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Auf der Suche nach dem Sozialismus chinesischer Prägung Sozialer Wandel, ökonomische Probleme und die Rolle der Ideologie | APuZ 1/1988 | bpb.de

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APuZ 1/1988 Artikel 1 Auf der Suche nach dem Sozialismus chinesischer Prägung Sozialer Wandel, ökonomische Probleme und die Rolle der Ideologie Die Modernisierung der Institutionen und des Rechtswesens in der Volksrepublik China Die Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China Von der Befehlsplanung zum Mischsystem Die außenpolitische Entwicklung der Volksrepublik China in den achtziger Jahren

Auf der Suche nach dem Sozialismus chinesischer Prägung Sozialer Wandel, ökonomische Probleme und die Rolle der Ideologie

Thomas Scharping

/ 29 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Lebhafte ideologische Debatten um den Inhalt des „Sozialismus chinesischer Prägung“ haben die chinesische Politik in den letzten Jahren mitbestimmt. Die Schärfe der dabei zutage getretenen Meinungsverschiedenheiten läßt sich nur vor dem Hintergrund des sozialen Wandels und der ökonomischer Probleme verstehen: Generationenkonflikt und Wertewandel haben die Konsumerwartungen drastisch erhöht, während die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nach wie vor beschränkt bleibt. Deshalb soll eine Renaissance der Ideologie die verlorengegangenen Ideale der Opferbereitschaft und Sparsamkeit wiedererwecken. Der Konflikt zwischen wachsenden Ansprüchen und restriktiven Rahmenbedingungen wird auch auf dem politischen Feld ausgetragen. Er äußert sich hier in zunehmenden Mitbestimmungswünschen der Intellektuellen und andauernden Abwehrhaltungen des Parteiapparats. Das hat zuletzt die große Debatte über politische Reformen gezeigt, in der Chinas Intelligenz eine Rezeption der Aufklärung forderte und für einen „Interessenpluralismus“ innerhalb der sozialistischen Gesellschaft plädierte. Als Reaktion auf die Reformdebatten ist 1987 eine Erstarkung des ideologischen Konservatismus eingetreten. In den Anklagen gegen „bürgerlichen Liberalismus“ und „totale Verwestlichung“ spiegelt sich neben einem orthodoxen Marxismus-Verständnis auch die Fortexistenz eines traditionell konfuzianisch geprägten Autoritarismus. Die auch innerhalb der Partei ausgetragenen Kontroversen haben aufdem XIII. Parteitag zu einem ideologischen Kompromiß geführt: Die Wirtschaftsreform wird fortgeführt, die politische Umgestaltung verlangsamt. Gleichzeitig ist die VR China zu einem rückständigen Land im „Anfangsstadium des Sozialismus“ erklärt worden. Die Partei eröffnet sich damit neue Spielräume, während sie gleichzeitig ihr ideologisches und politisches Führungsmonopol wahrt.

Seit Deng Xiaoping 1986 seiner Partei das Ziel setzte, einen „Sozialismus chinesischer Prägung“ im Lande aufzubauen haben die Auseinandersetzungen um den Inhalt des neuen Schlagwortes alle ideologischen Diskussionen in China bestimmt. Dabei haben sich größere Meinungsverschiedenheiten zwischen Vertretern der Orthodoxie und denjenigen Kräften in der Partei gezeigt, die den neuen Begriff zum Instrument einer konsequenten Reformpolitik machen möchten. So unterschiedlich die verschiedenen Definitionsversuche aber auch ausgefallen sind — alle chinesischen Politiker sind sich über die Notwendigkeit einig, ihre Politik wieder stärker durch ideologische Aussagen zu überwölben. Diese Tendenz ist bei der 1987 geführten Kampagne gegen den „bürgerlichen Liberalismus“ unübersehbar zutage getreten. Sie hat sich zuletzt auf dem XIII. Parteitag in neuen programmatischen Aussagen zur sozio-ökonomischen Formationstheorie niedergeschlagen, die zwar die Ideologie ihres utopischen Charakters weitgehend entkleidet haben, ihre Rolle als Herrschafts-und Integrationsinstrument jedoch wieder bestätigen.

Die Renaissance der Ideologie hat ihre Gründe: Sie stellt eine Reaktion auf die geistige Herausforderung des Westens dar. die im Vollzug der Reform-politik immer deutlicher hervorgetreten ist. Neue gesellschaftliche Werte, vor allem aber der geschärfte Blick für die wirtschaftlichen Erfolge des Auslandes und die aus ihm resultierende Frage nach den Ursachen der eigenen Rückständigkeit haben die Partei mit schwierigen Problemen konfrontiert. Das Ansehen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ist zudem durch die politischen Fehlschläge der Vergangenheit schwer beeinträchtigt, ihr Führungsmonopol durch mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung wiederholt in Frage gestellt worden. Deshalb steht sie heute unter dem Zwang, die Legitimation ihrer Macht neu zu festigen.

Die Partei handelt dabei unter Bedingungen, die durch einen beschleunigten sozialen Wandel sowie andauernde ökonomische Schwierigkeiten bei gleichzeitig gestiegenen Erwartungen in der Bevölkerung gekennzeichnet sind. So sind die ideologischen Entwicklungen der jüngsten Zeit nur verständlich. wenn sie in ihrem Wechselverhältnis zu Gesellschaft und Ökonomie interpretiert werden. ,

I. Soziale und wirtschaftliche Herausforderungen

Ein elementares Problem der chinesischen Gesellschaft ist der Generationenkonflikt, der in der gegenwärtigen Phase politische Dimensionen erlangt hat. Die Jugendlichen von heute kommen aus Familien. die in ihren Sozialisationsaufgaben durch die Kulturrevolution schwer beeinträchtigt wurden. Nicht das Pathos einer gerade siegreichen Revolution. nicht die Verheißungen einer Aufbauperiode, sondern eine Erbschaft zerstörter Ideale wurde ihnen in die Wiege gelegt. An politischen Appellen zeigt diese Generation wenig Interesse, die Befriedigung lang aufgestauter Konsumbedürfnisse und eine ausgesprochene Skepsis gegenüber allen Verlautbarungen der Partei prägen ihr Verhalten. Die Revolution ist für sie Vergangenheit, die Auseinandersetzung Chinas mit den imperialistischen Staaten zu einem toten Propagandaklischee geworden. Begierig auf neue Anregungen von außen, sucht Chinas Jugend ihre Orientierungspunkte heute nicht in der eigenen Tradition, sondern in einer oftmals verklärt gesehenen westlichen Welt

Dieser radikale Einstellungswandel hinterläßt in der chinesischen Gesellschaft überall seine Spuren. Er führt zu Konfrontationen, bei denen sich politische und gesellschaftliche Gegensätze wechselseitig durchdringen. Ob Disko-Fieber oder frühe Liebesbeziehungen, ob Cash-and-Carry-Mentalität oder Desinteresse an der politischen Schulung — Chinas ältere Generation ist entsetzt über das, was sie bei ihren Enkeln als Mangel an Disziplin und Pflichtbewußtsein, Tugend und nationaler Würde empfindet. Chinas Jugend revanchiert sich dafür bei ihren Altvorderen mit einer Betrugsanklage — ist doch der Abstand zwischen den hehren Prinzipien und der häufig so armseligen Realität der Parteiherrschaft im Zuge der Reformpolitik immer offensichtlicher geworden. Bei den Studentenunruhen vom Dezember 1986 hat sich die politische Brisanz des Generationenkonflikts deutlich wie selten zuvor offenbart. Der Umstand. daß Fußballspiele oder Rock-Konzerte zum unmittelbaren Auslöser größerer Unruhen werden konnten, sprach für sich. Und ebenso unmißverständlich war die Botschaft, als sich zur gleichen Zeit fünf 70 bis 80 Jahre alte Greise am Sitz des Zentralkomitees zu einer Art Gegendemonstration versammelten: Die konservativen Parteiführer Wang Zhen. Bo Yibo, Song Renqiong, Hu Qiaomu und Deng Liqun feierten dort einen traditionellen Moritatenerzähler und dessen Repertoire aus dem dritten Jahrhundert, priesen „Heiß. Mut. Zukunftsvertrauen und Stolz“ des chinesischen Volkes. beklagten den „nationalen Nihilismus“ der Jugend und die Tendenz zur „totalen Verwestlichung“

