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Krisenherd Naher Osten Machtdiffusion als Folge wachsender Komplexität des internationalen Sicherheitssystems | APuZ 18/1986 | bpb.de

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APuZ 18/1986 Krisenherd Naher Osten Machtdiffusion als Folge wachsender Komplexität des internationalen Sicherheitssystems Friedensfühler im Bombenhagel: Mittelost 1985/86. Libanon: Mehr Konflikte als Konsens Die Golfstaaten zwischen Ölboom und Ölpreisverfall

Krisenherd Naher Osten Machtdiffusion als Folge wachsender Komplexität des internationalen Sicherheitssystems

Udo Steinbach

/ 36 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die beiden Supermächte versucht, ihren Einfluß im Nahen Osten auszuweiten. Ihren Bemühungen, dabei die Regionalmächte auf ihre Seite zu ziehen, entsprachen bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre relativ klare regionale politische Verwerfungslinien -namentlich die Konfliktkonstellationen Israel versus arabische Staaten und „traditionalistische“ versus „progressive“ Regime. Die Revolution in Iran und das davon ausgehende Vordringen des islamischen Fundamentalismus, der Abschluß der Abkommen von Camp David (1978) mit der damit zusammenhängenden Neugruppierung der Machtkonstellation innerhalb des arabischen Lagers sowie der Ausbruch des irakisch-iranischen Krieges, der zu neuen Allianzbildungen im Nahen Osten geführt hat, haben eine diffuse Machtkonstellation entstehen lassen, die die Nahostpolitik der beiden Supermächte mit zahlreichen Widersprüchen und politischen Dilemmata konfrontiert. Andererseits hat sich mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan ihre Rivalität verschärft und Supermachtpolitik in der Region zu einem konsequenten Null-Summen-Spiel werden lassen. Während die USA mit der Verwirklichung der Abkommen von Camp David das Bestreben verbanden, der sowjetischen Nahostpolititk den Boden zu entziehen, hat die Sowjetunion ihren Einfluß zu erhalten und zu verstärken gesucht, indem sie amerikanische Friedensinitiativen zum Scheitern zu bringen versucht hat. In diesem Pokerspiel hat nicht nur die Nahostpolitik beider Mächte an Geradlinigkeit eingebüßt, sondern konnten auch die jeweiligen regionalen Klienten ihren Handlungsraum erweitern und die Großmächte teilweise ins Fahrwasser ihrer Interessen bringen. Im circulus vitiosus von internationaler Polarisierung und wachsender regionaler Spannung und Radikalisierung droht die Suche nach Frieden in der Region immer mehr aus den Augen verloren zu werden. Ein Zwang dazu ist schließlich um so weniger gegeben, als es die beiden Supermächte bisher verstanden haben, den politischen Schaden ihrer Nahostpolitik zu begrenzen und zu vermeiden, daß ihre globalen bilateralen Beziehungen durch die Krisen im Nahen Osten nachhaltig belastet werden.

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um einen Vorabdruck aus dem in Kürze erscheinenden Sammelband von Rudolf Hamann (Hrsg.), Die Süddimension des Ost-West-Konfliktes, Nomos Verlag, Baden-Baden 1986.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Nahe Osten Schauplatz einer intensiven Rivalität der beiden Supermächte. Die geopolitische Lage der Region, namentlich ihre Nähe zu Europa, dem zentralen Schauplatz des Ost-West-Konflikts, und wirtschaftliche Interessen, vor allem die Sicherung der Ölversorgung, haben bewirkt, daß sich die USA und die Sowjetunion in einem Ausmaß engagiert haben, wie dies in keinem anderen Teil der Welt außerhalb Europas der Fall gewesen ist.

Die zahlreichen Konflikte und Spannungen im Nahen Osten haben die beiden Großen fast immer hinter den involvierten Parteien gesehen; und stets haben sich die regionalen Akteure ihrerseits der Supermachtunterstützung zu versichern gesucht. Im arabisch-israelischen Konflikt, in der Rivalität zwischen unterschiedlichen Ideologien und Ideologen, in den Machtkämpfen zwischen Parteien und ihren Politikern sowie in den ethnischen Spannungen innerhalb der neu entstandenen Staaten sind die beiden Supermächte — mit unterschiedlicher Intensität — Konfliktparteien geworden. Zu keinem Zeitpunkt freilich haben sich diese in eine unmittelbare Auseinandersetzung miteinander, ja nicht einmal in eine anhaltende politische Krise verwickeln lassen — die Eskalation der Spannungen am Ende des vierten arabisch-israelischen Krieges (Oktober 1973), die schließlich zur Anordnung der erhöhten Alarmbereitschaft der amerikanischen Streitkräfte führte, ist eine Ausnahme geblieben und bestätigt eher die Regel. Im Rückblick erscheint diese Krise als das Ergebnis eines kalkulierten Pokers auf beiden Seiten, in dem diese versuchten, ihre Karten im Blick auf die Entwicklungen nach dem Krieg, ins-besondere auf die anstehenden Verhandlungen um eine Beilegung des Nahostkonflikts, zu verbessern. Innerhalb des ausgedehnten Raumes zwischen dem Maghreb im Westen und Pakistan im Osten lassen sich zwei Subregionen erkennen, die aufgrund ihrer geographischen Lage sowie ihrer politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Auseinandersetzung der beiden Supermächte um Einfluß und Vorherrschaft im Nahen Osten setzen: 1. Der „Nördliche Gürtel“ mit der Region des persisch-arabischen Golfs. Diese Region liegt „vor der Haustür“ der Sowjetunion und ist im Zusammenhang der jahrhundertelangen Südexpansion Rußlands ein traditionelles Feld politischer und militärischer Interaktion zwischen Moskau und den jeweiligen Staaten oder Reichen gewesen, die in der Geschichte zum Teil weit in die heute zur Sowjetunion gehörenden Gebiete hineinragten. Mit den türkischen Meerengen im Westen und dem Golf im Osten liegen hier zwei Brennpunkte russischer Interessen. Letzterer hat durch den Faktor Erdöl seit dem Zweiten Weltkrieg noch eine gesteigerte Bedeutung erhalten. Die Supermachtrivalität war hier im wesentlichen durch machtpolitische und durch wirtschaftliche Erwägungen bestimmt.

2. Der arabische Raum. Für beide Supermächte ist er erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den Mittelpunkt ihrer Interessen gerückt. Im Brennpunkt ihrer Rivalität steht hier der arabisch-israelische Konflikt mit seinen zahlreichen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Nebenschauplätzen. Die Interessen der beiden Supermächte in dieser Region zwischen dem Atlantik und dem Horn von Afrika sind komplexer und insofern weiterreichend, als sie im Zusammenhang mit ihren Interessen im Mittelmeerraum, im Indischen Ozean und in Afrika zu sehen sind. Zwischen beiden Subregionen bestehen zahlreiche politische Wechselbeziehungen; diese sind vor allem am Golf spürbar, an den sieben arabische Staaten anrainen und der von arabischer Seite als „arabisches“ Gewässer beansprucht wird. Zwei Entwicklungen sind es gewesen, die Anfang der siebziger Jahre die Golfregion zu einem Teil der internationalen Sicherheitspolitik auf regionaler und internationaler Ebene gemacht haben:

1. die Emanzipation der Region nach dem Rückzug Großbritanniens „East of Suez“ (1971) und der wirtschaftliche Aufstieg der ölproduzierenden Staaten; sowie 2. die Verwirklichung der sicherheitspolitischen Konzeption der US-Administration Nixon/Kis-singer, nach der ein amerikanisches Engagement in Friedensbemühungen um den arabisch-israelischen Konflikt ein Bestandteil des Strebens nach Sicherung der Golfregion im Sinne westlicher Interessen, und das hieß wesentlich der Zurückdrängung der Sowjetunion aus der Nahostregion, sein müsse. Umgekehrt haben die Bedrohungen der Sicherheit der Golfregion gegen Ende der siebziger Jahre, namentlich die Unruhen in Iran und die Invasion der Sowjetunion in Afghanistan, auf die politische Konstellation in der durch den arabisch-israelischen Konflikt geprägten Region zurückgewirkt.

Trotz der Verflechtungen, die im folgenden nicht außer acht gelassen werden können, ist die Kern-region des Nahen Ostens ein Raum, der im Rahmen der Nah-und Mittelostpolitik der beiden Supermächte einen eigenen Stellenwert einnimmt. Auf ihn wird sich die folgende Darstellung im wesentlichen beschränken.

