Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China Von der Befehlsplanung zum Mischsystem | APuZ 1/1988 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 1/1988 Artikel 1 Auf der Suche nach dem Sozialismus chinesischer Prägung Sozialer Wandel, ökonomische Probleme und die Rolle der Ideologie Die Modernisierung der Institutionen und des Rechtswesens in der Volksrepublik China Die Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China Von der Befehlsplanung zum Mischsystem Die außenpolitische Entwicklung der Volksrepublik China in den achtziger Jahren

Die Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China Von der Befehlsplanung zum Mischsystem

Erhard Louven

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Gegen Ende der Kulturrevolution (1976) befand sich die chinesische Wirtschaft in einem Zustand der Erstarrung. Die Produktionsstruktur war veraltet, die Wachstumsraten sanken, und es gab Versorgungsmängel.deren politische Auswirkungen nur mühsam kontrolliert werden konnten. Die pragmatischen Wirtschaftsreformer, die mit Deng Xiaoping an die Macht kamen, hatten mit den zunächst in Gang gesetzten Wirtschaftsreformen in der Landwirtschaft große Erfolge zu verzeichnen. Diese Erfolge gaben ihnen Rückhalt in der Bevölkerung, so daß die Reform auf die übrigen Bereiche der Wirtschaft ausgedehnt werden konnte. Vermochte man in der Landwirtschaft mit einigen ordnungspolitischen Veränderungen große Wirkungen zu erzielen, so waren die Verhältnisse in der Industriewirtschaft komplexer. Die Struktur der staatlichen Großbetriebe erwies sich vielfach als resistent gegenüber Veränderungen, so daß der Staat gezwungen war, immer wieder regulierend mit „makroökonomischen Hebeln“, wie zum Beispiel Zinsen und Steuern, einzugreifen. Ein dreiteiliges Planungssystem wurde eingeführt: Strategische Güter unterstehen nach wie vor der Befehlsplanung, einen mittleren Bereich versucht man mittels Indikativplanung zu steuern, während der Dienstleistungs-und Kleinhandelssektor bereits nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten weitgehend sich selbst überlassen wird. In der Rationalität der „sozialistischen geplanten Warenwirtschaft“ liegt es nach den Verlautbarungen seiner Verfechter, den Bereich der Befehlsplanung immer weiter einzuengen. Reformiert wurden das Bankensystem, eingeführt wurden beispielsweise Anteilsgesellschaften und Leasing, experimentiert wird in den verschiedensten Bereichen auch mit gesetzlichen Regelungen. Die Exportwirtschaft hat im Zuge der Öffnung nach außen auch instrumentalen Charakter für die binnenwirtschaftliche Entwicklung erhalten. Ausländisches Kapital soll vor allem in Form von Joint-ventures moderne Technologien und Know-how in das Land bringen. Sonderwirtschaftszonen. Hafenstädte und weitere Gebiete wurden speziell für ausländische Engagements geöffnet. Dennoch wird die außenwirtschaftliche Verflechtung auch in Zukunft — wegen des Unabhängigkeitsstrebens, aber auch wegen der auf längere Sicht begrenzten Kapazitäten — relativ gering bleiben.

I. Einleitung

Auf dem XIII. Parteitag der KPCh erstattete der Generalsekretär der KPCh Zhao Ziyang am 25. Oktober 1987 einen Bericht, der programmatischen Charakter für die Zukunft hat Er sprach von der Entwicklung der Warenwirtschaft, von einer exportorientierten Entwicklungsstrategie, forderte intensives (anstatt wie früher extensives) Wirtschaftswachstum sowie die Trennung von Eigentumsrechten und Wirtschaftsverwaltungskompetenzen der volkseigenen Betriebe. Nur etwa 30 Prozent der chinesischen Wirtschaft würden in den nächsten zwei bis drei Jahren noch Gegenstand zentraler Planung sein Aus den „Sturmwogen der Marktkonkurrenz“ sollten viele tüchtige und wagemutige Unternehmer hervorgehen

Vergleicht man diese programmatischen Aussagen mit der Terminologie gegen Ende der Kulturrevolution (1976), so erkennt man leicht die gewaltigen Veränderungen, die sich in der Zwischenzeit ergeben haben. Hätte ein chinesischer Wirtschaftspolitiker 1976 auch nur andeutungsweise solche wie von Zhao Ziyang nun genannten Neuerungen gefordert, so wäre er unweigerlich in das Kreuzfeuer scharfer Kritik der orthodoxen Maoisten geraten. Gegen Ende der Kulturrevolution befand sich die chinesische Wirtschaft indes in einem kritischen Zustand, eine Änderung der Wirtschaftsweise hätte nicht mehr lange hinausgeschoben werden können.

II. Die wirtschaftliche Entwicklung bis 1976

Der Entwicklungspfad der chinesischen Wirtschaft gliche — in einer Graphik dargestellt — einer nach oben gerichtete Kurve, allerdings wären im Zeitablauf Oszillationen festzustellen, deren Ausschläge jedoch stetig geringer würden. Die Zeit bis 1952 diente der Wiederherstellung der durch Kriegsschäden schwer mitgenommenen Wirtschaft. Der Groß-grundbesitz wurde enteignet und das Land an die Bauern verteilt. Auch die Großindustrie wurde enteignet und von der Regierung als Grundlage der volkseigenen Industrie übernommen. Die Wachstumsraten des Bruttosozialproduktes waren hoch, und am Ende dieser Periode war das Vorkriegsniveau im wesentlichen wieder erreicht.

Der mit sowjetischer Hilfe geplante und — unter anderem durch sowjetisch-chinesische Joint-ventures — unterstützte erste Fünfjahresplan (1953— 1957) ging einher mit der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft und der Verstaatlichung der noch verbliebenen Privatindustrie. Auch der Handels-und Finanzapparat wurden verstaatlicht. Die zentrale Planung erfaßte alle Bereiche der Wirtschaft, noch verbliebene Marktelemente waren am Ende dieser Periode ausgeschaltet. Die Schwerin-dustrie wurde bevorzugt und konnte erfolgreich aufgebaut werden. Wenn chinesische Wirtschaftspolitiker Ablauf und Ergebnisse dieser Planperiode betrachten, so sprechen sie oft vom „goldenen Zeitalter“. Der Aufbau neuer Industriebetriebe nach der erprobten, relativ einfachen sowjetischen Technologie ging reibungslos vonstatten. 1958 initiierte Mao Zedong, durchdrungen von voluntaristischen Vorstellungen, den „Großen Sprung nach vorn“. In der Landwirtschaft wurden die durchschnittlich 30 000 Menschen umfassenden Volkskommunen teilweise durch Zwang gegründet. Es kam zur Einschränkung des privaten Lebensbereiches. Die Bauern wurden zum Bau von Hinterhof-Stahlwerken angeregt, deren Produktionsergebnisse allerdings ungenügend waren. Ein Großteil des auf diese Weise gewonnenen Stahls mußte in modernen Stahlwerken umgeschmolzen werden. Der Versuch, auch in der Industrie die Produktion sprunghaft zu erhöhen, schlug fehl. Aufgrund der Überforderung der Bauern sank die landwirtschaftliche Produktion drastisch, und viele Menschen verhungerten bzw. hatten unter den Folgewirkungen von Hunger zu leiden. Der auch aufgrund dieses Experimentes verschärfte ideologische Konflikt mit der Sowjetunion führte 1960 zum Rückzug der sowjetischen Berater und zur schlagartigen Beendigung der sowjetischen Hilfeleistungen. Die darauf folgende, bis etwa 1965 dauernde Konsolidierung der Wirtschaft konnte nur durch Zurücknahme einzelner Kollektivierungsbeschlüsse und die Verkleinerung der Volkskommunen erreicht werden. Durch pragmatische Politik stabilisierte sich die Ernährungssituation etwa 1962, die Hauptschäden der Krise konnten beseitigt werden. Mao Zedong verlor gegenüber den pragmatisch orientierten Wirtschaftspolitikern an Boden und geriet in eine Lage, in der er — aller Wahrscheinlichkeit nach — neben dem faktischen Machtverlust auch die formale Absetzung hätte hinnehmen müs-* sen.

