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Der Anschluß Österreichs — Stationen auf dem Weg zum März 1938 | APuZ 9/1988 | bpb.de

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APuZ 9/1988 Artikel 1 Der „Anschluß“ von 1938 als innerösterreichisches Problem Der Anschluß Österreichs — Stationen auf dem Weg zum März 1938 Der „Anschluß“ von 1938 und die internationalen Reaktionen

Der Anschluß Österreichs — Stationen auf dem Weg zum März 1938

Rolf Steininger

/ 40 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit dem Anschluß Österreichs an Deutschland im März 1938 schien ein alter Wunsch — vor allen Dingen der Österreicher — in Erfüllung gegangen zu sein. Dieses Thema hatte besonders seit dem Ende des Ersten Weltkrieges auf der Tagesordnung gestanden und die österreichische und deutsche Politik beherrscht. Auf dem Weg bis März 1938 lassen sich sechs Stationen fixieren: 1. Die Anschlußbegeisterung der österreichischen Sozialdemokraten 1918/19. Die Sozialdemokraten waren davon überzeugt, daß das aus der Konkursmasse entstandene „Deutschösterreich“ ohne Anschluß an Deutschland nicht lebensfähig wäre. Dieses Land wurde zum „Bestandteil der Deutschen Republik“ erklärt, wobei auch die Vereinigung mit dem roten Deutschland eine Rolle spielte. 2. Die Anschlußbewegung in den österreichischen Bundesländern (Tirol. Salzburg. Steiermark) 1921. trotz des in den Friedensverträgen von Versailles und St. Germain ausgesprochenen Anschlußverbotes. Dies war auch eine Bewegung los vom roten Wien in Richtung eines Zusammenschlusses mit einem Deutschland, das nicht sozialistisch geworden war. Diese Phase endete 1922, als der Völkerbund Kredite gewährte und das Anschlußverbot erneuerte. 3. Anschlußpropaganda und praktische Angleichungspolitik in den zwanziger Jahren, die aber politisch nicht wirksam wurden. 4. Mit dem Zollunionsprojekt 1931 wurde die deutsche Österreichpolitik zwar aktiviert, scheiterte aber am Einspruch der Alliierten. 5. Mit Hitlers Machtergreifung kam zu den Anschlußüberlegungen der zwanziger Jahre als neues Element der völkisch-national überhöhte Rassegedanke hinzu — allerdings nur in der Propaganda; militärische und ökonomische Gesichtspunkte waren ausschlaggebend, wie schon bald immer deutlicher wurde. Der Versuch einer „schnellen Lösung“ 1933/34 scheiterte an der Entschlossenheit der Dollfuß-Regierung und Mussolinis, die Unabhängigkeit Österreichs zu erhalten. 6. Für den Anschluß im März 1938 kamen mehrere Faktoren zusammen: die Hinwendung Mussolinis zu Hitler, die „geistige Durchdringung“ Österreichs, d. h. die „Aushöhlung“ des Landes von innen; die uneinsichtige Politik des österreichischen Ständestaates, nahezu zwei Drittel der Bevölkerung von jeder Mitgestaltung auszuschließen; die Forcierung von deutscher Seite angesichts der wachsenden Bedeutung Österreichs für die deutsche Rüstungsindustrie.

„Als Führer und Kanzler der deutschen Nation und des Reiches melde ich vor der Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich!“

Mit diesen Worten beendete Adolf Hitler am Mittag des 15. März 1938 die „Befreiungskundgebung“ auf dem Heldenplatz in Wien, wo sich weit über hunderttausend Menschen eingefunden hatten. Hitlers „Vollzugsmeldung vor der Geschichte“ vom Balkon der neuen Hofburg wurde von der Menge mit nicht endenwollendem Jubel und „Sieg-Heil" -Rufen beantwortet. Vor aller Welt sichtbar war Österreich „heim ins Reich“ geholt worden, schien ein alter Wunsch, der besonders seit dem Ende des Ersten Weltkrieges immer wieder mit Nachdruck geäußert worden war, in Erfüllung gegangen zu sein Insbesondere diese Vorgeschichte, die im Herbst 1918 beginnt, ist für das Verständnis des März 1938 wichtig; sie zeigt, daß dieser März nicht im luftleeren Raum stattfand, daß von den Nationalsozialisten bewußt auf etwas aufgebaut und Kontinuitäten hergestellt wurden, die in dieser Form allerdings gar nicht bestanden — etwa wenn man Hitler bei seinem Besuch in Innsbruck am 5. April 1938 die Dokumente der Tiroler Anschlußabstimmung vom 24. April 1921 überreichte und er als Vollender dieser Politik gefeiert wurde. „Heim ins Reich!“, „Ein Volk, ein Reich!“, „Großdeutschland unsere Zukunft!“ — so und ähnlich lauteten schon 1918/19 die Parolen in Österreich, das damals noch „Deutschösterreich“ hieß. Von jenem Zeitpunkt an blieb das Thema „Anschluß“ in irgendeiner Weise auf der Tagesordnung und beherrschte — manchmal stärker, manchmal schwächer — die österreichische und deutsche Politik. Auf dem Weg zum März 1938 lassen sich sechs Stationen fixieren, nämlich: 1. die sozialistische Anschlußeuphorie 1918/19 in Österreich;

2. die Anschluß-(oder besser) Zusammenschlußbewegungen in den österreichischen Bundesländern 1921;

die Anschlußpropaganda und praktische Angleichungspolitik in den zwanziger Jahren;

4. das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt 1931;

5. Hitler an der Macht: Die „schnelle Lösung“ 1933/34;

6. die evolutionäre Lösung der „geistigen Durchdringung“ Österreichs mit dem Anschluß im März 1938 3).

Diese Stationen, auf die im folgenden eingegangen wird, standen im Zeichen politischer und wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen; bei den Stationen 1 bis 3 war Österreich, bei Station 4 schon Deutschland der drängende Partner, und bei den Stationen 5 und 6 war von österreichischen Anschlußwünschen — zumindest auf offizieller, d. h. Regierungsebene — wahrlich nichts mehr zu spüren.

