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Plädoyer für eine realistische Familienpolitik | APuZ 20/1984 | bpb.de

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APuZ 20/1984 Artikel 1 Politik zugunsten der Familie Plädoyer für eine realistische Familienpolitik Liberale Familienpolitik Familienpolitik ist „Neue-Männer-Politik" Überlegungen zu einer ökologischen Familienpolitik

Plädoyer für eine realistische Familienpolitik

Anke Martiny

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der öffentlichen familienpolitischen Diskussion wird weniger an die Familie gedacht, wenn von Familie die Rede ist, vielmehr hingegen an die Entwicklung der Bevölkerungszahl und an die Sicherung des Rentensystems. Das politische Handeln und die Betroffenheit der Familien klaffen immer mehr auseinander. Dies führt zu der Folgerung, endlich von dem auszugehen, was ist: In nicht einmal der Hälfte aller als Familie registrierten Haushalte gibt es Kinder. Knapp zwei Drittel aller Mehrpersonenhaushalte und ein gutes Drittel aller Mehrpersonenhaushalte mit Kindern leben von mehr als einem Einkommen. Dabei liegen Arbeitnehmerehepaare mit Kindern um fast ein Viertel unter dem durchschnittlichen Einkommen. Kindererziehung ist teuer, und sie wird überwiegend von Frauen geleistet. Dabei wird die Lösung des Problems, Beruf und Familie zu vereinbaren, fast ausschließlich den Familien selbst überlassen, d. h. überwiegend: den Frauen. Die Generation der jungen Mädchen hat feste Vorstellungen von der Zukunft: Eine gute Berufsausbildung, eine partnerschaftliche Ehe, die Möglichkeit, Kindererziehung und Beruf zu vereinbaren. Die Forderung nach einer realistischen Familienpolitik muß die Erwartungen der heute jungen Menschen an ihre Zukunft berücksichtigen, eine leistungsfähige Industriegesellschaft muß um ihrer selbst willen darauf bedacht sein, die Berufswelt und die Familienwelt stärker nach den Bedürfnissen der Familie aneinander anzunähern.

„Die Gesellschaft wandelt sich — der Gesetzgeber antwortet — oft zu spät und als Mann"

Familienpolitik steht heutzutage hoch im Kurs. Kaum eine Tageszeitung oder Zeitschrift, die auf sich hält, geht an diesem Thema vorbei, und kaum ein Tag vergeht, ohne daß nicht Regierungsmitglieder, Männer der Kirche, Verbandspolitiker oder solche der Opposition sich zu diesem Thema äußern. Es bleibt dabei allerdings fraglich, ob all diese Äußerungen, die meistens in der Analyse oder im conjunctivus potentialis stecken bleiben, tatsächlich dazu beitragen, die Lebens-wirklichkeit von Familien im Alltag zu verbessern. Zwei Gründe vor allem verhindern wirksame Folgerungen der analytischen und „Man könnte, müßte, sollte doch" — Bemühungen. Der erste: Zum Thema Familie äußern sich überwiegend Männer, die eher der Großvätergeneration als der der Väter angehören. Zudem handelt es sich um Männer, die sich nicht einmal jene elf Minuten an Werktagen mit ihren Kindern abgeben, welche die Statistik für den erwerbstätigen Durchschnittsvater ermittelt hat; ob sie daneben jenen organisatorischen Mindestbeitrag zum Funktionieren des Familienlebens leisten, den der deutsche Durchschnittsvater erbringt, mag dahingestellt bleiben, denn dafür hat der Vielbeschäftigte sein Sekretariat.

Dieser berufsmäßige Vorkämpfer für alte oder neue familienpolitische Ideale kann seine Ideen überhaupt nur dann mit einem Hauch Realismus anreichern, wenn ihn die tolerante Gattin beim Frühstück oder am späten Abend über das gerade Laufende in der eigenen Familie informiert hält, ihn am Wochenende von allen familiären Lästigkeiten abschirmt, aber freudig alles akzeptiert, was der Politprofi geneigt ist, in seine familiären Beziehungen zu investieren. Dafür darf die Gattin gewiß sein, daß ihr im gesellschaftlichen Alltag höchstes Lob gezollt wird: Dies erlebt der professionelle Familienpolitiker schließlich am eigenen Leib: Seine Familie würde ohne die Vollzeithausfrau und -mutter nicht funktionieren. Was ihn zu dem Schluß verleitet, sein Familienleben entspräche der gesellschaftlichen Norm.

Der zweite Grund: Auf die Familie und die Familienpolitik ist exemplarisch anwendbar, was Physiker seit Werner Heisenberg für ihre Wissenschaftsdisziplin erkannt haben: Wir leben nicht in einem Universum aus monokausal und mechanisch aufeinander bezogenen Einzelteilen, sondern unsere Welt ist ein vernetztes Ganzes. Alles hängt mit allem zusammen, jeder Teil erklärt sich nur aus dem größeren Zusammenhang. Ähnlich wie bei der Ökologiepolitik durchläuft unsere Gesellschaft zur Zeit auch bei der Familienpolitik eine tiefgreifende Krise der Wahrnehmung. Der Physiker Fritjof Capra drückt dies so aus: „Wenn wir natürliche oder gesellschaftliche Phänomene betrachten, die äußerst kompliziert miteinander verknüpft, verbunden, vernetzt sind, dann merken wir bald ..., daß wir mit unseren linearen Denk-und Sprachvorgängen und linearen mathematischen Methoden an Grenzen stoßen. Je nicht-linearer, je komplexer, je vernetzter die Wirklichkeit wird, desto unmöglicher wird es, sie rational zu erfassen. — Das rationale Bewußtsein ist eben auf die Erkenntnis linearer Zusammenhänge beschränkt. Das Intuitive dagegen nicht, und daher fällt es uns wesentlich leichter, komplexe Zusammenhänge intuitiv zu erfassen. Man muß kein Wissenschaftler sein, um ökologisch zu denken. Es ist im Gegenteil sogar hilfreich, wenn man kein Wissenschaftler ist. Für die Erfassung größerer Zusammenhänge sind Intuition und emotionale Erfahrung ungleich geeigneter."

Für „Intuition" und „emotionale Erfahrung" sind nach allgemeiner Ansicht Frauen geeigneter als Männer; die werden zur Familienpolitik aber kaum gehört. Auf diesem Feld sind wir von einem dem komplexen Phänomen Familie gerecht werdenden, politischen Handlungsinstrumentarium noch weit entfernt. Hier geht es immer noch nach dem alten Muster: wer A sagt, muß auch B sagen, und wenn er B nicht sagen kann oder will, ist er selbst daran schuld.

I. Wo steht die Familie in der Gesellschaft?

„Die arbeitsteilige Industriegesellschaft hat das Leben der Menschen räumlich und seelisch auseinandergerissen — in Familie und Beruf, in Arbeit und Freizeit. Familie als Ort der Geborgenheit, der Gefühle und der mitmenschlichen Zuwendung, Beruf als Ort der Leistung, der Effizienz, der kalten, sachlichen Rationalität.

Diese Teilung des Lebens, die es in der vonndustriellen Gesellschaft nicht gab, und die es in der nachindustriellen Gesellschaft so nicht geben muß, hat z. B. die Familie schwer in Mitleidenschaft gezogen. Es waren nicht, wie Konservative glauben, „emanzipatorische" Reden, die der Familie schadeten, sondern die Imperative der Industriegesellschaft." Diese Position — daß Familie als Teil der Industriegesellschaft und von deren Bedingungen geprägt in der heutigen Form existiert — wird von vielen Familienpolitikern im gesamten gesellschaftspolitischen Spektrum geteilt Familie ist das Ergebnis gesellschaftlicher Entwicklungen und in dieser Form heute vor allem geprägt durch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und durch die Ungleichheit, mit der Hausarbeit und Erwerbsarbeit bewertet werden. In der vorindustriellen Zeit waren Arbeit und Leben, d. h. Öffentlichkeit und Privatsphäre nicht getrennt; heute sind sie es, und dies hat Folgen für alle Familienmitglieder.

