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Die Sozialistische Partei Frankreichs: Sozialdemokratie oder Postsozialismus? Von den Schwierigkeiten des demokratischen Sozialismus, in Frankreich wieder mehrheitsfähig zu werden | APuZ 6-7/1987 | bpb.de

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APuZ 6-7/1987 Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich Die „cohabitation": Verfassungsprobleme und politische Praxis Regierungswechsel oder hegemoniale Wende in Frankreich? Die Sozialistische Partei Frankreichs: Sozialdemokratie oder Postsozialismus? Von den Schwierigkeiten des demokratischen Sozialismus, in Frankreich wieder mehrheitsfähig zu werden

Die Sozialistische Partei Frankreichs: Sozialdemokratie oder Postsozialismus? Von den Schwierigkeiten des demokratischen Sozialismus, in Frankreich wieder mehrheitsfähig zu werden

Claus Leggewie

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise haben auch die (verspätet an die Macht gelangten) französischen Sozialisten (PS) die Wahlen im März 1986 verloren, sind aber stärkste und beliebteste Partei geblieben. Sie sind daher nicht in ihre langjährige Oppositionshaltung zurückgefallen, sondern erheben den Anspruch auf „kulturelle Hegemonie“ und „strukturelle Mehrheitsfähigkeit“ in der französischen Gesellschaft und letztlich auf die baldige Rückkehr zur Macht, an der ein sozialistischer Staatspräsident ohnehin bis 1988 noch effektiv partizipiert. Bereits in der Regierungsphase 1981— 1986 hatte die PS einen spektakulären Kurswechsel vom „linkskeynesianischen“ staatlichen Krisenmanagement zur „gemischtwirtschaftlichen“ technologischen Modernisierungspolitik vorgenommen. Die emphatischen Transformationsvorstellungen des „Selbstverwaltungssozialismus“ wurden weit in den Hintergrund geschoben. Dies spiegelte nicht nur die übliche „Abmagerung“ oppositioneller Prinzipien zur praktischen Politik von Sozialisten in kapitalistischer Umwelt; die Reformgesetze müssen nuancierter betrachtet werden, denn sie enthalten jenseits konventioneller Vorstellungen zur Umverteilung und Verstaatlichung bereits neue Ansätze zum „Produktionssozialismus“, die freilich in den Anfängen steckengeblieben sind. Der während der Regierungsfahrt vorgenommene Richtungswechsel wurde von den Wählern nicht verstanden und honoriert, die in zwei Richtungen ab-bzw. zurückwanderten: links Enthaltungen sowie Rückkehr rechter Leihstimmen von 1981. Nach den Wahlen sollte dann mit einer Organisationsreform die Schallgrenze von 40%-Wählerzustimmung durchstoßen und die faktische Programmrevision kodifiziert werden. Als „Sozialdemokratisierung“ kann man dies nur insofern bezeichnen, als die französischen Sozialisten sozusagen im Eiltempo den Ernüchterungs-und Öffnungsprozeß klassischer Sozialdemokratien nachvollziehen; die Probleme stellen sich jedoch bereits in den Dimensionen von „Nach-Bad Godesberg“. Zur „Hegemoniefähigkeit“ kann die PS nun mehrere Wege einschlagen, die auch für die Strategien anderer Linksformationen interessant sind: als neo-sozialdemokratische Partei, die sozialhistorisch erstmals eine „organische“ Beziehung zu Lohnarbeitern und Gewerkschaften brächte; als demokratischer Präsidialwahlverein auf der Basis einer links-republikanischen Regenbogenkoalition oder als postsozialistische Rahmenpartei, die ein loses Bündnis gesellschaftlicher Gruppen und Bürgervereinigungen politisch artikuliert. Dieser Modernisierungsprozeß der PS ist indessen unter den Imperativen des politischen Kalenders vertagt worden; statt langfristiger Hegemonie-bildung steht jetzt das günstigere politisch-konjunkturelle Ereignis der Präsidentschaftswahlen 1988 (oder vorher) an, für das die französischen Sozialisten mehrere aussichtsreiche Kandidaten ins Rennen schicken können, um die Wechselwähler der politischen Mitte zu gewinnen. Dabei können allerdings auch wieder latente Konflikte zwischen den verschiedenen Parteiflügeln offen ausbrechen.

I. Die „Ära Mitterrand“ — historische Verspätung oder „postsozialistische“ Ouvertüre?

Frankreichs Uhren — nach einem bekannten Bonmot gehen sie bekanntlich anders — haben der Sozialistischen Partei (PS) nur ein kurzes „sozialdemokratisches Jahrfünft“ gegönnt. Die vergleichsweise spät errungene Wählermehrheit verlor sie bereits nach zwei bis drei Jahren; die Regierungsrolle wurde dem sozialistischen Premierminister nach den verlorenen Parlamentswahlen im März 1986 aus der Hand genommen, und der bis 1988 gewählte Staatspräsident Franois Mitterrand ist seither weitgehend auf repräsentative Funktionen zurückgedrängt worden, die er allerdings höchst geschickt und politisch-effektiv wahrnimmt. Die französische Geschichte scheint sich treu zu bleiben; nach der kurzen Episode der „roten Rose“ prophezeit man dem demokratischen Sozialismus nun wieder ein langes Exil in der Opposition

Im Abstand eines knappen Jahres vom Macht-verlust auf der zentralstaatlichen Ebene — dem bereits herbe Verluste der Linken in den Gemeinden vorausgingen und der sich auf breiter Front auch in den (von ihr selbst aufgewerteten) Regionalparlamenten wiederholte — läßt sich heute erstens die Frage stellen, was nach dem glanzvollen Wiederaufstieg der PS in den siebziger Jahren zu einem definitiven Ende der „Ära Mitterrand“ zu führen droht. Wie kam es, daß die von den Sozialisten angeführte Linke ihre in der Periode des Spätgaullismus und in der Amtszeit Giscard d’Estaings gewonnene kulturelle Hegemonie nicht zur politischen ausbauen und verteidigen konnte?

Zweitens soll der Frage nachgegangen werden, ob der in der Regierungszeit 1981— 1986 eingetretene, aufsehenerregende innere Wandel der PS als „Sozialdemokratisierung“ anzusehen und damit als Ausdruck einer „Normalisierung“ Frank-reichs im west-und mitteleuropäischen Maßstab zu interpretieren ist

Drittens soll dann die Entwicklung der Partei seit der Wahlniederlage skizziert und gefragt werden, ob Frankreichs Sozialisten über kurz oder lang erneut mehrheitsfähig werden können. Hegemoniefähigkeit — so das Stichwort — resultiert dabei nicht (allein) aus der taktisch-personellen Schwäche des liberalkonservativen Regierungsbündnisses aus RPR und UDF, in dessen Gebälk es schon merklich kracht. Viele Skeptiker sind vom Ende des „sozialdemokratischen Jahrhunderts“ (Dahrendorf) überzeugt. Eine renovierte sozialistische bzw. sozialdemokratische Hegemonie setzte zum einen eine spürbare politisch-kulturelle Tendenzwende weg von neokonservativen bzw. neoliberalen Regulierungsweisen spätkapitalistischer Gesellschaften und zum anderen die sozio-strukturelle Mehrheitsfähigkeit einer gewandelten Linkspartei voraus. Dies würde in Frankreich ein „zweites Epinay“ erfordern; doch ist das Gelingen oder Scheitern dieses Prozesses auch von exemplarischer Bedeutung für die Neuformierung sozialdemokratischer, sozialistischer und auch grün-alternativer Strömungen in anderen Ländern

II. Soll und Haben — Zur Bilanz von fünf Jahren sozialistischer Regierungspraxis

Die (gemäß der bisherigen Verfassungspraxis der Fünften Republik) unter Staatspräsident Mitterrand regierenden Kabinette Pierre Mauroy (1981— 1984) und Laurent Fabius (1984— 1986) hatten eine fast einzigartige Chance: Während in fast allen hochentwickelten Industriegesellschaften infolge der Weltwirtschaftskrise nach 1974 liberal-konservative Regierungen ins Amt kamen CERES Centre d’Etudes, de Recherches et d’Education Socialiste (linker Flügel der PS, ab 1986: Socialisme et Rpublique) CFDT Confederation Franaise Democratique du Travail (linkssozialistischer unabhängiger Gewerkschaftsbund) CGT Confederation Generale du Travail (Prokommunistischer Gewerkschaftsbund) PCF Parti Communiste Fran^aise (Kommunistische Partei Frankreichs)

PS Parti Socialiste (Sozialistische Partei Frankreichs)

RPR Rassemblement Pour la Republique (neo-gaullistische Partei)

SFIO Section Franaise de l'Internationale Ourvriere (Alte Bezeichnung der Sozialistischen Partei)

UDF Union pour la Democratie Franaise (Parteienbündnis der liberalen und rechten Mitte) und mit einander ähnlichen Austerity-Programmen der Politik in allen Bereichen ihren Stempel aufzudrücken vermochten, kamen in Frankreich „antizyklisch“ (und auch schon kaum noch erwartet) die Sozialisten mit ihrem kommunistischen Juniorpartner an die Macht. Die Voraussetzungen schienen günstig: eine satte parlamentarische Mehrheit von PS-Abgeordneten, ein domestizierter kommunistischer Koalitionspartner (bis 1984), der dann auch als außerparlamentarischer Gegner nicht den „Minister der Massen“ spielen konnte, im übrigen kaum sonstiger Protest von Seiten der Gewerkschaften oder neuer sozialer Bewegungen, und keine ökologische Protestpartei in den Parlamenten — trotz ungünstiger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen schien dies noch einmal Handlungsspielräume für ein authentisches sozialistisches Reformprojekt zu eröffnen. Ein „anderes“ Krisenmanagement als Reaganomics oder Thatcherism schien möglich; eine sozial-und demokratie,, verträglichere“ Industrie-, Forschungs-und Technologie-politik sowie eine exemplarische Erweiterung des modernen Rechts-und Wohlfahrtsstaats standen auf der Tagesordnung.