II. Die Region seit 1978: Diffusion der Machtstrukturen

Abbildung 1

Das Ringen der Supermächte um Einfluß im Nahen Osten von der Mitte der fünfziger bis Ende der siebziger Jahre hat vor dem Hintergrund relativ klarer regionaler Verwerfungslinien stattgefunden; der arabisch-israelische Konflikt war die eine und der innerarabische „Kalte Krieg“ die andere. Während sich die USA auf Seiten Israels engagierten, machte sich die Sowjetunion zum Anwalt der „arabischen Sache“. Und während Moskau die Gemeinsamkeit mit den „progressiven“ arabischen Regimen suchte, stützte Washington die „konservativen“ Regime gegen den starken inneren und äußeren Druck von Seiten der „progressiven“ Kräfte. Beide Verwerfungslinien liefen insofern parallel, als — grosso modo — die „progressiven“ Regime eine militante Politik gegenüber Israel verfolgten, während die „konservativen“ Regime eher zu einer Kompromißlösung bereit schienen.

Der Zeitraum 1978/79 stellt einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung des Nahen Ostens dar (vergleichbar der ägyptischen Revolution von 1952). Zwei Ereignisse sind im Rahmen der hier dargestellten Thematik von herausragender Bedeutung: der Abschluß des „Camp-David“ -Abkommens (September 1978) mit dem darauf folgenden Abschluß des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages (März 1979) und der Sturz des Schahregimes in Iran durch eine islamisch inspirierte Revolution (Januar 1979). Damit war innerhalb weniger Monate eine tiefgreifende Neu-„Ordnung“ eingeleitet, die die regionale Macht-konstellation fundamental veränderte. 1. Die Wandlung des „arabischen Lagers"

Die Bilanz der Vereinbarungen von „Camp David“ ist doppelgesichtig: Zwar war auf der einen Seite mit dem Abschluß des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages eine Kompromißlösung im arabisch-israelischen Konflikt auf der Grundlage „Frieden für Land“ möglich geworden. Auf der anderen Seite war es indessen nicht gelungen, die palästinensische Frage, das Kernstück des Konflikts, zu lösen, wie es in dem „Rahmen für den Frieden im Nahen Osten“, vereinbart in „Camp David“ stipuliert worden war. Damit erschien der ägyptisch-israelische Vertrag nunmehr als ein Separatfrieden, gegen den sich eine breite Front arabischer Staaten bildete, die ihre Position im Konflikt mit Israel geschwächt sahen. Ihr harter Kern bestand aus Syrien, dem Irak, Libyen, Südjemen und Algerien (sowie der PLO), die sich bereits nach dem Besuch Sadats in Jerusalem (November 1977) zur „Panarabischen Front der Standfestigkeit und Konfrontation“ zusammengeschlossen hatten.

Besonders gravierend an dieser Entwicklung war, daß die konservativen, d. h. zugleich gemäßigten Regime der Region zwischen Marokko im Westen über Jordanien bis Saudi-Arabien und Oman im Osten in ein politisches Dilemma gebracht wurden: Auf der einen Seite waren sie geneigt gewesen, den Schritt Präsident Sadats zu direkten Verhandlungen mit Israel zu unterstützen. Konsequenterweise waren sie auch in ihrer Beurteilung der Reise Sadats nach Jerusalem zunächst relativ zurückhaltend gewesen. Auf der anderen Seite konnten sie sich der Forderung nach arabischer Solidarität nicht länger verschließen, als deutlich wurde, daß die Möglichkeiten blockiert waren, den bilateralen ägyptisch-israelischen Frieden in einen Gesamtfrieden unter Einschluß einer gerechten Lösung der palästinensischen Frage zu erweitern. Sie waren nunmehr gezwungen, mit denjenigen Kräften im arabischen Lager gemeinsame Sache zu machen, die ihnen in der Vergangenheit mehr oder weniger feindseliggegenübergestanden hatten. Zugleich war mit dem Ausscheiden Ägyptens aus dem „arabischen Lager“ (Ausschluß aus der Arabischen Liga im März 1979) ein Vakuum entstanden, das zu füllen sich mehrere arabische Staaten, namentlich der Irak und Syrien, anschickten. 2. Die islamische Bedrohung Der Erfolg der islamischen Revolution und die Errichtung der „Islamischen Republik Iran“ (1979) waren von Anfang an Ereignisse von mehr als nur lokaler Bedeutung. Mit seiner Forderung nach der Errichtung einer „islamischen Ordnung“, die auf die Herstellung einer gerechten politischen und sozialen Ordnung sowie auf die Wiederherstellung der Würde und Unabhängigkeit der ganzen islamischen Welt (namentlich von den USA) zielte, stellte Ayatollah Chomeini die Legitimität nahezu aller bestehenden Regime der Region in Frage und implizierte den Export der islamischen Revolution. Damit war fürjene eine neuartige Bedrohung von außen wie von innen entstanden, die insbesondere von den südlichen Nachbarn Irans von Anfang an gespürt worden ist. Zugleich nahm das islamische Regime in Teheran eine militante Haltung gegenüber Israel ein und unterstützte die anti-israelischen Kräfte. Der Faktor des revolutionären Islam, der sich im Ausbruch des irakisch-iranischen Krieges und nach der israelischen Invasion auch im Libanon manifestierte, begann die Region umzugestalten und das Muster der Interaktion zwischen den Regionalmächten untereinander sowie mit den Supermächten zu beeinflussen.

In der diffusen regionalen Situation, in der die Muster der regionalen Machtstrukturen, ihrer Allianzen und Gewichtungen in Fluß geraten waren, sind Ansätze zu einer regionalen Neuordnung der Machtverhältnisse im arabischen Raum unternommen worden. Die Zurückdrängung des Einflusses der beiden Supermächte, die Minderung des Konfliktpotentials am Golf und eine Stabilisierung der innerarabischen Beziehungen waren Ziele eines Plans, den der irakische Staatspräsident Saddam Hussein im Februar 1980 als Reaktion auf die sowjetische Invasion in Afghanistan vorschlug. Im Mittelpunkt dieses als „Nationale Charta“ deklarierten Plans standen sieben Punkte, nach denen sich das Zusammenleben der arabischen Staaten regeln sollte. Diese waren: — die Ablehnung der Präsenz oder der möglichen Stationierung ausländischer Tuppen in einem arabischen Land;

— das Verbot jeglicher Gewaltanwendung seitens eines arabischen Staates gegen einen anderen arabischen Staat;

— die Beilegung von Konflikten mit friedlichen Mitteln;

— die Anwendung des vorstehend genannten Prinzips auf die Beziehungen innerhalb der „arabischen Nation“ und auf die Länder, die der arabischen Welt benachbart sind;

— die Solidarität aller arabischen Länder gegenüber jeder Aggression;

— die Heraushaltung der arabischen Länder aus innernationalen Konflikten oder Kriegen; sowie — die Verpflichtung der arabischen Länder zur gedeihlichen Zusammenarbeit.

Mit dem Ausbruch des irakisch-iranischen Krieges (September 1980) sind die Ansätze zu einer Neuordnung der Region in sich zusammengebrochen. Viele Anzeichen sprechen dafür, daß der irakische Präsident Saddam Hussein einen Triumph über das islamische Regime in Teheran in sein innerarabisches Kalkül einbezogen hatte: Ein solcher hätte ihn zum unbestrittenen arabischen Führer gemacht — dies um so mehr, als die meisten arabischen Regime sich von Chomeini und seiner islamischen Propaganda bedroht fühlten und seine Niederlage als eine Befreiung von dieser Bedrohung empfunden worden wäre. Der wirtschaftliche und militärische Aderlaß, verbunden mit einem sinkenden Prestige des Irak, haben schließlich derartige Pläne wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen. Darüber hinaus hat der Ausbruch des Krieges neue Friktionen im arabischen Lager geschaffen: Bereits in der zweiten Jahreshälfte 1979 hatten sich die Beziehungen zwischen Syrien und dem Irak rapide verschlechtert, nachdem Bagdad Damaskus beschuldigt hatte, im Juli 1979 einen Putschversuch gegen Saddam Hussein unterstützt zu haben. Mit dem Ausbruch des Krieges beschuldigte nun Syrien den Irak, diesen Krieg angezettelt zu haben, und stellte sich hinter Iran, darin gefolgt von zwei weiteren Mitgliedern der „Front der Standhaftigkeit“, nämlich Libyen und Südjemen. Damit war nicht nur ein weiterer tiefer Riß in das arabische „Lager“ gebracht, sondern die Chance verspielt, in einer Situation, in der die Region nach der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan (Ende 1979) der Gefahr ausgesetzt war, in den Ost-West-Gegensatz tiefer hineingerissen zu werden, einen regionalen Sicherheitsverbund zu gründen, der eine von den Großmächten unabhängigere Politik gestattet hätte.