Wie aber wird Familie definiert? Die Sachverständigenkommission des 3. Familienberichtes formuliert folgendermaßen: „Die Kom-mission spricht von . Familie', wenn durch Geburt und Adoption von Kindern aus der Ehe eine biologisch-soziale Kleingruppe zusammenlebender Menschen entsteht. Das ist die . Normalfamilie', von ihr gibt es Abweichungen verschiedener Art, z. B. die . Familie', die aus einer alleinstehenden Mutter besteht oder in der ein verwitweter Vater mit Kindern zusammenlebt."

Von dieser Unterscheidung zwischen der „Familie" und der „Normalfamilie" weicht die SPD in ihrer Definition nach dem Parteitagsbeschluß von 1977 deutlich ab Dort heißt es nämlich: „Die SPD bejaht die Ehe und Familie und sieht in ihnen erstrebenswerte Formen des Zusammenlebens. Familien sind auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften eines oder mehrerer Erwachsener mit einem öder mehreren Kindern."

Beide Definitionen anerkennen jedenfalls das Vorhandensein von Kindern als konstituierendes Element der Familie.

Die Theoretiker streiten sich darüber, ob die Familie als ein gesellschaftliches Teilsystem eher gesellschaftliche Vorgänge widerspiegelt und sozusagen in der Kleinform das Konfliktpotential abbildet, das die Gesellschaft im Großen kennzeichnet, während die Gegenposition hierzu behauptet, daß die Familie in ihrer unbestreitbar vorhandenen Ausrichtung auf Privatheit und Intimität eine Art Gegen-struktur zur Gesellschaft verkörpert. Hier wird unterstellt, Gesellschaft und Familie entwickelten sich weitgehend unabhängig voneinander und — unter besonderen Belastungen — sogar gegeneinander.

Ich stütze mich auf die „Arbeitshilfen für die politische Bildung" zum Thema „Familie in der Gesellschaft" Hier wird als Lernziel heraus-gestellt: „Erkennen des spezifischen Umwelt-verhältnisses der Familie als gesellschaftliches Teilsystem." Richtig an der theoretischen Grundlage dieses Arbeitsmaterials ist sicher die Feststellung, daß die privatisierte Kleinfamilie den familialen „Normaltypus" der Moderne darstellt. Dieses Strukturmuster „Kleinfamilie" entfaltet gesellschaftsweit eine höchst prägnante Leitbild-und Orientierungsfunktion. Spezialisiert ist diese moderne Kleinfamilie „auf die Funktionsbereiche der frühkindlichen Sozialisation und des intimen Zusammenlebens"

Dabei betonen die Autoren der Arbeitsmaterialien: „Die für die privatisierte Kleinfamilie charakteristischen Formen der bewußten Zuwendung zu Kindern und der persönlichen Vertrautheit und Intimität ("Geborgenheit") sind historisch neue Phänomene. Sie entsprechen spezifischen Erfordernissen der modernen differenzierten Gesellschaft."

Sicher ist es so, daß einer starken Beanspruchung des Individuums durch Wirtschaft, Gesellschaft und Staat ein Rückzug auf die Privatheit der Familie korrespondiert. Dies darf allerdings nicht zu der unhistorischen Folgerung verleiten, daß die Familie eine „Gegenstruktur" zur Gesellschaft zu etablieren vermöchte, denn die Abhängigkeit der Familie vom Gelderwerb, von der Arbeitsmarktsituation, vom staatlichen Rechtsschutz, von der gesellschaftlichen Entwicklung durch wachsende Industrialisierung und Verstädterung und von vielem anderem mehr bleibt andererseits offenkundig.

Der Standpunkt von der Familie „als Gegen-struktur" geht auch von einem statischen Gesellschaftsbild aus, in dem sich staatliche Eingriffe in den Innenbezirk von Ehe und Familie nur als hoheitliche Akte bei offensichtlichem Versagen und Scheitern der Familie rechtfertigen. Diese autoritäre Sichtweise spiegelt sich besonders wider in der Antwort auf Fragen nach staatlicher Hilfestellung gegenüber den Familien; von den Betroffenen und ihrer kleinen Lobby wird dies kritisiert: wer ist schon gern Bittsteller!

In solcher Analyse, wenn es denn eine ist, ist auch ein gewisser theoretischer Bruch nicht zu verkennen. Wenn beispielsweise Kurt Bie8 denkopf es als ein „Gebot der Stunde" bezeichnete, ein „Subsidiaritätsgesetz für die neue soziale Ordnung" zu entwickeln, dann stellt er die Familie als zentralen Punkt dieser Überlegungen heraus: „Ausgangspunkt für die inhaltliche Reform der sozialen Ordnung muß der Grundsatz der Subsidiarität sein: Daß die Gemeinschaft nur solche Risiken übernehmen soll, die der einzelne oder die kleinere Einheit, vor allem die Familie, unter zumutbaren Bedingungen nicht tragen können. Was für die Wirtschaft der . Wettbewerb', ist für die Sozialordnung die Subsidiarität."

Hier wird also ganz konkret und ganz direkt die Familie in einen vom Staat gesetzten Rahmen eingebaut und eingeplant. Als „Gegenstruktur" ist dies wohl kaum möglich! Diese Gegenstruktur nimmt aber Norbert Blüm mit seinen von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) durchgesetzten Leitsätzen zur Familie „Die sanfte Macht der Familie" in Anspruch, wo es in munterer Verquickung konservativer Positionen mit alternativem Unbehagen und auch „postindustriellen" Werten beispielsweise heißt: „Liebe, Güte und Zärtlichkeit, die besonderen Wesensmerkmale der Mutter und des familiären Zusammenlebens, sind in die Idylle der eigenen vier Wände eingesperrt. Auf den privaten Haushalt beschränkt, entwickeln sie jedoch nicht die Kraft eines sozialen Gegengewichts gegen die Kälte der Effizienz, mit der Technik, Naturwissenschaft und Wirtschaft die Gesellschaft überziehen. Auch die Mutter-feindlichkeit und Lieblosigkeit mancher moderner Emanzipationsbewegungen ist nur die Folge der Mutterfeindlichkeit der technokratischen Gesellschaft."

Familie und industriell-technokratische Leistungswelt sind nach den Blümschen Vorstellungen also Gegensätze. Mag man dem Gedanken der Subsidiarität immerhin eine gewisse Logik von Analyse und daraus abgeleiteter Therapie nicht absprechen — selbst wenn man die Position nicht akzeptiert — so entbehren die Blümschen Thesen völlig der analytischen Grundlage — was aber nicht heißt, daß etwa keine politischen Folgerungen aus dieser Hypothese gezogen würden!

II. Wo steht die Familienpolitik?

„Nirgends brauchen wir eine Wende mehr als in der Familie und in der Familienpolitik" — mit diesem Zitat von Kardinal Höffner auf der Frühjahrsversammlung der Deutschen Bischofskonferenz war keineswegs Beifall für die Politik der Bonner Koalition gemeint, sondern ausdrücklich Kritik. Diese Kritik teilen andere eher konservative Gremien, wie beispielsweise der Bayerische Landesfrauenausschuß. Angesprochen ist dabei — wie der Journalist Robert Leicht es ausdrückt — „ein unausgegorenes Gemenge aus . familienpolitischer'Rhetorik und aus keineswegs nur rhetorischen Kürzungen in den sozialen Leistungsprogrammen sowie aus den übrigen Maßnahmen zur Etatkonsolidierung"

Drei Komponenten wirken zusammen, der Familienpolitik zu einem neuen Stellenwert zu verhelfen. Da ist zunächst die Frage des Lastenausgleichs zwischen Familien mit Kindern bzw. Junggesellen oder Ehepaaren ohne Kinder. Unbestreitbar haben die Familien mit Kindern durch die Sparmaßnahmen der CDU/CSU/FDP-Regierung Milliarden an staatlichen Zuschüssen verloren: Das Kindergeld, die staatliche Bildungsförderung, die Wohngeldförderung, die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Kürzung beim Arbeitslosengeld und bei der Sozialhilfe und viele andere Maßnahmen mehr haben Familien mit Kindern in zahllosen Fällen vor existentielle Schwierigkeiten gestellt. Kürzungen in dieser Form waren familienpolitisch nicht zu rechtfertigen; um so größer wird jetzt der Druck, zunächst ein „Notprogramm für die Familie" — wie der Deutsche Familienbund es fordert —, sodann aber einen gerechten Familienlastenausgleich zu schaffen.

