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Israelische Nahost-Politik nach den Wahlen 1984. Perspektiven einer politischen Wende | APuZ 46-47/1984 | bpb.de

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APuZ 46-47/1984 Neue Entwicklungen in Israels Parteienlandschaft Israelische Nahost-Politik nach den Wahlen 1984. Perspektiven einer politischen Wende Deutsch-israelische Beziehungen im Spiegel der öffentlichen Meinung Der israelische Kibbutz heute — Vom Siedlungspionier zum Schrittmacher sozialer Innovationen*)

Israelische Nahost-Politik nach den Wahlen 1984. Perspektiven einer politischen Wende

Amnon Neustadt

/ 12 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Sommer 1984 war der israelische Staatsbürger erneut aufgerufen worden, seinen Stimmzettel abzugeben. Zwei Hauptprobleme standen im Zentrum der Wahlentscheidung: erstens die besorgniserregende wirtschaftliche Lage des Landes und zweitens die sicherheitspolitische Situation an der nördlichen Grenze des Staates. Der hohe finanzielle Aufwand, den der Verbleib der israelischen Streitkräfte im Libanon erfordert, verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen den genannten Sachthemen. Eine zusätzliche Problematik, die eines der Zentralthemen während des letzten Wahlkampfes bildete, war die Auseinandersetzung um die Zukunft der Westbank und mit ihr verknüpft die Frage der möglichen Annäherung an Jordanien. Im Vergleich zu der grundsätzlichen Übereinstimmung bei der Behandlung der sicherheitspolitischen Problematik an Israels Nordgrenze offenbarten die dominierenden politischen Kräfte im Lande (Marach- und Heruth-Block) einen tiefen und gravierenden Dissens bei der geplanten Annäherung an Israels östlichen Nachbarstaat. Das Wahlergebnis und die daraus entstandene neue politische Konstellation in Israel erschwert jede klare Aussage über die weitere offizielle israelische Nahostlinie. Die Übereinstimmung über die Notwendigkeit einer Zurückziehung der israelischen Streitkräfte aus dem Libanon läßt Hoffnungen zu, was eine Lösung in diesem Gebiet betrifft. Demgegenüber wird die kontroverse Haltung in der Behandlung der Westbank-Angelegenheit wahrscheinlich auch weiterhin die beiden großen politischen Lager des Landes trennen und damit unter Umständen sogar zum Scheitern der eingegangenen „Zweckehe" führen. Ob und welche politische Kraft letztlich die größere Durchsetzungsfähigkeit in dieser brisanten Frage haben wird, bleibt vorläufig ungelöst. Andererseits wäre auch die völlige Einfrierung der Problematik aufgrund der unsicheren politischen Konstellation nicht unrealistisch.

I. Der Likud-Block und der arabisch-israelische Konflikt — ein zwiespältiges Verhältnis

Zwei große Parteienblöcke prägen seit Jahren die politische Landschaft Israels. Zum einen der Zusammenschluß der Arbeiterparteien, der seit der Staatsgründung im Jahre 1948 in unterschiedlichen Varianten die politische Führung bis'1977 im Lande gestaltete, andererseits der Likud-Block, der die Regierungsgeschäfte seit 1977 führte.

Um den Standpunkt des Likud-Blocks oder — genauer — den der „Heruth-Partei" (des Kerns der Vereinigung) zur Nahostfrage besser darlegen zu können, muß zuvor auf das allgemeine Verhältnis dieser Partei zu den Arabern eingegangen werden.