Die letzte Friktion, die einen nachhaltigen Einfluß auf die regionale Machtkonstellation ausgeübt hat, ist die Spaltung der PLO in einen gemäßigten und einen radikalen Flügel. Diese Spaltung, die im Mai 1983 an die Oberfläche trat, reflektiert zum einen tiefgreifende Unterschiede hinsichtlich der Ziele und der Taktik des Kampfes der PLO; nach deren Vertreibung aus Beirut mußten sich diese Unterschiede zwangsläufig verschärfen. Zum anderen ist die Spaltung eine Folge des Versuchs des syrischen Präsidenten Hafiz al-Assad, die PLO stärker unter syrische Kontrolle zu nehmen. Während PLO-Führer Arafat Anfang 1983 gemeinsam mit Jordanien eine Verhandlungslösung im Konflikt mit Israel suchte, lag Syrien, das dabei nichts zu gewinnen hatte, daran, den Kampf fortzuführen. In seinem Bemühen, Arafat (und die PLO als unabhängigen Faktor der arabischen Politik) auszuschalten, bediente sich der syrische Präsident der Dissidenten. Damit aber war die palästinensische Sache als das Kernstück des arabisch-israelischen Konflikts in den Reißwolf innerarabischer Querelen geraten und offen für Manipulationen auswärtiger Mächte und Interessen.

Das Geflecht der ideologisch-politischen Verwerfungslinien bzw. Allianzen stellt sich — kurz umrissen — etwa wie folgt dar: Es bestehen zwei Polarisierungen grundsätzlicher Natur. Zum einen gibt es den ideologischen Konflikt zwischen der Islamischen Republik Iran als einem „islamischen“ System, welches seine Ideologie zu exportieren trachtet und darüber einen Krieg mit dem Nachbarland Irak führt, und dem islamischen Umfeld, das in der Interpretation der „Islamisten“ von illegitimen Regimen beherrscht wird und das sich seinerseits von dem islamisch-revolutionären Feuer Irans bedroht fühlt. Zum anderen gibt es den arabisch-israelischen Konflikt, in dem sich trotz erkennbarer Anzeichen von Verhandlungswillen auf beiden Seiten die Konfliktpartner, d. h. Israel und das arabische Lager, feindselig gegenüberstehen. Diese beiden Verwerfungslinien werden von einer Vielzahl von Verbindungen und Interaktionen überlagert, die durch die reale Interessenlage der nationalen Akteure (oder einzelner Persönlichkeiten) bestimmt sind. Dadurch gleicht die politische Landschaft des Nahen Ostens einem Kaleidoskop, in dem immer neue Konfigurationen entstehen. Zur Verdeutlichung mögen einige Beispiele genügen:

— Trotz des arabisch-nationalen Charakters des Kampfes des Irak gegen Iran stehen eine Reihe arabischer Staaten (Syrien, Libyen, Südjemen) auf der Seite Irans, d. h. in Gegnerschaft zum Irak. — Trotz der fundamentalen Gegnerschaft zwischen der Islamischen Republik und Israel hat letzteres Iran zumindest in der Anfangsphase des Krieges unterstützt. Dahinter stand (und steht) das Interesse, einen militärischen Erfolg des damals noch militant anti-israelischen Irak, der sich anschickte, eine arabische Führungsrolle zu spielen (s. o.), zu verhindern. In Teheran treffen sich also die Interessen so eigentümlicher „Alliierter“ wie Israel auf der einen Seite und Syrien (sowie Libyen) auf der anderen Seite.

— Zwar ist Ägypten noch immer offiziell im arabischen Lager geächtet (sprich: aus der Arabischen Liga ausgeschlossen), da auch Präsident Mubarak an dem Abkommen mit Israel festhält. Andererseits hat sich ein Annäherungsprozeß an einen Teil des arabischen Lagers vollzogen, der sich nicht nur in der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Kairo und Am-man dokumentiert, sondern auch zu einer politischen und militärischen Zusammenarbeit zwischen Ägypten und dem Irak geführt hat. Diese Zusammenarbeit ist in dem Besuch von Mubarak in Bagdad (März 1985) öffentlich manifestiert worden. Damit hat sich das irakische Regime, das zwischen 1978 und 1980 alle arabischen Kräfte gegen das Abkommen von Camp David und den ägyptisch-israelischen Vertrag zu mobilisieren ge7 sucht hat, mit diesem abgefunden und nimmt stillschweigend die laufenden Friedensbemühungen hin, die von dem Nachbarland Syrien, das durch die gleiche panarabisch-sozialistische Partei (Baath) geführt wird, nachdrücklich abgelehnt werden. — Die konservativen Golfstaaten — allen voran Saudi-Arabien — unterstützen zwar den Irak in seinem Kampf gegen die gemeinsame islamische Bedrohung aus Teheran mit erheblichen, vor allem finanziellen Mitteln; zugleich reihen sie sich in das Lager der gegenüber Israel kompromißlosen arabischen Staaten ein. Andererseits fließen erhebliche Mittel auch in die Kasse Syriens, des Staates also, der durch seine Allianz mit Iran der arabisch-nationalen Sache in den Rücken gefallen ist und durch die Stärkung des islamischen Regimes dazu beiträgt, daß dieses an der Macht bleibt. Die Golfstaaten „honorieren“ auf diese Weise die feste Haltung Syriens gegenüber Israel. — Verschärft werden diese Widersprüche durch die Spaltung der PLO. Einerseits unterstützen die Gemäßigten den Flügel um Yasir Arafat (der auch für den Augenblick Ägyptens Sonderbeziehung zu Israel hinnimmt), andererseits sehen sie tatenlos der Eliminierung dieses Flügels (einschließlich seiner Anhänger in den Flüchtlingslagern in Beirut und anderenorts) zu. Die Islamische Republik Iran, die sich die Unterstützung der palästinensischen Sache von Anfang an hat angelegen sein lassen, leiht einer solchen „Maßnahme“ in Gestalt der libanesischen Amal-Miliz von Nabih Berri noch ihren Arm.

Die vorstehend aufgeführten Friktionen und Allianzen sollen andeuten, in welche Richtung sich der Nahe Osten als politische Bühne in den letzten Jahren entwickelt hat. Was darin zum Ausdruck kommt, ist eine Diffusion der Machtverhältnisse in der Region zwischen dem Maghreb und dem Golf, wie es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht der Fall gewesen ist.

III. Die Supermächte im regionalpolitischen Treibsand

Die Skizzierung des regionalen Kraftfelds bildet den Hintergrund für das Verständnis der Interaktion zwischen den beiden Supermächten in der Region und mit den Regionalmächten. Daraus ergibt sich quasi selbstredend, daß sich beide bei dieser Interaktion einem beständigen und unvermeidlichen Dilemma gegenübersehen, da sie es (im Unterschied zu den sechziger Jahren) kaum mit eindeutigen ideologischen oder machtpolitischen Potenzen zu tun haben. Diese Dilemmata lassen sich in vier Punkten zusammenfassen: — Die beiden Supermächte sind beständig auf der Suche nach regionalen Partnern, über die sie ihren Einfluß projizieren können. Diese Suche hat den Charakter eines Null-Summen-Spiels, in dem beide ihren regionalen Gewinn als einen Verlust der anderen Seite buchen. — Das Interesse an der Region und die Präsenz der beiden Supermächte in ihr tragen zur Ausbildung bzw. Verschärfung regionaler Konflikte und Spannungen bei. Angesichts der Notwendigkeit, Einfluß „by proxy“, also durch Stellvertreter, nehmen zu müssen, bieten andererseits bestehende Konflikte und Spannungen die Grundlage ihrer Präsenz in der Region. Ein Interesse an

Konfliktbeilegung ist damit nicht an sich, sondern nur unter Bedingungen gegeben, die zur Erreichung ihrer jeweiligen Ziele vorteilhaft sind.

— Das regionale Engagement der beiden Supermächte wirkt auf ihre Beziehungen zueinander zurück. Spannungen auf der regionalen Ebene können zu Spannungen zwischen ihnen führen, wenn sie ihre Interessen und ihren Einfluß berührt sehen. Damit stellt sich die Frage, inwieweit sie die Kapazität zum Krisenmanagement haben.

