirtschaftsbürgertans, der Bourgeoisie. Man zieht dabei eine Parallele zum Sozialismus: so wie dieser die Klassenideologie des Proletariats geworden sei, sei der Liberalismus im 19. Jahrhundert die Klassenideologie der Bourgeoisie gewesen. Die Suggestivkraft dieser historischen Analogie ist so groß, daß sie bis zum heutigen Tage auch außerhalb der marxistisch geprägten Geschichtsschreibung unverdiente Verbreitung gefunden hat. Auf der Suche nach den sozialen Wurzeln des deutschen Liberalis-

mus ist man immer wieder auf das industrielle Unternehmertum gekommen, weil dieses, und nur dieses die von der klassischen liberalen Theorie geforderte freie Entwicklung der öko-

nomischen Kräfte rückhaltlos bejahte

Auf der anderen Seite steht die vor allem von amerikanischen Forschern immer wieder verbetene Auffassung, daß der Liberalismus ge-" ade nicht einer einzigen sozialen Gruppe zu-geschrieben werden könne, sondern als eine klassenüberwindende Kraft angesehen werden müsse. Er gilt gewissermaßen als die Grundnorm, durch welche die auseinander-strebenden pluralistischen Gruppeninteressen der modernen Gesellschaft zusammengehalten werden Für die angelsächsische Welt mag diese Interpretation bis zu einem gewissen Grade aufschlußreich sein, für das historische Verständnis des deutschen Liberalismus ist sie jedoch wenig fruchtbar. Das ihr zugrunde hegende globale Deutungsmuster kann die historischen Besonderheiten des Liberalismus in Deutschland nicht erklären. In der deutschen Liberalismusforschung mußte man daher nach differenzierteren Interpretationsansätzen suchen.

Am einleuchtendsten ist unter diesen bisher der Vorschlag, in der Entwicklungsgeschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert zwei Phasen zu unterscheiden’). Auch in dieser Hinsicht wäre die Revolution von 1848— 49 als Wendepunkt anzusehen. Der ältere deutsche Liberalismus lebte danach von der Zukunftsvorstellung einer „bürgerlichen Gesellschaft", durch welche die alte Ständegesellschaft vereinheitlicht und auf einen „allgemeinen Stand" reduziert werden sollte. Dieses Gesellschaftsprogramm war eindeutig noch an der vorindustiellen, agrarisch-kleingewerblich strukturierten Welt des vormärzlichen Deutschland orientiert, nicht an der industriellen Gesellschaft Englands. Es lebte von der Vorstellung, daß es nach der Beseitigung privilegierter Stände auf die Dauer keine soziale Ungleichheit mehr geben werde, weil jeder im Rahmen der bestehenden Sozialordnung die gleiche Chance zur individuellen Selbstverwirklichung haben könnte.

Der Durchbruch der industriellen Revolution zerstörte die frühliberale Gesellschaftsutopie. An die Stelle des Ideals einer „klassenlosen Bürgergesellschaft" trat mehr und mehr die Realität einer „bürgerlichen Klassengesell-schäft" Der Liberalismus gab sein ursprünglich klassenübergreifendes Gesellschaftsmodell auf und paßte seine Vorstellungen den Interessen der neuen industriellen Bürger-klasse an.

Es wäre aber falsch, diesen Befund ohne weiteres auf den frühen deutschen Liberalismus vor der Revolution von 1848 zurückzuprojizieren. Der deutsche Frühliberalismus konnte schon deshalb nicht die Klassenideologie der Bourgeoisie sein, weil es diese so gut wie überhaupt noch nicht gab.

Auch im engeren Rahmen der pfälzisch-bayerischen Geschichte war das Hambacher Fest keine isolierte Demonstration. Es war vielmehr der politische Höhepunkt einer liberalen Volksbewegung, die man am besten als politische Protestbewegung bezeichnen kann Anders als der parlamentarische Liberalismus in den süddeutschen Kammern (vor allem Badens, Württembergs und Bayerns), anders auch als der bürokratische Liberalismus den höheren Beamtenschaft des preußischen Staates konnte die von der Pfalz ausgehende liberale Bewegung nämlich nicht an vorgegebene Institutionen anknüpfen, sie mußte sich diese erst schaffen. Ihre historische Leistung bestand gerade darin, daß es ihr gelang, einen ungeregelten und bisher unartikulierten poli tischen Protest zu kanalisieren und kollektiv zu vertreten. Die Hambacher Liberalen machten aus dem politischen Protest eine politische Protestbewegung auf breiter sozialer Grundlage. Dazu sollen hier drei Fragen gestellt werden. Zu fragen ist erstens, welches die Ursachen dieses politischen Protestes waren; zweitens soll untersucht werden, welche organisatorischen Strukturen er sich geschaffer hat; drittens ist die soziale Dimension dei Protestbewegung zu überprüfen.

