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Was ist die Idee Europas? | APuZ 23-24/1984 | bpb.de

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APuZ 23-24/1984 Was ist die Idee Europas? Ist die EG noch zeitgemäß? Zur Tragfähigkeit der Integrationspolitik Europa ohne Grenzen Artikel 1

Was ist die Idee Europas?

Werner Weidenfeld

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In Zeiten verschärfter wirtschaftlicher Schwierigkeiten und unübersehbarer Beschwernisse im Entscheidungsprozeß wird die Frage nach den immateriellen Grundlagen der Einigung Europas wieder nachdrücklicher gestellt. Die Idee Europas ist zu einem Sammelbecken vielfältiger Programme und Motive geworden. Dies hat der Europapolitik in der Nachkriegszeit einen pragmatisch-experimentierenden Grundzug verliehen. Der Konsens der Europäischen Gemeinschaft ist in neuerer Zeit spürbar geschrumpft. Europa wird wieder störanfälliger. Die Zukunft des europäischen Einigungswerkes wird stark davon abhängen, inwieweit es gelingen kann, den Bezirk an europäischer Gemeinsamkeit wieder auszubauen. Eine intensive Debatte über Ziel und Strategie Europas erscheint überfällig. Der Vorstoß zur Originalität des Denkens wäre dann die zeitgemäße Antwort auf die Frage nach der Idee Europas.

I. Die Wiederentdeckung der Kultur

Europa zeigt heute greisenhafte Züge. Die Kräfte haben nachgelassen. Die geistige Ausstrahlung verkümmert. Die Vergangenheitsschwärmerei tritt an die Stelle weit gesteckter Hoffnungshorizonte. Was kann Europa zusammenhalten angesichts der zentrifugalen Kräfte partikularer Wirtschaftsinteressen und nationaler Egoismen?

Damit ist die Frage nach der Kultur Europas aufgeworfen Der geistige Raum gemeinsamer Lebens-und Werterfahrung könnte in der Tat die Klammer des Kontinents sein, wenn dieser Perspektive nicht eine andere Erkenntnis aus dem Europa unserer Tage entgegenstehen würde Entsolidarisierung macht sich breit. Ein paradoxes Gefühl von Nähe und Ferne ist den Europäern bis heute geblieben. Und so gibt es nach wie vor schmerzliche Bestände von Voreingenommenheit der Europäer untereinander Was wissen denn Franzosen und Engländer, Italiener und Deutsche wirklich von der Geschichte, von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen, von der Kunst und dem Leben der europäischen Partner? Es existiert noch genügend Nährboden für überraschend aufkeimende Irritationen zwischen den Europäern.

Das Abenteuer der Einigung Europas wird mit allen seinen Facetten erst offenbar, wenn man die Profile der politischen Kultur in Europa freilegt

Nichts liegt näher, als nach den ideellen Fundamenten zu fragen „Zurück zu den immateriellen Grundlagen", „Ja zu einer Renaissance der europäischen Kultur" — so scheint der neue europäische Konsens zu heißen. Die Krämer und Buchhalter haben nun, in der Ausweglosigkeit ihres Tuns, die Kultur entdeckt — so könnte man zahlreiche Bemerkungen mit einem Schuß Polemik persiflieren. In Zeiten rasanter Talfahrt der Wirtschaft und in Zeiten institutioneller Beschwerlichkeiten erscheint die Flucht in die Kultur als der einfachste Ausweg. Skepsis ist also angebracht; Skepsis auch, weil Europa ja viele weihevolle Formeln kennt. Es gibt geradezu eine Tradition des Ausweichens in wirklichkeitsfernes Pathos und in sentimentale Vergangenheitsschwärmerei. In dieser Tradition wird die geistige Verheißung zur Kompensation des politischen Scheiterns Moralisierende Vorbehalte gegenüber den konkreten Erscheinungsformen der Politik — dies alles kennen die Europäer quer durch Epochen und Nationen.

Was ist die Idee Europas?

In der Geschichte der Europäischen Integration taucht diese Frage nach der Idee Europas gewissermaßen in Wellenbewegungen immer wieder auf, und zwar dann, wenn der Integrationsprozeß in eine Phase tastender Neuorientierung tritt: — So 1952/1953, als man nach der erfolgreichen Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl über den weiteren Ausbau nachdachte und zusätzlich zu einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft als gemeinsames Dach eine Politische Union entwarf. — So auch wieder Anfang der siebziger Jahre, als das Kernprogramm der Römischen Verträge praktisch realisiert war, aber die Umrisse der neuen Epoche unklar blieben. Sicherlich waren damals mit dem Projekt einer Wirtschafts-und Währungsunion, der Erschließung neuer Politikfelder wie Regional-, Sozial-und Entwicklungspolitik, der Umstellung der EG-Finanzierung auf Eigenmittel die wichtigsten Stichworte eines ambitionierten Reformprogramms genannt: aber — so fragte man sich — zu welchem Ziel und Zweck?

— Die Europäische Gemeinschaft verabschiedete daraufhin im Dezember 1973 ein umfangreiches „Dokument über die europäische Identität" Ein Jahr später wurde dann der belgische Premierminister Leo Tindemans beauftragt, einen Bericht über die inhaltliche Ausgestaltung des Zielbegriffs „Europäische Union" vorzulegen. Dieser Bericht beschrieb einen pragmatischen Minimalkonsens aber er verschwand dennoch relativ rasch in den Schubladen der Europapolitik. Die grundsätzlichen Anfragen nach der Perspektive, nach der Idee Europas blieben unbeantwortet. Die konzeptionelle Ratlosigkeit wucherte weiter.

Was ist also die Idee Europas?

Gilt der Hinweis eines Heinrich Mann: „Das übernationale Gemeinschaftsgefühl der Europäer ist reine Erfindung der Dichter." Gilt der Ausruf Dolf Sternbergers: „Nein, eine Idee, die Europa hieße, die gibt es nicht." Oder gilt die denkwürdig knappe Antwort eines Karl Jaspers: „Europa, das ist die Bibel und die Antike."