— Angesichts des starken Interesses der beiden Supermächte auf der einen und ihres Angewiesen-seins auf regionale Stellvertreter auf der anderen Seite sind die Möglichkeiten einer Kontrolle über die Politik der Regionalmächte und der Steuerung regionaler Entwicklungen gemäß ihren Interessen nur bedingt gegeben. Die Entwicklungen der letzten Jahre dokumentieren, daß die Regional-mächte immer wieder die beiden Großen im Sinne ihrer Eigeninteressen ins „Schlepptau“ genommen haben.

Die thesenhaft aufgezeigten Zusammenhänge sollen im folgenden an den Entwicklungen im Zeitraum seit 1978 verdeutlicht werden. Dabei sollen die vier Tatbestände nicht getrennt, sondern in ihrer Verflochtenheit, in der die Tiefe der Krise des Nahen Ostens und das weltpolitische Spannungspotential dieser Region liegen, nachgezeichnet werden.

Der Abschluß des Abkommens von „Camp David“ hatte zwar gezeigt, daß der Frieden auf der Grundlage eines gerechten quid pro quo möglich ist. Seine grundlegende Schwäche war freilich, daß die Sowjetunion in keiner Weise an seinem Zustandekommen, am Friedensprozeß und an der Gestaltung der Zukunft der Region beteiligt war. „Camp David“ mußte also auch als Versuch gesehen werden, in dem Ringen der beiden Supermächte um Einfluß die Sowjetunion ein für allemal zurückzudrängen. Es war somit das letzte Glied einer Kette von ähnlichen Ansätzen, die bereits von der vorherigen amerikanischen Administration Nixon/Kissinger seit dem vierten Nahostkrieg vom Oktober 1973 ins Werk gesetzt worden waren.

Damit war dem Abkommen von vornherein insofern eine ungewisse Zukunft vorgezeichnet, als die Sowjetunion zur Wahrung bzw. Rückgewinnung ihrer Position in der Region alles daransetzen mußte, es zu Fall zu bringen. Die Liquidierung von „Camp David“ mußte zwangsläufig der Kernpunkt sowjetischer Nahostpolitik werden. „Camp David“ war der Einsatz, um den das Null-Summen-Spiel der beiden Großen nun gehen mußte: Jeder Schritt zu seiner Verwirklichung bedeutete dabei ein Plus für Washington und ein Minus für Moskau; jeder Erfolg bei der Blockierung seiner Implementierung war ein Gewinn für Moskau und ein Verlust für Washington. Dabei war das Muster der Konfliktaustragung vorgezeichnet: Wie die USA sich ihrer Alliierten versichert hatten, um mit „Camp David“ ihre Position zu festigen, mußte die Sowjetunion sich auf die Seite derjenigen schlagen, für die „Camp David“ ihren Interessen entgegengesetzt war und die ihrerseits alles daransetzten, das Abkommen zu Fall zu bringen.

Damit waren die Fronten klar und die Ebene bestimmt, auf der das amerikanisch-sowjetische Ringen ausgetragen werden mußte. Die Rivalität der Großmächte war untrennbar mit dem Konflikt der Regionalmächte verbunden; zugleich ließ sich voraussehen, daß diese ihrerseits den Versuch machen würden, die Großmächte und ihre Auseinandersetzungen ihren Interessen und Vorstellungen hinsichtlich des weiteren Gangs der Dinge im Bereich des arabisch-israelischen Konflikts dienstbar zu machen. Nach „Camp David“ wurde die Nahostpolitik zu einem Poker mit erheblichen Einsätzen seitens aller Beteiligten. Davon zeugen solche dramatischen Ereignisse wie die Bombardierung des irakischen Atomreaktors durch Israel (Juni 1981), die Ermordung des ägyptischen Präsidenten Sadat (Oktober 1981), einem der Architekten von „Camp David“, die Invasion Israels im Libanon (Juni 1982), die Radikalisierung des Konflikts im Libanon 1983/84 und die Auslösung des Bruderkriegs in der PLO mit den Rückwirkungen, die dies im Libanon und im ganzen Nahen Osten gehabt hat. Daß auch der Ausbruch des irakisch-iranischen Krieges im September 1980 mit dem Ringen um „Camp David“ zu tun hat, ist oben bereits angedeutet worden. Zur Zeit ist der Ausgang des Pokers und damit die Zukunft des Nahen Ostens offen. Mit der Friedensinitiative des jordanischen Königs Hussein und des Führers der PLO Arafat vom Februar 1985 und den Reaktionen darauf in Israel, innerhalb der arabischen Welt sowie in Washington und Moskau sind die Karten nur einmal mehr neu gesteckt worden. Auch nach dem vorläufigen Abbruch der Gespräche mit Arafat durch König Hussein (Anfang 1986) wird das Spiel weitergehen.

Es ist wesentlich festzustellen, daß die Entwicklungen im Nahen Osten seit 1978/79 — stärker als im Zeitraum davor — nur durch die Betrachtung der beiden Ebenen, nämlich der lokalen und regionalen einerseits sowie der internationalen andererseits, und ihrer Interaktion verstanden werden können. Mit „Camp David“ und den Aktionen und Reaktionen, die es ausgelöst hat, ist eine eigene regionale Dynamik in Bewegung gesetzt worden; Ablauf und Richtung dieser Dynamik aber sind nicht zu trennen von den Koordinaten, die durch die beiden Supermächte, ihre Interessen und ihre Politik im Nahen Osten, gegeben sind. Eine Betrachtung der Entwicklungen ausschließlich in der regionalen Dimension wäre genauso unvollkommen (und unrichtig) wie die ausschließliche Betrachtung aus der Perspektive der Großmachtpolitik (wie es z. B. bei der Verschwörungstheorie, der die weitaus größte Anzahl der Menschen im Nahen Osten anhängt, der Fall ist). Im folgenden soll der Versuch gemacht werden, in aller Kürze diese Interaktion zu verdeutlichen. Wenn dabei die internationale Dimension allzu bestimmend in den Vordergrund tritt, so liegt diese Überzeichnung in der Natur der Themenstellung des Beitrags und bedeutet nicht eine Unterschätzung des Stellenwerts der regionalen Wirkkräfte.

IV. Null-Summen-Spiel um „Camp David“

Mit dem Abschluß des ägyptisch-israelischen Vertrages war die Spaltung des arabischen Lagers vollzogen. Auf der einen Seite stand Ägypten (dem lediglich eine kleine Zahl peripherer Staaten die Gefolgschaft bewahrte), auf der anderen die Mehrheit der arabischen Staaten, die das Abkommen und den ganzen „Camp David-Prozeß“ zurückwiesen. Den Kern dieser Gruppierung bildete die „Front der Standhaftigkeit“. Ihre als „progressiv“ eingestuften Regime hatten sich seit jeher als kompromißlos gegenüber Israel gezeigt und verfügten über mehr oder minder enge Beziehungen zur Sowjetunion.

Die Allianz zwischen den Regimen der „Front der Standhaftigkeit“ und der Sowjetunion wurde von 1979 an ein bestimmendes Element der Konstellation im Nahen Osten: Diese mußten sich der Unterstützung der östlichen Supermacht versichern, um ein Gegengewicht zu der Präsenz der USA auf der israelisch-ägyptischen Seite zu setzen; die Sowjetunion bedurfte ihrer, um ihrerseits regionale Partner zur Wahrung eigener Interessen und zur Durchsetzung ihres Einflusses zu haben. Moskau erhob den Anspruch, das eigentliche Interesse der Araber im Rahmen eines gerechten Friedens zu unterstützen. Indem es der Polemik der Staaten der „Standhaftigkeitsfront“ folgte, die „Camp David“ als Verrat an der gemeinsamen Sache brandmarkten, und deren radikale Forderungen unterstützte, begann es, seine Aktivitäten darauf zu richten, die Ergebnisse von „Camp David“ zu Fall zu bringen. Das Null-Summen-Spiel hatte begonnen: Der Erfolg Moskaus würde darin liegen, amerikanische Initiativen scheitern zu lassen und daraus politische Pluspunkte zu erwerben.