III. Soziale und politische Voraussetzungen der Hambacher Bewegung

Eine Antwort auf die erste dieser Fragen läßt sich nur finden, wenn man unterschiedliche Ursachenkomplexe miteinander in Verbindung bringt. Zunächst einmal besteht kein Zweifel, daß die allgemeine Unruhe in der rheinbayerischen Pfalz schon ab 1830 einsetzte. 1829 wurde der Handelsvertrag zwischen Preußen und dem Großherzogtum Hessen einerseits sowie Bayern und Württemberg andererseits abgeschlossen, der die bayerische Pfalz vom 20. Dezember dieses Jahres an mit einem Schlage wirtschaftlich völlig isolierte. Zollschranken schlossen die neubayerische Provinz von Baden und Hessen sowie der angrenzenden preußischen Rheinprovinz ab, so daß sie, wie es ein Zeitgenosse anschaulich ausdrückte, „das Bild einer verödeten, abgeschnittenen Insel" bot Die widersinnige wirtschaftliche Isolierung der Pfalz dauerte zwar nur bis zur Gründung des Deutschen Zollvereins im Jahre 1834; 1832 war dies aber noch nicht unbedingt absehbar. Es kommt hinzu, daß s 1831 in der Pfalz, wie schon einmal 1816 — dem ersten Jahre der bayerischen Besitzergreifung —, zu einer schweren Mißernte kam, die im darauffolgenden Wintet vor allem bei den Grundnahrungsmitteln zu einem erheblichen Preisanstieg und, zumindest in der Westpfalz, zu regelrechter Hungersnot führte. Bettelzüge der verarmten Landbevölkerung, eine sprunghafte Zunahme der Holzdiebstähle und verstärkter Schmuggel waren die unmittelbaren Folgen diesei Krisensituation.

Daß die wirtschaftlich bedingte soziale Unruhe in der Pfalz in organisierten politischen Protest umschlug, war jedoch durch besondere, nicht unmittelbar damit verknüpfte politische Konstellationen bedingt. Die liberale Volksbewegung in der Pfalz muß im Zusammenhang mit der liberalen Oppositionspolitik während des Bayerischen Landtags von 1831 gesehen werden. Wie in den anderen süddeutschen Verfassungsstaaten hatte die französische Juli-Revolution von 1830 auch in Bayern zu einer Mobilisierung der liberalen Kräfte im Parlament geführt. Die Neuwahlen vom Dezember 1830 brachten die Liberalen in der Zweiten Kammer des Landtags in die Mehrheit. Diese wurde 1831 das Gravitationszentrum aller liberalen Hoffnungen. Eine Welle von Petitionen und Forderungen aus dem ganzen Land erreichte das oppositionelle Parlament in München. Die Erfolge der parlamentarischen Opposition gegenüber der Re gierung sorgten dafür, daß sich die außerparlamentarische Opposition zunächst ganz auf dieZweite Kammer hin orientierte. Als jedoch König Ludwig I. im Dezember 1831 den Landtag aufhob und wenig später eine Regierung unter dem erzkonservativen Fürst von Wrede berief, änderte sich diese Situation schlagartig. Die liberale Bewegung verlor in Bayern ihr parlamentarisches Handlungszentrum. An die Stelle der parlamentarischen Opposition trat sät Jahresbeginn 1832 die außerparlamenta-rische Bewegung, an die Stelle der Petitionen traten die Proteste.

Das Zentrum der politischen Protestbewegung in Bayern war von Anfang an die Rheinpfalz. Das lag zunächst daran, daß die pfälzischen Abgeordneten, allen voran der Zweibrücker Rechtsanwalt Friedrich Schüler, schon in der Münchener Kammer zu den Wortführern der . unbedingten Opposition" gehört hatten

Sie waren daher auch eher als andere Liberale zu außerparlamentarischer Oppositionsarbeit bereit. Zum anderen war der rechtliche Sonderstatus, den die Rheinpfalz nach der bayerischen Inbesitznahme behalten hatte, von Bedeutung. In der Pfalz bestanden die aus französischer Zeit stammenden Geschworenengerichte weiter, in denen öffentliche und mündUche Verhandlungsführung vorgeschrieben war. Nicht zu Unrecht konnte die zu weiterem Handeln entschlossene liberale Opposition darauf hoffen, durch diese Gerichte einen besseren Rechtsschutz zu haben als überall sonst in Bayern. Insbesondere glaubte man, bessere „Garantien" für eine „freie Presse" zu haben als rechts des Rheins Die Pfalz wurde deshalb Ende 1831 zu einem Zufluchtsort radikaler, auch von außerhalb Bayerns kommender Publizisten. Neben Johann Georg August Wirth und Philipp Jakob Siebenpfeiffer waren dies vor allem Emst Grosse, Georg Fein und Jakob Venedey Diese wort-und schreibgewandten Publizisten fanden sich Anfang 1832 mit einem Teü der pfälzischen Abgeordneten zu gemeinsamer politischer Aktion zusammen. In kürzester Zeit entwickelte sich daraus eine breite politische Protestbewegung, von der aufgrund der in der Pfalz bestehenden sozialen Unruhen bald breitere Bevölkerungsschichten erfaßt wurden.