Wobei Jaspers zugleich ergänzt: Mit dem Entstehen einer Weltzivilisation bleibe für Europa nur noch die Pflege der „Heiligen Stätten" der von Europa geschaffenen Weltzivilisation Europa also nur noch in musealer Funktion?

Versucht man, die geistigen Wurzeln solcher Gedanken einmal aufzuspüren, dann treten zwei grundlegende geistesgeschichtliche Probleme zutage, die Europa von der Stunde seiner ersten Erwähnung im 6. Jahrhundert v.

Chr. an bis zum heutigen Tage begleiten und sein kulturelles Unterfutter prägen Das ist — zum einen — die Unsicherheit des Raum-bildes von Europa. Was meinen wir eigentlich, wenn wir Europa einigen wollen? Das ist — zum anderen — die normative Begründung Europas; Europa zeigt Risse, wenn sich die normativen Grundlagen verändern — damals wie heute.

Europa wird von den Griechen zunächst als ihr Festland geographisch und normativ zugleich vom Land der Barbaren draußen abgegrenzt. Dann werden die Grenzen weiter gezogen: Nach Norden verschiebt man sie mit Erkundungsfahrten und Eroberungen, nach Westen sind es die Säulen des Herkules, nach Osten bleibt man unsicher. Die Landstriche zwischen Schwarzem Meer und Kaspischem Meer werden als Grenzraum angegeben. Europa bleibt eingespannt in drei Vorfelder, ein eurasisches, ein atlantisches und ein mittelmeerisch-afrikanisches. Es bleibt durch die Epochen ein Problem, in welcher Weise diese Vorfelder an der europäischen Geschichte teilhaben.

Diese Unsicherheiten in der Grenzziehung Europas nach außen werden ergänzt durch die Bewegungen im Innern. Die geistigen Abgrenzungen wandern, wenn auch die Eigentümlichkeit Europas bewahrt bleibt: die Befreiung aus der Befangenheit im magischen Denken und der Zug rationaler Lebensbewältigung. Prägende Kraft entfaltet zunächst die Römische Kirche. Das Lateinische wird im 4. Jahrhundert zur Liturgiesprache erhoben, und Europa konstituiert sich als lateinische Chri-stenheit. Die theologische Integration wird zur Grundlage Europas Zwangsläufig aber wird damit Europa auch in die großen geistigen Auseinandersetzungen der verschiedenen Epochen einbezogen: seit der Rezeption des Aristoteles in die Spannung zwischen griechischer und römischer Klassik, dann in die Spannung zwischen Kirche und Staat. Herausforderungen von außen werden für die Abgrenzung und das Selbstbewußtsein Europas bedeutsam: die Distanz zwischen Rom und Byzanz, die Türkengefahr, der Einbruch des Islam. Folgerichtig wird Europa elementar betroffen von der Spaltung der Christenheit in einen römisch-katholischen und einen protestantischen Teil, vom Prozeß der Säkularisierung. Kriege und Allianzen, Erwerb und Verlust von Territorien treten in den Vordergrund. Dynastien streben nach Hegemonie. Wer solche hegemonialen Pläne zu Fall brachte, galt als der große, der beste Europäer. In der Aufklärung gerät dann das Europabewußtsein in die unentschiedene Mittelposition zwischen national begrenztem Interesse und universalistisch orientierter Haltung. Diese Spannung zwischen nationaler Besonderheit, europäischer Gemeinsamkeit und weltweiter Orientierung bleibt dann bis zur Gegenwart.

II. Licht und Schatten in der Geschichte Europas

Unser Gedächtnis speichert zu alledem höchst unterschiedliche Sachverhalte. Europa kennt den Geist der Bergpredigt ebenso wie die Herrschaft des Tyrannen. Nur wenige Kilometer entfernt von Goethes Haus in Weimar lag das KZ Buchenwald, wo tausende Menschen nach Plan ermordet wurden. Hier liegt geradezu ein Symbol dafür, wie dicht Licht und Schatten in der europäischen Geschichte nebeneinanderliegen. Die Geschichte Europas ist nicht einfach unter das Prinzip der Einheit zu subsumieren, sondern sie stellt sich letztlich dar als ein tiefgreifender, dialektischer Konflikt zwischen zwei Grundtendenzen zwischen dem Gegeneinander der Nationen, Interessen und Weltanschauungen und ihrem Zusammenhang, zwischen der Differenzierung und der Vereinheitlichung. Unsere Epoche hat allerdings ein neues Element in die Geschichte Europas eingeführt: den Dualismus zweier Weltsysteme, der Europa in zwei Teile zerreißt. Dieser Dualismus trennt Europa in bezug auf Machtstruktur, Wertordnung, Sozialstruktur in zwei getrennte Bereiche. Hinter diesem Dualismus schwelen dann die traditionellen Unsicherheiten zum Europa-Bild weiter und finden ihren Ausdruck in aktuellen Anfragen

Ist es zulässig, die gesamteuropäische Kooperation zugunsten einer westeuropäischen Integration zurückzustellen? Gebührt der Offenhaltung gesamteuropäischer Lösungen nicht die absolute Priorität gegenüber jeder kleineuropäischen Lösung?

Die Gründungsväter der Europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg haben für sich die Konkurrenz der Raumbilder eindeutig entschieden Sie haben ihre Europa-Perspektive normativ gebunden. Das Ja zu Europa sollte ein Ja zur politischen Organisation der Freiheit sein. Dieser normativ fixierte Europa-Begriff hebt nicht in erster Linie auf geographische Gegebenheiten ab, sondern auf Europa als einen Kristallisationspunkt der politischen Kultur. Nicht die erneute nationalistische Verengung konnte die Antwort auf die Kriegserfahrung sein, sondern eine supranationale Organisation zur institutioneilen Absicherung des gemeinsamen Freiheits-und Friedenswillens.

