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Europa, Amerika und die Entspannung | APuZ 28/1982 | bpb.de

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APuZ 28/1982 Europa, Amerika und die Entspannung Kernwaffen und NATO. Zwischen Einsicht und Unvernunft

Europa, Amerika und die Entspannung

Gebhard Schweigler

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Voraussetzung des Ende der sechziger Jahre von Kissinger entworfenen Entspannungskonzeptes war, daß dieser Prozeß ohne stärkere innenpolitische Belastung in den USA vor sich gehen würde. Da auch die Entspannungspolitik der Vereinigten Staaten gegenüber der Sowjetunion als Fortsetzung der Eindämmungspolitik mit anderen Mitteln gesehen wurde, entstanden zunächst keine Probleme. Zum einen sollte der Einfluß der UdSSR in empfindlichen Regionen minimiert (z. B. Chile, Nahost), zum anderen Wohlverhalten im eigenen Interesse durch die „linkage" -Politik erreicht werden. Doch ab Mitte der siebziger Jahre entstand in den USA der Eindruck, daß sich dieses Konzept global nicht in der gewünschten Weise bewährte; dies führte zu erheblichen inneren Auseinandersetzungen. Die Europäer, die den Wert der Entspannung eher regional einschätzten, für die es primär darum ging, mit diesem Mittel Krisen von Europa abzuwenden, hielten an den Entspannungsbemühungen fest, zumal in ihrer Perzeption die Krisen nicht zwingend in eine globale sowjetische Bedrohung eingeordnet werden konnten, sondern spezifische Faktoren des jeweiligen Krisengebietes wesentlichen Einfluß hatten. Für die USA mußte so im Kontext eines inneren Meinungsklimas, das die Vereinigten Staaten als „politischen Schwächling" international „herumgestoßen" sah, die Einführung von Sanktionen gegenüber der Sowjetunion zwingend erscheinen, um die Glaubwürdigkeit amerikanischer Warnungen zu wahren. Dem Widerstand der Europäer und ihrem Willen (insbesondere der Bundesrepublik), eine Politik der kleinen Schritte fortzuführen, was die amerikanischen Bemühungen zur Eindämmung der Sowjetunion unterlaufen würde, stellen die USA die „Eindämmung der Entspannung" entgegen; eine Politik der großen Schritte soll entweder erhebliche und sichtbare Erfolge hinsichtlich eines sowjetischen Wohlverhaltens, zumindest aber eine militärische Schwächung der UdSSR herbeiführen und bestimmte, kurzfristige amerikanische Interessen durchsetzbar machen. In diesen Zusammenhang ordnen sich sowohl die START-Initiative (Strategie Arms Reduction Talks), der Vorschlag einer Null-Option bei den Genfer Verhandlungen über eurostrategische Waffensysteme, aber auch die in Europa kritisierte Sanktionspolitik im Osthandel ein.

I. Spannungen um die Entspannung

Die Spannungen zwischen Westeuropa und den Vereinigten Staaten von Amerika um die Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion haben spätestens seit Amtsantritt Präsi•dent Reagans in einem Ausmaß zugenommen, daß Befürchtungen über eine tiefgreifende Krise in den transatlantischen Beziehungen täglich neue Nahrung gewinnen. Während Washington ein Festhalten an der Entspannung als einen unangebrachten Ausdruck politischer Nostalgie bezeichnet, bemüht man sich diesseits des Atlantik, der westlichen Führungsmacht zu verdeutlichen, daß es realistischerweise keine Alternative zur Entspannung gäbe. Entsprechend widersprüchliche Maßnahmen gegenüber der Sowjetunion — hier etwa die Unterzeichnung des Erdgas-Röhren-Geschäftes, dort ein weitreichendes Verbot jeglicher amerikanischer Beteiligung an diesem Geschäft — tragen zum Eindruck eines — auch in anderen Bereichen — tief zerstrittenen Bündnisses bei (wobei die gelegentliche Verknüpfung verschiedener Problembereiche z. T. die Beziehungen noch zusätzlich belastet z. T. aber auch Kompromißmöglichkeiten schafft). Auch die Ergebnisse großer Gipfelkonferenzen können diesen Eindruck kaum verwischen.

Dieser Eindruck bedarf allerdings, vor allem hinsichtlich der Auseinandersetzungen um die Entspannungspolitik, einer gewissen Diffe-renzierung. Die Fronten widersprüchlicher Ansichten verlaufen keineswegs nur quer durch den Atlantik, sondern ebenso stark zwischen den einzelnen Ländern Europas, zwischen Regierungen und Opposition in allen betroffenen Ländern und schließlich — vor allem in den USA — innerhalb der Regierungen selbst Ausgetragen werden diese Auseinandersetzungen nicht nur auf den jeweiligen politischen Ebenen — wobei sich beobachten läßt, daß deren Bedeutung öffentlich desto mehr heruntergespielt wird, je höher die Ebene ist —, sondern vorwiegend durch inoffizielle Stellungnahmen oder nicht autorisierte Veröffentlichungen, bereitwillig publiziert von den Massenmedien, mit einer entsprechenden Beeinflussung der öffentlichen Meinung als Ziel. Dabei ergeben sich mannigfaltige Querbezüge, insbesondere dann, wenn innenpolitische Auseinandersetzungen mit Hilfe allianz-und entspannungspolitischer Stellungnahmen geführt werden. Dies alles trägt dazu bei, daß das Bild europäisch-amerikanischer Differenzen letztlich wieder verwirrend wirkt und eindeutige Aussagen über unterschiedliche Ansätze der Entspannungspolitik kaum zuzulassen scheint.

Das verwirrende Bild europäisch-amerikanischer Differenzen gewinnt allerdings dann schärfere Konturen, wenn man den Blick auf jenes Land konzentriert, das im Brennpunkt der Auseinandersetzungen steht: die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist entstanden als Auswirkung des Kalten Krieges nach einem von Deutschland verschuldeten Weltkrieg; und sie bemüht sich, durch die Entspannungspolitik ihre nationalen Probleme langfristig zu lösen und einen Rückfall in einen Kalten Krieg zu verhindern. Dies verleiht ihr eine besondere Stellung in Europa und eine herausragende Bedeutung für die Beziehungen zwischen Ost und West. Es begründet auch die „special relationship" zwischen den USA und der Bundesrepublik. Im Gegensatz zu dem besonderen Verhältnis, wie es etwa zwischen Großbritannien und den USA besteht, ist das Besondere am deutsch-amerikanischen Verhältnis nicht eine Jahrhunderte alte, oft bewährte und daher auch nicht in Frage gestellte Freundschaft, sondern eine komplexe Mischung aus Erwartungen und Befürchtungen (die im übrigen auch von den europäischen Nachbarn geteilt werden).

Die Befürchtungen konzentrieren sich auf den Verdacht, die Bundesrepublik könne im Interesse der Wiedervereinigung Deutschlands sich so weit der Sowjetunion annähern, daß sie aus dem westlichen Bündnis ausbrechen würde; damit aber wäre, so die weitere Sorge, eine der grundlegenden Voraussetzungen für stabile Verhältnisse in Europa nicht mehr gegeben. Die neue Ostpolitik der Bundesrepublik seit 1969 mußte sich von Anfang an gegen diesen Verdacht wehren In Zusammenhang mit der Befürchtung, die Bundesrepublik wolle einmal mehr eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West betreiben, steht auch die Sorge, die Westdeutschen könnten sich — zumal unter dem Druck wirtschaftlicher und politischer Schwierigkeiten — in ihren grundsätzlichen Wertvorstellungen wieder so weit von denen des Westens absetzen, daß eine für die politische Stabilität notwendige Wertgemeinschaft nicht mehr gewährleistet wäre. Aus diesem Grund gilt entsprechenden Manifestationen in der Bundesrepublik (bis hin zu Neutralismustendenzen und vermeintlich antiamerikanischen Neigungen) das besondere Interesse besorgter Beobachter Es mag im übrigen auch erklären, warum in den Reden, die amerkanische Regierungsvertreter in der Bundesrepublik halten, dem Thema . gemeinsame demokratische Werte so viel Raum eingeräumt wird.