Die Invasion der Sowjetunion in Afghanistan machte die Situation komplexer. Die USA sahen ihre Interessen nunmehr unmittelbar bedroht und mußten reagieren. Präsident Carters „State-ofthe-Union“ -Ansprache vom Januar 1980, in der er u. a. erklärte: „... Jeder Versuch einer äußeren Macht, Kontrolle über die Golfregion zu erlangen, wird mit allen notwendigen Mitteln zurückgeschlagen werden — einschließlich militärischer Macht“ (Carter Doctrin), markierte insofern einen Wendepunkt in der Nahostpolitik Washingtons, als nunmehr das „Containment“ gegen eine militärische Expansion Moskaus in den Vordergrund trat. Für Washingtons Politik im nahöstlichen Raum gewann damit die Konzeption eines „Strategie consensus“ Priorität. Dessen Ecksteine sollten Israel und Ägypten bilden, doch war in einem weiteren geographischen und politischen Umfeld auch an die Einbeziehung der konservativen Regime der Region, namentlich Jordaniens, Saudi-Arabiens und Omans gedacht.

Diese Neuorientierung hatte auf den „Camp David-Prozeß“ insofern tiefgreifende Auswirkungen, als nun nicht mehr die Lösung einer so komplexen Problematik, wie sie die Palästinenserfrage darstellt, sondern die Erhaltung des ägyptisch-israelischen Vertrages und damit die Anbindung der beiden militärisch gewichtigsten Staaten im Nahen Osten im Vordergrund amerikanischen Interesses stand. Als im Mai 1980 die Verhandlungen über einen Autonomiestatus des besetzten Westjordanlandes ausgesetzt wurden, war aus dem ägyptisch-israelischen Friedensvertrag tatsächlich ein Separatvertrag geworden und die umfassende Lösung des arabisch-israelischen Konflikts aus den Augen verloren. „Camp David“ war in die Sackgasse geraten.

Im Lichte der durch die sowjetische Invasion in Afghanistan eingeleiteten Wandlung der Schwerpunkte der Nahostpolitik der USA müssen auch die bilateralen amerikanisch-israelischen Beziehungen gesehen werden. Die 1977 erstmals in der Geschichte Israels in Jerusalem an die Macht gekommene Likud-Regierung hatte nicht nur von Anfang an klargestellt, daß sie nicht an eine Rückgabe von „Judaea“ und „Samaria“ denke, sondern bald nach Abschluß der Abkommen von Camp David wieder damit begonnen, neue Siedlungen im Westjordanland anzulegen. Dies führte zu Spannungen mit Präsident Carter, der davon ausgegangen war, daß Israel für die Dauer der Autonomieverhandlungen keine weiteren faits ac-complis schaffen werde.

Mit dem wachsenden Stellenwert Israels im Rahmen des neuen Sicherheitskonzepts begann Jerusalem, in seiner Regionalpolitik eine von Washington zunehmend unabhängige Politik zu verfolgen. Immer weniger schien die Regierung in Jerusalem die Interessen Washingtons in Betracht zu ziehen. Mit Maßnahmen wie den oben genannten, zu denen noch die Annektion Jerusalems (Juli 1980) und der Golan-Höhen (Dezember 1981) zu zählen sind, brachte Israel die USA gegenüber ihren arabischen Partnern in wachsende Schwierigkeiten. Washington signalisierte zwar wiederholt seinen Unmut, machte aber keine Anstalten, die Regierung Begin zu einer Aufgabe ihrer Politik der Provokation zu bewegen. Als die israelischen Truppen, die am 6. Juni 1982 in den Libanon eingedrungen waren, um eine vierzig Kilometer breite Sicherheitszone gegen die Angriffe palästinensischer Guerillas auf Israels Nordgrenze einzurichten, schließlich vor Beirut standen und die Stadt einkesselten, war Washington gegenüber seinen arabischen Freunden in eine Lage gebracht, die es angezeigt erscheinen ließ zu prüfen, ob die seit 1980 im Nahen Osten gesetzten Prioritäten den Realitäten innerhalb und außerhalb der Region entsprachen oder ob sich Washington nicht wieder einmal in eine gefährliche politische Sackgasse manövriert hatte.

Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Beziehungen der Regionalstaaten zu den Supermächten, sprich: namentlich der Pendelschlag in Richtung auf die Sowjetunion, waren nicht so weitreichend, wie dies nach den Regeln des Null-Summen-Spiels zu erwarten gewesen wäre. Die Ursache dafür lag in einer Reihe von Faktoren, die den Handlungsspielraum und die Möglichkeiten, politische Optionen wahrzunehmen, erheblich einschränkten. Da ist zunächst noch einmal die Invasion der Sowjetunion in Afghanistan zu nennen. Diese hatte nicht nur die Neuorientierung der amerikanischen Nahostpolitik bewirkt, sondern zugleich war Moskau durch sie bei der Mehrzahl der Regionalstaaten derart diskreditiert, daß eine allzu enge Anlehnung an die Sowjetunion nicht möglich war, ohne in den Ruch der Komplizenschaft zu geraten. Darüber hinaus war nun eine direkte militärische Bedrohung am Nordrand der Nahostregion entstanden, die nicht weniger ernst zu nehmen war als die Bedrohung, die von Israel oder vom „Komplott“ der „Camp-David“ -Politik Washingtons auszugehen schien. Das Dilemma und die Irritation spiegeln sich in den Ergebnissen der beiden Konferenzen wider, die in den ersten Monaten nach der sowjetischen Okkupation im Rahmen der „Organisation der Islamischen Konferenz“ in Islamabad abgehalten wurden. Während man auf der außerordentlichen Tagung der Außenminister im Januar 1980 die Sowjetunion nachdrücklich verurteilte und den Rückzug aus Afghanistan forderte, wurden auf der elften ordentlichen Konferenz der Außenminister im Mai bereits zurückhaltendere Töne angeschlagen: Die sowjetische Intervention trat hinter der Anklage der amerikanischen Nahostpolitik zurück, und die Afghanistan betreffenden Resolutionen wurden nicht mehr einstimmig verabschiedet. Im übrigen ist es bezeichnend, daß im Januar Syrien und Südjemen der Konferenz fern-geblieben waren. Ihnen war offensichtlich die Erhaltung sowjetischen Wohlwollens in ihrer Auseinandersetzung mit „Camp David“ gegenüber einem Engagement in einem sie nicht unmittelbar berührenden Konflikt wie Afghanistan prioritär.

Der zweite Faktor, der die Ost-West-Dichotomie verwischte und die Regeln des Null-Summen-Spiels aufweichte, war die islamische Revolution in Iran. Die meisten Regime der Region — ob sie einer Spielart des Sozialismus folgten oder sich religiös-traditionalistisch legitimierten — kamen nunmehr unter Legitimationsdruck und waren einer neuartigen Bedrohung durch den militanten Islam ausgesetzt. Damit wurde die Polarisierung zwischen „progressiven“ und „traditionalistischen“ Regimen, die seit der ägyptischen Revolution von 1952 die politische Grundkonstellation in der Region gekennzeichnet und die internationale Orientierung vorbestimmt hatte, fast bedeutungslos. Und das Muster, nach dem sich erstere an Moskau und letztere an Washington anlehnten, verlor seine Allgemeingültigkeit.

In dieser Situation vermochte keine der beiden Supermächte für die meisten der Regionalmächte eine Attraktivität zu entwickeln, die aus einer Gemeinsamkeit von Interessen und Zielen resultiert hätte. Der Irak sah eine Chance, das Dilemma auf militärischem Wege zu lösen und seine regionalen Interessen durch einen Krieg mit Iran zu verwirklichen (s. o.). Die konservativen Staaten der Arabischen Halbinsel reagierten auf doppelte Weise: Zum einen unterstützten sie den Irak in seinem Kampf gegen die islamische Bedrohung aus Teheran; zum anderen schlossen sie sich mit der Gründung des „Golf-Kooperationsrates“ (Februar 1981) zu einer Gruppierung zusammen, deren Ziele zwar vornehmlich wirtschaftlicher Natur sind, die aber zugleich auf die Verbesserung der inneren und äußeren Sicherheit der Mitglieder gerichtet ist (lediglich das am Rande der Region gelegene und damit besonders exponierte Oman schloß darüber hinaus im Juni 1980 ein Verteidigungsbündnis mit den USA).

Nur die Staaten der „Standhaftigkeitsfront“ gaben der Fortsetzung eines kompromißlosen Kampfes gegen Israel trotz der tiefgreifenden regionalen und internationalen Veränderungen weiterhin den Vorrang. Ausdruck davon war zum einen die Erhaltung einer engen Allianz mit Moskau (im Oktober 1980 wurde zwischen Syrien und der Sowjetunion ein Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit geschlossen). Zum anderen scherten sie aus der gemeinsamen arabischen Front, die sich hinter dem Irak in seinem Kampf gegen Iran gebildet hatte, aus und stellten sich an die Seite Irans. Die nach außen vorgetragene Rationale einer solchen Politik war, daß der Irak durch seine Aggression gegen die Islamische Republik Iran (die tatsächlich zunächst eine militant anti-israelische Politik verfolgte) der arabischen Sache gegen Israel Schaden zugefügt habe. Seit 1981 haben sich Syrien und Libyen in Richtung auf einen neuen Staatenbund bewegt (ohne freilich zu einem greifbaren Ergebnis zu kommen).