Generationenkonflikt und Wertewandel sind auch auf arbeitspolitischem Feld virulent. Nach wie vor bleibt die Beschäftigungssituation gespannt. Den jährlich sechs bis acht Millionen Neuzugängen auf dem städtischen Arbeitsmarkt stehen nur vier bis fünf Millionen neu zu besetzende Arbeitsplätze im staatlichen Sektor gegenüber. Zusätzlicher Druck entsteht durch das hohe Maß an Unterbeschäftigung innerhalb der städtischen Arbeiter-und Beamtenschaft. wo ca. 20 Prozent der Arbeitsplätze wegrationalisiert werden könnten

In ihrem strukturell bedingten Konflikt zwischen Beschäftigungs-und Wachstumsziel hat die chinesische Führung in den letzten Jahren immer deutlicher für das Wachstum optiert. Sie hat einen steigenden Anteil von Jugendlichen aufweniger attraktive Stellen im kollektiv-oder privatwirtschaftlichen Bereich verwiesen, und sie hat in den Staats-betrieben Weiterbeschäftigung und Entlohnung immer mehr von Qualifikation und Arbeitshaltung abhängig gemacht. Seit September 1986 nehmen die Staatsbetriebe Neueinstellungen nur noch auf der Basis von Zeitverträgen vor

Die Betroffenen haben auf die teilweise revolutionären Neuerungen mit gemischten Gefühlen reagiert. Trotz den Lockungen der Vermögensbildung für die Erfolgreichen verharren Kollektiv-und Privatbetriebe an unterer Stelle der sozialen Rang-skala. Aus gutem Grund, fehlen doch hier viele Sozialversicherungsleistungen und liegen die Durchschnittslöhne rund 20 Prozent unter dem Niveau der Staatsbetriebe. Zwar wird die Logik der Wirtschaftsreformen vom Großteil der Bevölkerung dank jahrelanger Aufklärungsarbeit rational nachvollzogen, doch bleibt das Sicherheitsbedürfnis auf der emotionalen Ebene größer als die Risi-kobereitschaft. Wie hoch die politische Wirksamkeit solcher gesellschaftlichen Reflexe auf die Wirt-Schaftsreformen in China bewertet wird, zeigen die demoskopischen Umfragen, die von der Staatskommission für Wirtschaftsreformen durchgeführt werden

Auch für die nach wie vor geringe Anzahl von Akademikern ist die Situation schwieriger geworden. Angesichts gravierender Abwanderungsprobleme in den Außenregionen und erster Sättigungserscheinungen bei den attraktiveren, gehobenen Stellen sehen sie sich einem zunehmenden Druck ausgesetzt. unbeliebte Stellen im Hinterland anzutreten. Immer mehr Hochschulabsolventen widersetzen sich jedoch den Arbeitsplatzzuteilungen, was zu ständigen Spannungen im Universitätsleben führt Dabei wird das Verlangen nach freier Berufswahl zunehmend als Menschenrecht eingeklagt. Die größte Belastung für Akademiker und Staats-bedienstete ohne Prämienzulagen stellen aber zweifellos die gestiegenen Lebenshaltungskosten dar. Bereits im Herbst 1985 sind die chinesischen Studenten mit Parolen gegen die Preissteigerungen auf die Straße gegangen. In den folgenden Jahren haben die Preiserhöhungen angedauert. Chinesischen Eigenangaben zufolge hat die Inflationsrate 1987 mit rund 10 Prozent den höchsten Wert seit Gründung der Volksrepublik erreicht, die Jahre 1951 und 1961 ausgenommen. Unabhängige Berechnungen setzen sie mit 14— 20 Prozent wesentlich höher an Hier haben die Preisreformen eine Schmerzgrenze erreicht, zumal wenn es sich um eine inflationsgeschädigte Gesellschaft wie die chinesische handelt, die aus der traumatischen Erfahrung der vierziger Jahre heraus stets allergrößten Wert auf Preisstabilität gelegt hat. Das brisante Thema Inflation ist geeignet, den im Prinzip durchaus vorhandenen Rückhalt der Reformer in der Bevölkerung zu untergraben. Die chinesische Politik erhält dadurch eine nicht zu leugnende Labilität, denn leicht können die Forderungen nach größeren Freiräumen in ein Verlangen nach mehr staatlichem Dirigismus umschlagen.

Notwendigerweise anders stellen sich die Probleme der Modernisierungspolitik aus der Sicht der Führung dar: Hu Yaobang, der im Januar 1987 gestürzte ehemalige Generalsekretär der Partei, mußte sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, er habe wichtige Investitionen zugunsten eines ungezügelten Verbrauchs unterlassen. Zur gleichen Zeit beklagte die Parteizeitung Überhitzungserscheinungen in der Wirtschaft, für die sie überdehnte Investitionen, unaufhörlich zunehmende Prämien, gestiegene Subventionen und eine allgemeine Miß-achtung der Kostenseite verantwortlich machte. Noch deutlicher wurde derjetzige amtierende Ministerpräsident Li Peng. Er sprach von einem „Konsumrausch“, der zu einer ständig zunehmenden Zahl von Prestigeprojekten, blindlings angewachsenen Konsumgüterimporten, andauernden Material-, Energie-und Transportengpässen sowie Schwierigkeiten bei der Fertigstellung von dringend benötigten Schlüsselprojekten geführt habe

Auf der 5. Tagung des VI. Nationalen Volkskongresses vom März 1987 ist dann das ganze Ausmaß der Schwierigkeiten enthüllt worden. Die Delegierten mußten sich ernüchternde Berichte über eine wachsende Auslandsverschuldung in Höhe von 21— 27 Mrd. US-Dollar, eine weiterhin negative Handelsbilanz und ein für 1987 veranschlagtes Haushaltsdefizit anhören, das das größte seit Gründung der Volksrepublik China sein wird. Auch die Wirtschaftseffizienz der Staatsbetriebe war 1986 rückläufig, sie warteten mit steigenden Verlusten auf. Für Hu Yaobangs Nachfolger Zhao Ziyang war die Hauptquelle der Schwierigkeiten eindeutig auszumachen: „der Widerspruch zwischen dem gegebenen niedrigen Pro-Kopf-Nationaleinkommen und den zu hoch gesteckten Konsumansprüchen“

Diesen Widerspruch durch die Wiederbelebung von Idealen der Opferbereitschaft, Sparsamkeit und entsagungsvollen Arbeit aufzulösen, ist ein Hauptziel der ideologischen Arbeit. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die Diskussion um einen Schlüsseltext des Maoismus: 1945 hatte der Vorsitzende das Volk aufgerufen, der mythischen Figur des „Närrischen Greises“ nachzueifern, der mit eigenen Händen, auf Kinder und Kindeskinder gestützt. schier unüberwindliche Berge vor seinem Haus abträgt, um endlich von den Göttern für seine Mühen belohnt zu werden. Das im Großen Sprung und in der Kulturrevolution zur Pflichtlektüre gemachte Gleichnis ist zunächst dem pragmatischen Geist der neuen Zeit zum Opfer gefallen. Ein Sinnbild für „Dummheit“ und „Realitätsverlust“, für ein fanatisches Streben nach falschen Zielen und für die Vergeudung menschlichen Lebens in endlosen Massenkampagnen haben reformorientierte Funktionäre in Maos Aufruf erblickt 1987 hingegen hat die Partei „die Rehabilitierung des Närrischen Greises“ beschlossen und den sozialistischen Heldenkult wiederbelebt. In einem Leitartikel wurde daran erinnert, „daß die Verbesserung des Lebensstandards von einer Grundvoraussetzung abhängt, der Entwicklung der Produktion und der Zunahme des gesellschaftlichen Wohlstands nämlich.“ Ohne diese Grundvoraussetzung würde „sich die Hebung des Lebensstandards in einen Fluß ohne Quelle, in einen Baum ohne Wurzel verwandeln“. Deswegen dürften auf keinen Fall Chinas Eigenheiten außer acht gelassen und einseitig ein hoher Konsum angestrebt werden. Fleiß könne Ungeschick ausgleichen, Sparsamkeit die Kosten niedrig halten, argumentierten die wirtschaftlich denkenden Verfasser. Und sie schlugen die Brücke zur Ideologie indem sie forderten: „Wir brauchen für immer den . Geist des Närrischen Greises 1.“

