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Politische Opposition als Organisationsprozeß gesellschaftlicher Erfahrung Zum Widerstandskonzept der Sopade im Dritten Reich | APuZ 26/1984 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 26/1984 Artikel 1 Der 20. Juli 1944 in den offiziellen Gedenkreden der Bundesrepublik und in der Darstellung der DDR Politische Opposition als Organisationsprozeß gesellschaftlicher Erfahrung Zum Widerstandskonzept der Sopade im Dritten Reich Widerstand gegen Hitler und europäische Föderation

Politische Opposition als Organisationsprozeß gesellschaftlicher Erfahrung Zum Widerstandskonzept der Sopade im Dritten Reich

Michael Voges

/ 28 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund eines gewandelten Verständnisses von Widerstand, das nicht länger allein auf die konspirative Tätigkeit kleiner illegaler Gruppen zielt, sondern auch und vor allem die sozial und politisch sehr unterschiedlich motivierten Formen individuellen und kollektiven Widerstandes im Rahmen einer Gesellschaftsgeschichte politischen Verhaltens einbezieht, verdient das Widerstandskonzept der Sopade eine größere Beachtung, als sie ihm bisher in der Forschung zuteil geworden ist. Politische Opposition gegen das nationalsozialistische Regime bestand für Erich Rinner, dem Organisator der „politischen Berichterstattung" der Sopade, zunächst einmal aus einem Organisationsprozeß gesellschaftlicher Erfahrung. Die lebensweltlich verankerte, zugleich aber methodisch kontrollierte Auseinandersetzung der Berichterstatter mit den Verhältnissen im Dritten Reich setzte einen kollektiven Prozeß der Erfahrungsproduktion in Gang, dessen politische Organisation potentiell die Grundfesten des Regimes hätte zerstören können. Die politisch relevante Kommunikation gesellschaftlicher Erfahrung bedrohte das herrschaftskonstitutive Informationsmonopol des nationalsozialistischen Systems. Zugleich waren die Träger der Betriebsberichterstattung, die illegalen Vertrauensleute, das initiierende Zentrum eines kollektiven Lernprozesses, der ausgehend von den Erfahrungen der Arbeitsund Lebenswelt den politisch-sozialen Herrschaftszusammenhang des NS-Regimes zu erfassen suchte. Effektiver Widerstand in totalitären Staaten ist mit einem Rückgriff auf das traditionelle Repertoire von Widerstandsformen (Attentat, Putsch, Sabotage, Infiltration etc.) allein nicht zu bestreiten. Wirksame Opposition in komplexen sozialen und politischen Systemen mit einem hohen Grad von kommunikativer Vernetzung muß auf die Durchbrechung des Informations-und Kommunikationsmonopols und auf die heimliche politische Organisation gesellschaftlicher Erfahrung setzen. Wenn auch die Sopade-Führung in Prag bzw. Paris bei der Verwirklichung dieses Konzepts auf halbem Wege stecken blieb — Schwächen bei der Entwicklung politisch eingreifender Strategien, die auf den Erfahrungen der Berichterstattung aufbauten, sind nicht zu übersehen —, so bedarf doch das überwiegend negative Urteil über den Beitrag der sozialdemokratischen Exil-Führung zum Widerstand gegen das Dritte Reich einer gründlichen Revision.

Das historische Urteil über die Rolle der sozialdemokratischen Führung bei der schleichenden „Machtergreifung" der Jahre 1930/33 sowie über die Funktion der Bürogemeinschaft der Sopade (Selbstbezeichnung des Exilvorstands der SPD) im sozialistischen Exil und Widerstand ist, so scheint es, gesprochen. Die zögernd-unentschlossene Haltung des Parteivorstandes, der nur halbherzig bereit war, die Bastione der von Anfang an gefährdeten Republik zu verteidigen, verfällt einhellig scharfer Kritik, bei Zeitgenossen kaum weniger als in der Forschung Die attentistischlegalistischen Verhaltensmuster einer überalterten unflexiblen Parteiführung, die, einer fatalen „Theorie der Untätigkeit" (Matthias) folgend, sich primär auf den Erhalt der Organisation richteten, waren allerdings langfristig angelegt. Das System des „Organisierten Kapitalismus" (Hilferding) hat in der Geschichte der Arbeiterbewegung tiefe Spuren hinterlassen Das rasche Tempo der Hochindustriali-

I.

sierung verkürzte den notwendigen politisch-ökonomischen Lernprozeß des Proletariats und verhinderte eine ausreichende Einübung in kollektive Handlungsstrukturen. Die Gewerkschaften und Parteien der Arbeiterklasse wurden weitgehend von oben aufgebaut. Die Emanzipation der Klasse war immer schon tendenziell identisch mit ihrer Integration in die bestehende Gesellschaft, einer Integration freilich, die zumindest bis zum Ersten Weltkrieg als „negative" zu bezeichnen ist. Sozialdemokratische und gewerkschaftliche Institutionen waren ein konstitutiver Bestandteil des wilhelminischen Systems, ohne daß eine tatsächliche politisch-soziale Gleichberechtigung der Arbeiter erreicht wurde. Die verweigerte Anerkennung wurde kompensiert durch einen ausgeprägten Organisationsfetischismus. Einer perfektionierten und hoch-zentralisierten Partei-und Gewerkschaftsbürokratie wurde die Selbsterhaltung zum obersten Ziel; sie ließ Basisaktivitäten in einer zunehmend verkrusteten Organisationshierarchie verkümmern. Was sich als kritisch wirksames Gegenbild zur bürokratisch-feudalen wilhelminischen Gesellschaft verstand, geriet alsbald in Gefahr, zu ihrem Spiegelbild zu werden.

Die „Massenstreikdebatte" (1905) dokumentiert auf exemplarische Weise den „revolutionären Attentismus" (Groh) der sozialdemokratischen Führung. Ein fataler Dualismus von verbal-revolutionärer Radikalität und tatsächlich praktizierter reformistischer Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft lähmte Führung und Basis der Partei, als es darauf ankam, die politische Weichenstellung entscheidend Kriegsausbruch zu Der 1914 und die Revolution 1918/19 trafen die Sozialdemokratie unvorbereitet: Theoretisch lange Zeit auf das Ende des Systems eingestellt, praktisch seinen Erhalt betreibend, waren die deutschen Sozialdemokraten weitgehend überfordert, die Subjektrolle im histori13 sehen Prozeß zu übernehmen. Noch die Weimarer SPD erscheint durch entschieden anachronistische Verhaltensmuster geprägt; unentschlossen, ob sie auf bewußte Integration oder auf eine kämpferische Alternative zum Weimarer System setzen sollte, wurde sie ein frühes Opfer der faschistischen Reaktion, die rechtzeitig und mit effizienten Mitteln zu bekämpfen die organisierte Arbeiterbewegung versäumt hatte

Die ebenso unzeitigen wie heillosen Querelen in Parteiführung und Reichstagsfraktion zwischen der „Machtergreifung" und dem Verbot der Partei am 22. Juni 1933 vermögen diesen Befund eher zu bestätigen. Der Streit zwischen Berlin und Prag, der mit der Formel von Anpassung und Widerstand nur sehr unzureichend erfaßt wird, manifestierte nicht allein die Gefahr einer Spaltung der Organisation; er wirkte verheerend für die Motivation des mittleren Funktionärskorps und erst recht der Parteibasis, die vergebens auf ein Signal wartete, und wäre es auch nur das Signal zum geordneten Rückzug in die Illegalität gewesen. Nichts vermag eindrucksvoller die organisationspolitische Fixierung der Sopade zu belegen als das erste Rundschreiben des Parteivorstandes an die Vertrauensleute und Sekretäre vom 12. Juli 1933, in dem ausführlich die Fragen einer Mitgliedskarte und der Einführung eines regelmäßigen Partei-beitrages für die im Exil lebenden Genossen erörtert wurden

