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Familienpolitik ist „Neue-Männer-Politik" Überlegungen zu einer ökologischen Familienpolitik | APuZ 20/1984 | bpb.de

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APuZ 20/1984 Artikel 1 Politik zugunsten der Familie Plädoyer für eine realistische Familienpolitik Liberale Familienpolitik Familienpolitik ist „Neue-Männer-Politik" Überlegungen zu einer ökologischen Familienpolitik

Familienpolitik ist „Neue-Männer-Politik" Überlegungen zu einer ökologischen Familienpolitik

Michael Opielka

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf der Grundlage einer kritischen Einschätzung der modernen Familie, die als patriarchalische Familie verstanden wird, diskutiert der Beitrag entlang einzelner Erlebnisfelder von Familie (Arbeit, Sexualität, Kinder, Gewalt) den „Preis", den die herrschende Familien-struktur den beteiligten Personen abfordert. Besonderer Wert wird darauf gelegt, daß der von den Männern erlebte, aber durch herrschaftliche Verkehrsformen und eine sexistische Arbeitsteilung zwischen Haus-und Berufsarbeit verdrängte Verlust an Erfahrungsbereichen herausgearbeitet wird. Dieser „Preis" wird weiterhin-mit den aktuellen Tendenzen in der Familienpolitik konfrontiert. Der Beitrag endet in der Skizze eines Entwurfes „ökologischer Familienpolitik", zu der ökonomische, psychosoziale und kulturelle Anmerkungen sowie konkrete Vorschläge gemacht werden.

Wer sich mit dem Thema Familie und mit der Aufgabe beschäftigt, die die Politik zu ihrer Förderung zu erfüllen hätte, kann zwei Ansätze wählen: Für den ersten gilt die um die (monogame) Ehe gruppierte Familie als „Keimzelle der Gesellschaft", aus der heraus Mann und Frau um die Erfüllung der vier „Grundfunktionen" der Familie bemüht sein sollen: die Legitimierung sexueller Beziehungen, die wirtschaftliche Versorgung im Rahmen eines Haushalts, die Erzeugung und die Sozialisation des Nachwuchses. Je nach politischer Herkunft wird die dabei bestehende geschlechtliche Aufgabenteilung entweder als „natürlich" bezeichnet oder man plädiert für eine „Gleichstellung" der Frauen: dies bedeutet, daß sie zusätzlich die Aufgaben der Männer (vor allem im Erwerbsleben) übernehmen können oder sollen. Sämtliche Vertreter/-innen dieses Ansatzes stellen jedoch die Arbeitsteilung nach Geschlecht, die Herrschaft der Männer über die Frauen und ihre Gebärfähigkeit — also das Patriarchat — nicht grundsätzlich in Frage. Dieser Ansatz ist der heute herrschende.

Der zweite Ansatz sieht die Familie eher als „Gefängniszelle der Gesellschaft" und stellt deshalb die bekannten Institutionen Ehe und Familie erst einmal radikal zur Diskussion. Er versucht, die Geschichte der Familie aus der Geschichte des Patriarchats zu lesen, um damit zu Folgerungen für heutige Familienpolitik zu gelangen. Dieser Ansatz wurde im wesentlichen durch die feministische und ökologische Kritik an Herrschaftsverhältnissen in

Familie, Gesellschaft, über Frauen und Natur entwickelt. Seine Perspektive ist die Suche nach Lebensformen, die jedem Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter und Herkunft, am meisten entsprechen.

Mit dem vorliegenden Beitrag soll der Versuch unternommen werden, diesen zweiten Ansatz durch einen Blick auf die Wurzeln des Patriarchats anzudeuten, um damit 2.den „Preis" der herrschenden Familienform für alle Beteiligten erfassen zu können. Die Konfrontation mit der regierungsamtlichen Familienpolitik „Neuer Mütterlichkeit" macht vielleicht die unter 3. skizzierte Perspektive einer ökologischen Familienpolitik, als Teil einer umfassenden ökosozialen Politikalternative, plausibel: ihr oberstes Ziel ist die (Wahl-) Freiheit für alle Rollen und Tätigkeiten: eine radikale Perspektive gewiß, zu der erste Schritte diskutiert werden.

Vorneweg möchte ich noch persönlich anmerken, warum ich als Mann über Familie und gegen das Patriarchat schreibe: ich bin mittlerweise fest davon überzeugt, daß die Überwindung des Patriarchats auch für uns Männer notwendig ist. Ich möchte mich hier Ernest Bornemann, der die verdienstvollste männliche Arbeit über das Patriarchat verfaßte, anschließen: „Die Tragödie des Patriarchats ist nicht nur die Selbstzerstörung des Mannes als Resultat seines Versuches, die Frau zu seiner Sklavin zu machen, sondern die Zerstörung des weiblichen Bewußtseins seiner selbst". 1).

I. Warum die patriarchale Familie das Ende verdient

1. Die Familie als letzte Bastion gegen die totale Erfassung?

Ihre erstaunliche Langlebigkeit scheint die Familie ganz spezifischen Grundcharakteri-stika zu verdanken: „Die Vorteile der institutionalisierten Familienform gegenüber anderen Kooperationsformen liegen nicht allein in den Leistungen, die sie für die Gruppenmit-glieder erbringt und auch nicht allein in den Leistungen, die sie für die Gesellschaft erbringt. Der evolutionstheoretische Vorteil muß gerade in der Verknüpfung beider Leistungsmomente gesehen werden." In der Familie verwirklichte sich dabei das Bedürfnis der Einzelmenschen nach Intimität, Privatheit, Schutz, nach personaler Beziehung in besonders glücklicher Weise.

Gerade diese Funktion in der Familie als Hort des Privaten, als Schutzraum vor der kalten Rationalität der Industriewelt, scheint der Grund für das derzeit wieder erstarkende Interesse an Familie zu sein Es soll hier keineswegs bestritten werden, daß die Familie auch Vorzüge besitzt. Wer mit den Extremen sozialen Lebens Erfahrungen gemacht hat, beispielsweise in Psychatrie und Heimerziehung, der weiß, daß selbst katastrophale Familienverhältnisse besser sind als keine, als die isolierte Existenz in einer Massengesellschaft. Und wie wir wissen, bietet die moderne Familie durchaus auch Chancen der Persönlichkeitsentfaltung, Individualisierung und Emanzipation, die in früheren Zeiten den Frauen und den Massen verschlossen waren. 2. Die Geschichte der Familie ist die Geschichte patriarchaler Herrschaft über Frauen und Natur — oder: die ökologische Krise beginnt bei der Geburt Die Kritik des Patriarchats als Grundmuster der Mann-Frau-Beziehungen und der Familie kann helfen, zu den Ursprüngen des gesellschaftlichen Fehlwegs vorzustoßen, mit dessen potentiellem Ende wir derzeit konfrontiert sind: der weltweiten Selbstvernichtung der Menschheit, sei es durch militärische Aggressionen oder sei es durch die Zerstörung der natürlichen Grundlagen menschlicher Existenz. Erst vor dieser Folie läßt sich mit Ernsthaftigkeit bedenken, wohin die familiale Gesellungsform weiterentwickelt werden soll. Diese Folie wurde von der französischen Feministin Francoise d’Eaubonne auf den Begriff des „Öko-Feminismus" gebracht:

„Praktisch jeder weiß heute, die beiden unmittelbar tödlichsten Bedrohungen sind die Überbevölkerung und die Zerstörung der Rohstoffquellen; schon weniger Personen wissen allerdings um die Verantwortlichkeit des männlichen (und nicht kapitalistischen oder sozialistischen) Systems für diese beiden Gefahren, nur sehr wenige haben aber bisher entdeckt, daß beide Bedrohungen die logische Folge von einer der beiden parallelen Entdekkungen sind, die vor fünfzig Jahrhunderten den Männern die Macht gegeben haben: ihre Möglichkeit, die Erde zu befruchten wie die Frauen, und ihre Teilnahme am Akt der Zeugung"

Der Beginn des Patriarchats wird in dieser Perspektive in der Vermännlichung der Mutter-Kind-Beziehung gesehen:

„Das Recht... geht auf einen historischen Urakt zurück: die Negation der Natur. Der natürliche Vorgang, der hier negiert wird, ist die Geburt. Die Frau weiß stets, daß das Kind, welches sie soeben geboren hat, ihr eigenes ist; der Mann dagegen kann seiner Vaterschaft nie sicher sein. Das Patriarchat konstituiert sich mit der Deklaration des Mannes, daß dieser Zustand hiermit aufzuhören habe