Insbesondere in der Landwirtschaft scheint dieser Geist für viele Politiker nur noch ungenügend vorhanden zu sein. So hat die im Zuge der Wirtschaftsreformen eingetretene Bevorzugung ertragreicher cash-crops erst nur die Getreideanbaufläche. 1985 und 1986 auch wieder die Getreideproduktion abnehmen lassen. Die Getreideimporte und Nahrungsmittelpreise sind deshalb besorgniserregend gestiegen, das schon fast erreicht geglaubte und allen Wirtschaftsplanem des Agrarlandes China heilige Ziel der Nahrungsmittelautarkie rückte abermals in die Ferne. Andere Krisensymptome wie Übernutzung des Bodens bei gleichzeitigem Rückgang der Investitionen deuten ebenfalls auf empfindliche Schwachpunkte der nach 1979 verfolgten Kleinbauern-Politik hin Angesichts solcher Probleme haben die konservativen Kräfte im März 1987 gleich mehrfach die Notbremse gezogen: Ein Gesetzentwurf zur Einrichtung von selbstverwaltenden Dorfkomitees wurde bis zum November storniert, weil er nach Ansicht einer einflußreichen Gruppe dem Staat gegenüber den Bauern zu wenig Einwirkungsmöglichkeiten einräumte. Ähnlich erging es dem lange diskutierten Gesetzentwurf zur Betriebsreform, der die Rechte der Betriebsdirektoren auf Kosten der Parteisekretäre ausweitete. Mit der Vertagung des Betriebsverwaltungsgesetzes wurde auch die Ausführung des lange Zeit umstrittenen Konkursgesetzes abermals aufgeschoben

Die erwähnten Interventionen sind nicht die einzigen Anzeichen für ein Abrücken von bereits eingeleiteten Reformschritten gewesen. Bereits im Januar 1987 verfügte der Staatsrat als Reaktion auf die Studentendemonstrationen eine vorläufige Stornierung weiterer Preisreformen. Im April wurden die lange vorbereiteten Aktienmärkte, die die außerplanmäßigen Investitionen auf unterer Ebene erneut anregen würden, nach „hitzigen Disputen“ in nur sehr eingeschränkter Form zugelassen. Und gleichzeitig sind auch die zentralen Devisenkontrollen im Außenhandel erneut verstärkt worden Im Mai 1987 hat sich gezeigt, wie leicht solche Adjustierungsmaßnahmen in einen generellen Kurs-wechsel umschlagen können: Auf einer internen Sitzung des Politbüros wurden auch die Verpachtung von Staatsbetrieben, die starke Ausweitung des privatwirtschaftlichen Sektors in den Städten und die Entkollektivierung der Landwirtschaft von konservativen Kritikern angegriffen. Zhao Ziyang mußte sich mit dem Argument auseinandersetzen, Personen, die vom Kapitalismus redeten, würden scharf kritisiert, während denjenigen, die ihn betrieben, nichts geschähe

II. Mitbestimmungsansprüche der Intelligenz

Der Konflikt zwischen wachsenden Ansprüchen und restriktiven Rahmenbedingungen wird auch auf dem politischen Feld ausgetragen. Wie die chinesischen Studentenunruhen zuletzt demonstriert haben, äußert er sich hier in der ständigen Gratwanderung der Reformer zwischen zunehmenden Mitbestimmungswünschen der Intellektuellen und andauernden Abwehrhaltungen des Parteiapparats. Dabei ist die chinesische Intelligenz bis heute mehrheitlich eine staatstragende Kraft geblieben. Nicht die soziale Funktion der Kritik, sondern die Identifikation mit der Macht bestimmen ihr Wesen. Basis dieser in Jahrhunderten gewachsenen Grundhaltung ist die enge Verbindung von Studium. Prüfungswesen und Staatsdienst, deren historisches Modell sich im konfuzianischen Beamten-Gelehrten verkörpert hat. Auch in der Volksrepublik China sind Studium und Dienst in der zentralen Staatsbürokratie stets miteinander verbunden gewesen — sehr zum Leidwesen der Kulturrevolutionäre, die diese traditionelle Säule des Herrschaftssystems vergeblich durch einseitige Akte von oben zu sprengen versuchten. Weniger spektakuläre, aber potentiell weitreichendere Wirkungen gehen von den Wirtschaftsreformen der letzten Jahre aus: Die zunehmende Autonomie der ökonomischen Einheiten, die Dezentralisierung des Staatsapparats und die Kommerzialisierung des Bildungssektors lassen eine immer komplexere Gesellschaft entstehen. In ihr wird der Gesellschaftsvertrag zwischen Intelligenz und Macht zunehmend durch die neuen beschäftigungs-und einkommensorientierten Strukturen sowie durch die geistigen Auswirkungen der Öffnungspolitik in Frage gestellt.

So bleiben Tradition und Moderne auch in Ideologie und Politik eng miteinander verbunden. Traditionell wirken die heute geführten ideologischen Debatten, wenn sie Machthaber und Intellektuelle bei einem Disput zeigen, der China nun schon seit über hundert Jahren beschäftigt: Er kreist um die Frage, wie das Reich der Mitte modernisiert werden kann, ohne dabei seine kulturelle Identität einzubüßen. Nichts hat die ungebrochene Aktualität dieses Themas deutlicher offenbart als die große Debatte über politische Reformen, die 1986 auf Veranlassung Deng Xiaopings begonnen wurde.

Dengs unmittelbarer Handlungsantrieb war wieder einmal ökonomischer Natur: Chinas starker Mann forderte politische Reformen angesichts der Tatsaehe, daß seine Wirtschaftsreformen auf Betriebs-ebene steckenblieben, weil die Machtstellung der dortigen Parteisekretäre ungebrochen war. In weiterem Sinne zählte er die Aufblähung des Partei-und Staatsapparats, die Überwindung feudalistischer Denkgewohnheiten und ganz allgemein das in China chronische Problem des Bürokratismus zu den reformbedürftigen Bereichen. Noch deutlicher wurde Deng im Juni 1986 auf einer Arbeitskonferenz der KPCh, wo er abermals die in den letzten Jahren zutage getretenen Korruptionserscheinungen in der Partei kritisierte und ihre systembedingten Mängel ganz im Sinne des berühmten Wortes von Lord Acton benannte — Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut

Dengs Stichworte wurden von einem Diskussionsforum der Akademie für Sozialwissenschaften aufgenommen. das die stark westlich geprägten Mitbestimmungswünsche der Intelligenz artikulierte: Der „Sozialismus chinesischer Prägung“, den sie im Sinn hatten, wurzelte kaum noch in den politischen Traditionen des Landes. So attackierten die prominenten Wissenschaftler den Einfluß des feudalistischen Denkens auf die politische Praxis der Gegenwart, die nach wie vor ethische Kategorien an die Stelle von Rechtsprinzipien setze und viele Bestimmungen über die Pflichten der Bürger, hingegen wenig Statuten über ihre Rechte kenne. Ihre eigenen Vorstellungen ordneten sie statt dessen zwei Schlüssel-begriffen zu. die wörtlich aus der politischen Kultur des Westens in das chinesische Vokabular übertragen wurden — „demokratische Mitbestimmung (minzhu canyu)“ und „checks and balances (zhi heng)“

Und hier war das Diskussionsforum nach eigenem Bekunden nun beim „zentralen Punkt“ angelangt. Ohne lange Skrupel setzten sich die Teilnehmer für eine Übernahme des Erbes der westlichen Aufklärung in China ein. Sie plädierten für eine Rezeption der Naturrechtstheorie von Rousseau sowie der Gewaltenteilungslehren von Locke und Montesquieu — geistige Fremdkörper in der chinesischen Welt, die traditionell Recht durch Moral substituiert hat. die durch soziale Hierarchie und zentralistische Bürokratie geprägt ist. Aber auch die Unterordnung des Naturrechts unter den Klassenbegriff, die Pariser Kommune von 1871 und Marxens Absage an die Gewaltenteilung. Lenins Kritik am bürgerlichen Parlamentarismus und Wyschinskijs Formel von der Einheit der Autorität der Werktätigen schienen vergessen. Statt dessen bemühten sich die Redner mit großem Interpretationsaufwand, wenigstens Friedrich Engels eine positive Aussage zur Teilung der drei Gewalten zu entlocken.