Der zweite Grund ist bevölkerungspolitischer Natur: Wenn es bei der derzeitigen geringen Kinderfreudigkeit bleibt, dann wird es im Jahre 2000 noch 52 Millionen und im Jahre 2030 nur noch 38 Millionen Deutsche in der Bundesrepublik geben. Im internationalen Vergleich liegt die Bundesrepublik mit dieser Geburtenrate an letzter Stelle, wenngleich es den Trend zu weniger Kindern in den anderen wohlhabenderen Industrieländern ebenso gibt.

Die Furcht, die Deutschen könnten aussterben, treibt merkwürdige Blüten. Zwar gibt es keine methodisch verläßlichen Statistiken über einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Familienförderung und Geburtenhäufigkeit, aber das schreckt die Aktivisten unter den Bevölkerungspolitikern nicht ab. Auch wollen sie nicht akzeptieren, daß sich solche Lockvogel-Angebote nach den Erfahrungen anderer Länder bestenfalls über fünf Jahre hinweg auswirken.

Ein zweites irrationales Argument kommt nämlich hinzu: daß die Rentenzahlungen nicht gesichert sein könnten. Diese Furcht sieht allerdings von zwei entscheidenden Faktoren ab: daß Auszahlungen der Rentenversicherung an Rentner eng verknüpft sind mit Einzahlungen der aktiven Bevölkerung;

angesichts der auf dem Arbeitsmarkt festzustellenden und für die Zukunft zu befürchtenden Entwicklung kann aber niemand dem Baby von heute prognostizieren, daß es in 25 Jahren einen Arbeitsplatz findet und Beträge an die Rentenversicherung leisten kann.

Zweites Gegenargument: Es könnten noch andere Faktoren dazu führen, daß wir unser System der Rentenfinanzierung umstellen müssen, weil nämlich die Belastungen der erwerbstätigen Generation einerseits durch die Erziehung von Kindern, andererseits durch Beiträge an die Rentenversicherung so groß zu werden drohen, daß diese Erwerbstätigen zum Leben nicht mehr genug zur Verfügung haben. Jedenfalls ist es schon heute so, daß das Ehepaar Huber ohne Kinder sich ein feines Leben macht, während das Ehepaar Meier mit zwei Kindern bei gleichem Einkommen auf vieles verzichten muß und sich auch vertretbare Wünsche — Urlaub, eine größere Wohnung, eine teure Ausbildung — oft nicht erfüllen kann.

In die bevölkerungspolitische Argumentation fließen sogar noch archaische Vorstellungen über den Zusammenhang von liberal gehandhabtem Schwangerschaftabbruch und der Bevölkerungsentwicklung hinein. Da sind sie dann wieder, diese Bilder, die einen Embryo eigentlich als in den Uterus gepflanzten Homunkulus sehen, mithin als Ausdruck männlicher Macht.

Familienpolitisch ist es eine Bankrotterklärung, wenn unser Staat 1, 5 Billionen DM an Bruttosozialprodukt erwirtschaftet, zur selben Zeit aber 350 Millionen beim Mutterschaftsurlaubsgeld und 980 Millionen beim Kindergeld einspart, und auf der anderen Seite eine Stiftung „Mutter und Kind" mit 50 Millionen DM ins Leben ruft, was den 90 000 Frauen im Jahr, die aus sozialen Gründen eine Schwangerschaft abbrechen, wie Hohn erscheinen muß. Zumal sie zum Stifter auch noch als Bittstellerin kommen müssen — ohne Rechtsanspruch und mit nur minimaler Aussicht auf wirkungsvolle Hilfe.

Der dritte Grund, die Familienpolitik anders zu bewerten als vor einem Jahrzehnt, sind die erheblichen sozialpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Änderungen. Unsere Gesellschaft lebt zur Zeit mit einer Zahl von mehr als zwei Millionen weiblichen und männlichen Arbeitslosen, und der langfristige Trend deutet eher auf eine Zunahme denn auf eine Abnahme hin.

Unter diesem Vorzeichen vollzieht sich ideologisch eine Aufwertung der Familienarbeit — gekoppelt mit einer Rücknahme sozial-staatlicher Leistungen, die wir bereits feststellten.

III, Politisches Handeln und Betroffenheit klaffen immer mehr auseinander

Gerade in der Familienpolitik ist entgegen allen erklärten Absichten in der Vergangenheit immer festzustellen gewesen, daß der Staat in die Familien „hineinregiert". Das ging weit über die akzeptierten Normen hinaus, wonach staatliche Zuständigkeit für Schulpflicht, familiären Lastenausgleich, Schutz der Rechte des Kindes gegenüber den Eltern unbestritten ist. In den fünfziger und sechziger Jahren wirkte sich das „Hineinregieren" vor allem bei jenen Familien aus, die der Norm von der „privatisierten Kleinfamilie" nicht entsprachen — ledige Mütter, geschiedene Frauen mit Kindern, kinderreiche Familien, Kinder aus bildungsfernen Schichten; sie waren schlecht dran. In den siebziger Jahren eröffnete staatliches „Hineinregieren" auch den vormals benachteiligten Gruppen die Beteiligung an Bildungs-und Freizeitmöglichkeiten, wirtschaftlichem Wohlstand und beruflichem Aufstieg. Jetzt scheint sich erneut ein Schwenk anzubahnen.

Immer war und bleibt aber das staatliche Handeln für die Familien in der Gefahr, ein stellvertretendes Handeln zu sein — gewissermaßen an den Ansprüchen der Betroffenen vorbei. Um dieser Gefahr zu entgehen, sollte sich die derzeitige und die künftig betriebene Familienpolitik stärker auf das abstützen, was sie in der Gesellschaft tatsächlich vorfindet. Die ideologieverdächtigen Ansatzpunkte der amtierenden Familienpolitiker gehen als hoffnungslos veraltet an den Betroffenen vorbei. „Familien sind anders" — wie ein Buchtitel sagt.

IV. Ausgehen von dem, was ist

„Das Familienleben und die Kindererziehung in Familien funktioniert nicht gemäß dem technisch-monetären Modell einer Maschine, die bei Entwurf einiger Münzen ihre Produktionsqualität hebt. Man hat allerdings gelegentlich den Eindruck, daß solche Maschinen zumindest in den Köpfen von Politikern existieren .. " 1. Welche Schlüsse lassen Statistiken zu? Die möglichen Lebensformen der bundesdeutschen Bevölkerung sind im Laufe der letzten Jahre erheblich vielfältiger geworden.

So leben heute nur noch 36 Prozent der Bevölkerung in einer „Familie", die aus Vater, Mutter und Kind(ern) besteht. Ehemals finanziell abhängige Personengruppen — seien dies nun Jugendliche, alleinstehende erwerbstätige Frauen oder Rentner(innen) — haben heute die Möglichkeit zu eigenverantwortlicher Lebensführung, das heißt auch: einem eigenen Haushalt. Innerhalb der letzten 20 Jahre stieg der Anteil der Ein-Personen-Haushalte an allen Haushalten von 20, 6 Prozent auf 30, 2 Prozent. In West-Berlin sind über die Hälfte aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte, ihr Anteil beträgt in Hamburg schon weit mehr als 40 Prozent. Zu 70 Prozent sind diese Ein-Personen-Haushalte Frauen-haushalte, wobei in unserem Zusammenhang besonders berücksichtigt werden muß, daß im Unterschied zu den sechziger Jahren, wo es Normalfall war, daß eine junge Frau aus dem Elternhaus direkt in die Ehe ging, heute viele junge Frauen das Elternhaus verlassen, um einen eigenständigen Haushalt zu gründen. So sind heute die Hälfte aller alleinlebenden Erwerbstätigen Frauen.