Jene „putschartige Machtergreifung knapp vor Beginn der geschichtlichen Zeit" durch das männliche Geschlecht stellt damit die erste Stufe der Enteignung der Frauen um ihre Gebährfähigkeit dar: Mit der Einführung des „Vaterrechts" gebaren die Frauen nicht mehr ihre eigenen, sondern die Kinder des Mannes. Dies war die soziale und kulturelle Grundstruktur, in der Familie fortan mit verschiedenen Gesichtern herausgebildet werden konnte. 3. Vom „Eigensinn“ beim Kinderkriegen zur staatlichen Bevölkerungspolitik Auf die Frage „Kinder oder keine, wann und wie viele?" fanden die Menschen nie „natürliche" Antworten. Vielmehr zeigt ein Blick in die Geschichte, daß die Aufzucht von Kindern „immer eine soziale Entscheidung erfordert, gleichgültig, ob sie dem Interesse des einzelnen entspricht oder ob sie ihm durch das jeweils in der Gesellschaft dominierende Interesse aufgeherrscht wird" Bis ins Mittelal-ter, solange die agrarische Wirtschaft dominierte, bestimmte sich die Zahl von Kindern, die geboren werden und überleben sollten, nach dem individuellen ökonomischen Kalkül, wobei nur ansatzweise rekonstruiert werden kann, wie sie diese Steuerung der „Menschenproduktion" im einzelnen verwirklicht haben: ein großer Teil des damaligen Wissens über Verhütung und Abtreibung, aber auch über die Praktiken des Kindermordes und der Kindesaussetzung wurde nicht schriftlich überliefert. Soweit Quellen vorliegen, ist gleichwohl ablesbar, daß die mittelalterlichen Frauen über eine Vielzahl von Praktiken zur Verhinderung des Kinderkriegens verfügten, um ihr Interesse an einer Begrenzung der Kinderzahl durchzusetzen. Allerdings verfügten die Frauen weder über ihren Körper noch über ihre Gebärfähigkeit. Die letzte Entscheidung über Leben und Tod des Kindes hatte nämlich seit jener ersten Stufe der Enteignung der Frauen um ihre Gebärfähigkeit durch die Einführung des Vaterrechts, der Hausvater.

Die zweite Stufe der Enteignung der Frauen um ihre Gebärfähigkeit läßt sich auf den Zeitraum zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert datieren. Der Bevölkerungsrückgang in Europa seit dem 14. Jahrhundert aufgrund sich verschlechternder wirtschaftlicher Bedingungen, neue Theorien, denen zufolge der Reichtum eines Staates direkt und unmittelbar mit der Größe seiner Bevölkerung Zusammenhänge, das Interesse der absolutistischen Fürsten an Auffüllung der neuen Manufakturen und Fabriken mit Arbeitskräften, an neuen Soldaten und Beamten, und die Interessen der Kirche, ihre schon früher formulierte Ablehnung von Verhütung, Abtreibung und Kindermord endlich durchzusetzen — alle diese Faktoren wendeten sich gegen den „Eigensinn" der Bevölkerung in Nachwuchs-fragen und forderten eine Unterordnung der Bevölkerungsproduktion entgegen dem individuell-ökonomischen Kalkül der Eltern. Diese zweite Stufe der Enteignung wurde durch ein Ereignis eingeläutet, das heutzutage dem „finsteren Mittelalter" zugerechnet wird: durch die zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert erfolgte Folterung und Ermordung von Frauen — legitimiert als „Hexen-Verfolgung". Mit den „Hexen" wurde „eine Blüte mittelalterlicher Naturwissenschaft, das physikalische und chemische Instrumentarium für die Geburtsheilkunde und vorrangig für die Schwangerschaftsverhütung und Fruchtabtreibung zerstört" Neben diesem Massenmord gelang es den Staaten durch ein ganzes Bündel von juristischen, praktischen (z. B. Ersetzen der Hebammen durch männliche Ärzte) und polizeilichen Maßnahmen die Bevölkerungszahl „in den Griff" zu bekommen. „Aus der Gebärfähigkeit war der polizeylieh überwachte Gebärzwang geworden!" Der Gebärzwang wurde nun als „natürliche Fortpflanzung" ausgegeben ...

Im 17. und 18. Jahrhundert stellten sich nach den ersten Erfolgen der Menschenvermehrungspolitik große Probleme ein, da die Kinder zumeist nicht lange lebten: Findelkinder und das Ammenwesen waren weit verbreitet und führten zu einer extrem hohen Säuglingssterblichkeit, die den Staat zur nächsten ideologischen Offensive auf die Frauen blasen ließ: die „natürliche Mutterliebe" wurde entdeckt und kräftig propagiert. Kinder sollten nicht ausgesetzt und selbst gestillt werden. Die „Mutterliebe" stellte man gleichzeitig gegen die „sinnliche Befriedigung des Weibes". Lustvolle Sexualität wurde aus dem weiblichen Geschlechtscharakter herausdefiniert: Geschlechtsverkehr sollte nur der Empfängnis, die Brüste nur der Säuglingsernährung dienen.

Es ist allerdings anzunehmen, daß diese Beherrschung der inneren Natur der Frauen kaum hätte durchgesetzt werden können, wenn nicht der Handlungsspielraum der Frauen durch die gleichzeitigen wirtschaftlichen Veränderungen wesentlich zusammengeschrumpft wäre. 4. Die Industrialisierung und die Entstehung einer sexistischen Okonomie In den vorindustriellen Epochen besaßen die Frauen im Rahmen der Hauswirtschaft eine gewisse Selbständigkeit. Es gab auf der Basis von Alter, Geschlecht und Stellung in der Familie eine ausgeprägte Arbeitsteilung innerhalb der Familie, doch bestand kaum eine Trennung zwischen der Familie einerseits und der Welt der Warenproduktion andererseits, zumindest nicht bis zum 19. Jahrhundert. In der städtischen Bevölkerung des 16. Jahrhunderts begann sich die einschneidende Veränderung des Alltagslebens durchzusetzen, die später den Industrialismus kennzeichnen sollte: Der Bereich der Berufsarbeit wurde aus dem Bereich des Wohnens und Haushaltes ausgegrenzt; die Einheit des „ganzen Hauses", unter dessen Dach Produktion und Verbrauch zugleich stattfanden, wurde aufgelöst Mit der Durchsetzung der Industrialisierung wurde dies zum massenhaften Prozeß. Nur im Bereich der Landwirtschaft und des Handwerks blieb die alte Einheit des „ganzen Hauses" erhalten.

Die Grundprozesse der Warenproduktion wurden mit der industrialistisch-kapitalistischen Entwicklung tendenziell vergesellschaftet — damit wurde die materielle Produktion in ihre vergesellschaftete Form (den Bereich der Warenproduktion) und die überwiegend von Frauen im Haus verrichtete private Arbeit aufgespalten. Die Trennung von Beruf und Haushalt führte zu einer neuen und außerordentlich rigiden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.

Hier ist die Geburt der modernen Familie anzusiedeln. Für die Frauen, die ihre Funktion der vorindustriellen Produktion verloren hatten, brachte der Prozeß der Industrialisierung, unterstützt durch eine gleichzeitig zunehmende staatsbürokratische und wissenschaftliche Kontrolle (Bevölkerungspolitik, Medizin, Pädagogik, Psychologie), eine Reduktion auf ihre technisch nicht ersetzbare Funktion: zu gebären und Mutter zu sein. Durch die Anbindung ans Haus wurde sie aus der Geldwirtschaft ausgeschlossen. Als Folge verfiel die verbleibende weibliche Hausarbeit als unbezahlte und daher ökonomisch unsichtbare Arbeit und die weibliche Erziehungsarbeit als private, nicht-professionelle Arbeit völliger Abwertung. Sie wurde zur „Schattenarbeit". Hausarbeit verblieb also auf der elementaren Ebene von Arbeit, die den Lebensnotwendigkeiten, dem individuellen überleben wie dem Fortbestehen der Gattung diente; als Sorge-Arbeit schafft sie kaum Bleibendes, kaum produziert, ist ihr Resultat bereits wieder verbraucht

Was in den Blick kommen muß, ist die deshalb gesamtgesellschaftliche Produktion. Die aktuellen Tendenzen des Zusammenhangs von Hausarbeit und Ökonomie deuten mit Macht auf die Notwendigkeit einer Inblicknahme der gesamtgesellschaftlichen Arbeit hin: Claudia von Werlhof hat mit Blick auf die Weltökonomie und -bevölkerung den Anteil der „weiblichen" Arbeit — die nicht nur von Frauen, sondern auch von anderen marginalen Gruppen getan wird — sehr hoch veranschlagt:

„Nicht 10% freie Lohnarbeiter, sondern 90% unfreie Nichtlohnarbeiter sind die Säule der Akkumulation und des Wachstums, sind die wahren Ausgebeuteten, sind die wahren . Produzenten', sind die . Norm', der allgemeine Zustand, in dem sich der Mensch im Kapitalismus befindet. Und das steht zu seinem Entsetzen nun auch dem Proletarier ganz real bevor."

