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Deutsche Entwicklungspolitik vor der Wende? | APuZ 23/1983 | bpb.de

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APuZ 23/1983 Deutsche Entwicklungspolitik vor der Wende? Verschuldungskrise der Dritten Welt? Der Internationale Währungsfonds — Krisenmanager für die Dritte Welt? Funktionsweise, Machtverhältnisse und entwicklungspolitische Konsequenzen der IWF-Stabilisierungspolitik Nichtstaatliche Entwicklungsträger auf dem Vormarsch?

Deutsche Entwicklungspolitik vor der Wende?

Christian Heimpel

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit deutet sich eine Wende an, die keineswegs nur auf den Regierungswechsel in Bonn zurückzuführen ist: Die anhaltende Wirtschaftskrise sowie das Wiederaufleben der Ost-West-Spannungen zwingen auch in anderen westlichen Ländern zu neuem Nachdenken. Die schwierige Haushaltslage erfordert die Konzentration der Hilfe auf prioritäre Bereiche. Dies führt auf die alte Frage nach den Kriterien für die Allokation von Hilfe und dem relativen Gewicht legitimer politischer und wirtschaftlicher Eigenziele des Westens sowie, angesichts des komplementären Charakters der Hilfeleistungen, nach den vom Nehmerland zu erwartenden Eigenanstrengungen. Genau wie Außen-und Außenwirtschaftspolitik reflektiert auch Entwicklungspolitik den inneren Zustand eines Landes. Kein Land kann mehr geben, als es hat z. B. an Ressourcen-transfer, technischem Know-how, Beiträgen zu globalen Problemlösungen, Marktchancen etc. Wenn die These richtig ist, daß die Bundesrepublik sowohl hinsichtlich der technisch-wissenschaftlichen Innovationsdynamik als auch ihres ordnungspolitischen Grundkonsenses hinter den Herausforderungen der modernen Weltgesellschaft zurückbleibt, hat eine grundsätzliche Neukonzeption der deutschen Hilfe kein Fundament. Der Verfasser empfiehlt eine Art Doppelstrategie: Langfristig eine Ausrichtung des gesamten wirt-i Schafts-und gesellschaftspolitischen Instrumentariums (einschließlich der internationalen Zusammenarbeit) auf neue europäische und globale Probleme und Zusammenhänge, kurzfristig eine operative Effizienzsteigerung der deutschen Hilfe im Rahmen der bestehenden und teilweise bewährten, aus vorhergehenden Legislaturperioden übernommenen entwicklungspolitischen Konzeption.

I. Die entwicklungspolitische Großwetterlage

Die entwicklungspolitische Großwetterlage ist seit einiger Zeit düster. 1981 und 1982 waren für die bilaterale und multilaterale Zusammenarbeit magere Jahre, 1983 wird dies nicht anders sein. Die internationale Konferenzmaschinerie läuft zwar weiter, aber nach den mageren Ergebnissen von Cancun und jetzt wieder der Blockfreien-Konferenz in Neu Delhi sind auch von der 6. Welthandels-Konferenz in Belgrad im Mai wirklich neue Impulse nicht zu erwarten. Ähnlich zurückhaltend sind die Aussichten für Lom III im nächsten Jahr zu beurteilen.

Auch in der Bundesrepublik ist Entwicklungspolitik ein weniger attraktives Geschäft geworden. Dies nicht nur, weil die Haushalts-ansätze auch in diesem Bereich Kürzungen unterliegen, sondern weil es auch schwieriger wird, die Zusammenarbeit mit der Dritten Welt und steigende Hilfeleistungen der Öffentlichkeit sinnfällig zu machen. Trägt nicht vieles, was in der Dritten Welt geschieht, zur Bedrohung der westlichen Industrieländer bei — Kriege, Verschuldungskrisen, Konkurrenz um Produktmärkte und um Arbeitsplätze? Beginnen sich nicht auch die aufgeklärten Insider der Entwicklungspolitik zu fragen, was per Saldo an Erfolgen der Hilfe für die Entwicklungsländer in den letzten 25 Jahren wirklich erreicht worden ist?

Sowohl auf der internationalen als auch auf der einzelstaatlichen Ebene werden die für Zusammenarbeit zur Verfügung stehenden Mittel geringer; es wächst eine Art „development fatigue". Diese Haltung der Industrieländer ist allerdings in sich widersprüchlich. Die Neigung zu kurzfristigen Reaktionen, wenn es gar nicht mehr anders geht, wächst parallel zur Erkenntnis, daß die eigenen Schwierigkeiten durch Strukturprobleme der Weltwirtschaftsordnung mitbedingt, also nur unter Einbeziehung der Dritten Welt in einer langfristigen Perspektive zu lösen sind. Trotzdem handelt man nur noch unter Zugzwang. Ein Beispiel hierfür sind die jüngsten Entscheidungen im Rahmen des internationalen Schuldenmanagements. Hier ist ein massiver Ressourcentransfer in die Dritte Welt erfolgt, den man noch vor drei Jahren, als die Nord-Süd-Kommission ihren Bericht vorlegte, gerade in der Bundesrepublik mit großem intellektuellen Aufwand vehement kritisiert hatte. Diese Bedenken sind angesichts eines drohenden internationalen Bankkrachs offensichtlich sehr schnell zurückgestellt worden. Eine flexiblere Haltung der OECD-Länder wäre angebracht. Denn es ist unübersehbar, daß die Entwicklungsländer im Hinblick auf die Welthandelskonferenz in Belgrad und für Lom III im nächsten Jahr eine gegenüber den siebziger Jahren um vieles pragmatischere Haltung einnehmen. Dies schafft Raum für Entgegenkommen unsererseits dort, wo es für alle sinnvoll ist (z. B. im Bereich der internationalen Liquidität).