Die Erwartungen, die von amerikanischer Seite an die Bundesrepublik gerichtet werden, gründen sich auf die Leistungen der USA beim Wiederaufbau der Bundesrepublik und der Erhaltung ihrer Sicherheit: man erwartet von ihr Dankbarkeit und Loyalität. Verstärkt werden diese Erwartungen durch den Umstand, daß die Bundesrepublik als die wirtschaftlich stärkste Macht in Europa am ehesten in der Lage scheint, amerikanische Bestrebungen etwa bei wirtschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion zu unterstützen. Anders als Frankreich oder England kann sich die Bundesrepublik also nicht ohne größere Schwierigkeiten den amerikanischen Wünschen und Erwartungen entziehen. Gelegentlich hat die aus dieser Stimmungslage resultierende Notwendigkeit besonders enger Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik zu Vorschlägen für eine deutsch-amerikanische „Bigemonie" geführt. Ansätze hierzu trugen jedoch zu Verstimmungen mit den europäischen Verbündeten der Bundesrepublik bei (insbesondere Frankreich scheint sorgsam darauf bedacht, die Stellung Bonns nicht zu stark werden zu lassen) und förderten Bemühungen, die gesamteuropäische Einbindung der Bundesrepublik zu stärken — Bemühungen, die mancherorts wiederum Vorstellungen von einem starken und von den USA unabhängigen Europa begünstigten.

Die Auseinandersetzungen zwischen den USA und Europa um die Entspannung konzen-trieren sich also auf die Bundesrepublik, nicht nur, weil diese den größten Beitrag leisten oder am meisten Gewinn einstreichen könnte, sondern weil damit zugleich auch die Auseinandersetzung um die politische Identität der Bundesrepublik geführt wird. Eine Analyse der Spannungen um die Entspannung muß daher zwangsläufig auf europäischer Seite die Bundesrepublik in den Mittelpunkt stellen. Um zu verstehen, wie es zu den Auseinandersetzungen von heute gekommen ist und worum es dabei letztlich geht, ist es ferner unerläßlich, einen Blick zurück auf die Entwicklung der Entspannungspolitik zu werfen, wobei zugleich auch das leidige Definitionsproblem berücksichtigt werden kann

II. Von der Eindämmung zur Entspannung

Seit Beginn des Kalten Krieges ist es das überragende außenpolitische Ziel der Vereinigten Staaten gewesen, die Machtausdehnung der Sowjetunion einzudämmen. An diesem Ziel hat sich bis heute nichts geändert, wenn auch verschiedentlich neue Wege zum Erreichen dieses Zieles ge-und versucht wurden. Noch immer gründet sich die amerikanische Politik auf die Annahme, daß das internationale Vorgehen der Sowjetunion wie ein Strom sei, der jede Machtlücke ausfüllt, und daß der Druck dieses Stromes „gegen die freien Einrichtungen der westlichen Welt... eingedämmt werden kann durch die geschickte und stets wachsame Anwendung von Gegendruck an einer Reihe von ständig wechselnden geographischen und politischen Punkten .. . Die lange andauernde Wirksamkeit der Eindämmungsdoktrin beruht auf der Tatsache, daß sie einen politischen Kompromiß darstellte zwischen Überlegungen auf der einen Seite, die USA sollten sich, mangels eigener Macht, nach der erfolgreichen Beendigung des Krieges international wieder zurückziehen, und Forderungen auf der anderen Seite, die USA müßten den neuen Feind Sowjetunion nunmehr aggressiver bekämpfen. Die Formel von der Eindämmung war so ein Kompromiß gegen einen Rückzug in den Isolationismus wie gegen einen Kreuzzug gegen die Sowjetunion. Auch wenn Kennan selbst später mit anderen Interpretationen und daraus abgeleiteten Maßnahmen nicht immer einverstanden war, in der außenpolitischen Praxis der USA bewahrheitete sich der Kompromißcharakter der Eindämmungsformel auch in der kältesten Zeit des Kalten Krieges-, dies zeigte sich bei den Ereignissen 1953 und 1956, als die USA entgegen der rhetorisch verkündeten „roll-back" -Doktrin in der DDR und in Ungarn nicht eingriffen.

Die Eindämmung der Sowjetunion sollte zwei Ziele erreichen: eine Reduzierung der Macht Moskaus auf Grenzen, die eine Gefährdung des Friedens und der internationalen Stabilität nicht mehr erlauben würde, und eine Beeinflussung des internationalen Verhaltens der Sowjetunion im Sinne von Normen, wie sie zu dieser Zeit etwa in der Charta der UN niedergeschrieben wurden Da es jedoch an Instrumenten mangelte, letzteres Ziel zu erreichen, und die vermeintliche sowjetische Bedrohung spätestens seit dem Ausbruch des Korea-Krieges im Sommer 1950 als überragendes Problem empfunden wurde, konzentrier-ten sich die Bemühungen Washingtons auf das Ziel der Machtreduzierung Moskaus. Zu diesem Zweck wurde wieder verstärkt aufgerüstet, Bündnissysteme wurden geschaffen, die ideologische Auseinandersetzung (auch nach innen, mit den fatalen Exzessen der McCarthy-Jahre) forciert und jeglicher Handel mit der Sowjetunion eingestellt

Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Europa konnte sich der amerikanischen Eindämmungspolitik nicht entgegensetzen. Es wollte allerdings auch nicht, denn es war deren eigentlicher Nutznießer: Erst durch die Marshall-Plan-Hilfe und das von den USA geschaffene internationale Wirtschaftssystem konnte sich Westeuropa, unter dem Schutz der amerikanischen Sicherheitsgarantien, wieder erholen. Adenauer betonte den absoluten Vorrang der Westintegration der Bundesrepublik vor einer Wiedervereinigung Deutschlands und bestand darauf, daß eine Entspannung der Ost-West-Beziehungen erst erreicht werden könne, wenn die Deutsche Frage gelöst sei. Nicht zuletzt aus diesem Grund blieben vorsichtige Ansätze zu einer Entspannung in den fünfziger Jahren ohne Ergebnis

Erst in den sechziger Jahren kam es zu einer Auflockerung der Ost-West-Beziehungen. Mehrere Faktoren waren dafür verantwortlich. So war nach der politischen und wirtschaftlichen Genesung das Gewicht Westeuropas in der Weltpolitik größer geworden und hatte Bedürfnisse nach mehr Eigenständigkeit geweckt. Das gaullistische Frankreich gab diesem Bedürfnis am stärksten Ausdruck, als es militärpolitisch aus dem Bündnis austrat und seine eigenen Abschreckungsfähigkeiten entwickelte. In der Bundesrepublik bahnte sich nach dem Ende der Adenauer-Ära ein innenpolitischer Wechsel an, der absehbar auch außenpolitische Konsequenzen haben würde; die starre Haltung gegen eine Entspannung ohne Vorleistungen wurde fallengelassen. Auf der anderen Seite war in den USA nach dem Schrecken der Kuba-Krise von 1962 die Über-zeugung gereift, das Verhältnis zur Sowjetunion müsse zur Vermeidung zukünftiger Krisen entspannt werden; der fortdauernde Rüstungswettlauf schien ferner die Notwendigkeit von Rüstungskontrollvereinbarungen nahezulegen. Beide Seiten hatten ein Interesse an dem Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Ostblock entwickelt (wobei der Vorsprung der Westeuropäer in diesem Bereich die USA zum Nachziehen zwang). Folglich kam es Mitte der sechziger Jahre erstmals zu Rüstungskontrollvereinbarungen und zur Aufnahme sowjetisch-amerikanischer Handelsbeziehungen Die USA und Europa entwickelten Konzepte einer Entspannungspolitik, die darauf hinausliefen, zu den Ländern Osteuropas Brücken zu schlagen, um so allmählich eine Auflösung der Blockstrukturen zu erreichen, was (nach amerikanischer Sicht) die Eindämmung der Sowjetunion gefördert hätte, nach französischer Sicht zu einem „Europa der Vaterländer" bis zum Ural führen sollte und (nach deutschen Vorstellungen) die Wiedervereinigung Deutschlands in einem gesamteuropäischen Rahmen ermöglichen könnte. Diese Überlegungen fanden im Dezember 1967 ihren Niederschlag in dem soge-nannten Harmel-Bericht der NATO, in dem die zwei Funktionen der Allianz betont wurden: die Abschreckung von Aggression durch ausreichende militärische Stärke und politische Solidarität und die Entspannung als „Suche nach Fortschritten in Richtung auf dauerhafte Beziehungen, mit deren Hilfe die grundlegenden politischen Fragen gelöst werden können" Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung, so lautete die heute wieder viel zitierte Formel, stellen keinen Widerspruch, sondern eine Ergänzung dar.

