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Der internationale Terrorismus | APuZ 5/1987 | bpb.de

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APuZ 5/1987 Fünfzehn Jahre Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland Der internationale Terrorismus Terrorismus im Nahen Osten

Der internationale Terrorismus

Brian Michael Jenkins

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In den letzten Jahren hat es eine kontinuierliche Zunahme des internationalen Terrorismus gegeben, und diese Tendenz wird sich auch in Zukunft fortsetzen, obwohl die internationale Staatengemeinschaft versucht, Konsens in der Bekämpfung dieses Phänomens zu erzielen. Eine einheitliche Vorgehensweise wird sich erst durchsetzen, wenn einige Staaten aufhören, Terroristen für ihre Ziele einzusetzen. Eine einheitliche Bekämpfung wird noch dadurch erschwert, daß es die verschiedensten Vorstellungen von Konflikt und Terrorismus gibt. Dies kommt darin zum Ausdruck, daß des einen Terrorist des anderen Freiheitskämpfer ist. Auch über die Entstehungsursachen des Terrorismus gibt es keine Übereinstimmung; sie liegen in sozialen, wirtschaftlichen, politischen, historischen, psychologischen und religiösen Ursachen begründet. Die Taktiken der Terroristen sind begrenzt. Sechs grundlegende terroristische Methoden umfassen 95 % aller terroristischen Anschläge. Eine Änderung des taktischen Repertoires hat sich im Laufe der Zeit kaum ergeben. Mit zunehmender Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen verschlechterten sich die Erfolgsaussichten der Terroristen. Sie änderten daraufhin lediglich ihre Taktik dahingehend, daß sie weniger Geiseln nahmen und Flugzeuge entführten, sondern mehr Menschen töteten und Bombenanschläge verübten. Ziel eines terroristischen Anschlages können jedes Land oder seine Repräsentanten sein.

„Der Dritte Weltkrieg hat begonnen“, sagte der berüchtigte Terrorist Carlos im Jahr 1975 zu seinen Geiseln in Wien. Ein französischer Soldat in Beirut, der den Bombenanschlag eines terroristischen Selbstmordkommandos, bei dem 58 seiner Kameraden getötet wurden, überlebte, machte eine ähnliche Äußerung: „Unsere 58 Kameraden sind möglicherweise die ersten Toten des Dritten Weltkriegs.“ Im Gegensatz zu früheren Kriegen wurde dieser Krieg nicht durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst. In der Tat kann niemand mit Sicherheit sagen, wann oder wo er begann.

Es ist nicht der Krieg, auf den sich die Armeen der Vereinigten Staaten und anderer Länder vorbereitet haben. Es gibt keine massiert auftretenden Truppenverbände, die über eine Hauptkampflinie strömen, keine Divisionen auf dem Vormarsch, keinen Einsatz von Kampfflugzeugen. Es handelt sich vielmehr um hundert Kriege, die von schwer greifbaren und skrupellosen Gegnern geführt werden. Sie treten unter verschiedener Flagge auf: Die Rote Armee Fraktion, Die Roten Brigaden, Die Streitkräfte der Nationalen Befreiung, Die Revolutionären Streitkräfte, Die Revolutionäre Volksarmee, Die Volksfront, Der Heilige Krieg.

Obgleich die Verluste zahlenmäßig gering sind im Vergleich zu den Verlusten in einem herkömmlichen Krieg, kommt ihnen nichtsdestoweniger eine symbolische und politische Bedeutung zu. Terroristen haben die Außenpolitik verändert. Sie haben die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Politik beeinträchtigt. Sie haben aufgezeigt, welche Schwierigkeiten es Staaten bereitet, zurückzuschlagen. Sie haben den Staat gezwungen, zunehmend Mittel bereitzustellen, um staatliche Einrichtungen gegen ihre Anschläge zu schützen. Trotz verstärkter Bemühungen seitens der Regierungen, den Terrorismus zu bekämpfen, wird er in den achtziger Jahren und darüber hinaus ein schwerwiegendes Problem bleiben.

Die Definition des Terrorismus

Was meinen wir eigentlich genau, wenn wir von Terrorismus sprechen? Wie unterscheidet sich der Terrorismus vom gewöhnlichen Verbrechen? Ist jede politisch motivierte Gewalt Terrorismus? Ist Terrorismus ein Synonym für den Guerillakampf, oder ist der Begriff eigentlich jenen Vorbehalten, die versuchen, Regierungen zu stürzen?

Können auch Regierungen Terroristen sein? Worin besteht der Unterschied, ob man einen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in eine Botschaft hineinfährt oder hochexplosiven Sprengstoff über einer Stadt abwirft? Wie können wir brauchbare Unterscheidungen treffen? Praktisch alle Diskussionen über den Terrorismus geraten früher oder später in das Dickicht der Definitionen.

Für den Begriff „Terrorismus“ gibt es keine genaue oder allgemein anerkannte Definition. Wenn es nur um eine Beschreibung ginge, wäre es einfach, eine Definition zu geben: Terrorismus ist Gewalt oder die Androhung von Gewalt in der Absicht, eine Atmosphäre von Furcht und Schrecken — mit einem Wort: Terror — zu verbreiten und dadurch eine gesellschaftliche oder politische Veränderung herbeizuführen. Dies kommt der Definition ziemlich nahe, die ein südamerikanischer Jurist vor mehr als 20 Jahren vorgeschlagen hat; sie besagt, daß unter Terrorismus Handlungen zu verstehen sind, die an sich klassische Verbrechensarten darstellen können — Mord, Brandstiftung, Sprengstoffgebrauch —, die sich jedoch von herkömmlichen Verbrechen dadurch unterscheiden, daß sie „in der wohlüberlegten Absicht begangen werden, Panik, Chaos und Terror innerhalb eines Gesellschaftssystems zu verursachen“

Während diese Definition den Terrorismus in den Bereich des Verbrechens verweist, leben wir aber in einer Welt, die die Legitimität von Kriegen und das Recht auf Revolution anerkennt. Zur Jahrhundertwende waren sozialistische Revolutionäre in Rußland stolz darauf, sich selbst als Terroristen zu bezeichnen. Sie verfügten über einen terroristischen Zweig, der zutreffend als Terroristische Brigade* bezeichnet wurde, und sie hofften, durch gezielte Morde Schrecken unter der russischen Regierungselite zu verbreiten. Sie achteten darauf, keine Unbeteiligten zu verletzen, und wenn das von ihnen ausgewählte Op-fer sich in Begleitung von Familienmitgliedern befand, sahen sie von dem Anschlag ab. Ironischerweise sind die heutigen Terroristen weniger wählerisch bei ihren Aktionen und mehr mit dem Bild beschäftigt, das sie in der Öffentlichkeit abgeben. Im Zeitalter der Massenmedien ist Terrorismus 4 ein abwertender Begriff geworden. Terroristen geben sich heute alle möglichen Bezeichnungen, aber nicht die des Terroristen. „Niemand, der , für eine gerechte Sache eintritt 4, ist ein Terrorist“, sagte Arafat vor den Vereinten Nationen. Wenn wir Arafats Aussage übernehmen, wird das Definitionsproblem noch komplizierter, da die Rechtmäßigkeit einer Sache in die Kriterien mit einbezogen werden muß. Daraus resultiert, daß es nur in dem Maße Übereinstimmung darüber geben kann, ob eine Tat eine terroristische Handlung ist oder nicht, wie jedermann weltweit die Rechtmäßigkeit einer bestimmten Sache anerkennt.