II. Ungelöste Strukturfragen der OECD-Länder und Entwicklungspolitik

In jüngster Zeit wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Wirtschaftspolitik der Entwicklungsländer selbst eine Hauptursache für ihre Schwierigkeiten sei. Das mag in vielen Fällen richtig sein, ist aber allenfalls die halbe Wahrheit Denn erstens klingt dieser Hinweis schon allein angesichts der für die Entwicklungsländer ungünstigen Preisentwicklungen auf den Weltrohstoffmärkten leicht pharisäerhaft und zweitens ist unübersehbar, daß die gegenwärtige entwicklungspolitische Problematik auch in der Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung der westlichen Industrieländer liegt

Außen-und Außenwirtschaftspolitik, aber auch Entwicklungspolitik reflektieren immer auch binnengesellschaftliche Wertvorstellungen. Sowohl bei den Zielen als auch den Wegen sind wir indessen unsicher geworden. Wachstum wird in Frage gestellt nicht nur wegen der Ambivalenz des wachstumsschaffenden technischen Fortschritts im Hinblick auf die Lebensqualität, sondern auch wegen der abnehmenden Attraktivität des dritten Kühlschranks. Das Grundprinzip unserer Wirtschaftsordnung, die soziale Marktwirtschaft, steht unter Belastungen bei beiden Komponenten: der öffentlichen Wohlfahrt und dem freien Markt. Die Krise ist prognostizierbar, doch theoretisch fundierte Lösungswege fehlen. In welche Richtung aber soll sich Entwicklungspolitik „wenden", wenn die Gesellschaft, die diese Politik tragen soll, keine Konzeption für ihre eigene Zukunft hat?

Die Bundesrepublik steht im internationalen Vergleich, zumindest statistisch gesehen, sicherlich noch relativ gut da. Sie hat ihre Halbfertig-und Fertigwarenimporte aus der Dritten Welt zwischen 19. 76 und 1981 von 11 auf 20 Milliarden DM erhöht und 1982 für 1 Milliarde DM mehr aus Nicht-OPEC-Entwicklungsländern ein-als in diese Länder ausgeführt. Sollte der Konjunkturaufschwung bei hoher struktureller Arbeitslosigkeit schwach bleiben oder sich in die andere Richtung verkehren, wird diese Stellung sich nicht halten lassen. Denn die lohnbedingten Kostennachteile der Bundesrepublik werden keineswegs durchgängig durch entsprechende Vorsprünge in Arbeitsproduktivität, Qualität und Marketing ausgeglichen; im Gegenteil wird die Palette der Produkte breiter, bei denen die Niedriglohnländer sich in dieser Hinsicht dem deutschen Niveau nähern. Je langsamer unsere Entwicklung in Richtung auf Steigerung der Innovationsgeschwindigkeit, der Arbeitsproduktivität und offensiverer Absatzpolitik ist, um so mehr geraten wir vor die Alternative „wachsende Arbeitslosigkeit oder Protektionismus", und um so utopischer wird die legitime Forderung nach einer langfristig orientierten Politik der Wiederbelebung der Weltwirtschaft einschließlich des vorausschauenden Ausbaus unserer Märkte in der Dritten Welt.

III. Ausgangsdaten für die deutsche Entwicklungspolitik der achtziger Jahre: Wirtschaftskrise, Ost-West-Spannungen und neue entwicklungspolitische Weichenstellungen

Die weltweite Wirtschaftskrise hat zunächst die Wirkung, das Volumen des Ressourcen-transfers zu begrenzen — sowohl bei der öffentlichen Hilfe als auch bei den Privatinvestitionen — und die Exporteinnahmen der rohstoffexportierenden Entwicklungsländer mit den bekannten Auswirkungen auf ihre Importkapazität zu verringern. Angesichts der hohen Verschuldung führt dies zu restriktiven Eingriffen mit der Gefahr weltweiter zyklischer Abwärtsbewegungen. Da hilft auch die Olpreissenkung nur partiell; die Entlastung der Ölimporteure führt angesichts der alten Schulden nicht sofort zu entsprechend steigenden Einfuhren, dagegen sinken die Importe der Ölexporteure sehr rasch.

Im übrigen ist die Wirtschaftskrise nicht ausschließlich durch hohe ölpreise und Kapitalzinsen bedingt, sondern zum großen Teil hausgemacht, auch im Norden. Die internen Krisenursachen etwa in der Bundesrepublik — Verlust der Innovationsdynamik, institutioneile Trägheitsmomente für die Struktur-anpassung, ordnungspolitische Ratlosigkeit — grenzen die Attraktivität unseres Angebots an die Dritte Welt qualitativ und quantitativ immer stärker ein. Dies gilt für den privaten und öffentlichen Ressourcentransfer genauso wie für Absatzmärkte oder neue, in der Dritten Welt hilfreiche Technologien. Es wird Zeit, sich nicht nur zu fragen, wie sich die Entwicklungsländer verhalten sollten, damit unsere Kooperationsangebote sinnvoll genutzt werden können, sondern was wir überhaupt noch anzubieten haben.