Beide Supermächte sind in diesem Zeitraum zwischen 1979 und 1982, d. h. vor der israelischen Invasion im Libanon, Pole in einem politischen Kraftfeld, in dem sie agieren und reagieren. Jede von ihnen hat die andere herausgefordert: die USA die Sowjetunion mit „Camp David“, die Sowjetunion die USA mit Afghanistan. Beide haben eine kleine Gefolgschaft, die ihnen die Treue hält — allerdings um den Preis, daß diese in erheblichem Maße ihre Eigeninteressen ohne Rücksicht auf die Interessen derjeweiligen Schutzmacht verfolgt; dies gilt namentlich für Israel und Syrien. Dazwischen steht eine Reihe von Regionalmächten (Jordanien, Saudi-Arabien, der Irak, die Golfstaaten), die in unterschiedlicher Weise inneren und äußeren Gefährdungen ausgesetzt sind und in größere Distanz zu den Supermächten gehen möchten. Ihr Spielraum freilich ist begrenzt. Aber auch die beiden Supermächte sind nicht frei von Dilemmata: In einem von so zahlreichen Widersprüchen zersetzten Raum zeitigt jedes Engagement — und sei es auch noch so selektiv — Widersprüche und Konflikte. Israel, Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien sind die Bezugspunkte unterschiedlicher Dilemmata amerikanischer Nahostpolitik in dieser Zeit; Iran, der Irak und Syrien die Bezugspunkte sowjetischer Schwierigkeiten.

V. Die Libanonkrise und die Supermächte

Die Invasion Israels im Libanon hat die Komplexität des Ringens beider Supermächte um Einfluß im Nahen Osten unter den Aspekten ihres Verhältnisses zueinander, ihrer Beziehungen zu den jeweiligen Klienten sowie der Dilemmata, denen beide dabei ausgesetzt sind, weiter verdeutlicht.

Ausbruch und Verlauf der Invasion selbst zeigen das Ausmaß an Eigenständigkeit auf Seiten der lokalen Akteure. Die Politik Israels und Syriens in der Libanonkrise war von der Priorität der eigenen Interessen über die Rücksichtnahme auf die Interessen ihrer jeweiligen Großmachtpartner gekennzeichnet. Die Entwicklungen unter diesem Vorzeichen nachzuzeichnen, ist nicht möglich, doch können die wichtigsten Punkte, an denen sich dieser Primat der Eigeninteressen manifestiert, markiert werden. Dazu zählen: 1. die Entscheidung, die Militäraktion über die Sicherung der Nordgrenze Israels hinaus fortzuführen und die PLO aus Beirut zu vertreiben. Damit geriet Washington in einen Konflikt mit seinen arabischen Partnern. 2.der Widerstand Israels gegen den am 1. September 1982 von Präsident Reagan verkündeten Plan zur Lösung des Nahostkonflikts. Anstelle des Rückzugs aus dem Libanon, der die Voraussetzung für Verhandlungen auf der Grundlage des „Reagan-Plans“ gewesen wäre, suchte Israel den Abschluß eines umfassenden israelisch-libanesischen Abkommens nach dem Vorbild des Friedensvertrages mit Ägypten. Als dieses am 17. Mai 1983 zustande kam, war bereits klar, daß es von der Mehrzahl der Libanesen und anderen Arabern abgelehnt würde. Nachdem in der Endphase der Verhandlungen schon der persönliche Einsatz des amerikanischen Außenministers George Shultz erforderlich gewesen war, sah sich Washington nunmehr auch gezwungen, zur Sicherung der Einhaltung des Abkommens und zur Erhaltung der Position von Präsident Amin Gemayel als dem Symbol der libanesischen Zentral-gewalt, mit der es geschlossen worden war, seine Truppen im Libanon zu verstärken. Damit war Washington in den nun einsetzenden Kämpfen zwischen der Zentralgewalt und ihren verschiedeB nen Gegnern Partei geworden; zugleich war es gelungen, politische Energien Washingtons vom zentralen Schauplatz der Palästinafrage abzulenken und auf einem Nebenschauplatz zu binden.

3.der Nachweis einer Eigenständigkeit Syriens, das während der Libanonkrise wachsende Unterstützung durch die Sowjetunion erhielt, namentlich in seiner Politik gegenüber der PLO. In dem Maße, in dem sich PLO-Führer Arafat an König Hussein annäherte, um eine gemeinsame Linie für Verhandlungen mit Israel (als Antwort auf den „Reagan-Plan“) festzulegen, wuchsen die Spannungen zwischen Arafat und dem syrischen Präsidenten Hafiz al-Assad. Syriens Interesse bestand von nun an darin, die PLO zu schwächen, um weitere politische Alleingänge, die mit dem Interesse Syriens unvereinbar waren, zu verhindern. Als im Mai 1983 innerhalb der PLO-Führung ein Streit über die weitere Strategie in der Palästinafrage ausbrach, nutzte Syrien diesen zur Spaltung der Bewegung. Mit der Vertreibung Arafats aus Syrien und Libanon (Anfang 1984) war der Bruch in einen Flügel um Arafat (der im Prinzip zu einer Kompromißlösung bereit war) und einen militanten, von Syrien abhängigen Flügel vollzogen. Für die Sowjetunion bedeutete dies einen politischen Rückschlag und ein Dilemma. Einen Rückschlag bedeutete es insofern, als Moskau in der PLO das Vehikel zur Lösung der palästinensischen Frage im Sinne des von ihm geforderten palästinensi-sehen Staates gesehen hatte; mit der Schwächung der Bewegung war der Sache selbst ein Schlag versetzt worden. Ein Dilemma bedeutete es insofern, als Moskau seit Ende der sechziger Jahre auf Arafat als einen gemäßigten Führer der PLO gesetzt hatte; nun stand es zwischen ihm und dem radikalen Flügel. Moskau wollte Arafat nicht fallenlassen, den militanten Flügel konnte es nicht ignorieren, wollte es Syrien, seinen Hauptverbündeten, nicht entfremden. Hafiz al-Assad hatte Syriens Interessen ohne Rücksicht auf den sowjetischen Partner durchgesetzt. Als er im Oktober 1984 Moskau besuchte, hat die sowjetische Führung ihn ihren Unmut spüren lassen.

Die Libanonkrise hat auch den Null-Summen-Charakter der Großmachtpolitik noch schärfer hervortreten lassen. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten, in die die USA durch die israelische Invasion gegenüber ihren arabischen Partnern gebracht wurden, hatte Washington mit den erfolgreichen Verhandlungen um den Rückzug der PLO aus Beirut einen beträchtlichen Erfolg zu verbuchen. Demgegenüber hatte sich die Sowjetunion darauf beschränkt, in Erklärungen die Aggression Israels zu verurteilen und die USA vor einer Einmischung zu warnen.

Die Verkündung des „Reagan-Plans“ (1. September 1983), die arabische Gipfelkonferenz von Fes (9. September 1983), auf der die arabische Seite ihrerseits Vorschläge für eine Verhandlungslösung machte, die mit den amerikanischen Vorstellungen nicht unvereinbar waren, sowie die Kontakte zwischen König Hussein und PLO-Führer Arafat zeigten, daß die USA — trotz der israelischen Zurückweisung des „Reagan-Plans“ — die meisten Karten für eine Vermittlung in der Hand hielten. Am 14. September präsentierte zwar der sowjetische Parteichef Breschnew noch einmal die sowjetischen Prinzipien für eine Kompromißlösung im arabisch-israelischen Konflikt. Aber obwohl sich diese sehr eng mit den arabischen Vorschlägen des Fes-Plans berührten, hatte die Bekanntmachung des „Breschnew-Plans“ kaum Reaktionen auf arabischer Seite hervorgerufen. Moskau schien aus dem Friedensprozeß weitgehend ausgeschieden.