I. Die sozialistische Anschlußeuphorie 1918/19

Der 12. November 1918 bleibt in der Geschichte Österreichs ein denkwürdiges Datum. An diesem Tag verabschiedeten die im Jahre 1911 gewählten Reichsratsabgeordneten des deutschen Siedlungsgebietes der Habsburger Monarchie, die sich am 21. Oktober 1918 in Wien zur „Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich“ konstituiert hatten, eine neue Verfassung; in Artikel 1 wurde der neue Staat „Deutschösterreich“ — dem u. a. auch die sudetendeutschen Gebiete angehören sollten — zu einer demokratischen Republik erklärt, und in Artikel 2 wurde bestimmt: „Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik“ mit anderen Worten: Der neue Staat hielt sich schon in seiner Geburtsstunde für lebensunfähig — ein Makel, den er in den folgenden Jahren nicht mehr los wurde; es war jener Staat entstanden, „den keiner wollte“

Der sozialdemokratische Staatskanzler Karl Renner bekannte sich an jenem 12. November im Parlament in einer leidenschaftlichen Rede zur deutschen Einheit. Er beklagte das Schicksal des deutschen Volkes und erklärte u. a.: „Das Volk, dessen Stolz es immer war, das Volk der Dichter und Denker zu heißen, ist im Augenblick tief gebeugt. Aber gerade in dieser Stunde soll unser deutsches Volk in allen Gauen wissen: Wir sind ein Stamm und eine Schicksalsgemeinschaft.“

Otto Bauer, intellektueller Führer der Sozialdemokraten und für auswärtige Angelegenheiten zuständiger Staatssekretär, teilte den einstimmig gefaßten Beschluß vom 12. November am nächsten Tag dem Volksbeauftragten Hugo Haase in Berlin mit. In dem Telegramm hieß es, Deutschösterreich habe „seinen Willen kundgetan, sich mit den anderen deutschen Stämmen, von denen es vor 52 Jahren (Königgrätz 1866, R. St.) getrennt wurde, wieder zu vereinigen. Wir bitten Sie, in direkte Verhandlungen mit uns über die Vereinigung Deutschösterreichs mit der deutschen Republik . . . einzutreten.“

Was waren die Gründe für diese Politik? Karl Renner hat 1945, als erster Kanzler auch der Zweiten Republik, eine Antwort auf diese Frage gegeben. 1918, so seine Interpretation, habe die Angst vor Hunger und Arbeitslosigkeit jeden an den Anschluß als einzig mögliche Lösung denken lassen: „Österreichs wirtschaftliche Lage verstehen, bedeutet, die Bewegung für den Anschluß zu verstehen.“ Die Sozialdemokraten waren damals von der Notwendigkeit großer Wirtschaftsräume überzeugt. Ein Land, das keine Kohle habe, nicht ausreichend Lebensmittel im eigenen Land erzeugen könne, auch keine größere Exportindustrie besitze, könne nicht selbständig existieren, so Otto Bauer im Juli 1919; ein solches Land würde im Dienste fremder Kapitalisten ein Leben der Knechtschaft, der Not und des Elends führen. Davor könne Deutschösterreich nichts anderes bewahren als die Vereinigung mit Deutschland

Unbestritten ist, daß es in den Jahren nach Kriegsende Hunger und Not gab. Das Elend der neuen Zeit aber versperrte den Blick dafür, daß die Republik nicht ganz so arm war, wie viele Menschen damals glaubten: 12 Prozent der Bevölkerung der alten Doppelmonarchie lebten in ihr, aber 30 Prozent der industriellen Kapazität waren hier angesiedelt; Wien war das Finanzzentrum des Habsburgerreiches gewesen — und in Wien gab es immer noch viel Geld Für die Anschlußeuphorie der Sozialdemokraten gab es neben den wirtschaftlichen denn auch noch andere Gründe; es ging um die Schaffung einer Einheitsfront mit den deutschen Sozialdemokraten, genauso wie es in einem Wahl-aufruf vom Februar 1919 hieß: „Wir wollen uns mit dem roten Deutschland vereinen. Vereinigung mit Deutschland bedeutet jetzt Vereinigung mit dem Sozialismus.“

Die Entscheidung vom 12. November wurde in Berlin mit Zurückhaltung aufgenommen, war doch schon am 9. November aus Bern bekanntgeworden, daß die Entente bei einem Anschluß Deutsch-land härtere Friedensbedingungen auferlegen würde. Bei der Besprechung des Telegramms von Bauer wurde daher in der Sitzung der Volksbeauftragten am 15. November beschlossen, „wegen der internationalen Gesamtlage auf die Angliederungsfrage nicht einzugehen“ Entsprechend war die Reaktion in Wien. Man war „enttäuscht, daß die Anschlußfrage nicht erwähnt wurde. Hiesige Presse aller Parteien zurückhaltend, bespricht Antwort fast gar nicht“, berichtete der deutsche Botschafter von Wedel

In der deutschen Öffentlichkeit war der Anschluß allerdings durchaus ein Thema. Am 17. Januar 1919 forderte die gesamte Presse den Anschluß, am 5. Februar sprachen sich alle Parteien dafür aus In dieser Stimmung kam Bauer am 27. Februar nach Deutschland, um in Berlin und Weimar Besprechungen mit Außenminister Brockdorff-Rantzau zu führen. Er erhielt jetzt den Eindruck, daß Deutschösterreich im Reich „mit brüderlicher Gesinnung willkommen geheißen“ und „die herzlichste Bereitwilligkeit zu brüderlicher Hilfe“ finden würde Am 2. März endeten die Gespräche mit der Unterzeichnung eines geheimen Protokolls, in dem festgelegt wurde, wie „mit tunlichster Beschleunigung“ der Zusammenschluß der beiden Staaten durchzuführen wäre. Demnach sollte Deutschösterreich als „selbständiger Gliedstaat“ mit gewissen Sonderrechten (u. a. Wien als gleichberechtigte zweite Hauptstadt, zeitweise Aufenthalt des Reichspräsidenten dort) dem Reich angeschlossen werden; verschiedene paritätisch besetzte Kommissionen sollten die Angleichung der Rechts-, Handels-, Verkehrs-, Unterrichts-und Sozialpolitik vorbereiten.

Der entscheidende Schritt wurde dann aber von deutscher Seite mit Blick auf die Friedenskonferenz in Paris nicht getan. Die französische Haltung war bekannt; sie steigerte sich zu einer geradezu leidenschaftlichen Ablehnung jedweden Anschlusses. Kein französischer Politiker wollte dem geschlagenen Deutschland eine Gebietserweiterung und eine Zunahme seiner Bevölkerung um sechseinhalb Millionen Menschen zubilligen

Im Friedensvertrag von Versailles, der am 28. Juni 1919 von Deutschland unterzeichnet werden mußte, legten die Sieger dann auch im Artikel 80 die Unabhängigkeit Österreichs und die Unantastbarkeit seiner Grenzen fest. Zwei Monate später, am 2. September, wurde Karl Renner in Saint Germain der Entwurf des Friedensvertrages mit Österreich mit einem auf fünf Tage befristeten Ultimatum übergeben. In Artikel 88 wurde auch hier ein Anschlußverbot ausgesprochen Die österreichische Nationalversammlung nahm den Vertrag am 10. Septgember 1919 unter Protest an; und da an einen Anschluß offensichtlich nicht mehr zu denken war, wurde sechs Wochen später, am 21. Oktober 1919. nicht nur die Namensänderung „DeutschÖsterreich“ in „Republik Österreich“ beschlossen, sondern auch „in Durchführung des Staatsvertrages von St. Germain die bisherige Bestimmung . Deutschösterreich ist ein Bestandteil des Deutschen Reiches außer Kraft gesetzt“