Die zweite wichtige Ausgangsposition für die künftige Entwicklungspolitik der OECD-Länder und ganz besonders der Bundesrepublik Deutschland ist zweifellos die Verhärtung des Ost-West-Verhältnisses und die Tendenz auch der westlichen Führungsmacht, die Zusammenarbeit mit der Dritten Welt stark unter dem Gesichtspunkt der Eindämmung des kommunistischen Machtbereichs zu sehen („Neo-Containment"). Es ist hier nicht der Ort, die Sinnhaftigkeit dieser Politik zu diskutieren. Immerhin gibt zu denken, daß die Dritte-Welt-Politik der Regierung Reagan in den USA selbst mit ausdrücklichem Hinweis auf die flexiblere Haltung der Bundesrepublik gegenüber Entwicklungsländern mit anderen politischen Systemen und ihre erfolgreiche Politik der Unterstützung der Blockfreiheit in Frage gestellt wird. Festzuhalten ist hier, daß die Entwicklungspolitik der USA unabhängig davon, wie sie von uns beurteilt wird, ein we sentliches Element bei der Konzeption der deutschen Entwicklungspolitik sein muß. Denn erstens spielen die USA im multilateralen Bereich vom finanziellen Volumen und, zumindest bei den Bretton-Woods-Institutionen, von der personellen Präsenz her eine dominierende Rolle. Ihre Entscheidung, die sechste Aufstockung der Weltbanktochter IDA in vier statt drei Jahresraten vorzunehmen, hat diese Institution an den Rand der Illiquidität gebracht. Zweitens kann man die Entwicklungspolitik nicht isoliert von den anderen Bereichen der Außenpolitik sehen, in denen es in Zukunft durchaus Meinungsverschiedenheiten geben könnte. Will man mit den USA auch noch im Zusammenhang mit Zentralamerika und anderen Bereichen der Entwicklungspolitik Ärger haben, wenn der Interessenausgleich schon bei den Abrüstungsfragen so schwierig ist? Drittens hat die neue Bundesregierung auch in der Entwicklungspolitik neue Wegmarken gesetzt, wenn auch wesentliche Komponenten aus den vorhergehenden Legislaturperioden übernommen wurden, z. B. das große Gewicht der ärmsten Länder bei der Hilfe oder die Priorität für die ländliche Entwicklung. Andererseits gibt es durchaus neue Positionen, die mit dem Hinweis auf die institutionell gegebene Langfristigkeit der Hilfe, also auf die Länge der „Pipeline“ für Projekte und das für den BMZ-Haushalt typische weite Verhältnis von Verpflichtungsermächtigungen und Barmitteln, keineswegs irrelevant werden. Denn die Regierung hat in der bilateralen Zusammenarbeit nicht nur politischen Spielraum bei neuen Regierungsverhandlungen, sondern auch bei der Planung von Einzelprojekten oder der Weiterführung laufender Vorhaben. Was deutet sich an?

IV. Weichenstellung der neuen Regierung

Erstens hat die Bundesregierung die Absicht, Entwicklungspolitik in Zukunft stärker den wirtschaftlichen und politischen Eigeninteressen der Bundesrepublik Deutschland sowie sicherheitspolitischen Interessen des westlichen Bündnisses unterzuordnen. Dies ist an sich keine grundsätzliche Kehrtwendung, denn natürlich war Entwicklungspolitik immer auch Interessenpolitik, wenn auch große Unterschiede hinsichtlich der inhaltlichen Definition dieser Interessen und hinsichtlich der Fristen bestehen, in denen man direkte oder indirekte Ergebnisse erwartete. Wenn auch Lieferbindung, die entwicklungspolitische Variante des Protektionismus, nicht zum generellen Prinzip gemacht wird, soll eine aktivere Projektfindungspolitik, also eine gewisse Relativierung des Antragsprinzips, sowie eine Art De-facto-Lieferbindung besonders zugunsten sensibler deutscher Export-zweige unsere Wirtschaftsinteressen berücksichtigen — wo immer möglich.

Eine solche Position ist weniger unmoralisch — es gibt größere Sünder — als wirtschaftspolitisch fragwürdig. Warum etwas zu einem Prinzip machen, das man auch so bekommt? Denn jede Entwicklungshilfe, ob liefergebunden oder nicht, kommt als Nachfrage auf die deutsche Wirtschaft zurück. Kaufen die Ivorer für eine ungebundene deutsche Kapital-hilfe französische Waren, geht der Anspruch auf einen Teil des deutschen Volksvermögens an Frankreich über und wird entweder in Form eines deutschen Exports nach Frankreich ausgeglichen, oder bleibt als Forderung stehen, wirkt also wie ein Kredit an die Bundesrepublik. Insofern bringt Lieferbindung lediglich eine Verkürzung der Rücklauffrist und eine branchenmäßige Festlegung der Rückwirkung. Damit unterliegt die Lieferbindungsfrage aber genau der strukturpolitischen Gegenargumentation unter mittelfristigen Gesichtspunkten, wie die Maßnahmen der traditionellen Zollprotektion oder branchenspezifische Subventionen. Wenn schon eine stärkere kurzfristige Berücksichtigung spezifischer deutscher Wirtschaftsinteressen angestrebt wird, dann sollte dies besser durch eine aktive Förderung und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Privatunternehmen geschehen, z. B. über Mischfinanzierung, Investitionsförderung (DEG), Exportkredite, Bürgschaften, Investitionsschutz für mittelständische Unternehmen, d. h. durch flankierende Maßnahmen, bei denen der Unternehmer zwar Starthilfe und Schutz vor Enteignungen bekommt, sich dann aber in der Konkurrenz vor Ort bewähren muß. Ausnahmen bei strukturschwachen Branchen (Schiffbau) bestätigen die Regel.

Was die Zusammenarbeit von staatlicher Entwicklungspolitik mit der Privatwirtschaft betrifft, sind also Grenzüberschreitungen in die falsche Richtung zu vermeiden. Sicherlich sollte die Bundesregierung gegenhalten, wenn etwa beim Patent-und Lizenzrecht, im Rahmen der Kodizes für multinationale Unternehmungen oder beim Technologietransfer die notwendigen Rahmenbedingungen des Marktes durch fortschreitende Bürokratisierung der Weltwirtschaft zerstört werden.

Aber eine Instrumentalisierung der Entwicklungshilfe im Sinne der Privatwirtschaft läuft auf Protektionismus mehr oder weniger indirekter Art hinaus.