IV. Politische Resolutionen als Mittel öffentlichen Protests

Die rheinpfälzische Protestbewegung dauerte insgesamt etwa acht Monate. Sie setzte im Januar 1832 ein und steigerte sich im Laufe des Frühjahrs bis zu der Massenkundgebung auf dem Hambacher Schloß am 27. Mai. Die reaktionären Unterdrückungsbeschlüsse des Deutschen Bundestages vom 28. Juni und 5. Juli bereiteten ihr zunächst ein Ende. In der Auflehnung gegen diese Beschlüsse erreichte de jedoch im Augsut 1832 nochmals einen Höhepunkt, ehe sie unter einer Lawine repressiver polizeilicher und gerichtlicher Maßnahmen endgültig verschüttet winde. Die Be-wegung begann mit Aktionen spontanen, insttutionell

nicht vorgegebenen Protests, ihr Ablauf war jedoch wesentlich dadurch ge-

daß sie bestimmte Organisa-kennzeichnet, honsformen entwickelte, in denen sich die po-itische Opposition in geregelter Form artiku-ieren konnte. Im wesentlichen waren es drei nrganisatorische Instrumente, deren sich die oerale Volksbewegung in der Pfalz bediente: erstens Protestresolutionen, zum zweiten poli-tische Feste und schließlich eine politische Vereinigung.

Innerhalb des politischen Mobilisierungsprozesses in der Rheinpfalz spielten Protestresolutionen eine besondere Rolle. Von den Zeitgenossen meist als „Adressen" oder „Protestationen" bezeichnet, richteten sie sich gegen Regierungsmaßnahmen oder Hoheitsakte der Behörden. Der Zweck dieser Protestresolutionen war ein doppelter: Einmal sollte damit die Regierung unter politischen Druck gesetzt werden; diese Absicht brachte Wirth zum Ausdruck, als er dazu aufrief, „Adressen an die Regierung, und wieder Adressen, und noch mehr Adressen, Adressen mit den Klagen, den Wünschen und Forderungen des Volkes" zu schicken

Zum andern aber sollte durch das öffentliche Bekenntnis die Verbindlichkeit der liberalen Parteinahme sichergestellt werden. Wirth sprach davon, daß man den „liberalen Schwätzern" auf die Schliche käme, wenn diese ihre Namensunterschrift verweigerten Die öffentliche Nennung des Namens sollte also eine demonstrative Form des politisehen Bekenntnisses sein. Dabei ist zu bedenken, daß das Prinzip der „Öffentlichkeit" im Wertekatalog der frühliberalen Bewegung einen besonders hohen Rang hatte. Durch öffentliche Meinungsäußerung sollte öffentliche Meinung hergestellt werden.

Erstmals wurden im April 1832 für eine „Protestaktion der Bewohner des Rheinkreises“ Unterschriften gesammelt. Diese wurden zwar nicht veröffentlicht, vermutlich weil der Anlaß entfiel, jedoch wurde mit dieser Aktion der Weg gewiesen für künftige Proteste Ein neuer Anlaß zum Protest ergab sich, als die Regierung des Rheinkreises am 8. Mai voreilig das Hambacher Fest durch ein Versammlungsverbot zu verhindern suchte. Jetzt wurden binnen weniger Tage mehrere Protestresolutionen veröffentlicht, in denen die Unterzeichner durch ihre volle Namensnennung ihren offenen Dissens mit der Regierung markierten. Als erster protestierte am 11. Mai der Stadtrat von Neustadt „feierlichst" gegen das Festverbot Zwei Tage später traten die Neustädter Organisatoren des Festes mit einer „Erklärung" an die Öffentlichkeit. Sie eröffneten darin der Regierung, trotz des Festverbots „unerschüttert" darin fortzufahren, „alle Zu-bereitungen zu dem angekündigten großen Feste zu treffen“ Am gleichen Tage teilten dreizehn, ebenfalls namentlich zeichnende „gehorsamste Bürger der Stadt Kaiserslautern" der Regierung mit, dem gedachten Feste beizuwohnen, selbst im Falle des fortbestehenden Verbotes Aus Frankenthal, Speyer, Landau und Zweibrücken scheint die Regierung ähnliche Protestresolutionen erhalten zu haben. Der Bürgerprotest überschritt damit noch nicht die Grenze der verfassungsmäßigen Loyalität, er tendierte aber deutlich zum zivilen Ungehorsam.