Einige Regierungen sind geneigt, alle von ihren politischen Gegnern begangenen Gewalttaten als Terrorismus zu bezeichnen, während regierungsfeindliche Extremisten häufig behaupten, Opfer von Regierungsterror zu sein. Die Verwendung des Begriffs beinhaltet also eine moralische Wertung. Wenn eine Gruppe ihren Gegner erfolgreich mit dem Etikett Terrorist 4 versieht, dann hat sie indirekt andere dazu gebracht, ihren moralischen und politischen Standpunkt zu übernehmen oder zumindest den Standpunkt der Terroristen abzulehnen. Durch diese Grenzziehung zwischen dem, was legitim ist, und dem, was illegitim ist, sowie zwischen der richtigen und falschen Art zu kämpfen, werden bei der Aufgabe der Definitionsfindung hochpolitische Interessen ins Spiel gebracht.

Der Terrorismus ist in den vergangenen Jahren zu einem Schlagwort geworden, das wahllos auf verschiedene Gewalttaten angewendet wird, die nicht unbedingt dazu dienen sollen, Schrecken zu erzeugen. Es ist wichtig, zwischen Aktionen zu unterscheiden, die Terror verbreiten sollen, und Aktionen, die nur nebenbei Schrecken erzeugen. Straßenräuber können die Bevölkerung eines großen Stadtgebietes in Schrecken versetzen, aber der von ihnen erzeugte Terror ist ein Nebenprodukt ihrer Verbrechen; sie haben es auf Brieftaschen und Uhren abgesehen und nicht darauf, Angst auszulösen.

Die Schwierigkeiten bei der Definition des Terrorismus haben zu der klischeehaften Redensart geführt, daß der Terrorist des einen der Friedenskämpfer des anderen ist. Diese Redensart beinhaltet, daß es keine objektive Definition des Terrorismus geben kann und daß es keine allgemein-gültigen Verhaltensnormen in Konfliktfällen gibt. Die zivilisierten Länder haben jedoch kriminelle Verhaltensweisen gesetzlich definiert.

Mord, Entführung, Androhung von Mord und die vorsätzliche Zerstörung von Eigentum tauchen in den Strafgesetzbüchern aller Länder auf.

Es stimmt zwar, daß gegen einige Verbote in Kriegszeiten legal verstoßen werden darf — das Gesetz gegen das Töten darf beispielsweise von denen verletzt werden, die wir als „rechtmäßige Kämpfer“ bezeichnen. Terroristen behaupten, sie seien keine Kriminellen, sondern Soldaten im Kriegseinsatz, die das Sonderrecht genießen, ordentliche Gesetze zu brechen. Aber selbst im Krieg gibt es Vorschriften, durch die die Anwendung bestimmter Waffen und Vorgehensweisen für ungesetzlich erklärt wird.

Einige Anwälte für internationales Recht sehen das Kriegsrecht als eine mögliche Lösung für das Definitionsdilemma an. Anstatt zu versuchen, neue Verträge über den Terrorismus auszuhandeln, deren Ratifizierung oder Durchsetzung unwahrscheinlich ist, schlagen sie vor, daß die Länder das Kriegsrecht anwenden sollten, auf das sich fast alle geeinigt haben. Terroristen, so sagen sie, sollten wie Soldaten behandelt werden, die Greueltaten begehen. Fast alle Länder haben sich darauf geeinigt, Soldaten, die in internationalen bewaffneten Konflikten Greueltaten begehen, vor Gericht zu stellen oder auszuliefern. Warum sollte Personen, die nicht ausdrücklich den Status eines Soldaten genießen, größerer Freiraum beim Begehen von Gewalttaten eingeräumt werden als Soldaten? Wenn das Kriegsrecht Anwendung fände, würde Terrorismus alle die Taten umfassen, die in Friedenszeiten begangen werden und die in Kriegszeiten Kriegsverbrechen darstellen würden.

Terrorismus kann objektiv durch die Art der Handlung definiert werden, nicht aber durch die Persönlichkeit der Täter oder die Natur ihrer Beweggründe. Alle Terrorakte sind Verbrechen, und viele wären ebenfalls Kriegsverbrechen oder „schwerwiegende Verstöße“ gegen die Kriegsregeln, wenn wir uns die Erklärung der Terroristen zu eigen machten, daß sie Krieg führen. Alle wenden Gewalt oder die Androhung von Gewalt an, manchmal verbunden mit klaren Forderungen. Ihre Ziele sind politischer Natur. Die Taten werden oft so ausgeführt, daß sie ein Höchstmaß an Publizität erlangen. Die Täter sind gewöhnlich Mitglieder einer organisierten Gruppe. Ihre Organisationen sind notwendigerweise geheim, aber im Gegensatz zu anderen Kriminellen bekennen sich Terroristen oft zu ihren Taten. Und schließlich — das Kennzeichen des Terrorismus — sollen die Handlungen über den unmittelbaren körperlichen Schaden hinaus eine psychologische Wirkung zeigen.

Diese Kriterien räumen zwar nicht alle Unklarheiten aus, sie versetzen uns aber in die Lage, einige Grenzen abzustecken und einen Teil der Fragen zu beantworten. Terrorismus unterscheidet sich vom gewöhnlichen Verbrechen durch seinen politischen Zweck und seine grundlegende Zielsetzung. Weder der gewöhnliche Bankräuber noch der Mann, der auf Präsident Reagan schoß, ist ein Terrorist, wie auch nicht jede politisch motivierte Gewalt Terrorismus ist. Der , Minute-man‘ des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und der Rebell in Mittelamerika haben beide politische Motive, sie sind jedoch nicht automa-tisch Terroristen. Terrorismus ist nicht gleichzusetzen mit Guerillakrieg oder irgendeinem anderen Krieg, und der Begriff ist nicht ausschließlich auf jene anwendbar, die versuchen, Regierungen zu stürzen. Der linke Meuchelmörder und die rechte Todesschwadron, die im geheimen auf Weisung eines Innenministeriums arbeitet, wenden die gleichen Methoden zu dem gleichen Zweck an — Furcht zu verbreiten und die politische Lage zu verändern.

Unterschiedliche Auffassungen vom Konfliktfall

Der internationale Terrorismus beinhaltet jene terroristischen Vorfälle, die eindeutige internationale Auswirkungen haben: Vorfälle, bei denen Terroristen ins Ausland fahren, um dort zuzuschlagen; Vorfälle, bei denen die Terroristen zwar in ihrem Heimatland bleiben, aber ihre Opfer aufgrund ihrer Verbindungen zu einem anderen Land auswählen (z. B. Diplomaten oder die Führungskräfte ausländischer Unternehmen), ferner Anschläge auf internationale Verkehrslinien (z. B. Flugzeuge). Nicht inbegriffen ist die große Zahl terroristischer Gewalttaten, die von Terroristen innerhalb ihres eigenen Landes gegen ihre eigenen Landsleute und in vielen Ländern von Regierungen gegen ihre eigenen Staatsangehörigen begangen werden. Beispielsweise würde man irische Terroristen, die in Belfast andere Iren oder auch Engländer in die Luft sprengen, nicht als internationale Terroristen bezeichnen; das gleiche gilt für italienische Terroristen, die in Italien italienische Regierungsbeamte entführen. Diese Definition des internationalen Terrorismus spiegelt die besondere Besorgnis der Vereinigten Staaten und einiger anderer Regierungen wider, die häufig Ziel von Terroristen im Ausland sind. Zur Debatte steht hier nicht das allgemeine Problem der politischen Gewalt oder des Terrorismus oder die Ursachen der Konflikte, die terroristische Gewalt auslösen. Dies ist die innere Angelegenheit jedes Landes. Als Maßstab dient vielmehr die Ausweitung dieser Gewalt auf internationaler Ebene. Aber warum, so könnten Terroristen fragen, sollten sie sich an bestehende diplomatische Regeln und Kriegsregeln halten, wenn diese von einer kleinen Gruppe vorwiegend westlicher Länder zu ihrem eigenen Nutzen aufgestellt wurden und wenn diese Länder Gruppen, die weder über eine anerkannte Regierung noch ein anerkanntes Staatsgebiet noch eine Armee verfügen, das „Recht“ auf Gewaltanwendung nehmen?