Wichtige Wirtschaftsindikatoren der vierten und sechsten Fünfjahrespläne (Vergleich der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten in Prozent) Plan 6. Plan 1971-1975 1981-1985 Gesellschaftliches Gesamtprodukt 7. 3 10. 8 Bruttoproduktionswert von Industrie u. Landwirtschäft 7, 7 10, 9 darunter:

— Landwirtschaft 4. 0 11. 4 — Industrie 9. 1 10. 8 * Leichtindustrie 7. 7 12. 0 * Schwerindustrie 10, 2 9. 6 Nationaleinkommen 2. 7 9. 8 Quellen: Errechnet nach Angaben in Zhongguo Tongji Nianjian 1985 (Statistisches Jahrbuch Chinas 1985). Beijing 1985; Xinhua vom 28. Februar 1986. zit. nach Summary of World Broadcasts (SWB) vom 9. März 1987.

Mittels der „großen proletarischen Kulturrevolution“. die heute als „zehn Jahre der inneren Unruhe“ bezeichnet wird (1966— 1976). gelang es Mao, die Macht wiederum an sich zu reißen. Letzte privatwirtschaftliche Überbleibsel wurden beseitigt, zeitweise wurden auch die bäuerlichen Privat-parzellen verboten. In der Landwirtschaft wurde die Produktionsbrigade, die zehn bis zwölf Produktionsgruppen zusammenfaßt, als Rechnungseinheit angestrebt. Aufgrund der Aktionen der umherschweifenden „Roten Garden“ sowie anderer „revolutionärer“ Akte wurden viele Verwaltungs-und Planbehörden lahmgelegt, der Bildungs-und Ausbildungssektor wurde grob vernachlässigt. Zwischen 1971 und 1974 fand wiederum eine Konsolidierung auf niedrigem Niveau statt, deren Ergebnisse jedoch danach aufgrund der politischen Richtungskämpfe und des Kampfes um die Nachfolge von Mao Zedong zum größten Teil zunichte gemacht wurden.

Auf der dritten Plenartagung des XII. Zentral-komitees der KPCh, die am 20. Oktober 1984 in Beijing stattfand, wurde der „Beschluß des Zentral-komitees der Kommunistischen Partei Chinas über die Reform des Wirtschaftssystems“ einstimmig angenommen 4). Dieses Dokument stellte die im wesentlichen während der Kulturrevolution entstandenen Mißstände in aller Deutlichkeit fest. Die Überlegenheit des sozialistischen Systems habe nicht voll zur Geltung gebracht werden können, weil die Wirtschaftsstruktur erstarrt sei. so daß den Anforderungen der wachsenden Produktivkräfte nicht hätte entsprochen werden können. Die wichtigsten Mängel dieser Struktur seien darin begründet. daß keine klare Unterscheidung zwischen den Funktionen der Regierung und denen der Unternehmen gezogen worden sei. Es bestünden Barrieren zwischen verschiedenen Abteilungen und Regionen. Der Staat habe eine übermäßige und starre Kontrolle über die Unternehmen ausgeübt. Waren-produktion. Wertgesetz und die Rolle des Marktes seien vernachlässigt worden; bei der Verteilung habe absolute Gleichmacherei geherrscht. Auf diese Weise seien die Begeisterung, die Initiativen und die Kreativität der Arbeiter und Angestellten in den Betrieben gelähmt worden. Das Problem der Überkonzentration in der Wirtschaftsstruktur sei lange Zeit ungelöst geblieben und im Lauf der Zeit immer gravierender geworden. Gewiß seien mehrfach Kompetenzen auf die unteren Ebenen verlagert worden, doch dies habe sich lediglich auf die Regelung der Verwaltungsbefugnisse zwischen zentralen und lokalen Behörden, zwischen höheren und niedrigeren Ebenen sowie verschiedenen Abteilungen und Regionen beschränkt. Die Kernfrage. nämlich den Unternehmen Entscheidungsbefugnisse zu geben, sei nicht behandelt worden.

Die Defizite der alten Wirtschaftsweise werden auch statistisch evident, wenn man wichtige Wirtschaftsindikatoren des letzten abgeschlossenen Fünfjahresplanes der alten Ära (1971 — 1975) mit denen des ersten abgeschlossenen Fünfjahresplanes der neuen Ära (1981 — 1985) vergleicht.

Besonders bemerkenswert ist die Veränderung in der Landwirtschaft. Das Wachstum belief sich während der vierten Planperiode auf ca. 4 Prozent im Jahresdurchschnitt und stieg während der sechsten Planperiode stark an. Während das Nationaleinkommen (das die Nettowertschöpfung der Volkswirtschaft und damit ein genaueres Bild als die Bruttoproduktionswerte wiedergibt) in der Zeit der Kulturrevolution nur um 2, 7 Prozent anstieg, schnellte es unter der Ägide der pragmatisch orientierten Wirtschaftspolitiker auf durchschnittlich 9. 8 Prozent hoch.

III. Langfristige Ziele

Im Dezember 1981 verkündete Zhao Ziyang erstmals das Ziel der Vervierfachung des Bruttoproduktionswertes von Industrie und Landwirtschaft zwischen 1980 und 2000 Dieses Ziel wurde auch von anderen Politikern immer wieder genannt. Angesichts der Vagheit der Kennziffer kann hier von einem in eine Quantität übersetzten Politslogan gesprochen werden, der nichts anderes aussagt, als daß die chinesische Volkswirtschaft sich schnell entwickeln müsse.

Hu Yaobang hatte 1985 erklärt, daß China bis zum Jahre 2049 — 100 Jahre nach Gründung der Volksrepublik — zu den reichsten und mächtigsten Staaten der Erde gehören werde, und zwar als ein moderner und starker sozialistischer Staat Wesentlich bescheidener war Zhao Ziyang, als er in seiner Programmrede anläßlich des XIII. Parteitages am 25. Oktober 1987 davon sprach, das Bruttosozialprodukt pro Kopf solle Mitte des nächsten Jahrhunderts den Stand der mittleren entwickelten Länder erreichen. Das Volk solle dann in ziemlich guten Verhältnissen leben und die Modernisierung im wesentlichen vollendet sein.

Zhao erklärte in seiner Programmrede auch, der Aufbau des Sozialismus in einem großen, rückständigen Land des Ostens wie China sei eine neue Aufgabe in der Entwicklung des Marxismus. Der Parteichef kam zu dem Schluß, daß sich die Volksrepublik im „Anfangsstadium des Sozialismus“ befinde. Es handele sich im Falle Chinas um ein spezifisches Stadium beim Aufbau des Sozialismus unter den Bedingungen der rückständigen Produktiv-kräfte und der unterentwickelten Warenwirtschaft. Vom Beginn der fünfziger Jahre bis zur wesentlichen Verwirklichung der sozialistischen Modernisierung benötige China wenigstens einhundert Jahre. Dieser Zeitabschnitt bis zum Jahre 2050 gehöre zum Anfangsstadium des Sozialismus. Mit dieser Einordnung der gegenwärtigen Etappe ist Freiraum geschaffen worden für viele Experimente, die von orthodoxen Marxisten möglicherweise als Anathema angesehen werden. Ideologisch dürfte es wenig Schwierigkeiten geben, in Zukunft Methoden zu versuchen, die andernorts als revisionistisch oder kapitalistisch bezeichnet werden.

IV. Wirtschaftsreform in der Landwirtschaft

Viele Anzeichen deuten darauf hin. daß es im Kreis der Wirtschaftsreformer keinen konsistenten Gesamtplan für die landwirtschaftliche Reform gegeben hat Vielmehr bestand der Reformprozeß aus einem komplexen, manchmal sogar widersprüchlich erscheinenden Hin und Her zwischen den oberen und unteren Ebenen der bürokratischen Struktur. Schließlich wurde das Kommunesystem, das während der Kulturrevolution seine höchste Ausprägung erfahren hatte, abgeschafft. Bestehen geblieben sind im wesentlichen nur ökonomische Funktionen für Teilbereiche des alten Kommunesystems.