Neue Proteste rief der bayerische Ministerialbeschluß vom 2. Juni hervor, in dem das Hambacher Fest als Akt revolutionärer Auflehnung interpretiert und den Initiatoren gerichtliche Verfolgung angekündigt wurde. Der erste Widerspruch kam wiederum aus Neustadt. Die „Neue Speyerer Zeitung" veröffentlichte am 17. Juni eine vom 10. Juni datierende „Protestaktion der Einwohner von Neustadt a. /H. gegen den Ministerialbeschluß vom 2. Juni 1832“, die mit „einigen Hundert Unterschriften“ versehen gewesen sein soll Am 15. Juni wurde in Bergzabern von 19 Bürgern eine „Protestaktion" namentlich gezeichnet. Am schärfsten fiel schließlich ein Protest aus Dürkheim aus, der von dem Lehrer Friedrich Wilhelm Knöbel verfaßt worden ist. Er wurde Anfang Juli mit 236 Unterschriften im Original nach München geschickt

Ihren letzten Höhepunkt erreichte die rhein-pfälzische Oppositionsbewegung schließlich mit einer Reihe von Protestresolutionen gegen die Unterdrückungsbeschlüsse des Deutschen Bundestages vom 28. Juni 1832. In Kaiserslautern wurde auf Betreiben des Landtagsabgeordneten Cullmann am 9. August von 66 dem bayerischen König „treu ergebendsten Staatsbürgern" eine Protestresolution unterschrieben, in der der Monarch zu einer „feierlichen Rechtsverwahrung" gegenüber den Bundes-beschlüssen aufgefordert wurde. Eine im Ton schärfere „Erklärung und Verwahrung" verlangte darüber hinaus, den bayerischen Gesandten beim Bundestag, der den Beschlüssen vom 28. Juni zugestimmt hatte, wegen Hoch-verrats vor Gericht zu stellen Auch diese Forderung wurde dem äußeren Anschein nach noch im Vertrauen auf die Einsicht des Königs erhoben. Die Unterzeichner der „Adresse" verstanden sich als „Constitutionell getreue Staatsbürger". Jedoch legitimierte sich der liberale Protest jetzt ganz offensichtlich durch ein Widerstandsrecht, das das herT-sehende monarchische Prinzip in Frage stellte. Besonders bemerkenswert ist, daß diese letzte Protestresolution der pfälzischen Oppositionsbewegung in zwei Fassungen vorhegt Der erste Entwurf dazu stammte wiederum von dem Dürkheimer Lehrer Knöbel. Er wurde am 1. August in Kaiserslautern von 38 liberalen Wortführern unterschrieben. Der mit diesen Unterschriften versehene Text wurde in 3 000 Exemplaren von dem Kaiserslauterner Druk ker Kohlhepp gedruckt und mit dem Ziel verbreitet, weitere'Unterschriften zu erhalten Diese Aktion hatte ungewöhnlich großen Er-folg, so daß die Resolution schließlich mit 1347 Unterschriften an den bayerischen König weitergeleitet werden konnte. Zugleich wurde ein neues Flugblatt verbreitet, das neben dem Text auf fünfeinhalb Seiten nur die lange Reihe der Namen enthielt. Auch in diesem Falle war somit alles auf die öffentliche Namensnennung abgestellt. Als Mittel kollektiven Protests war diese den Initiatoren fast wichtiger als der Inhalt der Resolution.

V. Politische Feste der Hambacher Bewegung

Neben die Protestresolution trat in der liberalen Bewegung der Pfalz das politische Fest. Hierbei kamen zwei politische Traditionen zusammen: die Symboltradition der französischen Revolutionszeit und die monarchische Festtradition des restaurativen Staates. Demonstrative Präsenz des Monarchen gehörte zu den Herrschaftsmitteln, mit denen der bayerische Staat nach 1815 gerade in seinen neu erworbenen Gebieten integrierend zu wirken versucht hatte Auch der Tag, an dem 1818 die neue bayerische Verfassung in Kraft getreten war, wurde am 26. Mai regelmäßig begangen. Das Hambacher Fest wurde ursprünglich auch als Verfassungsfeier angesagt. Durch die Verschiebung um einen Tag auf den 27. Mai deuteten die Initiatoren jedoch ihre Distanz zu der monarchischen Verfassungsfesttradition an. Sie machten damit deutlich, daß ihr Fest als bürgerliches Fest in einer anderen Tradition stehen sollte: der der republikanischen Feste. Auch diese hatten in der Pfalz in französischer Zeit schon ihre Tradition gehabt, und manch einer mochte sich 1832 noch an die Jakobinischen Freiheitsbäume erinnern.

Die Serie der politischen Feste begann in der Pfalz mit der Rückkehr der pfälzischen Abgeordneten nach der Schließung des Landtags Ende 1838. Besonders den radikaleren Abgeordneten wurde in ihren Heimatorten ein zunächst improvisierter, dann mehr und mehr organisierter Empfang bereitet. Diese öffentlichen Begrüßungsfeiern zogen sich über einen ganzen Monat hin: Sie begannen mit dem Empfang für Jakob Schoppmann in Neustadt am 29. Dezember 1831, setzten sich über die Feste für Christian Cullmann (8. Januar in Zweibrücken), Daniel Ritter (15. Januar in Kaiserslautern), Jordan (15. Januar in Deidesheim) fort, um dann mit den großen Veranstal-tungen zu Ehren von Friedrich Schüler am 29. Januar in Bubenhausen und am 6. Mai auf dem „Tivoli" in Zweibrücken ihren Höhepunkt zu erreichen