Konkret schlugen die Sozialwissenschaftler vor. die allgemeinen Bestimmungen der Verfassung über die politischen Grundrechte durch entsprechend formulierte Presse-und Verlagsgesetze abzusichern. Der Nationale Volkskongreß sollte von einem Honoratiorengremium zu einem echten Mitbestimmungsorgan aufgewertet, das Wahlverfahren für seine Abgeordneten demokratisiert werden. Lebenslange Ernennungen der Richter waren nach Auffassung der Debattenredner dazu geeignet, die Unabhängigkeit der Judikative zu stärken und endlich das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz durchzusetzen. Und um das Maß ihrer unorthodoxen Ansichten vollzumachen, versicherten die Protokollanten der Tagung zum Schluß, daß alle diese Anregungen dem Ziel dienten, der Anerkennung eines „Interessenpluralismus“ innerhalb der sozialistischen Gesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen.

Diese Meinungen haben sich im Sommer 1986 als Wegbereiter einer größeren Debatte erwiesen. So nahm der später amtsenthobene Leiter des Instituts für Marxismus-Leninismus und Maozedongideen, Su Shaozhi. das Wort vom Interessenpluralismus auf, um in der „Volkszeitung“ gegen den Parteiabsolutismus sowie für eine wirkliche Respektierung der Rede-, Publikations-, Informations-und Versammlungsfreiheit zu argumentieren. Darum wissend. daß die immer wieder beschworenen Vier Grundprinzipien (Festhalten am sozialistischen Weg, an der Diktatur des Proletariats, an der Führung der Partei, am Marxismus-Leninismus und an den Maozedongideen) nach wie vor unverrückbare Grenzen der Meinungsfreiheit abstecken, führte er listig die Idee vom bewußten Verzicht auf eine einheitliche Sozialismus-Interpretation in die Debatte ein Andere führende Intellektuelle wiederholten die Ansicht, daß Partei-und Staatsapparat einer wirksamen Kontrolle durch Volkskongreß und Einheitsfrontorgane. Presse und öffentliche Meinung unterworfen werden müßten

Solche Stimmen waren in der KP nicht ganz ohne Rückhalt: Ein Kommentator der Parteipresse stellte den Zusammenhang von wirtschaftlicher und politischer Systemreform mit der Bemerkung her. Kreativität und Aktivität bildeten Grundvoraussetzungen ökonomischer Produktivität Das Gewerkschaftsblatt endlich schloß sich dem Kampf gegen die absolute Machtballung an, rief zum Studium ausländischer Erfahrungen auf, lehnte die Einstufung von Demokratie. Freiheit und Menschenrechten als bürgerliche Losungen ab und bezeichnete sie als Allgemeingut der Menschheit Aus den später veröffentlichten Anklagen gegen führende Theoretiker des Reformkurses wissen wir, daß hinter den Kulissen eine noch unverblümtere Sprache gesprochen wurde. Der nach den Studentenunruhen im Januar 1987 gemaßregelte Universitätsleiter Fang Lizhi erklärte den Bankrott des sozialistischen Systems in China, an dessen Stelle er die politischen und wirtschaftlichen Institutionen des Westens gesetzt sehen wollte. Als Hauptkennzeichen der chinesischen feudalistischen Herrschaftsform definierte er die Identität von Macht-und Moralzentrum — eine Tradition, die seiner Meinung nach von der Kommunistischen Partei voll übernommen wurde Noch herausfordernder äußerte sich der ebenfalls aus der Partei verstoßene Kulturfunktionär Wang Ruowang. Er bezeichnete es als Illusion, mittels des sozialistischen Systems in einem riesigen Entwicklungsland die Stufe des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft überspringen zu können. In seiner neuen Fassung des alten chinesischen Modernisierungsproblems verglich er den Versuch, westliche Wissenschaft und Technik ohne die dahinterstehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu übernehmen, mit dem Import von Computer-Hardware: Ohne Software sei sie leer

III. Das Erstarken des Konservatismus

Die Reaktion der Partei auf die Forderungen der Intelligenz und das Scherbengericht, das nach den Studentenunruhen des vergangenen Jahres über prominente Intellektuelle gehalten wurde, haben tiefgreifende ideologische Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei enthüllt. Die Konflikte scheinen sich jedoch bereits auf dem sechsten Plenum des XII. Zentralkomitees (ZK) vom September 1986 zugespitzt zu haben. Weder über den künftigen Rahmen der politischen Reformen noch über die Einschätzung der bisherigen Wirtschaftsreformen konnte in den Führungsgremien der Partei Einigkeit erzielt werden. Nur mit Mühe wurde nach insgesamt neun Entwürfen ein „Beschluß des ZK der KPCh über die Richtlinien für den Aufbau einer geistigen Kultur des Sozialismus“ verabschiedet Dieses Dokument ist als Reaktion auf Vorwürfe des konservativen Parteiflügels entstanden, der schon ein Jahr zuvor die einseitige Betonung materieller Werte im Zuge der Wirtschaftsreformen gerügt hatte. Als typisches Kompromißdokument definierte der ZK-Beschluß den „Aufbau der geistigen Kultur“ auf zweierlei Weise: Im Sinne des konservativen Parteiflügels forderte er eine „Hebung des ideologischen und moralischen Niveaus“, auf der Linie des Reformflügels verlangte er „die Weiterentwicklung von Bildung, Wissenschaft und Kultur“. In den laufenden ideologischen Diskussionen löste der ZK-Beschluß die Probleme mit der Feststellung, es wäre „falsch, den Marxismus als Dogma zu betrachten, aber es wäre ebenso falsch, die grundlegenden Prinzipien des Marxismus zu verneinen“

Nach den Hoffnung erweckenden Debatten vom Sommer 1986 ist dieser Beschluß unter den chinesischen Intellektuellen als Rückschlag empfunden worden, wurden doch alle diskutierten Demokratisierungsschritte vertagt. Die Pekinger „Wirtschaftszeitung“ vom 24. September 1986 präzisierte, daß nur Verbesserungen innerhalb des sozialistischen Rahmens, nicht jedoch ein neues politisches System oder alternative Modelle zur Diskussion stünden Auch in der Partei scheint das sechste Plenum als Signal für weitere Angriffe aufden Reform-kurs verstanden worden zu sein. Vor allem trat der Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses. Peng Zhen, als Wortführer der konservativen Kräfte auf. Erwehrte die Kritik am Machtmißbrauch der Partei und die Anerkennung eines „Interessenpluralismus" ab, bestand aufder ungebrochenen Gültigkeit der marxistischen Theorie und bestritt jeglichen „Vergleichswert“ der politischen Ordnung des Westens. Chinas Demokratie hielt er für „unvergleichlich breiter als die bürgerliche Demokratie . . .. über die immer mehr vom Monopolkapital verfügt wird“ Die engagierten Vertreter des Reformlagers befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Rückzug. In der Shanghaier Akademie-Zeitung schlugen sie wenige Tage vor den Studenten-demonstrationen noch einmal zurück. Sie nahmen das Wort von der „bürgerlichen Schein-Demokratie“ auf und klagten: „Wir besitzen nicht einmal Schein-Demokratie.“

Dann nahmen die Vertreter des ideologischen Konservatismus die Propagandaarbeit in ihre Hand. Ihre 1987 so vehement vorgetragenen Anklagen gegen den Reformkurs lauteten „totale Verwestlichung“ und „bürgerlicher Liberalismus“. Kampf gegen die „totale Verwestlichung“ bedeutet für die Orthodoxen zunächst die Rückbesinnung auf das historische und kulturelle Erbe, das angesichts der Öffnungspolitik im Sog neuer Leitbilder von außen unterzugehen droht. Was die Generation der Veteranen zutiefst verunsichert, ist der Verlust an sinn-stiftendenLeitbildern, der mit dem Rückzug der Ideologie und der traditionellen Werte einhergeht. Aus ihrem Blickwinkel hat der Sozialismus chinesischer Prägung ein historisches Vermächtnis erhalten: „Sehnsucht nach einer großen geeinten Nation, nach Großer Harmonie und einer langen Herrschaft der Stabilität“. Stolz auf „eine jahrtausende-alte Zivilisation, eine glorreiche Kultur und wichtige Beiträge zur Zivilisation der gesamten Menschheit“ Es sind konfuzianische Werte, die im Bewußtsein der Veteranen mit der noch selbst erlebten und mitgestalteten Revolutionsgeschichte zu einer neuen Einheit verschmelzen.