Ein Blick auf die großen Auseinandersetzungen im sozialistischen Exil bietet ein ähnliches Bild. Die „Fehlerdebatte", die noch im August 1933 mit dem Erscheinen von „Neu Beginnen" eröffnet wurde, endete bereits im Januar 1934 höchst unbefriedigend mit dem „Prager Manifest", einem Dokument in der problematischen Tradition des „revolutionären Attentismus" Hinter der sozialrevolutionären Wortgebärde tritt die Absicht der Sopade-Bürogemeinschaft nur zu deutlich hervor, ihre Leitungsfunktion im sozialdemokratischen Exil zu festigen. Als „Mandatsempfänger" der alten Organisation, als „Treuhänder" der im Entstehen begriffenen" revolutionären Organisation" im Inland suchte sie die auseinanderdriftenden Gruppen ihrer Kritiker programmatisch zu binden. Der realpolitische Gehalt dieses Programms ist seiner taktisch-organisatorischen Bestimmung deutlich untergeordnet. Als das Kalkül nicht aufging, geriet das „Prager Manifest" binnen kürzester Zeit in Vergessenheit. Beim Zwist um die Böchel/Aufhäuser-Gruppe und die Revolutionären Sozialisten Deutschlands (1934/37), in der Diskussion um Einheitsfront und Volksfront (1935/37), bei der „Konzentrationsdebatte" in Prag und Paris (1938), die mit dem Ausschluß von Paul Hertz aus dem Parteivorstand endete: überall zeigt sich, daß die Parteiführung Sammlungsbewegungen und programmatische Auseinandersetzungen im Exil mit starrem Blick auf den zunehmend zum Selbstzweck werdenden Erhalt der Organisation begrenzte, ja lähmte. Die Intransigenz der Sopade, das bleibt festzuhalten, hat eine wirksame politische Regeneration der sozialistischen Bewegung eher behindert als gefördert. Ob der organisationspolitische Preis für eine freie Diskussion und eine neue Legitimation der Parteiführung zu hoch gewesen wäre, läßt sich im nachhinein nur schwer erkennen. Die Beweislast für das Versagen der Sopade jedenfalls, so scheint es bislang, ist erdrükkend.

II.

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens wäre allenfalls zu rechtfertigen, wenn sich herausstellen sollte, daß wichtige Teile des Beweismaterials nicht oder nur unzureichend und oberflächlich zur Kenntnis genommen worden sind. Genau dies aber ist der Fall, be-trachtet man den Beitrag der Sopade zum Widerstand im Dritten Reich. Lange Zeit hat die ideen-und organisationsgeschichtlich ausgerichtete Forschung die Besonderheit der sozialdemokratischen Widerstandstätigkeit verkannt und ihre Bedeutung relativ gering geschätzt. Erst allmählich und kaum zufällig parallel mit der schrittweisen Erweiterung eines Widerstandskonzepts, das zunächst allein auf die konspirative Tätigkeit illegaler Gruppen zugeschnitten war, findet der sozialdemokratische Widerstand die Beachtung, die er verdient Schon im Mai 1933, noch vor dem Verbot der Partei also, hatte die Sopade von Prag aus ihre publizistische Tätigkeit aufgenommen. Am 18. Juni erschien die erste Nummer des „Neuen Vorwärts", der nach dem Vorbild des „Sozialdemokrat" unter dem Sozialistengesetz (1879— 1890) vom Ausland her die , Aufrechterhaltung der parteibezogenen Öffentlichkeit gewährleisten sollte. Ab Herbst 1933 folgte die „Sozialistische Aktion", die, in Kleinformat, besonders für die Verbreitung im Inland bestimmt war. In der „Zeitschrift für Sozialismus" besaß die Sopade ein Organ für die theoretische Auseinandersetzung im Exil. Hinzu kam eine Vielzahl von Flugblättern und getarnten Broschüren, die zusammen bis 1938 eine Millionenauflage erreichten. Der Erfolg dieser publizistischen Aktivitäten im Reich selbst darf wohl nicht zu hoch veranschlagt werden. Sie dienten weniger agitatorischen Zwecken als der Stabilisierung eines lockeren Zusammenhalts unter den früheren Mitgliedern der organisierten Arbeiterbewegung. Sie demonstrierten die Präsenz einer ansonsten totgeschwiegenen bzw. zum Verstummen gebrachten politischen Opposition.

Das nationalsozialistische Regime monopolisierte in kurzer Zeit die überlieferten Träger der bürgerlichen Öffentlichkeit (Presse, Rundfunk), an der auch der Apparat der organisierten Arbeiterbewegung (Parteien, Gewerkschaften, Verbände) partizipiert hatte Die Sopade setzte nach wie vor auf die ungebrochene Wirksamkeit dieses Modells bürgerlicher Öffentlichkeit, obwohl dessen mangelnde politische Effizienz schon in den Krisenjahren der Weimarer Republik unter Beweis gestellt worden war. Läßt sich der Gebrauchswert von Öffentlichkeit daran messen, inwieweit es ihr gelingt, die gesellschaftliche Erfahrung ihrer Träger angemessen zu organisieren, so wäre wohl schon für die Weimarer Jahre festzustellen, daß die Parteipresse sich weit von den wirklichen Bedürfnissen und Interessen ihres tatsächlichen und ihres potentiellen Publikums entfernt hatte. Unter den Bedingungen des totalen Staates aber mußte das Erfahrungsinteresse der früheren Mitglieder der organisierten Arbeiterbewegung nahezu gänzlich unbefriedigt bleiben. Für den einzelnen vollzog sich der Aufbau von Erfahrung extrem partikular; gewonnene Erfahrungen lagen brach, blieben fragmentarisch und isoliert, unverbunden, eben: unorganisiert. Die Organisation von Erfahrung konnte unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Informationsdiktatur letztlich nur im Exil erfolgen, einem Ort, der denkbar entfernt war vom Erfahrungshorizont der in Deutschland Lebenden und wie geschaffen, eine Lagermentalität mit den ihr eigenen ideologischen Wahrnehmungsverzerrungen auszubilden.

So wie die gesellschaftliche Erfahrung der in der Illegalität Arbeitenden großenteils unorganisiert blieb, so befand sich die politische Organisation in steter Gefahr, sich zu verselbständigen. Organisationsinteresse und Erfahrungsinteresse blieben weitgehend unverbunden. Von hier aus erscheint es verständlich, daß die Parolen und Einschätzungen der Sopade im Inland nicht selten auf Ablehnung stießen, die vermeintliche Aufklärung als fremd und den eigenen Problemen gegenüber nicht angemessen empfunden wurde Die politisch relevante Organisation von gesellschaftlicher Erfahrung aber ist die Bedingung der Möglichkeit eines effizienten kollektiven Widerstandes im totalen Staat. >>III.