Im übrigen ist es fragwürdig und in der Argumentation gegenüber der steuerzahlenden Öffentlichkeit unter Umständen kontraproduktiv, die so notwendige Verteidigung des BMZ-Haushalts mit dem Hinweis auf die binnenwirtschaftlichen Beschäftigungs-und Nachfragewirkungen »(„ 1 DM Entwicklungshilfe schafft 1, 15 DM Nachfrage nach Gütern und Leistungen aus Deutschland") der Hilfe zu versuchen. Denn entscheidend sind nicht die Rückflußanteile, sondern die dynamischen (im Keynes'schen Sinne multiplikativen) Nachfragewirkungen im Verhältnis zu alternativen Verwendungsmöglichkeiten öffentlicher Transfers. Arbeitsplätze und Nachfrage können auch geschaffen werden, wenn die Renten steigen, die Bundeswehr mehr Gerät kauft, die Ausgaben für den Umweltschutz erhöht werden, die Schüler wieder BAföG erhalten oder das Geld den Bürgern gar nicht erst weggesteuert wird.

Zweitens deutet sich eine Akzentverschiebung der Hilfe im Sinne der stärkeren Förderung marktwirtschaftlicher Ansätze in der Dritten Welt an. Dies wird sich vermutlich in den regionalen und sektoralen Prioritäten niederschlagen: Förderung marktwirtschaftlich orientierter Entwicklungsländer und solcher Wirtschaftsbereiche, die außerhalb der staatlichen Bürokratien privatwirtschaftliche Dynamik entfalten, z. B. Handwerk, gewerblicher Mittelstand und nach wie vor die bäuerliche Landwirtschaft. Gegen eine solche Linie ist zunächst nichts einzuwenden, wenn die oft schmerzlichen Lehren der sechziger Jahre, z. B. im Bereich der Förderung von Gewerbeschulen, nicht vergessen und Begriffe wie „Mittelstand" ausreichend flexibel verwandt werden. Auch ist eine klare Entscheidung für eine ordnungspolitische Grundlinie der Entwicklungspolitik besser als die destruktive Ratlosigkeit derer, die in der Übertragung von westlichen Denkmodellen auf die Dritte Welt den Kern allen Übels sehen, ohne auch nur andeuten zu können, wie eine völlig autochthone, von externen Einflüssen befreite Wirtschaftsordnung z. B. in Afrika eigentlich aussehen könnte. Entwicklung vollzog sich auch in Deutschland auch durch „importierte“ Gedanken und politische Systeme — eine eigenständige Kultur entsteht durch Austausch und Verarbeitung, durch Integration von Eigenem und Fremden, nicht durch Abgrenzung oder gar das Wiederfinden verlorener Paradiese.

Vor Einseitigkeit ist indessen zu warnen. In Entwicklungsländern hat der Staat oft Funktionen auszuüben, die bei uns der Privatwirtschaft oder pluralistischen Institutionen überlassen bleiben können. Dies ist von Land zu Land verschieden. Differenzierung ist auch in sektoraler Hinsicht nötig. Die Engpässe der Entwicklung können an unterschiedlichen Stellen liegen; oft liegen sie nicht da, wo ein Geberland von seinen Kapazitäten her wirklich helfen kann. Da die Sektoren einer Volkswirtschaft untereinander arbeitsteilig verflochten sind, stellt jeder Sektor die Grenzen für die Entwicklung des anderen; und es ist oft eher eine Frage der Mode, was man gerade als „Schlüsselsektor" herausgreift: Infrastruktur, Erziehung, Industrie, Landwirtschaft, Dienstleistungssektor, soziale Dienste, gewerblicher Mittelstand etc. Jeder dieser Sektoren ist in der entwicklungspolitischen Diskussion schon einmal en vogue gewesen, und jedesmal mit guten Argumenten. Nur heißt dies noch lange nicht, daß es sinnvoll sein muß, in dem Sektor, den man als prioritär bezeichnet hat, auch die Hilfe massiv einzusetzen. Wenn z. B. die Agrarentwicklung ein prioritäres Problem ist, kann die Konsequenz durchaus Förderung der urbanen Masseneinkommen durch Industrialisierung sein. Wenn ein großes Geberland wie die Bundesrepublik seine ordnungspolitischen Überzeugungen, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen der eigenen Wirtschaftsgeschichte sowie der Erfahrungen von nun immerhin bald 25 Jahren Entwicklungshilfepraxis gewachsen sind, in die Regierungsverhandlungen oder den berühmten „policy dialogue" mit einem Nehmerland mit der angebrachten Behutsamkeit einbringt, ist dies legitim. Dagegen sollte eine sektorale Prioritätenbildung der Hilfe flexibel bleiben und je nach den Befürfnissen des Landes sowie der sinnvollsten Arbeitsteilung mit anderen Gebern — auch bei der bilateralen Hilfe — erfolgen.