II. Die Anschlußbewegung in den österreichischen Bundesländern und die Genfer Protokolle

Hatte schon Otto Bauer durch seinen demonstrativen Rücktritt am 25. Juli 1919 das Scheitern seiner Anschlußpolitik eingestanden, so schien durch die Annahme des Friedensvertrages und durch das Gesetz vom 21. Oktober das Thema „Anschluß“ erledigt zu sein. Oktober das Thema „Anschluß“ erledigt zu sein. Aber der Schein trog. Die „Republik Österreich“, ein Staat, entstanden nach dem Motto “ L’Autriche c’est ce qui reste“ 20), war jetzt mit den erzwungenen Gebietsabtretungen (Südtirol und das Kanaltal an Italien. Teile der Steiermark und Kärntens an Jugoslawien, das sudetendeutsche Siedlungsgebiet an die Tschechoslowakei) in den Augen weitester Kreise seiner Bewohner erst recht nicht lebensfähig, und für all jene, die an diesen Staat nicht glauben wollten, schien jetzt erst recht der Anschluß, trotz Artikel 88.der einzig mögliche Weg aus dem immer größer werdenden Elend zu sein. Dabei verlagerte sich die Anschlußbewegung weitgehend auf die Länder, vor allem auf Tirol. Salzburg und die Steiermark.

Angesichts der in den folgenden Monaten immer unerträglicher werdenden wirtschaftlichen Lage, in der es zu zahlreichen Hungerdemonstrationen kam 21) -wurde die Bundesregierung zunächst am 1. Oktober 1920 von der Nationalversammlung aufgefordert. innerhalb von sechs Monaten eine Volksabstimmung über den Anschluß durchzuführen. Mit Drohungen — insbesondere einer Hungerblokkade — und einer scharfen Note von Clemenceau vom 17. Dezember gelang es Frankreich, diese Volksabstimmung zu verhindern.

Als die Länderregierungen sahen, daß die Zentralregierung unter dem Druck der Sieger nicht frei handeln konnte, beschlossen sie. die Abstimmung länderweise vorzunehmen. Aber auch dagegen protestierten die Alliierten scharf. Am 14. April 1921 verlangte der französische Gesandte in Wien, Lefevre-Pontalis, vom christlichsozialen Bundeskanzler Michael Mayr, einem Abgeordneten aus Tirol, die „auf den Anschluß hinzielenden Umtriebe wirkungslos zu machen“, andernfalls werde jegliche Hilfe für Österreich eingestellt Bundesregierung und Landesregierungen erhoben dagegen Einspruch. und am 24. April fand in Tirol die vom Landtag beschlossene Abstimmung statt, bei der 98. 75% der abgegebenen Stimmen für den „Zusammenschluß“ waren und an der Grenze bei Scharnitz die Grenzpfosten beseitigt wurden

Dem folgten entsprechende Beschlüsse der Landtage von Salzburg und der Steiermark. Volksabstimmungen durchzuführen, falls nicht ein nationales Plebiszit stattfände. Der Druck der Alliierten wurde daraufhin noch massiver; Paris war zum Äußersten entschlossen. Es wurde mit der Einstellung der Anleiheverhandlungen und sogar mit der Aufteilung des Landes unter seine Nachbarn gedroht. Mayr gelang es zwar, daß die Abstimmung in Salzburg nur „privat“ durchgeführt wurde — 98, 8% der Teilnehmer, 73% der Wahlberechtigten stimmten für den Anschluß —. die christlichsoziale Landesregierung der Steiermark blieb jedoch bei ihrem Vorhaben, worauf Mayr am 1. Juli 1920 zurück-trat Damit war offenbar geworden, daß eine andere Politik betrieben werden mußte, sollte der Staat nicht in eine noch größere Krise geraten.

Blickt man auf die Anschlußbewegung in den Ländern, vor allem in Tirol und Salzburg, so wird deutlich, daß die Motive hier anders aussahen als bei der von Wien ausgehenden Bewegung. Es waren Länder mit konservativen Mehrheiten, die weder mit den Wiener noch mit den deutschen Sozialisten etwas im Sinn hatten. „Anschluß“ unter dem Banner des Sozialismus war kein Thema mehr. Deutschland war nicht sozialistisch geworden, und in Bayern war die Räterepublik Episode geblieben; von daher bot sich angesichts der andauernden wirtschaftlichen Notlage der wirtschaftliche „Zusammenschluß“ mit diesem Land an. wobei das Wort „Anschluß“ jetzt tunlichst vermieden wurde. Und man wollte los vom „roten“ Wien! Und im übrigen hielt man von dieser „Republik Österreich“ gar nichts. Das wird nirgends so deutlich wie in einem Brief, den Richard Steidle, der einflußreiche Führer der Tiroler Heimatwehr (wie in Tirol die Heim-wehr hieß), der 1940 im KZ Buchenwald umkommen sollte, am 25. Mai 1921 an Bundeskanzler Mayr schrieb. Entscheidend für die Haltung der Tiroler Bevölkerung war seiner Meinung nach „vor allem der Wunsch, endlich einmal von der ganz verhaßten Wiener Wirtschaft, mit der die Leute nichts mehr zu schaffen haben wollen, loszukommen. Diese Stimmung nimmt gerade in den religiös-und nationaltirolisch orientierten Kreisen schon geradezu gehässige Dimensionen an, und ich treffe immer mehr Leute, die unverhohlen dieser Meinung Ausdruck geben.“

Steidle beendete seinen Brief mit einem Wunsch, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, der aber auch erkennen läßt, warum dieser Staat in den nächsten Jahren im Inneren gar nicht zur Ruhe kommen konnte. „Eigentlich“, so Steidle, „hätte ich Dir das alles gar nicht sagen sollen, weil ich von meinem persönlichen Standpunkte aus nichts sehnlicher wünsche, als daß endlich dieser unmögliche Staat sich mit Gestank auflöst und Tirol von Wien frei wird.“

Österreich löste sich nicht „mit Gestank“ auf; nach einem einjährigen Zwischenspiel mit Johannes Schober als Kanzler übernahm im Mai 1922 Prälat Ignaz Seipel, „die stärkste nichtsozialistische Persönlichkeit, die seit langem im Hintergrund wirkte“ die Regierung, die er bis 1929 führte. Der Christlichsoziale Seipel war zweifelsohne kein Freund des Anschlusses, auch wenn er öffentlich niemals dagegen Stellung nahm. Ihm ging es um die Stabilisierung Österreichs ohne Anschluß. Als er die Führung des Landes übernahm, gab es mehr als 20 Prozent Arbeitslose, die Inflation war auf dem Höhepunkt ein völliger Zusammenbruch stand bevor, „das Ende Österreichs schien nahe“, wie dies Goldinger formuliert hat

Seipels Taktik war es, die Sieger für die weitere Entwicklung verantwortlich zu machen, sie aber gleichzeitig von dem Erhalt Österreichs als einer europäischen Notwendigkeit zu überzeugen, was zunächst auch gelang. Der Völkerbund gewährte eine Anleihe über 650 Millionen Goldkronen, zwar unter Bedingungen, die heutzutage Entwicklungsländern auferlegt werden, aber Seipel akzeptierte diese Bedingungen in den „Genfer Protokollen“, die am 4. Oktober 1922 unterzeichnet wurden. Im Protokoll Nr. 1 verpflichtete sich die Republik Österreich, für die nächsten 20 Jahre „gemäß dem Wortlaut des Artikels 80 des Vertrages von St. Germain. ihre Unabhängigkeit nicht aufzugeben“.

