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Verschuldungskrise der Dritten Welt? | APuZ 23/1983 | bpb.de

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APuZ 23/1983 Deutsche Entwicklungspolitik vor der Wende? Verschuldungskrise der Dritten Welt? Der Internationale Währungsfonds — Krisenmanager für die Dritte Welt? Funktionsweise, Machtverhältnisse und entwicklungspolitische Konsequenzen der IWF-Stabilisierungspolitik Nichtstaatliche Entwicklungsträger auf dem Vormarsch?

Verschuldungskrise der Dritten Welt?

Joachim Betz

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Von Mitte 1982 an häuften sich Liquiditätskrisen in der Dritten Welt in einem bisher nicht bekannten Umfang und führten zu einer ganzen Reihe spektakulärer Rettungsaktionen seitens des IWF, der Banken und öffentlichen Kreditgeber. Es erschien nun endgültig fraglich, ob die Hauptschuldner in der Dritten Welt ihre Schulden wieder ordnungsgemäß würden bedienen können und ob die Stabilität des ganzen internationalen Finanzsystems gewährleistet sei. Von einer generellen Überschuldung der Entwicklungsländer kann aber keine Rede sein. Es handelt sich um rezessionsbedingte, gehäuft auftretende und besonders ernste Liquiditätskrisen einer überschaubaren Anzahl hochverschuldeter Länder, die prinzipiell überwindbar scheinen, sofern sich nur eine mäßige Erholung der Weltwirtschaft einstellt. Zur Gesundung der Verschuldungssituation sind einmal ernsthafte Anpassungsschritte der hochverschuldeten Länder der Dritten Welt nötig, die freilich gekoppelt sein müssen mit der Beibehaltung bzw. Steigerung des Nettoausleihvolumens der Banken an diese Länder, mit einem Offenhalten der Märkte für ihre Produkte und mit vorsichtigen wirtschaftlichen Ankurbelungsmaßnahmen in den Industrieländern.

I. Häufung aktueller Rückzahlungsprobleme

Ab dem Zeitpunkt, da Mexiko Verhandlungen zur Umschuldung seiner beträchtlichen kurzfristigen Verbindlichkeiten bei westlichen Banken (Mitte August 1982) aufnahm, verging praktisch keine Woche, ohne daß die internationale Bankenwelt nicht durch eine neue Hiobsbotschaft über die eingetretene oder drohende Zahlungsunfähigkeit eines Entwicklungslandes aufgeschreckt worden wäre.

Die Zentralbank Zaires kündigte Ende August 1982 Umschuldungsabsichten an,, nachdem die Auszahlung eines Kredites durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) an das Land mangels Erfüllung der Auflagen gestoppt worden war; die peruanische Regierung dementierte zur gleichen Zeit (trotz katastrophaler Liquiditätslage) Umschuldungspläne. Brasilien folgte darin Anfang September 1983, sah sich aber zu drastischen Importbeschränkungen und der Inanspruchnahme seiner Sonderziehungsrechte beim IWF genötigt. Bolivien geriet erneut in erheblichen Zahlungsverzug, obwohl es erst im April 1982 umgeschuldet worden war, und Kuba bat um Restrukturierung seiner Schulden. Im Oktober 1982 verhängte die argentinische Regierung ein Importverbot für alle nicht lebenswichtigen Güter und unterzeichnete ein IWF-Beistandsabkommen, das harte wirtschaftspolitische Einschnitte verlangt. Zur selben Zeit ersuchte Venezuela seine Gläubigerbanken um eine Prolongierung fälliger Kredite in Höhe von 8, 8 Mrd. US-Dollar und Ecuador um eine Fristenstreckung und Refinanzierung seiner Gesamtschulden; in Jugoslawien wurden zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit Auslandsreisen erschwert und das Benzin rationiert.

Hohe Zahlungsverpflichtungen zwangen die chilenische Regierung Ende Oktober 1982 zur Aufnahme von Verhandlungen über einen „stand-by-Kredit" des IWF. Zahlungsschwierigkeiten hatten hier auch besonders die Privatbetriebe, die ihre zum alten Wechselkurs aufgenommenen Auslandskredite zum neuen nicht mehr bedienen konnten. Im Februar 1983 stoppte die Regierung nach einem abrupten Fall der Reserven (das Land erhielt kaum neue Kredite) die Tilgungszahlungen an die Banken.

Ende letzten Jahres wurde bekannt, daß Nigeria mit der Bezahlung seiner Handelsschulden (5 Mrd. US-Dollar) drei Monate im Rückstand war. Scharfe Importrestriktionen und Zollsatzanhebungen wurden verfügt. Anfang 1983 stellten schließlich noch Sambia, Kuba und Rumänien die Tilgungszahlungen ein.

Der Spätherbst 1982 und die Jahreswende brachten auch eine ganze Reihe spektakulärer finanzieller Rettungsaktionen in bisher nicht gekannter Größenordnung (insgesamt etwa 50 Mrd. US-Dollar) und Zusammenarbeit des IWF, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (der „Zentralbank" der westlichen Zentralbanken), der Banken und Regierungen von Industrieländern zugunsten einiger Großschuldner (vor allem Mexiko, Brasilien, Argentinien, Jugoslawien, Ecuador und Chile) mit schweren Liquiditätsproblemen. Diese Aktionen stellten alle bisherigen Umschuldungsoperationen weit in den Schatten.