Drittens schließlich lassen Äußerungen der Bundesregierung erkennen, daß Kriterien der politischen Loyalität der Entwicklungsländer gegenüber der Bundesrepublik eher enger gefaßt, die seit jeher beachteten politischen Toleranzschwellen höher gelegt werden. Hier sind allerdings mit Ausnahme von Gesichtspunkten, die eher das West-West-Verhältnis betreffen als das Ost-West-Verhältnis, kaum Argumente zu finden, von der bisherigen Li- nie der deutschen Außenpolitik abzugehen, nämlich einem möglichst weitgehenden Freihalten der Entwicklungspolitik vom Ost-West-Konflikt, die Unterstützung der Block-freiheit, Toleranz gegenüber Entwicklungsländern, die einen sozialistischen Entwicklungsweg gewählt haben, restriktive Waffenexportpolitik und keine enge Orientierung der Zusammenarbeit an politischen „Wohlverhaltenskriterien". Auch müßte den Vereinigten Staaten eine deutsche Dritte-Welt-Politik, die auf unsere spezifische historische, geographische und außenwirtschaftspolitische Lage Rücksicht nimmt, plausibel gemacht werden können. Ist es nicht sinnvoll, wenn sich schon Kooperation mit dem Ostblock in der Nord-Süd-Politik nach Afghanistan als wenig realistisch erwiesen haben sollte, diesen Bereich von Spannungen dennoch freizuhalten, gerade weil die Zentralbereiche des Ost-West-Verhältnisses so spannungsträchtig sind? Zweifellos hat Entwicklungspolitik eine sicherheitspolitische Komponente bzw. eine Ost-West-Dimension. Es geht aber nicht um die Frage, ob eine Politik der „Eindämmung" grundsätzlich legitim ist oder nicht, sondern darum, wie flexibel und langfristig man sie betreibt. Mit Brachialversionen des Neo-Containment wird nur Porzel-lan zerschlagen, und wir könnten uns leicht in eine Position bringen, in der wir sehr bald auch von den Amerikanern sozusagen auf der linken Seite überholt werden. Auch liegt die Problematik nicht darin, daß der Ost-West-Konflikt in der Dritten Welt, z. B. in Form von „Stellvertreterkriegen", ausgefochten wird. Im Gegenteil: Kriegsführung ist der einzige Bereich, in dem die Dritte Welt wirklich autark zu werden scheint — und dank der Waffen aus Ost und West außerordentlich schlagkräftig. Insofern geht es nicht so sehr um ein überschwappen des Ost-West-Konflikts auf die Dritte Welt, sondern umgekehrt darum, zu vermeiden, daß die Großmächte in Auseinandersetzungen zwischen Entwicklungsländern verwickelt werden, die ihren Ursprung in ganz anderen Konfliktbereichen, jedenfalls außerhalb des Ost-West-Konflikts, haben: Territorialkonflikte traditioneller Art, Ressourcenkonflikte, Religionskriege. In dieser Optik liegt aber das Interesse beider Blöcke eindeutig darin, Interferenzen der Nord-Süd-und Ost-West-Konflikte zu vermeiden. Denn welchen Sinn hätten die komplizierten Versuche der Friedenssicherung durch bipolares Gleichgewicht der Supermächte, wenn man ein Sarajevo in der Dritten Welt befürchten müßte?

V. Aktuelle Fragen

1. Effizienz statt neue Konzeption Die Grundkonzeption der Entwicklungshilfe eines Landes entsteht nicht durch eine unilaterale Entscheidung. Sie bildet und differenziert sich auf dem Wege von „trial and error", durch Erfahrungen und gewachsene Erkenntnisse über alte Unzulänglichkeiten und neue Notwendigkeiten, sie entsteht in einer Fülle bilateraler Verhandlungen mit den Nehmer-ländern und in einem permanenten Diskussions-und Abstimmungsprozeß mit anderen westlichen Industrieländern in der OECD, der EG, bei der Weltbank, in regionalen Konsortien, Arbeitsgruppen etc. Die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik hat diese internationale Einbindung immer ebenso reflektiert wie ihre einzelstaatliche Perspektive, und ähnlich wird es auch in den kommenden Legislaturperioden sein. Akzente, Prioritäten mögen sich ändern und können von einer neuen Regierung aktiv in den internationalen Diskussionsprozeß eingebracht werden, aber ein gewisses Mindestmaß an Kontinuität ergibt sich von selbst, ob man will oder nicht.

Ein ergiebigeres Feld für eine Revision der deutschen Entwicklungszusammenarbeit als die Neuformulierung ihrer Grundsätze ist eine Verbesserung ihrer Effektivität im einzelnen. Dies bedeutet: eine sorgfältigere, härtere Prüfung der Vorhaben einschließlich der durch das Empfängerland zu schaffenden Rahmenbedingungen ex ante und ex post anhand der Kriterien, die aus den bilateral vereinbarten Zielen abgeleitet sind, und nicht aus mehr oder weniger vagen entwicklungsstrategischen Grundsätzen. Erforderlich ist eine höhere Exaktheit bei der Formulierung der Ziele der Vorhaben, denn nur so ist ihre operationale Beurteilung gewährleistet; also z. B. nicht Förderung der Landwirtschaft, sondern Steigerung der Reisproduktion in einem bestimmten Projektgebiet; nicht Beitrag zur Befriedigung von Grundbedürfnissen, sondern Versorgung von soundsoviel Familien mit Trinkwasser; nicht Aufbau des Genossenschaftswesens, sondern konkret Verringerung der Handelsspannen für Agrarprodukte. Insgesamt also Konzentration auf Programme und Projekte mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit, schnellere Entscheidung zur Einstellung der Hilfe, wenn die Ziele nicht erreicht werden können, größere Vorsicht bei allzu ambitiösen Großprojekten mit umfassenden Zielsetzungen, bei denen man oft eine Unmenge Geld ausgeben muß, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, sinnvoll Geld ausgeben zu können.

Eine Rückschau auf die letzten 20 Jahre deutscher Entwicklungshilfepraxis wäre im Hinblick auf die Frage wichtig, was eigentlich die Erfolgsbedingungen von Vorhaben waren, die nach allgemeinem Urteil auf der Geber-und Nehmerseite als „gut" gelten. Eine umfassende, aber nicht notwendigerweise sehr aufwendige Evaluierungsstudie im Sinne einer vergleichenden Analyse von Erfolgsbedingungen verschiedener Vorhaben in verschiedenen Ländern ist ein notwendiges Element der ohnehin fälligen entwicklungspolitischen Bestandsaufnahme. 2. Konditionen und Auflagen in der bilateralen Hilfe?