Im Jahre 1923 bezeichnete der ideologische . Vater'der Partei, Zeev Jabotinsky, sein Verhältnis zu den Arabern als „höfliche Gleichgültigkeit“ -„Ein freiwilliger Ausgleich zwischen Zionisten und Arabern", so Jabotinsky, „ist nicht mal im Traum denkbar." Nach seinem Urteil bestand nicht einmal ein Hoffnungsschimmer für die Zustimmung der Araber zur Umgestaltung von „Palästina" in ein Land mit jüdischer Mehrheit. In diesem Zusammenhang verneinte Jabotinsky auch Aussichten auf einen friedlichen Kompromiß zwischen Arabern und der jüdischen Bevölkerung; er bezeichnete dieses Vorhaben als illusionär. Nur hinter einer „Eisernen Wand" könne das jüdische Aufbauwerk im Lande vollendet werden, folgerte Jabotinsky Auf diesem ideologischen Unterbau entwickelte sich die „Heruth-Partei“ unter ihrem Führer Menachem Begin.

Diese Einstellung bzw. dieser ideologische Fixpunkt bestimmte damals das Verhalten der „Heruth“ zur arabischen Bevölkerung Israels. Die Wahlniederlage der Vereinigten Israelischen Arbeiterpartei im Jahre 1977 brachte den von Menachem Begin geführten Likud-Block in die Regierungsverantwortung. Im Gegensatz zu Begins kompromißbereiter Haltung gegenüber Ägypten nahm er als Premierminister eine besonders unnachgiebige Position in der Westbankfrage ein. Begin und seine Anhänger proklamierten die politische Unteilbarkeit des Gebietes zwischen Mittelmeerküste und Jordan und betrieben eine Politik, die sich die Vermehrung jüdischer Ansiedlung und die jüdische Hegemonie in Judäa und Samaria zum Ziel gesetzt hatte Neben den wiederholten Erklärungen, dieses Territorium aus sicherheitspolitischen Erwägungen behalten zu müssen, wurden biblisch-historische Rechte auf dieses Gebiet geltend gemacht Dies war die Grundlage einer neuen Siedlungspolitik der Regierungen Menachem Begins und danach Yitzhak Shamirs. Im Vergleich zur Siedlungspolitik der Arbeiterpartei, die ausschließlich sicherheitspolitisch motiviert war (Sicherung des Jordantales) und den Grundsatz beachtete, eine Provokation der arabischen Bevölkerung nach Möglichkeit zu vermeiden, begann seit 1977 eine rege Siedlungsaktivität, die in der Westbank einen integralen Bestandteil des Staates Israel sah. Daß die Siedlungspolitik Reaktionen der arabischen Staaten herausfordern könnte, wurde dabei völlig ignoriert. Ein klassisches Beispiel für die neue Form der Ansiedlung waren die jüdischen Niederlassungen in und um die Stadt Hebron. Im Unterschied zu den Siedlungen, die zur Zeit der Regierung der Arbeiterpartei entstanden waren, sind die weitaus zahlreicheren Siedlungsprojekte des Likud-Blocks entsprechend der ideologischen Grundhaltung ein Produkt der Kombination sicherheitspolitischer, religiöser und histori-scher Überlegungen Im Wahlprogramm des Likud aus dem Jahre 1981 heißt es: „Der Staat Israel hat das Recht auf Souveränität über Judäa, Samaria und den Gaza-Streifen. Nach Beendigung der Übergangszeit, die im Camp-David-Abkommen festgelegt wurde, wird Israel seine Forderung formulieren und sich einsetzen, um dieses Recht durchzusetzen." Jeder territoriale Kompromiß zwischen Jordanien und Israel würde vom Likud als die Aufgabe des Anspruchs auf das Land bewertet, der den Weg zur Errichtung eines zusätzlichen palästinensischen Staates neben Jordanien ebnen könnte

Für den Likud stellten die Vereinbarungen von Camp David deshalb eine Art Garantie dar, daß es auf dem „westlichen Teil des Staates“ unter keinen Umständen zu Zugeständnissen in Form einer territorialen Teilung und zur Bildung eines palästinensischen Staates kommen könnte