Der Ablauf dieser Feste war stets ziemlich der gleiche: man saß um gedeckte Tische für meist mehrere hundert Personen. Damit wurde unter dem Deckmantel der — freilich in der Pfalz sehr geschätzten — Geselligkeit das Verbot für Versammlungen von mehr als 20 Personen umgangen. Zu Ehren des jeweiligen Abgeordneten wurden Festreden gehalten; dann folgten Trinksprüche auf andere, auch außerbayrische liberale Führer. Schließlich gehörte das Verlesen von „Adressen" zum Ritual dieser Feste. Trinksprüche und Adressen ergänzten einander: die Trinksprüche stellten die Verbindung mit auswärtigen Oppositionsführern her, durch die Adressen wurde den Teilnehmern der Feste die politische Solidarität nicht anwesender Gesinnungsgenossen vermittelt. Der politische Aktionsradius der lokalen Veranstaltungen wurde auf diese doppelte Weise symbolisch erweitert.

Das Hambacher Fest stand in der Tradition der vorausgehenden Feste, sprengte jedoch in jeder Hinsicht den bisherigen Rahmen. Wie die öffentliche Einladung zeigte, wollte man die mehr oder weniger geschlossene Gesellschaft der bisherigen Feste bewußt aufgeben. Der gesellige Rahmen winde zwar beibehalten, an die Stelle des exklusiven Banketts trat jedoch ein Volksfest mit allen Attributen volkstümlicher Feierlichkeit. Zu diesem Zweck verlegte man die Veranstaltung von vornherein aus dem Saale heraus unter freien Himmel. In Flugblättern und Zeitungen betrieb man in und außerhalb der Rheinpfalz einen Monat lang Propaganda für den großen Tag, wobei der vergebliche Versuch der bayerischen Regierung, das Fest zu verbieten, eine zusätzlich mobilisierende Wirkung hatte. Entscheidend aber war schließlich, daß man den pfälzisch-bayerischen Schauplatz verließ und ein „Nationalfest der Deutschen" plante

Zu dem Fest wurden „Volksvertreter aus den verschiedenen Ländern" eingeladen, nicht nur solche aus Bayern. Das Fest sollte keine innerbayerische Erinnerungsfeier sein, sondern ein „Fest der Hoffnung", das „nicht dem Errungenen, sondern dem zu Erringenden" gelten sollte Der pfälzische Liberalismus machte das politische Fest damit zu einem Mittel nationaler Politik; die liberale Bewegung wurde zur nationalen Bewegung. Die politischen Umstände ließen es nicht zu, daß vor 1848 in Deutschland ähnliches wiederholt werden konnte, wenn man vielleicht von dem — freilich von konservativem Geist geprägten — Kölner Dombaufest von 1842 einmal absieht. Spätestens mit den Schiller-Feiern von 1859 wurde diese Tradition in Deutschland jedoch wiederaufgenommen.

VI. Der Preß-und Vaterlandsverein als frühliberale Parteiorganisation

Mit Protestresolutionen und politischen Festen trat die Hambacher Bewegung nach außen hin in Erscheinung. Wir wissen aber heute, daß hinter diesen Unternehmungen eine politische Vereinigung von beträchtlichem organisatorischem Zusammenhalt stand: der „Preß-und Vaterlandsverein", von den Zeitgenossen meist kurz als „Preßverein" bezeichnet Der liberale Protest fand in dieser überregionalen politischen Vereinigung einen institutionellen Rahmen, der in vieler Hinsicht schon den Charakter einer modernen bürgerlichen Partei hatte.

Der Preßverein wurde am Januar 1832 zunächst unter Ausschluß der Öffentlichkeit von einigen pfälzischen Landtagsabgeordneten, Journalisten und städtischen Honoratioren in Zweibrücken gegründet. Der politische Hauptzweck des Preßvereins war von vornherein die Unterstützung der oppositionellen Presse, der er den entscheidenden organisatorischen und vor allem finanziellen Rückhalt gab. Die Öffentlichkeit erfuhr von der Vereinsgründung durch die Veröffentlichung des Aufrufs „Deutschlands Pflichten" in der Zeitung „Deutsche Tribüne" von Wirth 29). Durch intensive Mitgliederwerbung überschritt der Verein in relativ kurzer Zeit die Zahl von 5 000 Mitgliedern — eine für das vormärzliche Deutschland einmalige Entwicklung. Die Or-ganisationsform war locker, um Raum für ein möglichst großes Meinungsspektrum zu lassen. An der Spitze des Vereins stand ein „Zentralkomitee“, die Basis des Vereins war in den einzelnen Orten in „Filialkomitees" organisiert. Das Zentralkomitee bestimmte den politischen Kurs des PreßVereins. Die Ortsvereine konnten jedoch weitgehend selbständig handeln, was ein erstaunlich lebhaftes politisches Vereinsleben zur Folge hatte.