Ebenso wie die Entwicklung zugunsten des Ein-Personen-Haushaltes eine erhebliche Veränderung des gesellschaftlichen Gefüges in der Bundesrepublik zur Folge hat, sind die Folgen der veränderten inneren Zusammensetzung von Mehr-Personen-Haushalten beachtenswert. Von allen Mehr-Personen-Haushalten waren über 30 Prozent Ehepaare ohne Kinder, das heißt: bestanden aus einer Generation: mehr als 60 Prozent waren Haushalte mit zwer Generationen, aber nicht einmal drei Prozent waren Drei-Generationen-Haushalte.

In der offiziellen Familienstatistik werden auch Ehepaare ohne Kinder als Familie gewertet. Die Ausarbeitung „Frauen in Familie, Beruf und Gesellschaft", Ausgabe 1983 des Statistischen Bundesamtes kommt dabei zu folgenden Zahlen: „Im Mai 1981 lebten im Bundesgebiet 22, 8 Millionen Familien, von denen die überwiegende Zahl (66, 6 Prozent) aus Ehepaaren bestand. Bei etwas mehr als der Hälfte der Familien (52, 2 Prozent) handelte es sich um solche, in denen keine ledigen Kinder lebten." In schlichten Worten heißt dies: in nicht einmal der Hälfte aller als Familie registrierten Haushalte gibt es Kinder.

Immerhin gibt es 1, 6 Millionen Ein-Eltern-Haushalte, davon 1, 4 Millionen alleinstehende Mütter, das sind 84 Prozent aller Ein-Eltern-Haushalte. Schränkt man diese Zahl ein auf die Ein-Eltern-Familien mit Kindern unter 18 Jahren, so bleiben 870 000 Alleinerziehende über, davon sind 141 000 Väter.

Zur Einkommenssituation: Von allen Mehr-Personen-Haushalten hatten 36, 8 Prozent nur einen Einkommensbezieher, 63, 2 Prozent aber zwei und mehr Einkommensbezieher; hier gehen sowohl die erwerbstätigen Ehepartner wie auch erwerbstätige Kinder in die Statistik ein. Spricht man nur von Ehepaaren, so waren von 15, 2 Millionen Ehepaaren im Mai 1981 in 5, 5 Millionen Fällen (36, 2 Prozent) beide Ehepartner erwerbstätig. 1977 waren in 38 Prozent der Ehen mit Kindern unter 15 Jahren beide Ehepartner erwerbstätig, und dabei lag bei weit mehr als der Hälfte dieser Familien das monatliche Nettoeinkommen der Frauen unter 1 000 DM. Die Statistik weist aus, daß die Erwerbsquote der Mütter um so höher liegt, je geringer das Nettoeinkommen des Haushaltsvorstandes ist. Verdient dieser weniger als 1 250 DM (Bezugszeit: 1978), dann waren 70 Prozent der Mütter erwerbstätig.

Von Arbeiterhaushalten läßt sich sagen, daß das Gesamteinkommen bei 30 Prozent aus Einkünften weiterer Familienmitgliedern besteht, bei Beamten-und Angestelltenhaushalten liegt dieser Anteil nur bei 24 Prozent.

Die Haushaltssituation der Familien wird einerseits durch das Haushaltseinkommen, andererseits aber — und dies ist vermutlich entscheidender — durch die Existenz von Kindern geprägt. In bezug auf die Anzahl der Kinder differiert das ausgabefähige Einkommen von Familien mit Kindern unter 18 Jahren nur geringfügig. „Da das Haushaltseinkommen nicht entsprechend der Kinderzahl zunimmt, bedeutet jedes Kind zunächst auch eine Einschränkung im Lebensstandard. Das Pro-Kopf-Einkommen nimmt mit steigender Familiengröße ab. In kinderlosen Familien entfallen 1979 auf jeden Ehepartner durchschnittlich 1 280 DM im Monat, Ehepaare mit einem Kind verfügen je Familienmitglied über 1 100 DM und in großen Familien mit fünf und mehr Kindern stehen jeder Person nur 895 DM zur Verfügung. Arbeitnehmer-ehepaare mit Kindern liegen um 22 Prozent, Arbeiterfamilien mit fünf und mehr Kindern sogar um 40 Prozent unter dem durchschnittlichen Einkommen." Ein-Eltern-Familien haben übrigens ein bedeutend unter dem Durchschnitt liegendes Einkommen, und finanziell am schlechtesten gestellt sind ledige Mütter: 1977 bezogen 193 000 Familien „Hilfe zum Lebensunterhalt", und davon waren 71 Prozent Ein-Eltern-Familien. • Eine sehr zugespitzte und streckenweise auch äußerst ironische Darstellung, was Kinder kosten, gibt Claus Leggewie in einem sehr lesenswerten Aufsatz, der eine Fülle wichtiger Daten enthält: in Preisen von 1980 hat man nach Berechnungen des „Deutschen Familienverbandes" für die Erziehung und Ausbildung eines Kindes zwischen 130 000 und 420 000 DM zu veranschlagen; Arbeiterkinder kosten im Durchschnitt monatlich 377 DM, Beamtenkinder aber 500 DM und die Kinder Selbständiger gar 526 DM. (Dabei merkt der Autor kritisch an, daß Alleinerziehende, Witwen und geschiedene und getrenntlebende Frauen den geringsten Anspruch auf Unterhaltszahlungen, Kinder-und Wohngeld haben, obgleich doch klar ist, daß sie die höchsten Zuschüsse für die Kindererziehung benötigen). 2. Der Familienalltag in der Statistik Nach wie vor ist die Berufsrealität eines Facharbeiters im Grunde auf einen Mann zugeschnitten, der nicht nur weitgehend von Hausarbeit und Kindererziehung entlastet ist, sondern der darüber hinaus auch davon ausgehen kann, daß für ihn gesorgt wird, wenn er abends müde nach Hause kommt. So weist eine Infas-Untersuchung von Ehepaaren aus, daß Männer zusätzlich zu ihrer Berufstätigkeit für die Familie drei Aufgabenbereiche übernehmen: Reparaturen, Autowäschen und geschäftlichen Briefwechsel; die Frauen — auch dann, wenn sie teil-oder vollerwerbstätig sind — übernehmen den Rest: Einkäufen, Zubereitung der Mahlzeiten, waschen, bügeln, nähen, aufräumen, und der Kanon erweitert sich noch, wenn Kinder zu versorgen sind. Dementsprechend weist eine Repräsentativbefragung des Instituts für Demoskopie in Allensbach im Januar 1977 nach, daß der von Frauen subjektiv als Freizeit empfundene Tagesabschnitt um durchschnittlich 13 Prozent niedriger liegt als bei Männern.