Für die späteren Ereignisse ist besonders interessant. daß sich Großbritannien. Frankreich. Italien und die Tschechoslowakei ihrerseits verpflichteten, „die politische Unabhängigkeit, die territoriale Integrität und die Souveränität Österreichs“ zu erhalten

III. Anschlußpropaganda und praktische Angleichungspolitik in den zwanziger Jahren

Mit der Sanierungsarbeit, die nun mit Hilfe der Völkerbundanleihe begann, verlor der Anschlußgedanke in weiten Kreisen der Bevölkerung zunächst an Aktualität, da mit seiner Verwirklichung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen war. Das änderte sich dann wieder ab etwa 1925, als sich die wirtschaftliche Lage erneut verschlechterte -Selbst die Großdeutschen, für die der Anschluß doch vor allem ein ideologisches und nationales Postulat war, stellten das wirtschaftliche Moment nun in den Vordergrund und forderten den Anschluß als eine „handelspolitische und wirtschaftliche Notwendigkeit“. In einer vom Parteitag 1925 beschlossenen Resolution hieß es, man sei sich bewußt, „daß die Stabilisierung unserer heimischen Wirtschaft nicht ohne Vereinigung mit dem deutschen Wirtschaftsgebiet erreicht werden kann“

Seit dem Jahre 1925 wurde auch die Propaganda von „Arbeitsgemeinschaften“ und „Volksbünden“ organisiert, die von der Wiener Regierung toleriert und von der Reichsregierung finanziell unterstützt wurden. Es gab die „Österreichisch-deutsche Arbeitsgemeinschaft“ und ihr Pendant in Deutschland, die „Deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft für das Reich“, in denen sich Intellektuelle und Politiker zusammengeschlossen hatten. Sie beschäftigten sich in erster Linie „wissenschaftlich“ mit der Anschlußproblematik, publizierten eine Fülle von Schriften, gaben eigene Zeitschriften heraus, veranstalteten ab 1929 „Österreichische Wochen“ und gewannen einen nicht zu unterschätzenden Einfluß.

Daneben gab es die Massenverbände, den „Österreichisch-deutschen Volksbund Berlin“ und den „Österreichisch-deutschen Volksbund Wien“, die bald mehrere Hunderttausend Mitglieder zählten und die Anschlußpropaganda in der breiten Öffentlichkeit betrieben. Eine der eindrucksvollsten Veranstaltungen war das 10. Deutsche Sängerbundfest 1928 in Wien, auf dem dessen Präsident u. a. erklärte: „Unsere Seele dürstet nach diesem Groß-deutschland, aber unser Verstand sagt uns, daß wir nur Vorbereitungsarbeit leisten können. Dieser Arbeit wollen wir uns unterziehen mit der Kraft und Begeisterung, die aus dem deutschen Liede fließt.“

Als dritte Organisation ist die „Delegation für den österreichisch-deutschen Wirtschaftszusammenschluß“ zu nennen, die 1927 gegründet wurde und der sich innerhalb kurzer Zeit mehr als 140 Verbände aus fast allen Gebieten der Wirtschaft anschlossen. Die Forderung nach diesem wirtschaftlichen Zusammenschluß wurde in der Folgezeit von weiten Kreisen der Industrie immer lauter erhoben, u. a. vom Handelskammertag, der Kohle-und Eisenindustrie (der Vorsitzende der Schwerindustrie, Apold: „Der Anschluß ist für uns eine wirtschaftliche Notwendigkeit allerersten Ranges. Und wir müssen ihn erreichen!“ dem christlichsozialen Bauernbund, der niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. Zum ersten Male engagierte sich auch die deutsche Wirtschaft in größerem Umfang in Österreich: 1926 wurden die Alpine-Montan-Werke durch die Vereinigten Stahlwerke übernommen. Eine systematische Vorbereitung des späteren Anschlusses durch deutsche Wirtschaft und Banken fand dennoch nicht statt, auch wenn dies eine bis heute oft zitierte Standardformel der österreichischen Zeitgeschichte ist

Daneben wurde auf den Gebieten Verkehr, Kultur und Recht praktische Angleichungspolitik betrieben. So wurden schon 1925 der Visazwang aufgehoben und Vereinbarungen im gegenseitigen Postverkehr getroffen. 1926 sogar die feldgrünen Uniformen des Bundesheeres durch feldgraue — die Farbe der Reichswehruniform — ersetzt. 1927 wurde ein Gesetz über Vormundschafts-und Nachlaßwesen beschlossen. 1930 ein Abkommen über die gegenseitige Anwendung von Patenten unterzeichnet.

Bei allen Aktivitäten blieb entscheidend, daß sie politisch im Sinne eines Anschlusses nicht wirksam wurden. Zum einen ließen die bestehenden Verträge und die Politik Seipels dies gar nicht zu, zum anderen war der Anschluß zu diesem Zeitpunkt kein vorrangiges Ziel deutscher Politik, auch wenn man es als Fernziel keineswegs aus den Augen verlor Den größeren Rahmen für dieses Thema aus deutscher Sicht beschrieb Gustav Stresemann, Außenminister von 1923 bis 1929, im Januar 1925 in einer geheimen Vorlage für das Kabinett. Als Ziel „deutschen Hoffens“ nannte er „die Schaffung eines Staates, dessen politische Grenzen alle deutschen Volksteile umfaßt, die innerhalb des geschlossenen deutschen Siedlungsgebietes in Mitteleuropa leben und den Anschluß an das Reich wünschen“. Dies war nichts anderes als das Mitteleuropakonzept aus dem Ersten Weltkrieg, zumal in diesem „mitteleuropäischen“ Reich „neben unseren Volksgenossen auch Angehörige fremder Nationen unter deutsche Staatshoheit gestellt werden“ würden, weil dieses Reich anders nicht zu verwirklichen sei

Wie die Militärs dachten, machte eine Studie des Truppenamtes, d. h.des Generalstabes der Reichs-wehr, vom März 1926 deutlich, in dem der „Anschluß Deutschösterreichs“ (!) als dritte Etappe vorgesehen war, nach Etappe eins: „Befreiung des Rheinlandes und des Saargebietes“ und Etappe zwei: „Beseitigung des Korridors und Wiedergewinnung Polnisch-Oberschlesiens“, und noch vor der „Beseitigung der entmilitarisierten Zone“

Auf dem Weg zurück zur Großmacht verlor man in Berlin jedenfalls Österreich nicht aus den Augen. Dabei wurde auch alles vermieden, was der Anschlußbewegung in Österreich selbst schaden konnte; so weigerte sich die Reichsregierung, die Brennergrenze anzuerkennen und machte auch keinerlei Äußerungen über Südtirol, die auf eine Billigung der Verhältnisse dort schließen ließen.