Seinen Schwerpunkt hatte der Preßverein in der Rheinpfalz; er blieb aber von Anfang an nicht auf diese beschränkt. Starke Verbreitung fand er in den angrenzenden deutschen Bundesstaaten, vor allem in Baden, den beiden hessischen Staaten und dem Fürstentum Lichtenberg. Insgesamt hatte der Preßverein nachweisbar in 116 Orten des Deutschen Bundes Filialen Besonders groß waren außerhalb der Rheinpfalz die Ortsvereine in Frankfurt (410 Mitglieder), Heidelberg (225 Mitglieder) und Meisenheim (185 Mitglieder) Am entferntesten lagen die Vereine im voigtländisehen Plauen und in Stralsund.

War das liberale Fest in Hambach ein nationales Fest, so bildete der Preßverein als Früh-form einer liberalen zugleich auch die einer nationalen Partei mit gesamtdeutschem Geltungsanspruch. Er war aber keine revolutionäre Partei, auch wenn einige seiner Führer den Verein in diese Richtung zu drängen suchten. Der öffenthche Protest, das politische Volksfest — einschließlich des Hambacher Festes-und auch die ganze Presseaktivität des Vereins hielten sich im Rahmen der frühliberalen Gesamtstrategie. Der Preßverein lebte vom Vertrauen in die Macht der öffentlichen Meinung und von der Überzeugung, seine politischen Ziele gewaltlos durchsetzen zu können.

VII. Die soziale Dimension des liberalen Protests

Von den eingangs gestellten Fragen bleibt noch die nach den Trägern des politischen Protestes in der Rheinpfalz zu beantworten. Die Forschung hat sich den damit verbundenen Problemen erst in jüngster Zeit zugewandt Die Vorstellungen über die soziale Schichtung des frühen deutschen Liberalismus wurden allzu lange durch das Bild der Frankfurter Nationalversammnlung von 1848/49 geprägt, in der unbestritten die akademischen Eliten den Ton angaben. Mit Recht hat man demgegenüber gefordert, die „soziale Vielfalt" des „liberalen Lagers" vor 1848 zu beachten Das Beispiel der Hambacher Protestbewegung zeigt, wie wichtig ein solcher Ansatz für das historische Verständnis des deutschen Liberalismus ist.

Interessierte man sich nur für die politischen Führungsfiguren, fiele allerdings auch die Hambacher Bewegung nicht aus dem bekannten Rahmen. Zu der Führungsgruppe können insgesamt 40 Hambacher gerechnet werden, wenn alle, die bei Aktionen mit einer über die Pfalz hinausgehenden Publizität führend beteiligt waren, berücksichtigt werden. Es gehören dazu die Redakteure und Verleger der liberalen Publizistik, die Mitglieder des Zentralkomitees des Preßvereins, die Redner des Hambacher Festes, die Teilnehmer an der Versammlung im Haus des Abgeordneten Schoppmann am Tage nach dem Hambacher Fest und schließlich die Verfasser von Protest-resolutionen Diese Protestführer repräsentieren gewissermaßen den pfälzischen Liberalismus auf gesamtdeutscher Ebene. Allein 18 von ihnen sind bezeichnenderweise von außerhalb der Pfalz gekommen, zehn davon wiederum nur für die Tage des Hambacher Festes. Nicht weniger als 29 von ihnen gehörten dem akademischen Bildungsbürgertum an oder waren als Studenten bzw. Rechtspraktikanten auf dem Wege zu einem Bildungsberuf. Der größte Teil der Akademiker bestand wiederum aus Journalisten und Anwälten (jeweüs acht), die damit in der Führung der Hambacher Bewegung die tonangebenden Berufsgruppen darstellten. Nur drei können dem mittelständischen Handelsbürgertum und einer dem landwirtschaftlichen Grundbesitzertum zugerechnet werden. Die restlichen sieben Protestführer waren Handwerker, unter denen neben sechs Buchdruckern und Buchhändlern eigentlich jedoch nur der junge Johann Philipp Becker als wirklicher Handwerker bezeichnet werden kann. Die Buchhändler und Buchdrucker waren nämlich als politische Verleger der liberalen Presse ausnahmslos ihrem ursprünglich handwerklichen Sozialmilieu entwachsen. Die Hambacher Führer gehörten somit durchaus dem Bürgertum von „Bildung und Besitz" an, wenn man beides jeweils nicht zu hoch ansetzt.

Die soziale Qualität der liberalen Bewegung in der Pfalz kann jedoch nicht allein von der sozialen Herkunft ihrer obersten Führer her beurteilt werden. Ihr rascher Aufschwung wurde vielmehr erst dadurch ermöglicht, daß sich unterhalb der ersten eine zweite Gruppe von ausnahmslos einheimischen Zwischen-führern herausbildete, welche die Verbindung zu breiteren Schichten der Bevölkerung herstellte. Auch diese Gruppe der Zwischenführer kann durch die Beteiligung an bestimmten Aktionen abgegrenzt werden. Legt man zwischen dem 15. Januar und 9. August 1832 insgesamt 16 solcher Aktionen zugrunde dann lassen sich 228 solcher liberalen Aktivisten der zweiten Reihe ermitteln, von denen bei 207 wiederum auch die Berufe bekannt sind. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen ist festzuhalten, daß 85 (oder 41 %) der liberalen Zwischenführer Handwerker und immerhin 61 (29%) Kleinhändler waren. Zusammen machte diese eher kleinbürgerliche Gruppe fast zwei Drittel der zweiten Kategorie der Hambacher Führer aus. Zum akademischen Bildungsbürgertum lassen sich nur 30 (oder 14 %) der 207 beruflich erfaßbaren Zwischenführer rechnen. Schon daran zeigt sich, daß die liberale Bewegung ein sehr viel breiteres bürgerliches Spektrum hatte, als es ihre sonst meist nur beachtete Führungsschicht erkennen läßt.