Die Suche nach Entspannung wurde zunächst jedoch durch zwei Entwicklungen gebremst. Die Unterdrückung der tschechoslowakischen Reformbemühungen durch den Einmarsch sowjetischer Truppen im August 1968 zeigte, daß die Sowjetunion nicht bereit war, für sie gefährliche Liberalisierungs-und damit auch Blockauflösungstendenzen zu dulden. Und der zu dieser Zeit auf seinem Höhepunkt angelangte Krieg in Vietnam (der im übrigen wesentlich zu europäisch-amerikanischen Differenzen beitrug) machte den USA (wie man dort glaubte) deutlich, daß die Sowjetunion weit davon entfernt war, internationale Zurückhaltung zu üben. Der Krieg führte den Amerikanern allerdings auch vor Augen, daß die Eindämmung der Sowjetunion in peripheren Gebieten mit den militärischen Mitteln der USA nicht mehr möglich war.

Es lag an dem 1968 gewählten Präsidenten Nixon und seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger, aus diesen Erkenntnissen die konzeptionellen Schlußfolgerungen für eine neue Entspannungspolitik zu ziehen. Die Zeit schien, gerade nach Prag und wegen Vietnam, reif für solche Bemühungen. Die jahrelange Aufrüstung beider Seiten, vor allem im strategischen Bereich, hatte ein Niveau erreicht, das man durch Rüstungskontrollvereinbarungen stabilisieren zu können glaubte (SALT-Verhandlungen waren bereits 1967 vereinbart worden). In Europa drängte die neugewählte sozialliberale Koalition in Bonn darauf, die westdeutschen Beziehungen mit dem Ostblock — vor allem aber mit der Sowjetunion und der DDR — zu normalisieren, um mit Hilfe dieser Normalisierung menschliche Erleichterungen erzielen zu können, die den Fortbestand eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls — und damit auf lange Sicht die Option einer Wiedervereinigung — siehern sollten; eine vorteilhafte Beendigung der Nachkriegsentwicklungen (durch Festschreibung) schien hier greifbar. Im Fernen Osten hatte sich China ideologisch und politisch, z. T. auch gewaltsam, von der Sowjetunion losgesagt und war offen für Annäherungsversuche des Westens. Und der Handel lockte die Europäer ebenso wie die USA, die mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu tun hatten.

Kissingers Neuansatz für die Entspannungspolitik bestand darin, daß er den Krieg in Vietnam mit Hilfe der Sowjetunion „ehrenhaft" zu Ende bringen wollte: durch eine Verknüpfung mit allen anderen Elementen in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen. Mit der Beendigung des Krieges in Vietnam aufgrund sowjetischer Hilfe würde es dann auch zu einem Ende des Kalten Krieges kommen; das Zeitalter der Entspannung — die von ihm so oft beschworene „Generation des Friedens" — wäre geschaffen.

Kissingers Neuansatz stellte eine Politik der Eindämmung mit anderen Mitteln dar Auch er verfolgte die zwei überragenden Ziele amerikanischer Nachkriegspolitik: die Eindämmung, wenn nicht gar die Zurückdrängung des sowjetischen Einflusses und Herrschaftsbereiches und eine Veränderung des internationalen Verhaltens der Sowjetunion. Um ersteres Ziel zu erreichen, setzten Nixon und Kissinger alle ihnen zur Verfügung stehenden diplomatischen (gelegentlich auch, wie etwa in Chile, undiplomatischen) Mittel ein; auf diese Weise konnte z. B. das Ziel der „Eliminierung" sowjetischen Einflusses im Nahen Osten erreicht werden. Das zweite Ziel, sowjetisches Wohlverhalten, sollte durch „linkage" -Politik erreicht werden, wobei Kissinger nicht nur konkretes Wohlverhalten mit konkreten Gegenleistungen belohnen wollte, sondern davon ausging, daß die Sowjetunion langfristig ein Eigeninteresse an der Fortsetzung stabiler Beziehungen — d. h. an der Beibehaltung der Entspannungspolitik — gewinnen und dadurch veranlaßt werden würde, ihr internationales Verhalten entsprechend anzupassen Für Kissinger kam es darauf an, den Prozeß der Entspannung dadurch unumkehrbar zu machen, daß zwar Konflikte ausgetragen wurden, andererseits aber die Kooperation darunter nicht leiden sollte, so daß schließlich die Elemente der Kooperation die der konfliktgeladenen Auseinandersetzungen überwiegen würden (Daß diese Vorstellung in einem gewissen Widerspruch zum „linkage" -Konzept stand, wurde erst später deutlich.) Voraussetzung für einen solchen Prozeß der Entspannung war allerdings, daß er über einen längeren Zeitraum ohne unangebrachte Belastungen auch innenpolitischer Art verfolgt werden konnte.

Kissingers Entspannungskonzept entsprach weitgehend europäischen Vorstellungen (auch wenn Kissinger hinsichtlich der der Ost-politik zugrundeliegenden Motivationen eher skeptisch blieb). Die Verknüpfung amerikanischer Interessen mit den ostpolitischen Zielen der Bundesrepublik führte schließlich zu den Erfolgen der Entspannungspolitik der frühen siebziger Jahre. Höhepunkt war die sowjetisch-amerikanische Gipfelkonferenz in Moskau im Mai 1972. Dort wurde der erste Vertrag über die Begrenzung strategischer Waffen (SALT I) unterzeichnet, eine Prinzipienerklä-rung über die Grundsätze der Entspannungspolitik verabschiedet (in der sich beide Seiten Gleichberechtigung und Zurückhaltung zusicherten) und eine Reihe von Kooperationsmaßnahmen vereinbart. Im Zusammenhang damit wurden die Ostverträge der Bundesrepublik ratifiziert, die zu menschlichen Erleichterungen im deutsch-deutschen Verhältnis (aber auch zu Ausreiseerleichterungen für deutschstämmige Polen, Rumänen und Russen) führten; das bereits zuvor ausgehandelte Viermächte-Abkommen über Berlin regelte Fragen des Transitverkehrs und der Vertretung Berlins durch den Bund, die Besuchsmöglichkeiten für Westberliner in Ostberlin und in der DDR wurden verbessert. Diese Durchbrüche waren ferner verknüpft mit der Aufnahme von Vorverhandlungen über eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), deren Schlußakte schließlich im Juli 1975 feierlich unterzeichnet wurde, und mit Verhandlungen über einen ausgewogenen Truppenabbau in Europa (MBFR). Auch die Handelsbeziehungen zwischen den USA und Europa auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite wurden im Gefolge dieser Durchbrüche ausgebaut. Die Entspannungspolitik schien ihre Früchte zu bringen.