Die Ernüchterung kam bald. Kritiker (auch aus den eigenen Reihen) halten der abgewählten Linksregierung vor, ihre Variante der Austeritäts-Politik (politique de rigueur) habe keinerlei neue Akzente gesetzt. Vielmehr habe sie das anvisierte „sozialistische Projekt“ ausverkauft und sei mit fliegenden Fahnen zu neoliberalen Vorstellungen übergelaufen. Das „Modell Frankreich“ hat nicht stattgefunden.

Die Sozialisten selbst legen eine günstigere Bilanz vor. Regierung und Parlament waren eminent fleißig; sie brachten eine Fülle von Reform-projekten ein. Die Bewältigung der bereits vorgefundenen und weitgehend von außen determinierten Wirtschaftskrise sei sozial ausgewogener gewesen als in anderen Ländern. War es so? Eine objektive Evaluation ist bisher noch kaum begonnen worden — und erscheint vielen auch weder politisch noch wissenschaftlich interessant In der hier gebotenen Kürze soll dazu ein Überblick gegeben werden. 1. Die Reformen Betrachtet man zunächst die Quantität der Reformgesetze, so muß man der Linksregierung ge-rechterweise eine erstaunliche Vielzahl und auch Vielfalt von Ansätzen bescheinigen:

— Mit der Dezentralisierung von 1982 wurde eine seit langem überfällige, durch den regionalistischen Protest der siebziger Jahre aktualisierte „stille Revolution“ im zentralistisch verwalteten und regierten Frankreich eingeleitet. Die regionalen Gebietskörperschaften (also Gemeinden, Departements und Regionen) haben jetzt eine größere finanzielle und Entscheidungsautonomie, wenngleich Ambition und Wirkung dieser Gesetze noch begrenzt sind, die französische „Peripherie“ noch nicht das wünschenswerte föderative Gegengewicht zum Pariser Zentrum bildet und auch neue Abhängigkeitsverhältnisse nicht ausgeschlossen sind

— Von ähnlichem Gewicht sollte die Verstaatlichung weiterer Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen 1982 sein. Dieses Projekt entspringt der Orthodoxie eines emphatischen Antikapitalismus klassischer Provenienz, wurde dann zum Eckpfeiler eines linkskeynesianisch inspirierten Umverteilungsprogramms und erreichte im Endeffekt nicht einmal das begrenzte Ziel, mit den Staatskonzernen Pilotbetriebe für eine innovative Industriepolitik und im Kreditgewerbe entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten zu installieren. Schon vor der Machtablösung 1986 mündete die Verstaatlichungspolitik, eines der teuersten Reformprojekte, in die umgekehrte Tendenz zur Reprivatisierung der zumeist hoch verschuldeten Großbetriebe. Das Scheitern staatlicher Industriepolitik gilt im übrigen auch für die anspruchsvoll begonnene Medien-und Kommunikationspolitik. — Erfolgreicher waren die sozialpolitischen Initiativen, angefangen von der schwungvoll eingeleiteten linearen Verkürzung der Wochenarbeitszeit, geplant bis herab auf 35 Stunden, über die Verlängerung des gesetzlichen Jahresurlaubs bis hin zur Herabsetzung der Pensionsgrenze auf 60 Jahre. Doch erlahmte dieses Vorhaben bald (vor allem bei der 39-Stunden-Woche) und ging nach 1984 in eine Tendenz zur Individualisierung und Flexibilisierung der Lohn-und Arbeitszeitregimes über, ohne daß man hier noch von einer besonderen Berücksichtigung arbeitnehmerbezogener Wünsche durch den Gesetzgeber sprechen konnte. Überdies wurde parallel dazu das zunächst erheblich ausgedehnte System der sozialen Sicherung im Lauf der Jahre zu Sanierungszwekken wieder beschnitten, ohne daß auch hier etwa der Einstieg in die Entkoppelung von Arbeit und

Einkommen durch Grundsicherungsmodelle vollzogen worden wäre — Ähnlich begrenzt blieb der Erfolg der Betriebsverfassungsreformen von 1982/1983. Doch brachten sie Frankreich die lange verpönte „Sozialpartnerschaft“ ein Stück näher; das stark fragmentierte Tarifvertragssystem ist gestärkt, auf betrieblicher Ebene sind Verhandlungs-und Mitsprachemöglichkeiten verbessert worden. Diese Gesetze hatten angesichts der Zurückhaltung und Organisationskrise der französischen Gewerkschaften starke Züge einer „Reform von oben“; nach anfänglichem Widerstand fügten sich die französischen Unternehmer in das Kalkül, mit Hilfe von „Qualitätszirkeln“ und „betriebsnaher Tarifpolitik“ nach japanischem Vorbild direkte Kooperationsbeziehungen zwischen Management und Belegschaften an den Gewerkschaftsvertretungen vorbei einzurichten. Statt der versprochenen „Rekollektivierung" des Arbeitsrechts gab es schließlich Ansätze zu einer „Deregulierung“

Diese auf sozial-und wirtschaftspolitische Bereiche konzentrierte Bilanz (zu erwähnen wären noch wichtige rechts-und kulturpolitische Initiativen) läßt schon durchscheinen, daß Frankreichs Sozialisten noch einmal eine „Politik des Möglichen“ anvisiert haben und dabei auj exemplarische, d. h. auch für andere Reformparteien lehrreiche Weise erfolgreich gewesen und zugleich gescheitert sind. Es waren dies nämlich weitgehend Reformen, die anfangs unter dem Leitmotiv der Umverteilung bzw.der Demokratisierung der Wirtschaft standen. Zu berücksichtigen ist, daß sie unter dem „Diktat der leeren Kassen“ eingeleitet wurden (deren Mißachtung 1981/82 wurde mit der „Reformpause“ und der Austeritätspolitik bezahlt) und, wichtiger noch, von einem internationalen Umfeld bestimmt waren, das die Erfolgschancen des „Reformismus in einem Lande“ erheblich schmälerte. Frankreich ist nun einmal im Rahmen der EG-und OECDÖkonomien kein Vorreiter und hat als Industrie-land mittlerer Bedeutung die Achillesferse starker Außenhandels-und Währungsabhängigkeit von den Haupthandelspartnern 2. Das Krisenmanagement Insofern war jede Reformpolitik zunächst einmal auf die Bewältigung eines kurzfristigen Krisen-managements verwiesen. Die Sozialisten nehmen gegen linke Kritiker in Anspruch, mit ihrer Variante der Austeritätspolitik (verbunden mit dem „Superminister“ Jacques Delors und dessen Nachfolger Pierre Beregovoy) investitionsfördernde Maßnahmen zugunsten der Unternehmen getroffen, ohne zugleich eine Umverteilung von unten nach oben betrieben zu haben. Man wird aber zumindest sagen können, daß für die Gesamtperiode 1981— 1986 Arbeitnehmerhaushalte in Frankreich geringere Reallohnverluste hinzunehmen hatten als in anderen Ländern. So ergibt sich ein differenziertes Bild: Relativen Erfolgen bei der Inßationsbekämpfung und der Eindämmung der Staatsverschuldung bzw.der Reduzierung der Quote von Steuern und Sozialabgaben stehen Mißerfolge bei der Eindämmung des Außenhandelsdefizits und ein Desaster bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit (vor allem der Jugendlichen) gegenüber, wobei man im letzten Bereich gegen Ende der Legislaturperiode durch einen breitgefächerten Maßnahmenkatalog immerhin eine Stagnation auf hohem Sockel erreichte

Wichtig für die Bewertung des sozialistischen „Experiments“ ist vor allem, daß man den radikalenParadigmenwechsel 1982/83 berücksichtigt: Krisenmanagement sollte vorher auf „linkskeynesianischem" Wege durch Anhebung der Massenkaufkraft und staatliche Investitionsanreize, flankiert durch protektionistische und währungspolitische Maßnahmen, gelingen; hier war noch sehr stark die Handschrift des kommunistischen Koalitionspartners bzw.des linken Flügels der PS zu spüren. Nach der „Wende ä la francaise“ 1982/83 setzte sich mit einer marktorientierten, aber weiterhin gemischtwirtschaftlichen Industriepolitik ein anderes, produktionszentriertes Paradigma durch (Modernisierung), von dem keine sofortigen Erfolge zu erwarten waren