Die Terroristen von heute sehen keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Obrigkeit ihres eigenen Landes, die sie bekämpfen, und den diplomatischen Vertretern und Handelsrepräsentanten anderer Staaten in ihrem Land. Alle Terroristen, von der Stadtguerilla in Südamerika bis zu den palästinensischen Kämpfern im Nahen Osten, haben sich die marxistische Auffassung vom Imperialismus zu eigen gemacht. Sie ist im Denken der Menschen in der Dritten Welt zu einer Glaubensfrage geworden. Der Bankier in Manhattan, die Botschaft in Montevideo, die lokale Niederlassung eines multinationalen Unternehmens, der amtierende Präsident, sie alle sind Glieder in einer Kette der angeblichen wirtschaftlichen Ausbeutung und politischen Unterdrückung. Diese Auffassung wird von den „Partisanen“ in Nordamerika, Westeuropa und Japan geteilt, die sich selbst als die Hilfskräfte einer Revolution in der Dritten Welt sehen.

Viele Regierungen in der Dritten Welt, vor allem in Afrika und Asien, schließen sich nicht immer den Amerikanern und Europäern in ihren Bemühungen an, den internationalen Terrorismus zu erkennen und zu bekämpfen, und zwar nicht, weil diese Regierungen terroristische Methoden billigen, sondern weil sie die Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus als Teil einer umfangreicheren Kampagne betrachten, die darauf abziele, die regelwidrigen Methoden der Krieg-führung, die in der Dritten Welt während des Bürgerkriegs in China und während der antikolonialen Befreiungskämpfe in Asien und Afrika angewandt wurden, für ungesetzlich zu erklären.

Die Haltung, die die Regierungen in der Dritten Welt bezüglich des internationalen Terrorismus einnehmen, steht im Einklang mit der Position, die sie bei den Genfer Verhandlungen zur Neu-fassung des Kriegsrechts eingenommen haben Dabei haben sie versucht, die ursprünglich in den Genfer Konventionen festgelegten Rechte und Schutzmaßnahmen auf irreguläre Streitkräfte wie auch auf reguläre Soldaten in internationalen Kriegen auszudehnen. Sie betonten, daß die Genfer Konventionen und andere Verträge zur Regelung von Kriegen von Europäern abgefaßt worden seien, um die Kriegführung der Europäer untereinander zu regeln, daß sie aber von der „internationalen Kriegführung“ jene Gewalt-maßnahmen ausgenommen hätten, die von den Europäern zur Eroberung und Bewahrung der Kolonien angewendet worden seien. Mit anderen Worten: Wenn Europäer auf Europäer schössen, verlaufe dies nach genau festgelegten Regeln, aber wenn Europäer auf Afrikaner oder Asiaten schössen, könnten sie tun, was sie wollten. Die Regierungen der Dritten Welt fürchteten, daß die Amerikaner und die Europäer jetzt die regelwidrigen Methoden, mit denen die Einheimischen zurückschlügen, als „Terrorismus“ brandmarken und sie somit für ungesetzlich erklären wollten.

Ihre Ablehnung dieser ungleichen Ausgangsposition spiegelte sich in der langatmigen Definition des internationalen Terrorismus wider, die von einer Gruppe blockfreier Staaten im Jahr 1973 vorgeschlagen wurde und die folgendes beinhalte: „Gewaltakte und andere, von kolonialen, rassistischen und ausländischen Regimen ausgeübte Formen der Unterdrückung von Völkern, die für ihre Befreiung kämpfen...; die staatliche Tolerierung oder Unterstützung von Organisationen übriggebliebener Faschisten oder Söldnergruppen, deren terroristische Aktivitäten sich gegen andere souveräne Länder richten; von einzelnen Personen oder Personengruppen begangene Gewalttaten, durch die Unschuldige in Gefahr gebracht werden oder umkommen, oder fundamentale Freiheiten aufs Spiel gesetzt werden. (Vorausgesetzt, diese Definition berührt nicht das unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit aller Völker unter kolonialen und rassistischen Regimen und anderen Formen der Fremdherrschaft.)“

Obwohl die Regierungen nicht in der Lage waren, sich auf eine gemeinsame Definition des Terrorismus zu einigen, haben sie eine bescheidene Form der Zusammenarbeit bei der Behandlung bestimmter Aspekte des Problems gefunden. Dies wurde erreicht, indem man auf eine Definition ganz verzichtet und statt dessen bestimmte terroristische Vorgehensweisen, von denen alle Länder betroffen sind, ermittelt hat. So haben zum Beispiel die meisten Länder die verschiedenen internationalen Abkommen gegen Flugzeugentführungen und Sabotage an Flugzeugen unterzeichnet und halten sich im allgemeinen auch daran. Es überrascht nicht, daß die Diplomaten in aller Welt eine Einigung darüber erzielen konnten, daß Diplomaten nicht Ziele terroristischer Gewalt sein sollten, und daß sie das Abkommen zur Prävention und Ahndung von Verbrechen gegen international geschützte Personen unterzeichnet haben Eine umfangreichere Zusammenarbeit wurde auf kleineren internationalen Foren erzielt, so zum Beispiel dem Gipfel der Sieben oder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, wo ein politischer Konsens leichter zu erzielen ist.

Die Theorie des Terrorismus: Die Menschen sollen zuschauen

Der heutige Terrorismus leitet sich weitgehend von den Theorien des Guerillakriegs im 20. Jahrhundert ab, der in erster Linie auf Mao Tse-Tung zurückgeht, obwohl dessen wichtigstes Anliegen, nämlich die Unterstützung der Massen zu gewinnen, ihn möglicherweise zur Ablehnung der Methoden des heutigen Terrorismus veranlaßt hätte.

Maos Gedanke vom „Krieg des Volkes“, den er zur Zeit der Rebellenbewegungen in den fünfziger und sechziger Jahren entwickelt hat, befreite Strategen davon, über Kriegführung ausschließlich im Sinne von , mehr Soldaten* und . besserer Rüstung* zu denken. Diese Idee erlaubte es entschlossenen Revolutionären, denen die herkömmliche militärische Stärke fehlte, es mit militärisch überlegenen Kräften aufzunehmen, in der Hoffnung, sie am Ende zu besiegen. Möglicherweise wurde dabei zuviel Gewicht auf die politische Motivation und Zielsetzung gelegt, da spätere Revolutionäre dadurch zu der Annahme gebracht wurden, daß einige Pistolen und ihre eigenen politischen Überzeugungen ihnen letztendlich den Sieg garantieren könnten.

Mao meinte, daß Guerillas die politische Mobilisierung von Menschen, die in einem herkömmlichen militärischen Konflikt nur Zuschauer bleiben, anstreben und auf sie angewiesen sein sollten. Mao stellte also eine Beziehung zwischen der Militäraktion und der Haltung und Reaktion der Zuschauenden her. Hierdurch gewann der bewaffnete Konflikt eine neue Dimension: Anstatt den Erfolg in erster Linie an den physischen Auswirkungen der Militäraktion auf den Gegner zu messen, konnten Strategen nun sagen, daß die Wirkung einer Gewaltaktion auf die zuschauenden Menschen unabhängig sein kann von dem tatsächlichen physischen Schaden, der dem Gegner zugefügt wird, und ihm an Bedeutung gleich-B kommen oder ihn sogar übertreffen kann. Der Terrorismus treibt diese Lehre auf die äußerste Spitze, obwohl es den Terroristen einige Schwierigkeiten bereitet hat, sie zu erklären. „Politische Macht erwächst aus dem Gewehrlauf, schrieb Mao; diese Redensart wiederholen die heutigen Terroristen gern. Ihr eigenes Denken hört offenbar an der Mündung des Gewehrlaufs auf. In den vergangenen Jahren haben die Terroristen tausende Seiten von Manifesten, Leitfäden, Bewertungen, Direktiven, Behauptungen, Kommuniques, Kommentaren, Kritiken und Selbstkritiken herausgebracht, aber sie haben noch keine klare und überzeugende Theorie vorgebracht, welchen Bezug das Bombenlegen und der Gebrauch einer Waffe zum Erreichen ihrer Ziele hat. Was diesen Wust von zornigen Schriften ausmacht, sind Erklärungen, Schlagworte, Ermahnungen, ungerechtfertigte Vermutungen, unbewiesene Behauptungen und eine im allgemeinen dürftige Analyse. Carlos Marighellas , Mini-Handbuch der Stadtguerilla", von dem angenommen wird, daß die erste Terroristengeneration in Lateinamerika und Westeuropa sich daraus Anregungen und Informationen geholt hat, bietet sich am besten für eine Erörterung terroristischer Methoden an Die Terroristen von heute haben weder eine Theorie noch eine Doktrin oder Strategie anzubieten, ja nicht einmal eine begeisternde Zukunftsvision.