IV. Das Zollunionsprojekt 1931

Eine Aktivierung der deutschen Österreichpolitik setzte dann unter Stresemanns Nachfolger, Julius Curtius, ein. Mehrere Gründe kamen zusammen: 1. Die weitere Verschlechterung der österreichischen Wirtschaftslage, vor allem in der Textil-, eisen-und metallverarbeitenden Industrie. Gegen Ende 1929 wurden auch die Elektro-, Leder-und Schuhindustrie und die chemische Industrie von dem Rückschlag erfaßt; gleichzeitig verschärfte sich die Preis-und Absatzlage der Landwirtschaft. 2. Der wachsende Einfluß der Heimwehr in Österreich. Die Heimwehr war eine militante, antimarxistische Bewegung. Sammelbecken aller nationalistischen und konservativen Kräfte, deren politischer Einfluß ständig wuchs und die die demokratische, als „rot“ empfundene Republik ablehnte und durch einen autoritären Staat ersetzen wollte. Die Gefahr, die sich daraus für die Anschlußbewegung ergeben konnte, war klar. So berichtete der deutsche Gesandte in Wien, Lerchenfeld, am 21. November 1929 nach Berlin, ein vollständiger Sieg der Heimwehr sei gleichzusetzen mit der Errichtung einer halbfaschistischen Diktatur; dies wiederum würde bedeuten, daß sich Österreich dann fest an den italienisch-ungarischen Block binden werde. Dadurch würde die Entwicklung der deutsch-österreichischen Beziehungen sehr ernsthaft bedroht 3. Briands Europaplan. Der französische Außenminister Aristide Briand hatte auf der Völkerbund-tagung im September 1929 die Schaffung eines Vereinten Europa vorgeschlagen Bei einer Realisierung dieses Plans wäre der politische und territoriale Status quo in Europa festgeschrieben worden, was gleichzeitig das Ende deutscher Revisionspolitik und deutscher Großmacht bedeutet hätte. Genau dies aber wollte man in Berlin durch eine Eingliederung in die vorgeschlagene neue europäische Ordnung nicht gefährden lassen. Kanzler Brüning machte am 8. Juni 1930 im Kabinett klar, was Deutschland haben müsse, nämlich einen „ausreichenden natürlichen Lebensraum“ Und Curtius stellte fest, die deutsche Antwort werde „für die Aktion Briands ein Begräbnis erster Klasse werden, müsse andererseits der deutschen Außenpolitik als Plattform für die weitere Verfolgung ihrer politischen und wirtschaftlichen Ziele dienen“

Gemeint war damit der Aufbau einer deutschen Großmachtstellung im Donauraum. Das Sprungbrett dafür war logischerweise Österreich. Der „Zusammenschluß mit Österreich“, so eine Aufzeichnung des Auswärtigen Amts vom 7. Juli 1930, „sollte die vordringlichste Aufgabe der deutschen Politik sein, denn von einem zu Deutschland gehörenden Österreich aus könnte in ganz anderer Weise, als dies jetzt möglich ist. die Entwicklung im Südosten im Interesse Deutschlands beeinflußt und gelenkt werden“

Der erste Schritt dazu sollte die Zollunion sein. Man erwartete, daß sich die Tschechoslowakei. Ungarn. Jugoslawien und Rumänien gezwungenermaßen anschließen würden. Würden dann noch die wirtschaftlichen Beziehungen zu den baltischen Staaten verbessert, so hätte man Polen wie in einem Schraubstock und könnte es dazu bringen, wirtschaftliche Hilfe gegen politische Konzessionen — d. h. die Revision der Ostgrenze — einzutausehen Dem ganzen Unternehmen sollte dabei ein „paneuropäisches Mäntelchen“ umgehängt werden, wie es Staatskanzler v. Bülow im Auswärtigen Amt im Januar 1931 formulierte

Dem Drängen der deutschen Seite — vor allem von Curtius — konnte sich Bundeskanzler Schober kaum entziehen. Die Verhandlungen wurden dann zwar bis zum Abschluß eines Vertragsentwurfes unter äußerster Geheimhaltung geführt, aber eine Indiskretion machte dieser Geheimhaltung dann ein Ende und führte zur überstürzten Bekanntgabe des Projekts am 21. März 1931. Zu vermuten ist. daß die undichte Stelle in Wien war.denn — und das ist höchst interessant — jetzt, wo zum erstenmal mit dem wirtschaftlichen Zusammenschluß wirklich Ernst gemacht werden sollte, formierte sich auf österreichischer Seite Widerstand: in der Maschinenindustrie.der chemischen Industrie, der Schwerindustrie, bei den Konfektionsherstellern, bei der Land-und Forstwirtschaft, ja selbst bei den Klavierbauern. Überall wies man jetzt auf das ei-gene Technologiedefizit und die daraus resultierenden strukturellen Nachteile gegenüber der deutschen Industrie hin

Noch nicht zu klären ist die Frage, ob es in den folgenden Wochen ein Zusammenspiel zwischen diesen Kreisen, Christlichsozialen und der französischen Regierung gegeben hat. Frankreich fühlte sich jedenfalls — zu Recht — von der deutschen Regierung hintergangen und zog jetzt alle Register (bis zu einem Ultimatum an die österreichische Regierung), um das Projekt zu Fall zu bringen. Zur politischen Vertrauenskrise kam ab Mai 1931 die Bankenkrise in Österreich und Deutschland. Im September 1931 wurde von deutscher und österreichischer Seite dann offiziell der Verzicht auf das Projekt ausgesprochen.

In Österreich stellten die Vorgänge um die geplante Zollunion das Anschlußproblem, so Renner später, „in gefährlicher Weise wieder aufdie Tagesordnung und rüttelten die nationalen Leidenschaften wieder auf, wovon die Hitlerbewegung am meisten profitieren sollte“. Eine parlamentarische Mehrheitsregierung war schon bald nicht mehr möglich, und schließlich büßte der Völkerbund „in den weitesten Kreisen der Bevölkerung Österreichs die wohlerworbenen Sympathien ein“

Für Deutschland war das ganze Unternehmen „wirklich der Sündenfall der deutschen Außenpolitik, eine Herausforderung des europäischen Staatensystems und eine schlecht kalkulierte dazu“ Der Gedanke der internationalen Zusammenarbeit und die Ideen von Genf wurden endgültig zu Grabe getragen. Eine Entwicklung setzte ein. die für alle beteiligten Mächte schon nach kurzer Zeit verhängnisvoll werden sollte. Das Zollunionsprojekt war auf diesem Weg der Entfremdung von „geschichtlicher Bedeutung“ und „setzte die europäische Explosion in Gang“ -Für Deutschland hieß das Hitler, für Österreich Dollfuß.