Patriotismus und die Identifikation mit der Vergangenheit werden dort problematisch, wo sie Chinas sozialistische Ordnung und die Kommunistische Partei nur noch als Instrumente übergeordneter nationaler Ziele erscheinen lassen. Viele Chinesen könnten entdecken, daß die Parteiherrschaft überflüssig wird, wenn andere Wege schneller zum gewünschten Erfolg führten. Deswegen hat die Kampagne gegen „totale Verwestlichung und bürgerliche Liberalisierung“ auch den Anlaß zu einem historischen Repetitorium geboten: Chinas Öffentlichkeit wurde an die Intervention der imperialistischen Mächte in China erinnert, an den vergeblichen Versuch zur Einführung einer konstitutionellen Monarchie, an die schnell in den Bürgerkrieg treibende Revolution von 1911 und an das Versagen der bürgerlichen Parteien. Die Botschaft war eindeutig: Die KP und nur sie wäre der Hüter der nationalen Einheit, allein die von ihr geführte Revolution habe die Grundlagen für den erfolgreichen Aufbau und die Modernisierung des Landes geschaffen -Modernisierung aber, das haben seitdem unzählige Leitartikel immer wieder betont, könne in China unmöglich unter dem Vorzeichen des Liberalismus erfolgen.

Nun demonstriert der Begriff „Liberalismus“ nachhaltig die kulturelle Gebundenheit aller ideologischen Kontroversen. Während er im Westen längst zu einem positiv besetzten Schlagwort geworden ist, das an die hier so dominanten Freiheitswerte appelliert. knüpfen die negativen Assoziationen, die sich im chinesischen Kommunismus mit „Liberalismus“ verbinden, an die ganz anderen politischen Traditionen des Landes an: Das Wort bedeutet dort in der Definition Mao Zedongs Cliquenwesen. Verantwortungslosigkeit. mangelnde Einsatzbereitschaft und Opportunismus Noch deutlicher sind die kulturellen Unterströmungen der ideologischen Kontroversen hervorgetreten, als die Parteipresse Anfang 1987 den Kampf „gegen die vollständige Liberalisierung individueller Gefühle“ und gegen die Idee der „sexuellen Befreiung“ forderte. Angesichts dieser starken Abgrenzung von westlichen Einflüssen wurde auch der von vielen chinesischen Politikern selbst als problematisch empfundene Be- griff der „geistigen Verschmutzung“ rehabilitiert. Deng Xiaoping bekannte sich nochmals zur Urheberschaft des längere Zeit aus der Propaganda verschwundenen Wortes

Vor dem Hintergrund eines tief in der chinesischen Tradition wurzelnden Autoritarismus haben maßgebliche Kräfte der Führung all jenen politischen Reformvorschlägen eine Absage erteilt, die auf eine Adaption westlicher Regierungsformen hinausliefen. Die Vorstellung eines unabhängigen Journalismus ist heute wieder tabu Vom Verzicht aufeine einheitliche ideologische Führung und von einer pluralistischen Sozialismus-Interpretation wird nicht mehr geredet. Peng Zhen hat den Pluralismus mit Anti-Sozialismus gleichgesetzt, Deng Xiaoping auf dem Vorrang des Patriotismus gegenüber der Demokratie bestanden. Allgemeine Wahlen sind von ihm als unpassend zurückgewiesen worden Bei anderer Gelegenheit hat Deng das von verschiedenen Reformtheoretikern empfohlene System der Drei-Gewalten-Teilung mit der Bemerkung abgelehnt, in den USA „haben sie praktisch drei Regierungen, [sie] streiten (. . .) und verursachen Schwierigkeiten. Dieses System dürfen wir nicht anwenden“ Die Position des Reform-lagers wurde so schwierig, daß selbst der Begriff „Reform des politischen Systems“ eine Zeitlang aus der Publizistik verschwand.

Statt feudalistischer Herrschaftsformen haben die Konservativen „die nach rechts abdriftende Tendenz als gegenwärtig vorrangige Gefahr“ bezeichnet. Außerdem haben sie die ungeschmälerte Gültigkeit des Marxismus-Leninismus und die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber der westlichen „Schein-Demokratie“ betont Allen Bestrebungen zur schnellen Beendigung des Kampfes gegen den „bürgerlichen Liberalismus“ wurde eine Absage erteilt. Und selbst die großen Peitschen ideologischer Kampagnen wie „Klassenkampf", „Unterdrückung konterrevolutionärer Umtriebe“ und „Diktatur des Proletariats“ wurden wieder hervorgeholt. Im gleichen Zusammenhang zeichnete der langjährige Chef-Ideologe Hu Qiaomu für einen Leitartikel der „Volkszeitung“ verantwortlich, der vor der Gefahr warnte, daß China bei ungebremster Fortsetzung der Reformdebatten auf den kapitalistischen Weg geraten könne

Mit dem bisherigen stellvertretenden Chefredakteur der Parteizeitschrift „Rote Fahne“ wurde erneut ein Vertreter des konservativen Lagers an die Spitze des Propaganda-Apparates gestellt. Zu seinen Aufgaben gehören vor allem die stärkere Kontrolle des Verbands der Literatur-und Kunstschaffenden, die Organisation von Arbeitseinsätzen und die Verschärfung politischer Aufnahmebedingungen an den Universitäten sowie die Verstärkung der ideologischen Schulung für Arbeiter und Militärangehörige. Außerdem wurde beschlossen, die in den letzten Jahren explosionsartig angewachsene Medienlandschaft wieder zu beschränken Ziel aller dieser Maßnahmen ist es, die von vielen Parteiführern gefürchteten „polnischen Zustände“ als Folge der Reformen zu vermeiden.

IV. Gegenpositionen des Reformlagers

Ein besonders sensibler Bereich aller innenpolitischen und ideologischen Kontroversen ist die in den letzten Jahren so stark in den Vordergrund getretene Korruption. Während der orthodoxe Parteiflügel die Reformpolitik selbst für die Verfallserscheinungen verantwortlich macht, beschweren sich führende Reformpolitiker darüber, daß wirtschaftliche Belebungsmaßnahmen von den konservativ beherrschten Disziplinkontrollkommissionen der KP als Vergehen geahndet werden. Der Dissens spiegelt die Probleme eines zwischen Markt und Plan, zwischen dem persönlichen Gewinnstreben einerseits und dem Prinzip eines staatlich verwalteten Gemeinwohls andererseits schwankenden Mischsystems. das eine entsprechende Mischmoral mit ungeklärten Verhaltensnormen hervorgebracht hat.