Auf der dritten Plenartagung des XI. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas im Dezember 1978 wurde die Reform der Landwirtschaft offiziell ausgerufen. Schon vorher war in den Provinzen Sichuan und Anhui unter den energischen Provinzgouverneuren Zhao Ziyang und Wan Li mit Reformmodellen experimentiert worden, aber ein umfassender Reformplan der Führungsspitze lag nicht vor — zu weit gingen zu dieser Zeit die Vorstellungen der verschiedenen Führungsgruppen auseinander. Alles spricht dafür, daß zunächst nur auf Versuchsbasis vorgegangen wurde. Noch 1980 war in führenden chinesischen Presseorganen die Rede davon, daß nur ca. 10 Prozent der rückstän-digsten und ärmsten Dörfer die neuen Systeme anwenden sollten Die neuen Reformmodelle hatten schnell große Erfolge aufzuweisen, und bald wurde fast im ganzen Lande nach den jeweiligen regionalen Erfordernissen angepaßten Systemen der „Produktionsverantwortlichkeit“ gewirtschaftet. Schon immer hatten die Bauern auf ihren Privatparzellen hohe Erträge erzielt, die weit über das hinausgingen, was auf den staatlichen bzw. kommuneeigenen Feldern erwirtschaftet worden war. Im System der „Produktionsverantwortlichkeit“ wurde die individuelle Leistung bei Feldarbeit und Betriebsführung zum Motor und Maßstab des Wirtschaftens gemacht. Es handelt sich um ein Pachtsystem, das jedoch nicht mit solchen in anderen Ländern der Dritten Welt vergleichbar ist. sondern spezifische Züge chinesischer Prägung zeigt.

Die alten Dörfer, die meistens mit den Produktionsbrigaden identisch sind, stehen im Mittelpunkt der Reform. Einzelnen Bauemfamilien oder einer größeren Einheit, zum Beispiel einer Produktionsgruppe. bestehend aus zehn bis zwölf Bauemfamilien. wird nun Land für einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren zur eigenverantwortlichen Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt. Als Gegenleistung für die Landnutzung muß eine bestimmte Menge des Ernteertrages an die staatliche Agentur, meist vertreten durch die Produktionsbrigade, zu einem staatlicherseits bestimmten Fixpreis geliefertS. werden. Ein Teil der verbleibenden Emtemengen wird als sogenannte Überquoten-Menge zu einem ausgehandelten Preis an den Staat verkauft, während der Rest auf freien Bauernmärkten nach marktwirtschaftlichen Regeln zu Knappheitspreisen abgesetzt wird. Mittels dieses gestaffelten Systems stellt der Staat sicher, daß die Gesamtbevölkerung mit den wichtigsten landwirtschaftlichen Produkten, die nach wie vor zentral geplant werden, versorgt wird. Das neue System hat schnell zu einer größeren Arbeitsteilung geführt. Millionen sogenannter spezialisierter Haushalte (zhuanye hu) sind im Bereich des Handels und Transportwesens tätig, bieten andere Dienstleistungen an, beraten andere Haushalte usw. Schnell gelang es auch jenen Haushalten, die über gutes Land in der Nähe der großen Städte verfügen, mittels intensiver Bewirtschaftung ihre Einkommen überdurchschnittlich zu steigern. Allerdings sind die in den Jahren 1983 und 1984 propagandistisch herausgestellten sogenannten 10 000-Yuan-Haushalte dünn gesät; fest steht aber, daß nahezu alle Provinzen, unabhängig davon, ob es sich um Spitzen-oder Rückstandsge 000-Yuan-Haushalte dünn gesät; fest steht aber, daß nahezu alle Provinzen, unabhängig davon, ob es sich um Spitzen-oder Rückstandsgebiete handelt, Wachstumserfolge erzielen konnten.

Die Erfolge der Landwirtschaft sind zum einen auf die Beseitigung von Defekten der alten Wirtschaftsweise zurückzuführen. Die unmittelbare Verbindung von Arbeitseinsatz und Ertrag sowie die individuelle Detailplanung haben die Produktion angeregt. Weiterhin sind die gesamten Verwaltungskosten für die Bauern geringer geworden. Unter dem alten System war der Verwaltungsapparat ausgeufert, zu viele landwirtschaftliche Kader mußten von den „normalen“ Kommunemitgliedern mit unterhalten werden. Viele Kader sind entlassen worden oder müssen heute einen Teil ihres Unterhaltes selbst durch körperliche Arbeit erwirtschaften. Aus ihren Reihen kommt daher auch der — vielfach verdeckte — Protest gegen das neue System. Die Macht der höheren landwirtschaftlichen Kader ist jedoch keineswegs gebrochen. Noch immer werden nämlich wichtige landwirtschaftliche Produktionsmittel, wie zum Beispiel Kunstdünger und Treibstoff. zentral zugeteilt. Die sich aus dieser Situation ergebende Interessenkonstellation ist als „antagonistische Kooperation“ bezeichnet worden 9). Reiche Bauern stellen als Gegenleistung für die Versorgung mit Produktionsmitteln der Gemeinde Mittel für Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung, die von Kadern geplant und betrieben werden.

Als möglicher Problembereich der Reform kann sich auch die Tatsache erweisen, daß die Akkumulation, das heißt Investitionen für Infrastruktur-maßnahmen im weitesten Sinne, nach wie vor kollektiv verwaltet und durchgeführt wird. Der Vorrang des Eigennutzens vor dem Gemeinnützen könnte dazu führen, daß typische Gemeinschaftsaufgaben, wie zum Beispiel Damm-, Kanal-und Straßenbau, vernachlässigt werden. Es liegen Berichte über landwirtschaftliche Einheiten vor, in denen die Investitionsfonds nur unzureichend gespeist werden; die eigentlich dafür vorgesehenen Mittel werden an die einzelnen Haushalte verteilt. Die Auswirkungen unzureichender Kapitalinvestitionen im Infrastrukturbereich werden erst mit einer Verzögerung spürbar, so daß die Notwendigkeit dieser Aufwendungen nicht von allen eingesehen wird. Ökologische Schäden, die mancherorts durch das Abholzen der den Bauern zur Bewirtschaftung übergebenen Wälder entstehen, versucht die Führung dadurch zu minimieren, daß sie immer wieder darauf hinweist, daß die Reform langfristig angelegt und keine Rückkehr zur alten Wirtschaftsform zu befürchten sei.

V. Probleme der Industriewirtschaft

1. Reformbeschluß Die Notwendigkeit einer Reform der Industriewirtschaft ergab sich — neben den in diesem Sektor immanenten Problemen — auch daraus, daß viele Industriearbeiter die Erfolge in der Landwirtschaft mit Interesse verfolgten und Vergleiche anstellten. Verstärkt wurde der Druck dadurch, daß die gute Situation auf dem Lande ihren Niederschlag in steigender Kaufkraft und entsprechender Nachfrage in verschiedenen Sektoren der Industriewirtschaft (zum Beispiel Baumaterialien, landwirtschaftliche Produktionsmittel, elektronische Unterhaltungsgeräte) fand. Hinzu kam, daß die Verantwortlichkeitssysteme auf dem Lande die zuvor versteckte zur offenen Arbeitslosigkeit werden ließen 10). Es gebe, so der stellvertretende Ministerpräsident Yao Yilin, gegenwärtig in den ländlichen Gebieten 300 Mio. Arbeitskräfte, doch lasse sich die Landarbeit von nur 100 Mio. erledigen, so daß die restlichen 200 Mio.frei wären für die Arbeit in der Industrie, im Verkehrs-und Transportwesen sowie im städtischen Dienstleistungssektor.