Erst recht kommt man zu diesem Ergebnis, wenn man auch die breitere Anhängerschaft des pfälzischen Liberalismus mit in die Untersuchung einbezieht. Eine Schichtungsanalyse kann in diesem Fall allerdings nur stichpro-benartig vorgenommen werden, wobei sich die gedruckte Protestresolution vom 28. Juni 1832 anbietet, auf der 1 347 Unterzeichner namentlich aufgeführt sind Für eine sozial-statistische Auswertung sind davon 628 Namen zu verwenden Von diesen sind nur noch 20 (3 %) dem Bildungs-und 16 (2 %) dem besser gestellten Besitzbürgertum zuzurechnen. Nicht weniger als 319 (62 %) sind dagegen Handwerker und 111 (18 %) Kleinhändler und Gastwirte. Der Anteil dieser beiden Berufsgruppen an der Gesamtgruppe der einfachen Mitläufer der Hambacher Bewegung hegt also wiederum bei etwa 75 %.

Trotz des überwiegend agrarischen Zuschnitts der pfälzischen Wirtschaft spielte die bäuerliche Landbevölkerung hingegen auch an der Basis der liberalen Bewegung kaum eine Rol. le. Lediglich 58 Winzer sind auszumachen _ eine für die Vorderpfalz bekanntlich besonders charakteristische Berufsgruppe. Erst recht war die soziale Unterschicht der „Unselbständigen" — also der Tagelöhner, Dienstboten und Knechte — nicht in der Hambacher Bewegung vertreten.

Es ist also verfehlt, aus dieser eine soziale oder sozialrevolutionäre Protestbewegung machen zu wollen. Der pfälzische Liberalismus im Umkreis des Hambacher Festes stellte vielmehr eine bürgerliche Bewegung dar. „Bürgerlich" war er aber nicht in dem exklusiven Sinne, daß er nur eine Angelegenheit von Besitzenden und Gebildeten gewesen wäre. Die bürgerliche Teilnahme des Hambacher Liberalismus reichte vielmehr in die städtischen Schichten des mittleren und niederen Bürgertums hinein. Man kann deshalb durchaus von einer bürgerlichen Volksbewegung sprechen: der liberale Protest von Hambäch vor 150 Jahren war ein breiter bürgerlicher Protest.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur Einführung in die Liberalismusproblematik vgl. Volker Sellin, Liberalismus, in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft IV, Freiburg 1971, Sp. 51— 77, und Lothar Gall (Hrsg.), Liberalismus, Köln 1976. Besonders nützlich ist die Quellensammlung von Lothar Gall und Rainer Koch (Hrsg.), Der europäische Liberalismus, 4 Bde., Frankfurt/Berlin/New York 1981.

  2. Karl-Georg Faber, Strukturprobleme des deut sehen Liberalismus im 19. Jahrhundert, in: De Staat 14, 1975, S. 201. Auf dieser Linie auch di'beiden wichtigsten, von zwei amerikanischen Auto ren stammenden Bücher, die in letzter Zeit über dei deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert 9 schrieben worden sind: Leonard Krieger, The Ger man Idea of Freedom, Chicago 1972; Jame J. Sheehan, German Liberalism in the Nineteent Century, Chicago/London 1978.

  3. Vgl. dazu meinen Aufsatz: 1848/49: Die unge wollte Revolution, in: Carola Stern und Heinnc August Winkler (Hrsg.) Wendepunkte deutsche Geschichte 1848— 1945, Frankfurt a. M.

  4. So Gunther Hildebrandt, Programm und Bewengdes süddeutschen Liberalismus nach 1830, in: sdhrbuch für Geschichte 9, 1973, S. 7.

  5. Als exemplarisch für diese Auffassung kann das buch von Theodor Hamerow, Restoration, Revolu-soneReaction: Economics and Politics in Germany 1015, 1871, Princeton N. J. 1958, gelten.

  6. Vgl. dazu die klassischen Werke von J. Salwin Shapiro, Liberalism and the Challenge of Fascism, New York 1949, und Carl Joachim Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin 1953. Kritische Aufarbeitung dieser Tradition erstmals bei Theodor Schieder, Der Liberalismus und die Strukturwandlungen der modernen Gesellschaft vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Relazioni del X Congresso Internazionale di Scienze Storiche V, Firenze 1955, S. 145— 172.