Mit der besonders ab 1984 eingeleiteten Modernisierungspolitik war also ein stark modifiziertes Reformverständnis verbunden. Die staatliche Intervention zielte nun weniger auf zentralistische Redistribution als auf die dezentrale Veränderung der Produktion(sstätten) und der Arbeits(platz) organisation ab. Das Reformprogramm hatte damit auf den ersten Blick kaum noch „systemüberwindenden“ Anspruch. Der sozialistischen Handschrift entspricht damit — für viele paradoxerweise —, daß die Reformen nicht gesellschaftliche Idealentwürfe antizipieren, sondern fließende soziale Prozesse rechtlich-institutionell fest-und fortschreiben (so etwa bei der Betriebs-verfassung und der Dezentralisierung). Damit war natürlich ein radikaler Utopieverzicht verbunden, zumindest gemessen an Zukunftsentwürfen wie der „Arbeiterselbstverwaltung“, die nach 1968 die Theoriebildung auch in der PS nachhaltig beeinflußt haben 3. Die Rahmenbedingungen Damit stellt sich die Frage nach dem Grund für das Scheitern weitergehender Programme und Projekte. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dafür waren in Frankreich während der achtziger Jahre erheblich ungünstiger als in der „Aufbruchstimmung“ zu Beginn der sozialliberalen Ära in der Bundesrepublik. Daß die Reformen „kalt“ waren, also weitgehend technokratischen Verfahren „von oben“ entsprangen, hängt zum einen mit der sozialistischen Führungselite zusammen, die sich bruchlos in die Tradition der französischen Verwaltungsspitze einordnete und ganz in der Kontinuität republikanischer Rechts-reformen „im Interesse“ der lohnabhängigen Schichten seit dem letzten Jahrhundert steht

Zum anderen war aber die Linksregierung nicht einmal zu Beginn von einer Mobilisierung „von unten“ beflügelt: Die Gewerkschaften erlebten gerade in diesen Jahren einen katastrophalen Mitgliederschwund und Legitimationsverlust; der Elan der Bürgervereinigungen (associations) war ermattet, und weder in den Betrieben noch in den Gemeinden und Regionen noch in den Schulen gab es so etwas wie Reformeuphorie. Im Gegenteil: Die größte Mobilisierungswelle (seit 1968) während der Amtsperiode der Sozialisten war der gegen die Schulreform gerichtete Protest im Frühsommer 1984, der neben partikularen (katholischen und parteipolitischen) Motiven übrigens auch bemerkenswerte antitechnokratische Elemente in sich enthielt

Fazit: Der Identitätsverlust des französischen Sozialismus war zwangsläufig, da er an der historisch unzeitgemäßen Verwirklichung wenig operativer Generalziele scheitern mußte und sich in einer historisch gegebenen Situation des „Durchwurstelns“ neue Optionen eines „Produzentensozialismus“ nur sehr bruchstückhaft entwickeln konnten und so nur die historisch dominante Version der „Modernisierung“ zu kopieren bzw. zu retuschieren war.

Diese Profilunsicherheit wirkte sich dann rasch als elektorales Handicap aus. Bereits ab 1982 konnte man bei Nach-und Nebenwahlen einen rasanten Entzug der Massenloyalität beobachten. Es handelte sich um eine zentrifugale Abwanderung der heterogenen Mitterrand-Gefolgschaft von 1981 in zwei auseinanderstrebende Richtungen Wähler der Linken waren enttäuscht über die Reformpause, mehr noch über das Versiegen wohlfahrtsstaatlicher Transfers und am meisten durch die gelegentlich brutalen, ganze Industrie-reviere zerstörenden Folgen der Modernisierungspolitik. Für sie war der Kurswechsel der PS eine unverständliche Aufgabe linker Identität bzw. „Klassenverrat“; das diffuse Bild einer sich umorientierenden Partei bot wenige Anreize, ihr dennoch die Treue zu halten. Der größere Teil flüchtete sich bei Wahlentscheidungen in die Enthaltung; ein nicht unerheblicher Teil von PS-(und auch PCF-) Wählern, die besonders stark von der Krise betroffen waren, ging sogar als Protestwähler zur (extremen) Rechten über

War diesen also die PS „zu liberal“, so war sie andererseits der seit Beginn der siebziger Jahre in einem langwierigen Prozeß aus dem zerbröckelnden Wählerpotential der „Zentristen“ geliehenen bürgerlichen Gefolgschaft Mitterrands zu „links“. Die zentristischen Wähler hatten sich vor allem aus Enttäuschung über Giscard d’Estaing („Mißwirtschaft“, Affären und Skandale) der Linken zugewandt; sie waren nunmehr durch die „jakobinischen“ Töne und die arroganten Praktiken der Linksregierung verschreckt, konnten mit dem Liberalisierungs-und Wandlungsprozeß der PS wenig anfangen und rückversicherten sich lieber wieder am stabilen Image der Rechtsparteien. Was auch immer die Sozialisten taten — sie konnten niemals beide Flügel ihrer „aufgeblähten“, artifiziellen 38-Prozent-Mehrheit von 1981 halten.

III. Toulouse war nicht Bad Godesberg — (k) eine Sozialdemokratie in Frankreich?

Da der Einfluß der PS auf die französische Politik und Gesellschaft begrenzt blieb, ist nun die Frage, welchen inneren Wandlungsprozeß die Partei selbst in der Regierung durchgemacht hat und welchen auto-reflexiven Effekt die Modernisierungspolitik besaß. Rekapitulieren wir kurz diesen Wandlungsprozeß: Im „sozialistischen Projekt“ von 1980, das die Handschrift des linken Parteiflügels und des älteren, damals schon geplatzten Bündnisses mit den Kommunisten trug, gerierten sich die Sozialisten noch als strikt antikapitalistische, ja als revolutionäre Partei der „systemüberwindenden Reformen“; neomarxistische und andere Versatzstücke aus der sozialistischen Theoriegeschichte hatten einen hohen ideologischen Stellenwert. Dieses Selbstverständnis stammte aus einer langen Oppositionszeit, in der die Partei als „Ideenlaboratorium“ und Medium der Protestbewegung fungierte; diese mobilisierende Seite wurde aber immer ergänzt durch ein technokratisches Image von Sachverstand und Effektivität. Auch wenn in der PS traditionell (klein-) bürgerliche Mitglieder und Wähler überwogen und nur regionale Arbeiterkulturen (vor allem im Norden) vertreten waren, sorgte ein starker linker Flügel für permanente Reverenzen an proletarische Ideologeme und sozialistische Theoreme. Das Anti-Bild dieses romanisch-südeuropäisch geprägten Sozialismus waren die nord-und mitteleuropäischen Sozialdemokratien, denen revisionistische Tendenzen angekreidet wurden. Ihnen gegenüber profilierte sich die PS immer als „linke“ Alternative. Diese Distanzierung hatte eine objektive, aber paradoxe Grundlage, nämlich die fehlenden strukturellen Voraussetzungen einer idealtypischen Sozialdemokratie in Frankreich. Es fehlte dazu erstens die Massenmitgliedschaft von Industriearbeitern und zweitens die „organische“ Verbindung der „beiden Arme“ der Arbeiterbewegung, also von Partei und Gewerkschaft. Insofern stand die PS eher „rechts“ von SPD, Labour oder schwedischen Sozialdemokraten. Die Ursachen dafür liegen in der besonderen Entwicklungsgeschichte des französischen Proletariats und in der, wenn schon nicht zahlenmäßigen, dann doch programmatischen Vorherrschaft zunächst syndikalistischer, dann leninistischer Strömungen in der früh und lange pluralistisch aufgefächerten Arbeiterbewegung

Die Sozialisten waren deshalb in der politischen Geschichte der französischen Republiken immer auf das kleinbürgerliche Element zurückverwiesen, während der Parteikommunismus zwischen 1934 und 1976 den Ton in der Arbeiter-und Gewerkschaftsbewegung angab. Dieses Manko konnte auch während der sozialistischen Renaissance in den siebziger Jahren nicht ausgeglichen werden; es gelang der PS weder ein Bündnis mit der CFDT-Gewerkschaft noch der Erwerb einer starken eigenen Arbeiterklientel. Wohl aber erreichte die Partei die Mehrheit der lohnabhängigen Wähler, so daß mit der Formierung der Linksunion seit Ende der sechziger Jahre sozusagen ein „sozialdemokratisches Projekt zu zweit“

(H. Portelli) — zusammen mit der kommunistisehen Partei und der Gewerkschaft CGT — möglich schien.