In diesem Zusammenhang ist nun auf die „politische Berichterstattung" der Sopade einzugehen, der wohl originellsten und zugleich effektivsten Form sozialdemokratischen Widerstands im Dritten Reich. Bereits im Sommer und Herbst 1933 hatte die Sopade, teilweise erheblich unterstützt durch die früheren Bezirksleitungen der Partei, mit dem Aufbau so-genannter Grenzsekretariate begonnen Die Grenzsekretäre bezogen feste Standorte meist in der Nähe der deutschen Reichsgrenze, von denen aus sie bestimmte Gebiete der früheren Parteigliederung betreuten. Die wichtigsten Grenzsekretariate waren: Kopenhagen (Richard Hansen), Bodenbach (Otto Thiele), Reichenberg (Emil Stahl), Trautenau (Franz Bögler), Karlsbad (Willi Lange/Kurt Weck), Mies (Hans Dill), Neuern (Waldemar von Knoeringen), St. Gallen (Erwin Schoettle), Straßburg/Luxemburg (Georg Reinbold), Brüssel (Gustav Feri), Arnheim/Antwerpen (Ernst Schumacher). Die von der Sopade besoldeten Sekretäre verfügten in der Regel über eigene Erfahrungen in der von ihnen betreuten Region. Bis 1938, als die Sopade gezwungen war, ihren Sitz von Prag nach Paris zu verlegen, waren die Grenzsekretariate die wichtigste organisatorische Schaltstelle für die Kommunikation der Zentrale mit den Illegalen in Deutschland. Erst der nach Westen und Norden ausgreifende Krieg hat das Verbindungssystem der Sekretariate endgültig zerstört. Im Rahmen der sozialdemokratischen Widerstandstätigkeit hatten die Grenzsekretariate im wesentlichen vier Aufgaben: 1. Sie organisierten die Verteilung illegalen Materials im Reich, soweit dies außerhalb der Grenzen und durch gelenkte Kuriersysteme möglich war. 2. Sie bemühten sich um die Koordination lokaler und regionaler Widerstandszirkel in ihren Bezirken und versuchten auf diese Weise, zwischen der dezentral wirkenden Opposition im Reich und der Sopade in Prag bzw. Paris zu vermitteln. 3. De facto fungierten die Grenzsekretäre, von der Bürogemeinschaft mehr oder minder argwöhnisch geduldet, als die wichtigsten Repräsentanten der sozialdemokratischen Parteigliederungen im Exil. Wenn auch durch Ernennung und Besoldung existentiell abhängig von der Zentrale, erwarben sie doch durch ihre illegale Arbeit eine zuweilen beträchtliche Autorität, die in weitgehender Selbständigkeit und nicht selten auch in scharfer Kritik an der Sopade-Führung ihren Ausdruck finden konnte Die Sopade hat die Grenzsekretäre zu keinem Zeitpunkt formell als (wie auch immer vermittelt) repräsentative Vertreter der Partei in der Illegalität anerkannt. Damit wurde sicherlich die Chance vertan, das chronische Legitimationsdefizit für das erworbene Mandat abzubauen. Doch auch ohne formelle Anerkennung wurden die Grenzsekretariate zu einer der wichtigsten Einrichtungen des sozialdemokratischen Exils. Obwohl sich ihre Tätigkeit in der Regel getarnt vollzog, gewannen sie für die deutschen Emigranten in den jeweiligen Gastländern einen quasi-konsularischen Status. Ihre Bedeutung für die Herstellung z. T. lebenswichtiger Kontakte, für die soziale und politische Betreuung der aus Deutschland vertriebenen früheren Mitglieder der organisierten Arbeiterbewegung war beträchtlich. 4. Eine überaus wichtige Rolle spielten die Grenzsekretäre schließlich für die Informationsbeschaffung im Rahmen der „politischen Berichterstattung" der Sopade.

Die Organisation der politischen Berichterstattung und die redaktionelle Überarbeitung ihrer Ergebnisse in den „Deutschland-Berichten" der Sopade war vor allem das Werk Erich Rinners Der promovierte Volkswirt Rinner war, wie er selbst rückblickend feststellte, „in die Politik mehr durch eine Hintertür hinein-gekommen" Von 1928 bis 1930 Privatsekretär Rudolf Hilferdings im Reichsfinanzministerium, war er am 31. Juli 1932 in den Reichstag gewählt worden. Für kurze Zeit, seit dem 26. April 1933, war er Mitglied des Parteivorstands der SPD, vom 19. Juni zugleich Angehöriger des „Direktoriums" in Berlin. Im Oktober 1933 wurde er Mitglied der Sopade in Prag. Rinner bezeichnete sich selbst als „Außenseiter" in der Bürogemeinschaft. Anders als seine Kollegen hatte er weder eine Funktionärskarriere noch eine journalistische Tätigkeit hinter sich. Für Rinner selbst war eine Art „wissenschaftlich-historisches" Selbstverständnis ausschlaggebend für seine politische Tätigkeit, eine Einschätzung, die in der politischen Berichterstattung ebenso wie bei der Redaktion der „grünen Berichte" vollauf Bestätigung findet.

Der Aufbau einer systematischen politischen Berichterstattung, zunächst für eigene Zwecke der Sopade, ging auf einen Vorschlag Otto Wels'zurück. Der sozialdemokratische Nachrichtendienst basierte auf den monatlichen Berichten der Grenzsekretäre, in denen diese auf den jeweiligen Bezirk bezogenes Material zusammenstellten, das von einer Vielzahl einzelner Informanten zusammengetragen wurde. Berichterstatter der Sopade fanden Zugang zu den wichtigsten Bereichen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in seiner lokalen und regionalen Konkretisierung. Die Identität der einzelnen Berichterstatter ist nur in wenigen Fällen bekannt. Es muß jedoch als sicher gelten, daß die meisten Informanten frühere Angehörige der organisierten Arbeiterbewegung waren. In den Monatsberichten der Grenzsekretäre kamen so Beobachtungen und Einschätzungen verschiedenster Provenienz zusammen. Direkte Berichte aus Betrieben, Büros, Kasernen und Schulen, Stimmungsbilder, Gesprächsaufzeichnungen, Meldungen und Kommentare der Bezirksberichterstatter standen neben Zeitungsausschnitten, Lohn-statistiken, Flugblättern und Anschlägen, Briefausschnitten und Anmerkungen des Grenzsekretärs.

„Es kommt darauf an, die verschiedenen Stützpunkte zur systematischen Beobachtung aller politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorgänge anzuhalten und sie immer wieder erneut auf die Bedeutung der regelmäßigen Nachrichtenbeschaffung hinzuweisen." Systematische Beobachtung möglichst vieler Ausschnitte der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Dritten Reichs, Beobachtungen von Insidern, die regelmäßig und auf längere Zeit die gleichen Objekte untersuchen: dies sind die wichtigsten Charakteristika des Rinnerschen Konzepts. Eine derart „organisierte" Berichterstattung wurde in erster Linie durch die Konzeption und Weiterentwicklung von Beobachtungs-Schemata ermöglicht, die die Nachrichtengewinnung strukturierten. Alle Berichterstatter waren aufgefordert, ihre Beobachtungs-und Sammlertätigkeit auf diese Schemata zu beziehen. Das „GrundSchema für die Nachrichtenbeschaffung", das im Rundschreiben des Parteivorstands vom 18. April 1934 mitgeteilt wurde, enthielt die folgenden Bereiche: Allgemeine Situation in Deutschland, Wirtschaft, Sozialpolitik und Landwirtschaft (hier Arbeitsmarkt und Arbeitsbeschaffung, Betriebsberichterstattung), Korruption, Wehrmacht und Polizei, Verwaltung, gegnerische Organisationen, die Bewegung in den illegalen Organisationen, Vorgänge bei den Kirchen, Rüstungen, Verhaftungen und Verurteilungen Das Schema der Betriebsberichterstattung war noch einmal untergliedert. Es bestand aus 18 Fragen, die die wirtschaftliche Lage des Betriebs, die Produktion, Investitionsvorhaben, Export-und Rohstoffprobleme, den Beschäftigungsstand, die Zusammensetzung der Belegschaft, Stärke und Rolle der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisationen), die Löhne und Gehälter, die Vertrauensratswahlen, die Stimmung der Arbeiter und Angestellten, die Arbeit illegaler Gruppen im Betrieb und nicht zuletzt gewerkschaftliche Aktivitäten betrafen.