Für viele Außenstehende ist nur schwer zu verstehen, wie die Ermordung von Olympiateilnehmern in München oder die Entführung eines, Flugzeugs in Rom die Situation der Palästinenser im Nahen Osten verbessern soll, oder wie die Sprengung eines Büros in Manhattan dazu beitragen soll, einen Diktator in Lateinamerika zu stürzen. Und die Terroristen selbst streiten möglicherweise untereinander darüber, ob eine bestimmte Aktion ihrer Sache nutzt oder schadet. Einige Terroranschläge erscheinen möglicherweise willkürlich oder gegen Ziele gerichtet, die nicht in direktem Zusammenhang mit der terroristischen Sache stehen. Aus diesem Grund werden Terrorakte oft als gedankenlose, sinnlose oder vernunftwidrige Gewalt abgetan; Terrorismus ist jedoch selten gedankenlos oder vernunftwidrig. Wenn er nicht gedankenlos verübt wird, muß der Terrorismus einen Zweck verfolgen — aber welchen? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir versuchen, wie Terroristen zu denken und über die scheinbare Sinnlosigkeit — manchmal sogar die tragische Absurdität — eines einzelnen Terroraktes hinausschauen, um seine Zielsetzung zu erkennen.

Die Ziele des Terrorismus sind nicht identisch mit denen des herkömmlichen Kampfes. Terroristen versuchen nicht, Stellungen einzunehmen und zu halten oder die Streitmacht des Gegners physisch zu vernichten. Normalerweise fehlt ihnen zur Verfolgung derartiger Ziele die Macht. Statt dessen versuchen Terroristen, durch ihre Handlungen Furcht auszulösen und diese zu steuern, und zwar zu vielfältigen Zwecken. Terrorismus kann dem Ziel dienen, Publizität zu gewinnen. Die Terroristen hoffen, daß dramatische und schockierende Gewalttaten die Aufmerksamkeit auf ihre Sache lenken und sie als eine Kraft erscheinen lassen, mit der man rechnen muß. Die Atmosphäre von Furcht und Schrecken, die sie erzeugen, führt häufig dazu, daß Menschen die Bedeutung der terroristischen Sache, die Kampf-kraft der Terroristen und die Stärke ihrer Bewegung überschätzen. Aufgrund der geringen Mitgliederzahl und der Schwäche der meisten Terrorgruppen muß die von ihnen ausgeübte Gewalt um so dramatischer und bewußt schockierend sein.

Terroranschläge sind oft sorgfältig daraufhin angelegt, die Aufmerksamkeit der Massenmedien und der internationalen Presse zu erregen. Die eigentlichen Opfer bedeuten den Terroristen oft nichts. Der Terrorismus zielt nicht nur auf die tatsächlichen Opfer ab, sondern vor allem auf die zuschauenden Menschen.

Einzelne Terrorakte können ebenfalls dazu dienen, bestimmte Zugeständnisse zu erzwingen, wie die Zahlung eines Lösegeldes, die Freilassung von Gefangenen oder die Veröffentlichung einer terroristischen Botschaft. Terroristen versuchen oft, ihre Verhandlungsposition zu verbessern, indem sie eine dramatische Geiselnahme inszenieren, durch die eine Regierung möglicherweise zur Erfüllung ihrer Forderungen gezwungen wird.

Die Geiselnahme israelischer Sportler bei der Olympiade in München im Jahre 1972 diente zwei Zielen; Publizität und Zugeständnisse zu erreichen. Die Terroristen verlangten von der israelischen Regierung, daß sie mehrere ihrer inhaftierten Kameraden freilassen sollte. Israel wies die Forderungen zurück, aber die Millionen von Menschen, die sich weltweit die Olympischen Spiele am Fernsehschirm ansahen, garantierten den Terroristen die Publizität, die sie suchten. Abu Iyad, der angebliche Urheber des Anschlags, faßte das Ergebnis zusammen: „Die Opfer, die die Helden von München gebracht haben, waren nicht vollkommen vergeblich. Sie haben zwar nicht erreicht, daß irgendeiner ihrer Kameraden, die in Israel inhaftiert sind, freigelassen wurde ..., aber sie haben die beiden anderen Ziele der Operation erreicht: Die Weltmeinung war gezwungen, Notiz von dem Palästinenserdrama zu nehmen, und das palästinensi21 sehe Volk hat seine Anwesenheit bei einer internationalen Veranstaltung erzwungen, von der es ausgeschlossen werden sollte.“

Terrorismus kann auch dazu dienen, für allgemeine Unruhe zu sorgen, die Gesellschaft zu demoralisieren und die bestehende gesellschaftliche und politische Ordnung zu zerstören. Diese Ziele sind typisch für revolutionäre, nihilistische oder anarchistische Terroristen. Terroristen verdam’men die normalen gesellschaftlichen Regeln und Beziehungen als unerträgliche Selbstzufriedenheit. Dramatische Terrorakte, so glauben sie, werden ein Heer von möglichen Helfern, die apathisch vor sich hindämmern, wachrütteln.

Wenn der politische Gehorsam nutzlos wird, selbstzufriedene Nichteinmischung unmöglich gemacht wird und die Unfähigkeit der Regierung, ihre Bürger zu schützen (was der ursprüngliche und hauptsächliche Grund für die Existenz von Regierungen ist), zutage tritt, wenn es keinen Ort gibt, an dem man vor dem darauffolgenden Kampf sicher ist, wenn Menschen gezwungen sind, sich auf eine Seite zu schlagen, dann, so nehmen die Terroristen an, wird das „Volk“ sich den Regierungsgegnern anschließen, und es wird zu einer Revolution kommen.

Voll Ungeduld angesichts der Tatsache, daß das „Volk“ zögert, sich ihnen anzuschließen, könnten es die Terroristen bewußt darauf anlegen, Unterdrückung zu provozieren. In der Vorstellung der Terroristen wird die Regierung, die durch fortwährende Terroranschläge beunruhigt ist, gezwungen sein, brutal — und möglicherweise blind — zurückzuschlagen. Die Masse wird die harte Hand der Unterdrückung zu spüren bekommen, und ihre Unzufriedenheit kann dann von den Terroristen mobilisiert werden.

Rache stellt für Terroristen eine weitere starke Motivation dar. Bei kleinen Gruppen, die gute Kameraden verloren haben, ist es besonders wahrscheinlich, daß sie grausam zurückschlagen. Eine Separatistengruppe aus Puerto Rico brachte in einem Restaurant in der Wall Street eine Bombe zur Detonation, in der offensichtlichen Absicht, Menschenleben zu vernichten. Es handelte sich um einen Vergeltungsschlag dafür, daß angeblich von Regierungsstellen in einem Cafe in Puerto Rico, in dem Separatisten verkehrten, eine Bombe zur Detonation gebracht worden war. Für größere Organisationen, die den Tod von Kameraden als Kampfverluste hinnehmen, verliert die Rache hingegen an Bedeutung.