Angesichts von Weltwirtschaftskrise und Kriegsgefahr scheint derzeit eine neue Phase kapitalistischer Entwicklung anzustehen, in der die „freie" Lohnarbeit westlicher Prägung weitgehend abgeschafft zu werden droht. Die neuen Formen der Lohnarbeit — vorexerziert in den Ländern der Dritten Welt — sind „weiblich": „unfrei", keine permanente Beschäftigung, Niedrigstlohn, keine Rechte, kein Aufstieg usf. Claudia von Werlhof analysiert deshalb eine Tendenz zur „Hausfrauisierung der Arbeit". Ihre Auswirkungen auf die Familien sind unabsehbar.

II. Welchen Preis die Familie heute fordert

Wenn nun der Blick auf die konkrete Familiensituation in der Bundesrepublik gerichtet wird, dann müssen die aktuellen Krisenphänomene vor dem Hintergrund der patriarcha-lisch-industrialistischen Geschichte gedeutet werden. Ein ziemlich komplexes Unterneh-men, das auch hier nur ansatzweise versucht werden soll, und womöglich am Ende mehr Fragen offen läßt... 1. Der Preis der sexistischen Arbeitsteilung

Die Diskussion um das Verhältnis von Erwerbstätigkeit und Familie war in der Vergangenheit dadurch bestimmt, daß sie auf ein „Frauenproblem" verengt wurde. In dieser verkürzten Sichtweise wird das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben/Beruf als ein wesentlich von Frauen zu lösendes Problem gesehen. Selbst in Phasen der Vollbeschäftigung wird ihre Rolle als Hausfrau und Mutter nie grundsätzlich in Frage gestellt, die Berufsrolle kommt lediglich hinzu

Im Unterschied zu den Trends in anderen hochindustrialisierten Ländern ist die Frauenerwerbsquote in der Bundesrepublik erheblich langsamer gestiegen und lag 1982 bei 51 % der 15— 65jährigen Frauen (zum Vergleich: Männer 83 %). Diese geringe Frauenerwerbsquote geht einher mit einem geschlechtsspezifischen Arbeitsmarkt, der Frauen tendenziell minderqualifizierte, prekäre, schlechter bezahlte Tätigkeiten zuweist und sie, wie aktuelle Daten belegen, deutlich häufiger in die Erwerbslosigkeit treibt.

Ein Blick nach Schweden, dem Land, das bislang am ehesten ein „gleichstellungspolitisches Gesamtkonzept, das die Berufs-und Familienrolle beider Eltern beinhaltet... entwickelt und ansatzweise realisiert" hat, zeigt das patriarchale Dilemma. So lauten die Schlußsätze aus einer neueren internationalen Vergleichsstudie zur Vereinbarkeit von Haus-und Berufsarbeit:

„Selbst hier zeigt sich, daß das faktische Verhalten von Eltern, vor allem von Vätern, hinter dem damit angestrebten Modell symmefrischer Familien-und Berufsrollen für beide Geschlechter . nachhinkt'. Dies ist nicht allein darauf zurückzuführen, daß die Entwicklung in den einzelnen Politikbereichen unterschiedlich fortgeschritten und insgesamt noch ungenügend ist, sondern vor allem auch auf die zähe Tradition der geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen und -Zuweisungen im Bewußtsein von Männern und Frauen — eine Barriere, die abzubauen weit über die Funktion und Wirkungsmöglichkeiten der hier diskutierten politischen Interventionsbereiche und Steuerungsinstrumente hinausgeht."

Dieses bemerkenswerte Fazit über die Grenzen sozial-und arbeitsmarktpolitischer Kompensationsmöglichkeiten läßt den Preis der sexistischen Arbeitsteilung in Haus-und Erwerbsarbeit gar nicht hoch genug veranschlagen: Der Preis besteht darin, daß jener Hausarbeitssektor eben keinen Preis hat und damit den Männern als nicht attraktiv genug erscheint, sich in ihm einzurichten. Somit bleibt er denen, die bereits „drinnen" sind.

Wenn nun allerdings sämtliche nationalen wie internationalen Studien deutlich machen, daß es den Frauen gerade um eine Vereinbarung von beidem, von Beruf und Haus-/Erziehungsarbeit geht, und daß dieses Bedürfnis nach Vereinbarkeit von den Männern so gut wie nie artikuliert wird, dann wird offensichtlich, daß eine Vereinbarkeit allerhöchstens nach Maßgabe der Männer stattfinden kann — und die werden gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krise und Umbrüchen traditionell handeln: ihre Interessen eher wahrnehmen als diejenigen der Frauen. Den Preis für die derzeitige „Krise der Arbeit" zahlen folglich in erster Linie die Frauen. 2. Wessen Wunschkinder? Der Preis von § 218 und die Bevölkerungspolitik Daß die doppelte Enteignung der Frauen um ihre Gebärfähigkeit bis heute fortdauert, läßt sich exemplarisch an der Praxis des § 218 und der Bevölkerungspolitik demonstrieren. Beide gehören zu den elementaren Bausteinen bundesdeutscher Familienpolitik — und scheinen doch vergangenen Epochen zuzugehören. Denn eigentlich leben wir im . Zeitalter der Wunschkinder'. Zum individuellen wirtschaftlichen überleben sind Kinder angesichts von Industrialisierung und Sozialstaatlichkeit nicht mehr notwendig, und wer keine Kinder haben möchte oder den Zeitpunkt des Kinderkriegens selbst bestimmen möchte, der kann dies auch umsetzen.

Jene „Befreiung vom Naturzwang", die Sigmund Freud einst herbeigesehnt hatte war vor allem durch die extrem hohe Verhütungssicherheit der Pille seit den sechziger Jahren möglich geworden. Die Konsequenzen für die Sexualmoral waren erheblich und zwiespältig: „Die neue Moral heißt bewußte, rationale, technisch-sichere Verhütung ... Verhütung wird vom notwendigen Übel zur aufgeklärten Staatsbürgerpflicht" Sexualität wurde nämlich auch verfügbarer. So ließen sich die Imperative der „sexuellen Revolution" der Studentenbewegung leicht in die herrschende Ordnung einpassen — ohne daß diese, wie von den . Revolutionären'eigentlich erhofft, dabei gesprengt würde.

Und zu dieser herrschenden Ordnung gehört es gleichfalls, daß die Frauen, die ihren Körper dem technischen Verhütungseingriff nicht aussetzen wollten oder konnten, mit dem Folgeproblem unerwünschter Schwangerschaft allein gelassen und — was das Herrschaftliche dieser Ordnung noch sichtbarer werden läßt — im Falle des Schwangerschaftsabbruchs noch kriminalisiert werden. Die von der Bundesregierung bereits wiederholt unternommenen Versuche zur Wiedereinführung der seit 1976 eingeschränkten Strafbarkeit der Abtreibung sind ein deutlicher Indikator dafür, daß die männliche Verfügung über den Körper der Frau höchstens eine Verschnaufpause eingelegt hatte zumal auch der jetzige Rechtszustand mit seinem Institutionenhürdenlauf und der quasiPsychiatrisierung der Frauen nicht auf den Herrschaftsgestus verzichtet: „Die Zwangsberatung, der Schwangere heute unterworfen sind, kennt man sonst nur bei Geistesgestörten."

Daß Abtreibung nicht mit Verhütung zu verwechseln ist, das wissen die betroffenen Frauen sehr genau und soll hier auch nicht weiter diskutiert werden. Was hier festzuhalten bleibt ist die Tatsache, daß die Kontrolle über die Nachwuchsproduktion modernisiert wurde und, wo immer es möglich scheint, in der Hand der Männer bzw.des Staates bleiben soll.