V. Hitler an der Macht — Das Scheitern der „schnellen Lösung“ 1933/34

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten kam auf deutscher Seite zu den bereits genannten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Überlegungen in der Anschlußfrage ein neues Element hinzu: der völkisch-national überhöhte Rasse-gedanke. Bereits auf der ersten Seite von „Mein Kampf“ hatte Hitler gefordert: „Deutschösterreich muß wieder zurück zum großen deutschen Mutter-lande, und zwar nicht aus Gründen irgendwelcher wirtschaftlicher Erwägungen heraus. Nein, nein: Auch wenn diese Vereinigung, wirtschaftlich gedacht. gleichgültig, ja selbst wenn sie schädlich wäre, sie müßte dennoch stattfinden. Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich. “

Genau dies war die Linie, auf der sich bis März 1938 die NS-Propaganda bewegte; damit wurde — erfolgreich — überdeckt, daß aber gerade dieser Aspekt in der NS-Anschlußpolitik den geringsten Stellenwert überhaupt besaß. In Hitlers Weltherrschaftskonzept kam dem Anschluß Österreichs letztlich fast ausschließlich eine militärstrategischökonomische Funktion zu. Das wird nirgends so deutlich wie in der berühmten Rede vom 5. November 1937 vor den Oberbefehlshabern der Wehrmachtteile, in der er seinen „unabänderlichen Entschluß“ bekanntgab. „spätestens 1943 bis 1945 die deutsche Raumfrage zu lösen“. Österreich wurde hier auf eine Stufe mit der Tschechoslowakei gesetzt. Hitler nannte als erstes Ziel, „die Tschechei und gleichzeitig Österreich niederzuwerfen“; es gehe um den „Angriff auf die Tschechei und Österreich“

Der Anschluß war die erste Voraussetzung für die Schaffung „Großdeutschlands“, und das wiederum war eine der Voraussetzungen für die Realisierung des außenpolitischen Programms. 1933/34 unternahm Hitler, offensichtlich in der Hoffnung, die Dynamik der NS-Bewegung ausnützen zu können, den Versuch, den Anschluß auf schnellstem Wege herbeizuführen. Er ernannte den Landesinspekteur der NSDAP in Wien. Theodor Habicht, zu seinem „Sonderbeauftragten“ für Österreich, und von nun an waren Terroranschläge der österreichischen Nationalsozialisten an der Tagesordnung. Als der seit März 1933 autoritär regierende Engelbert Dollfuß — das Parlament hatte sich „selbst ausgeschaltet“ — den bayerischen Justizminister und Reichsjustizkommissar Frank im Mai 1933 aus Österreich auswies, reagierte Hitler mit der sogenannten Tausend-Mark-Sperre: Jeder Deutsche, der fortan nach oder durch Österreich reisen wollte, mußte vorher eine Gebühr von 1000 Reichsmark zahlen. Diese Maßnahme trafzwar den österreichischen Fremdenverkehr schwer, aber Hitlers Erwartungen, wie er sie im Kabinett am 26. Mai 1933 formuliert hatte, erfüllten sich nicht, nämlich: „Diese Maßnahme wird voraussichtlich zum Zusammenbruch der Regierung Dollfuß und zu Neuwahlen führen. Diese Neuwahlen werden die innere Gleichschaltung Österreichs ergeben, auch ohne daß ein äußerer Anschluß nötig ist . . . Der Kampf wird noch in diesem Sommer entschieden werden.“

Dollfuß reagierte im Juni mit einem Betätigungsverbot für die NSDAP in Österreich NS-Wirtschaftskrieg und Terror gingen verstärkt weiter, aber der von Hitler erhoffte Erfolg blieb aus. Für einen Anschluß unter NS-Bedingungen waren die Großdeutschen zu haben, nicht aber Sozialdemokraten und Christlichsoziale, die nun den Anschlußparagraphen aus ihren Programmen strichen. Zu einer gemeinsamen Abwehrfront und einem österreichischen Identitätsbewußtsein kam es dennoch nicht, weil das Land zu diesem Zeitpunkt schon in unversöhnliche „Lager“ gespalten war und Dollfuß ein Regime etablierte, das bewußt die Konsequenzen aus dieser Situation zog. die schon im Juli 1927 mit dem Brand des Justizpalastes ihren ersten Höhepunkt erreicht hatte 1977 schrieb die Wiener „Arbeiter-Zeitung“ in einem Rückblick auf jene Ereignisse: „Der 15. Juli 1927 hat mehr Menschenleben gekostet als die Revolution von 1918/19 und nicht viel weniger als der Februar 1934. Er ist das Schlüsselereignis der Ersten Republik, die Wende zwischen Demokratie und Faschismus. An diesem blutigen Freitag ging mehr in Trümmer als der Justizpalast: die Arbeiterklasse verlor ihr Vertrauen in den Rechtsstaat, die Sozialdemokratie den Glauben an die Allmacht ihrer Organisation. Die Ausschaltung des Parlaments 1933, die Auflösung der Sozialdemokratie 1934 waren nur noch die letzten Konsequenzen dieser großen Niederlage der jungen Demokratie.“

Im Februar 1934 standen in viertägigen, bürgerkriegsähnlichen Kämpfen Heimwehr, Militär und Polizei gegen bewaffnete sozialdemokratische Arbeiter Österreichs; es gab Hunderte von Toten, neun Arbeiter wurden hingerichtet. Diese Ereignisse blieben unvergessen, der Schatten der Hingerichteten lag von nun an über allem, was kam. Auf dem Weg zur Umgestaltung des Staates nach faschistischem Vorbild — gegen das vage Versprechen des italienischen Mussolini, Österreichs Unabhängigkeit mit Waffengewalt zu verteidigen — leistete Dollfuß ganze Arbeit. Nun wurden die Sozialdemokratische Partei, die Freien Gewerkschaften, die Arbeiter-. Sport-und Kulturvereinigungen aufgelöst und deren Vermögen beschlagnahmt

Dollfuß führte jetzt einen Zweifrontenkrieg — gegen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten. Im „Ständestaat“, der nun aufgebaut wurde, waren nahezu zwei Drittel der Bevölkerung von jeder Mitgestaltung ausgeschlossen, während im NS-Reich die „Volksgemeinschaft“ propagiert wurde. Mit einer solchen Politik war die Überwindung der Anschlußidee zum Scheitern verurteilt, zumal, wie Gerhard Botz betont, „das Bild vom . eigenständig österreichischen Menschen'als dem . besseren Deutschen'immer noch dem Deutschnationalismus verbunden war und von hier aus. wie in den letzten Jahren des . Ständestaates'tatsächlich geschehen, nationalsozialistisch unterhöhlbar“

Hitlers Versuch einer „schnellen Lösung“ endete mit dem Putschversuch der österreichischen Nationalsozialisten am 25. Juli 1934. Auch wenn es keinen Befehl Hitlers zum Putsch gab (auch für die „Endlösung“ der Judenfrage ist kein Befehl Hitlers gefunden worden), lag die letzte Verantwortung bei ihm. Der Putsch war schlecht organisiert, und nach dem Massaker an der Röhm-SA am 30. Juni trugen die schweren Spannungen zwischen SA und SS in Österreich erheblich zum Scheitern bei. Dollfuß fiel zwar den Putschisten zum Opfer, der Putsch selbst brach dann aber angesichts der entschlossenen Haltung der Regierung und des Bundesheeres nach wenigen Stunden zusammen. Die deutsche Reichs-regierung distanzierte sich von den Vorgängen — nicht zuletzt unter dem Eindruck von Mussolinis Entscheidung, vier Divisionen in Richtung Brenner und eine in Richtung Kärnten in Marsch zu setzen