Die Familie ist für den Mann ein weitgehend arbeitsfreier Raum. Helge Pross hat in ihrer Untersuchung über „Die Wirklichkeit der Hausfrau" im Jahr 1975 ermittelt, daß Väter sich am Einkäufen nur zu 9 Prozent, am Kochen zu 3 Prozent, am Abspülen, Waschen, Putzen zu 2 Prozent beteiligen. Die Untersuchung „Mütter zwischen Beruf und Familie" des Deutschen Jugendinstituts kommt zu dem Ergebnis, daß der Anteil von Männern an der geleisteten Hausarbeit bei unter 20 Prozent liegt

Was nun die männliche Jugend angeht, so kommt die Shell-Studie „Jugend 1981" zu dem Ergebnis, daß 91 Prozent der 15-bis 24jährigen jungen Männer noch nie gewaschen haben, 70 Prozent noch nie gekocht, 65 Prozent noch nie geputzt, und nur 40 Prozent räumen selbst ihr eigenes Zimmer auf. Nur 12 Prozent der jungen Männer spülen regelmäßig Geschirr. Auch dann, wenn Mütter ganztägig erwerbstätig sind, übernehmen zwar die Töchter einen Großteil der Hausarbeit, nicht aber die Väter oder Brüder

Im Mai 1981 waren 10, 2 Millionen Frauen erwerbstätig, was einer Erwerbsquote von 38 Prozent entspricht. Dabei kamen auf 100 erwerbstätige Frauen 174 Kinder. Bei den Arbeitnehmerinnen mit Kindern (3, 6 Millionen) überwog die Ein-Kind-Familie (51, 9%). Der Anteil der Zwei-Kinder-Familie betrug 35 Prozent und der Anteil der Arbeitnehmerinnen mit drei und mehr Kindern 13, 1 Prozent. Die als Selbständige oder mithelfende Familienangehörige tätigen Frauen mit Kindern hatten im Durchschnitt mehr Kinder. Für all diese Familien — die besonderen Probleme der Berufstätigkeit von Frauen werden weiter unten behandelt — stellt sich das Problem der Kinderversorgung, das in Deutschland besonders drängend ist, weil hier die Schule mittags endet. In großem Umfang — so weist eine Repräsentativerhebung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit von 1975 aus — sind die Eltern auf private Lösungen zur Betreuung ihrer Kinder angewiesen. Die Betreuung der Schulkinder ist besonders problematisch, weil das staatliche Angebot nicht ausreicht; deshalb streben viele Mütter vormittags eine Teilzeitbeschäftigung an.

V. Exkurs: Frauen sind mehr als das Herz der Familie

Auch heute ist die Welt der Frauen noch vorwiegend die Welt der Familie, obgleich ein großer Teil der Frauen, wie die Statistik nachweist, nicht, noch nicht oder nicht mehr in Familien lebt. Frauen, die hauptberuflich Mutter sind, werden in diesem Beruf durchschnittlich nur ein Viertel ihres Lebens gebraucht. Dies rechtfertigt, sich mit der Situa-tion der Frauen im Rahmen einer familienpolitischen Darlegung gesondert zu befassen. Die meisten Frauen leben in familiären Bindungen und wollen diese nicht missen; das durchschnittliche Heiratsalter bei Frauen hat sich seit 1960 nahezu nicht verändert. Allerdings ist der zeitliche Abstand von der Eheschließung bis zur Geburt des ersten Kindes größer geworden, die Zahl der in einer Ehe geborenen Kinder hat sich seit 1967 drastisch verringert — der sogenannte „Pillenknick" —, außerdem ist die Zahl der Ehescheidungen erheblich gewachsen. 4 Rechtlich hat sich die Position der Frau in der Familie erheblich verbessert: ihr Wort in Erziehungsfragen gilt genausoviel wie das des Vaters, die Verteilung der familiären Lasten zwischen Gelderwerb und Erziehungspflichten wird ihr zumindest vom Gesetzgeber nicht mehr diktiert, die Ehe als Zugewinngemeinschaft ist unumstritten, der Zugewinnausgleich erstreckt sich seit der Reform des Scheidungsrechtes auch auf Altersversorgungsansprüche. Schließlich: ledige Mütter wurden verheirateten rechtlich gleichgestellt in der Beziehung zu ihren Kindern, und deutsche Mütter wurden deutschen Vätern insoweit gleichgestellt, als sie in gemischtnationalen Ehen ihre deutsche Staatsangehörigkeit auch auf die Kinder vererben können. Hinter all diesen gesetzlichen Fortschritten hinkt die Entwicklung des gesellschaftlichen Bewußtseins je nach Bildungsstand und politischer Konstitution mehr oder weniger beachtlich hinterher.

Halten wir fest: Die Frauenarbeit hat in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik ihren Charakter deutlich verändert: von 100 erwerbstätigen Frauen sind heute nahezu 90 als Lohnarbeiterinnen beschäftigt, gegenüber 59 im Jahre 1950; nur noch 8 von 100 Frauen arbeiten als mithelfende Familienangehörige, während es 1950 noch mehr als 30 waren.

Erwerbstätige Frauen haben heute ein höheres Durchschnittsalter als früher. Die Quote bei den 15-bis 20jährigen Frauen fiel wegen der verlängerten Bildungszeiten erheblich ab;

die Quote der 20-bis 25jährigen Frauen blieb zwischen 1960 und 1980 relativ konstant, stark zugenommen hat die Erwerbstätigkeit der Altersgruppe zwischen 25 und 50 Jahren;

in dieser Gruppe sind rund 53% der Frauen heute erwerbstätig.

Den Verschiebungen in der Altersstruktur entsprechen verständlicherweise Veränderungen im Familienstand der erwerbstätigen Frauen. Während 1950 nur etwas mehr als ein Fünftel der verheirateten Frauen erwerbstätig war, waren es im Jahr 1980 knapp 39% (in absoluten Zahlen: 5, 8 Millionen verheiratete Frauen). Heute kann man sagen, daß rund zwei Drittel aller erwerbstätigen Frauen verheiratet sind; fragt man allgemein nach familiären Verpflichtungen, müßte man die geschiedenen und verwitweten Frauen hinzurechnen und erhielte dann einen Prozentsatz von 70, was bedeutet, daß der weit, weit überwiegende Teil erwerbstätiger Frauen darüber hinaus familiäre Verpflichtungen hat.

44% aller erwerbstätigen Frauen im Jahr 1980 hatten Kinder unter 18 Jahren zu versorgen, dabei lag die Erwerbstätigenquote von Müttern mit Kindern unter 3 Jahren bei 33, 5%, mit Kindern unter 6 Jahren bei 36% und mit Kindern zwischen 6 und 15 Jahren bei 43,28%

Grob unterteilt kann man die Erwerbstätigkeit von Frauen im Hinblick auf ihre familiären Verpflichtungen drei etwa gleich großen Gruppen zuordnen: Ein Drittel aller Frauen scheidet nach der Geburt von Kindern aus dem Erwerbsleben aus, ein weiteres Drittel nimmt den gesetzlichen Mutterschutz und den Mutterschaftsurlaub in Anspruch, kehrt aber unmittelbar danach in das Erwerbsleben zurück, das dritte Drittel schließlich unterbricht wegen der Phase der Kindererziehung für mehr oder minder lange Zeit die Erwerbstätigkeit. Nur rund 7% aller Frauen in der Bundesrepublik sind in ihrem Leben nie erwerbstätig gewesen.

Noch ein weiterer Trend ist interessant: Die durchschnittliche Dauer der Unterbrechung von Erwerbstätigkeit hat deutlich abgenommen: weit mehr als die Hälfte der Frauen kehrt nach weniger als fünf Jahren wieder in den Beruf zurück, viele allerdings — soweit dies der Arbeitsmarkt gestattet — nehmen dann eine Teilzeitbeschäftigung auf.

Alle Statistiken weisen aus, daß unter den Gründen, weshalb Frauen ihre Erwerbstätigkeit beibehalten oder nach relativ kurzer Pause wieder aufnehmen, der finanzielle Aspekt die wichtigste Rolle spielt: Neben der Sicherung des Lebensstandards spielt die eigene Alterssicherung eine entscheidende Rolle, d. h. die Ehe wird nicht mehr als „Versorgungseinrichtung" bewertet; dies ist den Frauen angesichts der Scheidungsquote inzwischen zu riskant.

Schließlich spielt der Beruf natürlich auch für die Selbstbestätigung der Frauen eine wich-tige Rolle; Kontakte zur Umwelt, eigenes Geld, ein eigener Kollegen-und Freundeskreis, darauf möchten viele Frauen nicht mehr verzichten.

Wie wichtig den Frauen für ihr eigenes Selbstverständnis, für ihre persönliche Zufriedenheit und damit auch für das Klima, das die Frauen in ihren Familien erzeugen oder verbreiten, die eigene Erwerbstätigkeit ist, bestätigen die Aussagen arbeitsloser Frauen. Nach einer einschlägigen Untersuchung beurteilen annähernd zwei Drittel arbeitslos gewordener Frauen ihre Erwerbstätigkeit als einen wichtigen Gradmesser für die Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit.