Von den Gesamtschulden der Entwicklungsländer (Ende 1982: 626 Mrd. US-Dollar, unter Einschluß kurzfristiger Verbindlichkeiten nahezu 800 Mrd. US-Dollar) entfielen gut 50 Prozent auf hochverzinsliche Bankkredite und waren 1982 allein etwa 140 Mrd. US-Dollar rückzahlbar. Angesichts der nicht enden wollenden weltwirtschaftlichen Rezession, den damit verbundenen niedrigen Rohstoffpreisen und geringen Exportsteigerungsraten der Entwicklungsländer, dem nach wie vor hohen internationalen Zinsniveau und der Tatsache, daß die Währungsreserven und die nicht in Anspruch genommenen Kreditlinien der Staaten der Dritten Welt auf einen Tiefstpunkt fielen, kann man die zunehmende Nervosität der internationalen Banken im Jahres-verlauf 1982 wohl verstehen. Dies um so mehr, als sich die kommerziellen Außenstände stark konzentrieren (immerhin 52 Prozent* der Bankforderungen gegenüber der Dritten Welt lauten auf nur vier Länder!) und die Schulden der Hauptkreditnehmer sich auf etwa das Dreifache des Eigenkapitals der Gläubigerbanken belaufen Diese Konzen-tration hat das Bankensystem im starken Maße von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in einigen wenigen Ländern mit permanenten Defiziten abhängig gemacht. Sie hat auch Befürchtungen über die mögliche Zahlungseinstellung eines oder mehrerer Großschuldner oder gar die drohende Bildung einer „Schuldner-OPEC" — bestehend aus Brasilien, Mexiko und Argentinien (mit zusammen 200 Milliarden US-Dollar Bankschulden) — zur kollektiven Zahlungsverweigerung Vorschub geleistet

Beides würde nicht nur zum Bankrott der unmittelbar betroffenen Banken, sondern, bedingt durch ein enges Geflecht von Einlagen und Gegeneinlagen der Banken untereinander, zum Einsturz der ganzen internationalen Kreditpyramide und damit zu einer globalen Depression wie in den dreißiger Jahren führen. Diese Befürchtungen mögen sicherlich übertrieben sein; immerhin gibt es aber gewichtige politische Kräfte in den Hauptschuldnerländern, die Druck auf die Regierungen ausüben, sich härteren Umschuldungsbedingungen zu widersetzen, und die damit die Verhandlungen erheblich erschweren.

Angesichts der zweifelhaften Rückzahlungsaussichten für einen Teil der ausstehenden Bankkredite nimmt es nicht wunder, daß die Banken in hohem Umfang Risikovorsorge betreiben (was durch die hohe Zinsspanne zwischen Einlagezinsen und Kreditzinsen — also auch auf Kosten der Sparer — ermöglicht wird) und daß international hektische Bemühungen in Gang kamen, das internationale finanzielle Sicherheitsnetz enger zu spannen.

Dazu gehört die im Februar 1983 verabschiedete und um zwei Jahre vorgezogene substantielle Quotenerhöhung (um 47, 4 Prozent) des IWF, die dessen Kreditspielraum an die Entwicklungsländer entsprechend erweitert, sofern sie die damit verbundenen Auflagen des IWF akzeptieren. Ferner wurden die Allgemeinen Kreditvereinbarungen (das sind die Devisenhilfen, die sich die Mitglieder des Zehnerklubs, also die wichtigsten Industrieländer, gegenseitig gewähren) von 7 auf 19 Mrd. US-Dollar erweitert und sollen im Falle einer drohenden Krise des internationalen Finanzsystems auch Nichtmitgliedern des Zehnerklubs über den IWF — also auch gegen Auflagen — verfügbar sein. Dazu gehören ferner die Wahrnehmung einer aktiveren Rolle der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich bei der zeitweiligen Überbrückung von Liquiditätsproblemen gegenüber Entwicklungsländern (die nicht Mitglieder der BIZ sind) und die Lockerung der bisher (zur Inflationsbekämpfung) strengen Geldpolitik in den wichtigsten Industrieländern. Interessant ist, daß diese Länder ihren Widerstand gegen eine solche Politik erst in dem Augenblick aufgaben, als die Liquidität ihrer eigenen Banken auf dem Spiel stand, nicht aber in einem Moment, als die Situation der Entwicklungsländer dies erfordert hätte.

In den nächsten Abschnitten wird zu erörtern sein, wie es zu der bedrohlichen Zuspitzung der internationalen Verschuldungslage 1982/1983 kommen konnte, ob die Situation tatsächlich so bedrohlich ist und bleiben wird und welche Krisenbewältigungsinstrumente sich anbieten.

II. Ursachen des Verschuldungswachstums in Entwicklungsländern

Die wachsenden privaten Schulden der Entwicklungsländer in den siebziger Jahren sind das Ergebnis a) der Entwicklung und hohen Liquidität der Euromärkte, b) eines stark steigenden Kreditbedarfs der Schuldner und c) institutioneller Neuerungen zur Risikoverminderung bei der Kreditvergabe.

a) Von diesen Faktoren wird in der Öffentlichkeit meist nur der Finanzhunger der Entwicklungsländer wahrgenommen. Die Befriedigung dieses Finanzbedarfs ist aber nur auf dem Hintergrund der enormen Liquidität der Eurogeldmärkte erklärbar.

Diese haben sich Mitte der sechziger Jahre als Folge diverser amerikanischer Regierungseingriffe zur Regulierung des Geldmarktes (Verzinsungsverbot für Termineinlagen, Zinsausgleichssteuern für den Ankauf von Ausländsanleihen) und zum Schutze der Zahlungsbilanz, die es den Eigentümern flüssiger Dollarguthaben und insbesondere den in den USA beheimateten Transnationalen Konzernen geboten erschienen ließen, ihre Auslandseinkünfte erst in London und dann auch an anderen internationalen Bankplätzen anzulegen und dort auch ihre Kreditbedürfnisse zu decken Der üppige Aufschwung dieser Märkte ist damit zu erklären, daß sie nicht den üblichen (profitmindernden) Vorschriften und Reserveverpflichtungen unterliegen und damit attraktive Konditionen bieten können. Auf diesen Märkten fanden zunehmend auch die freien Mittel der Zentralbanken und die Überschüsse der arabischen Ölstaaten Anlage. Der Markt hat heute ein Volumen von über 1 600 Milliarden US-Dollar. Entwicklungsländer traten bis 1974 nur in bescheidenem Maße als Kunden der an den internationalen Bankplätzen operierenden Banken auf. Die steigenden Zahlungsüberschüsse der Ölstaaten und ihre Anlage an den Euromärkten führten aber zusammen mit der gleichzeitig (rezessionsbedingt) sinkenden Kreditnachfrage in den Industrieländern zu einer derartigen Liquiditätsschwemme, daß auch bisher als nicht kreditwürdig betrachtete Länder von den Banken bedient wurden, zumal das Geschäft in den Jahren 1974— 1976 recht einträglich und die Ausfallrisiken damals sehr gering waren.