Der am 20. Oktober 1984 einstimmig angenommene „Beschluß des Zentralkomitees der KPCh über die Reform des Wirtschaftssystems“ befaßt sich trotz seines Titels fast ausschließlich mit der Industriewirtschaft Die Sprache des Dokumentes sowie einige andere amtliche Verlautbarungen, die zum Verständnis der Industriereform mit herangezogen werden müssen, lassen darauf schließen, daß ein Kompromiß der unterschiedlich orientierten Fraktionen innerhalb der chinesischen Führung gefunden wurde. Nimmt man den Text wörtlich, so kann in der Tat von einem Abschied von der zen-tralen Planwirtschaft sowjetischer Prägung gesprochen werden. Eine genauere Analyse ergibt jedoch, daß die Richtung, in der sich die Industriewirtschaft zu bewegen hat. keineswegs eindeutig festgelegt ist. Das neue Wirtschaftsmodell wird „sozialistische geplante Warenwirtschaft“ genannt, doch können daraus noch keine konkreten Charakteristika abgeleitet werden. Mit dem Terminus „Warenwirtschaft“ wird das Wertgesetz als gültiges Steuerinstrument anerkannt. Aber offen bleibt, in welchem Umfange, auf welcher Ebene und nach welchem Typus in den einzelnen Bereichen geplant werden soll. 2. Dezentralisierung der Entscheidungsbefugnisse Die Unternehmen im urbanen Sektor stehen im Mittelpunkt der Reformbemühungen. Insbesondere die großen und mittelgroßen Betriebe im Volkseigentum seien der Schlüssel zur Umstrukturierung der Volkswirtschaft. Keine staatliche Institution könne die komplizierten Verflechtungen zwischen den Betrieben vollständig übersehen und sich rechtzeitig um alles kümmern. Unter der Bedingung. daß sie den staatlichen Plänen folgen und sich der staatlichen Kontrolle unterwerfen, erhielten die Betriebe die Befugnisse, flexible Betriebsformen zu wählen; Produktion. Versorgung und Vermarktung selbst zu planen; über die ihnen zustehenden Fonds selbst zu verfügen; nach den geltenden Bestimmungen ihre Mitarbeiter einzustellen oder zu entlassen; über die Einstellung und den Einsatz der Arbeitskräfte. über Löhne und Vergütungen selbst zu entscheiden; im Rahmen der staatlichen Vorschriften die Preise für ihre Produkte festzulegen usw. Die Unternehmen sollen also zu relativ unabhängigen Wirtschaftseinheiten werden, die eigenverantwortlich und als juristische Personen mit gewissen Rechten und Pflichten agieren.

Der Problembereich „Zentralisierung versus Dezentralisierung“ ist in einer Planwirtschaft im Prinzip auf die sogenannten laufenden Entscheidungen, also beispielsweise Volumen und detaillierte Struktur der Gesamtproduktion eines Industriesektors oder eines Unternehmens, Versorgungs-und Absatzpolitik. Form und Methoden der Entlohnung, beschränkt. Da Entscheidungen nun von der zentralen Ebene auf die der Unternehmen verlagert werden, haben wir es mit Dezentralisierung zu tun. Erfolg kann eine solche Umstrukturierung jedoch nur dann haben, wenn auch die Rahmenbedingungen für die Unternehmen umgestaltet werden. Eine wichtige Rahmenbedingung in diesem Sinne ist das System der Planung. 3. Planungssystem Die volkswirtschaftliche Planung werde, so das Reformdokument, noch eine beträchtliche Zeitspanne nur annähernd genau und flexibel sein Über wichtige Bereiche der Volkswirtschaft könne mittels der Regulierung durch ökonomische Methoden eine wirksame Kontrolle ausgeübt, für weniger wichtige Bereiche jedoch Flexibilität zugelassen werden. Das bedeutet nicht notwendigerweise die Vorherrschaft der Befehlsplanung. Auch die Indikativplanung ist eine spezifische Form der Planwirtschaft, die nach und nach einen größeren Raum gegenüber der Befehlsplanung einnehmen soll. Die Befehlsplanung soll auf wichtige Produkte angewendet werden, die eine strategische Bedeutung für die Volkswirtschaft und den Lebensstandard der Menschen haben und die deshalb durch den Staat zugeteilt oder verteilt werden müssen. In diesem Sinne werden in der Industrie zentral weiterhin geplant: Kohle, Erdöl, Walzstahl, NE-Metalle, Bauholz. Zement, Elektrizität, industrielle Basis-Chemikalien, Kunstdünger, wichtige Maschinen und elektrische Ausrüstungen, Chemiefasern, Zeitungspapier und Rüstungsgüter.

Nach dem Prinzip der separaten Verwaltung können Ministerien. Provinzen, Autonome Regionen und Städte ihre eigenen Befehlspläne für einige wichtige Industrieprodukte, die nicht in den staatlichen Plänen enthalten sind, in ihren Bereichen aufstellen. Die lokalen Verwaltungseinheiten sollten die Verantwortung für die Schaffung der Voraussetzungen zur Produktion dieser Güter übernehmen. Große Betriebe, die die staatlichen Pläne auszuführen haben, müssen sich an die Planquoten halten und sollten diese nicht anheben, falls die Produktionsaufgaben an andere Betriebe vergeben werden. Die Indikativ-oder Leitplanung gilt für einen mittleren Bereich wichtiger Güter; sie bedient sich vorwiegend der sogenannten ökonomischen Hebel. Mittels spezifischer Zinssätze für Kredite, Steuern und Anreizmechanismen soll erreicht werden, daß auf den Märkten ein Ausgleich stattfindet. Die hier zur Verfügung stehenden Instrumente haben sich bislang als unscharf erwiesen, denn die Voraussetzungen für ihr Funktionieren lagen noch nicht vor. Nur wenn ein Bewußtsein für Wirtschaftlichkeit und ein Denken in Kostenkategorien existieren, wird es möglich sein, daß makroökonomische Daten als Signale aufgenommen und nach unten weitergegeben werden.

Ein dritter Bereich der Volkswirtschaft wird bereits durch marktwirtschaftliche Methoden gesteuert. Es handelt sich vorwiegend um den Dienstleistungssektor und den Kleinhandel. Hier steuern Angebot und Nachfrage die Preise, und die früher völlig unzureichend angebotenen Dienstleistungen haben sich zum Nutzen der Konsumenten erheblich verbessert. Zwar werden die privaten Restaurants und Handwerksbetriebe von ihren staatlichen Konkurrenten argwöhnisch betrachtet, doch haben sie sich trotz administrativer Auflagen schnell ausdehnen können. Offiziell können bis zu acht Angestellte in den Privatbetrieben beschäftigt werden, doch sind bereits höhere Angestelltenzahlen bekannt geworden.

Staatliche Verwaltungsbehörden haben teilweise eine beträchtliche Flexibilität hinsichtlich der ihnen unterstellten Betriebe entwickelt. Immer mehr nimmt das „Leasing“ staatlicher Unternehmen an Private zu. Angesichts eines spektakulären Falles entstand in diesem Zusammenhang eine heftige Diskussion in den Medien, die in der Frage gipfelte, ob „Leasing“ noch sozialistisch sei Guan Guangmei, die Leiterin einer Produktionsgruppe mit 340 Arbeitskräften, kontrolliert heute acht Betriebe in der Lebensmittelbranche mit Hilfe einer Holding-Gesellschaft und beschäftigt insgesamt über 1 000 Arbeiterund Angestellte. Die von Guan geführten Betriebe konnten aufgrund des straffen Managements ihre Umsätze schnell erhöhen, sie selbst verdiente in zwei Jahren mehr als 44 000 Yuan. Die Befürworter dieses Reformexperimentes sind in der Überzahl. Sie argumentierten beispielsweise, daß die Bildung von Handelskonsortien, einschließlich jener auf der Grundlage des Leasing, ein unverzichtbares Element im Rahmen der laufenden Handelsreformen in der Volksrepublik sei.