III. Entspannung im Widerstreit

Nach dem Höhepunkt der Entspannungspolitik im Jahre 1972 folgte bald jedoch eine Ernüchterung, die für immer mehr Amerikaner den Wert dieser Politik in Frage stellte. Unter dem für die USA maßgebenden Blickwinkel der Entspannung als neues Experiment der Eindämmungspolitik setzte sich dort verstärkt der Eindruck fest, daß dieses Experiment gescheitert war. Die USA waren offensichtlich innenpolitisch zu dieser notwendigerweisen komplexen Politik nicht in der Lage, so daß Kissinger sie längerfristig nicht durchhalten konnte Die Sowjetunion ihrerseits zeigte sich nicht bereit, sich auf diese Weise einbinden oder gar einwickeln zu lassen und unterlief immer häufiger die von Kissinger geknüpften Querbezüge. Schließlich schien es aus amerikanischer Sicht, als hätte sich die Sowjetunion mehr denn je international ausgebreitet. Mit dem Scheitern der Eindämmung geriet dann die Entspannungspolitik in Frage. Diese Entwicklung führte zunächst zu innenpolitischen Auseinandersetzungen, die — je mehr sie auf die Außenpolitik durchzuschlagen begannen — schließlich auch die europäisch-amerikanischen Beziehungen belasteten. Hier nämlich hielt man — da der Wert der Entspannungspolitik nicht global, sondern auf europäische Entwicklungen beschränkt eingeschätzt wurde — an der Entspannungspolitik fest

Das europäische Festhalten an der Entspannung ist natürlich nicht nur durch regionale Eigennützigkeit motiviert, die etwa über dem Interesse an eigenen wirtschaftlichen Vorteilen oder menschlichen Erleichterungen für das eigene Volk eine bedrohliche Machtausdehnung der Sowjetunion aus dem Blick verlieren ließe. Vielmehr liegen den europäisch-amerikanischen Differenzen tiefgehende Meinungsunterschiede hinsichtlich der von der Sowjetunion ausgehenden Bedrohung und der Möglichkeiten, diese Bedrohung zu verringern, zugrunde (wobei allerdings auch handfeste innenpolitische Überlegungen eine Rolle spielen In dieser Hinsicht haben Europäer und Amerikaner aus den Entwicklungen der Entspannungspolitik z. T. diametral entgegengesetzte Lehren gezogen.

Was die Einschätzung der Bedrohung und ihrer Auswirkungen betrifft, so ergeben sich allerdings merkwürdige Interessenkonstellationen. Für die Europäer scheint die Bedrohung aus dem Osten zunächst so stark, daß sie auf der Notwendigkeit der Entspannung bestehen, um eben die Situation in Europa langfristig zu entspannen und kurzfristig ein übergreifen anderer Konflikte auf Europa zu verhindern. Umgekehrt aber zeigen sie sich nicht so bedroht, daß sie verstärkten Verteidigungsanstrengungen, zumal im konventionellen Bereich, bereitwillig zustimmen würden (Präsident Mitterrand hat für Fankreich hier allerdings deutlich andere Signale gesetzt Diese Haltung hat gelegentlich in den USA zum Vorwurf der „Finnlandisierung" Europas geführt. Dabei ist die amerikanische Einstellung allerdings auch nicht ganz widerspruchsfrei. So fühlt man sich zwar einerseits durch die dramatische sowjetische Aufrüstung der letzten zehn Jahre — in der man eine der deutlichsten Verletzungen der Eindämmung durch Entspannung sieht — mehr denn je bedroht und fürchtet, die Sowjetunion könnte ein theoretisches „Fenster der Verwundbarkeit" öffnen. Andererseits aber argumentiert man, die Abschreckung funktioniere nach wie vor, so daß man es sich leisten könne, auf die Entspannung als Ergänzung westlicher Sicherheitspolitik zu verzichten; ein Aufgeben der Entspannungspolitik würde keine zusätzlichen Gefahren beschwören, sondern durch die dadurch hervorgerufene Schwächung der Sowjetunion und den gleichzeitigen Wiederaufbau westlicher Stärke die Gefahren mindern. Es zeigt sich nicht nur an diesem Fall, daß die Ansichten darüber, wie man der sowjetischen Bedrohung langfristig begegnen kann, weit auseinandergehen. Insbesondere in der Bundesrepublik hält man am entspannungspolitischen Konzept der kleinen Schritte fest, durch die die Zusammenarbeit ständig bestätigt und erweitert werden soll. Die Praxis der Kooperation sowie die Aussicht auf weitere Vorteile für beide Seiten würden dann auf westlicher Seite eine berechenbare Politik schaffen (im Gegensatz zu der angeblich unberechenbaren Politik der USA), während auf östlicher Seite ein langfristiges und wohl berechnetes Interesse an der Fortsetzung dieser Art von Entspannungspolitik geweckt und im übrigen interne Reformbemühungen und deren Befürworter gefördert würden. Es ist eine Politik der kleinen Schritte mit langem Atem (wobei allerdings manche der Schritte gar nicht so klein wirken, sondern im Gegenteil ganz bewußt langfristige Bindungen vorsehen

Die USA halten dagegen, daß diese Politik der kleinen Schritte bisher wenig Erfolg gebracht habe (eine Einschätzung, die auch von der Opposition in der Bundesrepublik geteilt wird). Sie hätte nur die Sowjetunion begünstigt, der es, nicht zuletzt mit Hilfe des Handels mit dem Westen, gelungen sei, ihren Militärapparat weiter auszubauen und dabei eigentlich notwendige politische und wirtschaftliche Reformen zu vertagen. Dort, wo sich Reformansätze gezeigt hätten, seien sie von der Sowjetunion brutal unterdrückt worden — siehe Polen Auch die Formel Kissingers für seine Entspannungspolitik (die später, bei allen Widersprüchlichkeiten, auch von Carter übernommen worden war) glich einer Politik der kleinen Schritte: Er wollte der Sowjetunion konkrete Anreize für Zurückhaltung bieten, sie umgekehrt aber für aggressive Maßnahmen bestrafen. Diese Formel ließ sich, was die Amerikaner betraf, nicht in die politische Praxis umsetzen. Alle vier Bestandteile dieser Formel waren mit beinahe unüberwindbaren Schwierigkeiten verknüpft, an denen die Verbündeten z. T. beteiligt waren. So konnten die USA z. B. nur bedingt wohl dosierte Anreize bieten, da die Sowjetunion das, was sie dringend benötigte (vor allem Getreide und hochwertige Technologie), anderswo einkaufen konnte; dies führte zu häufigen und andauernden Verstimmungen zwischen den USA und Europa. Da außerdem eine sowjetische Zurückhaltung in konkreten Fällen kaum nachweisbar war (und der kausale Zusammenhang mit bestimmten Anreizen schon gar nicht), wuchs in den USA das unterschiedlich motivierte Bedürfnis, konkretere Zugeständnisse der Sowjetunion zu erreichen: Das Problem der Menschenrechte fand auf diese Weise Eingang in die Entspannungspolitik Es belastete zunächst (mit dem Jackson-Vanik. Amendment von 1974 die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, fand dann Eingang in die Schlußakte der KSZE (womit Bürgerrechtsbewegungen in den Ländern des Ostblocks sich legitimiert fühlen konnten und deren Unterdrückung wiederum Bemühungen in den USA förderten, die Sowjetunion wegen Menschenrechtsverletzungen anzuklagen), und wurde dann in den Carter-Jahren zu einem ständigen Problem auch der europäisch-amerikanischen Beziehungen. In Europa be-stand man im Interesse der Sache und im Interesse der Erhaltung der Entspannung auf einem behutsamen Vorgehen. In den USA hingegen sah man in Menschenrechtsgewinnen zunehmend den eigentlichen Wert der Entspannung und erhob entsprechende Forderungen, die von der Sowjetunion kaum erfüllt werden konnten.