Einen „ausgeprägten Stolz“ entwickelte die Partei hinsichtlich des Friedensvertrages mit Ägypten. Sowohl im Wahlprogramm 1981 als auch im letzten Manifest wurde ausdrücklich erwähnt, daß das Abkommen ein Werk der Likud-Regierung ist. Zugleich betonte die Partei ihren Willen zur Fortsetzung des Camp-David-Prozesses oder — präziser ausgedrückt — die Bereitschaft, die Verhandlungen über den Autonomieplan wieder aufzunehmen. Dabei läßt sie keinen Zweifel daran aufkommen, nach ihrer Auffassung unter was Autonomie zu verstehen ist: die Bildung eines souveränen Staates wird explizit ausgeschlossen. Die Formel der Wahlprogramme von 1981 und 1984 lautet: „Das arabische Volk hat die Selbstbestimmung mit der Existenz von 21 selbständigen arabischen Staaten erreicht.“

Zwischen 1977 und 1984 hat die Likud-Regierung die Errichtung von über 100 neuen Siedlungen auf der Westbank und im Gaza-Streifen gebilligt und finanziell gefördert. Für den seit 1981 mitregierenden Koalitionspartner, der äußerst rechts und extrem nationalistisch orientierten Tehija-Partei, war die Siedlungs-tätigkeit nicht nur eine Sicherheitsfrage, sondern in erster Linie eine ideologische Grundvoraussetzung, die der Likud durch die Schaffung der äußeren Bedingungen unterstützte. Die forcierte Siedlungsaktivität war Ausdruck des Rechts, sich in jedem Teil des Landes niederzulassen

Eine unnachgiebige Haltung nahm der Likud-Block auchjn der Frage der Golan-Höhen ein. Bereits in ihrem Wahlprogramm von 1981 hatte die Partei deutlich gemacht, daß sie bei Gesprächen mit Syrien weder bereit sei, die Golan-Höhen aufzugeben, noch die Absicht habe, auf eine bereits errichtete Siedlung zu verzichten. Gleichzeitig verkündete die Partei, daß sie zu gegebener Zeit sowohl das israelische Recht als auch die staatliche Administration auf diesem Gebiet zu vollziehen beabsichtige. Im Wahlmanifest des Jahres 1984 konnte die Partei mit Genugtuung feststellen, daß entsprechend dieser Planung die israelische Souveränität auf dem Golan vollzogen worden sei

Für die amtierende Likud-Regierung schloß die Annexion der Golan-Höhen keineswegs die Möglichkeit aus, zu einem Dialog mit der syrischen Seite zu gelangen. Jerusalem appelliert auch weiterhin an Syrien, den Weg des Krieges zu verlassen und das direkte Gespräch, gemeinsam mit den anderen arabischen Staaten, zu suchen

Im Wahlprogramm aus dem Jahre 1981 gab der Likud-Block bekannt, daß es entgegen allen „Prophezeiungen der Maarach“ unter seiner Führung zu keinem Krieg gekommen sei Ein Jahr später erwies sich diese Aussage als vorschnell. Der Krieg im Libanon hat bis zym August 1984 das Leben von fast 600 israelischen Soldaten gekostet, eine tiefgehende Spaltung der israelischen Gesellschaft heraufbeschworen und das Selbstverständnis der israelischen Armee nachhaltig zerrüt10 tet Die politische Marschroute des Jahres 1984 läuft dennoch ohne Zögern in die Richtung einer Rechtfertigung des Libanon-Krieges. Nach Ansicht des Likud hat Israel zwar keine territorialen Ansprüche im Libanon, aber die Räumung der israelischen Stellungen in diesem Lande sei erst dann möglich, wenn der Frieden an Israels Nordgrenze von Dauer ist Ein Ausweg aus dem drohenden Versinken der jetzigen Regierung im „libanesischen Sumpf" ist nicht absehbar. Ausreichende Garantien für die Schaffung eines friedlichen Zustandes an Israels Nordgrenze scheinen nur mühsam und schrittweise erreichbar. Die israelische Armee wird auf unabsehbare Zeit auch weiterhin in einen Krieg involviert sein, der täglich neue Menschenleben fordert.