Das Schema erhob keinen Anspruch auf Vollständigkeit; es sollte Unterstützung leisten bei der Beobachtung, Anhaltspunkte für die Auswahl des Berichtenswerten geben. Die Rundschreiben des Parteivorstands an die Grenzsekretäre reagierten in vorsichtiger Weise auf mögliche neue Entwicklungstendenzen, sie erweiterten oder modifizierten das Schema je nach den aktuellen Erfordernissen. Zugleich strebten sie eine Verbesserung der laufenden Berichterstattung an Aus einer redaktionellen Überarbeitung der monatlichen Berichte aus den Grenzsekretariaten gingen die „grünen Berichte" hervor, die „Deutschland-Berichte" der Sopade, die zwischen 1934 und 1940 von Erich Rinner, unter gelegentlicher Mithilfe von Fritz Heine, herausgegeben und vertrieben wurden. Auf die Berichte selbst ist hier im einzelnen nicht einzugehen; ihre eminente Bedeutung als Quelle einer Gesellschaftsgeschichte des Dritten Reiches ist in den letzten Jahren, insbesondere seit Erscheinen der Frankfurter Neuausgabe 1980, zunehmend erkannt worden. Worauf es ankommt, ist vielmehr der Zusammenhang zwischen der politischen Be-, richterstattung und dem Widerstandskonzept der Sopade. Kollektiver Widerstand im tota-len Staat, so wurde oben formuliert, hat die politische Organisation gesellschaftlicher Erfahrung zur bedingenden Voraussetzung. Die Aufrechterhaltung und Herstellung von Kommunikationsstrukturen gehört — unter den Bedingungen totalitärer Systeme — zu den konstitutiven Formen politisch relevanten sozialen Widerstands. In diesem Zusammenhang gewinnen die in den „Deutschland-Berichten" überlieferten Erfahrungen der „teilnehmenden Beobachter" eine neue Relevanz. In ihnen manifestiert sich eben jene gesellschaftliche Erfahrung, deren politisch intendierte Organisation zu den effektivsten Formen kollektiven Widerstands zu zählen wäre. Im September 1939, wenige Tage nach Kriegsbeginn, findet sich in einem von Erich Rinner gefertigten Expos über die „Deutschland-Berichte" die Feststellung: „Die politische Berichterstattung aus Deutschland, die der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands seit 1934 organisiert... hat, war von Anfang an ein Mittel unseres politischen Kampfes gegen Hitler." Der hier angedeutete Zusammenhang zwischen politischer Berichterstattung und Widerstand gegen das Regime ist von Rinner in mehreren Beiträgen zum Teil B der „Deutschland-Berichte" (zusammenhängende Auswertungen der Berichte zu Außen-, Wirtschafts-und Innenpolitik des Dritten Reichs) systematisch entfaltet worden. Hier zeichnen sich die Umrisse eines Widerstandskonzepts der Sopade ab, dessen Bedeutung und Tragweite bislang kaum ausreichend zur Kenntnis genommen worden sind.

IV.

Kaum zufällig kam Rinner in seinem Aufsatz über „Die illegale Arbeit" vom November 1935 auf die revolutionären Wirren von 1918/19 zu sprechen Das deutsche Volk sei damals nicht fähig gewesen, die „furchtbare Erbschaft" des kaiserlichen „Gewaltregiments" bewußt und produktiv anzutreten. Die Überwindung eines Regimes setze nicht allein dessen gewaltsamen Sturz voraus, sie habe vielmehr „eine tiefe innere Wesensänderung unseres Volkes", die „Überwindung jenes Untertanen-Ungeistes, der das Produkt unglücklicher Anlagen und einer unheilvollen Geschichte ist", zur Voraussetzung (B 4). Zwar muß als Ausgangspunkt jeder illegalen Arbeit und als die umfassende Antwort auf die Frage nach ihrem Sinn zugleich gelten: „Das System bricht nicht von allein zusammen, es muß gestürzt werden" (B 3). Doch reichen Agitation und Organisation für die Vorbereitung des Umsturzes bei weitem nicht aus. Notwendig ist ein umfassender „geistig-moralischer Reifeprozeß", der unter den Bedingungen der Illegalität nach Kräften gefördert werden muß. Dabei läßt Rinner keinen Zweifel daran, daß dieser langfristig angelegte kollektive Lernprozeß keineswegs mit den traditionellen Mitteln der heimlichen Agitation, Flugblättern, Parolen und Broschüren zu bestreiten ist. „In der illegalen Arbeit ist kein Platz für oberflächliehe Illusionisten und bauernschlaue Parolen-schuster" (B 7). Die fundierte Auseinandersetzung mit den Tatsachen des nationalsozialistischen Regimes ist die erste Voraussetzung für jeden Versuch ihrer umfassenden Veränderung. Die „Entzauberung der Massen", so heißt es, stand am Beginn noch jeder Revolution. Die ausführliche Untersuchung verschiedener Techniken der illegalen Arbeit läßt erneut deutlich werden, daß Rinners Widerstandskonzept nicht auf konventionelle konspirativ-agitatorische Taktiken setzte, sondern auf einen längerfristig vorgestellten Lernprozeß sozialer Gruppen, der als Grundbedingung für eine gründliche gesellschaftlich-politische Umwälzung begriffen wird. Die Perspektive des disziplinierten Organisators der politischen Berichterstattung, auf deren Ergebnisse sich die Überlegungen dieses Konzepts stützen konnten, war auf eine längere Dauer des Regimes eingestellt. Durch kurzfristige Illusionen, die die illegale Arbeit in und außerhalb Deutschlands immer wieder erheblich beeinträchtigten, waren Rinners Einschätzungen nicht getrübt.

Straff organisierte Kader, gegeneinander abgedichtet und nach außen hermetisch abgeschlossen, hielt Rinner nur bei einem internen Organisationsziel, also bei einem bewußten Verzicht auf Außenwirkung, für sinnvoll. Die Erfolge der Gestapo, die häufig illegale Kader durch eingeschleuste Spitzel aufrollen konnte, ließen das Sicherheitsrisiko bei dieser Technik der Illegalität als unverhältnismäßig hoch erscheinen. Skeptisch blieb Rinner auch gegenüber der besonders von den Kommunisten angewandten Technik des . trojanischen Pferdes Die bewußte Unterwanderung der faschistischen Massenorganisationen (DAF, NS-Volkswohlfahrt etc.) und die gezielte Infil--tration der betrieblichen Institutionen der nationalsozialistischen Sozialpolitik (Vertrauensrat, Werkscharen etc.) verfolgte einen doppelten Zweck. Einerseits sollte hier der Spielraum für die Wahrnehmung tatsächlicher ökonomisch-sozialer Interessen der Arbeiter ausgelotet werden; andererseits drohte den betreffenden Institutionen eine progressive Zersetzung. Rinner zieht in Zweifel, ob Zersetzung eine sinnvolle organisatorisch-technische Aufgabe der illegalen Arbeit sein kann. Das Dritte Reich unterschied sich allzusehr vom zaristischen Rußland, in dem diese Technik des Widerstands ihren historisch angemessenen Ort hatte. Die Infiltration staatlicher oder parteilicher Stellen träfe heute auf gänzlich veränderte Bedingungen. „Was aber damals offene Propaganda sein konnte, das müßte heute ein Spiel mit der Maske vor dem Gesicht sein" (B 13). Das Ausmaß an organisatorischer Gleichschaltung und der Organisationsstand des Bewußtseins haben im totalen Staat einen Grad erreicht, bei dem Zersetzungsarbeit beinahe nurmehr um den Preis einer „Spaltung der Persönlichkeit" geleistet werden kann.