Der zweite Teil der Kissingerschen Formel war noch problematischer: die Bestrafung für Aggressionen. Daß die Sowjetunion solche betrieb, setzte sich in den USA mehr und mehr als Erkenntnis fest: von dem endgültigen Sieg der Nordvietnamesen im April 1975 (der das Versagen der Kissingerschen Entspannungspolitik am deutlichsten demonstrierte, die ja ursprünglich darauf angelegt war, den Krieg „ehrenhaft" zu beenden) über Angola, Äthiopien und Yemen bis Afghanistan. Die Europäer teilten diese Überzeugung jedoch keineswegs; sie sahen in den meisten Fällen eher lokale Kräfte als die lange Hand Moskaus am Werk und waren deshalb nicht bereit, sich an Bestrafungsmaßnahmen zu beteiligen, die sie im übrigen ohnehin als politisch ungerechtfertigt und unangemessen betrachteten. Da aber Bestrafungsmaßnahmen ohne eine gewisse Solidarität der Verbündeten von vornherein zur Wirkungslosigkeit verurteilt waren, kam es in der Folgezeit — vor allem nach Afghanistan — zu heftigen europäisch-amerikanisehen Auseinandersetzungen. Die Europäer erkannten nicht das amerikanische Dilemma. Die USA mußten, zumal nach allem, was vorangegangen war, auf diese eklatante Durch-brechung der Eindämmung reagieren. An Reaktionsmöglichkeiten standen aber im wesentlichen nur Sanktionen im wirtschaftlichen Bereich zur Verfügung Diese dienten nicht vorwiegend als Bestrafungsmaßnahmen, durch die die Sowjets zu einem Rückzug aus Afghanistan gezwungen werden sollten; in dieser Hinsicht gab man sich in Washington keinen Illusionen hin. Die Sanktionen sollten einen anderen politischen Zweck erfüllen: die Glaubwürdigkeit amerikanischer Warnungen (wie sie zuvor fünfmal ergangen waren) zu gewährleisten, um dadurch eine politische Abschreckung sicherzustellen Nur wenn die Sowjetunion davon überzeugt werden konnte, daß die amerikanischen Warnungen keinen Bluff darstellten, würde sie in Zukunft bereit sein, die Kosten eventuell geplanter Maßnahmen richtig zu kalkulieren und damit eine Güterabwägung vorzunehmen, die sie letztlich von diesen Maßnahmen abhalten würde. In diesem Sinne sollten Sanktionen als Teil der Eindämmungspolitik wirken. Durch ihre mangelnde Unterstützung unterliefen, aus amerikanischer Sicht, die Europäer diese Bemühungen und trugen dadurch zur Ausweitung des sowjetischen Machtbereiches bei.

IV. Eindämmung der Entspannung

Die Erfolglosigkeit der amerikanischen Außenpolitik unter Kissinger und Carter trug 1980 zum überragenden Wahlsieg Ronald Reagans bei. In der amerikanischen Öffentlichkeit hatte sich nach Afghanistan und Iran das Gefühl verstärkt, die USA seien zu einem politischen Schwächling geworden, der sich international herumstoßen lassen müsse. Diesem Zustand sollte abgeholfen werden — und Reagan versprach dies. Er verhieß Amerika neue Macht und Größe. Sein politisches Rezept zur Erreichung dieses Zieles war ein al-tes: die Eindämmung der Sowjetunion Für ihn gab es keinen Zweifel, daß es die Entspannungspolitik der Sowjetunion ermöglicht hatte, den Eindämmungswall zu überwinden und sich auf Kosten Amerikas zu stärken. Eine Fortsetzung der Entspannungspolitik wurde deshalb ausgeschlossen. Der Konflikt mit den Europäern war damit vorprogrammiert. Es ist ein Konflikt um die Eindämmung der Entspannung: Die USA wollen die Entspannungsbemühungen der Europäer eindämmen und langfristig austrocknen, während Europa die verbliebenen Bestandteile der Entspannung gegen die Angriffe der USA eindämmen und am Leben erhalten möchte.

Wie scharf dieser Konflikt ausgetragen werden würde und wieviel Raum auf beiden Seiten für Kompromisse bestehen könnte, blieb zunächst unklar und ist auch heute noch nicht völlig eindeutig zu bestimmen. Präsident Reagan räumte zunächst der Durchsetzung seines Wirtschafts-und Gesellschaftsprogramms höchste Priorität ein, was — auch angesichts personeller Differenzen und institutioneller Schwierigkeiten bei der Koordination — zu unsicheren und z. T. widersprüchlichen Signalen in der Außenpolitik führte. Allein die Durchsetzung eines umfangreichen Aufrüstungsprogrammes (mit jährlichen Steigerungsraten von real 7 %) ließ erkennen, wie ernst es Reagan mit der Wiederherstellung amerikanischer Macht meinte. (Forderungen der USA an die Europäer, dem von Amerika gesetzten Beispiel zu folgen, sind noch kaum abgeklungen und dürften die transatlantischen Beziehungen auch weiterhin ebenso belasten wie die gelegentlich mit diesem Aufrüstungsprogramm verknüpfte militante Rhetorik auf amerikanischer Seite.)

Inzwischen scheinen jedoch nach den jüngsten Erklärungen und Entwicklungen (darunter auch der Rücktritt von Außenminister Haig u. a. aus Protest gegen die scharfe antisowjetische Politik Reagans) die Fronten etwas deutlicher abgesteckt. Ganz offensichtlich möchte Präsident Reagan gegenüber der So-wjetunion eine Politik der großen Schritte verfolgen, d. h. eine Politik, die in relativ kurzer Zeit erkennbare Fortschritte bringen soll, und zwar Fortschritte bei der Eindämmung der Sowjetunion bzw.der Erzielung sowjetischen Wohlverhaltens. So sind etwa die Rüstungskontrollvorschläge der USA zu verstehen, die auf die drastische Reduzierung des sowjetischen Raketenpotentials sowohl im strategisehen (der START-Vorschlag sieht eine fast fünfzigprozentige Reduzierung vor) als auch im regionalen Bereich zielen (die Nulloption bei den Genfer INF-Verhandlungen). Reagan, zuvor einer der schärfsten Kritiker der SALT-Verträge (an die die USA sich allerdings halten, solange auch die Sowjetunion sich daran hält hatte nie einen Zweifel daran gelassen, daß er in diesem Sinne zu Rüstungskontrollverhandlungen, die eine echte Reduzierung bringen und verifizierbar sein müßten, bereit war. Die, vor allem auch für die Europäer, kritische Frage ist nunmehr, wie kompromißbereit die USA sein werden, denn es ist kaum davon auszugehen, daß die Sowjetunion die amerikanischen Vorschläge in dieser Form akzeptieren wird. Hier bleiben angesichts der tief verwurzelten Überzeugungen von Reagan und seinen engsten Mitarbeitern Zweifel berechtigt (wenngleich die wirtschaftliche Entwicklung in den USA und der Widerstand der Europäer die Administration in Washington möglicherweise zu größerer Kompromißbereitschaft drängen).

Ein weiterer großer Schritt wird in den Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion angestrebt. In Washington hat sich die Überzeugung durchgesetzt, daß die Sowjetunion in größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, die zum Vorteil der USA ausgenutzt werden können. Dabei wird dieser Vorteil unterschiedlich definiert, jedoch anders als in Europa (das die langfristigen Auswirkungen stabiler Handelsbeziehungen betont und auch die direkten wirtschaftlichen Vorteile anerkennt Von einer Einschränkung des Handels mit der Sowjetunion verspricht man sich in Washington zumindest eine Schwächung der Sowjetunion im militärischen Bereich, da sie 1. keine auch militärisch nutzbare hochwertige Technologie mehr erhalte, 2. die für den Einkauf solcher Technologie notwendigen Devisen nicht mehr erwirtschaften könne und 3. gezwungen werde, vom militärischen auf den zivilen Sektor umzurüsten.