Mit dem Aufstieg Syriens im Libanon ging zugleich ein come back der Sowjetunion im Nahen Osten einher. Ein massiver Transfer von Waffen nach Syrien setzte ein, der nicht nur die erheblichen Verluste vom Sommer 1982 wettmachte, sondern die Ausrüstung der syrischen Armee qualitativ noch verbesserte (die Lieferung der SAM 5 wurde ein Symbol für die sowjetische Bereitschaft, sich mit hohem Profil zu engagieren). Verbunden damit war eine propagandistische Kampagne gegen die Friedensbemühungen Washingtons, die israelisch-libanesischen Verhandlungen und schließlich gegen den Vertrag vom 17. Mai 1983. Die Verstärkung der multinationalen Friedenstruppe in dem wieder aufbrechenden Bürgerkrieg wurde als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Libanon, Unterdrükkung der patriotischen Kräfte oder gar als Besetzung verurteilt. Der Rückzug der amerikanischen Truppe aus Beirut wurde zur Vertreibung durch nationalistische Kräfte und die Aufkündigung des israelisch-libanesischen Abkommens zu einem sehr wichtigen Schritt für die Lösung aller nationalen Probleme im Libanon.

Die Unterstützung aller gegen die amerikanischen Friedensbemühungen gerichteten Kräfte, namentlich Syriens, hatte ihr letztes Ziel in der Un-terminierung der Glaubwürdigkeit der USA. Zu-13 gleich sollte demonstriert werden, daß nicht Washington, sondern Moskau der wahre Freund der Araber und eine wirkliche Friedenslösung ohne die Einbindung der Sowjetunion nicht zu erreichen sei. Tatsächlich hat die Regierung in Washington dann einen Fehler gemacht, der ihrem Anspruch, ein ehrlicher Makler zu sein, einen kräftigen Schlag versetzte und sie ihren eigenen Partnern entfremdete: Je stärker sich die Sowjetunion an der Seite Syriens engagierte und je massiver die USA und ihre Verbündeten im Libanon unter Druck gesetzt wurden, um so mehr setzte sich in Washington die Überzeugung durch, im Libanon dem Vordrängen Moskaus und seiner Verbündeten Einhalt gebieten zu müssen. Diese, so die amerikanische Einschätzung, bewirkten das Chaos im Libanon, um nicht nur jede Lösung des arabisch-israelischen Konflikts zu boykottieren, sondern generell den radikalen Elementen den Weg zu öffnen. Jener Eindruck wurde durch die israelische Propaganda nachdrücklich gestärkt. Als Washington und Jerusalem schließlich im November 1983 ein Abkommen über eine strategische Zusammenarbeit abschlossen, schien sich die Richtigkeit der Propaganda der arabischen Gegner Israels und der USA zu bestätigen, daß es sich nämlich bei der israelischen Libanon-Politik und insbesondere bei dem libanesisch-israelischen Abkommen um eine israelisch-amerikanische Verschwörung zur Schwächung der arabischen Front gehandelt habe. Die Beschießung arabischer Stellungen im Libanon durch Schiffe der Sechsten Flotte Anfang 1984 war eigentlich eher ein Zeichen der Schwäche und leitete das Ende der amerikanischen Libanon-„Politik“ ein, das mit der Rücknahme der Marines auf die Schiffe vor der libanesischen Küste gekommen war.

Die Enttäuschung und Bitterkeit auf Seiten der Partner der USA über das abermalige — selbst-verschuldete — Scheitern eines fruchtbaren Ansatzes der amerikanischen Nahostpolitik wird beispielhaft in einem Interview deutlich, das König Hussein im März 1984 der New York Times gab. Darin wird festgestellt, die USA hätten wegen ihrer einseitigen Unterstützung Israels ihre Glaubwürdigkeit als Vermittler im arabisch-israelischen Konflikt verloren. Er halte deswegen Verhandlungen bis auf weiteres für unmöglich. Syrien und mit diesem die Sowjetunion schienen ihr Ziel erreicht zu haben. Durch die Diskreditierung der USA war der Friedensprozeß erneut blockiert. Eine künftige Rolle Moskaus darin war kaum noch zu vermeiden.

VI. Zusammenfassung und Perspektiven

An der Präsenz der beiden Supermächte im Nahen Osten wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Der Stellenwert der Region für beide Seiten, weniger vielleicht wirtschaftlich als vielmehr politisch, ist in dem Maße eher gewachsen, in dem die Sowjetunion ihre Macht und ihren Einfluß über ihre Grenze hinaus nach Süden erweitert hat: Angola, das Horn von Afrika und Afghanistan (sowie — wenn auch in anderem Kontext — Südjemen) sind Marksteine in dieser Entwicklung. Der Nahe (und Mittlere) Osten ist heute ein gewichtiger Faktor in dem weltweiten Ringen beider Supermächte um Gleichgewicht. Andererseits ist die regionale Bühne für beide schwieriger und komplexer geworden. Angesichts des skizzierten Prozesses der Auflösung der politischen und weltanschaulichen Verwerfungslinien sowie der Verschiebung der Machtverhältnisse ist es kaum vermeidbar, daß die Politik der Großmächte in ihren Zielen, ihren Partnern und ihren Wirkungen Widersprüchen ausgesetzt ist. Dieser Umstand läßt es als wenig wahrscheinlich erscheinen, daß die beiden Supermächte in absehbarer Zeit in der Lage sein werden, zielgerichtet regionale politische und militärische Potentiale aufzubauen, die das Gleichgewicht gefährden bzw. sich im Falle einer globalen Spannung zwischen jenen für die eine oder andere Seite mobilisieren lassen würden. Die Situation ist für die USA insofern schwieriger (und es läßt sich in ähnlicher Weise von einer „Asymmetrie“ sprechen wie im Falle der Supermachtpolitik am Golf), als Washington zu handeln gezwungen ist. Die Fortdauer des Nahostkonflikts ist für den Westen dadurch gefährlich, daß von ihm Druck auf Regime ausgeht, an deren Stabilität er interessiert ist. Dabei kann es als eine unumstößliche Tatsache der Nahostpolitik gelten, daß eine Kompromißlösung nicht von den Konfliktparteien selbst, sondern nur unter Vermitt-B lung der Großmächte — nach Lage der Dinge vornehmlich der USA — zustande gebracht werden kann. In der Tat hat Washington in den siebziger Jahren die Wahrnehmung seiner Interessen in der Region — auch und gerade gegenüber der Sowjetunion — stets auch in Verbindung mit nachdrücklichen Bemühungen um einen Kompromißfrieden im arabisch-israelischen Konflikt gesehen. Die Auflösung dieses Zusammenhanges bzw. die Unterordnung einer Lösung des Nahostkonflikts unter eine gegen die Sowjetunion gerichtete Politik im Nahen Osten hat erneut in eine Sackgasse geführt, in der Moskau wieder eine Chance zugespielt worden ist, sein Gewicht zur Geltung zu bringen.

Die Sowjetunion steht demgegenüber kaum unter Handlungszwang. Geopolitisch nahezu ein Teil der Region, liegt ihr politischer Schatten über dieser, und die Regierungen der Region sind gezwungen, dieser Realität Rechnung zu tragen. Da sie aber weder von ihrer ideologischen Ausrichtung noch von ihrem politischen System noch von ihrer wirtschaftlichen Kapazität her eine „natürliche“ Anziehungskraft besitzt, liegt ihre wirksamste Strategie, ihre Präsenz und ihren Einfluß zu verstärken, darin, die amerikanischen Bemühungen um einen Kompromiß und um Stabilität zu unterminieren. Die Tatsache, daß Moskau seit 1978/79 eine grundsätzlich negative Position zu den von den USA unternommenen Friedensbemühungen eingenommen hat, trug entscheidend nicht nur zu deren Scheitern, sondern auch zu der Vertiefung von Spannungen und Konflikten in der Nahostregion in den letzten Jahren bei.

Diese Haltung wiederum ist nur Teil jenes Circulus vitiosus, dem die Region als Nebenschauplatz des Ost-West-Konflikts offenbar nicht entrinnen kann: In dem Maße, in dem Washington seine Politik im Rahmen des arabisch-israelischen Konflikts als Teil seiner Auseinandersetzung mit Moskau sieht und dieses auszuschließen sucht, ist Moskau seinerseits bemüht, den Fuß in die Tür zu setzen — dies eben durch die Störung der amerikanischen Initiativen. Dadurch wiederum sieht sich Washington in seiner negativen Einschätzung der sowjetischen Nahostpolitik bestätigt und verschärft den Kurs der Abgrenzung und Konfrontation.