Genauso wie sich die Erwerbstätigkeitsstatistik der Frauen verändert hat, zeigt die Bildungsstatistik ein gründlich verändertes Bild: Der Anteil der Schülerinnen liegt inzwischen bei fast 54% an den Realschulen, bei annähernd der Hälfte an den Gymnasien; von 1960 bis 1978 hat sich der Anteil der Frauen an den Abiturienten um mehr als 11% erhöht: 1978 betrug er 47%, und weibliche Studienanfänger gab es 1978 44%.

Einrichtungen des zweiten Bildungsweges muß man hinzuzählen: Frauen nahmen an den Abendgymnasien zwischen 1960 und 1979 von auf 51 % zu, in den Kollegs von 16 auf 42%. Erhöht hat sich auf allen beruflichen Ebenen der Anteil der Frauen mit abgeschlossener Berufsausbildung.

Alle Untersuchungen, die sich mit der Bildungs-und Berufssituation junger Frauen beschäftigen, weisen eindeutig aus, daß von einer schulischen Diskriminierung der jungen Frauen heute nicht mehr gesprochen werden kann — jedenfalls bis zum Eintritt der BaföG-Kürzungen nicht gesprochen werden konnte.

Die Schwierigkeiten für junge Frauen beginnen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz und bei der Suche nach qualifizierten Arbeitsplätzen: Hier haben sie eindeutig die schlechteren Karten — trotz besserer Schulund Bildungsabschlüsse und trotz hartnäckigerer Suche.

Ohne Frage ergeben sich aus der gestiegenen Müttererwerbstätigkeit Folgen hinsichtlich der berufsmäßigen und der Rollen-Orientierung der nachwachsenden Generation. Solche Veränderungen ergeben sich auch aus dem gestiegenen Bildungsniveau der jungen Frauen heute. Zwar ist — wie der 6. Jugend-bericht „Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland" ausweist — die Datenlage zur Situation der Mädchen insgesamt unzureichend. Aber einige einschlägige Untersuchungen geben doch Anhaltspunkte dafür, welche Erwartungen junge Frauen in unserer Gesellschaft hinsichtlich ihrer Zukunft haben 18). Die in diesen Untersuchungen im Mittelpunkt stehende Altersgruppe der Mädchen umfaßt ziemlich genau die geburtenstarken Jahrgänge. Diese Altersgruppe hatte am stärksten von der Bildungsexpansion profitiert und wird nun — ebenfalls am stärksten — von den Streichungen der Ausbildungsförderung und von den verschlechterten Ausbildungs-und Arbeitschancen der jungen Generation in Mitleidenschaft gezogen.

Mit welchen Erwartungen sieht diese Generation der Zukunft entgegen? Wie geht sie ihr Leben an? Unter der Überschrift „Bedeutung des Berufs für Mädchen" sagt dazu der 6. Jugendbericht (Seite 40): „Mädchen planen eine qualifizierte Berufstätigkeit als festen Bestandteil in ihr Leben ein ... Einen sicheren Arbeitsplatz halten genauso viel Männer wie Frauen im Alter von 15 bis 30 für wichtig/sehr wichtig, beruflichen Erfolg sehen 61% der Befragten als für Männer und Frauen gleichermaßen bedeutsam."

Die neue Verunsicherung der Mädchen wächst also daraus, daß sie fürchten, trotz ausgeprägter Bildungs-und Berufsmotivation keinen dieser Vorbildung entsprechenden zufriedenstellenden Arbeitsplatz zu finden.

Diese gezielte Suche nach einem zufrieden-stellenden Beruf bedeutet für die jungen Frauen allerdings keineswegs, daß sie eindeutig und nur auf den Beruf fixiert wären. Eher ist das Gegenteil richtig: ein Leben ohne Familie und ohne Kinder möchten sich die jungen Frauen nicht vorstellen.

Eine Fremdbetreuung ihrer Kinder lehnen sie — zunächst in der Theorie — eindeutig ab. Eine Fremdbetreuung ihrer Kinder lehnen sie — zunächst in der Theorie — eindeutig ab. Allerdings ist der Glaube, daß Kinder die Mutter rund um die Uhr brauchen, nur bei denjenigen jungen Frauen ausgeprägt, die selbst Mütter haben, die ausschließlich Familienfrauen sind.

Viele junge Frauen kritisieren, daß ihre eigene Mutter sich nur für die Familie „abgerackert" hat; das wollen sie selbst anders machen. Sie gehen dabei auch davon aus, daß ihr zukünftiger Partner sich an der Familienarbeit beteiligt. Die Gleichung „Mann gleich Beruf" wollen sie nicht akzeptieren, eine gleichberechtigte Partnerschaft ist ihnen wichtig.

Für die Gesellschaft stellt sich in diesem Punkt die Frage, wie sie so konkrete Erwartungen der nachwachsenden Frauengeneration in den bereitgestellten Möglichkeiten berücksichtigt. Zur Zeit kann von einer wie auch immer gearteten Berücksichtigung keine Rede sein: Mädchen sind von den eingeschränkten Maßnahmen der Bildungsförderung weit stärker betroffen als Jungen; Mädchen sind auch von den gekappten Chancen auf dem Arbeitsmarkt weit stärker betroffen; die Durchlässigkeit zwischen Familienleben und Erwerbsarbeit ist nicht angewachsen, sondern eher geschrumpft; die außerhäusliche Hilfestellung, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren, hat sich nicht verbessert; der familiäre Finanzrahmen, um Frauen nach einer Phase der Familienorientierung den Wiedereinstieg in das Berufsleben zu erleichtern, hat sich stark verengt; und ideologisch propagieren die Schamanen einer neuen Mütterlichkeit im grünen wie im konservativen Lager „die sanfte Macht der Familie".

VI. Das'Hineinwirken gesellschaftlicher Umstände in die Familie

Von vielen Faktoren, die auf das Leben in der Familie einwirken, war bereits die Rede. Am einschneidendsten neben den rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen wirken sich mit Sicherheit die Gesetzmäßigkeiten der Industriegesellschaft aus. Zugespitzt könnte man fragen, warum eigentlich der Lebensraum und der Lebensrhythmus von Familien so überwiegend von den Forderungen der Industriegesellschaft bestimmt sein muß? Wäre nicht das Umgekehrte zumindest denkbar, daß das, was der Familie bekommt, in die Bedingungen der Industriegesellschaft einmündet oder daß zumindest ein besserer Ausgleich zwischen diesen beiden Bereichen geschaffen wird?

Wir beklagen die „mutterlose Gesellschaft" und müßten ebenso die „vaterlose Familie" beklagen. Beide Seiten würden viel gewinnen, wenn es gelänge, Beruf und Familie hinsichtlich ihrer Existenzbedingungen aufeinander zuzuführen.

Die Bedingungen der Industrieproduktion schreiben die Arbeitsabläufe vor: Viele sind schematisch und einseitig. Der nur einseitig geforderte Mensch reagiert mit Abstumpfung und Ermüdung; alle empirischen Untersuchungen zeigen, daß sein Freizeitverhalten meist die berufliche Eintönigkeit fortsetzt. In diesem Zusammenhang kommt der Auffächerung des Medienangebotes durch Videorecorder, Satellitenfernsehen, Kabelfernsehen, Bildschirmtext etc. große Bedeutung zu, weil diese Entwicklung den Wunsch nach weiterem Konsum, aber auch die Flucht in weiteren Konsum verstärkt, statt Impulse zu aktiver Freizeitgestaltung zu geben oder zu verstärken. Wünsche, aus der Eintönigkeit der Arbeitsund Konsumwelt „auszusteigen", finden sich mannigfach: In allen westlichen Industrieländern und auch bei uns gibt der Alkoholkonsum Anlaß zu ernster Sorge, weil im Zusammenhang damit die Gewalt in der Familie insbesondere gegenüber Frauen und Kindern zunimmt. Auch andere Drogen werden — vor allem von jungen Menschen — konsumiert, um dem Druck schwer zu bewältigender Lebensumstände zu entkommen.