Maximal erwartet man von einer solchen Einschränkungspolitik eine tiefreichende Reform des sowjetischen Systems kurzfristig die Durchsetzung amerikanischer Interessen „mit Stolz" -Umgekehrt wird aber auch die Bereitschaft erklärt, für konkrete Zugeständnisse der Sowjetunion den Handel wieder aufzunehmen (Möglicherweise könnte das vor kurzem verschärfte Gas-Turbinen-Embargo so z. B. im Gegenzug für sowjetische START-Zugeständnisse wieder aufgehoben werden.)

Die Europäer lehnen diese Handelspolitik der großen Schritte, die für sie die Eröffnung eines Wirtschaftskrieges mit ungewissen Folgen darstellt, entschieden ab Sie haben ohnehin schon zur Kenntnis nehmen müssen, daß ihr Handel mit dem Osten wegen der dortigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten (vor allem der immens angewachsenen Verschuldung) seit Jahren ständig zurückgegangen ist, während der amerikanische Handel, aller Rhetorik zum Trotz, angestiegen ist (dies liegt nicht zuletzt an den von Reagan wieder aufgenommenen Getreidelieferungen Sie wollen sich das Geschäft — aber auch ihre Form der Entspannungspolitik — nicht verderben lassen. Für kurze Zeit sah es so aus, als sei in dieser Frage auf den Gipfelkonferenzen von Versailles und Bonn im Juni 1982 ein Kompromiß erzielt worden, der darauf abzielte, daß die USA das Erdgas-Röhren-Geschäft (in dem Washington die Gefahr einer zu großen Abhängigkeit Europas von der Sowjetunion sieht, vor allem falls diese in den Persischen Golf vorstoßen sollte) nicht mehr länger behindern würden, während Europa der Sowjetunion keine günstigen Kredite mehr gewähren würde. Daß dieser Kompromiß nicht hielt, zeigte sich kurz darauf, als Washington auch den Verkauf von unter amerikanischer Lizenz gefertigten Turbinenteilen unter Embargo stellte (und dies mit der fortdauernden Unterdrückung in Polen rechtfertigte), während europäische Banken der Sowjetunion einen Milliardenkredit gewährten (der von dieser pikanterweise be-nötigt wurde, um amerikanisches Getreide bezahlen zu können).

Es liegt auf der Hand, daß Europa und Amerika aus dempolitischen Gleichschritt geraten, wenn die eine Seite eine Politik der kleinen und die andere eine Politik der großen Schritte verfolgt Kompromißformeln, wie sie z. B. die sogenannte „Bonner Deklaration mit ihrer Definition von „wirklicher Entspannung" darstellt sind, wie sich bereits gezeigt hat, kaum geeignet, Europa und Amerika zu gemeinsamen Schritten gegenüber der Sowjetunion zurückzuführen. Der Gegensatz zwischen Eindämmungsbemühungen auf der einen und Entspannungsbemühungen auf der anderen Seite bleibt bestehen. Ohne Frage geht das Bündnis in dieser Hinsicht schwierigen Zeiten entgegen. Es bleibt jedoch die Hoff, nung, daß Europa und Amerika aufgrund innerer oder äußerer Entwicklungen zu jenem Mindestmaß an Gleichschritt zurückfinden können, ohne das die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion für alle noch gefährlicher wird. Der große Bestand an Gemeinsamkeiten in anderen Bereichen verleiht dieser Hoffnung eine gewisse Berechtigung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Einen Problembereich von großer Bedeutung stellen die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und den USA dar, die z. Zt. durch Auseinander-Atzungen um Exportsubventionen (etwa für europäische Agrarprodukte), um Dumpingpraktiken (so beim Verkauf europäischer Stahlerzeugnisse in den USA) und um die Erhaltung geordneter Währungsrelationen gekennzeichnet sind. Auch binnenwirtschaftliche Maßnahmen mit außenwirtschaftlichen Rückwirkungen sind umstritten (so hat z. B. Bundeskanzler Schmidt darauf hingewiesen, daß das hohe tinsniveau in den USA die westdeutsche Wirtmhatsentwicklung so negativ beeinflusse, daß eine rhöhung der Verteidigungsausgaben — wie von en USA gefordert — unmöglich sei).

  2. Daß es allerdings auch innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Entspannungspolitik gibt, verdeutlichte spätestens eine vom Spiegel am 17. Mai 1982 veröffentlichte Studie des Planungsstabes im Bundeskanzleramt unter dem Titel „Überlegungen zu einer außen-/gesellschaftspolitischen Kontroverse“, in der eingangs festgestellt wurde: „Es ist aus sachlichen, wahlpolitischen und koalitionspolitischen Gründen sinnvoll und notwendig, in der außenpolitischen Diskussion der nächsten Zeit neue und kontroverse Akzente zu setzen."

  3. So betonen z. B.der amerikanische Präsident und sein Außenminister immer wieder, die amerikanisch-europäischen Beziehungen seien nie besser gewesen als in der Zeit seit ihrem Amtsantritt.

  4. So z. B. Henry Kissinger: „ 1t seemed to me that Brandts new Ostpolitik, which looked to many like a progressive policy of quest for dötente, could in less scrupulous hands turn into a new form of classic German nationalism. From Bismarck to Rapallo it was the essence of Germanys nationalist foreign policy to maneuver freely between East and West“ In:

  5. Die Sorge dieser Beobachter über destabilisierende und bündnisfeindliche Tendenzen in der Bundesrepublik geht gelegentlich so weit, daß sie un-verblümt auf die zwei Zweckbestimmungen der NATO bei ihrer Gründung hinweisen: neben der gemeinsamen Verteidigung gegen die Sowjetunion der gemeinsame Schutz vor Deutschland durch dessen Einbindung in das Bündnis. Dies kann dann auch als Argument gegen den Rückzug amerikanischer Trappen aus der Bundesrepublik angeführt werden.

  6. Wie vielfältig und z. T. widersprüchlich die Bestimmung dessen, was Entspannung ist, sein kann, belegen und beklagen fast alle jüngsten Veröffentlichungen zu diesem Thema. Auf deutscher Seite sind hierbei vor allem zu nennen: Wilfried von Bredow, Die Zukunft der Entspannung, Köln 1979; Deutsche Gesellschaft für Friedens-und Konfliktforschung (Hrsg.), DGFK-Jahrbuch 1979/80. Zur Entspannungspolitik in Europa, Baden-Baden 1980; Josef Füllenbach und Eberhard Schulz (Hrsg.), Entspannung am Ende? Chancen und Risiken einer Politik des Modus vivendi, München 1980; Manfred Görtemaker. Die unheilige Allianz. Die Geschichte der Entspannungspolitik 1943— 1979, München 1979; Werner Link, Der Ost-West-Konflikt. Die Organisation der internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1980; Hans-Peter Schwarz und Boris Meissner, Entspannungspolitik in Ost und West, Köln 1979; Bernard Willms, Politische Koexistenz. Zur Theorie des Ost-West-Konflikts, Paderborn 1982.

  7. So George Kennan als „X“ in dem klassischen Artikel über die Eindämmungsdoktrin, The Sources of oviet Conduct, in: Foreign Affairs, Juli 1947, hier ziiert nach Thomas H. Etzold und John Lewis Gaddis, containment. Documents on American Policy and Strategy, 1945-1950, New York 1978, S. 86f.

  8. Siehe hierzu das im August 1948 verabschiedete Papier des Nationalen Sicherheitsrates NSC 20, U. S. Objectives With Respect to Russia, in: Etzold/Gaddis, a. a. O. (Anm. 7), S. 176.