Die Festigung der syrischen Position innerhalb arabischen Welt im Zuge des Libanon-Krieges und die „Tatsachen-Politik“ der amtierenden Regierung in der Frage der Golan-Höhen machen einen zwischen Dialog den Kontrahenten in absehbarer Zeit relativ unwahrscheinlich.

Als Folge der Weigerung, territoriale Kompromisse über das Westufer des Jordans zu schließen, blockierte der Likud Annäherungsversuche aus Amman zu einer gemeinsamen Lösung. Das Erreichen eines gesicherten Friedens an der östlichen Grenze des Staates Israel scheint ohne ein Signal der Verhandlungsbereitschaft — Kalkül eines territorialen Kompromisses — und unter Berücksichtigung der wachsenden Unzufriedenheit in der arabischen Bevölkerung mit der israelischen Besatzungspolitik auf der Westbank gegenwärtig fast illusorisch

Obwohl die Ausgangsbasis der bilateralen Beziehungen zwischen Israel und Ägypten durch das Abkommen von Camp David eine herausragende Stellung einnimmt, wäre die Hoffnung auf eine Intensivierung der Beziehungen gegenwärtig wenig realistisch. Die ägyptische Haltung, bezogen auf die israelischen Aktivitäten im Libanon, die unüberbrückbar formulierten Gegensätze in der Behandlung der Autonomiefrage und die gleichzeitigen Anstrengungen Ägyptens, erneut eine führende Stellung in der arabischen Welt einzunehmen, erschweren mögliche Ansätze, einen fruchtbaren politischen Dialog beider Staaten zur Konstante im nahöstlichen Umfeld zu machen.

II. Die Arbeiterparteien — die mögliche Wende?

Unmittelbar nach der Bekanntgabe des letzten Wahlergebnisses wurde in der israelischen Gesellschaft der Ruf nach Bildung einer Koalition auf breiter Grundlage unüberhörbar. In dem politischen Wirrwarr der kleinen Parteien und vor dem Hintergrund der Unfähigkeit der großen Parteien, einen entscheidenden Sieg zu erreichen, sahen viele Bürger des Staates in einem gemeinsamen Vorgehen der beiden Hauptlager die einzige Alternative. In diesem Zusammenhang machten einige Beobachter darauf aufmerksam, daß der politische Gegensatz in der Behandlung des israelisch-arabischen Konfliktes nicht unüberwindbar sei. Wenn die Chance, zu einer Übereinstimmung zu gelangen, nicht genutzt werde, sei zumindest eine Vereinbarung über das vorläufige „Einfrieren“ der umstrittenen Themen denkbar Zuspruch fanden diese Überlegungen vor allem deshalb, weil der Lösung der fatalen wirtschaftlichen Situation Priorität eingeräumt wurde und zur Durchsetzung wirksamer ökonomischer Maßnahmen eine breite Verankerung der Regierung erforderlich sein würde.

Eine gründlichere Betrachtung der proklamierten politischen Linie der tonangebenden israelischen Parteien zeigt jedoch deutliche Unterschiede in den Auffassungen im Hinblick auf das israelische Engagement in den Kernfragen der Nahostproblematik. Durch die Benutzung einer unmißverständlichen Sprache grenzt das letzte Wahlprogramm des Likud-Blocks Interpretationsversuche ein; in der Zielsetzung des israelischen Rückzuges aus dem Libanon demonstrierten die Parteien Einigkeit — zumindest in den Grundlinien. Beide politischen Lager stimmten überein, den Abzug der israelischen Truppen von einer Schutzgarantie für die Anwohner der Nordgrenze vor terroristischen Übergriffen aus dem libanesischen Staatsgebiet abhängig zu machen