Wer wenig gelernt hat, weiß sich schwer zu beschäftigen, und er gibt die auf Anordnung und widerspruchslosem Vollzug beruhenden autoritären Strukturen des Arbeitsprozesses an die Struktur der Beziehungen in seiner Familie weiter: Nach einer soziologischen Untersuchung der pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe sucht nur ein knappes Drittel der Eltern bei Konflikten mit den Kindern das klärende Gespräch; viele Eltern verhalten sich in der Praxis wesentlich anders, als sie es nach ihrem eigenen Erziehungsideal im Grunde vorhaben, und das Erziehungsklima hängt ganz entscheidend von der Arbeitssituation der Väter ab

Am einschneidendsten wirkt die Massenarbeitslosigkeit in die Lebensumstände von Familien hinein. An der Pädagogischen Hochschule Reutlingen wird z. Zt. ein auf drei Jahre angelegtes Forschungsprojekt durchgeführt, das bei Hauptschülern untersucht, welche Folgen die Arbeitslosigkeit eines Elternteils oder beider Eltern auf die Familie und auf das Lebensgefühl der jungen Menschen hat. Weil das Ergebnis dieser Untersuchung — in etwa 40% der Haushalte von Arbeitslosen, die älter als 25 Jahre sind, leben Kinder unter 18 Jahren — so bedrückend ist, gingen die Autoren der Studie vorzeitig an die Öffentlichkeit Festzustellen war, daß einer Phase anfänglich verstärkter Solidarität der Familie bei Dauerarbeitslosigkeit nicht selten Entfremdung folgt und ein „Bedeutungsverlust des Vaters als Ehemann und Erzieher". Die Kinder reagieren auf Arbeitslosigkeit und wachsende Armut ihrer Eltern unsicher und ängstlich.

Arbeitslose Mütter erleiden eine zusätzliche Einbuße an Selbstwertgefühl dadurch, daß ihnen nach einjähriger Arbeitslosigkeit nicht einmal die Arbeitslosenhilfe gewährt wird, weil das Einkommen des Ehemannes meist über der Bemessungsgrenze von Arbeitslosenhilfe liegt.

Bei der Frage, wie gesellschaftliche Umstände in die Familie hineinwirken, geht es auch darum zu klären, inwieweit Berufs-und Familienpflichten zu vereinbaren sind und was an der oft propagierten „Wahlfreiheit" zwischen Beruf und Familie wirklich dran ist. Tatsache ist, daß Väter mit „Mutterpflichten" in der Gesellschaft nur als Abweichung von der Norm akzeptiert werden und es als Abweichler nicht leicht haben. Für sie also existiert eine „Wahlfreiheit" im Grunde nicht: Väter sind erwerbstätig, punktum, für die Familie stehen sie nur ausnahmsweise zur Verfügung. Die Wahlfreiheit der Mütter muß gleichfalls mit einem großen Fragezeichen versehen werden, denn wenn eine Frau aus ihrem angestammten Beruf ausscheidet, um für kürzere oder längere Zeit Kinder zu erziehen, kann sie mit nahezu keiner Hilfestellung rechnen, wenn sie in den Beruf zurückkehren möchte; Zeiten der Kindererziehung wirken sich renten-rechtlich nicht positiv aus, eine Karriere mit „Pause" ist eher die Ausnahme. Auch eine „Wahlfreiheit" zwischen voller und Teilzeit-Beschäftigung existiert im Grunde nicht: Den Hunderttausenden von Müttern, die eine Teilbeschäftigung suchen, stehen nur Tausende von offenen Stellen gegenüber.

Über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie machen sich weder Arbeitgeber noch Politiker z. Zt. konstruktive Gedanken, weil es Arbeitskräfte mehr als genug auf dem’ Markt gibt und die Bedürfnisse der Mütter dabei getrost vernachlässigt werden können. Einzig die Mütter selbst und ihre bescheidene Lobby weisen darauf hin, daß nach wie vor zu wenig Versorgungsmöglichkeiten für Kleinkinder gegeben sind, daß die Öffnungszeiten der Kindergärten und die betrieblichen Arbeitszeiten nicht abgestimmt sind, daß die Halbtagsschule und der Ganztagsberuf nicht zusammenpassen und daß es insbesondere an Beurlaubungsmöglichkeiten für die Eltern von Kleinkindern ganz erheblich mangelt. Wichtige empirische Ergebnisse über diesen Bereich der Familienpolitik liefert die Untersuchung „Mütter zwischen Beruf und Familie"

In dieser Untersuchung wird vor allem herausgearbeitet, daß im Vergleich zu den anderen Ländern in der Bundesrepublik Deutschland besonders starre ideologische Fronten festzustellen seien, was die Bewertung der Müttererwerbstätigkeit und der Familienarbeit anbelangt Praktischer Politik für Familien nutzt diese ideologische Konfrontation aber überhaupt nicht.

VII. Was eine realistische Familienpolitik leisten soll

Von dem, was Sozialdemokraten seit Jahren fordern und durch Untersuchungen bestätigt sehen, sind fortschrittliche Konservative gar nicht weit entfernt. So schreibt bespielsweise Warnfried Dettling: „Alternativen in der Industriegesellschaft, das bedeutet dagegen: durch kürzere Arbeitszeiten, Job-Sharing, mehr Teilzeitarbeitsplätze für Frauen und Männer, mehr Wahlmöglichkeiten zu schaffen; es bedeutet die Chance, unterschiedliche Lebensweisen, Familie und Beruf, miteinander verbinden zu können, so daß sich der Status des Mannes/Vaters nicht allein von seinem Beruf, jener der Frau/Mutter, nicht alleine von Küche und Kindern ableiten müßte — eine Bereicherung vermutlich für Familie und Arbeitswelt."

Was alles geschehen müßte, um den Familien in der Bundesrepublik Deutschland zu einer glücklicheren und zufriedenstellenden Existenz zu verhelfen, ist unter unterschiedlichen Aspekten in den vergangenen Jahren häufig dargestellt worden. An den ideologischen Fronten hat sich durch solche Darstellungen nichts geändert. Ich plädiere für folgendes:

1. Politiker sollten die gesellschaftliche Situation möglichst ideologiefrei zur Kenntnis nehmen. Dies bedeutet zuallererst, daß sie von ihrer eigenen Betroffenheit in familien-politischen Fragen absehen müssen. Diese männlichen „Vertreter des ganzen deutschen Volkes" sind nämlich nicht die „Norm" der Gesellschaft, so gern sie es auch wären. Sie sollten offen wahrnehmen, wie sich die Gesellschaft im Laufe der letzten 20 Jahre verändert hat.

2. Daraus ergibt sich, daß diese Politiker, die den „mündigen Bürger" so gern apostrophieren, doch auch an die mündige Bürgerin denken müßten und schlicht zur Kenntnis zu nehmen hätten, was an empirischen Befunden über die jüngere Frauengeneration in unserer deutschen Gesellschaft ermittelt wurde.

Diese Ergebnisse besagen eindeutig, daß stellvertretendes Handeln von männlichen Politikern in Familienfragen nicht erwünscht ist. Die mündige Bürgerin weiß, was sie will: eine gute Schulausbildung, eine Berufsausbildung mit Zukunftsperspektive, sozial abgesicherte Zeiten der Kindererziehung und sichere Rückkehrmöglichkeiten in den Beruf, abgefedert durch flexible Arbeitszeiten. „Mann" sollte es ihr endlich gewähren. 3. Dies bringt mit sich, daß das politische Handeln in unserer Gesellschaft nach konkreten Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen verlangt Aus allen Untersuchungen ergibt sich, daß die Wünsche, Beruf und Familie zu vereinbaren, für Männer und Frauen den allerersten Rang einnehmen.

t 4. Aus den drei vorgenannten Punkten folgt schließlich die Hauptforderung an die Politiker: sie müssen endlich und ein und für allemal die Komplexität des Problems „Politik für die Familie" anerkennen. Da ist es wirklich nicht damit getan, für das erste Lebensjahr eines Kindes Geld auszuschütten, und dies auch nur an Frauen, die während dieser Zeit nicht erwerbstätig sind, denn jeder denkende Mensch weiß, daß Kinder auch über das erste Lebensjahr hinaus Kosten verursachen, Beaufsichtigung brauchen und elterliche Zuwendung nötig haben. In dieser Hinsicht greifen alle jetzt in der Diskussion befindlichen familienpolitischen Maßnahmen zu kurz, weil sie immer nur am Geld ansetzen.