Schließlich kann Terrorismus dazu benutzt werden, Gehorsam zu erzwingen. Dies ist üblicherweise der Zweck des Staatsterrorismus, aber Ter-, roristen können auch selbst Gewalt gegen ihre eigenen Mitglieder anwenden als Abschreckung gegen Verrat. Das gewünschte Ergebnis ist ein vorgeschriebenes Verhaltensmuster: Gehorsam gegenüber dem Staat oder der Sache und eine umfassende Zusammenarbeit bei der Identifizierung und Ausschaltung von Unterwanderern oder Gegnern. In den vergangenen Jahren haben manche Regierungen ihren Einflußbereich auch auf Emigranten und Exilanten ausgedehnt, Terroristen angeheuert oder ihre eigenen Agenten gegen Regimegegner in anderen Ländern eingesetzt. Libyen bekannte sich offen zu seiner Kampagne, „im Ausland lebende Verräter“ zu ermorden, als Warnung an alle Dissidenten. Syrien, der Iran, Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien wurden beschuldigt, Überläufer und lästige Exilanten in Westeuropa ermordet zu haben.

Der Erfolg eines derartigen Terrorismus hängt wiederum von der Erzeugung einer Atmosphäre der Angst ab, die durch die scheinbare Allgegenwart des Inlandssicherheitsdienstes oder des terroristischen Apparats noch verstärkt wird. Wie andere Formen des Terrorismus beinhaltet jener, der darauf abzielt, Gehorsam zu erzwingen, Elemente vorsätzlicher Dramatik: Überläufer werden entführt oder auf mysteriöse Weise ermordet, Berichte über Kerker und Folter (die oft wahr sind) werden verbreitet. Dies soll dazu dienen, bei bestimmten Zielgruppen Furcht und Schrekken zu erzeugen. Im Gegensatz zu anderen Formen des Terrorismus werden die Opfer des Staatsterrorismus zum Zwecke der Zwangsherrschaft jedoch selten wahllos ausgesucht, und der Sicherheitsdienst strebt üblicherweise keine weit-verbreitete Publizität an. Diese Form des Terrorismus dient der Beeinflussung und Kontrolle der „eigenen“ Bevölkerung oder Organisation.

Die Anfänge des heutigen Terrorismus: Folge von Versäumnissen

Es gibt viele Hypothesen über die Entstehung des heutigen Terrorismus, wobei eine Vielzahl sozialer, wirtschaftlicher, politischer und historischer Faktoren ins Feld geführt werden. Eine einzelne Ursache für die Zunahme der weltweiten Anwendung terroristischer Methoden, die Ende der sechziger Jahre begann, konnte jedoch nicht ermittelt werden.

Terroristische Methoden sind im allgemeinen dann angewandt worden, wenn andere Formen des bewaffneten Konflikts oder friedliche Mittel nicht zur Erlangung politischer Ziele geführt haB ben. Ende der sechziger Jahre war klar, daß die Landguerillabewegungen in Lateinamerika, die durch den Erfolg Fidel Castros angeregt und dem kubanischen Modell nachgebildet worden waren, gescheitert waren. Linke Revolutionäre begannen, dem Kampf in den Städten mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Kriege der Stadtguerilla führten fast automatisch zur Anwendung terroristischer Taktiken. Die Landguerillas könnten Schlachten gewinnen, von denen niemals irgend jemand etwas hören würde, aber dramatische Gewaltakte in einer Großstadt erregen landesweite, ja sogar internationale Aufmerksamkeit. Es war nur ein kurzer Schritt von der Ermordung oder Entführung örtlicher Regierungsbeamter bis zur Ermordung oder Entführung ausländischer Diplomaten.

Inzwischen begannen die Palästinenser, die durch das Scheitern der arabischen Armeen im Jahre 1967 enttäuscht und nicht in der Lage waren, einen Guerillakrieg in Israel zu führen, eine weltweite Terrorkampagne gegen Israel und seine Verbündeten. Als Flugzeugentführungen weltweite Empörung auslösten, griffen die Palästinenser in Städten wie München, Bangkok und Khartum zu Geiselnahmen. Radikale Studenten in Europa, in den Vereinigten Staaten und in Japan übernahmen terroristische Taktiken, als die Massenprotestbewegungen Ende der sechziger Jahre nicht zu den Veränderungen führten, die sie wünschten.

Aber die Zunahme und der Fortbestand des heutigen Terrorismus ist nicht vollkommen erklärbar durch die außergewöhnlichen politischen Umstände Ende der sechziger Jahre. Es war das Zusammentreffen politischer Umstände und technologischer Entwicklungen, das zum neuzeitlichen Terrorismus führte. Die Terroristen von heute wenden möglicherweise die gleichen Methoden an wie die Terroristen des vorigen Jahrhunderts, aber der technologische Fortschritt hat die Methoden effektiver gemacht.

Technologische Entwicklungen haben den internationalen Terrorismus ermöglicht. Der moderne Flugverkehr erlaubt weltweite Mobilität, so daß Terroristen jetzt auf allen Kontinenten zuschlagen können. Radio, Fernsehen und Nachrichten-satelliten erlauben es, fast unverzüglich eine weltweite Zuhörerschaft zu erreichen. Waffen und Sprengstoff sind fast allgemein zugänglich. Die moderne Industriegesellschaft bietet viele Angriffsziele, von Flugzeugen bis zu Kernkraftwerken. Sobald die Zweckmäßigkeit terroristischer Methoden demonstriert worden war, wurde der Terrorismus zu einer Verhaltensweise, die sich weltweit verbreitete.

Terroristische Taktiken: Ein begrenztes Repertoire

Terroristen arbeiten mit einem begrenzten taktischen Repertoire. Sechs grundlegende terroristische Methoden umfassen 95 Prozent aller terroristischen Zwischenfälle: Bombenanschläge, Morde, bewaffnete Überfälle, Entführungen, Barrikaden, Geiselnahmen und Flugzeugentführungen. Keine Terrorgruppe bedient sich aller dieser Methoden. Bombenanschläge, die im allgemeinen die anspruchsloseste Methode darstellen, überwiegen. Sprengstoff ist leicht zu beschaffen oder herzustellen, und ein Bombenanschlag erfordert wenig Organisation — eine einzige Person kann den Anschlag ohne großes Risiko verüben. Bombenanschläge machen allein ungefähr die Hälfte aller internationalen terroristischen Zwischenfälle aus.

Dieses taktische Repertoire hat sich im Laufe der Zeit nur wenig verändert. Terroristen scheinen eher zur Nachahmung als zur Innovation zu neigen, obwohl ihre Taktiken sich als Antwort auf neue Abwehrmaßnahmen geändert haben. So gingen zum Beispiel Botschaftsbesetzungen, die in den siebziger Jahren eine beliebte terroristische Taktik darstellten, in den achtziger Jahren aus mehreren Gründen zurück. Verschiedene Länder begannen damit, ihre Botschaften in regelrechte Festungen zu verwandeln und erschwerten dadurch Botschaftsbesetzungen. Regierungen änderten ebenfalls ihre Politik. Während sie anfangs dazu neigten, den Forderungen von Terroristen, die Geiseln genommen hatten, nachzugeben, begannen einige Regierungen dann einen harten Kurs einzuschlagen, da die terroristischen Entführungen und Geiselnahmen nicht aufhörten. Sie weigerten sich, Gefangene freizulassen oder andere weitgehende Zugeständnisse zu machen.

Einige Regierungen, die nicht gewillt waren, Konzessionen zu machen oder tatenlos zuzusehen, wie Terroristen Geiseln erschossen, griffen immer häufiger zur Gewalt, um mit Hilfe von Spezialeinheiten Botschaftsbesetzungen und Geiselnahmen im In-und Ausland zu beenden. Nach dem Zwischenfall in München im Jahre 1972, der mit einer verheerenden Schießerei und dem Tod aller Geiseln endete, begannen Regierungen damit, Spezialeinheiten für die Befreiung von Geiseln aufzustellen.