Im Unterschied zum Likud-Block besitzt die Arbeiterpartei eine weit flexiblere Perspektive für einen gesicherten Frieden in Nahost. So erklärte die Arbeiterpartei auf der Grundlage der Sicherheitsratsresolutionen 242 und 338 ihre ausdrückliche Bereitschaft, ohne jegliche Vorbedingungen einen Friedensdialog mit den arabischen Nachbarstaaten zu eröffnen Wie schon in ihrem Wahlprogramm von 1981 proklamierte sie ihre Bereitschaft zu einem Friedensabkommen mit Jordanien und Syrien auf der Basis eines territorialen Kompromisses

Deutliche Differenzen hinsichtlich der Motivation und der Lösungsvorschläge zwischen beiden Parteien sind auch bei der Konzeption einer Regelung für die besetzten Gebiete erkennbar. Im Unterschied zum Likud, der sich aus ideologischen und sicherheitspolitischen Erwägungen gegen jeden territorialen Verzicht stellt, nimmt die Arbeiterpartei einen moderaten Standort ein. Demographische Kriterien begründeten die Bereitschaft der Arbeiterpartei zu Konzessionen auf territorialer Basis. In der Übernahme von 1, 3 Millionen Arabern sieht der Block der Arbeiterparteien eine Gefahr für die weitere Existenz Israels als jüdischer Staat. Eine Entscheidung zugunsten einer Annexion der besetzten Gebiete wurde eine Situation zur Folge haben, in der eine „Minderheit“ der arabischen Welt sich in einem ständigen Machtkampf mit einer Minderheit des jüdischen Volkes befindet, um eine „absolute Mehrheit“ zu erreichen Denn dann befänden sich die Grundregeln des jüdischen und demokratischen Staates in der Gefahr, außer Kraft gesetzt zu werden. Israel könnte zu einem zweiten Libanon werden

Nach Ansicht der Arbeiterpartei kann und soll das palästinensische Problem deshalb im Rahmen des „jordanisch-palästinensischen Staates" gelöst werden. Die Konföderation eines jordanisch-palästinensischen Staates könnte sich nach Auffassung der Arbeiterpartei auf das heutige Jordanien, bestimmte Teile von Judäa und Samaria und den Gaza-Streifen erstrecken. Voraussetzung wäre der gleichzeitige Abschluß eines Friedensvertrages zwischen beiden Staaten.

III. Fazit

Die dargestellten Unterschiede und die Mitwirkung der Arbeiterpartei in der Regierung lassen Hoffnungen im Hinblick auf eine flexiblere Außenpolitik zu. Zweifellos standen im Vordergrund des israelischen Wahlverhaltens weniger die Lösung des palästinensischen Problems als vielmehr die immensen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes Der Zusammenhang von Wirtschaft und Politik gilt für die politische Szene des Nahen Ostens nicht minder als für solche Staaten, deren Existenz unangefochten ist. Die Verknüpfung der ökonomischen und politischen Bereiche wird voraussichtlich schon bald zu einer provisorischen Einstellung der Siedlungstätigkeit in den besetzten Gebieten führen. Bereits der frühere Finanzminister Orgad bezeichnete das „Einfrieren" der Siedlungsprojekte als einen notwendigen Beitrag im Rahmen der Anstrengungen zur Gesundung der israelischen Wirtschaft. Nicht zu trennen sind ökonomische und sicherheitspolitische Wechselwirkungen, wie dies schon für die Siedlungspolitik angemerkt wurde. Die hohen Aufwendungen, die mit der Präsenz der israelischen Streitkräfte im Libanon verbunden sind (ca. eine Million US$pro Tag) könnten im Falle eines Rückzuges auch eine Entspannung der desolaten wirtschaftlichen Situation Israels bewirken.