VI. Die „evolutionäre Lösung“ bis zum Einmarsch der Wehrmacht am 12. März 1938

Die Ereignisse in Österreich mit Mussolinis „Wacht am Brenner“ überzeugten Hitler davon, daß die Zeit für einen Anschluß noch nicht reif war. In dieser Situation plädierte daher Franz von Papen — jetzt Sondergesandter Hitlers in Wien — für eine „evolutionäre“ Lösung dieser Frage, für die „geistige Durchdringung“ Österreichs; das Land sollte von innen heraus unterhöhlt werden

Kurt von Schuschnigg. Nachfolger von Dollfuß, spielte dieser Politik nachgerade in die Hand. Er unternahm nichts, um die „Lager“ zu versöhnen und das politisch gespaltene Land zusammenzuführen; er verfolgte bewußt einen „deutschen Weg“, mit Österreich als zweitem deutschen Staat, und seine Wirtschaftspolitik sorgte dafür, daß Österreich das Land in Europa mit der relativ höchsten Arbeitslosenzahl blieb. Außenpolitisch orientierte er sich dabei mehr und mehr nach Italien. Ob Papens „Evolutionstheorie“ allein jemals zum Erfolg geführt hätte, kann bezweifelt werden. Mitentscheidend waren jedenfalls die außenpolitische Isolierung und die wachsende Abhängigkeit von Mussolini. in die sich Schuschnigg manövrierte. Mit jedem Schritt, mit dem sich Mussolini den Westmächten entfremdete und Hitler annäherte (Überfall auf Abessinien. Spanischer Bürgerkrieg), ließ dessen Interesse an einem unabhängigen Österreich nach und wurde Schuschniggs Spielraum enger. So gab Mussolini Anfang 1936 Berlin zu verstehen, daß er bei einer Garantie der Brennergrenze nichts gegen einen Vertrag einzuwenden habe, bei dem Österreich „so als formell unbedingt selbständiger Staat praktisch ein Satellit Deutschlands“ würde Gleichzeitig riet er Schuschnigg zu einem Abkommen mit Hitler, um damit das Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich zu verbessern. Das Ergebnis war das von Papen schon lange forcierte „vertrauliche Gentlemen Agreement“ vom 11. Juli 1936. Schuschnigg verpflichtete sich:

1. „Die Außenpolitik der österreichischen Bundesregierung unter Bedachtnahme auf die friedlichen Bestrebungen der Außenpolitik der deutschen Reichsregierung zu führen“, wobei weder geklärt wurde, was „Bedachtnahme“ hieß, noch was mit „friedlich“ gemeint war;

2. österreichische Nationalsozialisten „zur Mitwirkung an der politischen Verantwortung“ heranzuziehen; 3. die Pressepolemik und Propaganda gegen Deutschland einzustellen sowie 4. eine Amnestie durchzuführen.

Schuschnigg war sich im klaren darüber, was er da unterschrieb, aber es ging ihm darum. „Zeit zu gewinnen und im Augenblick vom deutschen Druck etwas entlastet zu werden“ zumal Hitler als Gegenleistung bestätigte, daß „Deutschland weder die Absicht noch den Willen (hat), sich in die österreichischen inneren Verhältnisse einzumengen, Österreich etwa zu annektieren oder anzuschließen“ Tatsächlich aber hatte Hitler mit diesem Abkommen den entscheidenden Fuß in die österreichische Tür bekommen: mit Glaise-Horstenau saß schon bald ein Nationalsozialist am Tisch des österreichischen Ministerrates, und die 17. 000 amnestierten Nationalsozialisten verstärkten nun den Kampf der „Bewegung“ gegen das „System“, während das Land außenpolitisch ohne Schutz dastand, als es im Herbst 1936 zur „Achse Berlin-Rom“ kam. Damals entstand das makabre Scherzwort, diese Achse sei der Spieß, an dem Österreich braun gebraten werde

Ebenfalls im Herbst 1936 begann auf deutscher Seite mit dem Vierjahresplan die Phase der direkten Kriegsvorbereitungen. In diesem Zusammenhang wurde Österreich nicht etwa aus den von Hitler auf Seite 1 von „Mein Kampf“ genannten und bereits zitierten Gründen immer wichtiger, sondern aus strategischen und ökonomischen Gründen. Nicht von ungefähr war es dann Hermann Göring, als Beauftragter für den Vierjahresplan für die Aufrüstung verantwortlich, der nun zur treibenden Kraft für einen schnellen Anschluß wurde.

In Österreich lockten 600 000 Arbeitslose, unter ihnen Zehntausende hochqualifizierter Facharbeiter. zahlreiche neue Produktionskapazitäten und wichtige Rohstoffe, insbesondere Eisenerz. Holz. Erdöl. Magnesit. Vor allem aber lockten Geld-und DevisenVorräte, die angesichts der eigenen katastrophalen Devisenlage dringend benötigt wurden. So verfügte die Deutsche Reichsbank Ende 1937 nur noch über Devisen im Wert von rd. 90 Mio. Reichsmark, während die deutsche Beute im März 1938 mit umgerechnet rd. 1. 4 Mrd. Reichsmark geradezu gigantisch war. Statt das Geld für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu verwenden und so die Arbeitslosen und Ausgesteuerten für den Staat zu gewinnen, hatte die Schuschnigg-Regierung der Währungsstabilität absoluten Vorrang eingeräumt und Devisen angehäuft Mit dieser Beute, so Schausberger, „erhalten Dimension und Bedeutung der deutschen Anschluß-Forcierung um die Jahreswende 1937/38 erst ihr wirkliches weltpolitisches Gewicht: Das Deutsche Reich konnte mit dem Gewinn Österreichs seine kritische wirtschaftliche Situation überwinden sowie Tempo und Vorsprung der Rüstung durch mindestens neun Monate aufrechterhalten.“

Ende 1937 befand sich Österreich innen-und außenpolitisch in einer fast hoffnungslosen Lage: Hitler hatte von Mussolini bei dessen Besuch in Berlin im September 1937 freie Hand im Hinblick auf Österreich erhalten; auch von den Briten war keine Hilfe zu erwarten, nachdem Lord Halifax — Vorsitzender des Geheimen Rates, Vertrauter von Premierminister Chamberlain und schon bald Außenminister— am 19. November 1937 Hitlerzu verstehen gegeben hatte, daß bei Danzig, Österreich und der Tschechoslowakei England nur daran interessiert sei, „daß diese Änderungen im Wege friedlicher Evolution zustandegebracht würden und daß Methoden vermieden würden, die weitergehende Störungen ... verursachen könnten“ während im Innern die 5. Kolonne der nach wie vor illegalen Nationalsozialisten ihre Aktivitäten verstärkte.