Das Blatt wendete sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. 1976 gelang israelischen Kommandos die erfolgreiche Befreiung von Geiseln auf dem Flughafen Entebbe in Uganda. 1977 befreiten deutsche Kommandos erfolgreich Passagiere an Bord eines entführten Flugzeugs in Mo23 gadishu. Im gleichen Jahr stürmten holländische Kommandos mit Erfolg einen von südmolukkisehen Terroristen gekaperten Zug und eine von ihnen besetzte Schule. 1980 befreiten britische Kommandos Geiseln in der iranischen Botschaft in London. Einige Befreiungsversuche scheiterten, vor allem der Versuch der Amerikaner, amerikanische Geiseln, die im Iran festgehalten wurden, zu befreien. Aber die Botschaft war deutlich: Terroristen, die sich selbst mit Geiseln verbarrikadierten, riskierten es, festgenommen oder getötet zu werden.

Mit zunehmender Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen verschlechterten sich die Aussichten der Terroristen, Zugeständnisse zu erreichen, und die Wahrscheinlichkeit, gefangengenommen oder getötet zu werden, wurde größer. Es überrascht nicht, daß die terroristische Taktik der Botschaftsbesetzungen immer seltener angewandt wurde. Zur gleichen Zeit nahmen jedoch Terror-anschläge im allgemeinen und Anschläge auf Diplomaten im besonderen zu. Die Terroristen änderten lediglich ihre Taktik, indem sie sich Morden und Bombenanschlägen zuwandten.

Diese Fähigkeit zur Änderung ihrer Taktik ist ein Hauptgrund für die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des Terrorismus. Durch Sicherheitsmaßnahmen kann eine bestimmte Zielgruppe gegen eine bestimmte Art von Anschlägen geschützt werden, aber Terröristen können ihre Taktik ändern oder andere Ziele ins Visier nehmen, wobei sie den Sicherheitsmaßnahmen eher zuvorkommen als sie überwinden und so neue Sicherheitsvorkehrungen erforderlich werden. Leider ist die Ausgangssituation für beide Seiten unterschiedlich. Im Gegensatz zu regulären Soldaten müssen Terroristen nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort angreifen. Da viele mögliche Ziele ihren politischen Zwecken dienen können, können Terroristen praktisch gegen alles oder jeden zuschlagen, wenn es sich ihrer Meinung nach um ein geeignetes Ziel handelt. Da ihre Mittel begrenzt sind und sie keine Garnisonsstaaten werden wollen, können die Regierungen jedoch nicht überall und zu jeder Zeit alles schützen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausgangssituation sind auch die Anstrengungen unterschiedlich groß, die die terroristischen Angreifer und diejenigen, die den Terrorismus bekämpfen, unternehmen. Die für die Bekämpfung des Terrorismus erforderlichen Mittel werden nicht durch die sehr kleine Zahl von Terroristen bestimmt, sondern durch die praktisch unbegrenzte Anzahl von Zielen, die es zu verteidigen gilt. Dies macht den Terrorismus zu einer billigen Art des Kampfes, während seine Bekämpfung kostspielig ist.

Terroristische Ziele: Kein Land bleibt verschont

Terroristen können jedes Symbol einer von ihnen bekämpften Regierung, Volksgruppe, Ideologie, Politik oder eines von ihnen bekämpften Wirtschaftssystems oder Standpunkts im Visier haben. Diplomaten und Botschaften stehen beim internationalen Terrorismus in vorderster Front, aber das Spektrum terroristischer Ziele hat sich im Laufe der Jahre stetig erweitert. Terroristen haben Flugzeuge entführt und Züge überfallen. Sie haben Archäologen und Nonnen entführt sowie Soldaten und Priester ermordet. Sie haben Pipelines und Nachtclubs, Restaurants und Raffinerien, Kaufhäuser und Tanzgruppen, Briefkästen, Synagogen, Kirchen und Computer in die Luft gesprengt.

Terroristen greifen normalerweise zivile Ziele an, aber sie haben ebenfalls Militärattaches ermordet, Generäle und Luftwaffenangehörige entführt sowie Bomben in Armeehauptquartieren, Offiziersclubs und Wehrämtern zur Detonation gebracht. Eine Handvoll Staaten stellen überproportional oft Ziele von Terroranschlägen dar. Die Hälfte aller internationalen Terroranschläge gilt Zielen in fünf Ländern. Obwohl der Terrorismus in den Vereinigten Staaten selber nur ein geringfügiges Problem darstellt, sind amerikanische Staatsbürger und Einrichtungen im Ausland häufig Ziel von Terroristen. Mehr als 30 Prozent aller internationalen Terroranschläge sind gegen Amerikaner gerichtet. Frankreich, Israel, Großbritannien und die Türkei (deren Diplomaten in den vergangenen Jahren Ziel armenischer Terroristen waren), sind die übrigen der fünf am stärksten betroffenen Länder.

Viele Leute glauben, daß kommunistische Länder gegen terroristische Gewalt gefeit seien; aber dies ist nicht der Fall. Es ist zwar richtig, daß in der Sowjetunion oder in anderen osteuropäischen Ländern, deren Bevölkerung einer strengen Kontrolle seitens der Regierung unterliegt, Terrorismus kaum vorkommt, aber drei kommunistische Länder — die Sowjetunion, Kuba und Jugoslawien — zählen trotzdem zu den zehn am häufigsten betroffenen Ländern. Sowjetische Diplomaten waren Ziel jüdischer und moslemischer Extremisten wie auch rechtsgerichteter Fanatiker. Castro-feindliche kubanische Emigranten in den Vereinigten Staaten und der Karibik haben Anschläge auf kubanische Diplomaten, Regierungsvertreter oder Vertreter von Firmen, die auf Kuba geschäftlich tätig waren, verübt. Obwohl beide zu den zehn am stärksten betroffenen Ländern gehören, sind die Vereinigten Staaten zehn-mal häufiger Ziel von Terroranschlägen als die Sowjetunion.

Hierfür gibt es viele Gründe. Keine der Ideologien an beiden Enden des Spektrums besitzt ein Monopol auf die Anwendung terroristischer Taktiken, aber Gruppen, die in irgendeiner Form die marxistische Ideologie vertreten, übertreffen zahlenmäßig eindeutig alle anderen Terrororganisationen, so daß die Vereinigten Staaten als wichtigste kapitalistische Macht zu einem Hauptziel werden. Terroristen neigen auch dazu, die Einflußmöglichkeiten der Vereinigten Staaten auf lokale Regierungen zu überschätzen, und sie überschätzen deshalb auch den Einfluß, den sie selbst gewinnen können, indem sie die Amerikaner ins Visier nehmen. Die weitverbreitete politische und wirtschaftliche Präsenz und der allgegenwärtige kulturelle Einfluß der Vereinigten Staaten ist ein weiterer Grund für die häufigen Anschläge auf amerikanische Ziele. Es ist schwierig, ein Land ohne amerikanische Diplomaten, Geschäftsleute, Missionare, Reporter oder zumindest ohne amerikanische Touristen zu finden.

Terror-Operationen: Auswahl der Ziele

Terroristen, die ohne jede reguläre Beschäftigung im Untergrund leben, verbringen enorm viel Zeit mit der Planung von Operationen. Aus Unterlagen, die in Terroristenverstecken entdeckt wurden, und aus Zeugenaussagen von Terroristen wissen wir, daß sie der Auswahl von Zielen beträchtliche Aufmerksamkeit widmen. Es scheint sich um einen Zwei-Phasen-Prozeß zu handeln. Zunächst wird ein potentielles Ziel für politisch geeignet befunden: Eine bestimmte Regierung, Organisation, Institution, Firma oder Einzelperson wird für „schuldig“ erklärt — es handelt sich dann um einen Gegner der Terroristen oder ihres Umfelds, dessen „Bestrafung“ Zustimmung finden wird oder der ganz einfach als lukratives Ziel angesehen wird, das eine große Lösegeldsumme wert ist.