Frau Guans Unternehmen habe insofern eine Rolle gespielt, als gemeinsame Einkäufe und getrennte Verkäufe innerhalb der Unternehmen möglich seien, was zu gegenseitigen Anpassungen der Güter, zur zentralisierten Lagerung, zum zentralisierten Transport und anderen Einrichtungen geführt habe. Solche Konsortien wiesen überlegene Charakteristika in bezug auf die Verbesserung wirtschaftlicher Resultate auf. förderten den Umlauf von Kapitalien unter den Mitgliedsfirmen und erhöhten die Kapazität. Risiken zu tragen. Das Leasing-System in diesem Konsortium stelle kein kapitalistisches Handelsmonopol dar, sondern stimuliere im Gegenteil die Entwicklung der Produktiv-kräfte.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen bleibt die Aufteilung der verschiedenen Planungsbereiche und die Vermittlung zwischen ihnen eine schwierige Aufgabe. Chen Yun.der Nestor der konservativen Wirtschaftspolitiker, faßte den Sachverhalt in ein oft zitiertes Bild: „Die Belebung der Wirtschaft soll im Rahmen des Staatsplanes vorgenommen werden. Das Verhältnis zwischen diesen beiden ist wie das eines Vogels im Käfig. Dem Vogel sollte es erlaubt werden zu fliegen, doch nur innerhalb des Käfigs. Andernfalls fliegt der Vogel davon.“ Dahinter steckt die Befürchtung, eine zu schnelle Auflösung des Planungssystems werde zum Chaos führen, weil die grundlegende Einheitlichkeit der Lebensbedingungen in China sehr schnell verloren ginge. Wirtschaftlich starke Gebiete könnten noch stärker werden, und die sich aus den Disparitäten ergebenden Unruhen könnten das politische System gefährden. 4. Preissystem Dreh-und Angelpunkt der Reform eines zentral-geplanten Wirtschaftssystems ist die Reform des Preissystems. Auch das Reformdokument vom 20. Oktober 1984 und nachfolgende Dokumente enthalten Aussagen bzw. Vorschriften über die Preisreform. Die Preise sollten die Warenwerte reflektieren sowie gleichermaßen den Angebots-und NachfrageVerhältnissen entsprechen. Es gebe, so die Reformer, aber in diesem Bereich teilweise irrationale Verhältnisse. Qualitätsunterschiede bei gleichartigen Waren und die Relationen zwischen unterschiedlichen Warenkategorien seien bislang nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt worden. Besonders gravierend seien die Verhältnisse im Bereich der mineralischen Rohstoffe, deren Preise vergleichsweise immer noch zu niedrig seien, und bei Agrar-und Nebenerwerbsprodukten, wo es Differenzen zwischen den (hohen) staatlichen Ankauf-und den (niedrigen) Abgabepreisen gebe, was zu Spekulationsgeschäften anrege.

Hinsichtlich des Preissystems stößt man auf ein besonderes Dilemma der Wirtschaftsreform. Müßte man den Zustand des chinesischen Binnenmarktes kurz charakterisieren, so würde man von einem Verkäufermarkt sprechen. Das heißt, die Nachfrage ist in vielen Sektoren größer als das Angebot; infolgedessen können die Anbieter weitgehend die Bedingungen des Marktes selbst festsetzen. Es ist nun extrem schwierig, in einer solchen Situation eine Preisreform durchzuführen. Wollte man beispielsweise eine Preisbildung zulassen, die auf relativen Knappheitsverhältnissen beruht, so könnte dies nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung im freien Spiel der Kräfte geschehen. In der Situation eines Verkäufermarktes würden sich dann aber monopol-oder oligopolartige Gewinne realisieren lassen. Nur in der Situation eines Käufermarktes, in dem das Angebot die Nachfrage übersteigt, könnten weitgehend „rationale“ Preisrelationen hergestellt werden. Das Dilemma kann also wie folgt formuliert werden: Eine wirkliche Preisreform kann nur in der Situation eines Käufermarktes durchgeführt werden. Es liegt aber ein Verkäufermarkt vor; die Preisreform in der Situation eines Verkäufer-marktes führt jedoch zu unerwünschten Ergebnissen. Das Land kann aber nicht darauf warten, daß ein Käufermarkt hergestellt wird, sondern muß aus der gegebenen Situation heraus handeln. 5. Investitionen Im neuralgischen Bereich der Investitionspolitik kam es im Gefolge der Wirtschaftsreform nach 1976 zu Fehlentwicklungen und Unzulänglichkeiten. So sah sich die Führung genötigt, harte Kritik zu üben. Im Kommunique über die Ausführung des Planes für die volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung für 1982 heißt es beispielsweise: „Die Investitionen in den Investbau wurden nicht konzentriert verwendet. Die Kontrolle über die nicht vom Staatsbudget gedeckten Geldmittel war unzureichend, und die Mittel für den Bau einer Anzahl von Schwerpunktabteilungen konnten nicht garantiert werden . . . Der Umfang des Investbaus war zu groß, und die Investitionen waren übertrieben. In einigen Fällen waren die Projekte nicht von dem staatlichen Budget abgedeckt, was auf Kosten der im Budget eingeschlossenen Projekte ging.“

Die auch in der Folgezeit immer wieder zu konstatierende Überdehnung der Investitionen kann auf eine Dezentralisierungsmaßnahme zurückgeführt werden. Die mittlere administrative Entscheidungsebene (Sektor-bzw. Provinzebene) hatte das Recht erhalten, selbst über Investitionsprojekte zu entscheiden. Die Folge davon war. daß Investitionsprojekte geplant und realisiert wurden, die gesamtwirtschaftlich gesehen nicht mehr rentabel waren. Chinesische Kritiker sprechen von „Duplikat" -oder „blinden“ Investitionen. Damit ist gemeint, daß unabhängig von der Gesamtstruktur Projekte errichtet wurden, die sich vielfach als überflüssig erwiesen und nur aufgrund des Provinzegoismus zustande kamen. Der Materialfluß geriet teilweise ins Stocken, weil bereits bestehende große und moderne Anlagen nicht mehr mit Rohstoffen beliefert werden konnten. Die vorhandenen Finanzmittel wurden teilweise „zweckentfremdet“, so daß einige der staatlichen Schwerpunktprojekte im Bereich des Transport-und Energiewesens notleidend wurden. Eine Neuerung im Zuge der Wirtschaftsreform bestand darin, die Gewinnabführungen der Betriebe zugunsten von Steuerzahlungen abzuschaffen. Vor der Reform war es allgemeine Praxis, daß die Betriebe alle erzielten Gewinne an den Staat abführen mußten und dann Zuweisungen für die Investitionsfonds und andere Fonds erhielten. Effizient arbeitende Betriebe konnten in diesem System keine Vergünstigungen erzielen; umgekehrt trugen Betriebe, die Verlust machten, auch keine Verantwortung dafür. Letzteres war jedoch in manchen Fällen deswegen gerechtfertigt, weil auch effizient arbeitende Betriebe beispielsweise aufgrund der irrationalen Preisstruktur in der Verlustzone blieben. Die neue Regelung sieht die Einführung von Steuer-zahlungen vor. Der nach Steuern einbehaltene Gewinn kann nach den Wünschen der Betriebsleitungen für Investitionen der verschiedensten Art verwendetwerden. Von 1985 an können Investbauprojekte auch durch Kredite finanziert werden.

VI. Die außenwirtschaftliche Öffnung der VR China

Bis zum Ende der Kulturrevolution fiel der Außenwirtschaft der VR China die Rolle zu. Überschüsse, vor allem aber Defizite der Binnenwirtschaft auszugleichen. Waren zum Beispiel Fehlmengen an Getreide zu beschaffen, so wurde eigens dafür ein Exportprogramm aufgelegt, um die nötigen Devisen zum Einkauf von Getreide im Ausland zu erwirtschaften. Bei solchen Programmen konnten oft keine äquivalenten Tauschbeziehungen realisiert werden, das heißt, die in Frage kommenden Exportgüter wurden dann zu Preisen angeboten, die unter denen des Weltmarkts lagen.

Im Rahmen der Wirtschaftsreform wurde immer wieder die Öffnung zum Ausland hin betont; China wolle am Weltmarkt teilnehmen und mit allen Völkern einen Austausch von Gütern und Dienstleistungen zum gemeinsamen Nutzen betreiben. Angesichts der neuen Modemisierungserfordernisse wurde die außenwirtschaftliche Doktrin verändert. Sie beinhaltet heute zwar weiterhin die Ausgleichsfunktion — vor allem Engpässe sollen mittels Importen beseitigt werden —, hinzu kam aber das, was die Chinesen selbst „Hebelfunktion“ der Außenwirtschaft nennen. Der Außenwirtschaft fällt nun die Rolle zu, die Modernisierung der chinesischen Binnenwirtschaft voranzutreiben, den gesamten Produktionsapparat sozusagen auf eine höhere technologische Ebene zu hebeln.