Vor diesem Hintergrund müssen nun Aussagen bewertet werden, die zum PS-Parteitag in Toulouse im Oktober 1985, also kurz vor dem Macht-verlust, gehandelt wurden: Dieser Parteitag wurde, stellvertretend für die gesamte Regierungszeit seit 1982/83, als „sozialdemokratische Wende“, als „Bad Godesberg“ der PS tituliert, und auch Vertreter der PS selbst wandten das einstige Tabu-und Schimpfwort „Sozialdemokrat“ ohne Koketterie auf sich an — ebenso wie es die aus der Linksregierung ausgeschiedenen Kommunisten als neuerlichen Beweis für die „Rechtswendung“ der PS anführten

Bei Vergleichen wie diesen ist immer Vorsicht geboten. Ein bloßer Etikettenwechsel läßt ja die genannten strukturellen Differenzen nicht über Nacht verschwinden. Auch sind die beiden Parteitage von ganz unterschiedlichen sozialhistorischen und zeitgeschichtlichen Umständen geprägt gewesen; so war Toulouse ausdrücklich kein Programm-Parteitag, sondern diente als Wahlkampfstart für 1986; „Bad Godesberg“ war bekanntlich die Ouvertüre eines Machterwerbs, nicht Vorspiel des Machtverlustes. So hat die Anspielung höchstens symbolische Bedeutung; sie besiegelt ein faktisches aggiornamento, eine Anpassung der wichtigsten Parteipositionen, bekräftigte die „Mitte-Links“ -Orientierung und den Anspruch, eine große „Arbeitnehmer-Volkspartei“ zu werden, und bezeichnete die definitive Abkehr der PS aus dem Bündnis mit der PCF und vom „Gemeinsamen Regierungsprogramm“ von 1972. Die PS rehabilitiert damit auch stillschweigend die reformistische Linie, die sich unterirdisch durch die gesamte französische Sozialgeschichte hindurchzieht man könnte also sagen, daß hier ein französischer „Sonderweg“ zu Ende gegangen ist: Von einer „südeuropäischen“ Oppositionspartei wird die PS zur „nord-oder westeuropäischen“ Systempartei. Sie akzeptiert die politischen und ökonomischen Grundlagen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die profit-orientierte Marktordnung und die Unternehmensautonomie, und vor allem präsentiert sie sich als kompetente, leistungsfähige Regierungspartei. Damit ist die uralte Divergenz zwischen Prinzip und Praxis, die in der Vorläuferin der PS, der SF 1O (vor allem in der Ära Guy Mollets nach 1945), besonders weit auseinanderklafften, endlich überwunden. Ansätze dazu hatte es schon oft gegeben: In den dreißiger Jahren versuchten es die Neo-Sozialisten unter Marcel Deat, nach 1945 Daniel Meyer und Leon Blum, schließlich 1979 der Mitterrand-Herausforderer Michel Rocard — doch immer wieder wurden sie von Auflagen und Neuauflagen der „Volksfront“ eingeholt und ausgegrenzt. Wird dieses Mal die Revision definitiv sein?

Der Toulouser Parteitag war u. a. ein Comeback des erwähnten Michel Rocard in der Partei, in der er ein Viertel der Delegierten hinter sich brachte. Er gilt schon lange als der „Sozialdemokrat“ in der PS, wobei auch dieses Etikett wieder voller Tücken ist. Die geforderte und längst noch nicht gelöste Aufgabe der „Modernisierung“ der PS erheischt gleichwohl Perspektiven, die „nach Bad Godesberg“ angesiedelt sind

IV. Machtkämpfe und hegemoniale Strategie: Kurz-und langfristige Ziele der französischen Sozialisten

Man kann nun also den Terminus „demokratischer Sozialismus“ ohne denunziatorischen Beigeschmack auch für die PS benutzen. Zu fragen ist, ob sie wieder hegemoniefähig werden kann, und wenn ja, in welchen Zeiträumen? Wie ist die Lage der Partei nach der Wahlniederlage 1986 und vor der nächsten entscheidenden politischen Auseinandersetzung — der Präsidentscbaftswahl 1988?

Am 16. März 1986 hatte die Partei zwar nur 32% der Stimmen gewonnen und damit die Wahlen verloren, aber ihre Sprecher wirkten fast heiter und gelassen. Mit diesem von kaum einem Demoskopen vorausgesagten Resultat war der Einbruch der „schwarzen Jahre“ (1982— 1985), als z. B. die Europawahlen nur wenig über 20% der abgegebenen Stimmen einbrachten, überwunden; die PS war stärkste Partei geblieben und die neue Mehrheit von RPR und UDF war denkbar knapp und unkomfortabel — nicht zuletzt dank des (von den Sozialisten eingeführten) Verhältnis-wahlrechts und des dadurch möglichen Triumphes des rechtsextremen Front National. Die Führung in der Linken war souverän behauptet — allerdings weniger aus eigener Stärke denn aufgrund des enormen Schwächeanfalls der Kommunisten Die PS zeigte sich optimistisch; sie hatte Vertrauen zurückgewonnen und verfügte über starke Persönlichkeiten — allen voran über einen „reaktivierten“ Staatspräsidenten. Eine Rückkehr an die Macht, 1988 oder früher, erschien im Bereich des Möglichen.

Daran wurden aber auch Zweifel laut Nach dem „Ballastabwurf“ sozialistischer Ideologie und dem radikalen Utopieverzicht stand die Partei nun ohne Programm und ohne neue Ideen da — purer „Realismus“ ist aber eine schlechte Mobilisierungsressource für eine oppositionelle Linkspartei und wirkt entmotivierend gerade auf die aktiven Mitglieder. An solchen herrscht großer Mangel; die PS, mit 200 000 angegebenen Mitgliedern, ist im wesentlichen immer noch ein Wahlverein ohne permanente Strukturen und massenhaft motivierte Mitglieder. Sie ist zu altbacken organisiert und nach außen hin abschrekkend in Strömungen (courants) und politische Clubs fragmentiert Optimistische Parteisprecher geben zwar als nächstes Ziel die magische 40-Prozent-Grenze aus, doch weiß jeder, wie hoch diese Latte gelegt ist; wenn man sie allein nicht überspringen kann, ist man auf Allianzpartner angewiesen. Doch hat die PS diese kleinen Gruppen und unabhängigen Kandidaten der „diversen Linken“, des linken „Centre“ (MRG) und der „undogmatischen“ extremen Linken (PSU) bereits aufgesaugt; die überraschende Vergrößerung des Elektorats kam aus dieser schwachen Reserve, nicht aus der umworbenen „Mitte“.

Und was die Kandidaten anbetraf, so gab es hier fast ein Zuviel an Talenten und Kronprinzen, deren Rivalität die Partei sehr bald in aufreibende Diadochenkämpfe um einen Platz im Elysee trieb, der vom gegenwärtigen Inhaber noch gar nicht geräumt worden ist. Drei Problem-komplexe stellen sich also, ähnlich wie für die SPD oder Labour, auch für die PS:

— wie ist die Partei zu organisieren, die neue soziale Schichten als Mitglieder und Wähler hinzugewinnt (Parteisoziologief.

— welche Programmaussagen sind — in Fortschreibung von „Toulouse“ — zu formulieren, die überzeugende und auch für die Anhänger des gegnerischen Lagers attraktive Antworten auf die Erfordernisse „postindustrieller“ Wirtschaftsund Sozialstrukturen geben (Parteiidentität)! — welcher Kandidat kann die eigene Parteibasis und die potentiellen Wähler am besten mobilisieren und Partei und Programm am deutlichsten repräsentieren (Parteielitenselektion)? 1. Parteisoziologie a) Mitgliederpotential Die SPD hat mit ca. 900 000 Mitgliedern bei ca. 15 Millionen Wählern ein Verhältnis von 1: 17; bei der PS ist diese Proportion mit 1: 44 weit ungünstiger, jedoch historisch schon exzeptionell gut. Die Mitgliederzahl schnellte in den siebziger Jahren und dann noch einmal mit dem Machterwerb 1981 sprunghaft hoch, so daß viele Kritiker von einer „Wachstumskrise“ reden. In der Tat zeigt schon ein oberflächlicher Eindruck von der Pariser Parteizentrale (rue de Solferino) oder von einer beliebigen Federation oder Section rasch den oftmals desolaten Organisationszustand der PS in bezug etwa auf Personalausstattung, Büroorganisation und Materialversorgung. Selbstkritische Parteiprominenz scheut sich auch nicht, die Barrieren anzuprangern, die potentielle Mitglieder davon abhalten, wirklich beizutreten: zu hohe Beiträge, zu häufige und ritualisierte Versammlungen sowie Tendenzkämpfe Eine im Frühsommer 1986 gestartete Werbekampagne soll der PS gleichwohl eine nicht näher quantifizierte Zahl von Neumitgliedern beschert haben, ohne daß das anspruchsvolle Ziel der „großen Massenpartei“ (Generalsekretär Lionel Jospin) wesentlich näher gerückt wäre

Es wird auch mit technischer Modernisierung und new look allein nicht der in Frankreich überaus massiven Parteiverdrossenheit abzuhelfen sein; ein schwer zu revidierender Affekt gegen die „Politiker-Politik“ hat sich breitgemacht. Ihn auf nichtpopulistische Weise aufzuheben (also anders als dies etwa bei FN-Führer Le Pen oder dem den Anti-Parteien-Affekt ebenso nährenden Raymond Barre [UDF] der Fall ist), gehört zum Konzept einiger „Mitterrand-Enkel“, die die Prädominanz der traditionellen „courants“ brechen und die PS wieder als aktiven Dialogpartner der Gesellschaft öffnen wollen Die Partei soll damit, nach Jahren relativ „abgehobener“ Regierungsarbeit, wieder in die Nähe der Bürgervereinigungen, der Menschenrechts-und Umweltkomitees und anderer lokaler Gruppen gerückt werden.