Europa als Absage an den Nationalismus, als Absage an verirrte Sonderwege als Bereitschaft, Konflikte untereinander nach festgelegten Verfahren friedlich zu regeln, als Erwartung neuer gemeinsamer Macht und neuen wirtschaftlichen Wohlstandes — dies war die Antwort, die die Gründer der Einigung Europas auf die Herausforderung ihrer Zeit formulierten.

Hinter alledem steht eine wichtige Erfahrung: Die politischen Probleme sind über die nationalen Grenzen ausgewandert Es hat eine Internationalisierung — aber auch eine Regionalisierung — unserer Lebenssachverhalte stattgefunden. Die Staaten haben Schritt für Schritt ihre Handlungsfähigkeit eingebüßt. Einer internationalisierten Problemstruktur steht keine adäquate politische Entscheidungsstruktur gegenüber. Europäische Einigung wird so zum Versuch, Problemstruktur und Entscheidungsstruktur in Übereinstimmung zu bringen — zwar ein begrenzter, unzulänglicher Versuch, aber ein unverzichtbarer Versuch, weil nur so Volkssouveränität auf einer neuen Ebene herzustellen ist. Konstituierendes Element der politischen Kultur Europas ist das neuzeitliche Konzept des autonomen Subjekts: Der einzelne wird zum bestimmenden Subjekt von Politik und Geschichte Norm und Geltung sind dem Menschen nicht mehr vorgegeben, er muß sie selbst setzen und bestimmen Traditionelle und charismatische Legitimationsideen werden von der Volkssouveränität abgelöst. Da die Freiheit des einzelnen die Freiheit aller bedingt, bedarf es des demokratischen Verfassungsstaates, der die Freiheit absichert Im Zuge der Internationalisierung der Lebens-sachverhalte wird es unmöglich, die Idee der Volkssouveränität und des demokratischen Verfassungsstaates in nationaler Begrenzung zu belassen. Die Institutionen Europas sind insofern Ausdruck europäischer Volkssouveränität. In diesem Rahmen wird ein Teil des Herkunftsbewußtseins der Europäer geprägt, werden gemeinsame Erfahrungen gesammelt, werden Konflikte nach vorher festgelegten Regeln ausgetragen, erfährt der Europäer sich als Teil einer europäischen Handlungsgemeinschaft. — Alles das sind Varianten der Idee Europas.

Dies ist eine Idee, die allerdings nur eine Teil-Identität der Europäer vermittelt Neben dem gemeinsamen Erfahrungshorizont Europa gibt es die anderen Schichten der Identität: die nationalen Dispositionen, die sozialen Organisationserfahrungen, das regionale, städtische und dörfliche Bewußtsein Dieses Bewußtsein der Vielfalt geschichtlicher Teilidentitäten konstituiert die politische Kultur Europas. Exakt dort, wo man diese Erfahrung negiert, tun sich die Abgründe Europas auf, denn die vielfältigen Gemeinschaftsbezüge, in denen die Europäer leben, verhindern eine Verabsolutierung einzelner Ansprüche. Sie verhindern ein Abrutschen in die Perversitäten des Nationalismus. Aus diesen Schichtungen ergeben sich natürlich Spannungen; diese Spannungen auszuhalten, ja sie schöpferisch werden zu lassen, ist für das Werden einer europäischen Identität wichtiger als die Jagd auf vermeintlich vorhandene Ganzheitsideale. Aber die Versuchung zum Absoluten ist in der Politik eigentlich nie endgültig gebannt Hier greift das Wort des Engländers Bernard Crick von den zwei Feinden der Politik: „Vielleicht läuft alles darauf hinaus, daß die Politik zwei große Feinde hat: Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leid und Leidenschaft für Gewißheit in Dingen, die wesentlich politisch sind." Die Strukturen Europas sind nicht gefeit vor romantischen Aufständen gegen die Kompliziertheit von Politik und Gesellschaft. Die Suche nach der ideellen Gewißheit kann zur Flucht vor den konkreten Schwierigkeiten des politischen Lebens werden. Zeichen des Unbehagens an der Moderne sind in Europa unübersehbar. Gegen die Rationalität einer arbeitsteiligen, komplizierten und pluralen Organisation unseres Lebens steht die Sehnsucht nach Gefühl und Spontaneität Bricht sich diese Versuchung des Absoluten ihre Bahn — vielleicht weil es so leicht ist, das Unmögliche zu fordern, und so schwer, das Mögliche zu erreichen, dann bleiben Freiheit und Frieden auf der Strecke.

Zu den Versuchungen des Absoluten in der Politik gehört zweifellos der Nationalismus. Der Nationalismus bleibt als Gefahr in der modernen Industriegesellschaft bestehen, einer Gesellschaft, in der eine zweckrationale Funktionenspezialisierung vollzogen wird, in der eine institutionelle Differenzierung vorgenommen wird und in der es ungeheuer schwierig ist, die arbeitsteilig erworbenen Erfahrungen in ein symbolisches Universum, in einen Sinnzusammenhang einzuordnen. Hinter dem intensiven Ausschnittswissen, über das ein jeder von uns verfügt, versinkt unsere Fähigkeit zur Konstruktion der gesellschaftlichen Ordnung. Die Natur erscheint beherrschbar, die Gesellschaftsstruktur entgleitet der Verfügung. In solchen Bedrängnissen bietet der Rückfall in den Nationalismus eine gefährliche Ausflucht.