Nun war „in der Vergangenheit... das staatliche Interesse an der Familie in der Hauptsache bevölkerungspolitisch motiviert" und Deutschland hat in der Kultivierung dieses Interesses durch Kaiserreich und Faschismus eine besonders elende Tradition vorzuweisen. Äußerungen wie die Adolf Hitlers — „wenn uns dieser Krieg eine Million Tote ... kostet, sie sind uns in dem Geburtenüberschuß wiedergeschenkt, den das deutsche Volk seit der Machtübernahme aufweisen kann" — sollten uns eigentlich klar machen, daß weder Kinderreichtum als Strategie gegen Arbeitskräftemangel noch Kinderreichtum als Nachschub an Kanonenfutter akzeptable bevölkerungspolitische Begründungen darstellen können. Leider scheint dies keineswegs politischer common sense zu sein. Wissenschaftlich abgefedert beispielsweise durch die Daten des „Berichts über die Bevölkerungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland" der Bundesregierung ertönt hierzulande wieder die Mär vom „aussterbenden Volk". Als ob der dort mit einer Modellrechnung angekündigte Bevölkerungsrückgang — von 61, 5 Mio. (1983) über 59, 1 Mio. (2000) auf 45, 7 Mio. (2030), darunter 4, 5/7, 0/7, 5 Mio. Ausländer — ein wirkliches Problem darstellen würde. Verglichen mit dem Anpassungsbedarf auf weltweiter Ebene nach dem US-Präsidentenbericht „Global 2000" wird die Weltbevölkerung allein bis zum Jahr 2000 (im Vergleich zu 1975) um 55 % auf 6, 35 Milliarden Menschen zunehmen — scheinen die zweifellos nicht unbedeutenden Anpassungsprozesse für ein Land wie die Bundesrepublik durchaus leistbar. Zumal wenn wir bedenken, mit welchen ökologischen und sozialen Kosten die Bevölkerungsvermehrung hier und in der Dritten Welt bezahlt werden mußte und muß. Jedwede bevölkerungspolitische Panikmache — besonders beliebt sind Visionen einer Bundeswehr ohne Soldaten oder einer pleitegehenden Rentenversicherung — ist daher unberechtigt und eher ein Vehikel für fragwürdige Ziele. Es nimmt nicht Wunder, daß die aktuelle Familienpolitik der Bundesregierung ständig bevölkerungspolitisch begründet wird, versucht man hier doch auf Kosten der Frauen gleichzeitig mehrerer Probleme Herr zu werden: 1. die Frauen sollen zumindest teilweise den Arbeitsmarkt räumen und ihn zugunsten der Männer entlasten. Die seit je bestehenden geschlechtsspezifischen Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt werden durch ideologische Kampagnen (z. B. gegen „doppelverdienende" Ehefrauen) und immer unverhohlenerer Bevorzugung der reichlich vorhandenen männlichen Erwerbssuchenden (z. B. im Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) erheblich verschärft. 2. Weil die Bevölkerungsentwicklung in etwa 30 Jahren zuwenig Deutsche und zu viele Ausländer verheißt, wird nun den deutschen Frauen die „Neue Mütterlichkeit" durch eine geschickt dosierte Mischung von Peitsche und Zuckerbrot nahegebracht Einerseits wird der Schwangerschaftsabbruch auf allen Ebenen erschwert (z. B. Kürzung/Streichung der Zuschüsse an „pro familia", öffentliche Diffamierung der sozialen Indikation) und Schwangerschaftsurlaubs-und Kindergeld werden empfindlich gekürzt. Andererseits werden symbolische Aktionen unternommen beziehungsweise geplant, wie die neue „Stiftung für Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" (mit einem angesichts der genannten Kürzungen geradezu lächerlichen Startkapital von 50 Mio. DM), oder wie die geplante Familienbriefmarke und die öffentliche Förderung von Patenschaften zwischen „reichen" und „armen" kinderreichen Familien. Gleiches gilt für das noch diskutierte . Erziehungsgeld', von dem man sich unverhohlen eine „arbeitsmarktentlastende" Wirkung verspricht. Die genannte Stiftung zeigt exemplarisch die nur vordergründig ambivalente Wirkung der familienpolitischen Maßnahmen im Stil der „Neuen Mütterlichkeit": Gerhard Amendt nannte in einem Gutachten die Methode dieser Stiftung zu Recht ein „Gebärprämiensystem." 3. Der Preis der Kinder Das Kernproblem der patriarchalischen Familie ist die Definition der Kinder als „natürliche" Aufgabe der Frauen. Die Erziehungsarbeit wurde jedoch in einem langwierigen geschichtlichen Prozeß und unter ideologischem Nebel ins gesellschaftliche Abseits verwiesen. In dem Maße, wie man(n) Frauen gesellschaftlichen Einfluß entzog, wurde damit Kindern die Erfahrung gesellschaftlicher Normalität vorenthalten. Sie wachsen vor allem in den ersten Lebensjahren in einer reduzierten Welt auf — was für sie und für die Welt nicht ohne Auswirkungen bleibt. Erst mit der professionalisierten Erziehungsarbeit treten Männer wieder auf den Plan. Ob das nun in der Schule oder in den Erziehungsbereichen neueren Gepräges, Sozialarbeit, -pädagogik oder Jugendstrafrecht ist — hier überall „natürlich" in leitenden Stellungen —, dort, wo es darum geht, Kinder und Jugendliche für die gesellschaftlichen Erfordernisse zuzurichten, halten Männer die Erziehungsarbeit durchaus für wichtig genug, um sich an ihr — gegen Bezahlung versteht sich — zu beteiligen.

Den Preis dafür zahlen allerdings alle Beteiligten: — die Frauen mit Unfreiheit, weil sie, sofern sie Kinder haben möchten (— und nicht als mit Amme und Putzhilfe die Sorgearbeit auf andere Frauen delegieren können —), keine Wahl mehr haben; — die Kinder, weil sie in einer „vaterlosen Gesellschaft" (Alexander Mitscherlich) aufwachsend der männlichen Teilkultur nur projektiv oder durch spätere Zurichtung teilhaftig werden können, und nicht durch frühe Nachahmung und reale Gemeinsamkeit. Sie bezahlen mit einseitiger Förderung, seelisch-körperlichen Defiziten bis dahin, daß sie mißhandelt, mißbraucht werden? — und keineswegs zuletzt bezahlen die Männer: Indem sie das Kind in seiner „Nutzlosigkeit" geringschätzen, indem sie die Sorgearbeit als „weibische" Arbeit und damit die Frau verachten, verachten sie auch den weiblichen Teil ihrer selbst.

der Männer. Konsequenzen Weigerung der sich gleichermaßen dem Erziehungs-und Sorgegeschäft zuzuwenden, sind kaum absehbar; sie konnten hier nur angedeutet werden. Ihre Weigerung, die sie sich selbst und gegenüber der Welt mit der „Natur" rechtfertigen, lassen sie dabei mit moralischem Druck an die Frauen einhergehen. Was die Männer den Frauen als . höchstes Glück der Erde'anpreisen, das, lehnen sie für sich selbst völlig ab. Zwar gibt es eine Reihe von Belegen dafür, daß diese männliche Weigerung sich abschwächt. Immer mehr Männer übernehmen einen immer größeren Anteil von Haus-und Erziehungstätigkeiten; die hierzu vorliegenden empirischen Untersuchungen zeigen jedoch deutlich, daß von einer gleichen Teilhabe in diesem Bereich nicht im entferntesten die Rede sein kann