Solche Überlegungen klingen plausibel, sind aber weit von der Realität des Präsidentschaftswahl-vereins entfernt, als den viele PS-Mitglieder ihre Partei derzeit wohl zu Recht empfinden. Nach den Wahlen von 1986 hatte jedenfalls die Partei-basis wenig Möglichkeiten, sich in den Entscheidungsgremien der Partei zu artikulieren und an der Programm-oder Organisationsarbeit zu beteiligen. Die PS bietet auch in der Opposition eher das Bild des „parti godillot“ — so nannte man den Mitläuferstil der Jahre 1981 bis 1986, als die einfachen PS-Mitglieder keinerlei Einflußmöglichkeiten auf die Formulierung der Austeritäts-und Modernisierungspolitik eingeräumt bekamen Das Erfolgsrezept einer „offenen“ Parteistruktur ist noch nicht entdeckt worden. b) Wählerreservoir Der Wahlausgang 1986 zeigte, daß eine „Mehrheit links von RPR-UDF (-FN)“ derzeit nicht zu haben und das Rechts-Links-Kräfteverhältnis von 55: 44 so ungünstig wie seit den sechziger Jahren nicht mehr ist. Erste Nachwahlen haben gezeigt, daß die Mehrheit der liberal-konservativen Rechten auch punktuell nicht leicht zu brechen war, selbst wenn die Meinungsumfragen der PS zuletzt über 35% einräumten (der kommunistischen und extremen Linken weitere 11 %). Wie ist ein Ziel „ 35 plus“ auf Dauer zu erreichen? Eine echte Chance bietet dazu lediglich das Präsidentschaftsplebiszit, das in der Fünften Republik traditionell nach eigenen Gesetzen funktioniert. Nach Sympathie-und Vertrauenswerten der Demoskopieinstitute haben hier alle prominenten Kandidaten der sozialistischen Linken (allen voran Mitterrand selbst sowie Rocard, auch Ex-Premier Laurent Fabius und EG-Kommissionschef Jacques Delors) erheblich höhere Werte als die sozialistische Partei selbst und die meisten ihrer RPR-und UDF-Gegner. Die beiden Erstgenannten erreichen im Duell mit Regierungschef Jacques Chirac oder seinem Konkurrenten auf der Rechten, Raymond Barre, Werte um 50%, was ein Kopf-an-Kopf-Rennen signalisiert. Auch die Sympathiewerte der PS, die 1982/83 rasant verfielen und 1984/85 deutlich negativ wurden, haben im Frühjahr 1986 erstmals wieder positive Relationen erreicht. Die Sozialisten sind eindeutig stärkste und populärste Partei Frankreichs. Woher können sie also noch Wählerstimmen holen? Der PS-nahe Wahlforscher Gerard LeGall denkt hier vor allem an das große Lager der politisch „Enttäuschten“: „Enttäuschte des Kommunismus“, also ehemalige PCF-Wähler, die sich von der sektiererischen und zur inneren Reform unfähigen Parteiführung abwenden und das nächste Mal nicht in die Enthaltung flüchten die „ExEnttäuschten des Sozialismus“, die nach 1982 wieder zum Bürgerblock gingen und von der stark nach rechts driftenden Politik der Regierung Chirac-Leotard enttäuscht oder abgestoßen sind; die „Enttäuschten des Liberalismus“, die aus den gleichen Gründen erstmals für die sozialistische Linke votieren könnten. J. Jaffre hat in einer anderen Analyse gezeigt, daß die Linke, vor allem die Sozialisten, sich überall dort gut behaupten konnten, wo die ökonomische Krise oder die „sekuritäre“ Demagogie der Rechten nicht so tiefe Spuren hinterließ; daß sie bei Arbeitern und Angestellten mit knapp 50% immer noch majoritär geblieben ist — und daß bei Fortführung der rechtslastigen Politik der gegenwärtigen Regierung ein nennenswerter Rückfluß von „Mitte-Links-Wählern“ zu erwarten ist Fazit: Eine „spanische“ Strategie — nach dem Muster der allein regierenden PSOE — erscheint vielen PS-Politikern möglich. Sie kalkulieren a) den weiteren Niedergang der PCF, b) die anhaltende Marginalisierung der in sich zerstrittenen Ökologisten, von denen im zweiten Wahlgang — bei (wiedereingeführtem) Mehrheitswahlrecht — etwa zwei Drittel zusätzlich für einen PS-Kandidaten votieren würden, und c) einen begrenzten Zugewinn in der Mitte. Andere sozialistische oder sozialdemokratische Parteien — etwa der Bundesrepublik mit dem „rot-grünen Dilemma“, oder Portugal bzw. Großbritannien mit einer sozialliberalen Konkurrenzpartei — können von einer so breiten möglichen Rekrutierungsbasis nur träumen. 2. Parteiidentität Selbstbewußtsein und Außenwirkung der PS lassen sich aber nicht rein additiv aus den Sympathisanten einer „Stimmungsdemokratie“ zusammensetzen und schon gar nicht aus einer Kongregation der „Enttäuschten“ gewinnen. Die Partei kann auch nicht bei dem Faktum stehenbleiben, daß sie „sich verändert“ hat; auf das Bemühen, die französische Ökonomie, Politik und politische Kultur zu „modernisieren“, folgt fast logisch der Selbstauftrag, nun die PS ihrerseits zu „modernisieren“ Dazu sollte beitragen — erstens eine Programmdebatte, die über die zwischen 1981 und 1986 vollzogene faktische Revision hinaus positiv die Zielvorstellungen der PS formuliert;

— zweitens eine innere Strukturreform, die den antiquierten Aufbau der Partei renoviert und sie in eine zeitgemäße Position zur französischen Gesellschaft bringt. a) Die Fraktionen und Strömungen (Courants)

Ein derartiges Vorhaben stößt sich sofort an der inoffiziellen, aber realitätsmächtigen Fragmentierung der PS in Courants. Seit der Neugründung 1969/1971 bilden sie ein stabiles internes Proporzsystem, dessen Bestandteile und Spaltungslinien durch die Gefolgschaften der Parteitagsdelegierten hinter herausragenden Symbolfiguren und Meinungsführern bestimmt sind; die Stärke dieser Bataillone bemißt sich an der Zustimmung zu deren Resolutionsanträgen (motions). Darauf fußt wiederum ein annähernd proportionales System der Postenverteilung in den Parteiführungsgremien; nach Gestalt der Courants ergibt sich auch das plurale programmatische Profil nach außen. Integriert wird dieses zentrifugale Block-system durch eine (charismatische) Führungspersönlichkeit; bis 1981 war das fast unangefochten Francois Mitterrand, und der Staatspräsident darf als solche seit Ende 1985 wieder gelten.

Zweiter Stabilitätsfaktor ist das Parteisekretariat, das die Heterogenität der PS nicht widerspiegelt, sondern exklusiv aus dem starken Parteizentrum, d. h.dem mitterrandistischen Courant „A“, gebildet ist. Mit der Umwandlung der PS in eine „Staatspartei“ und der Aufblähung des Courant A durch eine hohe Zahl von Neumitgliedern (die man respektlos als „Maigefallene“ bezeichnen könnte) und Überläufern schien 1981 schon das Ende der Strömungen gekommen zu sein.

Doch spätestens unter dem Gesichtspunkt der (gegebenenfalls schon vor 1988 zu klärenden)

Mitterrand-Nachfolge revitalisierten sich die Courants. Sie sind traditionell durch eine breite Palette von politischen und intellektuellen Clubs innerhalb und außerhalb der Partei „garniert“, in denen konzeptionelle Arbeit mit der Formierung von Parteiclans und -cliquen, Karriereseilschaften und der Vorbereitung von Kandidaturen verbunden ist Neben dem zunächst blassen, aber im Amt gewachsenen Parteisekretär Lionel Jospin repräsentieren Courant A gegenwärtig Ex-Premier Pierre Mauroy und dessen Nachfolger Laurent Fabius mit einer eigenen Hausmacht, weitere Angehörige ihrer Kabinette, ferner die mitterrandistischen „Barone“ (z. B. Fraktionschef Pierre Joxe) und (bislang?) auch die „Nummer 2", Jean Poperen. Daneben gibt es vor allem zwei weitere Courants: die „(Neo) Recordianer", Anhänger des ewigen Mitterrand-Herausforderers Michel Rocard, und die Gruppe „Socialisme et Republique“ des früheren Industrie-, dann Erziehungsministers Jean-Pierre Chevenement.

In der Regel werden diese drei herausragenden Courants ihren ideologischen und historischen Wurzeln gemäß so identifiziert

— Courant A (Mitterrand u. a.): links-pragmatisch, neben alten SFIO-Mitgliedern überwiegend aus Neumitgliedern nach 1969/71 zusammengesetzt, humanistisch-sozialistisch orientiert;

— Ex-CERES: republikanisch-etatistisch und „linksgaullistisch“ -nationalistisch orientiert, Motor der Linksunion, technokratische Zielvorstellungen (zuletzt [1983]: 15%) ;

— Rocardianer: „Selbstverwaltungsflügel“ mit Affinitäten zur CFDT-Gewerkschaft und zur un-dogmatischen Linken, „sozialdemokratisch“ bis sozialliberal orientiert (zuletzt [1985]: 29%).