III. Die Absage an den Nationalismus

Es erscheint wichtig, sich die Leistung der Idee Europa in den letzten Jahrzehnten bewußt zu machen, nämlich ein Abrutschen in den Nationalismus mitverhindert zu haben. Und diese Idee Europa ist nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Sammelbecken vielfältiger politischer Programme und Motive geworden. Durchaus folgerichtig hat sich der Prozeß der Integration nie an ein einziges Modell oder an ein einziges Konzept gebunden. Dies hätte ja die Gefahr provoziert, daß mit dem Scheitern eines einzelnen Ansatzes die gesamte Idee verbraucht gewesen wäre. Die Europapolitik der Nachkriegszeit trägt vielmehr einen pragmatisch-experimentierenden Grundzug Sie bemächtigt sich höchst unterschiedlicher Themen und Sektoren. Sie verwendet unterschiedliche Organisationsformen. Sie diskutiert unterschiedliche Methoden, Modelle und Theorien: Europa als Forum kultureller Vielfalt, Europa als Bundesstaat, Europa als funktionalistische Agentur, Europa als locker verbundenes Staaten-konzept, Europa als Freihandelszone. Intellektuell reizvoll und spannend war dieses Unternehmen allerdings nur, solange man der bloßen Idee huldigen konnte und solange* den Menschen die Leistungen der Integration verwehrt blieben, oder nach wie vor verwehrt bleiben und man weiterhin darunter leidet. Die Faszination der Idee Europa bei den Menschen in Warschau, Prag, Budapest mag hier ihre eigentliche Begründung haben. In den Ländern der Europäischen Gemeinschaft hat sich dagegen das atmosphärische Unterfutter des Europa-Gedankens wesentlich gewandelt.

Bei näherem Hinsehen liegt das sozialpsychologische Mißgeschick darin, daß die europäische Integration mit ihrem mehr oder minder erfolgreichen Funktionieren die Grundlage für eine bewegende Begeisterung der Bürger selbst unterlaufen hat. Aus der großen Idee ist die selbstverständliche Erfahrung des politischen Alltags geworden, mit allen ganz normalen Konflikten, Reibungsverlusten und Schwerfälligkeiten. Der Erwartungshorizont der Bürger hat diesen Wandel nicht mitvollzogen. Viele Schwierigkeiten beruhen auch auf einer Überforderung der Europäischen Integration, so als sei die europäische Identität allein der Schlüssel zu den Problemen unserer Zeit. Daher wird die Diskrepanz zwischen Ansprüchen und Hoffnungen einerseits und dem Leistungsvermögen der Europäischen Gemeinschaft andererseits zu einem Zentral-problem. Um diese Schwierigkeiten zu reduzieren, fehlt es der Europäischen Gemeinschaft bisher an Transparenz, an Effizienz und an einer angemessenen Infrastruktur.

Die frühere Selbstsicherheit großer Zukunftsentwürfe für Europa ist zudem inzwischen eher konzeptioneller Unsicherheit gewichen. Man erinnere sich an die Klarheit der Ziel-perspektive, mit der ein Carlo Schmid sein Europa-Bekenntnis nach dem Zweiten Weltkrieg formulieren konnte: „Wir werden uns klar werden müssen, daß ein hegemoniales Europa so gut eine Unmöglichkeit ist, wie ein Europa, das lediglich eine Konföderation souverän bleibender Staaten ist. Wir dürfen also keinen Staatenbund anstreben. Europa muß man schon als Bundesstaat wollen, wenn man ein wirksames Europa will!" Wer könnte heute noch mit der gelassenen Selbstverständlichkeit eines Arnold Bergstraesser die Frage nach Europa als die Frage nach der europäischen Kultur indentifizieren? Arnold Bergstraesser beschrieb Mitte der fünfziger Jahre Europa als geistige und politische Wirklichkeit: „Fragen wir also nach der Wirklichkeit Europas, so handelt es sich zunächst um die Wirkungsfähigkeit der für Europa gemeinsam geltenden Normen, um die Normen der Europäischen Kultur.“ Von dieser Überlegung ist es dann für die Europäer offenbar nur ein kurzer Weg zur Konzentration auf Wirtschaftsstatistiken und Konjunkturzyklen. Europa wird zum Bezugspunkt für Ansprüche und Begehrlichkeiten aller Art. Walter Hall-stein konnte allerdings noch wie selbstverständlich schreiben, das Prinzipielle des Integrationsprozesses bestehe in der Forderung, „daß die Richtung auf immer mehr Einheit eingehalten werden muß" Diese Überein-stimmung der Europäer von damals — von Spaak bis de Gasperi — ist inzwischen dahin. Es wird nicht nur über einzelne Inhalte der europapolitischen Perspektiven gestritten, sondern auch um die Aufrechterhaltung der Grundforderung fortschreitender Vergemeinschaftung selbst.

Dabei muß man sehen, daß in jeder politischen Organisation die Konflikte begrenzt und relativiert werden durch den vorhandenen normativen Konsens, einer Übereinstimmung in den Zielen, Werten und Perspektiven Die Schwierigkeiten nehmen zu, die Konflikte werden intensiver, wenn der Bezirk der Übereinstimmung schrumpft. Die Entwicklung der Einigung Europas kann geradezu als ein klassisches Belegstück dieser allgemeinen Beobachtung gelten.

Der Konsens der Europäischen Gemeinschaft, ursprünglich gegeben in einem allgemeinen Elan zur Einigung über die Trümmerfelder des Krieges hinweg, in einem europäischen Anti-Nationalismus wie Anti-Kommunismus, später auch im Willen zum Vollzug des Programms der Römischen Verträge — dieser Konsens hat sich angesichts neuer Probleme spürbar reduziert: Europa trägt für viele seinen Wert nicht mehr fraglos in sich selbst.

Die Bedrohungsvorstellungen haben an Brisanz verloren. Zunehmend äußern sich erneut nationale Egoismen. Die Mitgliedstaaten spüren, daß keiner von ihnen stark genug ist, um das Geschehen allein zu bestimmen, aber daß jeder ein erhebliches Verhinderungspotential besitzt. Europa wird störanfälliger. Es droht zum Spielball integrationspolitischer Negativ-Kompetenz zu werden. Als Konsequenz ergibt sich in vielen Bereichen ein anspruchsloser Pragmatismus des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Der strukturelle Hintergrund für diesen Prozeß der Entsolidarisierung ist leicht auszuleuchten: Die inzwischen differenzierteren und labileren Beziehungsmuster der internationalen Umwelt und die härteren internen Verteilungskämpfe haben die Verlockungen zu nationalen Alleingängen einzelner EG-Mitglieder wachsen lassen. Dies ist solange nicht gefährlich, als sich die nationalen Interessen im politischen System der Europäischen Gemeinschaft in die Gemeinschaftsdisziplin nehmen lassen. Inzwischen mag der Zweifel wachsen, in welchem Ausmaß und wie lange dies noch gelingen kann. Die integrationspolitisch entscheidende Entwicklungslinie liegt allerdings in dem Versuch, Gemeinschftsprobleme mehr und mehr in nationale Sonderfragen umzuinterpretieren. Die Transformation von Gemeinschaftsproblemen in nationale Sonderfragen und die Focussierung der europapolitischen Debatte auf die Ebene des finanziellen Transfers: Dies sind die existentiellen Veränderungen, in denen sich der Prozeß der Entsolidarisierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft manifestiert.