Die Zeiten, in denen man glaubte, mit einer Erhöhung des Kindergeldes oder mit Steuer-manipulationen zugunsten der Familie erstens die Geburtenfreudigkeit, zweitens die Kinderfreundlichkeit in unserer Gesellschaft schlagartig heben zu können, sollten endgültig vorbei sein. Niemand bekommt Kinder, nur wenige scheiden aus ihrem Beruf aus, weil sich dies „rechnet", denn niemals können staatliche Entlastungsmaßnahmen so bemessen werden, daß eine Familie mit Kindern materiell genauso ausgestattet ist wie eine Familie ohne Kinder. Dies erwartet aber auch kein Ehepaar vom Staat, denn es möchte Kinder nicht haben, um dem Staat und dem Rentensystem wohlgefällig zu sein, sondern aus ganz anderen Gründen.

Männer und Frauen, die sich heute Kinder wünschen, sind bereit, auf manches an Be-B quemlichkeit und materiellem Wohlstand zu verzichten. Was sie nicht möchten, ist, daß ihnen mit der Geburt des ersten Kindes praktisch ein Leben ohne Alternative bis an ihr Lebensende vorgeschrieben wird. Deshalb muß politisches Handeln darauf gerichtet sein, möglichst seismographisch die Komplexität des Problems „Familie" wahrzunehmen und so offen darauf zu reagieren, daß Väter und Mütter bessere Möglichkeiten sehen, ihre Berufs-und Familienpflichten miteinander zu vereinbaren. „Keine Angst vor Alternativen" überschreibt der Berliner Sozialsenator Ulf Fink ein von ihm herausgegebenes Buch. Dies müßte der Appell für eine Familienpolitik der Zukunft sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Elisabeth Schwarzhaupt in einem Aufsatz zum Thema „Witwenversorgung", zit. nach: A. Kohleiss, Sie heiratet ja doch, Freiburg 1983, S. 123.

  2. Zit. nach „Psychologie heute", Juli 1983, S. 38.

  3. W. Dettling, Die CDU und die Alternativen — entfernte Verwandte?, in: U. Fink (Hrsg.), Keine Angst vor Alternativen, Freiburg 1983, S. 64.

  4. Ich stütze mich auf: H. Ebel/R. Eickelpasch/E. Kühne (Hrsg.), Familie in der Gesellschaft, Gestaltung — Standort — Funktion, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 204, Bonn 1983; J. Beyer/F. Lamott/B. Meyer (Hrsg.), Frauenhandlexikon, Stichworte zur Selbstbestimmung, München 1983; C. Pust/P. Reichert/A. Wenzel u. a., Frauen in der BRD, Hamburg 1983; G. Erler/M. Jäckel/J. Sass, Mütter zwischen Beruf und Familie, München 1983.

  5. „Die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland" — 3. Familienbericht — Bericht der

  6. Beschlüsse zur Familienpolitik — Parteitag Hamburg 1977, veröffentlicht in: Aktuelle Informationen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Nr. 1, Januar 1979, S. 10.

  7. Siehe Fußnote 4, S. 123 ff.

  8. A. a. O„ S. 134.

  9. K. Biedenkopf: Die Chance der Krise nutzen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 10. Oktober 1981.

  10. R. Leicht, Familienpolitik voller Widersprüche, in: Süddeutsche Zeitung vom 19. März 1984.

  11. K. Wahl/G. Tüllmann/M. -S. Honig/L. Gravenhorst, Familien sind anders, Hamburg 1980, S. 254.

  12. C. Pust u. a., a. a. O. (Anm. 4), S. 128

  13. C. Leggewie, Lieb und Teuer. Eine Nachwuchs-kostenanalyse, in: Kursbuch 72, Die neuen Kinder, Juni 1983, S. 95 ff.

  14. H. Pross, Die Wirklichkeit der Hausfrau, Hamburg 1975; G. Erler/M. Jäckel/J. Sass, Mütter zwischen Beruf und Familie, München 1983.

  15. Zit. nach der Untersuchung „Mädchen 82", hrsg. von der Redaktion Brigitte, September 1982, S. 18.

  16. All diese Zahlen entstammen dem Buch Trauen in der BRD", S. 14 ff.

  17. A. Gnegel/G. Mohr, Wenn Frauen ihren Arbeitsplatz verlieren, in: Mohr/Rummel/Rückert (Hrsg.), Frauen. Psychologische Beiträge zur Arbeits- und Lebenssituation, München 1982, S. 95

  18. Abgesehen von den von der Kommission des 6. Jugendberichtes erbetenen Expertisen handelt es sich um folgende Untersuchungen: G. Seidenspinner/A Burger, Mädchen 82, Hamburg 1982; Infratest Sozialforschung, Veränderungen in der Motivationsstruktur Jugendlicher und junger Erwachsener, Untersuchung (1982) im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit; Jugendwerk der Deutschen Shell, Jugend 81. Lebensentwürfe, Alltagskulturen, Zukunftsbilder, Hamburg 1981.

  19. G. Steinkamp/W. Stief, Lebensbedingungen und Sozialisation. Die Abhängigkeit von Sozialisationsprozessen in der Familie von ihrer Stellung im Verteilungssystem ökonomischer, sozialer und kultureller Ressourcen und Partizipationschancen, Opladen 1978.

  20. Frankfurter Rundschau vom 26. 3. 1984, S. 1, Artikel: Arbeitslose Männer verlieren Bedeutung als Vater und Ehemann.

  21. G. Erler/M. Jäckel/J. Sass, Mütter zwischen Beruf und Familie. München 1983.

  22. Gerade der konservative Leser sollte stutzig werden über die Ergebnisse einer Untersuchung über berufstätige Mütter, die Elisabeth Noelle-Neumann angestellt hat. Sie hat Umfrageergebnisse von 1965 mit jenen von 1979 verglichen und kommt zu eindeutig positiven Ergebnissen für die familiären Auswirkungen von mütterlicher Erwerbstätigkeit. Ein Teil des unveröffentlichten Manuskriptes eines Vortrages über „Berufstätige Mütter" wurde in der FAZ vom 8. 10. 1979 abgedruckt und verschiedentlich ausgewertet und zitiert, so beispielsweise von Prof. Dr. I. Langer/El Sayed in: Familienpolitik: Tendenzen, Chancen, Notwendigkeiten, Frankfurt/Main 1980.

  23. Warnfried Dettling, a. a. O. (Anm. 3), S. 64.

  24. Der Forderungskatalog ist in verschiedenen Bundestags-Drucksachen und Untersuchungen niedergeschrieben; ich nenne: Bericht der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft, Drucksache 8/4461; Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland — 3. Familienbericht — Drucksache 8/3121; Erler/Jäckel/Sass, a. a. O. (Anm. 21); Wahl/Tüllmann/Honig/Gravenhorst, a. a. O. (Anm. 11).

Weitere Inhalte

Anke Martiny, Dr. phil., geb. 1939; Studium der Musikwissenschaft, Germanistik, Soziologie in Berlin, Wien, Göttingen; seit 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Verbraucherpolitik der SPD-Fraktion und verbraucherpolitische Sprecherin der SPD. Zahlreiche Veröffentlichungen auf folgenden Gebieten: Verbraucherpolitik, Freizeit, geschlechtsdiskriminierende Werbung, Geschichte der Frauenbewegung, Frauen und Hochschule, Familie.