In der Tat erwies sich die Frage der künftigen Libanon-Politik als ein Bereich, in dem eine Übereinstimmung zwischen den beiden großen Lagern relativ einfach herzustellen war. Die Feststellung von Yitzhak Shamir, daß zwischen den beiden großen Parteien des israelischen Parlaments keine gravierenden Meinungsunterschiede in der Libanon-Frage bestünden, gilt nach wie vor. Der Unterschied, falls überhaupt vorhanden, ist eher semantischen Ursprungs. Abweichungen waren in den Formulierungen feststellbar, nicht aber in der grundsätzlichen Konzeption

Die Tatsache, daß es beiden Parteien gelungen ist, bei ihren Koalitionsgesprächen in relativ kurzer Zeit doch noch eine Einigung in dieser Frage zu erzielen, unterstreicht diese Aussage. Kern dieser Übereinstimmung war der geplante Rückzug der israelischen Streitkräfte in einer kurzen und festgelegten Frist bei gleichzeitiger Sicherung der israelischen Nordgrenze

Als weit komplizierter erwies sich bislang die Behandlung des Palästinenserproblems und die damit verknüpfte Frage der Gestaltung der Beziehungen zum östlichen Nachbarstaat Hier liegen territoriale Kompromißbereitschaft und darauf abgestimmte Vorstellungen zur Siedlungspolitik der Arbeiterpartei mit den Maximalkonzepten des Likud-Blocks im Streit. Eine Annäherung konnte schließlich mit dem Konzept einer zukünftigen Beteiligung arabischer Palästinenser an Friedensverhandlungen erzielt werden. Beide politischen Lager vereinbarten, daß die arabischen Bewohner der Westbank und des Gaza-Streifens an den Friedensgesprächen beteiligt werden sollten

Eine Koalition unter der Leitung des „Maarach“ macht eine Annäherung an die Vorstellungen Jordaniens wahrscheinlicher, als das in der Regierungszeit des Likud der Fall war. Allerdings hatte es auch nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, als ebenfalls eine Regierung auf „breiter Basis“ bestand, mit Begins Wissen inoffizielle Kontakte zwischen dem jordanischen Herrscher und israelischen Politikern gegeben Auch die Annahme, daß eine Regierung der „nationalen Einheit" die Verwirklichung eines Autonomieplans unter Mitwirkung des Likud-Blocks vorantreiben könne, muß in die Variationen der gegenwärtigen Überlegungen miteinbezogen werden.

Um dem Friedensprozeß zwischen Ägypten und Israel einen neuen Anstoß zu geben, wäre ein israelischer Impuls, der — über den Gesprächspartner Ägypten hinausgehend — in der arabischen Welt eine veränderte Haltung Israels dokumentieren würde, für die ägyptischen Verhandlungspartner die entscheidende Voraussetzung, den Dialog mit Israel wieder aufzunehmen. Dies könnte sich zum Beispiel in einer gezielten Geste in der Libanon-Politik oder in einer glaubwürdigeren Kompromißbereitschaft in der palästinensischen Frage ausdrücken

Fussnoten

Fußnoten

  1. Z. Jabotinsky, Wir und die Araber, in: Beilage zu der monatlichen Zeitschrift Eretz Israel, (1974) 35. Ausführlich zur Bildung des Likud-Blocks siehe M. Wolffsohn, Politik in Israel, Opladen 1983, S. 113 ff.

  2. Ebd.

  3. Ebd., S. 71.

  4. A. Yaniv/A. Shlaim, Die innenpolitischen Determinanten der israelischen Außenpolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 14/1981.

  5. Diese zusätzlichen Elemente wurden insbesondere von der „Tehija-Partei“ hervorgebracht Zu den Grundpositionen von „Tehija“ und Gush Emunim s. M. Wolffsohn (Anm. 1), S. 87 f. und 119 f.