Auch der zweite Effekt der Unterwanderung, die quasi-gewerkschaftliche Instrumentalisierung faschistischer Organisationen, birgt nach Rinner schwerwiegende Probleme, die eine Anwendung dieser Taktik letztlich als nicht geraten erscheinen lassen. Zwar stellt auch er, gestützt auf Erfahrungen der Betriebsberichterstattung der Sopade, fest: „Wenn es gelänge, innerhalb der faschistischen Organisationen wirklich etwas für die Arbeiter zu leisten, wenn es nur auf die richtige Technik ankäme, um in diesen Organisationen einen noch so bescheidenen Spielraum für organisatorische Betätigung zu finden, dann müßte von einer solchen Möglichkeit unter allen Umständen Gebrauch gemacht werden“ (B 14). Doch läßt der für faschistisehe Organisationen charakteristische Zwang zur völligen Gleichschaltung nur eine — letztlich fatale — Alternative zu: Entweder der Illegale gibt seine eigentlichen Interessen partiell zu erkennen und hebt damit — unter lebensgefährlichen Risiken — die legale Tarnung auf, oder aber die von ihm erkämpften Erfolge werden der NS-Organisation selbst zugeschrieben.

Die wichtigste Aufgabe der illegalen Arbeit sieht Rinner, daran läßt der Artikel keinen Zweifel, in der Aufrechterhaltung resp.der Wiederherstellung der Solidarität der Arbeiterschaft. Das Organisationsmonopol der Nationalsozialisten ist mit gutem Grund auf die Zerstörung der proletarischen Lebens-und Arbeitswelt als Solidaritätsgemeinschaft gerichtet. Für das Widerstandskonzept der Sopade bedeutet dies: „Gelingt es nicht, den Arbeitern die Bedeutung solidarischen Handelns wieder zum Bewußtsein zu bringen, dann sind auch alle anderen Formen illegaler Arbeit zur Erfolgslosigkeit verurteilt" (B 17).

Der Betrieb ist der Ort, an dem solidarisches Handeln sich selbst unter den Bedingungen totalitärer Herrschaft noch ansatzweise zu entfalten vermag. Folgerichtig ist der Betrieb das Zentrum der Widerstandstätigkeit der So-, pade. Anzuknüpfen ist dabei an die Beobachtungen und Erfahrungen, die die Berichterstatter in den Betrieben gesammelt haben. Die „primitiven" Ansätze eines Klassenkampfes in der „Betriebsgemeinschaft" bilden den Ausgangspunkt für die Aktivität sogenannter „illegaler Betriebsvertrauensleute", die untereinander, wenn überhaupt, dann nur in einem sehr losen Zusammenhang stehen. Aufschlußreich ist die Festlegung der Aufgaben, wie Rinner sie für diese Betriebsvertrauensleute vornimmt. In erster Linie sind sie „Beobachter und demgemäß auch Berichterstatter"! Sie haben die Vorgänge im Betrieb, Lohnentwicklungen, Akkordgestaltung, Arbeitstempo usw. genau zu verfolgen. Regelmäßige Berichterstattung läßt diese Arbeiter gewissermaßen eine politisch lehrreiche . Schule der Tatsachen'durchlaufen. „Die Betriebsberichterstattung ... schafft zugleich die Voraussetzungen für einen Austausch der Erfahrungen und Nachrichten und für gegenseitige Befruchtung" (B 20). Die Organisation der in den einzelnen Berichten aufgehobenen Erfahrung soll der illegalen Tätigkeit wieder zugute-kommen. Betrieblicher Widerstand erwächst so aus der politischen intendierten Organisation gesellschaftlicher Erfahrung. Daneben wird den illegalen Betriebsvertrauensleuten eine umfassende und präzise Kenntnis der nationalsozialistischen Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen im wirtschaftlich-sozialen Bereich abverlangt. Sie ist die Voraussetzung fundierter Kritik und wirksamer Aufklärung. Weiterhin hat der Vertrauensmann die Aufgabe, „den Arbeitskollegen zu zeigen, daß die Betriebsgemeinschaft ein Phantom ist und daß ihre Stärke im Zusammenhalten, im gemeinsamen Vorgehen, in der Solidarität liegt“ (B 21). Schließlich ist die gesellschaftlich-politische Perspektive der Arbeiter im Betrieb zu erweitern. Es kommt darauf an, die Verbindung der eigenen lebensweltlich begrenzten Erfahrungen mit den allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Vorgängen zu bewerkstelligen. Exemplarisches Lernen fördert die Entwicklung eines politisch gegründeten Klassenbewußtseins, das aus den solidarischen Aktione Schließlich ist die gesellschaftlich-politische Perspektive der Arbeiter im Betrieb zu erweitern. Es kommt darauf an, die Verbindung der eigenen lebensweltlich begrenzten Erfahrungen mit den allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Vorgängen zu bewerkstelligen. Exemplarisches Lernen fördert die Entwicklung eines politisch gegründeten Klassenbewußtseins, das aus den solidarischen Aktionen im Betrieb sich speist, letztlich aber, wenn es massenhaft und organisiert auftritt, die Existenz des Regimes bedroht.

Diese Anforderungen an die Vertrauensleute im Betrieb müssen als bewußte Provokation verstanden werden; ihre Bewältigung ist von vornherein auf einen umfangreichen Lernprozeß abgestellt, auf „systematische Arbeit auf lange Sicht". Die organisierte Berichterstattung, die methodisch geregelte Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen im Betrieb qualifiziert die illegalen Mit-Arbeiter der Sopade in den Betrieben allmählich zu einem politisch eingreifenden sozialen Verhalten; die in gemeinsamen Aktionen entfaltete Solidarität der Arbeiter steht am Beginn ihres Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime.

V.

Nicht ohne Stolz kann Erich Rinner im Mai 1937 in einem eher resümierenden Beitrag „Über Aufgaben und Grundsätze der politischen Berichterstattung" feststellen: „Damit wurde — soweit wir wissen — zum ersten Mal in der Geschichte der illegalen politischen Parteien der Versuch unternommen, ein politisches Nachrichtenwesen aufzubauen, und auch heute noch sind wir die einzige politische Bewegung, die über ein solches Nachrichtenwesen auf breiter Basis verfügt." 20) Wenn die Monopolisierung der politischen Information und Kommunikation zu den wichtigsten Herrschaftstechniken totalitärer Diktaturen zählt, dann heißt dies auch, daß die illegal erreichte Durchbrechung dieses Monopols zu den wichtigsten Formen des politischen Widerstandes gegen das Regime zu rechnen ist. Die organisierte Berichterstattung der Sopade war „ein Teil des Kampfes der sozialdemokratischen Bewegung gegen die Diktatur" (B 2). Dabei verfolgte sie im wesentlichen vier Aufgaben: „Eine ihrer Aufgaben ist die Sammlung von Tatsachen und Erfahrungen als Grundlage für die Politik der Parteileitung im Ausland. Eine zweite Aufgabe ist die laufende Unterrichtung der Glieder der illegalen Sozialdemokratie in Deutschland. Eine dritte Aufgabe besteht in der Organisierung eines laufenden Erfahrungs-

und Meinungsaustausches zwischen den Teilen der Bewegung drinnen und draußen und eine vierte in der Verbreitung der Wahrheit über Deutschland in der Welt"

(B 2f).

•Sowohl die Illegalität als auch die Situation des Exils brachten eine radikale Einschränkung des politisch-gesellschaftlichen Erfahrungshorizontes mit sich. Die Berichterstattung suchte über die organisierte Kommunikation von Erfahrungen die bei einer längeren Dauer des Regimes progressiv zunehmende Entfremdung zwischen den illegal tätigen und den exilierten Teilen der sozialdemografischen Bewegung möglichst gering zu halten. Sie versuchte die Kontinuität der Bewegung zu gewährleisten, nicht allein im Raum, sondern auch und vor allem in der Zeit.