Insgesamt wird man sich des Eindrucks nicht erwehren können, daß die Banken zumindest bis 1980 zu viel, zu sorglos und gegen zu geringe Risikozuschläge ausgeliehen haben. Einen Hinweis hierauf liefert die in den letzten drei Jahren rasch steigende Konzentration des Kreditgeschäftes auf die problematischen Großschuldner in Lateinamerika. Diese Entwicklung war sicher einmal auf die Konkurrenz der Banken um Anlagen, zum anderen auf ihren Glauben zurückzuführen, die westlichen Regierungen würden die Groß-schuldner (aus politischen/strategischen Gründen) schon nicht im Regen stehenlassen. Resultat war jedenfalls, daß die Entwicklungsländer nötige interne wirtschaftspolitische Anpassungen und den Gang zum IWF aufschieben konnten, dadurch aber nur um so sicherer in die Zahlungsunfähigkeit schlidderten. b) Die steigende Nachfrage der Entwicklungsländer nach privaten Bankkrediten in den siebziger Jahren erklärt sich einmal aus dem zurückgehenden Anteil jener Kapitalzuflüsse an die Dritte Welt, die die Nettoverschuldungsposition nicht erhöhen (Entwicklungshilfe, Zuteilung von Sonderziehungsrechten, private Direktinvestitionen). Diese Mittel finanzierten 1973 noch ca. 48 Prozent des Leistungsbilanzdefizits der Entwicklungsländer (in den sechziger Jahren über zwei Drittel), 1981 aber nur noch 26 Prozent. Demgegenüber stieg der Anteil der kurz-und mittelfristigen Kredite — vor allem seitens der Banken — von 27 auf 54 Prozent. Diese „Privatisierung der Defizitfinanzierung''der Entwicklungsländer darf nicht mit angeblich fallenden Entwicklungshilfemitteln erklärt werden — deren nominale Wachstumsraten in den siebziger Jahren ganz beachtlich waren —, sondern mit den noch schneller wachsenden Finanzierungslücken der Empfänger. Stärker noch als die öffentlichen Mittel (zumindest bis 1980) sind die privaten Direktinvestitionen in Entwicklungsländer anteilmäßig zurückgegangen. Dies erklärt sich aus zunehmenden Verstaatlichungen (vor allem im Rohstoffbereich), schärferen Investitionsgesetzen in einer Reihe von Entwicklungsländern und dem damit verbundenen größeren „Investitionsrisiko''privater Investoren. Diese haben auf Investitionen entweder ganz verzichtet oder, zum Zwecke der Risikominderung, Eigenkapital durch Kreditaufnahme ersetzt. Nicht zuletzt folgt der steigende Mittelbedarf der Entwicklungsländer natürlich auch steigenden Zahlungsverpflichtungen. Damit werden zuallermeist die höheren ölimportkosten in Verbindung gebracht, die sich ja in der Tat auch beträchtlich erhöht haben (von 5 auf 47 Milliarden US-Dollar 1973— 1981). Wenig bekannt ist, daß die Kapitallasten der Entwicklungsländer auf die aufgenommenen Schulden heute bereits mehr als doppelt so hoch zu Buche schlagen.

Ihre enorme Steigerung (von 11 Milliarden US-Dollar 1971 auf 131 Milliarden US-Dollar 1982) erklärt sich heute durch die oben genannte Verschiebung der Kreditquellenstruktur. Die Konditionen der Bankkredite sind nämlich bedeutend schlechter als die der Entwicklungskredite. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Laufzeit (ca. acht statt 25 Jahre) wie der Zinsbelastung (durchschnittlich 2, 3 Prozent p. a. bei bilateralen Entwicklungskrediten, etwa 17 Prozent bei Bankkrediten mit variablem Zinssatz [jeweils 1982]) Die hohe jährliche Neuverschuldung der Entwicklungsländer bei den Banken dient also nicht unwesentlich nur zur Erbringung des Schulden-dienstes (s. u.).

Die Unterstellung, die höheren ölpreise, die ausbleibende Entwicklungshilfe und die höheren Kapitalkosten hätten die steigende private Verschuldung der Entwicklungsländer verursacht, hätte jedoch die Qualität einer Milchmädchenrechnung. Denn mittelfristig hätte ja durchaus die Chance bestanden, statt der Verschuldung die Ausfuhren zu steigern, nicht essentielle Importe zu verringern, den Konsum und die geplante Wachstumsrate zu beschneiden oder gar all dies auf einmal zu tun. Damit soll nichts über die Wünschbarkeit entsprechender Schritte ausgesagt, sondern nur deutlich gemacht werden, daß es den kreditwürdigen Entwicklungsländern durch die Aufnahme zusätzlicher Kredite auf den Euromärkten — die keiner lästigen Verwendungskontrolle wie die Mittel der Entwicklungsbanken und des IWF unterlagen — möglich gemacht wurde, die nötige Anpassung an die höheren ölpreise hinauszuschieben (die ärmsten Länder mußten sich mangels Krediten sofort anpassen), die im Rohstoffboom 1972— 1974 begonnenen Investitionsprojekte fortzusetzen und generell ein hohes Wirtschaftswachstum — mit durchaus positiven Konsequenzen für den Export der Industrieländer — aufrechtzuerhalten.