Die Hebelfunktion ist eindeutig in den Vordergrund getreten. Die Importe moderner Maschinen, Ausrüstungen und Verfahren sollen unmittelbar zu einer Modernisierung und Rationalisierung der chinesischen Produktion beitragen. Aber auch aus den Exporten sollen positive Wirkungen für die gesamte Wirtschaft erzielt werden. Die von der Volksrepublik auf dem Weltmarkt angebotenen Güter müssen, sollen sie abgesetzt werden, bestimmten Qualitätsanforderungen entsprechen. Dies wiederum erfordert moderne Produktionsverfahren. Die auf diese Weise von außen kommenden Anforderungen können an die Binnenwirtschaft weitergegeben werden, so daß sich auch hier das Niveau erhöht.

Die Öffnungspolitik ging einher mit einer Veränderung der regionalen Wirtschaftspolitik. Schließlich mußten die Gebiete, in denen Exportgüter hergestellt wurden, schneller entwickelt werden als andere. Der Wandel begann mit dem sechsten Fünfjahresplan (1981 — 1985). Noch Mao hatte eine ausgeglichene Entwicklung aller Gebiete verfolgt; zu diesem Zweck waren neue Industriebetriebe über das ganze Land verteilt worden ohne Rücksicht auf infrastrukturelle Gegebenheiten und Kosten-Nutzen-Erwägungen. Die neue Führungsschicht brach mit dieser Politik und formulierte eine Strategie des ungleichgewichtigen Wachstums. Der sechste Fünfjahresplan sah vor, daß die Küstenprovinzen aufgrund ihrer guten infrastruktureilen Ausstattung schneller wachsen sollten als die Inlandsprovinzen, denen die Rolle zufiel. Rohstoffe und Energie für die Küstengebiete zu liefern. Dahinter stand der Gedanke, daß die Investitionen in den Küstengebieten größere Erträge erbringen würden als anderswo. Die Modernisierungserfolge der Küstengebiete sollen in einem späteren Stadium an die Hinterlandgebiete weitergegeben werden. Seit etwa 1980 wurde in den Südprovinzen Fujian und Guangdong mit dem Ausbau von vier Sonderwirtschaftszonen begonnen. Im Norden von Hongkong liegt die größte dieser Zonen, nämlich Shenzhen. Nördlich an Macau schließt sich Zhuhai an. Die beiden übrigen Zonen sind Shantou und Xiamen. In diesen Zonen, die gegenüber dem übrigen chinesischen Territorium relativ dicht mittels grenzartiger Anlagen abgeschottet sind, werden den ausländischen Unternehmen Vorzugsbedingungen für Investitionen und andere Formen der Wirtschaftskooperation geboten.

Die Gründung der Sonderwirtschaftszonen mußte ideologisch begründet werden; viele ältere Chinesen erinnerten sich noch recht gut an die Konzessionsgebiete, die den Ausländern im 19, Jahrhundert überlassen werden mußten und die von den Kommunisten als Instrumente der Ausbeutung verdammt worden waren. Sollten in den Zonen überhaupt Erfolge erzielt werden, war klar, daß den Ausländern Anreize geboten werden mußten, die mindestens so günstig wie an alternativen Standorten in anderen Gebieten Südost-und Ostasiens waren.

Die von Xu Dixin. ideologisch zuständig für die Sonderwirtschaftszonen, gegebene Begründung ließ denn auch an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Die allein mit ausländischem Kapital betriebenen Unternehmen betreiben Ausbeutung. Die von ausländischen Geschäftsleuten durch Gemeinschaftsunternehmen erzielten Gewinne beinhalten auch Ausbeutung. Die Ausbeutung der Mehrwert-rate in den Wirtschaftssonderzonen ist eine objektive Tatsache, die im Widerspruch zu unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung steht. Aber die Abschöpfung des Mehrwertes zu erlauben, ist auch eine Art unserer Entschädigungspolitik.“ Entschädigungspolitik ist ein Terminus für Gewinne, die den ausländischen Unternehmen für ihre Investitionen oder Kooperationsleistungen zugestanden werden.

Die Chinesen verfolgen in den Sonderwirtschaftszonen im wesentlichen drei Ziele: Zum einen sollen sie dem Devisenerwerb dienen; zu diesem Zweck sollen mindestens drei Viertel der Produktion exportiert werden. Zum anderen soll moderne Technologie über diese Zonen ins Land kommen. Das dritte Ziel ist mit dem zweiten eng verbunden: Chinesische Arbeiter und Wirtschaftskader sollen mit modernen Produktions-und Verwaltungsverfahren vertraut gemacht werden. Diese Ziele standen und stehen in einem gewissen Widerspruch zu den allgemeinen Interessen der potentiellen ausländischen Investoren bzw. Kooperationspartner.

Bislang beträgt die Exportquote in den Sonderwirtschaftszonen nur ca. 30 Prozent. Nur in der Industriezone Shekou, die ein Sondergebiet innerhalb von Shenzhen darstellt, erreichte die Exportquote ca. zwei Drittel der gesamten industriellen Produktion. In den ersten Jahren standen vor allem Investitionen in den Bereichen Immobilien. Handel sowie Dienstleistungen im Vordergrund. Der überwiegende Anteil der Investitionen kam aus Hongkong, das vor allem die angelagerte Sonderwirtschaftszone Shenzhen als Erweiterungsgebiet für eigene Produktions-und andere Geschäftstätigkeiten betrachtet.

Die im Bereich der Produktion übertragene Technologie ist eher als mittlere oder einfache Technologie zu charakterisieren. Ein Grund dafür ist sicherlich darin zu suchen, daß die ausländischen Investoren angesichts der erklärten Exportorientierung der Zonen nicht ihre modernste Technologie transferierten, um sich nicht selbst auf den südostund ostasiatischen Märkten Konkurrenz zu machen. Um die Ausbildung möglichst vieler Arbeiter und Manager zu gewährleisten, hatte die chinesische Seite ein Rotationsverfahren eingeführt, nach dem das Personal nach erfolgter Einarbeitung wieder abgezogen und durch neues ersetzt wurde. Die ausländischen Wirtschaftspartner wehrten sich jedoch dagegen; inzwischen hat man sich auf mittlere Arbeitszyklen geeinigt.

Neben der Interessenkollision zwischen den chinesischen Stellen und den ausländischen Partnern gab es auch Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen chinesischen Ebenen. Hinsichtlich der beträchtlichen staatlichen Zuschüsse insbesondere für Shenzhen, die vor allem zum Ausbau der Infrastruktur benötigt wurden, hatte der stellvertretende Ministerpräsident Yao Yilin die sogenannte Bluttransfusions-Theorie aufgestellt. Danach sei Shenzhen eine beträchtliche Zeit von Bluttransfusionen — also Investitionsmitteln — der Zentrale abhängig. Dem wurde aus Führungskreisen der Sonderwirtschaftszone bzw.der Provinz Guangdong widersprochen, allerdings mit Zahlen, die von denen abwichen, die die Zentrale genannt hatte. Angesichts dieser Auseinandersetzung wird der interne Interessenkonflikt deutlich. Die Provinzen Guangdong und Fujian, in denen die Zonen liegen, betrachten das Unternehmen insgesamt als vorteilhaft, weil es neben den Deviseneinnahmen und der Ankurbelung der Wirtschaftstätigkeit auch die Möglichkeit eröffnet. Arbeitskräfte auszubilden und einzustellen. Die zentralen Behörden haben jedoch den gesamtwirtschaftlichen Kalkül im Auge und schätzen die Ergebnisse deshalb anders ein.

Den Sonderwirtschaftszonen erwuchs eine neue Konkurrenz, als mit dem Plan Ernst gemacht wurde (Beschlußfassung am 6. April 1984). auch 14 Küstenstädte in besonderer Weise für das Ausland zu öffnen. Bereits Sun Yatsen hatte sich in den zwanziger Jahren in seinem Entwicklungsprogramm für China mit dem Ausbau von leistungsfähigen Häfen befaßt. Das Ziel war damals gewesen, die Verflechtung mit dem Ausland, die als notwendig für die Modernisierung Chinas angesehen wurde, zu erleichtern. ja gerade die infrastruktureilen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Gu Mu, der für die Außenwirtschaft zuständige Staatskommissar, erklärte, ausländisches Kapital solle in den Städten zur technischen Umgestaltung bestehender und zum Bau neuer Fabriken verwendet werden Während in den Sonderwirtschaftszonen, so Gu Mu weiter, die ausländischen Investoren praktisch in allen Bereichen tätig werden könnten, sollen in den Entwicklungszonen der Küsten-städte hauptsächlich produktive Betriebe und Forschungsinstitute errichtet sowie neue Technologien. neue Produkte und neue Industriezweige entwickelt werden. Tianjin und Shanghai erhielten das Recht, über Investitionsprojekte im produktiven Bereich bis zu einer Höhe von 30 Mio. US-Dollar selbst zu entscheiden, die entsprechende Marge für Dalian und Guangzhou beträgt 10 Mio. US-Dollar und für alle anderen Städte 5 Mio. US-Dollar.