Die politische Berichterstattung der Sopade sah sich verschiedentlich scharfer Kritik und Angriffen, nicht zuletzt aus dem Kreis der Grenzsekretäre, ausgesetzt 21) -Rinner verteidigte hier wie auch sonst zäh und entschie-den sein Konzept einer objektiven, illusionsfreien Beobachtung der sozialen und politischen Vorgänge durch eine möglichst große Anzahl nicht-professioneller Berichterstatter, die sich systematisch, regelmäßig und kritisch mit ihrer eigenen Lebens-und Arbeitswelt auseinandersetzen. Einfache Arbeiter könnten sich den gestellten Anforderungen gegenüber gewachsener zeigen als, wie oft vermutet, Intellektuelle und Journalisten.

„Im allgemeinen ist der Intellektuelle dem Arbeiter an Ausdrucksfähigkeit, Schreibgewandtheit überlegen, häufig aber ist der Arbeiter dem Intellektuellen an Beobachtungsgabe überlegen. Der Intellektuelle neigt oft zu abstrakten Verallgemeinerungen, vorschnellen Schlüssen, geistreichen Perspektiven und besitzt oft nicht die Fähigkeit, einen einfachen Tatbestand wirklich genau und anschaulich wiederzugeben“ (B 5f).

Der entscheidende Grund aber, die politische Berichterstattung in die Hände einer großen Zahl von in verschiedenen Bereichen tätigen Mitarbeitern zu legen, ist ihr Zusammenhang mit dem Aufbau einer illegalen Organisation in Deutschland. Formen und Ausmaß einer Widerstandstätigkeit sind stark geprägt von der Herrschaftsstruktur des nationalsozialistischen Systems. Massenpropaganda war nicht nur 1937 im großen Stil undurchführbar geworden; sie galt auch, wie oben erwähnt, als wenig wirkungsvoll. Die Zersetzungstaktik des . trojanischen Pferdes" wird nach wie vor überaus skeptisch beurteilt. Terrorakte schließlich lagen nicht im Bereich der Organisationsziele der Sopade. Der Ausschluß von Attentatsstrategien folgte nicht allein implizit moralischen, sondern auch politisch-taktischen Bewertungen. „Wenn aber Hitler selbst einem Anschlag zum Opfer fiele, würde die wahrscheinliche Folge sein, daß ihn das Volk als einen Heiligen verehren würde, der durch Mörderhand daran gehindert wurde, sein Werk zu vollenden" (B 8).

Was bleibt, ist die Beobachung der weiteren Entwicklung und die Vorbereitung auf kommende Aufgaben. Dabei ist letztlich die Beobachtung der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Nationalsozialismus schon die beste Vorbereitung auf den „Tag der Machtübernahme", an dem die Sozialdemokraten politische Verantwortung zurückzugewinnen glaubten. Das „Heer von Behördenleitern in Kreis-und Gemeindeverwaltungen, in Fachverwaltungen und Selbstverwaltungsorganen", das nach dem Sturz des Regimes gebraucht wird, beschäftigte den Organisator der politischen Berichterstattung mehr als der Sturz des Regimes selbst. Das merkwürdige Phänomen einer Vorbereitung auf den Antritt einer Erbschaft, längst bevor der Erbfall eingetreten ist, wird später noch kritisch zu erörtern sein. Das Widerstandskonzept der Sopade — in dieser Hinsicht durchaus der attentistischen Tradition verhaftet — befindet sich in steter Gefahr, durch die Konzentration auf die langfristige Perspektive die gegenwärtigen Herausforderungen eines politischen Widerstandes aus dem Blick zu verlieren. In dieser Form einer . übersprungenen Gegenwart'wurde die Sopade von der fatalen „Theorie der Untätigkeit" eingeholt. Die Praxis der organisierten Berichterstattung beginnt aber nicht erst nach dem vollzogenen Sturz der nationalsozialistischen Diktatur: sie besteht aus dessen bewußter und planmäßiger Herbeiführung.

Wie aber hat man sich die „Vorbereitung auf kommende Aufgaben" konkret vorzustellen? Der theoretischen „Schulung" wird nur ein sehr geringer Stellenwert zuerkannt; zu groß ist die Gefahr, auf diese Weise den Zusammenhang mit der komplexen gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit zu verlieren. Vielmehr gilt die Berichterstattung selbst als geeignetste Form politisch qualifizierender Schulung. „Diese Schulung beginnt auf der untersten Stufe. Da sitzt irgendwo tief im Bayerischen Wald irgend ein Glasarbeiter, der den Auftrag hat, laufend über die Verhältnisse seines Betriebes zu berichten. Diese Aufgabe bereitet ihm ungeheure Schwierigkeiten ... Aber indem er diese Schwierigkeiten überwinden lernt, lernt er zugleich, seinen politischen Blick zu schärfen und zu weiten, sein politisches Urteil zu festigen, Tatsachen von Gerüchten, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Langsam bekommt er einen Überblick über seinen Betrieb und wächst so allmählich, ohne es zu merken, in die Aufgabe eines Betriebsrates hinein, die ihm vielleicht nach der Machtergreifung zufallen wird" (Bll). Eine neue Auffassung von Politik, ein veränderter Typ des Politikers bricht sich in solchen Formulierungen Bahn. „Sachkunde und Politik" bilden nicht länger mehr Gegensätze: „Das Politische ist eine Haltung, ist eine auf ein gesellschaftliches Ziel gerichtete Aktivität" (B 12). >>VI.

Politische Opposition, so könnte man Rinners Widerstandskonzept rückblickend pointieren, gestaltet sich als Organisationsprozeß gesellschaftlicher Erfahrung. Widerstand in diesem Verständnis basiert nicht allein auf den Ergebnissen der politischen Berichterstattung, er ist vielmehr mit der Berichterstattung selbst tendenziell identisch. Die lebensweltlich verankerte, zugleich aber methodisch kontrollierte Auseinandersetzung der teilnehmenden Beobachter mit den Verhältnissen im nationalsozialistischen Deutschland setzt einen kollektiven Prozeß der Erfahrensproduktion in Gang, dessen politische Organisation potentiell die Grundfesten des Regimes hätte zerstören können. Die politisch relevante Kommunikation gesellschaftlicher Erfahrung in der Berichterstattung der Sopade bedrohte das herrschaftskonstitutive Informationsmonopol des faschistischen Systems. Zugleich waren die Träger der Betriebsberichterstattung, die illegalen Betriebs-vertrauensleute, das initiierende Zentrum eines kollektiven Lernprozesses, der ausgehend von den Erfahrungen der Arbeits-und Lebenswelt den politisch-sozialen Herrschaftszusammenhang zu erfassen suchte. Es besteht Grund zu der Annahme, daß Rinners Widerstandskonzept für die gesamte Sopade-Führung in Prag eine gewisse Verbindlichkeit besaß. Dafür spricht nicht nur der prominente Ort der Publikation dieser programmatischen Äußerungen in den „Deutschland-Berichten". Abgesehen davon, daß ähnlich ausgeführte Widerstandskonzepte anderer Mitglieder der Bürogemeinschaft nicht bekannt sind und daß die praktische Widerstandstätigkeit der Sopade sich weitgehend auf die Organisation der politischen Berichterstattung beschränkte, sind es auch nicht zuletzt die zeitgenössischen Kritiker, die dieses Konzept mit der Politik der Parteiführung selbst identifizieren.

Die problematischen Implikationen eines solchen Konzepts der illegalen Arbeit blieben den Zeitgenossen nicht verborgen Attentistische Argumentationsmuster und eine kaum zu verbergende Ratlosigkeit der Sopade angesichts der innen-und außenpolitischen Erfolge der NS-Diktatur sind denn auch nicht zu übersehen. Verstärkt noch durch die Lagermentalität des Exils scheint sich die sozialdemokratische Führung schon relativ früh auf ein von außen kommendes Ende des faschistischen Regimes eingestellt zu haben. In mancherlei Hinsicht war Rinners Konzept von Widerstand geradezu maßgeschneidert für die passiv-abwartende Haltung der Büro-gemeinschaft, wobei jedoch offen bleiben muß, ob die historische Situation überhaupt andere . objektiv mögliche'Verhaltensmodelle enthalten, ob Attentismus und politischer Realismus nicht eine historisch begründete Affinität besessen haben. Eine legitimatorisehe Funktion der politischen Berichterstattung ist jedenfalls nicht völlig auszuschließen.