Daneben gab es zeitweise noch weitere, kleinere Flügel um Pierre Mauroy (früher: Courant „B“) und seinen Marseiller Bürgermeister-Kollegen Gaston Defferre (gest. 1986) sowie Jean Poperen. Über taktische Zuordnungen und Bündnisse hinaus grenzen die Courants also auch soziale Ursprungsmilieus, Anciennitäten der Mitgliedschaft, Bildungsgrade und soziokulturelle Wertorientierungen ab. b) Demokratischer Sozialismus am Scheideweg Die Strategiedebatte der französischen Sozialisten sollte hier auch als Beispiel für die Optionen anderer sozialistischer, sozialdemokratischer und grün-alternativer Formationen in Europa diskutiert werden. Denn trotz aller „gallischen“ Spezifika schälen sich in dem referierten Prozeß prinzipiell drei Chancenstrukturen von Mitte-Links-Formationen heraus:

1. Die neo-sozialdemokratische Partei mit „klassischem“ Arbeitnehmerkern und erweiterter Basis im alten und neuen Mittelstand.

2. Die „Allerweltspartei“ ohne exaktes ideologisch-programmatisches Profil und ohne präzise Klassen-und Schichten-Basis, die in einem bipolaren politisch-kulturellen System bei hoher Konvergenzneigung als Mitte-Links-Block einem Mitte-Rechts-Block gegenübersteht.

3. Die postindustrielle (hier auch: „postsozialistische“) Rahmenpartei, die eine plurale Konflikt-konfigurationund ein variables gesellschaftliches Bündnis aus neuen sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen und -Vereinigungen, nicht-staatlichen single-issue-Groups usw. politisch organisiert und artikuliert

Diese Optionen erheben alle gleichermaßen den Anspruch, das Dilemma linker Traditionsparteien zu überwinden: Diese müssen aus dem Getto ihrer schrumpfenden soziologischen Basis als (reale oder virtuelle) Arbeiterpartei heraus, ohne gewiß sein zu können, mit dieser Öffnung zur Mitte tatsächlich mehr Adressaten zu erreichen Schwierig und riskant sind alle drei Wege. In Frankreich sehen die Voraussetzungen etwa so aus:

Zu 1): Eine „neo-sozialdemokratische“ Partei hat mehr Aussicht auf Erfolg als anderswo, insofern links aus der Erbmasse der unter 10%-Wähleranteil abgesunkenen, fast manövrierunfähigen PCF noch ein Potential an aktiven Mitgliedern und Wählern zu erwarten ist. Einige prominente PC„Dissidenten“ (Henri Fiszbin, Jean Elleinstein)

haben sich bereits der PS affiliert und deren Führungsanspruch innerhalb der französischen Linken unterstrichen Auch eine Variante ist denkbar: Nach Abdankung des resignierten PCF-Chefs Georges Marchais könnte sich die Partei auf niedrigerem Sockel doch noch einmal fangen und eventuell sogar eurokommunistische Strömungen wiederaufblühen lassen, deren Hoffnungen heute an einem einzigen Politbüromitglied (Pierre Juquin) hängen, die aber in den Parteigliederungen einen zähen Überlebenskampf führen. Unter dieser Voraussetzung wäre sogar eine veränderte Neuauflage der Linksunion denkbar. Zu berücksichtigen bleibt aber, daß selbst nach günstigen Schätzungen die „ 50-Prozent-Hürde“ auf diese Weise nicht zu überspringen sein wird.

Zu 2): Linke Parteien hatten immer größere Schwierigkeiten, sich zu einer Volkspartei weiterzuentwickeln; dies gelang eher christdemokratischen und konservativen Formationen. Zur Zeit besteht auf diesem Feld in Frankreich rechts verhältnismäßig geringe Konkurrenz und aufgrund des Präsidialsystems, der hohen Popularität der PS und vor allem ihrer „presidentiables“ sogar eine gute Chance, zur „catch-all-party" (parti attrape-tout) zu werden. Auch die Praxis der Kohabitation, der gemeinsamen Regierung eines neogaullistischen Premiers mit einem sozialistischen Präsidenten seit 1986, und der nicht nachlassende Wunsch einer Mehrheit von Franzosen, „in der Mitte“ regiert zu werden, kommt einer solchen Strategie entgegen Man muß aber einschränkend sagen, daß dazu bislang nur der „präsidiale“ Oberbau vorhanden ist.

Zu 3): Die dritte Möglichkeit einer postindustriellen Rahmenpartei scheint auf den ersten Blick durch den Umstand favorisiert zu werden, daß den Sozialisten in Frankreich nicht durch eine starke grün-alternative Formation inner-und außerhalb des Parlaments Konkurrenz gemacht wird Eines der Erfolgsgeheimnisse der siebziger Jahre war, daß die Mitterrand-Partei sich aus der Dynamik der sozialen Bewegungen, Bürgerinitiativen usw. kräftig alimentierte, bevor sie diese dann nach dem Verlust ihrer organisatorischen Autonomie durch ein konträres Wachstums- und Modernisierungsprogramm massiv enttäuschte. Die PS versteht sich jedoch nur begrenzt als eine Formation, die in „post-industrielle“ Verhältnisse hinüberführen (oder geführt werden) möchte. Ihr Modernisierungskonzept ist noch stark von Konzepten der nachholenden Entwicklung, also der Re-oder Superindustrialisierung, geprägt, auch wenn Mitglieder und Wähler durchaus typische „postmaterialistische“ Wertorientierungen an den Tag legen. Angesichts dieser noch nebulösen Entwicklungshorizonte hat sich die PS Mitte 1986 zu einem abrupten Abbruch der hastig improvisierten „Modernisierungsdiskussion“ entschlossen und ganz auf die taktischen Probleme vor den Präsidentschaftswahlen konzentriert.

V. In den Startlöchern ... Aussichten auf die Präsidentschaftswahlen bis 1988

Bleibt schließlich das (leidige) Kandidatenproblem, also die Frage, wer das „hegemoniale“ Projekt eines „modernisierten“ demokratischen Sozialismus am besten verkörpern kann. Die PS steht zum Jahresbeginn 1987 vor der glücklich-unglücklichen Situation, einen starken „Monarchen“ und viele „Kronprinzen“ zur Auswahl zu haben. Mitterrand hat eine erneute Kandidatur im Prinzip ausgeschlossen, aber auf eine für ihn typisch sibyllinische Weise doch offengehalten. Aus der französischen Bevölkerung schlägt ihm derzeit ein Maß an Sympathie und Vertrauen entgegen wie nur zu Beginn seiner Amtsperiode — ein Phänomen, das die Meinungsforscher in Atem hält. Obwohl Mitterrand seiner faktischen Richtlinienkompetenz qua Kohabitation weitgehend beraubt ist, schaltete er sich bei den Haupt-konflikten und -bewährungsproben der französischen Politik in den vergangenen Monaten doch immer wieder sehr aktiv als Vermittler ein, als er seine Sympathien für den Protest der Schüler, Studenten und streikenden Eisenbahner nur wenig verhüllte. Dieses (mehr als) symbolische Engagement deutet entweder auf eine tatsächliche zweite Kandidatur hin (vielleicht verbunden mit einer auf fünf Jahre verkürzten, mit der parlamentarischen Legislaturperiode harmonisierten Amtszeit), oder aber der bald 71jährige Mitter-rand wirft sich „uneigennützig“ für einen Kron-prinzen in die Bresche.

Von Seiten der Partei haben sich fast alle Prominenten, außer Rocard, für eine neue Kandidatur ausgesprochen Nicht gegen Mitterrand, wohl aber im Falle seines Verzichts käme dessen „Günstling“ und letzte Premier Laurent Fabius ins Spiel, der sich seit März 1986 auf leisen Sohlen eine Hausmacht innerhalb der Partei aufgebaut hat und außerhalb eine Reihe von politischen Clubs sponsert Doch auch Parteichef Lionel Jospin, der seine Autorität in der PS so weit ausbauen konnte, daß ihm schon Ansätze zum „Personenkult“ nachgesagt wurden, wäre ein möglicher Präsident, der natürlich wie kein zweiter die Klaviatur des PS-Apparats beherrscht. Michel Rocard könnte normalerweise kaum ohne schweren Konflikt eine Kandidatur gegen Mitterrand und die Partei durchfechten, auch wenn er finster entschlossen angekündigt hat, dieses Mal „bis zum Ende zu gehen“.