Der Terrorismus legt den Begriff von Schuld und Bestrafung weiter aus, als dies bei anderen Formen der Kriegführung oder Politik geschieht, und faßt demzufolge die Definition der „unschuldigen“ Unbeteiligten enger. Für Terroristen gibt es nur wenige unschuldige Unbeteiligte. Eine Person kann allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Organisation, ihrer beruflichen Tätigkeit oder ihrer Volkszugehörigkeit „schuldig“ sein und demzufolge ein geeignetes Ziel darstellen. Ein extremer Ausdruck dieser Auffassung ist die Redensart, die einst unter Linksextremisten beliebt war: „Wenn du nicht Teil der Lösung bist, bis du Teil des Problems.“ Dies impliziert, daß jeder, der die Terroristen nicht aktiv unterstützt, ein angemessenes Ziel für ihre Gewalt darstellt. „In der heutigen Welt ist niemand unschuldig oder neutral“, warnte George Habbash, der Führer der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP). „Entweder man steht auf der Seite der Unterdrückten oder auf der Seite der Unterdrükker. Wer sich nicht für Politik interessiert, gibt seinen Segen zur bestehenden Ordnung, die die Ordnung der regierenden Klassen und der ausbeuterischen Kräfte ist.“

Sogar die Opfer des Massakers auf dem Flughafen von Lod im Jahre 1972, unter denen sich zufällig viele christliche Pilger aus Puerto Rico befanden, wurden von der für den Anschlag verantwortlichen Palästinenserorganisation für „schuldig“ befunden, da sie mit israelischen Visa in Israel eingetroffen waren und daher stillschweigend den Staat anerkannt hatten, der von den Palästinensern zum Gegner erklärt worden war, und da sie durch ihre Einreise nach Israel ein regelrechtes Kriegsgebiet betreten hatten. Ein Terroristenführer brachte es auf die kurze Formel: „Es gibt keine unschuldigen Touristen in Israel.“

Diese Rechtfertigung der Morde von Lod ist ein nicht untypisches Beispiel dafür, daß Terroristen ihre Opfer nach begangener Tat für schuldig erklären. Die PFLP, die drei japanische Terroristen für die Durchführung des Anschlags auf dem Flughafen von Lod benutzt hat, sagte nicht, daß die Opfer Unschuldige waren, die in ein Kreuz-feuer gerieten; sie sagte ebenfalls nicht, daß sie alle Inhaber von israelischen Visa aufspüren und töten werde. Die Organisation sagte aber, daß diejenigen, die allein deswegen zufällig erschossen worden seien, weil sie sich zufällig zum falschen Zeitpunkt dort aufgehalten hätten, nichtsdestoweniger schuldig seien; andernfalls hätten sie sich nicht dort aufgehalten, um erschossen zu werden.

Die zweite Phase in dem Prozeß der Zielauswahl ist die Einschätzung der operativen Möglichkeiten. Terroristen untersuchen alle geeigneten Ziele, um das verwundbarste Ziel herauszufinden. Dies setzt das Sammeln von umfangreichen Informationen voraus. Sie beobachten Gebäude, führen langandauernde Observationen durch und versuchen, zusätzliche Informationen von Gesinnungsgenossen zu erhalten. In diesem Bereich arbeiten sie gut, manchmal sogar unnötig genau, was darauf hinweist, daß sie viel Zeit ha25 ben und Befriedigung aus der endlosen Vorbereitung von Operationen ziehen, von denen viele niemals durchgeführt werden. Die Verstecke von Terroristen sind angefüllt mit Verwendungsstudien und detaillierten Plänen für Anschläge, die niemals stattgefunden haben. Da Terroristen darauf bedacht sind, niemals zu versagen, streben sie Operationen an, die ein minimales Risiko beinhalten.

Obwohl dieses komplizierte Verfahren scheinbar die übliche Operationsweise darstellt, kann die Auswahl eines Ziels manchmal recht zufällig, ja sogar auf sonderbarem Wege erfolgen. Ein amerikanischer Terrorist, der für eine Reihe von Bombenanschlägen Anfang der siebziger Jahre verantwortlich war, kehrte in seine Heimat zurück, um seinen Kameraden zu sagen, daß er soeben eine Bombe in der , Marine Midlands Bank’ gelegt habe. Da diese Bank in der Gruppe nicht als mögliches Ziel im Gespräch gewesen war, löste seine Wahl dieses Ziels Verwirrung und Bestürzung aus. Warum hatte er , Marine Midlands* ausgewählt? „Aus keinem bestimmten Grund. Ich ging ganz einfach die Wall Street entlang, bis ich einen geeignet erscheinenden Platz fand. Es handelt sich um einen dieser neuen Wolkenkratzer, Millionen von Dollar aus Glas und Stahl ... du schaust dir das Gebäude und die ein-und ausgehenden Menschen einfach an und weißt Bescheid.“

Gefragt, warum er eine bestimmte Bank ausgewählt habe, um sie zu zerstören, entgegnete ein anderer amerikanischer Radikaler: „Nun, diese Bank of America* repräsentiert für mich das gleiche wie jede andere , Bank of America*. Es ist vor allem die , Bank of America*, die überall auf der Welt ihre Hand mit im Spiel hat... Außerdem war es ein häßliches Gebäude. Es war so ... häßlich, daß es verschwinden mußte.“

Unabhängig davon, ob ein Ziel aufgrund sorgfältiger Nachforschungen oder aus persönlichen Gründen ausgewählt wird, wiegt ein Faktor mehr als alle anderen: Das wesentliche Kriterium ist, daß das Ziel nicht von bewaffneten Personen verteidigt wird. Dies mag erklären, warum Terroristen nur selten Anschläge auf militärische Einrichtungen verübt haben. Es ist ihnen jedoch gelungen, nicht von Wachen entdeckt zu werden und Bomben in Armeehauptquartieren zu legen.

Terroristen haben ebenfalls Leibwächter erschossen, um geschützte Personen zu entführen.

Als Antwort auf umfangreichere Sicherheitsvorkehrungen im Umkreis von Einrichtungen, die mögliche Ziele von Terroranschlägen sind, haben Terroristen sich leichter angreifbaren Zielen zugewandt, nämlich Menschen. Die Tatsache, daß der Anteil von Terroranschlägen gegen Personen im Verhältnis zu Anschlägen gegen Sachen gestiegen ist, spiegelt auch die wachsende Bereitschaft von Terroristen wider, zu töten. Sicherheitsbeauftragte müssen jetzt nicht nur die Sicherheit von Einrichtungen, sondern auch die persönliche Sicherheit aller dort Beschäftigten bedenken. Terroristen können durch einen Anschlag auf eine Person die gleichen politischen Ziele erreichen wie durch einen Anschlag auf eine Einrichtung. So konzentrierten z. B. baskische Separatisten in Spanien, die entschlossen waren, den Bau eines Kernkraftwerks zu stoppen, ihre Bemühungen zunächst darauf, Bomben auf das Baugelände zu schmuggeln. Als dies durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen erschwert wurde, gingen die Terroristen zu Anschlägen auf das Personal über, indem sie den Oberingenieur des Kraftwerks entführten und ermordeten, den Direktor ermordeten und drohten, alle übrigen Führungskräfte, die das Gelände beträten, zu töten. Durch diese Aktionen wurde tatsächlich der Bau des Kernkraftwerks gestoppt.

Staatsterrorismus: Eine neue Art des Konflikts

Ein weiterer beunruhigender Trend ist der Staats-terrorismus. Eine wachsende Zahl von Regierungen wendet selber terroristische Methoden an oder benutzt Terrorgruppen für eine Art von Stellvertreterkrieg. Diese Regierungen sehen den Terrorismus als ein nützliches Potential an, ein „Waffensystem“, ein billiges Mittel der Kriegführung, und zwar eher gegen inländische Gegner oder gegen ein anderes Land als gegen eine politische oder gesellschaftliche Struktur. Terroristen bieten eine mögliche Alternative zum offenen, bewaffneten Konflikt zwischen den Staaten. Der heutige konventionelle Krieg wird zunehmend unführbarer — er ist zerstörerisch, kostspielig und gefährlich. Die Weltmeinung, und manchmal auch die Meinung im eigenen Land, übt Druck aus. Einige Länder, die nicht in der Lage sind, mit konventionellen militärischen Mitteln zu drohen, betrachten den Terrorismus als die einzige Alternative, als einen „Stabilisator“.