IV. Fiktive Europa-Bilder

Die Praxis der Integrationspolitik artikuliert die potentielle Sprengwirkung dieser Tendenz kaum. Die europäische Rhetorik nimmt damit teilweise fiktive Züge an; sie formuliert in Ausschnitten ein Europa des , als ob': , Als ob'es noch den stillschweigenden Konsens in den Zielen und Motiven der Römischen Verträge gäbe; , als ob’ noch das Gründungskonzept der fünfziger Jahre Gültigkeit hätte; „als ob'das institutionelle Gefüge noch im ursprünglich entworfenen Sinne funktionierte.

Gegenwärtig und auf mittlere Sicht wird man ein Mißverhältnis zwischen dem Politikbedarf der Gemeinschaft und ihren unzureichenden Machtressourcen konstatieren müssen. Es ist längst deutlich geworden, daß die Schaffung einer gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Systemeinheit nach einer ordnungspolitischen Ergänzung verlangt. Beispielsweise setzt das Funktionieren eines Gemeinsamen Marktes den politischen Ordnungsrahmen voraus, der immer wieder neu die Machtbedingungen sichern muß. Der Abbau innergemeinschaftlicher Handelsschranken führt zu einer Intensivierung des Wettbewerbs; dieser wiederum löst nationale wie internationale Konzentrationsprozesse aus, die gesamtwirtschaftliche, regionale und sektorale Ungleichgewichte verstärken. Diese Un-gleichgewichte lassen zwangsläufig nach größeren politischen Steuerungskapazitäten auf EG-Ebene verlangen. Dies alles läßt die Forderung nach einer präziseren Formulierung für die inhaltliche Bestimmung gemeinsamer Politik nachdrücklicher erleben. Vor diesem Hintergrund bestimmen dann die innenpolitischen Erfolgszwänge zunehmend die europäische Szenerie. Innenpolitisches Kalkül und innenpolitische Schwierigkeiten belasten auf direktem Wege die Handlungsfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft. Wenn aber die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten nur noch im Zusammenwirken mit den anderen europäischen Staaten realisierbar wird, dann verliert auch die beliebte Taktik der nationalen Regierungen, ihre eigenen Versäumnisse der jeweiligen internationalen Umwelt schuldhaft anzurechnen, ihr Fundament; denn in Europa verweist dies dann bestenfalls auf ein europapolitisches Versagen einer Regierung, die europäische Mitverantwortung trägt. Über alledem ist die konzeptionelle Dynamik der Europäischen Einigung inzwischen versandet. Nach dem Verfall der großen Visionen gleicht das geistige Profil der Europäischen Gemeinschaft einem ausgebrannten Vulkan. Vor diesem Hintergrund lösen die europapolitischen Grundfragen fast zwangsläufig Ratlosigkeit aus: Wie kann die Europäische Gemeinschaft politisch handlungsfähiger werden? Wie sollen die Gewichte im institutionellen Gefüge der Europäischen Gemeinschaft neu geordnet werden? Wie können die Entwicklungsunterschiede innerhalb der Europäischen Gemeinschaft durch einen wirksameren Ressourcentransfer überwunden werden? Wie kann es zu einer effizienteren Aufteilung politischer Kompetenzen zwischen der europäischen und der staatlichen Ebene kommen? Letzlich läuft alles auf die elementare Existenzfrage hinaus, die das Europäische Einigungswerk seit seinen Anfängen begleitet: „Wie kann aus einer Vielzahl von Nationalstaaten mit längst ausgehöhlter Souveränität und einer unendlichen Fülle von internen Einzelproblemen — wie kann aus einer solchen Vielzahl von Nationalstaaten eine politisch handlungsfähige Einheit geschaffen werden?'

Da es an einer dichten intellektuellen Diskussion über die Zukunft Europas fehlt, sind auch die Beurteilungsrahmen zur Beantwortung dieser Frage nicht recht auszumachen. Europa leidet in der intellektuellen Debatte weniger an der Divergenz der Ideen, sondern eher an mangelnder konzeptioneller Binde-wirkung und an geistig-politischer Langeweile. Die nachlassende geistige Sogwirkung der europäischen Ideen hat ganz handfeste Konsequenzen. Ohne die konzeptionellen Bezugssysteme werden die einzelnen europapolitischen Pflöcke aus ihrer Verankerung gerissen und treiben gewissermaßen ziellos an der Oberfläche der Ereignisse.

Die Zukunft des europäischen Einigungsziels wird insofern stark davon abhängen, inwieweit es gelingen kann, den Bezirk an europäischer Gemeinsamkeit in den Zielen und Wegen wieder zu präzisieren und auszubauen. Nur auf der Grundlage eines Ziel-und Strategie-Konsenses werden die anstehenden Konflikte konstruktiv zu regeln sein.