Auch bei der Bindung an Experten aus dem Geberland bei der Technischen und an Lieferungen im Rahmen der Finanziellen Zusammenarbeit, mehr noch natürlich bei projektgebundenen Zuwendungen ist der Erfolg der Hilfe weitgehend von Entscheidungen und Maßnahmen abhängig, die im Nehmerland getroffen werden. Daher ist die Frage der Bindung der bilateralen Hilfe an Konditionen und Auflagen, ähnlich wie dies beim IWF üblich ist, grundsätzlich legitim und insbesondere dann notwendig, wenn man eine höhere Effizienz ansteuert.

Indessen zeigen die bisweilen recht heftigen und angesichts der inzwischen sehr weitgehenden Flexibilität des IWF kaum mehr gerechtfertigten Vorwürfe gegen dessen Auflagenpolitik auch die Problematik, die im Bereich der bilateralen Zusammenarbeit eher noch größer sein dürfte. Denn erstens müßten sich die verschiedenen Geber, die in einem Lande aktiv sind, hinsichtlich der Konditionen wenigstens grundsätzlich abstimmen. Andernfalls würde ein Geber, der spezifische Konditionen vertritt, aber aus übergeordneten Gründen in einem Land präsent sein möchte, in eine schwierige Verhandlungssituation geraten. Denn immer noch konkurrieren, wenn der Gesamtrahmen einmal steht, die Budgets der Geber um die Projekte, nicht umgekehrt Angesichts der Differenziertheit der Hilfepolitik der DAC-Länder wird ein solcher Konsens um so schwieriger werden, je stärker die Hilfe an Kriterien des Eigeninteresses des Gebers gebunden wird und je strenger die Auflagen sind. Zweitens übernimmt der Geber mit den Konditionen die Last einer wachsenden Verantwortung für den Erfolg des Vorhabens insbesondere dann, wenn die Haushaltsbeiträge des Nehmerlandes im Rahmen der sogenannten „counterpart-Leistungen“ hoch sind. Diese Verantwortung kann sehr problematisch werden, insbesondere in der jeweils nächsten Verhandlungsrunde. Da ist dann das dritte Gegenargument, die Einmischung in die inneren Verhältnisse des Nehmerlandes, nicht mehr weit.

Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten, dieses Dilemma wenigstens teilweise zu lösen. Die erste wäre ein strenges Komplementaritätsprinzip, d. h. man fördert spezifische Teilbereiche von Programmen und Projekten des Nehmerlandes, die man nach den eigenen Kriterien für förderungswürdig hält, durch Hilfe dort, wo Engpässe auftreten. Hier liegt sicherlich ein vernünftiger Ansatz: Es ist zu vermuten, daß solche Projekte zu den erfolgreichsten der bilateralen Zusammenarbeit gehören. Nur sind solche Projekte nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme im Rahmen der Antragslisten.

Ein zweiter Weg bestünde entsprechend darin, bei der Projektfindung vom reinen Antragsprinzip abzugehen zugunsten einer aktiveren Angebotspolitik nach der Devise „take it or leave it". Man bietet dem Land im Rahmen der verfügbaren Mittel Projektmöglichkeiten an, die man nach den Kriterien der eigenen Kapazitäten und entsprechend der eigenen Beurteilungen der inneren Verhältnisse des Nehmerlandes für sinnvoll hält, anstatt auf Anträge zu warten. Diese Möglichkeit wäre prinzipiell die sauberste: Nur setzt sie voraus, daß der Geber sicher ist, daß das angebotene und vom Nehmer akzeptierte Projekt auch erfolgreich sein wird. Je mehr man zu einer aktiven Projektfindung übergeht, um so größer wird die Verantwortung des Gebers bei einem Fehlschlag.

Ein dritter Ansatz wäre, den Gedanken der . Länderbezogenen Hilfeprogramme" aus den frühen siebziger Jahren in einer Form wieder aufzunehmen, die die damalig aufgetretenen Probleme ausschließt und dem verringerten finanziellen Spielraum Rechnung trägt. Solche „Hilfebezogenen Länderanalysen” wären nicht nur als Hintergrund für den Dialog mit dem Nehmerland — auf der Projekt-und Sektorebene — sowie für die Abstimmung unter den bilateralen Gebern nützlich, sondern würden auch die Performance-Kriterien bei den projektungebundenen Formen der Zusammenarbeit präzisieren (Programmhilfen, Warenhilfe). 3. Neue regionale Prioritäten?

Jede neue Bundesregierung seit 1965 hat grundsätzliche Überlegungen über eine ländergerichtete Neuverteilung der Hilfe angestellt, und jede Regierung ist letzten Endes wieder auf die vielgescholtene, aber durchaus sinnvolle Gießkanne zurückgekommen. Dies ist einmal eine Folge des pluralistischen Prinzips der deutschen Entwicklungspolitik, das den großen Vorzug hat, Einseitigkeiten der politischen Orientierung zu verhindern, in welcher Richtung auch immer. Zweitens gibt es gute, aber unterschiedliche Gründe, sowohl mit Obervolta als auch mit Brasilien zu kooperieren. Drittens läßt die notwendige Kontinuität der außenpolitischen Beziehungen allzu große Änderungen in der regionalen Verteilung der Hilfe ohnehin nicht zu.