Wenn es um den „Preis der Kinder" geht, soll schließlich auch der ganz nackte „Preis", die mit Kindern verbundenen finanziellen Kosten, nicht vergessen werden. Sie sind, wie vielfach nachgewiesen wurde beträchtlich: Je nach Alter dürften die Monatsausgaben 1984 zwischen 320 DM (1. Lebensjahr) und 940 DM (16. — 18. Jahr) betragen. Demgegenüber machen sich die Kindergeldsummen geradezu lächerlich almosenhaft aus. Die Verantwortung für die ökonomische Sicherung der Kinder liegt folglich fast ausschließlich in der Hand (bzw.dem Geldbeutel) der Familie — damit fixiert die sozialstaatliche Ordnung den Zustand privater Verantwortlichkeit und familiärer Herrschaft über die Kinder. Sie nimmt aber auch billigend in Kauf, daß — zumal angesichts der Kürzungen im Sozialbereich — diese ökonomische Benachteiligung der Kinder aus Familien im unteren Einkommensbereich zu Lasten der Kinder selbst geht. Vor allem gilt dies, wie schon 1979 im 3. Familienbericht der Bundesregierung aufgezeigt wurde, für kinderreiche Familien: Ihr Pro-Kopf-Einkommen verringert sich eklatant mit zunehmender Kinderzahl, während es bei Familien mit einem Kind 82 % des Pro-Kopf-Einkommens eines kinderlosen Ehepaars betrug, veränderte sich die Relation bei zwei Kindern auf 60 % und bei drei Kindern auf 57 %. 4. Der Preis der Gewalt ...den die Frauen bezahlen Die Herrschaftsverhältnisse des Patriarchats sind Gewaltverhältnisse. Nur: „Der patriarchalischen Ideologie ist es immer wieder gelungen, Gewalt gegen Frauen als Ausnahme, als feudalen Überrest darzustellen." Gewalt gegen Frauen ist die Realität hinter dem verlogenen bürgerlichen Gebot, die Männer sollten die Frauen ehren — auf das Adorno schrieb: „Der Affekt, der zur Praxis der Unterdrückung paßt, ist Verachtung, nicht Verehrung." Frauen erleben sich als Freiwild, als den Männern verfügbares Sexualobjekt. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und die sexuelle Sklaverei im öffentlichen Geschäft mit der Pornographie: „Gemeinsamer Nenner aller Gewaltformen öffentlicher Bereiche ist die Botschaft, daß jede Frau allen Männern zur Verfügung steht. Mißhandlung'm der Ehe, Partnerschaft bestätigt die ausschließlichen Rechte eines Mannes, über eine Frau zu verfügen." Die Rede von der „Kampfgruppe Familie" (Dieter Claessens) läßt sich empirisch unschwer bestätigen Eine 1978 durchgeführte Untersuchung von US-Soziologen unter 2 143 Paaren brachte ans Licht, daß es in 28 von 100 Ehen wenigstens einmal jährlich zu körperlicher Gewalt kommt; der Jahres-durchschnitt liegt bei neun Angriffen. Allein in den USA, so das US-Magazin „Time" im September 1983, würden jährlich sechs Millionen Frauen von ihren Männern mißbraucht, 2 000— 4 000 totgeschlagen; bis zu einem Drittel ihrer Dienstzeit brächten amerikanische Polizisten damit zu, Hilferufen wegen ehelicher Gewalttaten nachzugehen. Auf den vergleichbaren Preis der Gewalt in der Familie, den die bundesdeutschen Frauen zu entrichten haben, deutet die Zahl von 2 500 Frauen (und ebensovielen Kindern) hin, die im ersten Berliner Frauenhaus in den ersten zwei Jah-s ren (seit 1976) Schutz suchen mußten. ...den Kinder bezahlen „Gerade die Familie bietet die Chance, die Erfahrung von Verläßlichkeit und das Bewußtsein persönlicher Zusammengehörigkeit zu vermitteln, wie sie ansonsten kaum noch er-lebt werden." Diese Formulierung aus dem Bericht der Jugend-Enquöte-Kommission des Deutschen Bundestags ist kennzeichnend für eine euphemistische, verschleiernde Familienideologie. Denn die Familie besitzt eben sowohl eine durchaus positiv zu bewertende Fähigkeit zu Erziehung und Sozialisation des Nachwuchses, wie sie gleichzeitig Anpassung, Konformität und Leiden produziert. Die Spitze des Eisbergs alltäglicher familiärer Gewalt gegen Kinder läßt das Ausmaß des verdrängten Unglücks erahnen: 30 000 Fälle schwerer Kindesmißhandlung werden jährlich registriert, auf mehr als 400 000 Kinder wird die tatsächliche Zahl geschätzt. Die Gewalttäter sind vorwiegend die Eltern; bis zu tausend Kinder werden jährlich von ihren Eltern getötet bzw. sterben unmittelbar an den Verletzungsfolgen. Auch hier ist die Dunkelziffer erheblich, weil die Mißhandlung Monate oder länger danach als solche nicht mehr erkannt wird. 18 000 Kinder und Jugendliche fliehen jährlich in die Selbst-tötung. Nach Schätzungen werden 300 000 Mädchen im Jahr sexuell mißbraucht; die Täter fanden sich überwiegend im Verwandten-und Bekanntenkreis. Bei den registrierten Akten sexueller Gewalt an Kindern (77 % davon sind Mädchen) waren nur 6, 2 % Fremde, über 25 % waren Väter oder Stiefväter.

Zwar ist das Kind als Grundrechtsträger anerkannt, gesetzliche Bestimmungen schränken diese Rechte jedoch empfindlich ein. Das Kinderrecht ist dem Elternrecht untergeordnet. Die Kinder sind der Besitz der Eltern. Es gibt kein Scheidungsrecht von den Eltern, kein elternunabhängiges Kindereinkommen und gegen die körperlichen Züchtigungen finden die unmündigen und rechtlosen Kinder meist keinen sie unterstützenden anwaltlichen Erwachsenen.

III. Welche Perspektiven eine ökologische Familienpolitik bietet

Dieser Beitrag erhebt nicht den Anspruch, die Familienpolitik der GRÜNEN erschöpfend oder repräsentativ zu diskutieren, zumal explizite Programmaussagen zur Familie (oder ihren Alternativen) weder auf Bundes-noch auf Länderebene vorliegen. Diskutiert wird über Familie nur im Konzept grüner Frauen-politik, dort jedoch mit ziemlicher Intensität.

Insbesondere an der Frage des § 218 ist die Debatte seit jeher begleitet von heftigen Kongtroversen zwischen den eher feministischen und den sogenannten „wertkonservativen"

Mitgliedern. Während die einen klar für die Streichung des § 218 votieren, möchten die anderen zwar nicht explizit die Kriminalisierung der abtreibenden Frauen, haben aber unter dem Zeichen des „Lebensschutzes" Bedenken gegenüber einer politischen Interpretierbarkeit der Abtreibung als Verhütungsmaßnahme und fürchten häufig auch eine abschreckende Wirkung auf bestimmte Wählerklientele. Die Kontroverse ist ungelöst und zieht bis heute durch die Parteigremien, wobei es übrigens — ohne empirischen AnSpruch — eher Männer zu sein scheinen, die Zweifel an der Notwendigkeit anmelden, den § 218 ersatzlos zu streichen.

Vielleicht hat es sich daher auch als Segen erwiesen, daß die (grünen) Männer bislang vom sonstigen Nachdenken über Familie quasi „befreit" waren. Wer weiß, was aus „Rücksicht" vor dem Wahlvolke — und nicht zuletzt vor ihnen selbst — alles für Aussagen gemacht worden wären. Doch der Spott über die männliche Ängstlichkeit beziehungsweise über den gleichfalls anzutreffenden männlichen Opportunismus („wir waren schon immer für euch Frauen") wird hier nur dosiert ausgegossen. Denn ich glaube, daß die Selbst-klärung der Frauen über sich und ihre Rechte Voraussetzung und Grundlage alternativer Überlegungen zur Familie bilden muß.

Doch das allein genügt nicht, zumindest nicht im Hinblick auf die Familie. In sie sind nämlich auch die Männer verwickelt. Ein Anzeichen dafür, daß dies auch bei den GRÜNEN gesehen wird, dürfte die dort geführte Diskussion um die „Zukunft der Arbeit" sein. Ins-besondere an der Frage der Bewertung von „Eigenarbeit", „Selbsthilfe" oder „Hausarbeit" scheiden sich z. T. die Geister. Während viele GRÜNE-Frauen vor deren Überschätzung warnen, weil sie damit traditionelle Frauen-rollen zementieren, sehen andere GRÜNE in der Aufwertung der Nicht-Erwerbstätigkeit die leuchtende Zukunft, ohne sich die zentrale Frage nach einer gesamtgesellschaftlichen Neugestaltung des Verhältnisses von Erwerbs-und Eigenarbeit zu stellen.

Die folgenden Überlegungen, die sich großenteils auf ungesichertem, teils spekulativem Boden bewegen, versuchen sich an einer ökologischen Familienpolitik entlang zweier Hauptziele:

1. sollen Alternativen zur sexistischen Arbeitsteilung des Industrialismus diskutiert werden, wozu eine ökologische Umorientierung von Produktion und Verbrauchsgewohnheiten, eine Abkopplung von Arbeit und Einkommen und eine Expansion von Selbstverwaltungs-und Subsistenzwirtschaft erforderlich wird, 2. sollen Alternativen zur Unterdrückung von Eros und Sexualität in der traditionellen Ehe-und Familienstruktur angedeutet werden.