Im Blick auf die Zielbeschreibung Europas ist gefragt, welche Verfassung die Grundlage des Zusammenlebens bilden soll. Es kann heute kein Zweifel darüber bestehen, daß Europa eine Verfassung braucht: Die Rechtsgrundla9 gen sind unüberschaubar geworden; die Reform Europas ist überfällig; die elementare Übereinstimmung der Europäer muß fixiert werden. Eine Europäische Verfassung könnte so zu einem wichtigen Orientierungselement werden

Die Frage nach dem Ziel wird zwangsläufig begleitet von der Frage nach der Strategie. In einer Zeit, in der der Konsens brüchig geworden ist, wollen die beteiligten Akteure genauer wissen, auf welche Schritte sie sich mit welchen Konsequenzen einlassen sollen. Sie wollen genauer kalkulieren können, welche Reaktionen sie auf welche Folgemaßnahmen einplanen müssen. Die dazu notwendigen Zweck-Mittel-Analysen haben anzugeben, welches Verhältnis zwischen dem Ziel, der mittelfristigen Aktionsabfolge und den einzusetzenden Instrumenten besteht.

Was liegt vor diesem Hintergrund näher als eine neue Strategiedebatte über die Realisierung der Idee Europa zu beginnen und vielleicht dabei auch den experimentierenden Grundzug der Europapolitik wiederzuentdecken? Die Strategiediskussion gehört in der Europapolitik zu den sträflich vernachlässigten Stiefkindern Dafür mag die integrationspolitische Mentalität verantwortlich sein, die Dinge treiben zu lassen und aus dem Augenblick heraus zu handeln. Die erste Frage dieser längst überfälligen Strategiedebatte lautet: Wer kann der Impulsgeber für neue Integrationsschritte sein? Ein Honoratiorenkomitee nach dem Vorbild Jean Monnets? Europäische Eliten: Parlamentarier, Intellektuelle, Journalisten, Wissenschaftler? Regierungskonferenzen oder Volksbewegungen? Ein gemeinsam entwickelter Führungswille von Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland, der eine Sogwirkung auf Dritte ausübt — nach dem Modell, das Adenauer und de Gaulle bei Abschluß des Freundschaftsvertrages vorschwebte? Wer kann also der Föderator Europas sein und damit der Idee Europa neue Austrahlung verschaffen?

Die einzelnen Faktoren dieser Frage lassen sich recht präzise kalkulieren: Dieser Föderator kann nur in den Staaten zu finden sein, deren politische und wirtschaftliche Potenz die notwendigen Führungsimpulse freisetzen kann. Man muß das europapolitische Kalkül an den wirklich vorhandenen Machtpotentialen festmachen. Die Träume lösen sich auf, wenn das machtpolitische Deklinieren begonnen hat. Es gehört wohl zu den merkwürdigen Illusionsspielen der Europäischen Integration, Entwürfe für Reformperspektiven oftmals den kleinen Staaten zu überlassen, um sie dann bestenfalls als Spielmaterial für Seminaristen und Visionäre aller Art zu benutzen.

Der gesuchte Föderator kann nur in den Staaten zu finden sein, die mit der Integration Europas mehr verbinden als nur eine pragmatische wirtschaftliche Kooperation. Die Axt war an die Politische Union Europas angelegt, als die Europäische Gemeinschaft den Beitritt von Staaten vollzog, die nur unter dem Sog des wirtschaftlichen Erfolges an der Gemeinschaft interessiert waren. Und das bedeutet: Wir müssen sorgfältig registrieren, welche Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft mit dem erreichten Status quo im wesentlichen zufrieden sind und welche darüber hinaus die Politische Union anstreben. Die Lösung ist dann relativ einfach: Diejenigen, die das politisch geeinte Europa wollen, sollen es bauen, auch wenn es zunächst nur zwei, drei oder sechs Staaten sind. Diejenigen, die sich ausschließlich dem EG-Status quo widmen wollen, sollen sich auf das Krisenmanagement konzentrieren.

Der gesuchte Föderator muß außerdem seinen politischen Willen an existentiellen Aufgaben festmachen. Er darf als Themen nicht die bisherige Agenda wählen — dazu sind die Konfliktlinien und wechselseitigen Lähmungen ja hinreichend bekannt. Er darf als Themen auch nicht die unendlichen Details der alltäglichen Brüsseler Abläufe wählen — da-B für ließen sich kaum die notwendigen politischen Kräfte mobilisieren.

Die großen Themen für ein solches Unternehmen liegen auf der Hand:

— Europa steht in der Gefahr, im Modernisierungswettlauf dieser Welt abgehängt zu werden. Zukunftstechnologie, Strukturwandel des Informationssektors, Kommunikationstechnologie, Raumfahrt, neue Energien — Europa kann hierzu nicht warten, bis dies der Letzte begriffen hat Es darf auch nicht noch den letzten Bremser einbinden wollen. Nicht im Sinne der . abgestuften Integration'innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist dies gemeint, sondern in der Tradition von EPZ und EWS als Ergänzung der Europäischen Gemeinschaft, also in der Tradition der Vielfalt von Organisationsformen.

— Als zweites großes Thema drängt sich die Frage nach der Sicherheit Europas auf. Die traditionelle Forderung nach einem kräftigeren Beitrag der Europäer zu ihrer Sicherheit wird zunehmend ergänzt durch den wachsenden Wunsch, das atlantische Gespräch als Dialog selbstbewußter Partner zu führen

Eine Schritt für Schritt immer dichter werdende sicherheitspolitische Kooperation der Westeuropäer könnte den neuen Weg markieren. Dazu böte sich die Westeuropäische Union, die Europäische Politische Zusammenarbeit, aber auch die Wiederentdeckung der europäischen Idee des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages an. Die Sorgen der Vertragsväter am Anfang der sechziger Jahre waren praktisch identisch mit den heutigen Schwierigkeiten: Spannungen im Ost-West-Verhältnis, Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Atlantischen Allianz, europapolitische Krisen. Das eigentliche Thema der vertraulichen Gespräche zwischen Adenauer und de Gaulle war vor diesem Hintergrund auch nicht die bilaterale Aussöhnung zwischen beiden Völkern — die war in ihrer Sicht bereits weitgehend vollzogen. Ihr Thema war die politische und die sicherheitspolitische Union Europas. Ihre Idee lautete: Die politische und sicherheitspolitische Verklammerung von Deutschland und Frankreich soll der Motor der politischen Union Europas sein und die anderen Staaten mitziehen.