Die Zunahme des Staatsterrorismus hat schwerwiegende Konsequenzen. Er gibt den Terroristen mehr Mittel in die Hand: Geld, Zuflucht, hoch-entwickeltes Kriegsmaterial, Nachrichtenmaterial und technisches Fachwissen. Er entlastet sie auch, indem er es ihnen ermöglicht, Großopera-B tionen zu planen, ohne sich besonders um die Entfremdung ihres Umfelds oder die Provozierung öffentlicher Reaktionen zu sorgen, da sie nicht auf die Unterstützung der örtlichen Bevölkerung angewiesen sind. Da sie sich nicht selbst durch Banküberfälle oder Entführungen mit Lösegeldforderungen finanzieren müssen und keine Operationen allein deshalb durchführen, um den Zusammenhalt der Gruppe zu wahren, werden staatlich geförderte Terrorgruppen seltener operativ tätig als Gruppen, die nur eine geringe oder gar keine staatliche Unterstützung erhalten; aber sie sind um vieles gefährlicher und verfügen über eine wesentlich größere operative Reichweite.

Gruppen im Nahen Osten wie der »Schwarze Juni’ (Al-Assifa), der politische Morde in Westeuropa, im Nahen Osten und in Asien verübt hat, sowie , Der Heilige Krieg 4 (Islamic Jihad), die schiitische Moslem-Extremistengruppe, die sich zu den von Selbstmordkommandos ausgeführten Bombenanschlägen auf die amerikanische und die französische Botschaft in Beirut und Kuwait sowie auf die Kasernen der US-Marines bekannt hat, gehören zu den staatlich geförderten Gruppen. Der Bombenanschlag im Jahre 1983, bei dem 17 südkoreanische Regierungsbeamte in Rangun getötet wurden, war ein Beispiel dafür, daß ein Land, in diesem Fall Nordkorea, seine eigenen Agenten zur Ermordung von Regierungspolitikern eines anderen Landes ausgeschickt hat.

Möglicherweise befinden wir uns auf der Schwelle zu einer Ära des bewaffneten Konflikts, in der begrenzte konventionelle Kriege, Guerillakriege und internationaler Terrorismus nebeneinander bestehen werden, wobei Regierungen und substaatliche Einrichtungen sich ihrer individuell, wechselweise nacheinander oder gleichzeitig bedienen werden — und sich gegen sie schützen werden müssen.

Krieg führen wird in der Zukunft möglicherweise weniger zerstörerisch sein als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber möglicherweise auch zusammenhangloser. Kriege werden nicht mehr begrenzt sein. Die Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden wird unklarer und komplexer sein. Bewaffnete Konflikte werden Landesgrenzen überschreiten. Lokale Militante werden ausländische Förderer mobilisieren. Terroristen werden sowohl im Inland als auch im Ausland Ziele angreifen. Es wird notwendig sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, mit allen drei Arten des bewaffneten Konflikts möglicherweise gleichzeitig umzugehen, wenn man den großen Krieg vermeiden will

Fazit und Ausblick

Der derzeitige Trend zum Staatsterrorismus wird sich fortsetzen. Der begrenzte konventionelle Krieg, der klassische Guerillakrieg in ländlichen Gebieten und der internationale Terrorismus werden nebeneinander existieren und auch gleichzeitig auftreten. Die iranische Revolution und ihre Ausbreitung im Libanon, bei der der internationale Terrorismus als effektives Instrument eingesetzt wurde, könnte für andere Revolutionen in der Dritten Welt und revolutionäre Staaten als Modell dienen, so wie das kubanische Beispiel eine ganze Generation von Nachahmern in Lateinamerika inspiriert hat.

Es könnte sein, daß sich der internationale Terrorismus zu einem neuen Typus des globalen Guerillakampfes entwickelt, in dem terroristische Gruppierungen vom politischen Dschungel der Dritten Welt aus von den Medien vielbeachtete blitzartige Anschläge durchführen, die militärisch zwar unbedeutend, aber politisch folgenreich sind, wobei die Terroristen Situationen aus dem Weg gehen, die sie mit gut ausgerüsteten, gut ausgebildeten Antiterroreinheiten konfrontieren könnten.

Zusammenfassend läßt sich folgender Ausblick geben:

— Der Terrorismus wird weiterbestehen.

— Mit einer weiteren Zunahme ist zu rechnen. — Die Zahl der schwerwiegenden Anschläge wird sich erhöhen.

— In bezug auf Taktiken, Ziele und Waffen werden sich in absehbarer Zukunft keine Veränderungen gegenüber der Vergangenheit ergeben. — Einige Staaten werden den Terrorismus weiterhin zur Durchsetzung ihrer Ziele benutzen. Vielleicht steht den Staaten ein langer, weltweiter Guerillakampf bevor.

— Die Terroristen werden auch in Zukunft Krisen hervorrufen, wodurch Regierungen und Großunternehmen gezwungen werden, zunehmend Mittel für die Terrorismusbekämpfung bereitzustellen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Inneramerikanischer Rechtsausschuß, Begründung des Entwurfs für ein Abkommen über Terrorismus und Entführung, 5. Oktober 1970, OAS Dokument CP/doc. 54/70, rev. 1, 4. November 1970; dabei wird Eduardo Jimenez Arechaga in einer Studie zitiert, die im , Anuario Uruguayo de Derecho International, 1962’ veröffentlicht wurde.

  2. Angehöriger der Bürgermiliz zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, der binnen weniger Minuten einsatzbereit sein mußte.

  3. Ergänzungsprotokoll zu den Genfer Verträgen vom 12. August 1949 über den Schutz von Opfern internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I), einstimmig angenommen von der Diplomatenkonferenz in Genf am 8. Juni 1977.

  4. Generalversammlung der Vereinten Nationen, Bericht des Ad-hoc-Komitees über internationalen Terrorismus, offizielles Verzeichnis der Generalversammlung: 28. Sitzung, Anhang 28 (A/9028), 1973, S. 22.

  5. Protokoll I (Anm. 3).

  6. Carlos Marighella, Mini-Handbuch der Stadtguerilla, in: Jay Mallin (Hrsg.), Terror und Stadtguerilla, (Florida) 1971, S. 70— 115.

  7. Abu lyad/Eric Rouleau, Meine Heimat, mein Land: Eine Schilderung des palästinensischen Kampfes, Times Books, 1981.

  8. Jane Alpert, Im Untergrund aufgewachsen, New York 1981.

  9. „Der Student, der die , Bank of America* nieder-brannte“, in: Scanlon's, Januar 1971, S. 21.

  10. Siehe: Brian M. Jenkins, Neue Arten des Konflikts, Santa Monica 1983.

Weitere Inhalte

Brian Michael Jenkins, M. A., geb. 1942; Studium der Geschichte an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) und der Universität von San Carlos in Guatemala; Fulbright Stipendiat; Direktor für Sicherheits-und Konfliktforschung der Rand Corporation in Santa Monica und Berater der amerikanischen Regierung in Fragen des Terrorismus und der politisch motivierten Gewalt; Chefredakteur von „TVI-Report“, einer Vierteljahreszeitschrift über Terrorismus und Extremismus, sowie stellvertretender Chefredakteur von „Terrorism and Conflict". Veröffentlichungen u. a.: International Terrorism: A New Mode of Conflict, 1975; Terrorism and Personal Protection, 1985; sowie Autor von zahlreichen Beiträgen in Fachzeitschriften und Forschungsberichten.