Doch läßt sich ein Versagen der Sopade in diesem Fall noch konkreter benennen. Es liegt im Bereich der politischen Organisation der kollektiven Erfahrung, die die Berichterstattung produzieren half. Im April 1937 äußerte sich der Grenzsekretär Waldemar von Knoeringen, einer der qualifiziertesten Organisatoren der illegalen Arbeit, zu den „Aufgaben der sozialdemokratischen Auslandsvertretung" Er plädiert für eine deutliche Stärkung der zentralen Führung im Exil. Die in der Berichterstattung gesammelten Erfahrungen müßten der illegalen Arbeit in Deutschland wieder zugutekommen. Eine Beeinträchtigung der politischen Kommmunikation fördere „die Tendenz zum Subjektivismus, die eine ständige Gefahr für das objektive Urteilsvermögen in der Emigration ist". Es gehe nicht allein um eine Verbesserung der konspirativen Techniken, sondern um die „Erhöhung unserer Organisiertheit" selbst. „Die Zentrale der Organisation muß tatsächlich eine Zentrale sein, die in ständigem Kontakt mit der Arbeit an den Grenzen steht, die die Verbindung zwischen allen Organisationsteilen im Reiche aufrechterhält und die sich bemüht, aus der genauen Beobachtung der Entwicklung des Ganzen die Erfahrungen für das Ganze abzuleiten."

In der Tat endete der Organisationsprozeß der Erfahrung in der politischen Berichterstattung der Sopade zu früh. Der kollektive Lernprozeß eines sozial und politisch fundierten Widerstands gegen das Regime brach so vorzeitig ab. Allerdings stellt sich die Frage, ob die kurzen Etappen der Vorkriegs-und Kriegszeit eine wesentlich effizientere Organisation — mit entscheidenden Auswirkungen für den politischen Widerstand — überhaupt zugelassen hätten. Der Organisationsprozeß gesellschaftlicher Erfahrung beinhaltete zwei aufeinander folgende Stufen. Zunächst ging es um die systematische Produktion und Sammlung von Erfahrungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit des NS-Regimes; dann um die Entwicklung politisch und sozial eingreifender Strategien, die die im Keim vorhandenen Bewegungen zu verstärken imstande waren. Die illegale Tätigkeit der Sopade ging weitgehend auf in der politischen Berichterstattung selbst. Damit wurden zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für die Entfaltung eines wirksamen kollektiven Widerstandes geschaffen. Die Opposition im Reich war angewiesen auf die politische Organisation ihrer Erfahrungen im Ausland. Die Sopade hat dies nicht verkannt. Ihre eigene Tätigkeit konzentrierte sich jedoch auf den Aufbau eines politischen Nachrichtenwesens, das seinen politischen Zweck, die Organisation des Widerstandes, nur teilweise zu erreichen vermochte. So nützlich die langfristige Perspektive der Beobachtung für die Erkenntnis des sozialen und politischen Herrschaftszusammenhangs des Dritten Reichs war, so hinderlich war das Konzept der . übersprungenen Gegenwart'für die illegale Arbeit in Deutschland selbst. Die Sopade setzte zunächst auf die Befreiungsbewegung im Innern, dann auf die Befreiung der Bewegung von außen: sie vergaß oder verdrängte, daß die illegale Bewegung im Innern angewiesen war auf politisch eingreifende Konzepte und Strategien, die nur auf dem Erfahrungsstand des Ganzen, also im Exil zu entwickeln waren.

Nun kann das Scheitern der illegalen Bewegung in Deutschland gewiß nicht der Sopade angelastet werden. Zu keinem Zeitpunkt des Dritten Reiches stand das nationalsozialistische Regime ernsthaft in Gefahr, allein von innen gestürzt zu werden Allerdings hätte die durch einen organisierten Widerstand bewirkte Schwächung des Systems nachhaltiger ausfallen können, als es, nach dem heutigen Stand der Forschung zu beurteilen, der Fall gewesen ist. Doch wäre auch bei einem solchen Vorwurf sorgfältig zu prüfen, ob Schwächen des Konzepts selbst oder Fehler bei seiner Handhabung dafür verantwortlich waren. Abschließend sollen daher einige Überlegungen über Bedeutung und Tragweite des von der Sopade entwickelten Widerstandskonzepts angestellt werden.

VII.

Die mit der politischen Berichterstattung der Sopade verbundene Vorstellung von politischem Widerstand als Organisationsprozeß gesellschaftlicher Erfahrung enthält eine zweifache historische Lektion.

1. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Arbeiterbewegung, weder vor 1933 noch nach 1945, hat es eine der organisierten Berichterstattung vergleichbare öffentliche Aufarbeitung von gesellschaftlichen Erfahrungen gegeben, die in der Lebens-und Arbeitswelt gewonnen wurden. Wenn überhaupt geschichtliche Bruchstellen existieren, konkrete historische Kräftekonstellationen, in denen eine genuin proletarische Öffentlichkeit keimhaft sich artikulierte, dann gehören — so paradox das klingen mag — die „Deutschland-Berichte" der Sopade dazu, die unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur die politisch relevante Kommunikation gesellschaftlicher Erfahrung aufrechterhielten.

Wann etwa wäre die Betriebsöffentlichkeit auf eine ähnlich systematische und kollektive Weise hergestellt worden wie in der Betriebs-berichterstattung der Sopade im Dritten Reich? Die organisierte Arbeiterbewegung partizipierte von Anfang an und im geschichtlichen Verlauf progressiv an den medial-publizistischen Formen bürgerlicher Öffentlichkeit, in denen der proletarische Lebenszusammenhang blockiert wurde und großenteils un-begriffen blieb Die von der totalitären Diktatur, ihrem Informations-und Kommunikationsmonopol negativ erzwungene Engführung von betrieblicher Lebenswelt und illegaler Erfahrungsorganisation, von gesellschaftlicher Praxis und politisch eingreifender Theo-rie erhöhte den Gebrauchswert proletarischer Öffentlichkeit -in einem bisher ungekannten Ausmaß.

2. Widerstand ist nicht allein ein historisch begriffener Gegenstand, sondern zugleich ein operatives Konzept politischen Verhaltens. In jüngerer Zeit hat sich die Einsicht zunehmend durchgesetzt, daß sich ein auf die Arbeit illegaler konspirativer Gruppen zugeschnittener Widerstandsbegriff bei der Beschreibung dessen, was im Dritten Reich tatsächlich an Widerstand geleistet wurde, als zu eng erweist. Die lange Zeit verbreitete unkritische Kanonisierung bestimmter Formen und Figuren eines Widerstandes militärisch-bürokratischer Eliten hat neuerdings einer breiteren „Gesellschaftsgeschichte politischen Verhaltens" Platz gemacht, in der sozial und politisch motivierte Formen von Widerstand und Anpassung in den Konfliktfeldern von Herrschaft und Gesellschaft aufgesucht werden

Insoweit in hochindustrialisierten Gesellschaftstypen westlicher oder östlicher Prägung autoritäre oder diktatorische Optionen existieren, totalitäre Ansprüche faschistischer oder kommunistischer Provenienz, haben zeitgemäße (präventive) Widerstandskonzepte diesen unauflöslichen Zusammenhang von gesellschaftlicher Erfahrung und politischer Organisation zu reflektieren. Effektiver Widerstand ist in totalitären Systemen mit einem Rückgriff auf das traditionelle Repertoire von Widerstandsformen (Attentat, Putsch, Sabotage etc.) allein kaum zu bestreiten. Die personale Austauschbarkeit von politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Führungspositionen sollte selbst im „Führerstaat" des Dritten Reichs nicht unterschätzt werden.