Die kompromißbereiten arabischen Partner Amerikas stehen unter politischem und zeitlichem Druck. Die Zeit für eine Verhandlungslösung scheint ihnen auszulaufen; deshalb müssen sie nach neuen Varianten des Verhandlungsprozesses suchen. Freilich ist ein solcher nicht ohne das Engagement der USA einzuleiten, doch muß angesichts der Unzulänglichkeiten der amerikanischen Haltung ein Weg gesucht werden, auch die Sowjetunion in den Friedensprozeß einzubinden. In diesem Sinne ist die Friedensinitiative zu verstehen, die König Hussein und Yasir Arafat im Februar 1985 mit nachdrücklicher Unterstützung des ägyptischen Staatspräsidenten Mubarak unternommen haben. Mit der Forderung, daß die Initiative in den Rahmen einer internationalen Konferenz gestellt werden solle, wird versucht, einer Forderung der Sowjetunion Rechnung zu tragen, die in einer Veranstaltung nach dem Muster der Genfer Konferenz von Ende 1973 den geeigneten Rahmen für eine Lösung des Nahostkonflikts sieht.

Auf das Tauziehen um die „Hussein-Arafat-Initiative“ kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. In dem hier gegebenen Zusammenhang soll nur auf die Komplexität des Konzepts hingewiesen werden. Die USA, die stets eine Internationalisierung des Verhandlungsrahmens abgelehnt haben, sprachen sich trotz des jordanischen und ägyptischen Drängens auch im Hinblick auf die neue Initiative dagegen aus und befürworten nach wie vor direkte Verhandlungen der betroffenen Parteien; sie werden darin nachdrücklich von Israel unterstützt (das seit 1967 keine diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion unterhält).

Die Sowjetunion sieht sich einem gewissen Dilemma gegenüber: Auf der einen Seite kommt die Initiative ihren Vorstellungen einen erheblichen Schritt entgegen, kann doch auch in Moskau nicht übersehen werden, daß der arabische Vorschlag aus der Ernüchterung gegenüber der mangelnden Glaubwürdigkeit der USA, die Rolle des „ehrlichen Maklers“ zu spielen, erwachsen ist. Andererseits lehnen die engsten Verbündeten Moskaus, Libyen und — was stärker zählt — Syrien, die Initiative mit Nachdruck ab. Nach anfänglichem Zögern hat sich Moskau für die Unterstützung der syrischen Position entschlossen. Mit einer sich verhärtenden Propaganda gegen die Initiative und die Rolle der USA dabei sind nicht nur die 1985 gemachten Ansätze, das Verhältnis zu Israel wieder zu normalisieren und diplomatische Beziehungen aufzunehmen (was die Voraussetzung der Einbindung der Sowjetunion gewesen wäre), wieder eingestellt worden, sondern scheint man in Moskau auch gegenüber Yasir Arafat auf größere Distanz gegangen und sich an den militanten — prosyrischen — Flügel der PLO angenähert zu haben. Wieder steht Moskau auf Seiten der ablehnenden Kräfte; auch aus der Perspektive der internationalen Konstellation, der unverändert das Muster des Null-Summen-Spiels zugrunde liegt, gibt es zur Zeit wenig Hoffnung auf Fortschritte in Richtung auf die Einleitung eines Verhandlungsprozesses im Nahostkonflikt. Die Annäherung zwischen König Hussein und Hafiz al-Assad, die bei ihrem Treffen in Damaskus Anfang 1986 manifestiert wurde, deutet an, daß die Dynamik der „Initiative“ bereits erschöpft ist.

Der Schluß ist unabweisbar, daß ohne eine Annäherung der beiden Supermächte und eine Verständigung zwischen ihnen über die Grundzüge eines Nahostfriedens kaum Aussicht auf Fortschritte besteht. Eine solche Verständigung aber ist kaum in Sicht. Die Gründe dafür sind komplex: Sie reichen von den Grundproblemen des Ost-West-Verhältnisses über die Konfrontation in Afghanistan (und die sowjetische Präsenz am Horn von Afrika) bis zu einem möglicherweise gegebenen Fehlen einer wirklichen Bereitschaft, das Nahostproblem ein für allemal durch einen Kompromiß aus der Welt zu schaffen.

Der Nahostkonflikt bliebe so ein wirksames Vehikel, im Rahmen der Ost-West-Auseinandersetzungen aufeinem sensiblen Seitenschauplatz politisch und gegebenenfalls strategisch Punkte zu sammeln. Zugleich aber gibt es kaum Anzeichen dafür, daß die beiden Großen besorgt wären, daß ihr Engagement auf diesem Schauplatz außer Kontrolle geraten und sie in eine eigentlich ungewollte Eskalation der internationalen Spannungen treiben könnte. Die direkte Auseinandersetzung zwischen ihnen ist durchweg auf die propagandistische Ebene beschränkt geblieben. Auch die moderate Reaktion der Sowjetunion auf die amerikanische Strafaktion gegen Libyen (April 1986) — im übrigen ohnehin eher ein Neben-schauplatz der Nahostbühne — läßt erkennen, daß beide Seiten die Risiken der Nahostpolitik sehr wohl kalkulieren.

Unterdessen gehen von dem anhaltenden Konflikt starke Impulse auf eine weitere rasche Aufrüstung und eine ideologische wie politische Radikalisierung der Region aus, die zwar unterschiedliche Vorzeichen (z. B. islamische) annehmen kann, aber zugleich eines für die Zukunft sicher macht: den Ausbruch von Gewalt, sei es zwischen den Staaten oder sei es innerhalb der Staaten, die unmittelbar oder mittelbar von dem Konflikt berührt sind. Im Hinblick auf die Rolle der beiden Supermächte dabei kann nur als Frage formuliert werden, ob diese auch dann in jedem Falle ihre Politik der indirekten Konfrontation bei gegebener Kontrolle der Schadensbegrenzung für ihre Beziehungen werden fortsetzen können.

Es ist gewiß ein schwerwiegender Tatbestand, daß Europa (sprich: die Europäische Gemeinschaft) es nicht vermocht hat, eine eigene konstruktive Rolle im Nahen Osten zu spielen. Die Augen namentlich vieler arabischer Politiker waren seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, insbesondere aber seit „Camp David“ und der sowjetischen Invasion in Afghanistan, auf Europa als eine Macht gerichtet, die durch eine eigenständige Nahostpolitik alle jene Kräfte hätte stärken sollen, die darauf gerichtet waren, die Region aus der gefährlichen Ost-West-Konfrontation herauszuhalten. Der „Höhepunkt“ europäischer Nahostpolitik, die Erklärung von Venedig vom Juni 1980, zeigt zugleich das Dilemma der Europäer: den Weg zu sehen, der eigentlich beschritten werden müßte, doch zugleich politisch zu ohnmächtig zu sein, ihm auch zu folgen. Die Ursachen dafür sind zu komplex, um in diesem Rahmen auch nur angedeutet zu werden. Gleichwohl gehört der Faktor Europa in ein Bild — und sei es nur als Bekenntnis der Ohnmacht und als Eingeständnis des Scheiterns —, das den Nahen Osten als Schauplatz der Rivalität der Supermächte darstellt. Von der Mitverantwortung für das politische Chaos auf der nahöstlichen Bühne und das Leiden der Menschen dort, das sich nur noch in wachsender Radikalität artikulieren kann und zu dem die Supermächte das ihre beigetragen haben, kann auch Europa nicht freigesprochen werden. Auswahlbibliographie Allen, Harry S. /Volgyes, Ivan (Eds.):

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Fussnoten

Weitere Inhalte

Udo Steinbach, Dr., geb. 1943; 1971-1975 Leiter der Mittelost-Abteilung in der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen; 1975 Leiter der Abteilung Türkei bei der Deutschen Welle, Köln; seit 1976 Direktor des Deutschen Orient-Instituts, Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Grundlagen und Bestimmungsfaktoren der Außen-und Sicherheitspolitik Irans, Ebenhausen 1975; Kranker Wächter am Bosporus, Freiburg 1979; (Hrsg. zus. mit Gustav Stein) The Contemporary Middle Eastern scene. Basic issues and major trends, Opladen 1979; (Hrsg.) Europäisch-Arabische Zusammenarbeit. Rahmenbedingungen, Probleme, Aussichten, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Bonn 1979; (Hrsg. zus. mit Rolf Hofmeier und Mathias Schönborn) Politisches Lexikon Nahost, München 19812; (Hrsg. zus. mit Karl Kaiser) Deutsch-arabische Beziehungen, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, München-Wien 1981, (Hrsg. zus. mit Werner Ende) Der Islam in der Gegenwart, München 1984.