Eine „harmonische“ Lösung wird so mehr und mehr zur theoretischen Möglichkeit: Mitterrand und Rocard als „Tandem“, indem etwa ein Präsident Mitterrand vor seinen Wählern einem Premier Rocard eine entscheidende exekutive Rolle zuweist, oder indem sich der Kandidat Mitterrand im zweiten Wahlgang zugunsten seines „Gegen“ kandidaten Rocard zurückzieht. Fazit: Die Wahlen von 1986 zur Nationalversammlung waren lange vor dem Wahlabend entschieden; um so offener erscheint heute der Ausgang der (termingerechten oder vorgezogenen) Präsidentschaftswahl. Der demokratische Sozialismus hat damit eine „konjunkturelle“ Chance zur Rückkehr an die Macht, die in rein parlamentarischen Systemen weniger oder gar nicht besteht; der noch unausgegorene und aus taktischen Gründen abgebrochene Prozeß der „Selbstmodernisierung“ wird damit aber nur überspielt und vertagt. Die PS, zunächst durch das institutioneile Novum der Kohabitation des-orientiert, gebärdet sich jetzt mit der öffentlichen Meinung im Rücken und einem populären, nichternannten Parteivorsitzenden vorneweg als entschiedene „Oppositionspartei“ gegen die „reaktionäre“ Rechtsregierung. In der orthodox-modernen Doppelgestalt der „Sozialdemokratie ä la franaise" ringt sie um die Wähler der Mitte, die vom harten Konfrontationskurs der Regierung Chirac-Leotard-Pasqua abgestoßen und auch von der konzilianteren Linie eines Philippe Seguin (Arbeits-und Sozialminister) enttäuscht sind; sie deutet die sukzessiven Signale des jugendlichen und sozialen Protestes vom Winter 1986/87 als Zeichen der Abwendung sowohl bürgerlicher wie Lohnarbeiterschichten von der liberalkonservativen Regierung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So . etwa von Gustave Stern, Die Wiederkehr der Rechten. Politische Wende und konservative Hegemonie in Frankreich, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 33 (1986) 10, S. 938-944, und im Beitrag von Marieluise Christadler in diesem Heft. Für wichtige Hilfen danke ich Christian Deubner.

  2. Den Terminus der „Normalisierung“ als Kennzeichen der Mitterrand-Ära benutzen etwa Serge July, Les annees Mitterrand. Histoire baroque d’une normalisation inachevee, Paris 1986, und Claus Leggewie, Der König ist nackt. Ein Versuch, die Ära Mitterrand zu verstehen, Hamburg 1986. Die in diesem Kapitel zusammengefaßten Ergebnisse werden breiter ausgeführt in meiner Habilitationsschrift „Sozialdemokratie in Frankreich — Am Ende eines historischen Sonder-wegs?“, Göttingen 1986.

  3. Epinay war Ort der Neugründung der PS 1971. Siehe zur Parteigeschichte u. a. Jacques Kergoat, Le Parti socialiste. De la Commune ä nos jours, Paris 1983, und die in meinem Literaturbericht referierten Darstellungen: Realer Sozialismus im Westen? Sozialistische und kommunistische Partei Frankreichs, in: PVS-Literatur, 24 (1983) 1, S. 40-51; Parti socialiste, Brochure de base, Paris 1986.

  4. Deshalb versteht sich diese monographische Frankreich-Darstellung explizit als Beitrag zur europäischen Sozialismus-Debatte; die sozialwissenschaftliche FrankFrankreich-Forschung ist in der mißlichen Lage, im Getto der „Landeskunde“ eingesperrt zu sein, wozu sie mit Beiträgen zum Mythos vom „unbegreiflichen Nachbarn“ auch immer wieder selbst beiträgt. Auch die politische Diskussion zwischen Sozialisten und Sozialdemokraten bewegt sich, etwa bei Peter Glotz, Manifest für eine Europäische Linke, Berlin 1985, näher bei den italienischen Eurokommunisten als bei den Genossen an der Seine, zu denen nur oberflächliche Kontakte bestehen.

  5. Siehe den Überblick bei Hans Manfred Bock, Die sanften Reformen der regierenden Sozialisten in Frankreich 1981— 1986, in: PVS-Literatur, 27 (1986) 2, S. 136— 152; Philip G. Cerny/Martin A. Schain (Eds.), Socialism, the State and Public Policy in France, London 1985; Mark Kesselman/Guy Groux (Eds.), Le mouvement ouvrier 1968— 1982, Paris 1984. In deutscher Sprache Johannes M. Becker (Hrsg.), Das französische Experiment. Linksregierung in Frankreich 1981— 1985, Berlin-Bonn 1985, und Max Steinacker/Andreas Westphal, Sozialistische Wirtschaftspolitik in Frankreich. Projet socialiste und sozialdemokratische Modernisierung der Volkswirtschaft, Berlin 1985. Aus anderer Sicht siehe Michel Beaud, La politique conomique de la gauche. Le grand ecart, Paris 1985, und aus PS-Warte: Les actes et les resultats 1981— 1986, Lettre de Matignon, 185 (1986); ADA (Ed.), Bilan de la France 1986, Paris 1986: Assemblee Nationale, Le bilan de la septieme legislature, Paris 1986.

  6. Siehe u. a. Georges Gontcharoff/Serge Milano, La decentralisation. Nouveaux pouvoirs, nouveaux enjeux, Paris 1985.

  7. Siehe Wolfgang Neumann/Henrik Uterwedde, Industriepolitik. Ein deutsch-französischer Vergleich, Opladen 1986.

  8. Siehe kritisch Wolfgang Fach/Georg Simonis, Antizyklischer Sozialismus? Französische Beschäftigungspolitik in der Ära Mitterrand, in: Bonz/Heinze (Hrsg.), Arbeitslosigkeit in der Arbeitsgesellschaft, Frankfurt 1984, S. 244 ff. Die Flexibilisierungsdiskussion ist dokumentiert in den Berichten der Zeitschriften „Droit social“ und „Liaisons sociales“, beide Paris. Zum Grund-einkommens-Konzept jetzt zusammenfassend Frank Mussmann in: Prokla, 16 (1986) 65, S. 71— 100; aus französischer Sicht Andre Gorz, Wege ins Paradies, Berlin 1983.

  9. Siehe Rene Lasserre, Tarifpolitik in Deutschland und Frankreich, i. E.; Jean Savatier, Das französische Arbeitsrecht von 1981 bis 1985, in: Recht der Arbeit, (1986) 1, S. 34ff.; Leo Kißler (Hrsg.), Industrielle Demokratie in Frankreich. Die neuen Arbeitnehmer-und Gewerkschaftsrechte in Theorie und Praxis, Frankfurt-New York 1985.

  10. Die Reformen in diesen Bereichen sind mit den Namen der Minister Robert Badinter und Jack Lang verbunden; sie haben wesentlich zur „Differenz“ der Linksregierung gegenüber ihren Vorgängerinnen beigetragen; dazu die Beiträge in E. Weisenfeld (Anm. 13), S. 94 ff.

  11. Siehe Ursula Danneboom u. a., Das . Modell Frankreich* — Politik und Ökonomie im etatistischen System, in: PVS, 25 (1984) 1, S. 31 ff.; Georg Simonis, Frankreichs sozialistische Reformpolitik unter den Restriktionen des internationalen Systems, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, (1983) 2, S. 261 ff.; Alain Lipietz, L’audace ou l'enlisement, Paris 1984.

  12. Siehe M. Steinacker/A. Westphal (Anm. 5) und die Dokumentation in „Liaisons sociales“ über Regional-förderungsprogramme und Programme gegen Jugend-arbeitslosigkeit; deren Resultate müßten noch einbezogen werden in vergleichende Darstellungen vom Typ Manfred G. Schmidt, Arbeitslosigkeit und Vollbeschäftigungspolitik, in: Leviathan, 11 (1983) 4, S. 451— 473, und andere komparative Studien, aus denen Frankreich bemerkenswert häufig ausgeschlossen bleibt.

  13. Zum „Lerneffekt“ siehe die Mitterrand-Interviews in: Liberation vom 10. 5. 1984 und L’Expansion vom 16. 11. 1984; Philippe Bauchard, La guerre des deux roses. Du rve ä la ralit 1981— 1985, Paris 1986; zur „Modernisierung“ siehe meinen Beitrag: „Modernisierung und Sozialismus. Schlußfolgerungen aus dem französischen Lehrstück 1981— 1986, in: Leviathan, 14 (1986) 2, S. 208— 232; Udo Rehfeldt, Die Modernisierung und die Schwerkraft der Verhältnisse, in: Ernst Weisenfeld (Hrsg.) Frankreich 1986 — Jahr der Wende?, Bonn 1986, S. 131— 139, und den Beitrag von Gilbert Ziebura in diesem Heft.

  14. Hier kann nicht ausgeführt werden, welche „andere“ Utopie bzw. Perspektive sich heute ergibt; siehe Charles Sabel, Struktureller Wandel der Produktion und neue gewerkschaftliche Strategien, in: Prokla, 16 (1986) 62, S. 41 ff., und die Bezugnahme auf die parallele Debatte zum „Produzentensyndikalismus“ in der französischen sozialistischen Gewerkschaft CFDT in meinem Frankreich-Beitrag zum Sammelband von Walter Müller-Jentsch (Hrsg.), Gewerkschaften in der Defensive — Chancen für eine Neuorientierung, Frankfurt-New York 1987 (i. E.)