Wirksame Opposition in komplexen sozialen und politischen Systemen mit einem hohen Grad von kommunikativer Vernetzung muß auf die Durchbrechung des Informations-und Kommunikationsmonopols und auf die heimliche politische Organisation gesellschaftlicher Erfahrung setzen.

Ob langfristig gesehen der in Ansätzen erkennbare Klassenkampf in den „Betriebsgemeinschaften" des Dritten Reichs der Beginn einer das System ernsthaft bedrohenden sozialen Bewegung geworden wäre, läßt sich im nachhinein kaum entscheiden. Aus dem historisch gewaltsam verkürzten Lernprozeß des Widerstands (Krieg und Befreiung von außen) darf allerdings nicht eine verkürzte historische Lektion gezogen werden. Bei aller Unvergleichbarkeit sei hier doch auf das Beispiel der wirtschaftlichen und politischen Aktionen der polnischen Arbeiter, auf die Gewerkschaftsbewegung SolidarnoSh verwiesen, die eindrucksvoll das politisch eingreifende Potential organisierter gesellschaftlicher Erfahrung demonstrierten.

Mit der Organisation der politischen Berichterstattung und der Entwicklung eines Widerstandskonzepts, dessen politisch-historischer Wert noch längst nicht ausgeschöpft ist, hat die Sopade einen überaus wichtigen Beitrag zum Kampf gegen das nationalsozialistische Regime in Deutschland geleistet. Das eingangs zitierte Urteil über die Leistungen der Exilführung der sozialdemokratischen Partei erweist sich als zu pauschal und bedarf dringend der gründlichen Revision. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens wäre an der Zeit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zur Geschichte der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich vgl. R. Hunt, German Social Democracy 1918— 1933, New Haven/London 1964; W. Luthardt (Hrsg.), Sozialdemokratische Arbeiterbewegung und Weimarer Republik. Materialien zur gesellschaftlichen Entwicklung 1927— 1933, 2 Bde. Frankfurt/M. 1978; E. Anderson, Hammer oder Amboß. Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Nürnberg 1948; H. Schulze (Hrsg.), Anpassung oder Widerstand? Aus den Akten des Parteivorstandes der deutschen Sozialdemokratie 1932/33, Bonn-Bad Godesberg 1975; L. J. Edinger, German Exile Politics. The Social Democratic Executive Committee in the Nazi Era, Berkeley/Los Angeles 1956; E. Matthias, Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, in: E. Matthias/R. Morsey (Hrsg.), Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960, S. 101 ff; ders., Sozialdemokratie und Nation. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der sozialdemokratischen in der Emigration Prager Zeit des Parteivorstandes 1933— 1938, Stuttgart 1952; B. Hebel-Kunze, SPD und Faschismus. Zur politischen und organisatorischen Entwicklung der SPD 1932— 1935, Frankfurt/M. 1977.

  2. Zum „Organisierten Kapitalismus" vgl. H. A. Winkler (Hrsg.), Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen und Anfänge, Göttingen 1974.

  3. Dazu H. Mommsen, Die Sozialdemokratie in der Defensive. Der Immobilismus der SPD und die Anfänge des Nationalsozialismus, in: ders. (Hrsg.), Sozialdemokratie zwischen Klassenbewegung und Volkspartei, Frankfurt/M. 1974, und allgemein: D. Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus, Frankfurt/M. 1973.

  4. Vgl. dazu den Aktenbestand der Emigration Sopade (ES) im Archiv der sozialen Demokratie in Bad Godesberg, Mappe 6.

  5. Abgedruckt in: Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie, hrsg. von D. Dowe und K. Klotzbach, Berlin/Bonn-Bad Godesbeg 1973, S. 213— 226; vgl. dazu auch: Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer, hrsg. von E. Matthias, Düsseldorf 1968, S. 197 ff.; zu den Auseinandersetzungen im sozialdemokratischen Exil vgl. auch: G. Plum, Volksfront, Konzentration und Mandatsfrage. Ein Beitrag zur Geschichte der SPD im Exil 1933— 1939, in: Vierteljahrshefte f. Zeitgeschichte, (1970) 18, S. 410— 442.

  6. Vgl. dazu neuerdings: Widerstand und Exil der deutschen Arbeiterbewegung 1933— 1945. Grundlagen und Materialien, hrsg. von M. Geis et al., Bonn 1982; R. Löwenthal und P. von zur Mühlen (Hrsg.), Widerstand und Verweigerung in Deutschland 1933— 1945, Berlin/Bonn 1982.

  7. Dazu im weiteren: J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied/Berlin 1962, und O. Negt/A Kluge, Öffentlichkeit und

  8. Dieser Befund stützt sich auf eine Durchsicht der monatlichen Berichte der Grenzsekretäre im Aktenbestand Emigration Sopade und der sog. Rinner-Korrespondenz (RK).

  9. Vgl. dazu meinen Aufsatz: Klassenkampf in der „Betriebsgemeinschaft". Die „Deutschland-Berichte" der Sopade als Quelle zum Widerstand der Industriearbeiter im Dritten Reich, in: Archiv für Sozial-geschichte XXI, 1981, ß. 329— 383, bes. S. 332 ff.

  10. Vgl. ebd., S. 340 ff.

  11. Vgl. die Neuausgabe der Deutschland-Berichte der sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1934— 1940, hrsg. von K. Behnken, Frankfurt/M. 1980.

  12. So E. Rinner in einer Aufzeichnung vom 1. Dezember 1981.

  13. Rundschreiben des Parteivorstands an die Grenzsekretäre vom 18. April 1934, ES Mappe 7.

  14. Ebd.

  15. Dazu die Rundschreiben des Parteivorstands, ES Mappe 7- 11.

  16. Das Expose ist datiert vom 14. September 1939, ES Mappe 18.

  17. Deutschland-Berichte November 1935, B 1— 24.

  18. Zum kommunistischen Widerstand vgl. vor allem D. Peukert, Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945, Wuppertal 1980.

  19. Die Skepsis Rinners ist angesichts der erfolgreichen Anwendung dieser Taktik in vielen Betrieben nicht ganz verständlich, vgl. dazu Klassenkampf in der „Betriebsgemeinschaft" (Anm. 9), S. 353 ff.

  20. Klassenkampf in der „Betriebsgemeinschaft" (Anm. 9), S. 335 ff.

  21. Ebd.

  22. ES Mappe 65; vgl. dazu auch den sehr informativen Beitrag von H. Mehringer, Die bayerische Sozialdemokratie bis zum Ende des NS-Regimes. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand, in: Bayern in der NS-Zeit V, hrsg. von M. Broszat und H. Mehringer, München/Wien 1983, S. 287— 432, bes. S. 351 ff., 391 ff.

  23. Das gilt m. E. auch noch für den Attentatsversuch vom 20. Juli 1944. Selbst bei einem Erfolg des Attentats wäre eine erfolgreiche politische Umwälzung äußerst zweifelhaft gewesen.

  24. Dazu Negt/Kluge, Öffentlichkeit..., (Anm. 7).

  25. Bahnbrechend hier die nun vollständig vorliegende Untersuchung: Bayern in der NS-Zeit, hrsg. von M. Broszat et al., 6 Bde., München /Wien 1977— 1983; vgl. insbes. die Studie von Broszat, Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts, in: Bayern in der NS-Zeit IV, München/Wien 1981, S. 691— 709.

Weitere Inhalte

Michael Voges, geb. 1952; Wiss. Ang. am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Kiel; Studium der Germanistik, Geschichte und Soziologie in Kiel und Oxford.