Beispiele hierfür sind die ständigen definitorischen Kontroversen um legitime und illegitime Gewinne oder die großen Anstrengungen der Parteipresse, zwischen „Reformern mit Fehlern“ und „eigennützigen Gesetzesbrechern“ zu unterscheiden

Der Sommer 1986 sah den Reformflügel der Partei in der Offensive. Deng Xiaoping und die ihm nahe-stehenden Politikerforderten den Rückzug der Disziplinkontrollkommissionen, die alle Korruptionsfälle den Gerichten übergeben sollten. Gleichzeitig sprach sich Vize-Ministerpräsident Wan Li für eine Demokratisierung und Versachlichung der Entscheidungsprozesse innerhalb der Partei aus. Er konzedierte einen „Vergleichswert bürgerlicher politischer Institutionen“ und kündigte die „volle Verwirklichung der verfassungsmäßigen Redefreiheit“ an. Den Einwänden innerhalb der Partei begegnete er mit Worten, die viel über das paternalistische Selbstverständnis der Reformer verraten: Bei richtiger Führung, ausgeglichener Politik und wirtschaftlichem Aufschwung könne „ein großes sozialistisches Land . . . nicht durch einige verletzende Worte oder durch die Unruhestiftung von Menschen mit unlauteren Absichten, die sich gewisse Probleme zunutze machen, zerstört werden“ -Am weitesten in der Öffentlichkeit wagten sich der später gestürzte Generalsekretär Hu Yaobang und der ehemalige Leiter der ZK-Propagandaabteilung. Zhu Houze, vor. So erklärte sich Hu dazu bereit, im Zuge der politischen Reformen auch unrealistische und veraltete Prinzipien des Marxismus-Leninismus aufzugeben. Zhu assistierte ihm mit der Bemerkung. ständige Fehler hätten seit 1956 zu einem Niedergang des Sozialismus und der kommunistischen Weltbewegung geführt

Für die radikaleren Vertreter des Reformflügels beschränkt sich der Bruch mit der Vergangenheit jedoch nicht allein aufdie neuere Zeit. Ihren Plänen liegt eine Sichtweise der chinesischen Tradition zugrunde, die sich scharf von der oben skizzierten Mehrheitsmeinung unterscheidet. Sie betrachtet die chinesische Vergangenheit unter negativerem Vorzeichen und versucht einen scharfen Trennungsstrich zwischen dem erstickenden Konservatismus des überlieferten Bildungs-und Herrschaftssystems einerseits und den Erfordernissen eines auf individueller Kreativität basierenden Modemisierungsprozesses andererseits zu ziehen. Dementsprechend wird der Konfuzianismus in seinen direkten und indirekten Äußerungsformen von den radikalen Reformern abgelehnt. Seine Harmonie-und Humanismus-Ideale gelten ihnen als Rauchvorhang, hinter dem sich ein diktatorischer Absolutismus, eine stagnierende Wirtschaft und eine rückständige Gesellschaft verbargen. Nicht an der Aufrechterhaltung traditioneller Werte, sondern an ihrer Überwindung im Zuge der Reformpolitik sind die Vertreter dieser Denkrichtung interessiert.

Sie können sich dabei auf Passagen richtungweisender Parteibeschlüsse von 1981 berufen, in denen von den verderblichen „Überresten der langen feudalen und despotischen Herrschaft auf ideologischem und politischen Gebiet“ die Rede ist. Sie können auch auf unzählige Deng Xiaoping-Reden verweisen, in denen sich dieser vom Erbe der feudalistischen Herrschaftsformen distanziert hatte. Ihren historiographischen Standpunkt haben sie Anfang 1986 in den Spalten des Parteiblattes „Liaowang“ vortragen dürfen Dieses dem ZK-Sekretariat nahestehende Organ ermöglichte damit die Wiederaufnahme von Grundsatzdebatten, die schon einmal während der berühmten Vierte-Mai-Bewegung Anfang der zwanziger Jahre unter den chinesischen Intellektuellen geführt worden waren. 1987 sind solche Positionen unter dem Druck des kulturellen und politischen Konservatismus nicht wieder in gleicher Deutlichkeit vertreten worden. Statt dessen haben die Reformkräfte in der Parteiführung zunächst das historiographische Terrain geräumt und sich darauf konzentriert, die begonnene Kritikbewegung einzudämmen. Dabei haben sie auch einen nicht unbeträchtlichen Erfolg gehabt.

Typisch für die Kampagne gegen den „bürgerlichen Liberalismus“ ist. daß sich die Säuberungsaktionen und personellen Konsequenzen weitgehend auf Parteimitglieder beschränkt haben, die scharfen Angriffe auf den Reformkurs fast ausschließlich hinter verschlossenen Türen geführt wurden. Das ist ein Resultat der mäßigenden Einwirkung Zhao Ziyangs.der bereits im Januar 1987 folgende Grenzen absteckte: Eine allgemeine Hexenjagd auf „bürgerliche Liberale“ sollte unterbunden, niemand ohne Zustimmung der Parteizentrale öffentlich gebrandmarkt werden. Die Kampagne sollte zudem konsequent aus den ländlichen Regionen ferngehalten und nicht auf das ökonomische Gebiet ausgedehnt werden. Zwei Wochen später nahm Zhao vielen ideologischen Erörterungen den Wind aus den Segeln und reduzierte die zu beachtenden Vier Grundprinzipien mit einem Deng-Zitat auf ihren wahren Kern: Festhalten an der Führung durch die Partei. Außerdem bekräftigte er das schon Ende 1978 gegebene Versprechen, künftig auf politische Kampagnen im Stile der Kulturrevolution zu verzichten

Auch diese Einschränkungen genügten noch nicht. So erließ Zhao im Februar neue interne ZK-Rundschreiben. die weitere Pfähle gegen die steigende Flut des ideologischen Konservatismus setzten. Sie bestätigten ausdrücklich die Richtigkeit der landwirtschaftlichen Entkollektivierungspolitik, gelobten.den Lebensstil des Volkes nicht anzurühren, und nahmen nun auch alle Wirtschaftsreformen, die wissenschaftlich-technische Forschung, neue Ausdrucksformen in Literatur und Kunst sowie die bürgerlichen Einheitsfrontparteien von der Kritik aus. Der heutige Generalsekretär entzog damit alle sensiblen Bereiche, die von der Vendetta der Alt-Kader berührt wurden, deren Zugriff und nahm nun genau jene Haltung ein, die sein Vorgänger 1983 gegenüber der Kampagne gegen „geistige Verschmutzung“ bezogen hatte. Einen Monat später warnte er die Propaganda-Abteilungen erneut vor einer „Ausweitung und Übertreibung“ der Kritik an Rechts-Abweichungen Die widersprüchlichen Schwerpunktsetzungen in den Äußerungen hoher Parteiführer haben im Ausland wie in China selbst Verwirrung ausgelöst. Deng Xiaoping. Zhao Ziyang und andere Spitzenpolitiker haben sie durch die ständige Behauptung einer ungebrochenen Kontinuität der Öffnungspolitik und Wirtschaftsreformen zu beseitigen versucht. Sie haben darüber hinaus unentwegt die These von der Gleichrangigkeit des ideologischen Kampfes und der Reformpolitik vertreten Das Bemühen um ausgewogene theoretische Formulierungen. die es gestatten, konservative Positionen in einen neuen reformpolitischen Konsens einzubinden, hat sich ebenfalls in den wiederholten Anstrengungen zur Neudefmition der „Linie des dritten Plenums“ niedergeschlagen. Die Ideologen nehmen mit dieser Formulierung auf jene ZK-Sitzung vom Dezember 1978 Bezug, auf der Deng Xiaoping mit seiner Reformpolitik der entscheidende Durchbruch gelang. Die Linie des dritten Plenums wird heute als Kürzel verwendet, um sowohl die Vier Grundprinzipien wie auch die Durchführung der Reformpolitik mit all ihren wirtschaftlichen und politischen Einzelmaßnahmen zu umschreiben Die subtilen definitorischen Bedeutungsverschiebungen, die dabei zu beobachten gewesen sind, haben sich erneut als Symptome andauernder Richtungskämpfe erwiesen: So hat Deng Xiaoping mit anderen Reformpolitikern zuerst die Fortsetzung der Öffnungspolitik, der Vier Modernisierungen sowie der wirtschaftlichen und politischen Reformen gleichrangig neben das Festhalten an den Vier Grundprinzipien gestellt, nur um sich später wieder zur Vorrangigkeit der Reformen zu bekennen. Andere Kräfte in der Partei haben hingegen den Vier Grundprinzipien die absolute Prio-rität eingeräumt Bereits im Februar 1987 warnte das Parteiorgan vor der „Verwendung . linker* Ansichten, um rechtsgerichtete Ideen zu kritisieren“. Im Juni endlich verzichtete Deng auf solche Umschreibungen: Trotz aller Kritik am „bürgerlichen Liberalismus“ bezeichnete er wieder die Links-Abweichung als Hauptgefahr