Etwa Mitte 1985 stellte sich aber heraus, daß die Entwicklungsmöglichkeiten der 14 Städte überschätzt worden waren. Deshalb wurde der Beschluß gefaßt, den vier Städten Tianjin, Shanghai, Dalian und Guangzhou Priorität einzuräumen, da dort gute infrastrukturelle Voraussetzungen für ausländische Investitionen bestünden. In den anderen Städten mangele es an diesen Voraussetzungen, so daß das Investitionstempo gedrosselt werden sollte. Ausdrücklich hieß es aber, bei der Tempodrosselung handele es sich nur um ein „zeitweiliges Problem“. Hinsichtlich der Küstenstädte stießen die außenwirtschaftlichen Planer bald an jene Grenzen, die sich schnell auch in den Sonderwirtschaftszonen als hemmend bemerkbar gemacht hatten: die fehlende Infrastruktur. Es mangelte vor allem an Elektrizität. Wasser, Verkehrsverbindungen und Telekommunikationseinrichtungen. Zunächst muß also der Staat, das heißt vor allem die zentralen Behörden in Beijing, beträchtliche Mittel für den Ausbau der Infrastruktur bereitstellen.

Um die neuen Ziele der Außenwirtschaftspolitik erreichen zu können, mußten neue Formen der Wirtschaftskooperation zugelassen bzw. entwickelt werden. Nur mit dem traditionellen Außenhandel hätten die bislang erreichten Erfolge nicht realisiert werden können. Genutzt werden heute alle in der Weltwirtschaft üblichen Kooperationsformen, also beispielsweise Joint-equity-ventures, Contractual Joint-ventures. Gemeinschaftsproduktion, Kompensationshandel. Weiterverarbeitungsgeschäfte, Tausch-oder Bartergeschäfte.

Die Joint-equity-ventures werden von den Chinesen bevorzugt; in diesem Bereich gingen sie auch weiter als fast alle anderen Ostblockstaaten. Grundlage für diese Kooperationsform bildet das „Gesetz über Gemeinschaftsunternehmen“ vom 1. Juli 1979. Dieses Rahmengesetz enthält recht vage Bestimmungen über die Kapitalanteile der Partner (der ausländische Anteil soll nicht weniger als 25 Prozent des Gesamtkapitals betragen), über die zu transferierende Technologie, über die Leitungsgremien der neuen Unternehmen usw. Eine Reihe von später hinzukommenden Ausführungsbestimmungen konkretisierte die zunächst festgelegten Grundsätze, wobei zu erkennen ist, daß die Bedingungen für die ausländischen Partner immer günstiger ausgestaltet wurden. Typisch für ein Jointequity-venture ist, daß die chinesische Seite den Grund und Boden für den neuen Betrieb, die Gebäude und die Arbeitskräfte zur Verfügung stellt. Der ausländische Partner bringt Kapital in Form von Maschinen, Ausrüstungen sowie technisches und wirtschaftliches Wissen ein. Gewöhnlich wird langwierig über die Bewertung der Kapitalanteile verhandelt. Der Vorstandsvorsitzende des neuen Unternehmens ist in aller Regel ein Chinese, während der Geschäftsführer vom ausländischen Partner gestellt wird. Diese Regelung hat sich bewährt, weil der Vorstandsvorsitzende das neue Unternehmen in der Volksrepublik zu vertreten hat, der Geschäftsführer aber das notwendige technische und kaufmännische Know-how mitbringen muß. Die ersten Joint-equityventures hatten mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die sich unter anderem daraus ergaben, daß Ausländer Eigentum auf chinesischem Boden erwarben. Mittlerweile sind aber aufgrund der pragmatischen Ausführungsbestimmungen die meisten Hemmfaktoren beseitigt worden.

Bis Ende 1985 betrug der in den über 2 000 Jointequity-ventures investierte ausländische Anteil insgesamt 1, 5 Mrd. US-Dollar. Die meisten ausländischen Joint-venture-Partner kamen zunächst aus Hongkong, den USA sowie den südostasiatischen Staaten. Japanische Unternehmen hielten sich anfangs zurück; bis Ende 1983 waren sie nur an 12 Joint-ventures beteiligt. 1984 änderte sich jedoch die japanische Einstellung; in diesem Jahr wurden 47 solcher Unternehmen gegründet, die Zahlen für das Jahr 1985 sind ähnlich. Die Gründe dafür sind einmal darin zu sehen, daß Joint-ventures nun ihre Produkte auch in stärkerem Umfange auf dem chinesischen Binnenmarkt absetzen können. Ursprünglich war die Exportorientierung vorgeschrieben, nur in ganz bestimmten, durch Engpässe bestimmten Fällen konnte ins Inland geliefert werden. Auch bei der anzuwendenden Technologie haben die Chinesen Konzessionen gemacht; heute ist auch mittlere Technologie zugelassen. Damit entfällt weitgehend die Befürchtung vieler Investoren. die chinesischen Joint-ventures würden ihnen auf Drittmärkten Konkurrenz machen. Die mittels Joint-ventures realisierten ausländischen Investitionen erschienen den Wirtschaftsplanern zu gering. Deswegen gingen sie einen Schritt weiter und ließen auch hundertprozentige Direktinvestitionen zu. Zu diesem Zweck wurde am 12. April 1986 ein „Gesetz der Volksrepublik China über Unternehmen, die ausschließlich mit ausländischem Kapital betrieben werden“ erlassen. Ende 1986 gab es 120 Unternehmen im alleinigen Eigentum von Ausländern in China, das investierte Kapital belief sich auf ca. 500 Mio. US-Dollar. Der traditionelle Außenhandel stieg seit 1978 schnell an; bemerkenswert sind die relativ großen Überschüsse bzw. Defizite seit 1982. Letztere spiegeln wirtschaftspolitische Entscheidungen im Verlauf der Wirtschaftsreform wider. In den Jahren 1980 und 1981 war es zu einer Überdehnung des Investitionsbereiches gekommen; bereits ins Ausland vergebene Aufträge wurden storniert. Dies führte zu dem relativ großen Überschuß des Jahres 1982. Seit dem 1. Januar 1985 werden den Außenhandelsgesellschaften nicht mehr die beim Außenhandel entstehenden Verluste durch den Staat ersetzt. Die Folge davon war, daß sich viele dieser Gesellschaften auf dem durch eine hohe Nachfrage gekennzeichneten Binnenmarkt betätigten und ihre eigentlichen Aufgaben vernachlässigten. Durch striktere Kontrollen gelang es den zuständigen Behörden. ein weiteres großes Defizit im Jahre 1986 zu vermeiden.

Von 1986 bis 1990 soll sich der Außenhandelsumsatz um 40— 50 Prozent erhöhen. Hinsichtlich der Exporte soll eine Umstellung von Primärprodukten (Rohstoffen) hin zu Fertigprodukten und von den roh verarbeiteten hin zu den fein verarbeiteten Produkten vorgenommen werden. Als Maßnahmen zur Förderung der Exporte sind vor allem die Erhöhung der Qualität und Prämien für die Außenhandelsgesellschaften als Anreize vorgesehen. Ferner sollen weitere Produktionsbasen für Exportartikel aufgebaut werden. Schon seit Beginn der siebziger Jahre arbeiten verschiedene Produktionsbasen in der Provinz Guangdong ausschließlich für den Export.