  15. Siehe Francois Sellier, La confrontation sociale en France 1936/1981, Paris 1984; Alain Touraine u. a., Le mouvement ouvrier, Paris 1984. Zur sozialistischen Elite siehe M. Dagnaud/D. Mehl, L’elite rose, Paris 1982; Pierre Birnbaum (Ed.), Les elites socialistes au pouvoir, Paris 1985. Zu den weiteren Differenzen der Linksregierung gehört, daß es nach 1981 nur einen schwachen „Korporativierungsschub“ in Frankreich gegeben hat; siehe Claus Leggewie, Encore le siede du corporatisme?, in: H. Abromeit/B. Blanke (Hrsg.), Leviathan, Sonderheft 1987 (i. E.)

  16. Dieser Aspekt blieb bei den meisten Bilanzen ganz unberücksichtigt, dabei führt eine interessante „Bewegungslinie“ vom Massenprotest 1984 zu den Studenten-demonstrationen 1986; siehe dazu ansatzweise das Untersuchungsprogramm zu den neuen sozialen Bewegungen von Alain Touraine u. a. (z. B. Lutte etudiante, Paris 1978); Peter Jansen u. a., Gewerkschaften in Frankreich. Geschichte, Organisation, Programmatik, Frankfurt-New York 1986.

  17. Siehe Daniel Gaxie (Dir.), Explication du vote. Un bilan des etudes electorales en France, Paris 1985; SO-FRES (Ed.), Opinion publique, Paris 1986.

  18. Siehe Pierre Martin, Le rapport de forces droite/gauche 1981— 1985, in: Revue francaise de science politique, 36 (1986) 5, S. 597ff.; ähnlich auch die Einschätzung von PS-Rapporteur Jean Poperen: Rapport d’activite du Secretariat National, Convention nationale, Juni 1986 (Ms.); J. Charlot, Le vote des hesitants, in: Le Monde vom 5. 2. 1986; O. Duhamel, Les surprises du 16mars, ebda. 18. 3. 1986. Regional waren die Verluste zum Teil dramatisch, besonders in den alten sozialistischen Hochburgen des Südens (z. B. Marseille), wo die lokale Hegemonie der PS deutliche Verschleißerscheinungen zeigte.

  19. Siehe Hugues Portelli, Le socialisme francais tel qu’il est, Paris 1980, und die auf der Basis des Schemas von Adolf Sturmthai fortgeführte Analyse von C. Leggewie, Göttingen 1986 (Anm. 2).

  20. Siehe Maurice Duverger, L'heure de Bad Godesberg, in: Le Monde vom 18. 10. 1985; Jacques Juillard, Adieu aux chimeres, in: Nouvel Observateur vom 27. 10. 1985; Michel Beaud, L’illusion social-democrate in: Le Monde vom 2. 1 1. 1985; Gerard Sandoz, Das Dilemma der französischen Sozialisten. Grenzen der Wandlungsfähigkeit einer Regierungspartei, in: E. Weisenfeld (Anm. 13), S. 25— 32; C. Leggewie (Anm. 13).

  21. Siehe insbesondere die zahlreichen Arbeiten des französischen Sozialhistorikers Georges Lefranc, zuletzt: Visages du socialisme francais, Paris 1982.

  22. Siehe Herve Hamon/Patrick Rotman, L’effet Rocard, Paris 1980; dies., La deuxieme gauche. Histoire intellectuelle de la CFDT, Paris 1982; M. Beaud (Anm. 20).

  23. Siehe P. Glotz (Anm. 4) und demnächst Claus Leggewie, Der Geist steht rechts. Ein Ausflug in die Denkfabriken der Neuen Konservativen, Berlin 1987.

  24. Siehe Bodo Morawe, „Ein Gespenst geht um ... “. Zur Krise der französischen Kommunisten, in: E. Weisenfeld (Anm. 13), S. 53— 62; Michel Cardoze, Nouvel voyage ä l’interieur du Parti communiste, Paris 1986; siehe auch die Berichte von Georges Sarre und Henri Fiszbin zur Convention nationale, Juni 1986 (Ms.)

  25. Siehe Alain Duhamel, Troisieme gauche, in: Le Monde vom 26. 4. 1986.

  26. Siehe Sabine von Oppeln, Art. Frankreich: Sozialistische Partei, in: Th. Meyer u. a. (Hrsg.), Lexikon des Sozialismus, Köln 1986, S. 588— 592; C. Leggewie (Anm. 3).

  27. Siehe Claus Leggewie, PS-SPD. Zwei Brüder — ein Problem, in: Dokumente, 43 (1987) 1, S. 4— 11.

  28. Siehe Monbercet (pseud.), Moderniser et ouvrir? Chiche!, in: Le Monde vom 29. 4. 1986; Paul Quiles, Comment grer une crise de croissance?, ebda., 6. 5. 1986. Unter der Leitung von Claude Allegre wurde im Juni 1986 eine Kommission eingesetzt, die sich Gedanken um eine Reorganisation der Partei machen soll; ihr gehören die Leiter der Stabsabteilungen der verschiedenen Courants an.

  29. Michel Rocard hat als Zielmarke aufgestellt, daß 8— 10% der Wähler Mitglieder der PS werden sollen.

  30. Siehe Jean-Francois Trans (pseud.), La gauche bouge, Paris 1985; ferner der Club „Democratie 2000“ (Le Monde vom 22. 4. 1986) und der Jacques Delors nahe-stehende Club (ebda. 20. /21. 4. 1986) sowie die Initiative der Ex-Minister Henri Nallet und Michel Delebarre (ebda, 18. 6. 1986).

  31. Siehe Jerome Jaffre, La chute et les espoirs, in: Le Monde vom 1 1. 10. 1985; Gerard LeGall, Le phnomne socialiste, in: Le Matin vom 28. /29. 6. 1986.

  32. Siehe Anm. 24 und 31.

  33. Siehe Jerome Jaffre, Les reserves de la gauche et les handicaps de la droite, in: Le Monde vom 22. 4. 1986.

  34. Siehe Lionel Jospin, Un gouvernement de guichetiers, in: Le Monde vom 27. 5. 1986, und die Debatten-beiträge zur Convention nationale Ende Juni 1986 von Jospin, Poperen, Debarge, Rocard, Fabius, Sarre u. a.

  35. Siehe Roland Cayrol/Colette Ysmal, Les militants du PS; originalite et diversites, in: Projet (1982), S. 572ff.: dies., Militants socialistes: le pouvoir use, ebda. (1985), S. 20 ff. Henry Rey/Francoise Subileau, le PS, parti attrape-tout in: Le Monde vom 2. 4. 1986.

  36. Siehe Anm. 26 und 3.

  37. Siehe Anm. 26 und 3. 36a) Siehe das XIV. Colloquium des CERES vom April 1986 und den rapport preparatoire, in: Le Monde vom 19. 4. 1986; J. -P Chevenement, La France et la dmocratie out partie liee, in: Le Monde vom 28. 6. 1986, und das Bulletin „Socialisme et Republique“ (Paris).

  38. Siehe P. Glotz (Anm. 4); Manfred G. Schmidt, Allerweltsparteien in Westeuropa? Ein Beitrag zu Kirch-heimers These vom Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in: Leviathan, 13 (1985) 3, S. 376— 97; Alain Touraine, L’apres-socialisme, Paris 1983 2.

  39. Siehe Adam Przeworski, Capitalism and Social Democracy, Cambridge 1985.

  40. Siehe Anm. 24.

  41. Siehe Jean-Marie Colombani, Le mariage blanc, Paris 1986; Thierry Pfister, Dans les coulisses du pouvoir, Paris 1986; C. Leggewie (Anm. 2) und Editorial zum Frankreich-Heft Leviathan, (1986) 2, S. 171 ff.

  42. Siehe Wolfgang Rüdig, Die grüne Welle. Zur Entwicklung ökologischer Parteien in Europa, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 45/85, S. 3 ff.; Claus Leggewie, Propheten ohne Macht. Die neuen sozialen Bewegungen in Frankreich zwischen Resignation und Fremdbestimmung, in: Karl-Werner Brand (Hrsg.), Neue soziale Bewegungen in Westeuropa und den USA, Frankfurt-New York 1985, S. 83-139.

  43. Siehe Le Monde vom 13. 5. 1986.

  44. Siehe Laurent Fabius, De la reconquete in: Le Monde vom 13. 6. 1986; Fabius’ politische Clubs sind mit „Solidarites modernes“, „Ici et maintenant“ und „Espaces ’ 89“ vielfältig, weshalb man auf ihn das „Boulevard Raspail-Syndrom“ gemünzt (an dieser Pariser Straße residiert einer der Clubs) und den Gegenslogan „Mein Club ist die PS!“ kreiert hat.

Weitere Inhalte

Claus Leggewie, Dr. disc. pol., geb. 1950; Hochschulassistent für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen, Publizist. Veröffentlichungen u. a.: Der Wahlfisch. Ökologie-Bewegungen in Frankreich, Berlin 1978; Siedlung, Staat und Wanderung. Das französische Kolonialsystem in Algerien, Frankfurt-New York 1979; Kofferträger. Das Algerien-Projekt der westdeutschen Linken im Adenauer-Deutschland, Berlin 1984; Der König ist nackt. Ein Versuch, die Ära Mitterrand zu verstehen, Hamburg 1986; (Hrsg.) Leviathan, (1986) 2: Frankreich. Der Geist steht rechts; Ein Ausflug in die Denkfabriken der Neuen Konservativen, Berlin 1987 (im Erscheinen).