V. Rückkehr zur Originalität

Keine dieser Ideen wird jedoch Erfolg haben können, solange man meint, die entscheidenden Schritte seien allein am prasselnden Kaminfeuer zu vollziehen. Unter den Existenz-bedingungen moderner Industriegesellschaften reicht der gute Wille der Staats-und Regierungschefs allein nicht aus. Er muß in politische, in europäische Strukturen übersetzt werden. Solange die europapolitisch Verantwortlichen nur im Erfolgssog nationaler Kräftefelder stehen, kann es und wird es keine wesentlichen Veränderungen der europäisehen Szenerie geben. Heute erweist es sich wohl als schwerwiegender Fehler der Europapolitik, den Aufbau einer europäischen Infrastruktur bisher weitgehend verschludert zu haben. Die Idee der Einigung Europas kann erst dann wieder wirkliche Erfolgserlebnisse bieten, wenn die Europapolitik machtpolitisch nicht mehr fast ausschließlich im Bann nationaler Kraftzentren steht.

Läßt man die politische Szenerie Europas einmal in Ruhe Revue passieren, dann fühlt man sich in ganz merkwürdiger Weise an die Impressionen erinnert, die Gottfried Benn 1947 in seiner . Berliner Novelle'widergegeben hat: „Europa wird vom Gehirn gehalten, vom Denken, aber der Erdteil zittert, das Denken hat seine Sprünge" Das Zittern und die Sprünge könnte man heute durchaus ertragen, wenn wir nur zur Originalität des europäischen Denkens wieder vorstoßen könnten. Dies wäre dann wohl die zeitgemäße Antwort auf die Frage nach der Idee Europas.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Grundlegende Reflexion dazu in: F. König/K. Rahner (Hrsg.), Europa, Horizonte der Hoffnung, Graz 1983; H. Gollwitzer, Europabild und Europagedanke, München 19642; J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Darmstadt 1972, S. 824 ff.

  2. Zum Problemkreis von Nationalbewußtsein und Nationalismus siehe insbesondere Karl W. Deutsch, Nationenbildung — Nationalstaat — Integration, Düsseldorf 1972; H. A. Winkler (Hrsg.), Nationalismus in der Welt von heute, Göttingen 1982; W. Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität der Deutschen, München 19832.

  3. Siehe als aktuellen Problemausschnitt: Keil oder Klammer? Politische Kultur in Westeuropa, EG-Magazin, (1983) 8, Sonderteil.

  4. Weiterführende Problematisierung bei H. Lübbe, Europäische Kultur — Hoffnung oder nur Erinnerung?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. 2. 1978, S. 9f.

  5. Neuere Versuche dazu bei E. Simons, Fragen an Europa, Integrations-Idee und Kategorien der Freiheitsgeschichte, in: Merkur, 36 (1982), S. 471— 479; D. Sternberger, Komponenten der geistigen Gestalt Europas, in: Merkur, 34 (1980), S. 228— 238; Th. Schieder, Einheit in der Vielheit, in: F. König/K. Rahner (Hrsg.), (Anm. 1), S. 87— 108; F. Bondy, Gemeinschaftshemmende Gemeinsamkeiten, in: Schweizer Monatshefte, 59 (1979), S. 893— 899.

  6. Vgl. R. Löwenthal, Romantischer Rückfall, Stuttgart 1970; Chr. Graf v. Krockow, Gewalt für den Frieden?, Die politische Kultur des Konflikts, München 1983.

  7. Knapper Überblick bei W. Weidenfeld, Die Bilanz der Europäischen Integration, Bonn 1984; die konzeptionellen Entwicklungslinien sind dokumentiert in J. Schwarz (Hrsg.), Der Aufbau Europas, Bonn 1980.

  8. Abgedruckt in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 165 vom 18. 2. 1973.

  9. Die Europäische Union, Bericht von Leo Tindemans an den Europäischen Rat, Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 1/76; zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Dokument siehe H. Schneider/W. Wessels (Hrsg.), Auf dem Weg zur Europäischen Union?, Diskussionsbeiträge zum Tindemans-Bericht, Bonn 1977.

  10. Aus EG-Magazin, (1983) 8.

  11. D. Sternberger, (Anm. 5), S. 237

  12. K. Jaspers, Vom europäischen Geist, München 1947, S. 9.

  13. Ebd., S. 27.

  14. Zu den Grundzügen der Geschichte Europas vgl. Th. Schieder, Probleme einer europäischen Geschichte, in: O. Franz (Hrsg.), Am Wendepunkt der europäischen Geschichte, Göttingen 1981, S. 10— 27; ders., Einheit in der Vielheit, (Anm. 5); R. Foerster, Europa, Geschichte einer politischen Idee, München 1967; J. Bowle, Geschichte Europas, München 1983; H. Gollwitzer, (Anm. 1).

  15. Siehe weiterführend J. Ratzinger, Europa — verpflichtendes Erbe für die Christen, in: F. König/K. Rahner, (Anni. 1), S. 61— 74.

  16. Vgl. K. D. Bracher, Die Krise Europas, 1917— 1975, Frankfurt 1976, insbes. S. 392ff.

  17. Vgl. beispielhaft P. Bender, Das Ende des ideologischen Zeitalters, Die Europäisierung Europas, Berlin 1981; ergänzend H. -P. Schwarz, „Europäische Interessen" im Ost-West-Verhältnis, Ein Schein-problem, in: Beiträge zur Konfliktforschung, 12 (1982) 1, S. 5— 26.

  18. Vgl. H. Schneider, Leitbilder der Europapolitik, Bd. 1: Der Weg zur Integration, Bonn 1977; W. Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa, Bonn 1976.

  19. Zur neu entflammten Diskussion über den „Sonderweg" vgl. B. Faulenbach, Deutscher Sonderweg, Zur Geschichte und Problematik einer zentralen Kategorie des deutschen Weges, München 1980.