Daß der Begriff „ökologische Familienpolitik" verwendet wird, bedarf einer kurzen Erklärung: „ökologisch" heißt sie, weil sie integraler Bestandteil eines Konzeptes „ökologischer Sozialpolitik" (und ökologischer Politik) ist, das an anderer Stelle vorgestellt wird und weil sie auf eine bewußte Gestaltung der „sozialen Ökologie" der Menschen zielt. „Familienpolitik" heißt sie aus Trotz: Weil nämlich das herrschende Verständnis von Familie keinesfalls unumstößlich ist und die mit dem Begriff „Familie" belegten, andernorts beobachteten Gesellungsformen durchaus einen erweiterten Familienbegriff zulassen. Unter Familie würde dann das primäre Netzwerk verstanden, in dem sich freie Frauen und Männer, allein, zu zweit oder im Dutzend einrichten. 1. Schritte zur Wahlfreiheit Weder Proletarier noch Hausfrau: Für eine nicht-industrialisierte Arbeit Strategien einer Abschaffung der sexistischen Arbeitsteilung ließen sich am bestep entwickeln, wenn sie an notwendige System-veränderungen im Bereich der Arbeit anknüpfen könnten. Die Massenarbeitslosigkeit in den Metropolen des westlichen Industrialismus scheint dabei solche Veränderungen zu provozieren. Denn angesichts des neuen Faktums technologischer Arbeitslosigkeit, daß Arbeitslosigkeit gleichermaßen das Produkt von Depressionen und Prosperitätsphasen ist („jobloses Wachstum"), und daß schließlich die doppelte Aufgabe des Arbeitsmarktes, nämlich Arbeitskräften Arbeitsaufgaben und Einkommen den Arbeitskräften zuzuordnen, nicht mehr recht erfüllt werden kann, gerät der Arbeitsmarkt selbst in eine grundlegende Krise: „Vielleicht liegt die Lösung der Beschäftigungskrise nicht mehr in einer Verschiebung von Verteilungsrelationen, sondern in einer Neukonstruktion der . industriellen Beziehungen', die über die Grenzen der Arbeits-und Erwerbsgesellschaft hinausführt. Nur eine prinzipielle Kursänderung kann den Fehler im System, das Versagen des Arbeitsmarktes beheben."

Den Kern dieses Arbeitsmarktes bildete die Durchsetzung der Lohnarbeit als dominante Form der Existenzsicherung im Zuge der Durchsetzung des Industrialismus. Die Wirtschaftsgeschichte unterscheidet dabei vier „lange Wellen" der Konjunktur, große Entwicklungsschübe, deren letzte (1950— 1973) nochmals einen außerordentlichen Wachstums-und damit „Proletarisierungs-" Schub vor allem für den Dienstleistungsbereich und damit für die Frauen-Lohnarbeit mit sich brachte Die nächste „Lange Welle" dürfte nach recht plausiblen Vermutungen zwei Perspektiven des Arbeitsmarktes eröffnen: Entweder die Wieder-Vergrößerung der industriellen Reservearmeen, was beispielsweise von Claudia von Werlhof mit ihrer These der „Hausfrauisierung der Arbeit" befürchtet wird — oder es werden Alternativen zum Arbeitsmarkt entwickelt.

Weil es viele Gründe gibt, die für eine Zurücknahme der faktischen Abhängigkeit der Mehrheit der Bevölkerung vom Arbeitsmarktgeschehen sprechen, also für eine Zu- rückdrängung der Lohnarbeit, könnte auch ihre Chance steigen:

— offenkundigster Grund ist das Versagen des Arbeitsmarktes und das Legitimationsproblem einer Dauer-Massenarbeitslosigkeit; — die sexistische Arbeitsteilung soll und will abgeschafft werden;

— die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen durch den per se wachstums-orientierten Industrialismus macht die unverzügliche Einstellung ganzer Produktionszweige notwendig;

— die Expansion der Lohnarbeit ließ andere Formen der Existenzsicherung, den Bereich marktunabhängiger, bedarfsdeckender Subsistenzwirtschaft z. T. völlig verschwinden, womit das Potential derer, die auf Lohnarbeit angewiesen sind, vermehrt und auch der Bedarf an (sozialstaatlichen) Versorgungsleistungen gesteigert wird.

Wie nun und auf welche Weise Alternativen zum, im oder neben dem Arbeitsmarkt geschehen könnten, kann ich angesichts dieses voraussetzungsvollen Themas nur in zwei Perspektiven andeuten. 1. als eine Abkopplung von Arbeitsmarkt und Lohnarbeit und damit eine (mehr oder minder weitgehende) Abkopplung von Arbeit und Einkommen.

Dieser Schritt kann auf der individuellen Ebene durch eine „alternative Ökonomie" getan werden, wie dies bereits jetzt häufig geschieht. Einer massenhafteren Ausbreitung selbstverwalteter Produktionsformen stehen in der Bundesrepublik allerdings noch eine große Zahl rechtlicher (rückständiges Genossenschaftsrecht!), subventionspolitischer und auch politisch-kultureller Hemmnisse entgegen, die hier nicht weiter ausgeführt werden müssen. Die Konsequenzen einer irgendwann vielleicht umfassenden „Selbstverwaltungswirtschaft" wären wohl erheblich kleinere Wirtschaftseinheiten und eine Regionalisierung von Märkten, was mit Sicherheit ökologisch und sozial sinnvolle Wirkungen haben dürfte.

Da aber die Kopplung von Einkommen und Arbeit eine Grundlage für die sexistische Ökonomie darstellt, weil nur spezifische Produktionsbereiche überhaupt als einkommens-fähige Arbeit betrachtet werden, müßte eine anti-patriarchalische Familienpolitik parellel zur Arbeitsmarktpolitik auf(sozial-) staatlicher Ebene eine grundlegende Reform der Sozial-transfer-Strukturen anstreben.

Innerhalb der GRÜNEN wird deshalb die Perspektive eines garantierten Mindesteinkommens diskutiert: ein arbeitsloses Einkommen auf bedarfsdeckendem Subsistenzniveau, also oberhalb der Armutsgrenze, das allen Bürger/-innen des Staates einfach aufgrund ihrer Existenz zusteht. Konkret könnte ein solches Mindesteinkommen aus — einem (elternunabhängigen) Kindereinkommen für Kinder bis zum 14. Lebensjahr in Höhe von etwa 400 DM/Monat, — einem garantierten Bürgerhalt ab dem 14. oder 16. Lebensjahr in Höhe von ca. 800 DM/Monat (plus Wohngeld) und — einer Mindestrente ab dem 60. Lebensjahr in Höhe von ca. 1 200 DM/Monat bestehen.

Zwar müßte eine Reihe von Problemen gelöst werden, z. B. die Frage nach der Festsetzung der Mindesteinkommenshöhen oder die Frage nach den Konsequenzen einer derartigen Erweiterung des staatlichen Transfervolumens. Doch gibt es, wie andernorts diskutiert wurde durchaus Ideen dafür. Die Geldmittel selbst wären vorhanden — sie sind allerdings ungerecht verteilt und verschwinden z. T. in einem undurchschaubaren Steuer-und Transfersystem.

Auf einem ordentlichen Mindesteinkommen könnten dann öffentlich organisierte Zusatzsysteme aufbauen. Für den Bereich der Alterseinkommen schlägt das „Alternative Rentenmodell für Alle!" einer Arbeitsgruppe der Bundestagsfraktion der GRÜNEN eine obligatorische Zusatzversicherung als voll eigenständige Rentenversicherung vor, die jedem/r Büger/in, unabhängig von seinem/ihrem Familienstatus ein eigenständiges Alters-einkommen gewährleistet.

Nachdem wir die Perspektive einer Abkehr von der entwürdigenden Existenz des Proletariers andeutungsweise diskutierten, geht es 2. um den Abschied von der Hausfrau und einer Teilhabe der Männer an der Haus-und Erziehungsarbeit.

Ohne ein Hineingehen der Männer in die Sorgearbeit können die Frauen aus ihr nicht heraus. Also muß auf allen Ebenen dafür geworben und gekämpft werden. Weniger dirigistische Maßnahmen wie — die Förderung von kommunitären und anderen kollektiven Wohn-und Lebensformen und damit die Förderung eines größeren Haushaltstyps, der nicht nur um die patriarchale Ehe zentriert ist und die Trennung von Haus-und Berufstätigkeit nicht mehr institutionalisiert, könnten und müßten dabei mit dirigistischeren Maßnahmen einhergehen, wie — einer radikalen Arbeitszeitverkürzung im Lohn-Bereich auf etwa 15-Wochen-Stunden für jeden, was zur Bedarfsdeckung der Gesellschaft genügen würde im Zusammenhang mit der Diskussion um Teilzeit(lohn) arbeit heißt das: Teilzeitarbeit ja — aber gezielt als Förderung männlicher Teilzeittätigkeit

— einer 50%-Männerquote in allen Bereichen vergesellschafteter Haus-und Erziehungsarbeit, die je nach Gegebenheiten durchaus radikal gehandhabt werden könnte: Wenn sich nicht eine hinreichende Zahl von Männern beispielsweise für diesen Kindergarten findet, dann bleibt er geschlossen ...