  9. Die Überlegungen, die zu diesen Maßnahmen führten, waren niedergelegt in dem Papier des Nationalen Sicherheitsrates NSC 68, das im Frühjahr 1950 von Paul Nitze (dem damaligen Leiter des Planungsstabes im State Department und heutigen Chefunterhändler bei den INF-Verhandlungen in Genf) erarbeitet worden war. Dieses grundlegende, erst 1975 zur Veröffentlichung freigegebene Dokument ist abgedruckt in Etzold/Gaddis, a. a. O. Einen interessanten Hintergrundbericht liefert Samuel Wells, Jr., Sounding the Tocsin: NSC 68 and the Soviel Threat, in: International Security, Herbst 1979, S. 116— 158.

  10. Das einzige, auch im Sinne der Eindämmung wichtige Ergebnis der ersten Entspannungsphase nach dem Tode Stalins 1953 war der Rückzug der Sowjetunion aus Österreich. In dem entsprechenden Staatsvertrag von 1955 mußte Österreich allerdings seine Neutralität erklären und auf jegliche Vereinigungsansprüche an Deutschland verzichten.

  11. Bemerkenswerterweise bestand zwischen dem teilweisen Teststopp-Abkommen von 1963 und einer Lieferung größerer Mengen amerikanischen Getreides an die Sowjetunion ein direkter Zusammenhang; es könnte sich hierbei erstmals um die erfolgreiche Anwendung eines wirtschaftlichen Anreizes gehandelt haben.

  12. Als grundlegende politische Frage wurde die Deutschlandfrage bezeichnet, ohne deren Lösung eine endgültige und stabile Regelung in Europa nicht möglich" sei: „Jede derartige Regelung muß me unnatürlichen Schranken zwischen Ost-und Westeuropa beseitigen, die sich in der Teilung Peutschlands am deutlichsten und grausamsten offenbaren."

  13. Für eine interessante Darstellung der ursprünglichen Kritik Kissingers am Konzept der Eindämmung und seiner späteren Bekehrung zu eben dieser Doktrin siehe William G. Hyland, Soviet-American Relations: A New Cold War?, Santa Monica 1981, S. 21-33.

  14. Hyland, einst Kissingers engster Mitarbeiter, argumentiert wohl zu Recht, wenn auch überraschend: Jt is frequently charged that dötente relied greatly on a „web of interlocking bilateral agreements that would tie down the Soviet . Gulliver'. This is nonsense; no one involved in this period believed that the bilateral agreements (except SALT and trade) were more than Ornaments.“ in: a. a. O., Anm. 4, S. 25. In der Tat sah Kissinger in den Wirtschaftsbeziehungen das Hauptinstrument zur Einbindung der Sowjetunion, wie er auch in seinen Memoiren mehrfach betont; in den Jahren seiner Amtszeit war dies jedoch nicht immer so deutlich zu hören gewesen.

  15. Die detaillierteste Darstellung seiner entspannungspolitischen Konzeption ist Kissingers Vortrag vor dem Außenpolitischen Ausschuß des Senats am 19. September 1974 mit dem Titel „The Process of Dtente". Die damit verbundenen Hearings wurden vom Senate Foreign Relations Committee unter dem Titel Dtente veröffentlicht.

  16. Noch in seinen Memoiren scheint Kissinger geteilter Meinung über den Wert der (hauptsächlich von ihm ausgearbeiteten) Prinzipienerklärung zu sein. So schreibt er zwar an einer Stelle, er hätte selbst bei seiner sprichwörtlichen Eitelkeit nicht geglaubt, „that history would remember a set of principles so watered down as to be equally acceptable to the principal capitalist and the strongest Communist state." An anderer Stelle argumentiert er jedoch, für ihn habe sie „a repudiation of the Brezhnev Doctrine for Eastern Europe“ bedeutet (wobei er allerdings den operativen Satz von Prinzip 11 falsch zitiert: „Both sides renounced any Claim for special Privileges in any part of the world" und nicht, wie es richtig — und anders! — heißt: „in world affairs") Siehe in: a. a. O. (Anm. 4), S. 1 150f.

  17. Siehe zu diesen Entwicklungen, in deren Mittelpunkt die Watergate-Affäre stand, Gebhard Schweigler, Von Kissinger zu Carter. Entspannung im Widerstreit von Innen-und Außenpolitik, 1969— 1981, München 1982.

  18. Für das Argument, daß auch die deutsche Entspannungspolitik bereits 1974 einen toten Punkt erreicht und seitdem das Eindämmungsdenken überwogen habe, siehe Hans-Peter Schwarz, Supermacht und Juniorpartner: Ansätze amerikanischer und westdeutscher Ostpolitik, in: Schwarz/Meissner, a. a. O. (Anm. 6), S. 185ff.

  19. So sieht z. B. die SPD in der Verfolgung ihrer Ostpolitik einen wichtigen Pfeiler ihrer innenpolitischen Legitimation und in amerikanischen entspannungsfeindlichen Maßnahmen den Versuch, die sozialliberale Koalition zu stürzen. In Frankreich gab es jahrelang ein wechselseitiges Wohlverhalten gegenüber der Sowjetunion, demzufolge die Rolle der kommunistischen Partei in Frankreich von der Sowjetunion unter Kontrolle gehalten wurde, während Frankreich sich gegenüber der Sowjetunion zurückhielt bzw. kooperationsbereit zeigte. Erst die für die Sowjetunion unerwartete Wahl Mitterrands beendete diesen Prozeß gegenseitiger Rücksichtnahme.

  20. Mitterrand leitete eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben ein, befürwortete die Nachrüstung der NATO und begann eine vorsichtige Wiederannäherung an die Allianz. Siehe hierzu Michel Tatu, Frankreich und die deutsche Friedensbewegung, in: Dokumente, Dezember 1981, S. 300— 307.

  21. Dies trifft z. B. für das Erdgas-Röhren-Geschäft zu, über das Hans-Jürgen Wischnewski kürzlich ausführte: „Aber für mich ist es von entscheidender Bedeutung, eine Zusammenarbeit über das Jahr 2000 hinaus vertraglich zu vereinbaren, wenn auf beiden Seiten bereits die nächste Generation in die politische Verantwortung hineinwächst... Diesen Nagel einzuschlagen für eine Zusammenarbeit, nicht nur über geographische, sondern auch über ideologische Grenzen hinweg, ist für mich die entscheidende Frage. Das kann ein Amerikaner aus seiner geographischen und seiner anderen Interessenlage heraus überhaupt nicht so sehen, wie das bei uns zwangsläufig der Fall ist." Aus einem Interview in: Die Neue Gesellschaft, März 1982, S. 216.

  22. Der gelegentliche Hinweis, ohne die Entspannung wäre es nie zu den Reformbewegungen in Polen gekommen, muß angesichts der Unterdrückung, die die Entspannung nicht verhindern konnte, in den USA in der Tat befremdlich wirken.

  23. In den USA formierte sich eine Koalition liberaler Kräfte, die grundsätzlich an der Durchsetzung von Menschenrechten (auch in den USA selbst: die Verknüpfung mit der Bürgerrechtsbewegung war hier sehr eng) interessiert war, mit eher konservativen Gruppen, die in der Menschenrechtsproblematik entweder einen Hebel zur inneren Schwächung des sowjetischen Regimes oder aber zur Aufhebung der Entspannungspolitik sahen. Diese Koalition setzte mit überwältigenden Mehrheiten entsprechende Gesetzesbestimmungen durch, die den Handlungsspielraum der Exekutive entscheidend einengten.