Konsistenter als die schwankenden Haltungen zur politischen Reform sind die ökonomischen Vorstellungen des Reformflügels geblieben. Unbeeindruckt von den Studentenunruhen kündigte die Parteizeitschrift „Halbmonatsgespräche“ für 1987 weitere Maßnahmen zur Trennung von Eigentums-und Bewirtschaftungsrecht in den Betrieben, die Ausweitung von Pacht-und Leasing-Praktiken sowie neue Schritte zur Reform der Betriebsverwaltung und zur Einführung von Aktienmärkten an Vor dem Nationalen Volkskongreß legte Zhao Ziyang vor allem auf die Reform der Finanzstrukturen. auf die Ausdehnung horizontaler Wirtschaftsverbindungen sowie auf die betriebliche Eigenverantwortung bei der Einstellungs-und Lohnpolitik großen Wert Nur die Preisreform schien immer mehr im Dickicht wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Gruppeninteressen stecken-zubleiben. Obwohl Zhao Ziyang sie im März 1987 abermals als Schlüsselfrage für das gesamte Reformwerk bezeichnete, war der Rückzug schon zwei Monate zuvor eingeleitet worden: Wirtschaftswissenschaftler nannten die Reform der staatlich administrierten Festpreise einen langen und schwierigen Anpassungsprozeß, an dessen Ende keineswegs die völlige Marktregulierung stehen müsse

V. Der XIII. Parteitag und ein ideologischer Kompromiß

Die jüngsten Kontroversen haben die enge Verzahnung von Ideologie, Ökonomie und Gesellschaft demonstriert. Dabei sind die auf China zukommenden Grundkonflikte bereits heute klar zutage getreten: Widersprüche zwischen marktwirtschaftlichen Prinzipien und Herrschaft der Partei, Explosion der Erwartungen auf einem schmalen Leistungsniveau, Generationenkonflikt mit einer Aufweichung bisheriger Verhaltensnormen und Identitätskrise im fortschreitenden Vollzug der Öffnungspolitik.

Bei grundsätzlicher Einmütigkeit über nötige Wirtschaftsreformen und Modernisierungsschritte scheinen sich alle Konflikte auf die Fragen nach dem angemessenen Reformtempo und nach der Einbeziehung der politischen Sphäre zuzuspitzen. Der letzte Parteitag der KPCh vom November 1987 hat als Antwort auf sie einen neuen Kompromiß zwischen den verschiedenen Lagern zu finden versucht: Der innerhalb der Partei und des Landes so umstrittene „Sozialismus chinesischer Prägung“ wurde von ihm in genialer Einfachheit als „Anfangsstadium des Sozialismus“ definiert. In dieser „wenigstens hundert Jahre“ währenden historischen Etappe setzt sich die KP nach ihrem heutigen Selbstverständnis das Ziel. „Industrialisierung und Kommerzialisierung, Vergesellschaftung und Modernisierung der Produktion, die andere Länder unter kapitalistischen Bedingungen bereits verwirklicht haben, zu realisieren.“ Sie erachtet es dabei als „unumgänglich, mit den einzelnen Theorien, die unsere Vorläufer unter einschränkenden geschichtlichen Bedingungen aufgestellt haben und die noch utopischen Charakter tragen, aufzuräumen, sich von dem dogmatischen Verständnis des Marxismus und den falschen Auffassungen, die man dem Marxismus zugeschrieben hat. zu lösen . . ,“

Der XIII. Parteitag hat demgemäß den Wirtschaftsaufbau. die Reform und die weitere Befolgung der Öffnungspolitik zur „grundlegenden Linie für den Aufbau des Sozialismus chinesischer Prägung im Anfangsstadium des Sozialismus“ erklärt. Als weitere Inhalte des Begriffs sind Kernsätze der Reformpolitik, wie „die Wahrheit in den Tatsachen suchen“, „den eigenen Weg einschlagen“ oder „die planmäßige Warenwirtschaft entwickeln“, festgeschrieben worden. Es sind weitgehend symbolische Schlagworte, die den Deng Xiaoping-Kurs legitimieren, jedoch äußerst interpretierfähig bleiben. Als Merkmal des chinesischen Sozialismus könnte damit auch die weitgehende Verflüchtigung der Ideologie als eine präzise Anleitung zum Handeln definiert werden.

So hätte sich Ende 1987 nach jahrelangen ideologischen Kontroversen abermals der Reformkurs durchgesetzt, wären da nicht jene Passagen der Parteitagsdokumente. die immer wieder auf den Vier Grundprinzipien insistieren. Der sozialistische Weg und die Diktatur des Proletariats, der Marxismus-Leninismus und die Maozedongideen mögen in ihrer bisherigen Form gehen — die Führung der Partei bleibt bestehen. So könnte man heute in vereinfachter Form den materiellen Inhalt dieser Prinzipien beschreiben. Dabei wäre es jedoch ein gefährlicher Irrtum, die Führung der Partei allein auf die Ausübung des Machtmonopols beschränkt zu sehen. Wie die für einige Reformtheoretiker höchst negativen Konsequenzen der Debatten von 1986 gezeigt haben, besteht die KP auch weiterhin auf ihrer ideologischen Alleinherrschaft. Das Recht zur Neudefinition und Uminterpretation des Sozialismus ist zwar bekräftigt worden, bleibt jedoch der Parteiführung Vorbehalten. Nur sie bestimmt die Grenzen der Meinungsfreiheit und behält sich deshalb auch in Zeiten größerer innenpolitischer Lokkerung jederzeit das Recht zu Wiedereinschränkung der neu gewährten Freiheiten vor.

Chinas Intellektuelle rührten an den Nerv der Dinge, als sie das Fehlen einer naturrechtlichen Überlieferung und die mangelnde Einklagbarkeit der Bürgerrechte kritisierten. Ob sie mit ihren Forderungen nach einer von unten gewachsenen Demokratie allerdings auch das Selbstverständnis der übrigen Gesellschaft artikulierten, ist eine andere Frage. Traditionell starke Gemeinschaftsideale und eine entsprechende Abwertung des Individualismus, das Bedürfnis nach Autorität und eine kulturell tief verwurzelte Neigung zur ideologischen Geschlossenheit richten nach wie vor starke Dämme gegen einen westlich konzipierten Interessenpluralismus auf. Sie haben die Auseinandersetzungen der letzten Jahre mitgeprägt und den XIII. Parteitag erneut für den Primat von „Stabilität und Einheit“ vor einer „Entwicklung der sozialistischen Demokratie“ votieren lassen.

Niemand anders verkörpert die widersprüchliche Verbindung von Reformwillen und traditionellem Autoritarismus besser als Deng Xiaoping: Noch immer verwendet Chinas starker Mann das geflügelte Sun Yatsen-Wort vom Lande China, das einem Haufen losen Sandes gliche, als Menetekel. Nur eine starke Führung, so Deng am 30. Dezember 1987. könne dem drohenden Chaos Einhalt gebieten und die Nation zum Aufbau führen

Westliche Beobachter werden die Illiberalität solcher Denkformen beklagen. Aber sie werden nicht umhinkommen, von den ungeheuren Zerreißproben Kenntnis zu nehmen, denen China angesichts seiner regionalen, sozialen und ökonomischen Entwicklungsdiskrepanzen ausgesetzt ist. Einheitliche Ideologie und zentralistische Bürokratie haben die geschichtliche Rolle einer Klammer der ansonsten höchst heterogenen Nation gespielt. Wie die Kulturrevolution gezeigt hat. kann ihr plötzliches Verschwinden in der Tat ein Vakuum entstehen lassen, da organisch von unten gewachsene Strukturen kaum vorhanden sind. Eine historische Bewertung der Führungsansprüche der KPCh wird deshalb die grundsätzliche Berechtigung der immer wieder beschworenen Furcht vor dem Chaos anerkennen müssen. Dennoch bleibt das Dilemma bestehen, daß der Hinweis auf objektive Zwänge für ein autoritäres Herrschaftssystem dort die Züge einer selffulfilling prophecy annimmt, wo alle Ansätze zur politischen Selbstverantwortung abgeblockt werden.

Die politischen Reformen, die jetzt vom XIII. Parteitag beschlossen wurden, haben viel von dem brisanten Charakter der früheren Vorschläge eingebüßt. Ihre Ziele heißen nicht mehr Gewaltenteilung, sondern Revitalisierung der Partei. Überwindung des Bürokratismus und Förderung von Eigen-initiativen an der Basis — dies alles als Langzeitprojekt innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren Alle Anzeichen deuten darauf hin. daß die Partei die Wirtschaftsreformen mit teilweise veränderten Akzenten fortführen, die politische Umgestaltung aber wieder verlangsamen und weitgehend auf Verwaltungsreformen beschränken will. Ob die in einem solchen Kurs liegenden Spannungen ausgehalten werden können, wird die Gretchenfrage der Zukunft sein — eine Frage, die nicht nur von der Partei, sondern auch von der chinesischen Gesellschaft beantwortet werden muß.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Liaowang. Peking, vom 3. November 1986.