Weder Nur-Mann noch Nur-Frau: Für eine neue Kultur der Liebe und des Eros Wir haben gesehen, daß der beschämendste Preis, den vor allem Frauen und Kinder für das Patriarchat bezahlen, in der Vergewaltigung besteht. Alle Forderungen nach einer verschärften Strafverfolgung von Vergewaltigern haben deshalb zwar ihre volle Berechtigung. Sie greifen jedoch an den Symptomen, nicht an den Ursachen des Problems.

„Die gesamte Geschichte der patriarchalen Epoche ist gekennzeichnet von einem Sadismus, vor dem wir aufschreien, weil wir ihn nicht mehr ignorieren können. Die Opfer wurden vergewaltigt, erniedrigt, geschlachtet, der Eros, der auf die Vereinigung der Seelen und des Fleisches drängt, ist eine gewaltige Triebkraft der Geschichte. Wo die Vereinigung nicht möglich wird, da verwandeln sich die aufgestauten Energien in Vernichtungsenergien."

Die Totalität, die alle Strukturen sprengende Entfesselung und Grenzauflösung der Sexualität wurde von den männlichen Mythen seit je als Eigenschaft „weiblicher" Sexualität abgewehrt. Man mag darüber spekulieren, ob die Ursache dieser Abwehr eher in der biologischen Überlegenheit des weiblichen Erregungs-und Erholungsablaufes oder in der . darüber phantasierten Potenzangst der Männer zu suchen sind. Entscheidend ist ihr Effekt: die gewaltsame Fesselung der sexuellen Gewalt durch eine männliche Sexualkultur, die sich in unserer Gesellschaft durch das Grundmuster von Dominanz und Unterwerfung auszeichnet. Sexualität wurde reduziert auf einen planbaren und beherrschbaren Geschlechts-„verkehr". Der diese männlich-reduzierte Sexualität legitimierende Ort ist die patriarchale Familie.

Die scheinbar radikalsten Kritiker erhofften die Befreiung der gefesselten Sexualität durch die Abschaffung der Familie, indem ihr Kern, die Fortpflanzung der Kinder, beseitigt würde. Sozusagen durch die „Befreiung" von der Natur: Schwangerschaft, Geburt und Stillen erfolgten dann im „Reagenzglas" — und so könnte technologisch der biologische „Nachteil“ der Frauen ausgeglichen werden. Die absolute Freiheit setzte in diesem Gedankengang die absolute Befreiung von der sexuellen Natur voraus und forderte geschlechts-lose Neutras: „die endgültige Befreiung der Frau kann nur in der Befreiung von der Geschlechtlichkeit liegen"

Mir scheint eine andere Option allerdings fruchtbarer. Diese Position versucht in Weiterentwicklung des erwähnten „Öko-Feminismus" den schwierigen Weg einer (Wieder-) Aneignung von Sexualität und Körperlichkeit und gleichzeitiger Überwindung patriarchaler Strukturen zu gehen. Barbara Sichtermann hat die Voraussetzungen dafür prägnant benannt: anläßlich einer Reflexion „über die verlorengegangene Erotik der Brüste“ plädiert sie für eine Art Pansexualismus, die (Wieder-) Entdeckung sexueller Vor-gänge beispielsweise in der Interaktion zwischen Mutter und Kind:

„Still-Stunden — Vermischung von Körperen und Körpersäften, ein sexuelles Tun, das (Weiter-) Leben zeugt und Lust schenkt, wie wir es alle aus dem Koitus kennen (oder zu kennen wünschen) und wie es fast niemand den um die . Fortpflanzung'und um die . Mutterpflichten'gruppierten Pflegehandlungen von Frauen an Kindern zutraut"

Ihr Plädoyer für eine Erotisierung des Alltags richtet sich nun aber, und das ist entscheidend, ausdrücklich auch auf die Männer ein

Eine gleichberechtigte Teilhabe an vielfältigen Lustmöglichkeiten wird damit zur Voraussetzung für eine Gleichberechtigung bei den Pflichten, die in der bereits diskutierten Teilhabe an der Erziehungs-und Hausarbeit bestehen muß. Damit wäre der Raum für die nächste Stufe menschlicher Entwicklung geschaffen: „Wenn das soziale Leben in seinen Basisorganisationen Liebes-und Familienleben nicht mehr in Fixierungen an eine Ideologie polarer Begabungen der Geschlechter eingeschnürt ist, können ganz andere Polaritäten, Unterschiede und Differenzierungen eine größere Rolle spielen: die des Individuellen als geschlechtsunabhängiger Persönlichkeitsbilder. In diesen jenseits der biologischen Geschlechtszugehörigkeit zu entfaltenden individuellen Eigentümlichkeiten schlummert übrigens ein großer Teil unserer erotischen Potenzen."

Familienpolitisch gewendet: Das Ziel einer Politik „Neuer Väterlichkeit" fände in einer solchen neuen Kultur des Eros, in der die Grenzen von Mann und Frau allein durch die jeweilige Individualität bestimmt würden, seine wirkliche Grundlage. Sie wäre Teil einer Kulturerneuerung, die in gelebten Utopien herrschaftsfreie Formen des Zusammen-lebens verwirklicht und, von unten nach oben wachsend, gesellschaftliche Bedeutung erlangen mag

Dann verknüpften sich die sozial-ökologischen Ansätze im weiten Umfeld der Familienpolitik — die auch in ihrem engeren . Ressort'wirksam zur Unterstützung einer derartigen Erneuerung beitragen könnte wie:

— durch initiativen zur Erleichterung nicht-ehelicher Formen des Zusammenlebens mit dem Ziel, sämtliche familienrechtlichen Vorschriften entsprechend auf sie anzuwenden die Gleichstellung hätte sich dabei auch auf gleichgeschlechtliche oder mehrere Personen umfassende Familien zu erstrecken; das heißt aber auch, die Institution „Ehe" zu überdenken, sie zumindest dem pädagogischen Zugriff des Staates (z. B. „Schuldprinzip" bei Scheidung) abzulehnen und so für eine „Entstaatlichung der Liebe" einzutreten;

— gleichzeitig ist das Sozialleistungssystem vom Haushalt-auf das individualprinzip umzustellen, womit die Wahl der Gesellungsformen nicht mehr vom Geldbeutel abhinge;

— und die Aufgabe öffentlicher Erziehungsinstitutionen (Schule, Ausbildung, Kindergärten etc.) läge in einer Entdeckung der je individuellen Fähigkeiten , was ihre Neugestaltung fordert, aber nicht ihre Zerstörung. 2. Ökologische Familienpolitik ist „Neue-Männer-Politik"

Mit den vorhandenen Männern, so scheint ein vorsichtiges Resümee erlaubt, dürfte die „Familie" anti-patriarchalischer Utopien schwer zu machen sein. Es fordert von ihnen Anstrengung — obwohl sie viel zu gewinnen haben: die andere Hälfte der Welt.

Wenn die Männer nicht wollen, dann müssen die Frauen eben verlangen, daß aus den massenhaften (Klein-) Patriarchen der Gegenwart „neue Männer" werden. Familienpolitik wäre dann nicht zuletzt „Neue-Männer-Politik".

Fussnoten

Fußnoten

  1. E. Bornemann, Das Patriarchat. Ursprung und Zukunft unseres Gesellschaftssystems, Frankfurt 1979, S. 542.

  2. A. Herlth/F. -X. Kaufmann, Zur Einführung: Familiale Probleme und sozialpolische Intervention, in: F. -X. Kaufmann (Hrsg.), Staatliche Sozialpolitik und Familie, München-Wien 1982, S. 3.

  3. Z. B. F. Mount, Die autonome Familie. Plädoyer für das Private, Weinheim-Basel 1982; B. Berger/P. L. Berger, In Verteidigung der bürgerlichen Familie, Frankfurt 1984, S. 202.

  4. F. d Eaubonne, Feminismus oder Tod. Thesen zur Ökologiedebatte, München 1975, S. 183; vgl. auch die Beiträge in R. Bahro, Pfeiler am anderen Ufer, Berlin 1984.