  6. Wahlprogramm des Likud von 1981.

  7. Wahlprogramm des Likud von 1984.

  8. Ebd. Diese Formulierung bezieht sich auf das biblische Israel, das sich über die Grenzen des heutigen Staates Jordanien hinaus erstreckte. Das Gebiet westlich des Jordanflusses wurde somit als der westliche Teil des Staates Israel bezeichnet

  9. Wahlprogramm von 1981 und 1984 (Kapitel über sicherheitspolitik).

  10. Vgl. Wahlprogramm der „Tehija-Zomet" 1984. Kurz vor der letzten Wahl fusionierte diese Partei mit der „Zomet-Bewegung“ des ehemaligen Generalstabschefs Raphael Eitan. Die Tatsache, daß es der neuen Partei bei den Wahlen im Juni gelungen ist, fünf Sitze zu erreichen, kann auch als Indiz für die Unterstützung einer demonstrativ kompromißloseren Haltung in den Fragen künftiger Nahostverhandlungen interpretiert werden; gleichzeitig wird damit der Polarisation der politischen Willensbildung Vorschub geleistet.

  11. Wahlprogramm des Likud 1984. Diese Souveränität erwies sich jedoch eher als Wunschdenken des Likud. Ein großer Teil der ehemals syrischen Untertanen verweigert die Annahme der israelischen Staatsangehörigkeit und sieht sich weiterhin als Bürger des syrischen Staates; vgl. O. Zarai, in: Haaretz vom 19. 8. 1984.

  12. Vgl. ebd.

  13. Wahlprogramm des Likud von 1981, S. 3.

  14. Vgl. Wahlprogramm der „Jachad" (Ezer Weizman) 1984 und Wahlmanifest der Partei „Shinui" (di Partei für Wandel); vgl. auch J. Peled, in: Haaretz vom 17. 8. 1984.

  15. Die Bezeichnung stammt aus dem Wahlmanifest von „Shinui“.

  16. Siehe Rede von Oppositionsführer Peres am 18. 10. 1982 vor der Knesset: Der Kampf um den Staat Israel als jüdischer Staat. Informationsmaterial der Arbeiterpartei.

  17. Vgl. Eldar, in: Haaretz vom 14. 8. 1984.

  18. Vgl. Wahlprogramm des Likud (1— 6) und der Arbeiterpartei (a— 2) von 1984.

  19. Wahlprogramm der Arbeiterpartei 1984, Abschnitt A

  20. Wahlprogramm der Arbeiterpartei 1981 (c— 3). Die Arbeiterpartei betonte, daß jeder territoriale Kompromiß in Übereinstimmung mit den Sicherheitsbedürfnissen des Landes stehen muß. Vgl. S. Peres, in: Davar vom 29. 4. 1983.

  21. Vgl. S. Peres, in: Davar vom 29. 4. 1983; vgl. U. Schmoni, Leiter der Informationsabteilung der Arbeiterpartei, in: Davar vom 21. 12. 1982; vgl. Fernsehdiskussion Begin/Peres vom 25. 6. 1981.

  22. Ebd.

  23. Vgl. Dan Margalit, in: Haaretz vom 2. 8. 1984.

  24. Vgl. Schweitzer, in: Haaretz vom 6. 4. 1984: vgl. Eldar, in: Haaretz vom 29. 7. 1984.

  25. Vgl. Haaretz vom 20. 8. 1984.

  26. Ebd.

  27. Vgl. Dan Margalit, in: Haaretz vom 2. 8. 1984.

  28. Vgl. G. Raphael, in: Haaretz vom 2. 8. 1984; vgl Eldar, in: Haaretz vom 29. 7. 1984.

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Amnon Neustadt, geb. 1950 in Kfar-Saba/Israel; nach sechsjährigem Militärdienst Studium der politischen Wissenschaft an der Universität Bonn; als Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung 1982 Promotion zum Thema: Die deutsch-israelischen Beziehungen im Schatten der EG-Nahostpolitik; seit 1983 Lehrtätigkeit an der Universität Tel-Aviv im Rahmen der Phil. Fakultät im Institut für Staatswissenschaft