  2. Als Dokument des Wertewandels siehe Zhang Xinxin/Sang Ye. Pekingmenschen, Köln 1986.

  3. Renmin Ribao (hinfort: RMRB). Peking, vom 29. Dezember 1986.

  4. Zhongguo tongji nianjian (hinfort: ZTN) 1986. Peking 1986, S. 13; Renkou yanjiu. Nr. 4. Peking 1981. S. 42— 44; Gongren ribao (hinfort: GRRB). Peking, vom 23. August 1986.

  5. GRRB vom 30. Juni 1986. 19. Juli 1986; Guangming Ribao (hinfort: GMRB). Peking, vom 12. Juli 1986; RMRB vom 10. September 1986.

  6. ZTN 1986. S. 658— 650; Jingji Ribao. Peking, vom 12. Juli 1986; Zhongguo Qingnian Bao. Peking, vom 3. September 1986; Gaige. Women mianlin di tiaozhan yu xuanze. Peking 1986. S. 112-158.

  7. Xinhua vom 15. Juli 1983; RMRB vom 3. März 1984.

  8. ZTN 1986. S. 623; Radio Peking vom 13. November 1987; Thierry. Pairault. Aspects de l’inflation en Chine, in: Le courrier des pays de Test. Nr. 312. Paris 1986. S. 39— 50.

  9. Zhengming. No. 112. Hongkong 1987, S. 6-10; RMRB vom 24. Januar 1987; Xinhua vom 17. Januar 1987.

  10. RMRB vom 29. März 1987; GRRB vom 27. März 1987; China Trade Report. Hongkong April 1987, S. 1— 3; ebda., Mai 1987. S. 1— 3; Beijing Rundschau, Nr. 9. Peking 1987; ebda.. Nr. 16. Peking 1987.

  11. Mao Tse-tung. Ausgewählte Werke, Bd. III. Peking 1969. S. 321— 324; Wenhui bao. Shanghai, vom 13. August

  12. Nanfang ribao, Kanton, vom 24. Januar 1987.

  13. RMRB vom 8. Oktober 1986, 21. Juli 1986, 17. Februar

  14. RMRB vom 13. März 1987, 22. März 1987, 6. September 1986; Wenhui Bao, Hongkong, vom 29. März 1987; Far Eastern Economic Review. Hongkong, vom 5. Februar

  15. Xinhua vom 15. Januar 1987; RMRB vom 3. Oktober 1986; Far Eastern Economic Review vom 16. April 1987; China Trade Report, Juni 1987, S. 1, 3.

  16. Beijing Rundschau. Nr. 26, Peking 1987. S. 19- 25; Wenhui Bao vom 18. Mai 1987.

  17. Wenhui Bao vom 21. — 22. Juli 1986; Liaowang. Peking, vom 3. November 1986.

  18. Alle folgenden Ausführungen nach: Zhongguo shehui kexue. Nr. 4. Peking 1986. S. 3— 14.

  19. RMRB vom 15. August 1986.

  20. Shijie Jingji Daobao, Shanghai, vom 2. Juni 1986; GMRB vom 30. Juli 1986.

  21. GMRB vom 7. Juni 1986.

  22. GRRB vom 30. Mai 1986. 1. August 1986. Vgl. auch RMRB vom 15. Dezember 1986.

  23. Xinhua vom 19. Januar 1987; Zhongguo Xinwen She vorn 13. Januar 1987.

  24. RMRB vom 18. Januar 1987.

  25. Zhengming, Nr. 109, 1986, S. 6— 10.

  26. Beijing Rundschau. Nr. 40. S. I—XII.

  27. Jingji Ribao vom 24. September 1986.

  28. RMRB vom 27. November 1986.

  29. Shijie Jingji Daobao vom 15. Dezember 1986.

  30. RMRB vom 29. Dezember 1986.

  31. RMRB vom 5. März 1987. Vgl. auch RMRB vom 12. Januar 1987; Xinhua vom 14. Februar 1987.

  32. Siehe Mao Zedong, xuanji. Peking 1967. S. 330— 332.

  33. Xinhua vom 15. Januar 1987. 21. Januar 1987; RMRB vom 27. Januar 1987. 8. März 1987; Beijing Rundschau. Nr. 26. 1987. S. 16.

  34. Radio Jiangsu vom 14. März 1987.

  35. Xinhua vom 15. Mai 1987; RMRB vom 17. April 1987.

  36. Beijing Rundschau. Nr. 26. 1987. S. 15.

  37. Zhengming. Nr. 113. 1987. S. 6— 10; Xinhua vom 21. Januar 1987.

  38. RMRB vom 1. Januar 1987, 6. Januar 1987. 17. Januar 1987. 17. Mai 1987; Shanxi ribao. Taiyuan, vom 5. Februar 1987; Xinhua vom 15. Mai 1987.

  39. Far Eastern Economic Review 7. Mai 1987; Xinhua vom 7. März 1987; RMRB vom 26. Februar 1987. 30. April 1987; China Daily. Peking, vom 29. Juni 1987; Dagong Bao, Hongkong. vom 16. Mai 1987. 4. Juni 1987.

  40. RMRB vom 29. September 1985.

  41. Dagong Bao. vom 1. August 1986; Zhengming. Nr. 109, 1986. S. 13-14.

  42. RMRB vom 23. Juni 1986; Wenzhai Bao. Peking, vom 29. Juni 1986.

  43. Beijing Rundschau. Nr. 27. 1981. S. 27; Liaowang vom 24. Februar 1986. 3. November 1986. Siehe dazu auch: Zi Zhongyun. The Relationship of Chinese Traditional Culture to the Modernization of China, in: Asian Survey. XXVII (1987) 4. S. 442-458.

  44. Wenhui Bao vom 26. Januar 1987; RMRB vom 30. Januar 1987.

  45. Zhengming. Nr. 113. 1987. S. 6— 10; Radio Sichuan vom 27. Februar 1987; Ryukyu Shimpo. Naha, vom 7. März 1987. Vgl. auch RMRB vom 2. Februar 1987. 15. März 1987.

  46. Xinhua vom 18. Januar 1987. 19. Januar 1987; GMRB vom 19. März 1987.

  47. Hongqi. Nr. 7. Peking 1987. S. 2-8; RMRB vom 22. Februar 1987.

  48. Ebda.. Dagong Bao vom 27. Juni 1987.

  49. RMRB vom 2. Februar 1987; Wenhui Bao vom 5. Juni 1987.

  50. Banyuetan. Peking, vom 10. Januar 1987.

  51. Beijing Rundschau. Nr. 16. 1987.

  52. GMRB vom 31. Januar 1987; RMRB vom 16. Januar 1987. 16. März 1987.

  53. Sämtliche Parteitagszitate nach dem Politischen Bericht Zhao Ziyangs vom 25. Oktober 1987. in: RMRB vom 4. November 1987.

  54. Beijing Rundschau. Nr. 26. 1987. S. 16.

  55. . Vgl. dazu richtungweisende Deng Xiaoping-Äußerungen in: Dagong Bao. vom 11. März 1987. 28. Juni 1987.

Weitere Inhalte

Thomas Scharping, Dr. phil., M. A., geb. 1948; Studium der Sinologie, Politologie und Japanologie in Berlin und Hongkong; China-Referent am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien und Lehrbeauftragter an der Universität Köln. Veröffentlichungen u. a.: Der Demokratische Bund und seine Vorläufer 1939— 1949. Chinesische Intelligenz zwischen Kuomintang und Kommunistischer Partei. Hamburg 1972; Mao-Chronik. Daten zu Leben und Werk, München 1976; Umsiedlungsprogramme für Chinas Jugend 1955 — 1980. Probleme der Stadt-Land-Beziehungen in der chinesischen Entwicklungspolitik, Hamburg 1981.