Nun schließt das Gießkannenprinzip nicht aus, daß einige Löcher in der Brause kleiner oder größer werden.. So könnte eine Steigerung der Zusammenarbeit mit europäischen Entwicklungsländern naheliegen, insbesondere mit den EG-Anwärtern Portugal und Türkei. Auch gibt es außenpolitische Prioritäten, die entwicklungspolitisch eingelöst werden müssen, wie die Stärkung stabilitätsfördernder Länder in Krisenregionen, z. B. Ägypten. Dies heißt nicht, z. B. im „Schicksalskontinent" Afrika Hilfe nach politischen Wohlverhaltens-und kurzfristigen Containment-Kriterien zu verteilen. Dies wäre sicherheitspolitisch letztlich kontraproduktiv und stünde auch im Widerspruch zu eben den breitgestreuten wirtschaftlichen Interessen, die die Bundesregierung auch entwicklungspolitisch flankieren will. Darüber hinaus dürfte der Beweis, daß die bisher geübte Liberalität gegenüber Ländern, die nicht oder nicht eindeutig „prowestlich“ sind, dem Westen geschadet und der anderen Seite genützt hat, nicht zu erbringen sein.

Im übrigen ist es immer einfacher, neue Prioritäten zu begründen, als die notwendigen Mittel durch Einschränkung an anderer Stelle freizumachen. Wo neue regionale Prioritäten plausibel sind, sollte dies nicht durch generelle „Posterioritäten" ganzer Ländergruppen, etwa der ärmsten oder der rohstoffpolitisch unattraktiven Länder oder umgekehrt der wirtschaftlich interessanten Schwellenländer etc. geschehen, sondern durch ein restriktiveres Vorgehen von Land zu Land. Hierbei sind die Ernsthaftigkeit, die Konsistenz und die Effizienz besonders auf sektoraler Ebene der Entwicklungspolitik eines Nehmerlandes wichtigere Kriterien als die immer fragwürdige Zuordnung in eine politische oder ordnungspolitische Schublade oder als die — wie gesagt — ebenso fragwürdigen kurzfristigen Interessen eines Geberlandes. Es ist auch zu erwarten, daß die Öffentlichkeit eine Orientierung der Hilfe an Effizienzkriterien durchaus honoriert. Katastrophal bei der Verteidigung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gegenüber der steuerzahlenden Öffentlichkeit wären — bei 2, 5 Millionen Arbeitslosen — berechtigte Vorwürfe der Unterstützung korrupter Regime oder der Finanzierung von weißen Elefanten. Im übrigen sollte man zur Hilfe auch in den Fällen stehen, in denen sie ausschließlich sozial motiviert ist, also z. B. bei der Katastrophenhilfe oder bei vielen Vorhaben, die zur Zeit mit dem etwas überbeanspruchten Etikett der Grundbedürfnis-orientierung gerechtfertigt werden. Zeigen nicht die nach wie vor hohen Spenden der Bevölkerung an die Kirchen, daß Hilfsbereitschaft eher eine Funktion der Gewißheit ist, daß die Hilfe auch ankommt, als das Ergebnis mehr oder weniger dünner Argumentationslinien in Richtung auf das unmittelbare Eigeninteresse? 4. Neue Hilfsformen?

Vergleicht man die Morphologie der deutschen Entwicklungshilfe 1982 mit der ihrer Gründerjahre, fällt ein erstaunlicher Formen-reichtum schon bei der bilateralen Hilfe auf: In den Grobkategorien der Finanziellen und Technischen Zusammenarbeit verbirgt sich eine Fülle verschiedener Instrumente und Hilfspakete vom traditionellen Projekt bis zur projektungebundenen Budgethilfe, vom integrierten Großvorhaben bis zum Kurzzeitexperten. Dazu kommen die bilateralen Leistungen der Bundesländer und die öffentlichen Beiträge zu den unterschiedlichen multilateralen Hilfeinstitutionen, sowie die selbstfinanzierten oder vom Staat unterstützten Leistungen nichtstaatlicher Träger von den Kirchen über die politischen Stiftungen bis hin zur Privatwirtschaft und der Forschung. Ähnlich wie bei der regionalen und sektoralen Schwerpunktbildung liegt auch hinsichtlich der Formen und Träger der Zusammenarbeit der Ruf nach Vereinfachung und „streamlining" nahe, denn diese Vielfalt stellt sich jeder neuen Regierungsmannschaft zunächst eher als Wildwuchs dar denn als sinnvolle Differenzierung. Aber auch hier hat sich eine Art Gießkannenprinzip immer wieder durchgesetzt und bewährt, denn die Komplexität von Entwicklung, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der auftretenden Probleme erfordert eben einen reichhaltigen Werkzeugkasten. So wird man nach dem Regierungswechsel im BMZ die ganze bekannte Latte der instrumentalen und institutioneilen Fragen der Entwicklungszusammenarbeit durchdeklinieren, und das ist gut so. Das geht von der Frage der Programmhilfe bis zu den sektoralen Schwerpunkten, von der Mischfinanzierung bis zu Strukturanpassungsprogrammen, von den Konditionen bis zur Frage der freien Träger, vom Stellenwert multilateraler Zuwendungen bis zum „Pipelineproblem", von den Evaluierungstechniken bis zur Organisation der Durchführung. Hier mögen sich Verschiebungen ergeben — ein neuer Gesamtentwurf wohl kaum. Die Differenziertheit jedenfalls wird bzw. sollte erhalten bleiben, denn es gibt keine generell richtigen Aussagen. In einigen Dörfern Pakistans hat die vor zehn Jahren verherrlichte, heute wegen ihrer angeblichen negativen Nebenwirkungen auf Umwelt und Sozialstruktur oft verdammte Grüne Revolution nachweislich zu gerechterer Einkommensverteilung und besserer Grundbedürfnisbefriedigung geführt. In anderen Dörfern hat sie das Gegenteil bewirkt.