  5. E. Bornemann, (Anm. 1), S. 13 f.

  6. Ebd„ S. 534.

  7. G. Heinsohn/R. Knieper/O. Steiger, Menschen-produktion. Allgemeine Bevölkerungslehre der

  8. G. Heinsohn u. a., (Anm. 7), S. 15.

  9. A. Wetterer/G. Walterspiel, (Anm. 7), S. 32.

  10. Vgl. H. Rosenbaum (Hrsg.), Seminar: Familie und Gesellschaftsstruktur. Materialien zu den sozioökonomischen Bedingungen von Familienformen, Frankfurt 1980.

  11. Vgl. grundlegend J. Jllich, Genus, Frankfurt 1983.

  12. vgl. H. Arendt, Vita Activa oder Vom tätigen Leben, München 1983 3.

  13. C. v. Werlhof, Der Proletarier ist tot. Es lebe die Hausfrau?, in: M. Opielka/M. Schmollinger/A. Fohmann-Ritter (Hrsg.), Die Zukunft des Sozialstaats (Band I), Stuttgart 1984 3, S. 147; Zu diesem Themen-komplex vgl. auch zwei Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, 9/10, „Neue Verhältnisse in

  14. Zu diesem Abschnitt habe ich mich im wesentlichen auf drei neuere Untersuchungen bezogen, die beiden erstgenannten sind intern. Vergleichsstudien: Gruppe Politik-Information am IIMV/Arbeitsmarktpolitik, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, IIM/LMP 83— 7, Wissenschaftszentrum Berlin 1983; G. Erler/M. Jaekkel/J. Sass, Mütter zwischen Beruf und Familie, München 1983; C. Borm/Ch. Vollmer, Familien-freundliche Gestaltung des Arbeitslebens (Schriftenreihe des BMJFG 135), Stuttgart u. a. 1983.

  15. Gruppe Politik-Information ..., (Anm. 14), S. 40.

  16. Ebd., S. 43 f.

  17. S. Freud, Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen, in: Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre (1893— 1906), Gesammelte Werke, Bd. 1, Frankfurt 1952, S. 307.

  18. M. Häussler, Von der Enthaltsamkeit zur verantwortungsbewußten Fortpflanzung, in: Häussler u. a., (Anm. 7), S. 65.

  19. Vgl. S. v. Paczensky/R. Sadrozinski (Hrsg.), Die neuen Moralisten, Reinbek 1984.

  20. B. Knieper, zit. nach C. Helfferich, „Mich wird es schon nicht erwischen”, in: Häussler u. a., (Anm. 7), S. 102.

  21. C. Tophoven/J. Wasem, Bevölkerungspolitische Steuerung als Aufgabe einer familienpolitisch orientierten Sozialpolitik?, in: Sozialer Fortschritt, (1984) 2. S. 26.

  22. Zit. nach Tophoven/Wasem, ebd.

  23. BT-Drucksache 10/863 vom 5. 1. 1984.

  24. Eine präzise, zusammenfassende Kritik dieser familienpolitischen Entwicklung leistet E. Beck-Gernsheim, Frauen zurück in die Familie?, in: WSI-Mitteilungen, (1984) 1, S. 23— 32.

  25. Ein enthüllendes Dokument für die ideologische Indienstnehmung der Frauen bietet der „Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe zum Programm . Schutz des ungeborenen Lebens", der im November 1983 bekannt geworden ist.

  26. Pro Familia Bremen (Hrsg.), Gutachten von Prof. Dr. Gerhard Amendt zum Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe zum Programm „Schutz des ungeborenen Lebens", Bremen 1984.

  27. So belegen die Daten des „Wohlfahrtssurveys 1980" ein Verhältnis von Erwerbs-und Haushaltstätigkeiten zwischen bundesdeutschen Männern und Frauen von 1, 0 zu 4, 3 bei Haushaltstätigkeiten, hingegen von 71, 0 zu 28, 9 bei Erwerbstätigkeit; W. Glatzer/H. Herget, Ehe, Familie und Haushalt, in: W. Glatzer/W. Zapf (Hrsg.), Lebensqualität in der Bundesrepublik, Frankfurt-New York 1984, S. 127.

  28. C. Leggewie, Lieb und teuer. Eine Nachwuchs-kostenanalyse, in: Kursbuch 72, Juni 1983, S. 101.

  29. BT-Drucksache 8/3120, S. 48 ff., S. 137ff.; die em

  30. C. Hagemann-White, Stichwort „Gewalt", in: J. Beyer u. a. (Hrsg.), Frauenhandlexikon, München 1983, S. 114.

  31. Zit. nach B. Sichtermann, Weiblichkeit. Zur Politik des Privaten, Berlin 1983, S. 110.

  32. S. Plogstedt/K. Bode, Übergriffe. Sexuelle Belästigung in Büros und Betrieben. Eine Dokumentation der Grünen Frauen im Bundestag, Reinbek 1984.

  33. C. Hagemann-White, (Anm. 30), S. 116.

  34. Die folgenden Zahlen stammen aus: „Psychologie heute", April 1984, S. 10.

  35. Bericht der Enqute-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat", BT-Drucksache 9/2390 vom 17. 1. 1983, S. 34. Die nachfolgenden Daten stammen aus: B. Kavemann/I. Lohstätter, Gewalt gegen Kinder als Teil familiärer Interaktion, Berlin 1984 (Manuskript).

  36. Zwar wurde aus der „väterlichen" die „elterliche Gewalt". Die Gewalt blieb. Nicht weiter bedacht werden kann in diesem Beitrag, inwieweit die Eigentumsstruktur auch Verantwortlichkeit für die Kinder erzwingt.

  37. Vgl. die Arbeiten in M. Opielka u. a., (Anm. 15); M. Opielka (Hrsg.), Die ökosoziale Frage. Alternativen zum Sozialstaat, Frankfurt 1984 (i. E.).

  38. Vgl. L. Liegle, Familie und Kollektiv im Kibbuz, Weinheim 1977 4.

  39. J. Berger, Alternativen zum Arbeitsmarkt, in: MittAB, (1984) 1, S. 65f.

  40. Vgl. I. Ostner/A Willms, Strukturelle Veränderungen der Frauenarbeit in Haushalt und Beruf, in: J. Matthes (Hrsg.), Krise der Arbeitsgesellschaft? Verhandlungen des 21. Deutschen Soziologentages in Bamberg 1982, Frankfurt-New York 1983, S. 206— 227.

  41. Z. B. M. Opielka, Das Garantierte Einkommen — ein sozialstaatliches Paradoxon?, in: T. Schmid (Hrsg.), Garantiertes Einkommen (AT), Berlin 1984 (i. E.).

  42. E. Bueb/M. Schreyer/M. Opielka, Das alternative Rentenmodell für Alle!, in: M. Opielka u. a. (Anm. 13), S. 295— 299; das Modell wird derzeit beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung mit einem Computermodell durchgerechnet, die Ergebnisse werden für Sommer 1984 erwartet. Eine voll eigenständige und im Grundbereich nicht beitragsfinanziert, sondern wie hier vorgeschlagen über Wertschöpfungssteuern finanzierte Renten-struktur würde auch das Gerede um den „ 2-oder 3-Generaticnen-Vertrag" — welchen Beitrag leisten die Kinderproduzenten gegenüber den Kinderlosen? — beenden.

  43. Vgl. A. Gorz, Wege ins Paradies, Berlin 1983..

  44. Vgl. dazu die Vorschläge in der erwähnten Projektgruppe, (Anm. 14).

  45. D. Duhm, Aufbruch zur neuen Kultur, München 1982, S. 84.

  46. So S. Firestone, Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt 1975, S. 180 ff.

  47. E. Bornemann, (Anm. 1), S. 534.

  48. Z. B. B. Sichtermann, (Anm. 31); zur, leider recht mißverstehenden, Kritik vgl. Häussler u. a., (Anm. 7), S. 117 ff.

  49. B. Sichtermann, (Anm. 31), S. 61.

  50. Ebd., S. 68.

  51. Ebd., S. 112f.

  52. Dazu H. v. Gizycki, Arche Noah '84, Frankfurt 1983.

  53. Vgl. dazu ansatzweise von R. Scholz, Die nicht-eheliche Lebensgemeinschaft in der Rechtspraxis, Bonn 1982.

Weitere Inhalte

Michael Opielka, Dipl. Päd., geb. 1956; Studium der Rechtswissenschaften, Erziehungswissenschaften und Psychologie in Tübingen und Zürich; seit 1983 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der GRÜNEN für allgemeine Sozialpolitik. Veröffentlichungen u. a.: (zusammen mit Martin Schmollinger und Angelika Fohmann-Ritter, Hrsg.) Die Zukunft des Sozialstaats, Stuttgart 19843,; Die ökosoziale Frage, Frankfurt 1984 (im Erscheinen).