  20. Diesen Sachverhalt veranschaulichen H. Haftendorn u. a. (Hrsg.), Verwaltete Außenpolitik, Köln 1978; dies. Regionale Verflechtung der Bundesrepublik Deutschland, München-Wien 1973; H. v. d. Groeben/H. Möller (Hrsg.), Die Europäische Union als Prozeß, Baden-Baden 1980; H. -H. Nolte, Die eine Welt, Abriß der Geschichte des internationalen Systems, Hannover 1982.

  21. Vgl. W. Becker, Die Freiheit, die wir meinen, Entscheidung für die liberale Demokratie, München 1982.

  22. Zu den Konsequenzen siehe weiterführend J. Habermas, Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden?, in: Zwei Reden aus Anlaß der Verleihung des Hegel-Preises 1973 der Stadt Stuttgart, Frankfurt/Main 1974, S. 23— 84; H. Lübbe u. a., Der Mensch als Orientierungswaise? München 1982; P. Berger u. a., Das Unbehagen in der Modernität, Frankfurt/Main 1975.

  23. Einen systematischen Anriß dazu bietet M. Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, Opladen 1967,

  24. Zum Identitätsproblem vgl. u. a. O. Marquard/K. Stierle (Hrsg.), Identität, München 1979.

  25. Beispielhaft H. Lübbe, Politischer Historismus, Zur Philosophie des Regionalismus, in: Politische Vierteljahresschrift, 20 (1979), S. 7- 15; A. Boguslawski, Regionalismus und politische Kultur in Europa, in: Zeitschrift für Politik, 30 (1983), 2, S. 131- 141.

  26. Vgl. H. Schulze, Die Versuchung des Absoluten, Zur deutschen politischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 7/84, S. 3- 10; J. L. Talmon, Politischer Messianismus, Köln-Opladen 1963.

  27. B. Crick, Eine Lanze für die Politik, München 1966, S. 198.

  28. Siehe P. Berger/Th. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Frankfurt 19705.

  29. Ausführlich bei W. Weidenfeld, Europa 2000, Zukunftsfragen der europäischen Einigung, München-Wien 1980.

  30. Rede Carlo Schmids anläßlich der konstituierenden Sitzung des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung am 13. 6. 1949 in Wiesbaden, abgedruckt in: Deutschland und der europäische Rat, Schriftenreihe dös Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, Nr. 1, Köln 1949, S. 2— 19, hier S. 14.

  31. Europa als Idee und Wirklichkeit, Freiburger Dies Universitatis, Bd. 3, Freiburg 1955, S. 69.

  32. Abgedruckt in: Th. Jansen/W. Weidenfeld (Hrsg.), Europa, Bilanz und Perspektive, Mainz 1973, S. XVIII.

  33. Vgl. u. a. M. Deutsch, Konfliktregelung, München 1976; L. Coser, Theorie sozialer Konflikte,

  34. Das Europäische Parlament hat am 14. 2. 1984 den Entwurf einer Europäischen Verfassung — dort genannt „Vertrag zur Gründung der Europäischen Union" — verabschiedet; s. Sitzungsprotokoll des Europäischen Parlaments v. 14. 2. 1984 (PE 8842), S. 27— 67; nachgedruckt als Sonderheft der Zeitschrift „Integration"; der kritischen Auseinandersetzung mit der EP-Initiative ist gewidmet: Integration, (1984) 1; J. Schwarze/R. Bieber (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, Baden-Baden 1984.

  35. Anregende Anstöße dazu bei H. -P. Schwarz, Europa föderieren — aber wie? Eine Methodenkritik der europäischen Integration, in: Demokratisches System und politische Praxis der Bundesrepublik, Festschrift für Theodor Eschenburg, hrsg. von G. Lehmbruch u. a., München 1971, S. 377— 443; J. Schwarz, Eine Strategie für die Integration Westeuropas, in: F. -M. Schmölz (Hrsg.), Christlicher Friedensbegriff und europäische Friedensordnung, München-Mainz 1977, S. 84— 98; R. Bieber u. a., Integrationskonzepte auf dem Prüfstand, Baden-Baden 1983; Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.), Polarität und Interdependenz, Baden-Baden 1978, hier bes. S. 13— 42; zur Forschungslage siehe R. Pryce, Zum aktuellen Forschungsstand über die Europäische Integration in Westeuropa, in: Integration, 5 (1982), S. 164— 177.

  36. Vgl. u. a. A. Danzin, Wissenschaft und Wiedergeburt Europas, Frankfurt-New York 1980; A. Heertje (Hrsg.), Investieren in die Zukunft Europas, Oxford 1983.

  37. Zur Gesamtproblematik siehe K. D. Hartwig, Verteidigungspolitik als Moment der westeuropäischen Integration, Frankfurt 1977; K. Carstens/D. Mahncke (Hrsg.), Westeuropäische Verteidigungskooperation, München-Wien 1972; zur aktuellen Fragestellung vgl. K. Kaiser u. a., Die EG vor der Entscheidung, Fortschritt oder Verfall, Bonn 1983; W. Weidenfeld, Perspektiven einer engeren sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten, in: DGFK-Jahrbuch 1982/83: Zur Lage Europas im globalen Spannungsfeld, Baden-Baden 1983, S. 467— 477.

  38. G. Benn, Der Ptolemäer — Berliner Novelle (1947), in: Ders., Gesammelte Werke in acht Bänden, hrsg. von D. Wellershoff, Bd. 5, Wiesbaden 1968, S. 1396.

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Werner Weidenfeld, Dr. phil., geb. 1947; Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der Universität Bonn; 1971 Promotion und 1975 Habilitation im Fach Politikwissenschaft; seit 1975 Professor für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Veröffentlichungen u. a.: Konrad Adenauer und Europa, 1976; Europa 2000, 1980; Die Frage nach der Einheit der deutschen Nation, 1981; (Hrsg.) Die Identität der Deutschen, 1983; Die Bilanz der Europäischen Integration, 1984; Herausgeber (gemeinsam mit Wolfgang Wessels) des jährlich erscheinenden . Jahrbuch der Europäischen Integration; außerdem Herausgeber der Schriftenreihe . Mainzer Beiträge zur Europäischen Einigung'.