Allerdings hat diese instrumentelle und institutionelle Vielfalt in Verbindung mit einem steigenden Kontrollbedürfnis bilateraler und multilateraler Geber zu Problemen aus der Perspektive des Nehmerlandes geführt. Denn die zahlreichen Anforderungen, Konditionen, Kriterien etc. sind für ein Entwicklungsland kaum mehr zu übersehen, geschweige denn zu verkraften, es sei denn, es beschäftigt seine Administration nicht mehr mit Entwicklung, sondern ausschießlich mit dem Empfang von entwicklungshelfenden Delegationen. Jeder, der ein Bund-Länder-gefördertes Institut in Deutschland leitet, kennt die Probleme, die sich aus den unterschiedlichen Veranschlagungspraktiken von Bund und Sitzland ergeben. Wie muß da der Regierung eines kleinen afrikanischen Landes zumute sein, das von 25 bilateralen und 5 multilateralen Gebern mit vollständig unterschiedlichen Finanzierungskonditionen und -praktiken beglückt wird, von denen sich jeder für den wichtigsten hält und entsprechend behandelt werden will, und dazu noch von Kirchen, Parteienstiftungen, Entwicklungsdiensten, Consultingfirmen, Universitäten und diplomarbeitschreibenden Studenten?

Wichtig ist daher, wie von der OECD im letzten DAC-Bericht vorgeschlagen und im Rahmen der „Cooperation for Deveolopment in Africa" bereits erprobt, eine bessere gegenseitige Information, Abstimmung und Koordination, eine klarere Arbeitsteilung zwischen den westlichen Geberländern auch bei der bilateralen Hilfe nicht nur dann, wenn verschiedene Geber an der Förderung desselben Vorhabens beteiligt sind, sondern schon vor Abschluß der bilateralen Rahmenabkommen. Das gleiche gilt aber auch für die verschiedenen Trägerinstitutionen eines Gebers, besonders dann, wenn nichtstaatliche Träger eigenständig Vorhaben akquirieren und durchführen. Die Konsensverpflichtung gilt natürlich besonders für die multilaterale Hilfe. Hier sollten Verbesserungen in konzeptioneller und operativer Hinsicht (Verwaltungsaufwand) durch eine Verstärkung des Einflusses in den betreffenden Institutionen erreicht werden, nicht durch eine rückschrittliche Re-Bilateralisierung der Hilfe. Denn die dringenden, großen Gemeinschaftsaufgaben (globaler Umweltschutz, Ernährungssicherung) können nur multilateral angefaßt werden.

Reichen diese pragmatischen und partiellen, systemkonformen Ansätze aus? Sicherlich nicht, wenn man den politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Gesamtrahmen betrachtet, in dem sich wirtschaftliche Zusammenarbeit abspielt. Aber die Ausrichtung von Maßnahmen der Entwicklungspolitik auf die globalen Probleme der 80er und 90er Jahre kann nicht gelingen, wenn das verbindende Glied fehlt: eine Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung nicht nur der Entwicklungsländer, sondern auch der wirtschaftlich führenden OECD-Länder, die neuen Problemen und Werten im Inneren in ähnlicher Weise Rechnung trägt, wie dies die Soziale Marktwirtschaft vor dreißig Jahren in Deutschland vermochte. Deswegen wird auch die Nord-Süd-Konferenzmaschinerie zunehmend uninteressant: die Weltwirtschaft reflektiert weniger Konferenzergebnisse als hausgemachte Unordnung. Diese zu reduzieren ist weniger Sache der Entwicklungspolitik als anderer Politikbereiche.

Insgesamt gesehen liegen also sinnvolle neue Optionen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zur Zeit mehr im operativen als im konzeptionellen Bereich. Eine Entwicklungskonzeption brauchen wir für unsere eigene Wirtschaft und Gesellschaft; je größer die Ratlosigkeit bei uns, desto fragwürdiger werden Ratschläge an andere, desto mehr setzen wir uns dem Verdacht aus, aus der Not im Inneren eine Tugend nach außen zu machen. Also Zurückhaltung mit entwicklungspolitischen Schlagworten, ob sie nun „Grundbedürfnisstrategie" oder „Mittelstandsförderung“ heißen. Solche plakativen Grundsätze berücksichtigen weder die Differenziertheit der Län- der der Dritten Welt noch unsere eigenen historischen Erfahrungen. Dies schließt nicht aus, bei der Prüfung der Förderungswürdigkeit von Ländern bzw. Programmen und Projekten strengere Maßstäbe anzulegen. Diese sollten sich weder aus kurzsichtigen branchenspezifischen Wirtschaftsinteressen ableiten noch aus politischen Fixierungen. Sicherlich gibt es Toleranzgrenzen politischer Art, etwa hinsichtlich der Beachtung von Demokratie und Menschenrechten, auch des politischen Umgangstones. In diesen Grenzen ist aber entscheidend, inwieweit die Voraussetzungen gegeben oder zu schaffen sind, die Vorhaben im Sinne der pragmatisch und partnerschaftlich ausgehandelten Zielsetzungen effizient werden zu lassen. Dies lenkt den Blick aufs Detail, auf das einzelne Vorhaben. Der beharrliche, mühevolle Ausbau, die Weiterentwicklung und Verbesserung der vielen bescheidenen Ansätze, die man in den letzten 25 Jahren immerhin gefunden hat, bringt mehr als eine entwicklungspolitische Wende.

Fussnoten

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Christian Heimpel, Dr. rer. pol., geb. 1937; seit 1980 Direktor des Deutschen ÜberseeInstituts in Hamburg; vorher Mitarbeiter und Abteilungsleiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (Berlin) und Abteilungsleiter am Development Centre der OECD (Paris). Veröffentlichungen u. a.: Agrarreform und wirtschaftliche Entwicklung in Taiwan, Berlin 1968; Ansätze zur Planung landwirtschaftlicher Entwicklungsprojekte, Berlin 1973, sowie zahlreiche Schriften zu entwicklungspolitischen Themen und Fragen der landwirtschaftlichen Entwicklungspolitik.