Die oft gehörte Behauptung, die Entwicklungsländer mit den schwersten außenwirtschaftlichen Belastungen hätten auch den größten Anstieg der Verschuldung hinnehmen müssen, ist überdies schlicht falsch. Vielmehr wurden diese Belastungen vornehmlich durch ihre interne wirtschaftspolitische Verarbeitung zum Problem, wie eine ganze Palette von Studien belegt. Als besonders verschuldungsgefährdet haben sich die binnen-marktorientierten (im Gegensatz zu den welt-marktorientierten) Entwicklungsländer erwiesen. Die Enge des internen Marktes hat hier nur eine zunehmend teuere und unproduktivere Industrialisierung erlaubt. Mit dieser „importsubstituierenden" Industrialisierung gingen in der Regel überbewertete (d. h. exporterschwerende) Währungen, Kapitalintensivierung der Produktion, Diskriminierung der Landwirtschaft und zunehmende staatliche Wirtschaftskontrollen einher. Besonders anfällig für einen solchen binnenmarktorientierten und verschuldungsintensiven Entwicklungsweg haben sich die rohstoffexportierenden und staatswirtschaftlich orientierten Entwicklungsländer erwiesen. Bei ersteren haben es die Rohstofferlöse (und die damit verbundene internationale Kreditwürdigkeit) erlaubt, einen ineffizienten Industrialisierungsweg und überbewertete Währungen lange durchzuhalten; letztere zeichnen sich durch eine geringe Exportdynamik und Kapitalproduktivität aus. Verantwortlich hierfür ist die Überlastung der zahlreichen Staatsunternehmen mit betriebsfremden Aufgaben und die verlustfördernden staatlichen Eingriffe. Die ölexportierenden lateinamerikanischen Staaten, die 1982 in Schwierigkeiten gerieten, passen in dieses Muster, zeichnen sie sich doch durch ergeizige öffentliche Investitionsprogramme, überbewertete Währungen (z. T. zum Zwecke der Inflationsbremsung) und Vernachlässigung der Landwirtschaft aus. c) Ohne die bereits angesprochenen institutioneilen Neuerungen zur Risikominderung der Kreditvergabe wäre trotz Kapitalbedarf in der Dritten Welt und Liquidität der Euromärkte nur ein deutlich geringeres Kreditvolumen ausgeliehen worden. Diese Neuerungen erlauben es insgesamt, wachsende kurzfristige Einlagen in mittel-bis langfristige Darlehen umzuwandeln und dabei das Transformationsrisiko weitgehend auf den Kreditnehmer zu verlagern. Prototyp dieser Neuerungen ist der über Konsortialbanken abgewickelte syndizierte Eurokredit mit variablem Zinssatz. Variabler Zinssatz bedeutet, daß die Verzinsung des Kredites alle drei bis sechs Monate der Londoner Interbankenrate (LIBOR) angepaßt wird. Dazu kommt jeweils ein individueller Risikozuschlag (spread) und eine einmalige Abschlußgebühr. Ebenso zur Risiko-und Kostenminderung wird der Kreditbetrag für die Großschuldner auf eine Vielzahl von Banken verteilt und öfters über eine eigens zu diesem Zweck gegründete Konsortialbank abgewickelt. Hohe Kreditsummen können so bei minimalem individuellen Bankenrisiko aufgebracht werden.

III. Ist die Verschuldung der Entwicklungsländer bedrohlich?

Man muß die Frage, ob die Verschuldung der Entwicklungsländer solche Ausmaße erreicht hat, daß sie geeignet ist, über Zahlungseinstellungen und Bankzusammenbrüche die Stabilität des Weltwirtschaftssystems zu untergraben, unter zwei Aspekten betrachten:

Der eine ist mehr langfristiger, der andere mehr kurzfristiger Natur. In längerer Perspektive ist die wachsende Verschuldung der Dritten Welt ja prinzipiell nichts moralisch Verwerfliches, sondern ein durchaus sinnvoller und wohlstandssteigernder Vorgang, solange die Mittel a) so angelegt werden, daß der daraus entstehende nationale Einkommenszuwachs die Zinsrate überschreitet, b) von diesem Zuwachs genügend auf den Export entfällt, um die Schulden in Devisen tilgen zu können, und c) die aufgenommenen Mittel nicht lediglich nationale Ersparnisse ersetzen (die dann etwa konsumiert werden)

Es muß in diesem Zusammenhang bedacht werden, daß die Zinskosten für die meisten Entwicklungsländer (die Schwellenländer bilden eine Ausnahme) bezogen auf ihre gesamten Schulden deutlich unter der globalen Inflationsrate und auch (bis 1981) unter der Preissteigerungsrate ihrer Exporte lagen: Die Schuldenbedienung hätte unter solchen Umständen keine Schwierigkeiten machen dürfen, wenn man davon ausgeht, daß es in Entwicklungsländern genügend rentable Anlage-möglichkeiten gibt.

Hinzu kommt, daß das Verschuldungswachstum aller Entwicklungsländer zwar beachtlich, zum guten Teil aber inflationsbedingt ist. Korrigiert man entsprechend, so liegt es nicht höher als in den sechziger Jahren. Ab 1979 kann man zudem eine deutliche Verlangsamung konstatieren (s. u.). Bezogen auf die üblichen volkswirtschaftlichen Größen (Währungsreserven, Bruttoinlandsprodukt, Exporte) blieb die Verschuldung bis 1980 nahezu konstant — was ihre langfristige Bedienbar! keit (= Solvenz der Länder) anzeigt, seither kann man freilich einen raschen Anstieg der entsprechenden Quoten feststellen Frühzeitiger und deutlicher erhöht hat sich der Schuldendienstquotient (von 14 auf 22, 3 Prozent im Zeitraum 1973— 1982), also das Verhältnis von Schuldendienst zum Export von Gütern und Dienstleistungen. Dieser Quotient galt früher als aussagefähigster Indikator für eine kurzfristig tragbare Verschuldungshöhe; als kritisch wurde ein Wert von 20 Prozent angesehen. Man darf nicht unterschlagen, daß bei den genannten Werten die ab 1979 stark zunehmenden kurzfristigen Kredite und der starke Abbau der Währungsreserven nicht berücksichtigt sind.

Der starke Anstieg der Schuldendienstquote geht auf das Konto der oben geschilderten Verschiebung der Kreditquellenstruktur und des starken Zinsanstiegs der internationalen Bankkredite ab 1979. Ein großer Teil des Schuldendienstes (die Tilgungszahlungen) wird voraussichtlich — Kreditwürdigkeit des Landes vorausgesetzt — durch Gewährung neuer Kredite überrollt: Als tatsächliche Last verbleiben in der Regel dann die (allerdings auch nicht unbeträchtlichen) Zinsen. Wenig bekannt ist, daß eine große Zahl von Entwicklungsländern, die ihre Devisenreserven an den Euromärkten plaziert haben, von den bislang hohen Zinsen auch profitiert hat. Rechnet man ihre eigenen Anlagen zu variablem Zins und ihre Ausleihungen gegeneinander auf, so bleiben nur wenige Länder übrig, die Nettoschuldner entsprechender Euromarkt-kredite sind (der Bedeutung nach: Mexiko, Brasilien, Argentinien, Südkorea, Chile, Philippinen, Peru) Diese Länder vereinigen zwei Drittel der gesamten Bankforderungen und nahezu 100 Prozent ihrer Nettoforderungen (also abzüglich ihrer Einlagen) auf sich. Demgegenüber ist der Anteil der armen Entwicklungsländer an den Bankschulden (ca. 2 Prozent) ziemlich belanglos, wenn ihre rechtzeitige Bedienung ihnen auch ziemliche Opfer abverlangen mag.

Sinn der eben angestellten Überlegungen war eine gewisse Entdramatisierung der Problem-sicht: Von einer generellen Überverschuldüng der Entwicklungsländer kann keine Rede sein. Kurzfristig handelt es sich bei den aufgetretenen Zahlungsproblemen der Dritten Welt um ernste Liquidationskrisen einer überschaubaren Zahl von Großschuldnern, die vor allem dann überwindbar scheinen, wenn sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bessern (s. u).

Wenn das allgemeine Bild trotz einer gewissen Verdüsterung seit 1980 noch keinen Anlaß zur Panik bietet, wie konnte es dann zu der Serie von Liquiditätskrisen 1982/1983 kommen? Zunächst muß man deutlich machen, daß die beliebte Aggregatdatenbetrachtung bei der Betrachtung der Verschuldungsentwicklung der Länder der Dritten Welt ziemlich unangemessen ist, da diese uneinheitlich verläuft: So hat sich die Finanzlage einer ganzen Reihe bisher eher problematischer Schuldner (Indien, Pakistan, Ägypten, Indonesien) verbessert, während bei anderen in den letzten Jahren ein rapider Anstieg der Schuldendienstquote zu verzeichnen ist. Diese gegenläufigen Trends führen dazu, daß die Durchschnittsbelastung der Entwicklungsländer sich eher harmlos ausnimmt, während doch die Lage für eine ganze Reihe von Entwicklungsländern zunehmend prekärer wird.

Für die westlichen Banken ist es außerdem ziemlich gleichgültig, ob die Mehrheit der Entwicklungsländer zahlungsfähig ist: Ihnen muß es vornehmlich auf die Liquidität der oben genannten Großschuldner ankommen. Bei der extrem hohen Konzentration ihrer Forderungen ist die Feststellung bedienbarer Auslandsschulden im Durchschnitt nicht gleichbedeutend mit Stabilität des Bankensystems.

Drittens gehen in die Berechnungen der relativen Schuldenbelastung eine Reihe gewichtiger Posten nicht ein. Vornehmlich handelt es sich dabei um kurzfristige Kredite (mit einer Laufzeit von weniger als einem Jahr), die vor allem seit 1979 stark expandiert haben und sich gerade auf die Hauptschuldner konzentrieren. Die lateinamerikanischen Länder sind beispielsweise in der zweiten Jahreshälfte 1981, wegen der stärkeren Zurückhaltung der Banken bei längerfristigen Krediten an diese Länder, zu immerhin 66 Prozent ihrer Kreditaufnahme kurzfristige Verbindlichkeiten eingegangei;. Rechnet man die kurzfristigen Fälligkeiten zu den übrigen Kapitallasten 1982 hinzu, so steigt der durchschnittliche Schuldendienst der Entwicklungsländer von etwa 21 auf 50 Prozent ihrer Exporte! Individuell verschlechterte sich rechnerisch durch die Berücksichtigung dieses Faktors besonders die Lage von Peru, Ecuador, Kolumbien, Argentinien, Venezuela, Mexiko, Brasilien und den Philippinen, also genau jene Großschuldner, die 1982 in Schwierigkeiten gerieten und den Banken Kopfzerbrechen bereiten.

IV. Ursachen der verschlechterten Verschuldungslage 1982/83

Das führt uns auch zu den spezifischen Faktoren, die 1982/83 zu einer Häufung der Liquiditätskrisen von Entwicklungsländern geführt haben. Wir haben weiter oben gesehen, daß diese Länder zu ihrer Entwicklungsfinanzierung (oder auch schlicht zum Defizitausgleich) zunehmend auf kurz-und mittelfristige Bankkredite zurückgegriffen haben. Diese Verschiebung und die damit verbundenen kürzeren Fristigkeiten brachten es mit sich, daß a) ein immer größerer Teil der fälligen Schulden jährlich neu überrollt werden mußte und b) die Zinsveränderungen immer stärker auf die Zahlungsbilanz der Kreditnehmer durchschlugen. Das Schuldenmanagement ist also hier sehr viel schwerer als bei den langfristigen öffentlichen Krediten mit Festzins. Zur Verdeutlichung: Wenn ein Land seine Exporte zu 80 Prozent zur Bezahlung von Zinsen und Tilgung verwenden muß, ist es darauf angewiesen, diese Belastungen vollständig oder doch zum allergrößten Teil durch Neuverschuldung zu finanzieren. Je größer aber der Teil der Schulden, der jährlich überprüft und überrollt werden muß, desto abhängiger sind der einzelne Kreditnehmer und die Schuldner insgesamt von der positiven Einschätzung ihrer Kreditwürdigkeit durch die Banken. Leichte Änderungen der Leistungsbilanzsituation können einen sich kumulierenden „Vertrauensverlust 1'und damit eine Kreditzurückhaltung der Banken bewirken, die dann die Zahlungsunfähigkeit um so sicherer hervorrufen. Genau dies ist 1982 im Gefolge der sich verschlechternden Lage der Entwicklungsländer und vor allem Mexikos geschehen: Die Nettozusagen von Eurokrediten fielen um 11 Prozent, die Auszahlungen um 33 Prozent. Zurückhaltung wurde dabei besonders von den kleineren Banken geübt.

Nach dem mexikanischen Debakel erhielten die lateinamerikanischen Länder so gut wie nichts. Gleichzeitig wurden umfangreiche kurzfristige Verbindlichkeiten fällig, die seit 1979, verstärkt aber seit Mitte 1981, als Ersatz für die nicht mehr genügend verfügbaren mittelfristigen Kredite aufgenommen worden waren. Die auf das bare Minimum abgeschmolzenen Devisenreserven (tiefster Stand seit 1975) und nicht abgerufenen Kredite reichten für die Zahlungsverpflichtungen nicht mehr hin.

Die Jahre 1980 bis Mitte 1982 waren ausgesprochene Hochzinsjahre. Der internationale Zinssatz (LIBOR) stieg Mitte 1981 auf knapp über 16 Prozent und fiel bis Mitte 1982 auf 14 Prozent. Dieser Fall wurde aber noch bis weit in das Jahr 1982 hinein durch steigende Risikozuschläge und Abschlußgebühren kompensiert. Jedes Zinsprozent belastet die Schuldner mit jährlich drei Milliarden Dollar! Das Volumen des internationalen Warenhandels stagnierte 1981 und fiel 1982 leicht zurück. Entsprechend wuchs das Ausfuhrvolumen der Entwicklungsländer nur noch um 1 Prozent (1981: 3, 9 Prozent; 1979: 9, 4 Prozent). Noch schärfer fiel das Wachstum in laufenden Dollar. Dies ist eine Folge der sich verschlechternden terms of trade bei den vor allem von der Rezession in den Industrieländern betroffenen Ausfuhren von Erdöl und Bodenschätzen und extrem guter Ernten bei den agrarischen Rohstoffen. Die Rohstoffpreise (ohne öl) fielen gegenüber 1981 um (real) 14, 5 Prozent und in den ersten sechs Monaten des Jahres 1982 nochmals um 8 Prozent. Die Weltausfuhren an Erdöl sanken, be dingt durch Minderverbrauch und hohe Vorräte in den Industrieländern, um 14 Prozent gegenüber 1981. Leidtragende dieser Entwicklung waren die öl-und rohstoffexportierenden Länder, während sich die Lage der Fertigwarenexporteure unter den Entwicklungsländern nur mäßig verschlechterte. Exporterlöse sind für die Entwicklungsländer in ihrer Gesamtheit eine weitaus bedeutendere Devisenquelle als private und öffentliche Kapitalströme. Ihr Fall erschwert ihre Situation entsprechend stärker.

Neben den bisher genannten Faktoren war es bedeutsam, daß insbesondere den ärmeren Ländern das Instrument der Importbegrenzung gar nicht mehr zu Gebote stand, um eine eventuelle Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Der Anteil der Importe am Bruttoinlandsprodukt ist bei ihnen nämlich ebenso wie bei den rohstoffexportierenden Ländern auf den tiefsten Stand seit Jahren gefallen. Weitere Einsparungen sind kaum möglich bzw. im Sinne der Produktionsfähigkeit (Auslastung der Betriebe) unvertretbar.

V. Aussichten für die nächsten Jahre

Prognosen für die zukünftige Stabilität des Bankensystems oder gar die Zahlungsfähigkeit der Entwicklungsgeber sind naturgemäß mit hohen Unsicherheiten belastet.

Immerhin hat sich das düstere Verschuldungsbild gegen Ende des Jahres 1982 etwas aufgehellt, und es scheint, daß das Schlimmste zunächst einmal vorüber ist. Optimistisch stimmen vor allem die kräftigen Gewinnsteigerungen der Banken ab dem 3. Quartal 1982, die ein dringend benötigtes Polster zur Krisenvorsorge schaffen helfen. Über die Quotenerhöhung beim IWF, die dessen Kreditspielraum erweitert (ab 1983), sowie die aktivere Rolle der Bank für Internationalen Zahlungsverkehr bei der Liquiditätsbeschaffung wurde bereits berichtet. Gleichzeitig haben die Zentralbanken in den wichtigsten Industrieländern ihre Geldpolitik merklich gelokkert und (indirekt) deutlich gemacht, daß sie ihren Banken im Krisenfalle unter die Arme greifen würden.

Die meisten Hauptschuldner (und eine ganze Reihe kleinerer Länder) haben sich bislang mit dem IWF über Beistandskredite und damit verbundene interne Anpassungsmaßnahmen geeinigt, die den Zugang zu öffentlichen Umschuldungsvereinbarungen und zu neuen Bankkrediten freigemacht haben. Entlastung bringt auch das sinkende internationale Zinsniveau. Genausowenig wie die Verschuldung der Dritten Welt Anlaß zur Panik gibt, bieten diese positiveren Entwicklungen Anlaß zu übermäßigem Optimismus. Denn die Zinsen sind zwar gesunken, das (inflationsbereinigte) Realzinsniveau ist aber nach wie vor hoch. Die Quotenaufstockung des IWF ist im Vergleich zu den erwartbaren Leistungsbilanzdefiziten der Entwicklungsländer in den nächsten drei Jahren gering und muß daher durch substantielle neue Bankkredite ergänzt werden. Im Interesse der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit dürfen sich also die Banken keinesfalls aus den überschuldeten Ländern zurückziehen, sondern müssen ihr Nettozusagevolumen erhöhen, d. h. fällige Tilgungsraten (und evtl. Zinsen) durch neue Zusagen überrollen. Der Versuch einiger Banken, die eigenen Interessen durch Verweigerung neuer Kredite zu schützen, würde bei der augenblicklichen Liquiditätslage etlicher Großschuldner, die 1983 theoretisch über 100 Prozent ihrer Exporteinkünfte für den Schuldendienst verwenden (und damit nichts importieren könnten), mit Sicherheit deren Zahlungsunfähigkeit bewirken und durch den dann eintretenden allgemeinen Vertrauensschwund auch jene Schuldner in Gefahr bringen, die heute noch als kreditwürdig gelten. Was dies für die Entwicklung des Welthandels bedeuten würde, muß hier nicht ausgemalt werden. Es ist nun für die Banken nicht ganz einfach, sich „vernünftig" zu verhalten, bedeutet doch das schwache Wachstum des Welthandels, daß die Zahlungsbilanzdefizite der Entwicklungsländer in der heutigen Größenordnung noch eine Weile weiterbestehen und die Kreditinstitute angesichts nur mäßig steigender Entwicklungshilfe weiter zu an sich übermäßigem Kreditvergeben gezwungen werden. Es ist bei der großen Zahl der in den Hauptschuldnerländern engagierten Banken (in Mexiko waren es etwa 1 000) einigermaßen schwierig, diese alle gleichermaßen für das übergeordnete Interesse der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit zu gewinnen. Besonders die Klein-und Regionalbanken, die wenig von einer langfristigen Geschäftspartnerschaft mit den Schuldnern profitieren, zeigten 1982 starke Neigung, sich aus den Problemregionen zurückzuziehen und den Großbanken ihre Anteile aufzuhalsen und damit deren Kreditportefeuille noch mehr mit Aktiva zweifelhafter Qualität zu belasten. Von den Banken ist eine Beibehaltung oder gar Erhöhung ihres mittelfristigen Engagements auf Dauer nur zu erwarten, wenn sich in nicht allzuferner Zukunft eine Erholung der Weltwirtschaft und damit auch steigende Devisen-einkünfte der Schuldner aus Exporten einstellen. Es ist unmittelbar einleuchtend und geht auch aus angestellten Modellrechnungen hervor, daß für die Wiedergewinnung der Zahlungsfähigkeit und die Stabilität des internationalen Finanzsystems wieder steigende Export-einkünfte der Entwicklungsländer eine ungleich größere Rolle spielen würden als noch so drastische interne Sparprogramme Länger anhaltende globale Rezessionstendenzen würden die Defizite der Entwicklungsländer auf ein von den Banken nicht mehr finanzierungsfähiges Niveau treiben.

VI. Lösungen

Mögliche Ansätze für die Lösung bzw. Milderung der Verschuldungsprobleme der Entwicklungsländer liegen a) auf der Seite der Banken, b) der Kreditnehmer und c) der internationalen Gemeinschaft.

Es ist auffällig, daß die Banken immer nur nach Reformen des internationalen Instrumentariums rufen. Vornehmlich plädieren sie für Mittelaufstockung bei Weltbank und IWF/also für eine Rückverlagerung der Defizitfinanzierung der Entwicklungsländer auf die offiziellen Quellen. Dies soll den Banken einerseits erlauben, ihr eigenes Engagement zu vermindern, andererseits sollen die Empfänger durch harte wirtschaftspolitische Auflagen des IWF (gegen entsprechende Kredite) zur Sanierung ihrer Zahlungsbilanz und damit ihrer Verschuldung gezwungen werden. Letzteres ist an sich kein völlig unsinniger Vorschlag, nicht einmal im Sinne der Entwicklungsländer. Die Banken haben nämlich bereits zunehmend ihre Kreditvergabe, die Regierungen Umschuldungsverhandlungen und die Weltbank ihre Strukturanpassungskredite von der vorherigen Einigung mit dem IWF über einen Beistandskredit abhängig gemacht. Paradoxerweise haben die Entwicklungsländer, indem sie sich immer stärker privat verschuldeten, und zwar auch um den Auflagen des IWF zu entgehen, sich mit der Zeit dadurch nur in um so stärkere Abhängigkeit vom Fonds gebracht. Der IWF verfügt heute über geringere Mittel im Verhältnis zu den Defiziten seiner Klienten und zum Welthandel als in den sechziger Jahren. Eine Auf-stockung ist also dringend geboten. Es kann aber nicht Aufgabe des Fonds sein — und darauf zielen die Vorschläge der Banken teilweise —, mit Steuermitteln finanzierter Rettungsanker für gedankenlos ausgestreute Darlehen zu sein.

Ähnlich sind Vorschläge für öffentlich finanzierte Garantiefonds privater Bankkredite zu beurteilen. Sie sind überflüssig, da der größte (und sinnvolle) Teil kommerzieller Kredite an Entwicklungsländer bereits öffentlich abgesichert ist und eine weitere Zunahme von Garantien nur die nötige Sorgfaltspflicht der Banken bei der Kreditvergabe untergraben würde.

Sinnvoll wäre eine Reform des internationalen Umschuldungsmechanismus, der sich bisher durch Langwierigkeit, Fall-zu-Fall-Handhabung und geringe finanzielle Entlastungswirkungen auszeichnet. Oft stehen die Schuldner bereits nach kurzer Zeit wieder vor den Türen des sogenannten „Pariser Klubs". Gegen ein stärker formalisiertes Umschuldungsverfahren wehren sich aber auch die Banken und die westlichen Regierungen, da sie die abschreckende Wirkung der bisherigen Prozedur aufrechterhalten wollen.

Den ärmeren Entwicklungsländern nützen Verbesserungen des Systems der privaten Transfers nichts, da sie auch dann nicht kommerziell kreditwürdig wären. Ihnen ist nur mit einer kräftigen Aufstockung der Entwicklungshilfe zu helfen, damit sie energiesparende Investitionen und den Aufbau einer exportträchtigen Produktionsstruktur finanzieren können. Das ist schon deswegen gerechtfertigt, als die ärmeren Entwicklungsländer nicht nur kaum private Kredite, sondern auch noch deutlich weniger Hilfe (pro Kopf) bekommen als der Rest.

Die Industrieländer (vor allem jene mit geringen Inflationsraten) könnten einen erheblichen Beitrag zur Entschärfung der Verschuldungsprobleme durch vorsichtige nachfrage-belebende Maßnahmen leisten. Die hieraus resultierenden inflationären Gefahren dürfen angesichts unausgelasteter Kapazitäten und eines Überangebots an Energie und Rohstoffen nicht überbewertet werden. Sie könnten dadurch noch reduziert werden, daß eine expansivere Wirtschaftspolitik mit weiteren strukturellen Anpassungen gekoppelt wird (Beschneidung der rein konsumtiven zugun19 sten der investiven Ausgaben, Energieeinsparungen etc.). Ein bescheidenes, aber höheres Wirtschaftswachstum in den Industrieländern würde auch die protektionistischen Tendenzen dort abschwächen helfen. Die Offenhaltung der Märkte für Importe aus der Dritten Welt ist aber gerade in den nächsten Jahren im Sinne der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit der Hauptschuldner lebenswichtig.

Die Banken selbst können zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems mehr beitragen, als sie gemeinhin erkennen lassen. Einmal, indem sie ihre Klienten sorgfältiger danach auswählen, ob diese die Kredite zur Stärkung ihrer produktiven Basis oder zur Steigerung des Konsums einsetzen, statt wahllos Darlehen in der Hoffnung auf eventuelle Deckung durch Steuermittel zu verteilen. Zweitens, indem sie dafür Sorge tragen, daß eine Zentralstelle wenigstens für die vollständige Erfassung aller vergebenen Kredite sorgt. Es mutet abenteuerlich an, daß die Banken (und meist auch die kreditnehmenden Regierungen) erst am Tage der Umschuldung erfahren, wie hoch die Außenstände tatsächlich sind. Die Banken müssen drittens den Risiken im internationalen Kreditgeschäft selbst durch angemessene Vorsorge (offene und stille Reserven) Rechnung tragen, die — und das ist das Problem — ihre veröffentlichten Gewinne mindern würde. Außerdem werden diese Rückstellungen in den Industrie-ländern steuerlich unterschiedlich behandelt, so daß ihre Bildung die Wettbewerbspositionen der Banken untereinander verschieben würde.

Auch die Entwicklungsländer können — vor allem mittelfristig — zur Entspannung ihrer Liquiditätslage mehr tun, als rituell die hohen Zinsen, den Protektionismus der Industrieländer und andere widrige äußere Umstände zu beklagen. Ihre Kreditbedürfnisse hängen in hohem Maße davon ab, welche Rolle der Anpassung an ihre verschlechterte außenwirtschaftliche Situation im Verhältnis zur reinen Defizitfinanzierung zukommt. Die Anpassung würde etwa darin bestehen, Energieimporte durch die Erschließung eigener Energiequellen und steigende Nahrungsmitteleinfuhren durch geeignete Produktionsanreize an die Bauern zu vermindern. Sie bestünde ferner darin, realistische Währungsparitäten und Zinssätze zu fixieren, um die Exporte zu steigern und die Kapitalflucht zu verringern. Übermäßig geschützte Binnenmärkte, die den Unternehmern problemfreien Absatz mäßiger Produkte zu hohen Preisen ermöglichen, den Einsatz von Kapital (statt von Arbeitskraft)

begünstigen, den Export erschweren und die Landwirtschaft belasten, sollten (behutsam)

der internationalen Konkurrenz ausgesetzt werden.

Vielfach ist auch eine erhebliche Verminderung der Haushaltsdefizite in Entwicklungsländern nötig, die durch Kürzung/Streckung öffentlicher Investitionen, höhere Preise staatlicher Leistungen und Abbau von Subventionen'zuwege gebracht werden könnte.

Dies mögen alles schmerzliche Einschnitte sein, die den von der bisherigen Politik profitierenden Gruppen — und angesichts der Machtverhältnisse besonders auch der ärmeren Bevölkerung — Realeinkommenseinbußen abverlangen. Die Verschiebung nötiger interner Anpassungsreformen und die weitere Aufhäufung von Schulden (im Vertrauen darauf, daß sich alsbald alles zum Besseren wendet), könnte in der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Lage aber dazu führen, daß eine ganze Reihe weiterer Entwicklungsländer zahlungsunfähig wird und vom IWF dann jene aufgeschobenen Reformen aufgenötigt bekommt.

Man darf aber freilich nicht vergessen, daß viele Entwicklungsländer bereits harte interne Sparprogramme umgesetzt, ihre Exporte deutlich heruntergefahren haben und eine stärker exportorientierte Politik verfolgen. Das Zahlungsbilanzdefizit der Länder der Dritten Welt ist denn auch gegenüber 1981 bereits deutlich gesunken. Weitere Anpassungsmaßnahmen brauchen Zeit — Exporte lassen sich ja nicht von heute auf morgen steigern — und würden in einer nicht oder nur mäßig expandierenden Weltwirtschaft um so härtere Einschnitte in das ohnehin weitmaschige soziale Netz dieser Staaten zur Folge haben — ein politisch und sozial riskantes Unterfangen.

Umfangreichere, allerdings an eigene Anstrengungen der Schuldner geknüpfte Überbrückungsleistungen der internationalen Gemeinschaft (internationale Banken, Entwicklungshilfe) sind also zumindest solange nötig, bis sich ein endgültiger Aufschwung der Weltwirtschaft einstellt und/oder das Ausmaß der Verschuldung auf ein unter schlechteren externen Bedingung bedienbares Maß geschrumpft ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zahlen in: OECD, External Debt of Developing Countries, 1982, Survey, Paris 1982.

  2. Ebd. und A. W. Clausen, Die Verschuldung der Dritten Welt und die weltweite Gesundung, Weltbank, 24. Februar 1983.

  3. Vgl. Celso Furtado (der dies befürwortet), How the Debtars Can Force a Deal, in: South, December 1982.

  4. Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 4. 3. 1983.

  5. Zum Eurogeldmarkt: Peter Fertig, Der Euro-Dollar-Markt, Frankfurt 1981; Benjamin J. Cohen,. Banks and the Balance of Dayments, Montclair u. London 1981.

  6. Zu den Angaben vgl. Anm. 1.

  7. Zu den Verschuldungsgrenzen: Manfred Holthus, Verschuldung und Verschuldungsfähigkeit von Entwicklungsländern, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik, 26. Jg. (1980).

  8. Vgl. dazu: IMF, World Economic Outlook, Ausgaben 1981 und 1982.

  9. Vgl. Anm. 1.

  10. Siehe dazu: Morgan Guarantee Trust Company, World Financial Markets, February 1983.

Weitere Inhalte

Joachim Betz, Dr. rer. soc, geb. 1946; 1974— 1980 Wiss. Assistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen; seither Leitender Wiss. Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Überseeforschung, Hamburg; Arbeitsgebiete: Internationale Finanz-, Handels- und Entwicklungspolitik. Veröffentlichungen u. a.: Die Internationalisierung der Entwicklungshilfe, Baden-Baden 1978; Internationale Rohstoffverhandlungen in der Sackgasse? in: PVS, 21 (1980) 2; Wirtschafts- und Entwicklungspolitik in Sri Lanka seit 1977, Hamburg 1982; Verschuldungskrisen in Entwicklungsländern (als Herausgeber), Hamburg 1983; Jahrbuch Dritte Welt 1 (Red.), München 1983.