Die Struktur der Importgüter soll in der Weise verändert werden, daß vorwiegend Software, fortgeschrittene Technologien und Schlüsselausrüstungen eingeführt werden. Konsumgüter und einfache Produktionsmittel sollen nur dann eingeführt werden, wenn Engpässe auftreten. Dies bedeutet also Importsubstitution zumindest für die sogenannte Montageproduktion. Zur Kontrolle der Technologieimporte wurde ein nationales Programm ausgearbeitet. das auch eine Lizenzpolitik vorsieht. Auf diese Weise sollen die sogenannten Doppelimporte vermieden und eine stärkere Bindung der Technologieimporte an die chinesische Forschung und Entwicklung erreicht werden.

Seit längerem werden die Organisationen der in der Volksrepublik tätigen ausländischen Geschäftsleute immer wieder bei den Chinesen vorstellig, um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu fordern. Neben den hohen Kosten für praktisch alle Dienstleistungen, die die Ausländer in Anspruch nehmen müssen, wird die Langatmigkeit und In-kompetenz der chinesischen Bürokratie bemängelt. Der Staatsrat reagierte darauf und erließ am 11. Oktober 1986 „Bestimmungen zur Ermutigung ausländischer Investitionen“. Ausdrücklich wurde der Zweck der Vorschriften genannt; sie seien erlassen worden, um das Investitionsklima zu verbessern, die Absorption ausländischer Investitionen zu erleichtern, fortgeschrittene Technologie einzuführen. die Produktqualität zu verbessern und die Exporte auszuweiten, um Devisen zu erwirtschaften und die Volkswirtschaft zu entwickeln.

Chinas außenwirtschaftliche Verflechtung ist bislang vergleichsweise gering; es handelt sich, wie etwa bei den USA. um einen großen Binnenmarkt, der aus sich heraus eine beträchtliche Dynamik entwickeln kann. 1990 wird die Außenwirtschaftsquote der Volksrepublik ca. 7. 5 Prozent betragen, unter der Voraussetzung, daß die Planvorgaben eingehalten werden. Auch im Jahre 2000 wird diese Quote nach den Projektionen der Chinesen selbst nicht wesentlich überschritten werden. Nach den bislang genannten Wachstumsraten wird der Außenhandelsumsatz im Jahre 2000 bei ca. 165 Mrd. US-Dollar liegen. Damit würde er weit unter dem entsprechenden Umsatz der Republik Korea (Südkorea) zu diesem Zeitpunkt liegen.

Mit dem Beginn der Wirtschaftsreform — seit etwa 1979 — ging die Volksrepublik auch auf die internationalen Finanzmärkte, und zwar sowohl in den Bereich der internationalen Finanzinstitutionen als auch auf die kommerziellen Finanzmärkte. Im Zeitraum von 1979 bis 1985 wurden ca. 20 Mrd. US-Dollar aufgenommen, für den siebten Fünfjahresplan (1986— 1990) ist ein Kapitalbedarf bis zu 30 Mrd. US-Dollar eingeplant. Die Schuldendienstrate (Zinsen und Rückzahlungen im Verhältnis zu den Exporterlösen) betrug gegen Ende 1986 ca. 8 Prozent. Die Volksrepublik befindet sich im Vergleich zu vielen Entwicklungsländern, die hoch-verschuldet sind, in einer komfortablen Situation. Nach einer dem Internationalen Währungsfonds gegenüber abgegebenen Erklärung wollen die Chinesen die Schuldendienstrate nicht über 15 Prozent ansteigen lassen.

Die vorsichtige Politik im Außenwirtschaftsbereich kann auf zwei Gründe zurückgeführt werden. Zum einen wirkt sicherlich die Furcht der Chinesen weiter. in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zum Ausland insgesamt oder zu einzelnen Ländern im besonderen zu geraten. Der andere Grund ist in der begrenzten Absorptionskapazität des Landes zu sehen.

Die Ausbildungslücke, die während der Kulturrevolution entstanden ist, sowie die damit einhergehenden fehlenden internationalen Erfahrungen machen sich heute schmerzlich bemerkbar. Die Probleme sind erkannt worden; gewaltige Anstrengungen werden gegenwärtig unternommen, um im In-und Ausland das fehlende Wissen wieder zu erwerben. Ausbildungsprogramme benötigen jedoch Zeit, und erst allmählich rücken nach modernen westlichen Methoden ausgebildete Techniker und Manager in breiterem Umfang in die entsprechenden Positionen vor. Sie werden es in ihren Arbeitsbereichen nicht leicht haben, denn für neu in den Weltmarkt eintretende Länder wird die Situation angesichts scharfer Konkurrenz und einer gewissen Bedarfssättigung viel schwieriger als noch vor zehn bis fünfzehn Jahren.

VII. Abschließende Bemerkungen

Wie die Einordnung der gegenwärtigen Etappe als „Anfangsstadium des Sozialismus“ zeigt, sind in der Volksrepublik Nüchternheit und Besonnenheit hinsichtlich der Ziele und Möglichkeiten wirtschaftlicher Entwicklung eingekehrt. Wohl endgültig Abschied genommen hat man von voluntaristisch geprägten Vorstellungen. Modernisierung und Entwicklung könnten, unter Umgehung von Zwischenstufen, sprunghaft erreicht werden. Die wirtschaft-• liehen Ergebnisse sowohl des „Großen Sprungs“ als auch der „Kulturrevolution“ haben solche Experimente diskreditiert.

Der Pfad der jetzt eingeschlagenen Wirtschaftsreform ist dornig und, wie die chinesischen Wirtschaftspolitiker erfahren mußten, von Rückschlägen bedroht. Zu komplex sind bereits die Verflechtungen in der Volkswirtschaft, deren Zustand von den führenden Politikern als rückständig bezeichnet wird. Es gilt, unter Beibehaltung grundlegender sozialistischer Elemente ein funktionsfähiges Mischsystem zu schaffen. Dafür gibt es kein einfaches und konsistentes Modell, vieles muß erst erprobt werden, bevor es einen dauerhaften Platz im Wirtschaftssystem findet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Renmin Ribao (Volkszeitung) vom 4. November 1987.

  2. Vgl. Beijing Rundschau vom 10. Oktober 1987, S. 8.

  3. Vgl. Renmin Ribao vom 4. November 1987.

  4. Vgl.den Text in Renmin Ribao vom 21. Oktober 1984.

  5. Vgl. China aktuell. August 1985. S. 497.

  6. Vgl. Renmin Ribao vom 12. August 1985.

  7. Vgl. dazu Jonathan Unger. The Decollectivization of the Chinese Countryside: A survey of Twenty-eight Villages. in: Pacific Affairs. 58 (1985/86) 4. S. 593 ff.

  8. Vgl. dazu beispielsweise Hongqi (Rote Fahne). (1980) 20. S. 11-15.

  9. Vgl. auch im folgenden Yao Yilin, zit. nach Xinhuas News Agency vom 9. Oktober 1984.

  10. Vgl. Renmin Ribao vom 21. Oktober 1984.

  11. Vgl. ebda.

  12. Vgl. dazu ausführlich mit Quellenangaben, in: China aktuell. Juli 1987, S. 549 ff.

  13. Zit. nach Jan S. Prybyla, Plan and Market: The Bird in the Cage. A Comparative Study of Mainland China and Other State Socialist Economies. Working Paper, o. J. u. o. O.

  14. Vgl. Beijing Rundschau vom 17. Mai 1983. S. VI.

  15. Xu Dixin. Der Charakter der wirtschaftlichen Sonderzonen Chinas, in: Beijing Rundschau vom 24. Januar 1984. S. 32.

  16. Vgl. auch im folgenden Beijing Rundschau vom 11. Dezember 1984. S. 15 ff.

Weitere Inhalte

Erhard Louven, Dr. rer. oec., geb. 1938; Diplom-Ökonom; nach Abitur und kaufmännischer Lehre Tätigkeit in mehreren Großunternehmen (Controlling, Export); 1969— 1975 Studium der Wirtschaftswissenschaften und Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum; von 1975— 1981 Assistent an der Abteilung für Ostasienwissenschaften und am Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik der Ruhr-Universität Bochum; seit 1981 wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde, Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Technologietransfer und angepaßte Technologien, Tübingen 1982; (zus. mit Monika Schädler) Wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 19862; (zus. mit Willy Kraus [Hrsg. ]), Johannes Hirschmaier. Die japanische Unternehmung. Schriften aus dem Nachlaß. Hamburg 1986; Perspektiven der Wirtschaftsreform in China, Berlin 1987.