  7. So treffend Gall, a. a. O., S. 167.

  8. Vgl. dazu und zum folgenden (mit ausführlichen Belegen) meinen Aufsatz: Der rheinpfälzische Libe-ralismus von 1832 als politische Protestbewegung, in: Helmut Berding, u. a. (Hrsg.), Vom Staat des Ancien Regime zum modernen Parteienstaat, München/Wien 1978, S. 169— 195.

  9. Joseph Savoye, Freies Wort. Die Mauth im königlich-bayerischen Rheinkreise, Speyer 1830,

  10. Miller (d. i. Georg Friedrich Kolb), Die neuesten $48 1SSe in Rheinbayern, Weissenburg 1833,

  11. Joseph Savoye, Garantien der freien Presse im bayerischen Rheinkreise, Zweibrücken 1832.

  12. Zur Biographie der Hambacher vgl. Kurt Bau-mann (Hrsg.), Das Hambacher Fest 27. Mai 1832. Männer und Ideen, Speyer 1957.

  13. J. G. A. Wirth, Ueber Adressen, in: Deutsche Tribüne, 24. 1. 1832.

  14. Ebenda.

  15. Vgl. dazu Schieder, Rheinpfälzischer Liberalismus, S. 183.

  16. Der Stadtrath versammelt auf die Berufung und unter dem Vorsitz des Bürgermeisters, bei Gelegenheit der Berathung über einen anderen administrativen Gegenstand (Neustadt 1832), Landesarchiv Speyer (LASP), Bestand T 3, 757, Nr. 16.

  17. Der Deutschen Mai, 13. Mai 1832, ebd., Nr. 17 B.

  18. Hohe Königl. Regierung des Rheinkreises, 13. 5. 1832, ebd., Nr. 18 B.

  19. Neue Speyerer Zeitung, 17. 6. 1832.

  20. Vgl. Schieder, Rheinpfälzischer Liberalismus S. 185.

  21. Fundort der beiden Resolutionen bei Schieder Rheinpfälzischer Liberalismus, S. 185.

  22. Ebd., S. 185f.

  23. Vgl. Des Rheinkreises Jubelwoche oder gedeihtliche Darstellung der Reise Ihrer Majestäten, es Königs Ludwig und der Königin Therese von hayemn, durch die Gaue des Rheinkreises vom 7ten ms Uten Junius 1829, Speyer 1829.

  24. Vgl. die Nachweise bei Schieder, Rheinpfälzischer Liberalismus, S. 179.

  25. Vgl. die Festbeschreibung von J. G. A. Wirth, Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach, 2 Hefte, Neustadt 1832.

  26. Programm für das Maifest, welches den 27. Mai d. J. auf dem Hambacher Schloß bei Neustadt an der Haardt gefeiert wird, LASP, a. a. O., Nr. 12.

  27. Das folgende nach der von mir betreuten Trierer Dissertation von Cornelia Foerster, Der Preß-und Vaterlandsverein von 1832/33. Sozialstruktur und Organisationsverhalten der bürgerlichen Bewegung in der Zeit des Hambacher Festes, Trier 1982 (Verlag Trierer Historische Forschungen, Postfach 3825, 5500 Trier).

  28. Deutsche Tribüne, 3. 2. 1832.

  29. Vgl. dazu im einzelnen die in Anmerkung 28 genannte Arbeit von Cornelia Foerster, S. 182.

  30. Ebd., S. 153.

  31. Besonders wichtig ist der Versuch Cornelia Foersters, auf der Basis der über 5 000 Mitglieder des Preß-und Vaterlandvereins ein soziales Schichtungsmodell zu entwickeln, vgl. Foerster, a. a. O., S. 170. Weniger ergiebig ist dagegen der Aufsatz von H. Freilinger, Beteiligte und Sympathisanten der Beinahe-Revolution von 1832, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 41, 1978, S. 701— 736.

  32. Sheehan, Liberalismus und Gesellschaft, S. 218.

  33. Vgl. die Liste dieser Führer bei Schieder, Rhein-pfälzischer Liberalismus, S. 188.

  34. Eine Aufstellung dieser Aktionen bei Schieder, Rheinpfälzischer Liberalismus, S. 189f.

  35. Ebd., S. 191 f.

  36. Vorstellung vaterlandliebender Bürger Rhein-bayerns; oder vielmehr: Erklärung über und Verwahrung gegen die Bundestags-Beschlüsse vom 28. Juni 1832, LASP, a. a. O., Nr. 22 A.

  37. Vgl. die Berechnung bei Schieder, Rheinpfälzischer Liberalismus, S. 192 f.

Weitere Inhalte

Wolfgang Schieder, Dr. phil., geb, 1935; 1960— 1965 wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar der Universität Heidelberg; 1965— 1968 Stipendiat des Deutschen Historischen Instituts in Rom; seit 1970 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Trier. Veröffentlichungen u. a.: Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution von 1830, Stuttgart 1963; Faschismus als soziale Bewegung. Deutschland und Italien im Vergleich (Hrsg.), Hamburg 1976; Leben im Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933— 1945 (hrsg. mit Wolfgang Frühwald), Hamburg 1981, Mitherausgeber der Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft".