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Die Ausgangssituation unserer Umweltpolitik | APuZ 42/1983 | bpb.de

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APuZ 42/1983 Die Ausgangssituation unserer Umweltpolitik Umwelt und Außenpolitik Psychische und soziale Auswirkungen mäßiger Umweltqualität Trinkwasserqualität im Spannungsfeld von Gesundheits-, Umwelt-und Landwirtschaftspolitik. Lösungsansätze zur Verringerung der Nitratbelastung

Die Ausgangssituation unserer Umweltpolitik

Günter Hartkopf/Eberhard Bohne

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Veröffentlichungen über spezielle umweltpolitische Themen nehmen nach Zahl, Umfang und Sachgebieten rapide zu. Doch fehlte in der Umweltliteratur bisher eine systematisch aufbereitete Darstellung auch der Ausgangssituation der Umweltpolitik, die auf Fakten aufbaut und daraus Leitlinien für staatliches und gesellschaftspolitisches Umwelthandeln entwickelt. Erst wenn die Ausgangssituation mit ihren Entwicklungstrends analysiert ist und die vielgehörten, sehr unterschiedlichen Bekundungen über die Zukunft der Umwelt auf ihren tatsächlichen und begründbaren Inhalt untersucht sind, können die gesellschaftlichen Postulate und Strömungen zur Rettung der Umwelt bewertet werden. Die Verfasser schließen mit ihrem so verstandenen Beitrag — der die wesentlichen Teile der entsprechenden Kapitel des Bandes „Umweltpolitik. Band I“ zusammenfaßt — eine Lücke in der Umweltliteratur. Nach ihren Erkenntnissen muß Umweltpolitik auf der Grundlage einer fortentwickelten, anthropozentrischen Verantwortungsethik gewährleistet werden, die Schutz und Achtung der Natur als notwendigen Bestandteil der Menschenwürde begreift Sie unterscheiden sich hierin von manchen Auffassungen, die ein vom Menschen unabgeleitetes Eigenrecht der Natur als Grundlage von Umweltpolitik postulieren, dabei aber übersehen, daß unsere staatliche Umweltpolitik an die anthropozentrische Werthaltung des Grundgesetzes gebunden ist. Aus der Verantwortung für die Zukunft unserer Umwelt wird als Motiv für die notwendigen Maßnahmen zu ihrer Erhaltung das „Prinzip der Furcht als Element der Verantwortung" festgestellt, das als Herausforderung zu verstehen ist. Diese Herausforderung ist zu meistern, wenn verantwortungsvolles Handeln auch auf Glaubwürdigkeit im eigenen Verhalten zurückzuführen ist

Der. vorliegende Aufsatz von Günter Hartkopf tberhard Bohne faßt wesentliche Teile des Sandes Umweltpolitik. Band I, Opladen 1983, zusammen.

I. Definition der Umwelt und ihrer Belastung

Abbildung 1

Allen verbalen Beteuerungen zum Trotz besitzt der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in der praktischen Politik weder national noch international das gleiche Gewicht wie wirtschaftliche und soziale Belange. Wir haben den Schutz der menschlichen Gesundheit vor Umweltverschmutzungen, Lärm oder ionisierenden Strahlen durch vielfältige technische Maßnahmen verbessert. Von einer langfristigen Umweltvorsorge und einer haushälterischen Bewirtschaftung der knappen Umweltressourcen sind wir aber weltweit soweit entfernt wie eh und je. Das Ende der Menschheit kommt vermutlich nicht mit einem militärischen Gewaltschlag. Es kommt unmerklich mit immer mehr Autos, mit der wachsenden Bequemlichkeit aus der Steckdose und mit der Überproduktion aus überzüchteter Monokultur. Die Natur ist geduldig. Sie wird es noch für längere Zeit sein, wobei ihre Gefährdung für den, der sehen will, schon sichtbar ist. Ein Wald leistet lange Widerstand, bis er stirbt und sein Sterben offenkundig wird. Der Mensch kann unwahrscheinlich lange die Natur ausbeuten und gegen sie leben. Doch sagt uns eine jahrtausendealte und immer gültige Erfahrung: Die Natur hat am Ende noch immer gesiegt.

Die Gefährdung der Umwelt läßt sich schlagwortartig wie folgt kennzeichnen:

1-Die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen ist nicht nur ein nationales, sondern auch ein globales Problem.

2. Die Ressourcen der Erde und die Belastbarkeit der Umwelt durch Schadstoffe und sonstige schädliche Einwirkungen sind begrenzt.

3. Bevölkerungswachstum und steigende Lebensansprüche der Menschen führen zu wachsenden Produktions-und Konsumaktivitäten, die zunehmend die Ressourcen der Erde vermindern und die Umwelt mit Schadstoffen und sonstigen schädlichen Einwirkungen belasten. 4 Ressourcenverbrauch sowie Schadstoff-und sonstige Belastungen verstärken sich gegen-seitig in ihren negativen Auswirkungen auf die Ümwelt. Die Zunahme von Umweltverschmutzung und anderen Einwirkungen überschreitet vielfach die Absorptionskapazität der Umwelt und macht auf diese Weise vorhandene Ressourcen unbrauchbar. Gleichzeitig trägt die Ausbeutung der Ressourcen zur Verringerung der Absorptionskapazität der Umwelt und damit zum Anstieg von Umweltverschmutzung und sonstigen Belastungen bei.

5. Aus diesem sich gegenseitig „aufschaukelnden“ Prozeß von Ressourcenverbrauch und Belastungen durch Schadstoffe und anderen Einwirkungen ergeben sich wachsende Gefahren für das langfristige überleben der Menschheit, die sich auf alle Politikbereiche uswirken und zu deren Bewältigung alle Politikbereiche beitragen müssen. 1. Eingriffe in die natürliche Umwelt a) Eingriffsarten Es lassen sich zwei Grundarten menschlicher Eingriffe in die natürliche Umwelt unterscheiden. Die erste Art besteht darin, daß der natürlichen Umwelt Bestandteile entnommen werden, z. B. Wasser, pflanzliche und tierische Stoffe, Mineralien und andere Rohstoffe. Die entnommenen Umweltbestandteile werden vom Menschen zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen verwandt oder unmittelbar konsumiert. Die in die Kategorie „Entnahmen“ fallenden Umwelteingriffe werden in dem Begriff „Ressourcenverbrauch" zusammengefaßt. Die zweite Grundart von Umwelteingriffen betrifft die Abgabe von Stoffen, Geräuschen, Strahlen und ähnlichen Erscheinungen, die auf die (bio-) chemische oder physikalische Beschaffenheit der Umwelt einwirken. Abfälle, Abwässer, Luftverunreinigungen oder Lärm-belästigungen sind hierfür Beispiele. Umwelt-eingriffe dieser Art werden in dem Begriff „Umwelteinwirkungen" zusammengefaßt. Dabei spricht man von Emissionen, wenn die Quelle, und von Immissionen, wenn das Objekt der Einwirkungen ins Blickfeld rückt.

Beide Grundkategorien von Umwelteingriffen hängen eng mit menschlichen Produktionsund Konsumprozessen zusammen. Wie die nachfolgende Abbildung verdeutlicht, ist die Entnahme von Umweltbestandteilen Voraussetzung für Produktion und Konsum, während Schadstoffe und andere Umwelteinwirkungen zu den Folgen dieser Prozesse gehören. In der Wirklichkeit treten Ressourcenverbrauch und schädliche Umwelteinwirkungen oft kombiniert auf. So sind Veränderungen der Landschaft durch Siedlungen, Straßen und sonstige Landschaftseingriffe meist mit dem Verbrauch von Ressourcen (z. B. Wasser, Bodendecke) und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen (z. B. Abfälle, Abwässer, Lärm) verbunden. b) Entwicklungstrend der Umwelteingriffe Umfang und Intensität von Umwelteingriffen haben sich in der Vergangenheit in einem sich stetig beschleunigendem Maße vergrößert. Diese Entwicklung ist Folge des explosionsartigen Wachstums der Weltbevölkerung in den letzten 200 bis 300 Jahren, das mit einem ähnlich rapiden Anstieg der Wirtschaftstätigkeit verbunden war. Anhaltspunkte für eine Trendwende im Welt-maßstab sind nicht erkennbar. So wird weltweit nichts unternommen, um das Bevölkerungswachstum unter Kontrolle zu bringen. Im Jahre 1974 fand in Bukarest eine Weltbevölkerungskonferenz statt, die ein glatter Fehlschlag war. Da Bevölkerungszuwachs von einigen Staaten als militärischer Machtfaktor betrachtet wird, konnte bereits in den Grundsatzfragen keine Einigung erzielt werden. Trotz sich verlangsamendem Bevölkerungswachstums in den Industriestaaten führen das dort herrschende Anspruchsniveau der Bevölkerung hinsichtlich Komfort und Reichhaltigkeit des Konsumangebots, die Neigung, Konsumgüter in immer kürzeren Abständen durch neue zu ersetzen, anstatt sie besser instandzuhalten oder zu reparieren, sowie eine Fülle künstlich geweckter Bedürfnisse zur Verschwendung von Ressourcen und zur beschleunigten Verminderung der vorhandenen Vorräte.

Ferner könnte die sich weitende Einkommenskluft zwischen Industriestaaten und unterentwickelten Ländern langfristig den Trend zunehmender Umwelteingriffe verstärken. Denn rohstoffreiche unterentwickelte Länder werden ihre Vorräte vermutlich mehr und mehr als politisches Druckmittel gegenüber den Industriestaaten einsetzen; das wachsende wirtschaftliche und soziale Elend rohstoffarmer unterentwickelter Länder dürfte auf die Dauer zu internationalen Konflikten führen, die sich destabilisierend auf die Weltwirtschaft auswirken. Beide Faktorenkomplexe werden die Bemühungen der Industriestaaten verstärken, ihre Rohstoffabhängigkeit von der Dritten Welt zu vermindern. Dies bedeutet zunehmenden Abbau von Ressourcen in den Industriestaaten, deren Ausbeutung bisher unwirtschaftlich war oder aus Gründen des Landschaftschutzes unterlassen wurde. Pläne, die geringen Ölschiefervorräte der Bundesrepublik Deutschland auszubeuten oder die amerikanischen Energie-vorräte verstärkt zu erschließen — was in beiden Fällen naturnahe Landschaften zerstören würde — sind erste Anzeichen für eine solche Entwicklung.

Schließlich dürften die wachsenden Einkommensunterschiede die unterentwickelten Länder dazu veranlassen, ihre Industrialisierung ohne Rücksicht auf Umweltbeeinträchtigungen voranzutreiben. Bereits heute ist zu beobachten, daß in unterentwickelten Ländern Produktionsverfahren angewandt werden, die in den Industriestaaten aus Umweltschutzgründen verboten sind, oder daß um weltschützende Vorkehrungen unterbleiben, die in den Industriestaaten vorgeschrieben sind. Für diese Entwicklung sind die Indu striestaaten mitverantwortlich, da ihre Wirtschaftsunternehmen durch Lieferung oder Produktionsverlagerung umweltschädlicher Güter und Technologien von diesen — betriebswirtschaftlich günstigen — Produktionsbedingungen nicht selten profitieren. 2. Endlichkeit der natürlichen Umwelt Umfang und Intensität der Umwelteingriffe können nicht auf ewig anwachsen. Naturgesetzliche Gegebenheiten setzen dieser Entwicklung Grenzen, die vom Menschen nicht aufgehoben, sondern nur hinausgeschoben werden können. Niemand vermag heute anzugeben, wo diese Grenzen genau liegen und wann sie erreicht sein werden. Fest steht jedoch, daß die Ressourcen der Erde erschöpfbar und die Belastbarkeit der Lebewesen und ihrer Lebensräume gegenüber Schadstoffen und anderen Einwirkungen endlich sind. In dem Konflikt zwischen den geschilderten Wachstumsprozessen und der Endlichkeit der natürlichen Umwelt besteht die Grundproblematik der Umweltpolitik. 3. Umweltschock Der Zusammenhang von Bevölkerungswachstum, Produktion, Konsum, Umwelteinwirkungen und der sich gegenseitig „aufschaukelnde" Prozeß von Umwelteinwirkungen und Ressourcenverbrauch ist seit Ende der sechziger Jahre einer breiten Öffentlichkeit bewußt geworden und hat zu einem weltweiten Schock geführt. Es haben sich zwei Lager gebildet: Die einen prophezeien Unglück und Tod für die Menschheit; die anderen wiegeln ab und vertrauen darauf, daß sich rechtzeitig Lösungen für die Umweltprobleme finden lassen. a) Unheilsprophetien Grundlage und kennzeichnend für die Argumentationsweise von Unheilspropheten sind die Ausführungen, die in einem Bericht amerikanischer Wissenschaftler an den Club of Rome enthalten sind und die — mit Hilfe eines mathematischen, computergestützten Weltmodells erstellt — die zu Beginn der siebziger Jahre bestehenden Trends zu einer Gesamtprognose über die künftige Entwicklung der Menschheit zusammenfassen. Nach dem „Standardlauf des Weltmodells“ — d. h., unter der Annahme, daß keine größeren Veränderungen physikalischer, wirtschaftlicher und sozialer Zustände eintreten, — sollen gegen Ende des nächsten Jahrhunderts die Grenzen der natürlichen Umwelt erreicht sein und ein plötzliches und rapides Absinen von Bevölkerungszahl und wirtschaftlicher Kapazität eintreten. Während die Wissenschaftler mit dem Modell nur das Problem der Endlichkeit der natürlichen Umwelt verdeutlichen wollten und den theoretisch-heuristischen Charakter des Modells betonten, sagen Unheilspropheten eine dem Kurven-verlauf entsprechende Entwicklung für das nächste Jahrhundert voraus. b) Beschwichtigungen Die methodischen Beschränkungen von Langfristprognosen werden von vielen als Argument benutzt, um die Endlichkeit der natürlichen Umwelt zu leugnen oder als allenfalls theoretische, politisch aber vernachlässigbare Größe zu betrachten. Vor allem die — in den Weltmodellen nicht berücksichtigte — wissenschaftlich-technische Kreativität des Menschen, seine Fähigkeit, durch nicht vorhersehbare Lösungen immer wieder scheinbar natürliche Grenzen zu sprengen, wird als zentraler Einwand gegen die These von der Endlichkeit der Umwelt vorgebracht. Große Hoffnungen werden dabei auf Forschungen gesetzt, die die Nutzung der Sonnenenergie im großtechnischen Maßstab und die Kernfusion ermöglichen sollen. Fazit dieser Kritiker ist die These, „daß die Kreativität und das wirtschaftliche Geschick den Menschen in die Lage versetzen, die durch die Umwelt gesetzten Grenzen immer wieder in unabsehbar ferne Zukunft hinauszuschieben".

Diese Auffassung beruht auf zwei anthropologisch fragwürdigen Annahmen. Denn es wird unterstellt, daß der Mensch — seine Kreativität nur zur Lösung der Um-weltprobleme, nicht aber zur Zerstörung seiner Umwelt einsetzt und — sein Wissen um umweltpolitische Problemlösungen auch in Aktionen umsetzt. Unter historisch-politischen Gesichtspunkten sind diese Annahmen fragwürdig, weil der Mensch in der Vergangenheit seine Kreativität ebenso oft zum Nutzen wie zum Schaden seiner Umwelt eingesetzt hat. Ferner führt Erkenntnis nicht notwendigerweise zu entsprechenden Handlungen. Gerade die jahrzehntelange einseitige Forschungsförderung auf dem Energiesektor belegt die Diskrepanz zwischen Erkenntnis und tatsächlichem Handeln des Menschen. Obwohl die Begrenztheit nicht erneuerbarer Energiequellen schon lange vor der heutigen Umweltdiskussion bekannt war, wurden Unsummen in die Erforschung der Kernenergienutzung gesteckt und die Erforschung alternativer Energien bis in die jüngste Vergangenheit fast völlig vernachlässigt. Aber selbst wenn wissenschaftliche Erkenntnisse und geeignete Technolo5 gien zur Lösung von Umweltproblemen bereitstehen, wird das vorhandene Wissen aus den unterschiedlichsten Gründen häufig nicht oder unzureichend genutzt. Diese Feststellung gehört zu den wesentlichen Aussagen eines weltweiten, überwiegend auf Entdramatisierung gerichteten Rückblicks des United Nations Environment Programme auf die Entwicklung der natürlichen Umwelt in den Jahren 1972— 1982. c) Zwischen Unheilsprophetie und Beschwichtigung Was ist also zu tun, wenn einerseits Unheilsprophetien methodisch unhaltbar und andererseits das schlichte Vertrauen auf die Kreativität des Menschen fragwürdig ist?

Ausgangspunkt muß die Tatsache sein, daß die natürliche Umwelt endlich ist. Dies erfordert ein politisches Denken, das von den Grenzen des'Menschen ausgeht und sich bewußt ist, daß der Mensch nicht nur durch Nuklearwaffen, sondern auch durch sein normales Wirtschaften in Friedenszeiten grundsätzlich in der Lage ist, menschenwürdige Lebensbedingungen auf der Erde langfristig zu vernichten. Ob und wann umweltbedingte Katastrophen eintreten, vermag heute niemand vorauszusagen. Diese Frage ist auch zweitrangig. Es genügt, daß eine negative Entwicklung nicht auszuschließen ist, um eine Umweltpolitik zu konzipieren und durchzusetzen, die nicht nur unmittelbar bevorstehende Gesundheitsgefahren für den Menschen bekämpft, sondern die die Vergeudung biologischer und mineralischer Ressourcen sowie langfristig schädliche Umwelteinwirkungen zu verhindern sucht. Nach dieser globalen Sicht der Umweltproblematik wollen wir uns beispielhaften Umweltbelastungen in der Bundesrepublik Deutschland zuwenden.

II. Umweltbelastungen in der Bundesrepublik Deutschland

Abbildung 2

1. Datenlage Es gibt keine umfassende Beschreibung des Umweltzustandes in der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt auch keine Stelle in der Bundesrepublik, die bundesweit physikalische, chemische, biologische, wirtschaftliche und sonstige „harte" Daten zu allen Umwelt-bereichen sammelt und auswertet. Auch der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, der von der Bundesregierung als unabhängiges Sachverständigengremium für eine periodische Begutachtung der Umweltsituation eingerichtet wurde, verfügt nicht über alle erforderlichen Daten, um den Stand der Umwelt in der Bundesrepublik Deutschland umfassend darzustellen. Der Rat ist auf diejenigen Daten beschränkt, die ihm von Bund, Ländern, Wirtschaft und Wissenschaft für Teilbereiche von Fall zu Fall zur Verfügung gestellt werden.

Lediglich für einzelne Bundesländer liegen Umweltberichte der Landesregierungen von unterschiedlicher Aussagekraft vor.

Im übrigen gibt es für Teilbereiche des Umweltschutzes bundesweite Zustandsbeschreibungen. So erstattet der Bundesminister des Innern jährlich einen Bericht über Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung in der Bundesrepublik. Die Wasserwirtschaftsverwaltungen der Länder erstellen in Abständen von mehreren Jahren Kartierungen über die biologische Gewässergüte der Oberflächengewässer im Bundesgebiet. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe fertigt Kartierungen der nationalen Rohstoffvorkommen. Von diesen und anderen sektoralen Umweltdarstellungen abgesehen, müssen sich Bundesregierung und Deutscher Bundestag, Wissenschaft und an Umweltfragen interessierte Bürger die Daten über den Stand der Umwelt jeweils mühsam aus einzelnen Veröffentlichungen und durch Anfragen bei den jeweils für Teilbereiche zuständigen staatlichen und gesellschaftlichen Informationsträgern zusammensuchen. Dies ist ein unhaltbarer Zustand. Die Chancen für eine Verbesserung der Informationslage sind jedoch gering. Denn Wissen ist Macht; und demzufolge sind weder die Bundesländer hoch Industrie und andere gesellschaftliche Gruppen bereit, ihre Umweltdaten dem Bund kontinuierlich zur Verfügung zu stellen.

Die Hoffnungen für Verbesserungen der Informationslage stützen sich gegenwärtig allein auf die im Jahre 1980 erneut angelaufenen Bemühungen des Bundes, die Länder zu einer Mitarbeit bei der Erstellung von Umweltqualitätsberichten für das Bundesgebiet zu gewinnen. Scheitern diese Bemühungen, so bleibt nur der Druck der Öffentlichkeit auf Bundestag und Bundesrat, durch gesetzliche Regelungen eine Änderung des gegenwärtigen Mißstandes herbeizuführen. 2, Schädliche Umwelteinwirkungen a) Umweltchemikalien Chemische Stoffe sind allgegenwärtig und aus unserem täglichen Leben nicht mehr hin-wegzudenken. über 60 000 verschiedene Stoffe befinden sich weltweit auf dem Markt In der Bundesrepublik Deutschland kommen jährlich mehrere hundert neue Stoffe hinzu, weltweit mehr als tausend. Chemische Substanzen, die schädliche Auswirkungen für die Umwelt haben können, gelangen zu Beginn oder im Verlaufe von Produktions-und Konsumprozessen als Wirtschaftsprodukt oder am Ende dieser Prozesse mit Abwässern, Abgasen oder Abfällen in Wasser, Luft und Boden. b) Abwässer In fast allen Bereichen von Produktion und Konsum fallen Abwässer an. Sie belasten Flüsse, Kanäle und Seen (oberirdische Gewässer) sowie die Küstengewässer der Nord-und Ostsee. Das Grundwasser wird durch Abwassereinleitungen in stillgelegte Brunnen-und Bergwerksschächte, in ehemalige Kies-, Lehm-oder Sandgruben und in Steinbrüche beeinträchtigt. Allerdings sind für das Grundwasser die falsche Lagerung wassergefährdender Stoffe und andere Belastungsfaktoren, insbesondere Entnahmen von größerer Bedeutung als Abwässer.

Die schädlichen Eigenschaften von Abwässern lassen sich nach Auffassung des Sachverständigenrates für Umweltfragen in fünf Belastungsgruppen einteilen:

1. Leicht abbaubare Stoffe, 2. schwer abbaubare Stoffe, 3. Salze, 4. Schwermetallverbindungen, 5. Abwärme.

Haupteinleiter von Abwässern in oberirdische Gewässer sind private Haushalte, Kommunen, Industrie und Gewerbe, Kraftwerke und die Landwirtschaft. c) Abfälle Die Steigerung von Produktion und Konsum, die Verwendung kurzlebiger Wirtschaftsgüter, mehr und aufwendigere Verpackungsmaterialien und die Umstellung auf Einweger-Zeugnisse haben seit den fünfziger Jahren zu einem ständigen Anwachsen des „Abfallbergs" geführt. Ferner tragen Maßnahmen des Ge-Wässerschutzes und der Luftreinhaltung zur Erhöhung des Abfallaufkommens bei, indem üssige oder gasförmige Schadstoffe in feste Abfälle umgewandelt werden. So fallen bei der Abwasserbehandlung Klärschlamm und bei der Abgasreinigung (Rauchgaswäsche) Gips als Abfälle an. Mit zusätzlichen Mengen solcher Abfälle ist in Zukunft als Folge wirksamerer Maßnahmen der Luft-und Gewässer-reinhaltung zu rechnen. d) Luftverunreinigungen Die natürliche Luft setzt sich aus neun Gasen zusammen, und zwar aus 78% Stickstoff, 21% Sauerstoff und 1 % sonstigen Gasen. In dieser reinen Zusammensetzung ist die Luft — jedenfalls in industrialisierten Staaten — nur noch selten anzutreffen. Die Zunahme der industriellen und gewerblichen Produktion und die Technisierung weiter Lebensbereiche sowie die starke Motorisierung haben zu einer erheblichen Verschmutzung der Luft mit Schadstoffen geführt. Ein Gesamtmaß zur Beurteilung der Luftqualität gibt es nicht. Es sind nur Aussagen über einzelne Schadstoff-arten möglich. Die Bundesregierung hat für einige Luftschadstoffe, die mengenmäßig und überregional von Bedeutung und ausreichend durch Messungen , Schätzungen und Berechnungen ermittelt sind, quantitative Belastungsgrenzen in Form von Immissionswerten für Langzeit-und Kurzzeiteinwirkungen festgesetzt. Der Immissionswert für Langzeit-einwirkungen (IW 1) soll vor Schadstoffkonzentrationen schützen, die im Jahresdurchschnitt auftreten: der Immissionswert für Kurzzeiteinwirkungen (IW 2) schützt vor hohen Schadstoffkonzentrationen, die über kurze Zeiträume hin auftreten können. Solange die Immissionswerte unterschritten sind, besteht in der Regel keine Gefahr schädlicher Auswirkungen für die menschliche Gesundheit. Der Schutz empfindlicher Pflanzen, Tiere und Sachgüter wird durch diese Immissionswerte allerdings nicht gewährleistet. e) Lärm Nach demoskopischen Umfragen fühlen sich etwa 40% der Bürger (20 bis 25 Millionen) zeitweise oder dauernd durch Lärm mehr oder weniger stark belästigt. Bei Anwohnern von Hauptverkehrsstraßen und in der Nähe von Flughäfen kann die Belästigungsquote auf über 70% ansteigen: in reinen Wohngebieten kann sie unter 20% sinken. Die Haupt-quellen des Lärms sind der Straßen-, Schienen-und Flugverkehr, Gewerbe und Industrie, Baustellen, die Nachbarschaft und verschiedene Freizeitaktivitäten.

Mit rd. 50% liegt der Straßenverkehrslärm weit an der Spitze der Belästigungen. Es folgen Flug-und Schienenverkehrslärm. Insgesamt wird der Verkehrslärm von ca. 81% der Betroffenen als die schlimmste Lärmbelästigungsquelle genannt. Gewerbe und Industrie, Baustellen und andere Lärmquellen treten demgegenüber mit jeweils weniger als 10% der Nennungen deutlich in den Hintergrund. Allerdings ist die Belastungseinschätzung gebietsweise sehr unterschiedlich. 3. Ressourcenverbrauch Unter dem Gesichtspunkt der schädlichen Umwelteinwirkungen wurden Eingriffe in die physiko-chemische Beschaffenheit der Umwelt — d. h. Veränderungen der Umweltgüte — betrachtet. Unter dem Gesichtspunkt des Ressourcenverbrauchs rückt die Menge der vorhandenen Umweltgüter in den Mittelpunkt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß Materie rein mengenmäßig immer gleich bleibt. Das Augenmerk ist daher auf die Verringerung nutzbarer, für menschliche Zwecke qualitativ geeigneter Umweltgüter gerichtet.

Die Menge nutzbarer Umweltgüter wird durch physiko-chemische Einwirkungen sowie durch „Entnahmen" und Verbrauch von Bodenbestandteilen, von Wasser und von pflanzlichen und tierischen Rohstoffen vermindert. Auch Belastungen des Umweltmediums Luft lassen sich als ein Ressourcenproblem begreifen. Zwar werden der Luft durch menschliche Aktivitäten keine Bestandteile „entnommen". Die Luftverschmutzung ist jedoch regional so weit fortgeschritten, daß für manche empfindliche Pflanzen-und Tierarten nicht mehr genügend reine Luft zum überleben vorhanden ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist Luftverschmutzung als Problem der Verknappung von Reinluftgebieten — soge-nannten „Freiräumen" — zu verstehen.

Für die Bundesrepublik Deutschland ergeben sich Mengenprobleme in erster Linie aus der Knappheit energetischer und mineralischer Rohstoffe. Ferner gewinnt die langfristige Sicherung der Trinkwasserversorgung zunehmend an Bedeutung. Land-und forstwirtschaftlich nutzbare Böden sind dagegen ausreichend vorhanden und Grundlage für einen hohen Selbstversorgungsgrad der Bundesrepublik Deutschland mit pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen, wenngleich nicht übersehen werden darf, daß im Rahmen des heutigen Lebensstandards rd. 28% des Nahrungsmittelverbrauchs aus Einfuhren gedeckt werden. Schließlich ist hervorzuheben, daß der durch den Industrialisierungsprozeß verursachte, zum Teil erhebliche Rückgang wildlebender Pflanzen-und Tierarten eine Vergeudung biologischer Ressourcen darstellt, die sich langfristig für den Menschen nachteilig auswirken könnte.

Angesichts dieser Entwicklung sind der sparsame Umgang mit Energie und Rohstoffen, die Wiederverwertung von Materialien und die Verwertung von Abfällen eine zwängende wirtschaftliche und ökologische Notwendigkeit.

III. Gegenstand und normative Grundlagen der Umweltpolitik

1. Gegenstand Umweltpolitik ist die Gesamtheit aller Handlungen, die darauf abzielen, Umwelteingriffe zu vermeiden, zu vermindern und eingetretene Umweltschäden zu beseitigen. Handelnde der Umweltpolitik sind Staat, politische Parteien, Industrie und Gewerbe, Gewerkschaften, Land-und Forstwirtschaft, Kirchen, Nachrichtenmedien, Umweltorganisationen und alle sonstigen gesellschaftlichen Gruppen, die umweltpolitische Entscheidungen treffen oder an ihnen mitwirken.

Umweltpolitik ist praxisorientiert. Sie verbindet Beschreibung und Erklärung umweltrelevanter Sachverhalte mit ihrer wertenden Beurteilung und entwirft Konzepte, Ziele und Maßnahmen für umweltpolitisches Handeln.

Zur Beschreibung und Erklärung umweltrelevanter Sachverhalte stützt sich die Umweltpolitik auf die Erkenntnisse von Naturwissenschaften und empirischen Wirtschafts-und Sozialwissenschaften. Normativer Beurteilungsmaßstab sind die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die allgemeinen Wertentscheidungen, die unserer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaftsordnung zugrundeliegen.

In räumlicher Hinsicht kann sich die Umweltpolitik auf die gesamte Erde oder auf die Gebiete mehrerer Staaten, auf das Gesamtgebiet der Bundesrepublik Deutschland, auf die Gebiete einzelner Bundesländer sowie innerhalb der Bundesländer auf Regionen und Gemeindegebiete beziehen. Dementsprechend unterscheiden wir zwischen einer internationalen, nationalen, Landes-, regionalen und kommunalen Umweltpolitik.

In sachlicher Hinsicht haben sich zur Bewältigung einzelner Problemkomplexe sektorale Bereiche der Umweltpolitik herausgebildet, z. B. Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft, Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Naturschutz etc. Die Aufgabenabgrenzung beruht nicht auf einem systematischen Arbeitsteilungsschema, sondern ist nach politisch-pragmatischen Gesichtspunkten erfolgt. 2. Umweltschutz als ethische Verpflichtung von Staat und Gesellschaft Ethische Grundlage unserer Staats-und Gesellschaftsordnung ist die traditionelle Auflassung, daß der Mensch und sein Wohlergehen oberster Wert allen staatlichen und gesellschaftlichen Handelns sei. Diese Werthaltung wird „anthropozentrisch“ genannt. Die Pflicht zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ergibt sich aus unserer Verantwortung für das Wohl der lebenden und künftigen Menschen. Umweltschutz ist also kein Selbstzweck, sondern vom menschlichen Wohl abgeleitet. Umweltethik bedeutet aus dieser Sicht lediglich „die Anwendung von Normen, die für das soziale Verhalten insgesamt gelten, auf den besonderen Bereich der natürlichen Umwelt". Allerdings gilt es, die traditionelle individualistische und gegenwartsbezogene Sicht zu erweitern und ethische Maßstäbe zu finden, die auch für kolleküves Handeln Orientierungshilfen bieten und die das Wohl nachfolgender Generationen mitberücksichtigen. Hierzu ist keine neue Umweltethik erforderlich; vielmehr sind die Ausführungsbestimmungen“ der Ethik der Menschenwürde fortzuentwickeln und an neue Gegebenheiten anzupassen. a) Forderungen nach einer neuen Umwelt-ethik Gegen die anthropozentrische Umweltethik wenden sich Umweltschützer, die in dieser Werthaltung die Hauptursache für die Umweltgefährdung sehen und die eine neue Umweltethik fordern, die eine vom menschlichen Wohl unabhängige Verpflichtung zum Schutz der Natur begründet. Manche sehen in der ökologischen Wert-und Wachstumskritik und in den sie begleitenden Aktionen engagierter Umweltschützer bereits Anzeichen für einen grundlegenden Wertwandel und für das Heraufdämmern eines neuen Zeitalters, in dem Politik nicht auf die Aufrechterhaltung des heutigen Industriesystems abzielt, sondern sich an Gleichgewichtsbeziehungen der Natur, an der Begrenzung und Kontrolle materiellen Wachstums und technisch-wissenschaftlich-ökonomischer Prozesse orientiert und neue individuelle Lebensweisen in dezentralisierten, kleinen und mittleren gesellschaftlichen, ökonomischen, technischen und politischen Einheiten ermöglicht.

Begründungen für eine neue Umweltethik, die über die schlichte Behauptung der Umweltzerstörung durch die anthropozentrische Werthaltung hinausgehen, sind allerdings noch recht undeutlich und führen eher zu weiteren Fragen als zu Antworten. Gleichwohl darf sich die Umweltpolitik nicht mit dieser Feststellung beruhigen, sondern muß sich Rechenschaft über die Wertgrundlage eigenen und alternativen Handelns geben. Denn nur die Bereitschaft aller Gruppen in der Umweltkontroverse, bestehende und neue Konzepte kritisch zu überprüfen, ermöglicht den für einen wirksamen Umweltschutz notwendigen Dialog zwischen den Gruppen und birgt die Hoffnung, daß scheinbar unversöhnliche Meinungsgegensätze entschärft und vielleicht Einigung über einige grundlegende Wertmaßstäbe erzielt werden können. In diesem Sinne ist Befürwortern einer neuen Umweltpolitik zuzustimmen, daß „Ethik in der Krise de? technischen Zivilisation ... zu aller-erst Aufklärungsarbeit leisten" muß. Allerdings hat die herkömmliche Philosophie bislang die Umweltpolitik bei dieser Aufklärungsarbeit weitgehend im Stich gelassen. Vielleicht wird das verbreitete Krisenbewußtsein das philosophische Denken wieder zu größerer Praxisnähe, zu einer Diskussion der Folgen neuer Technologien und der hieraus erwachsenden politischen Verantwortung zwingen.

In der umweltethischen Diskussion kehren einige der Argumentationsmuster immer wieder, auf die wir kurz eingehen wollen. „ökologische" Ethik Eine Richtung unter den Befürwortern einer neuen Umweltethik knüpft an Konzepte und Erkenntnisse der Biologie und Ökologie an und macht diese zur Grundlage von Wertpositionen und ethischen Handlungsmaximen. So wird von einigen aus der Tatsache, daß der Mensch an der Spitze der Nahrungskette steht und anderen Lebewesen überlegen ist, die normative Rolle des . Aristokraten" abgeleitet, die den Menschen zum Dienst gegenüber der Natur verpflichte.

Andere ziehen aus der Einfügung des Menschen in Lebensketten den radikalen Schluß, daß Umweltpolitik zur Erhaltung der Lebens-ketten am Schutz des empfindlichsten Lebewesens ausgerichtet sein müsse. Diese Maxime führte — würde sie wörtlich genommen — zur Zerstörung unserer Industriegesellschaft. In der Tat wird die raschestmögliche Zerstörung des Industriesystems als ökologische Forderung aufgestellt.

Subtiler argumentieren Ökosystemtheoretiker, die systemtheoretische Konzepte zum Ansatzpunkt für ökologische Wertorientierung machen. Sie übertragen das Ökosystemkonzept auf soziales Handeln und postulieren die Erhaltung der Systemfunktionsfähigkeit als obersten Leitwert soziopolitischen Handelns, aus dem dann die Leitwerte „Existenzerhaltung und Versorgung", „Sicherheit", . Aktionsfreiheit", „Wirksamkeit" und „Wandlungsfähigkeit" abgeleitet werden. Funktionsfähigkeit und die übrigen Leitwerte sind als ethische Handlungsmaximen jedoch inhaltsleer und können zur Rechtfertigung einer Demokratie ebenso wie zur Rechtfertigung einer Diktatur herangezogen werden. Darüber hinaus ist es logisch nicht haltbar, normative Handlungsmaximen aus naturwissenschaftlich-deskriptiven Begriffen wie Nahrungskette, Lebenskette oder Systemfunktionsfähigkeit abzuleiten.

Marxismus Sozialistisch orientierte Umweltschützer vermeiden den Fehler, normative Postulate unmittelbar aus naturwissenschaftlichen Konzepten abzuleiten. Vielmehr interpretieren sie ökologische Erkenntnisse unter Zuhilfenahme marxistischer Theoriekonzepte; erst die marxistische Gesellschaftstheorie bildet die Grundlage normativer Handlungsmaximen. Manche Vertreter einer marxistisch orientierten Umweltpolitik erhoffen sich die Lösung der Umweltprobleme von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und von der Errichtung einer sozialistischen Wirtschaftsordnung, in der nicht private Profitinteressen, sondern eine „humane Zielsetzung" die gesamte gesellschaftliche Produktion leitet. Andere wollen — abgeschreckt durch die umweltpolitischen Defizite existierender sozialistischer Wirtschaftsordnungen — die soz zialistische Planwirtschaft zusätzlich auf ökologische Ziele festlegen und fordern ein Eigenrecht für die Natur. Übersehen oder aber mit Schweigen übergangen wird von marxistisch orientierten Umweltschützern aller Schattierungen der fundamentale Widerspruch, der zwischen der marxistischen Gesellschaftstheorie und der Einsicht in die Begrenztheit der natürlichen Lebensgrundlagen besteht Endziel der sozialistischen Entwicklung ist die klassenlose Gesellschaft, in der alle materiellen Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden und jedermann aufgrund fortschreitender Technisierung einen ständig wachsenden Zeitanteil seiner geistigen Entwicklung und Selbstverwirklichung widmen kann. Dieses Ziel der maximalen Bedarfs-deckung erfordert faktisch ein unbegrenztes quantitatives Wirtschaftswachstum; andernfalls müßten die zunehmenden materiellen und immateriellen Ansprüche der Menschen unerfüllt bleiben.

Die fortlaufende Vermehrung der Produktionskräfte gehört zu den fundamentalen ökonomischen Postulaten der marxistischen Theorie. Ein beständiges Wachstum des Güterausstoßes soll ein beständiges Ansteigen des Wohlstandes sichern.

Für die marxistische Ethik folgt aus diesem Prinzip die individuelle Verpflichtung zur dauernden Steigerung der Produktivität Die sittliche Entwicklung des Menschen ist abhängig von seiner materiellen Leistungsfähigkeit — dies ist die Folge der marxistischen Auffassung von Ethik als „überbau" der materiellen Produktionsprozesse.

Es ist offensichtlich, daß dem orthodoxen Marxismus der Gedanke fremd ist, daß die Belastungsfähigkeit der Natur und die irdischen Ressourcen endlich und damit auch der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse Grenzen gesetzt sind. Dieses unbekümmerte, ja leichtfertige Verhältnis zur natürlichen Umwelt findet sich aber auch bei Vertretern eines nichtorthodoxen Marxismus. Geradezu abenteuerlich muten aus heutiger Sicht die Vorstellungen von Bloch zur Kernenergie-nutzung an. Dieser bekannte Theoretiker eines freiheitlichen Sozialismus glaubt, mit Hilfe der Kernenergie die Sahara und die Wüste Gobi in Fruchtland sowie Sibirien, Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera verwandeln zu können.

Der Vorwurf einer umweltzerstörenden wirtschaftlichen Wachstums-und Technologie-gläubigkeit, der von marxistisch orientierten Umweltschützern gegen die kapitalistische Produktionsweise erhoben wird, gilt also im gleichen Maße auch für den sozialistischen Produktionsprozeß. Es gehört zu den vielen Umgereimtheiten der Umweltschutzdiskussion, daß gerade engagierte Umweltschützer den fundamentalen Widerspruch zwischen marxistischer Fortschrittsgläubigkeit und ökologischen Zielsetzungen übersehen oder leugnen und den Teufel des Kapitalismus mit dem Beelzebub des Sozialismus austreiben wollen.

Naturphilosophie Angesichts der Begründungsmängel einer naturwissenschaftlich oder marxistisch inspiB rierten Umweltethik will eine dritte Gruppe von Umweltschützern das Naturverständnis von Aristoteles, Goethe und anderen Denkern wiederbeleben, die Natur als Einheit von Materie und objektivem Geist begriffen haben. Dieses Naturverständnis würde eine Revision des Naturbegriffs der modernen Naturwissenschaft erfordern. Neben naturwissenschaftlicher Analyse träte intuitive Wesens-schau, um den objektiven Geist in den Dingen der Natur zu erkennen. In der Tat könnten mit diesem Naturbegriff mehr Ehrfurcht end größere Rücksicht des Menschen gegenüber anderen Lebewesen verbunden sein.

Doch die modernen Naturwissenschaften haben über die Naturphilosophie — ebenso wie Newton über Goethe — endgültig den Sieg davongetragen. Probleme der Abgasreinigung, der Abwasserbehandlung oder der Energieversorgung lassen sich durch intuitive Wesensschau weder lösen noch durch Wiedererwecken eines Pantheismus verhindern. b) Verantwortung für die Zukunft Die Mängel der skizzierten Ethikansätze lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß die Ansätze rational nicht nachvollziehbar sind, weil sie entweder auf logischen Fehlschlüssen und Widersprüchen oder auf einer Geistmetaphysik beruhen, die sich nicht in üblicher Weise beweisen, sondern nur in übersinnlicher Wahrnehmung erfahren läßt.

Sicherlich kommen Wertbegründungen nicht ohne Postulate aus, die man letztlich nur akzeptieren oder ablehnen kann. Die Ethik des Umweltschutzes muß jedoch in einer pluralistischen Gesellschaft auf Postulaten und hieraus abgeleiteten Begründungen beruhen, die rational nachvollziehbar sind und daher unabhängig von einer bestimmten Weltanschauung oder einem bestimmten Menschenbild von möglichst vielen akzeptiert werden können. Aus dem Erfordernis möglichst breiter Anerkennung von Wertpositionen ergibt sich ferner, daß sich Umweltethik in einer pluralistischen Gesellschaft nicht an höchsten, nur von wenigen akzeptierten Idealen orientiert, sondern stets nur — so unbefriedigend dies für manche Umweltschützer klingen mag — das „ethische Minimum" verkörpert, das in der Gegenwart mehrheitsfähig ist und gleichwohl unsere Zukunft sichert.

Hierbei hilft uns eine Eigenart des menschlichen Geistes, die wir aus dem Alltagsleben kennen und die auch für verantwortungsvolles Handeln im Umweltschutz bedeutsam ist. Uns fällt es oft leichter, negativ zu beschreiden, was wir nicht wollen, als positiv anzugeben, was wir wollen. So erkennen wir den Wert von Bestandteilen der natürlichen Umwelt vielfach erst, wenn wir uns ihr Fehlen vor Augen führen. Den Wert der Nahrung empfinden wir, weil wir den Hunger kennen. Die Erhaltung von Tieren und Pflanzen wünschen wir, weil wir unter der Öde der Stein-wüsten von Städten leiden. Kurz — die Furcht vor dem Verlust der vorhandenen Lebewesen und von Naturbestandteilen hilft uns erkennen und Einigkeit darüber erzielen, welcher Zustand für die Zukunft erhaltenswert ist. Furcht als Element der Verantwortung fordert somit, bewußte Anstrengungen zu unternehmen, neben den beabsichtigten Wirkungen unseres Handelns vor allem auch die negativen, in der Zukunft liegenden Nebenwirkungen auf die Umwelt abzuschätzen. Angesichts unserer technischen Fähigkeit, weit in der Zukunft liegende Zustände der Umwelt zu beeinflussen und dabei die Lebensgrundlagen künftiger Generationen insgesamt zu zerstören oder erheblich zu verschlechtern, enthält das „Prinzip Furcht" die Pflicht zur Langfristprognose.

Ein zweites folgt aus dem Prinzip der Furcht als Element der Verantwortung: Das normative Übergewicht der Negativprognose gegenüber Positivprognosen bei der Entscheidung über umwelterhebliche Maßnahmen. Denn nur wenn wir die Gefahr künftiger Umweltschäden ernster nehmen als die Möglichkeit, daß alles gut geht, können wir die Zukunft der Menschen sichern. Richten wir dagegen in falsch verstandenem Optimismus unser Handeln in erster Linie an positiven Prognosen aus, so verhalten wir uns wie ein Spieler, der auf sein Glück vertraut. Gemeint sind natürlich nur Prognosen, die wissenschaftlichen Standards genügen. Unheilsprophetien bleiben außer Betracht.

Das normative Übergewicht der Negativprognose ist für die Praxis des Umweltschutzes von großer Bedeutung.

Zunächst ist allerdings klarzustellen, daß dieses Prinzip keine generelle Beweislastverteilung in dem Sinne enthält, daß im Zweifel menschliche Handlungen unterbleiben müssen, wenn ihre Umweltunschädlichkeit nicht bewiesen ist. Wer dies fordert, tritt praktisch für die Abschaffung moderner Produktionstechnologien und damit für die Zerstörung des Industriesystems ein. Denn der Beweis der Umweltunschädlichkeit — also der Beweis, daß eine Wirkung in Zukunft nicht eintritt—, läßt sich so gut wie nie erbringen. Vielmehr besteht typischerweise die Situation, in der weder die Umweltschädlichkeit noch die Umweltunschädlichkeit eines Vor-11 habens eindeutig bewiesen werden kann und in der zwischen den möglichen positiven und negativen Wirkungen einer Technologie abgeschätzt werden muß. Mit der Absage an eine generelle Beweislastverteilung in dem geschilderten Sinne wird allerdings nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber für potentiell gefährliche Einzelbereiche eine solche Beweislastverteilung vorschreibt. Festzuhalten bleibt nur, daß eine generelle Beweislastverteilung zugunsten der Umweltunschädlichkeit von Maßnahmen keine ethische Handlungsmaxime darstellt.

Die praktische Bedeutung des normativen Übergewichts negativer Prognosen liegt jedoch darin, daß z. B. Prognosen, die die Zerstörung der Ozonschicht durch Fluorchlorkohlenwasserstoffe oder die Veränderung des globalen Klimas durch Kohlendioxid voraussagen, nicht einfach als „wissenschaftlich nicht erwiesen“ vom Tisch gewischt werden dürfen, wie es häufig geschieht. Vielmehr sind diese Prognosen so lange ernst zu nehmen, wie keine neuen, anderslautenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen.

Nun gibt es nicht selten den Fall, daß alle verfügbaren Handlungsalternativen mit möglichen Umweltschäden oder schwerwiegenden sonstigen Nachteilen verbunden sind. In einer solchen Situation müssen alle prognostizierten Negativwirkungen berücksichtigt und ein Handlungskurs gesucht werden, der sich nicht einseitig auf eine bestimmte Entwicklung festlegt. Die Energieverknappung ist hierfür ein Beispiel. Wer den generellen Verzicht auf die Kernenergie fordert, sollte sich dabei der gravierenden Langzeitschäden eines gesteigerten Kohleeinsatzes oder der Folgen möglicher Verteilungskriege um knappe Energiequellen bewußt sein.

Furcht als Element der Verantwortung bedeutet nun nicht, daß verantwortungsvolles Handeln eine pessimistische Grundeinstellung erfordert. Das Gegenteil ist richtig. In jeder Herausforderung liegt auch eine Chance, sie zu meistern. Verantwortung ohne Optimismus, ohne Hoffnung, kann es nicht geben, denn Hoffnung ist eine Bedingung jeden Handelns. Hoffnung heißt selbstvertrauende Sicherheit, erkannte Gefahren abwenden zu können, verbunden mit dem praktizierten Willen, die Geschicke zum Besseren zu wenden. c) Politische MaßStäbe Auf dem Prinzip der Verantwortung beruhen die politischen Grundprinzipien des Umweltschutzes: Vorsorge-, Verursacher-und Kooperationsprinzip. Hierbei'handelt es sich um politische Handlungsmaßstäbe, die selbst keine ethischen Prinzipien darstellen, sondern deren praktisch-politische Ausgestaltung sich auch nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten richtet. Die genannten Handlungsmaßstäbe sind jedoch ethisch insoweit von Bedeutung, als sie „Indizfunktion“ für eine verantwortungsvolle Umweltpolitik besitzen. D. h.: Die Nichteinhaltung des Vorsorge-, Verursacher-und Kooperationsprinzips bedarf der besonderen Rechtfertigung. Fehlt diese Rechtfertigung, so liegt kein verantwortungsbewußtes Handeln vor.

Das Vorsorgeprinzip ist sowohl Folge der Furcht vor Umweltschäden als auch Folge der Hoffnung, ihren Eintritt durch rechtzeitiges Handeln zu vermeiden. Es verlangt von allen Verantwortlichen eine langfristige Zukunftsorientierung und das Bemühen, die vielfältigen systemaren Wechselbeziehungen zwischen den Lebewesen sowie zwischen den Lebewesen und der unbelebten Umwelt bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen. Das Verursacherprinzip ist Ausdruck ökonomischer Effizienz. Es will einen möglichst wirksamen und wirtschaftlichen Schutz der natürlichen Umwelt sicherstellen, indem es die Kosten der Vermeidung oder der Beseitigung von Umweltschäden dem jeweiligen Verursacher zurechnet. Das Verursacherprinzip beruht also auf der Annahme, daß durch bestimmte instrumentelle Vorkehrungen die Umwelt wirksam geschützt werden kann. Insoweit ist es verknüpft mit dem Vorsorgeprinzip und dem im Verantwortungsprinzip enthaltenen Element der Hoffnung.

Das Kooperationsprinzip beruht auf der Einsicht, daß verantwortungsvolles Handeln Zusammenarbeit und Kompromißbereitschaft aller Betroffenen erfordert. Wer ausschließlich und immer Eigeninteressen kompromißlos vertritt und zur Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen nicht zum Verzicht auf Vorteile bereit ist, verspielt die Zukunft. Zu verantwortungsvollem Handeln gehört schließlich Glaubwürdigkeit im eigenen Verhalten. Es handelt sich hierbei um einen generellen politischen Maßstab, der nicht nur im Umweltschutz gilt. Glaubwürdigkeit heißt einmal, daß man die Anforderungen, die man an fremdes Verhalten stellt, auch für das eigene Verhalten gelten läßt. Zum anderen erfordert Glaubwürdigkeit des Handelns, daß man das, was man als richtig erkannt hat auch durchzusetzen versucht. Unter diesem Gesichtspunkt verlangt Glaubwürdigkeit Mut zur Entscheidung. Dieser Mut ist nicht nur von staatlichen Stellen, sondern von allen gesellschaftlichen Gruppen zu verlangen.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Günter Hartkopf, Dr. jur.; Studium der Rechts-und Staatswissenschaften; 1962— 1963 Ministerialrat im Bundesministerium der Finanzen, Leiter des Ministerbüros; 1963— 1969 Senatsdirektor der Senatsverwaltung für Bundesangelegenheiten des Landes Berlin in Bonn; 1969— 1983 Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Aufgabenbereiche: Personal, Organisation, Haushalt, innenpolitische (wirtschaftspolitische) Grundsatzfragen, innerdeutsche Fragen, Statistik, EDV, Kommunalwesen, Geodäsie, Bevölkerungsfragen, Datenschutz, öffentlicher Dienst, Aus-und Fortbildung, Umweltpolitik sowie Reaktorsicherheit und Strahlenschutz. Zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen insbesondere über öffentliches Dienstrecht, Umweltschutz, Sicherheitsfragen der Kernenergie; u. a. auszugsweise abgedruckt in „Reden 1969— 1979". Eberhard Bohne, M. A., Dr. jur., geb. 1944; Studium der Rechts-und Politikwissenschaft; 1975 Eintritt in das Bundesministerium des Innern; 1976 für ein Jahr beurlaubt zur Mitarbeit an einem Gutachten des Instituts für Angewandte Sozialforschung für den Rat von Sachverständigen für Umweltfragen über Fragen des Gesetzesvollzugs im Umweltschutz; 1977 einjährige Abordnung an eine Kreisverwaltung, dort u. a. auch für Umweltfragen zuständig; seit 1978 im Bundesministerium des Innern als Referent zunächst in der Verfassungsabteilung tätig; Lehraufträge für Umweltpolitik an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und an der Universität Bonn. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Planung, Organisation und Recht der öffentlichen Verwaltung.