  24. Im Gegensatz zu manchen gängigen Darstellungen machten die Amerikaner mit dem Jackson-Vanik-Amendment die Erfahrung, daß man mit den Sowjets über Menschenrechtsprobleme verhandeln konnte und daß die Sowjets im Austausch für Handelszugeständnisse bereit waren, ihrerseits Zugeständnisse zu machen: die Zahl der Ausreisegenehmigungen erhöhte sich bis 1979 auf 51 000 pro Jahr, als der Abschluß des sowjetisch-amerikanischen Handelsabkommens (das von den Sowjets aus erster Verärgerung über Jackson-Vanik im Januar 1975 gekündigt worden war) in Aussicht stand. Erst die Ereignisse in Afghanistan ließen das Handelsabkommen einmal mehr scheitern, woraufhin auch die Auswanderungszahlen drastisch zurückgingen.

  25. Über die in der Carter-Administration entwikkelten Vorstellungen hinsichtlich der Vorrangigkeitwirtschaftlicher Maßnahmen bei der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion gibt am zuverlässigsten Auskunft Samuel Huntington, Trade, Tech

  26. Wichtig war ferner, daß die Glaubwürdigkeit amerikanischer Sanktionsandrohungen nicht nur gegenüber der Sowjetunion deutlich gemacht werden mußte. Dies betraf zu diesem Zeitpunkt vor allem den Iran, wo Angehörige der amerikanischen Botschaft bereits seit mehreren Wochen als Geiseln festgehalten wurden. Eine ähnliche Verknüpfung hatte im übrigen auch Kissinger schon zuvor betont, als er z. B. amerikanische Standfestigkeit in Vietnam mit amerikanischem Einfluß im Nahen Osten in Verbindung brachte.

  27. Siehe hierzu z. B. Robert E. Osgood, The Revitalization of Containment, in: Foreign Affairs, 3/1981 (Sondernummer über America and the World 1981), und Manfred Görtemaker, Auferstehung des Containment. Die Politik der USA gegenüber der Sowjetunion nach den Präsidentschaftswahlen 1980, in: Osteuropa, Juni 1981. Zu den außenpolitischen Überlegungen der Reagan-Administration siehe ferner auch die Beiträge von Görtemaker, von Bredow/Brocke, Herz und Rühle in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 8. August 1981; Christian Hacke, Die Außenpolitik der Regierung Reagan im Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 3. April 1982; und Gebhard Schweigler, Die Präsidentschaft Reagan: ein neuer Anfang, in: Europa-Archiv, 10. Mai 1981.

  28. In amerikanischen Kommentaren wird das sowjetische Einhalten der SALT-Verträge gelegentlich in Frage gestellt; auch Außenminister Haig warf jüngst der Sowjetunion vor, sie habe „in beispiellosem Maße" Raketentests vorgenommen (siehe „Haig wirft Moskau Doppelzüngigkeit vor", in: Süddeutsche Zeitung, 21. Juni 1982, S. 5). Solche Äußerungen dienen einerseits dazu, die Sowjetunion zur Einhaltung der SALT-Bestimmungen aufzufordern, andererseits aber auf deren problematischen Charakter hinzuweisen.

  29. Henry Kissinger warnte jüngst die Europäer, es sei kurzsichtig, wegen eigener wirtschaftlicher Vorteile ein feindliches und aggressives System zu unterstützen; denn: „a mounting tide of radicalism and insecurity in the world — inevitably encouraged or abetted by a growth of Soviet power unrestrained by some agreed code of conduct — will sooner or later compound all economic difficulties as well.“ Siehe „Trading with Russia. A Political Strategy for Economic Relations", in: The New Republic, 2. Juni 1982,

  30. Siehe z. B. die Rede von Sicherheitsberater William Clark vom 21. Mai 1982, in der er verkündete: „We must also force our principal adversary, the Soviet Union, to bear the brunt of its economic shortcomings“, und gleichzeitig die Hoffnung vertrat: „that with an active yet prudent national security policy, we might one day convince the leadership of the Soviet Union to turn their attention inward, to seek the legitimacy that only comes from the consent of the governed, and thus to adress the hopes and dreams of their own people." (Zitiert nach Wireless Bulletin from Washington, 24. Mai 1982, S. 4, 8.)

  31. „Prevailing with pride“ sei, nach Aussage eines Mitarbeiters des Nationalen Sicherheitsrates, das grundlegend neue Element der amerikanischen Sicherheitspolitik. Siehe Reagans New Policy Seeks to Prevail Over Kremlin, Adviser Says, in: International Herald Tribune, 18. Juni 1982.

  32. Siehe z. B. folgende Passage aus Präsident Reagans Eureka-College-Rede vom 9. Mai 1982: »Both the current and the new Soviet leadership should realize aggressive policies will meet a firm Western response. On the other hand, a Soviet leadership devoted to improving its people’s lives, rather than expanding its armed Conquests, will find a sympathetic partner in the West. The West will respond with expanded trade and other forms of Cooperation, but all this depends on Soviet actions" (Zitiert nach Wireless Bulletin, 10. Mai 1982.)

  33. Siehe z. B. Mitterrand Rejects U. S. Campaign For Economic War Against Russia, in: International Herald Tribune, 16. Juni 1982.

  34. Das von Reagan aus innenpolitischen Gründen aufgehobene Getreideembargo Präsident Carters dient den Europäern als Hauptargument gegen die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Einschränkungspolitik. Die Europäer weisen zu Recht darauf hin, daß die Sowjetunion ohne die Deviseneinnahmen aus dem Handel mit dem Westen die Getreideeinkäufe nicht tätigen könnte und daß diese Lieferungen im übrigen dazu beitragen, daß die Sowjetunion von schwierigen landwirtschaftlichen Problemen entlastet wird. Eine Verknüpfung der Getreidelieferungen mit sowjetischem Wohlverhalten fand nicht statt (ist allerdings — nicht zuletzt unter dem Druck der europäischen Argumente — in Zukunft nicht auszuschließen).

  35. Wie bestimmt die Reagan-Administration eine Politik der kleinen Schritte, wie sie einst auf dem Höhepunkt der Entspannungspolitik eingeleitet worden war, ablehnt, geht auch aus der Tatsache hervor, daß die USA sich aus den mehr als 50 amerikanisch-sowjetischen Kooperationsvereinbarungen im wissenschaftlich-technischen-medizinischen Bereich zurückziehen (z. B. aus dem Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxen-burg, aus der gemeinsamen Weltraumerforschung, aus Tiefbohrprojekten und dergleichen mehr).

  36. Zum Erreichen der „wirklichen Entspannung" sind gemäß der „Bonner Deklaration" folgende Voraussetzungen notwendig: Es „muß die Souveränität aller Staaten, unabhängig von ihrer geographischen Lage, geachtet werden, dürfen die Menschenrechte nicht der Staatsräson geopfert werden, muß freier Gedankenaustausch an die Stelle einseitiger Propaganda treten, muß Freizügigkeit der Menschen erreicht werden, müssen Bemühungen um ein stabiles und offenes militärisches Verhältnis unternommen werden und müssen generell alle Prinzipien und Bestimmungen der Schlußakte von Helsinki in ihrer Gesamtheit angewandt werden." (Zitiert nach Süddeutsche Zeitung, 11. Juni 1982, S. 9.) Mit dieser sehr weitreichenden Definition wurde den USA die Möglichkeit gegeben, die entspannungspolitischen Vorstellungen vor allem der Bundesrepublik in Frage zu stellen.

Weitere Inhalte

Gebhard Schweigler, Ph. D. (Harvard), geb. 1943, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Veröffentlichungen u. a.: Nationalbewußtsein in der BRD und der DDR, 1973 (National Consciousness in Divided Germany, 1975); International Studies in the Federal Republic of Germany, 1975; Politikwissenschaft und Außenpolitik in den USA, 1977; Von Kissinger zu Carter. Entspannung im Widerstreit von Innen-und Außenpolitik 1969— 1981, 1982.