Die Ablösung der Generäle Blomberg und Fritsch und der Wechsel an der Spitze des Auswärtigen Amtes (Neurath wurde durch Ribbentrop ersetzt) Anfang Februar 1938 machten deutlich, daß Hitler entschlossen war, den ersten Schritt aufjenem Weg zu gehen, den er in seiner Rede vom 5. November 1937 aufgezeigt hatte, und dabei notfalls auch Gewalt anzuwenden. Hitler war nunmehr unumschränkter Herrscher über die Wehrmacht.

In Österreich ist diese Entwicklung damals nicht erkannt worden — übrigens auch nicht von den Gegnern dieser Politik im Reich —, sonst wäre Schuschnigg wohl kaum zu jenem Treffen mit Hitler am 12. Februar in Berchtesgaden bereit gewesen, das Papen und die österreichischen Nationalsozialisten eingefädelt hatten. Wenn der österreichische Kanzler gehofft hatte, bestehende Differenzen klären und Zeit gewinnen zu können, so gab es für ihn ein böses Erwachen. Hitler diktierte dem sowieso nicht besonders nervenstarken Schuschnigg ein auf drei Tage befristetes Ultimatum, die österreichische Außen-, Militär-, Wirtschafts-und Pressepolitik der deutschen anzupassen, den Nationalsozialisten Betätigungsfreiheit und Amnestie zu gewähren und einen ihrer Gemäßigten, Seyß-Inquart, zum Innenminister mit unbeschränkter Polizeikompetenz zu ernennen. Für den Fall der Ablehnung drohte er mit dem Einmarsch der Wehrmacht — ein Bluff, da dafür die Vorbereitungen noch nicht begonnen hatten.

Schuschnigg kapitulierte, zumal auch von außen keine Hilfe zu erwarten war. Dies war im Grunde schon der Anfang vom Ende, das dann doch schneller als erwartet kam. Der Anschluß lag damals „in der Luft“; wenige Tage nach Berchtesgaden setzte eine wilde Kapitalflucht ins Ausland ein. Am 20. Februar 1938 hielt Hitler eine besonders in Österreich mit Spannung erwartete Rede, die zum erstenmal im österreichischen Rundfunk übertragen wurde — auch ein Ergebnis von Berchtesgaden. Hitler erwähnte die Unabhängigkeit Österreichs dabei allerdings mit keinem Wort, wies vielmehr darauf hin. daß zehn Millionen Deutsche gegen ihren eigenen Willen durch die Friedensverträge an einer Vereinigung mit dem Reich gehin-dert würden und daß es auf die Dauer für eine Weltmacht von Selbstbewußtsein unerträglich sei, an ihrer Seite Volksgenossen zu wissen, denen aus ihrer Sympathie oder ihrer Verbundenheit mit dem Gesamtvolk, seinem Schicksal und seiner Weltauffassung fortgesetzt schwerstes Leid zugefügt werde.

Entsprechend war die Reaktion; in vielen Teilen Österreichs folgten der Hitler-Rede nationalsozialistische Demonstrationen und Freudenkundgebungen: „In Wien wurde vom Rathaus die rotweißrote Fahne gerissen und die Hakenkreuzfahne gehißt, in Graz fühlten viele bereits . das Dritte Reich ausgebrochen', und die österreichische Exekutive, jetzt unter Befehl von Seyß-Inquart. schritt nicht ein.“

In Linz nahm Seyß-Inquart am 2. März (mit Hitler-Gruß) eine Parade der verbotenen SA ab; die Veranstaltung wurde zu einer NS-Demonstration. die mit Sprechchören „Ein Volk, ein Reich“, „SiegHeil!“ und „Deutschland erwache, Juda verrecke!“ endete Ähnliche Demonstrationen folgten im ganzen Land; die Lage wurde von Tag zu Tag kritischer. In einer verzweifelten Aktion versuchte Schuschnigg, die Initiative zurückzugewinnen und löste damit den letzten Akt dieses Dramas selbst aus. Mit dem einstigen Kampfruf des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer, „Mander, ’s ischt Zeit!“, verkündete er am 9. März in Innsbruck auf einer Versammlung der Vaterländischen Front die Abhaltung einer Volksbefragung am Sonntag, dem 13. März. Die Parole sollte lauten: „Für ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich!“ Auch jetzt noch hatte es Schuschnigg für notwendig gehalten, was auch von vielen seiner Anhänger bedauert wurde, von einem „deutschen“ Österreich zu sprechen. Die ganze Aktion kam jedoch zu spät, war angesichts der Politik der vergangenen vier Jahre ein Verzweiflungsschritt und wurde, wie der italienische Außenminister Ciano notierte, dann auch die „Bombe“, dazu bestimmt, Schuschnigg „in der Hand zu explodieren“; nicht umsonst hatte Mussolini vor einem solchen Schritt gewarnt

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was wohl geschehen wäre, hätte die Abstimmung stattgefunden. Hitler und seine Paladine, die wußten, wie die Ergebnisse von Volksabstimmungen in Diktaturen auszusehen hatten, befürchteten wohl zu Recht, daß Schuschnigg eine überzeugende Mehrheit zustandebekommen hätte, auch wenn — oder wohl gerade weil — es keine Wählerlisten gab (seit acht Jahren hatten keine allgemeinen Wahlen mehr stattgefunden); Wahlbetrug wäre also möglich gewesen

Der 10.. 11. und 12. März waren dann von Chaos. Kompetenz-und Entscheidungswirrwarr in Wien gekennzeichnet, wobei der 11. März zum entscheidenden Tag wurde. Die Chronologie der wichtigsten Ereignisse ist inzwischen weitgehend bekannt; sie stellt sich in Kurzfassung folgendermaßen dar Am Vormittag des 10. März reagierte Hitler auf Schuschniggs Rede; er befahl, das „Unternehmen Otto“, d. h.den Einmarsch in Österreich, für den 12. März vorzubereiten; um 18. 30 Uhr wurde der entsprechende Mobilisierungsbefehl erteilt; Glaise-Horstenau, der sich zufällig in Deutschland aufhielt, wurde beauftragt, sofort nach Wien zurückzukehren und Schuschnigg ultimativ aufzufordern, die Volksbefragung zu verschieben. Ein Erfolg dieser Befragung schien sicher, als am Morgen des 11. März das Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten die Arbeiter aufforderte, mit „Ja“ zu stimmen

Dem folgten an diesem Tag gleich drei Ultimaten der österreichischen Nationalsozialisten in Wien — jeweils nach Rücksprache mit Berlin: 1. Um 10. 00 Uhr wurde Schuschnigg von Seyß-Inquart und Glaise-Horstenau unter Androhung ihres Rücktritts — was den Bruch des Berchtesgadener Abkommens bedeutet und Hitler den offiziellen Grund zum militärischen Einschreiten gegeben hätte — aufgefordert, die Volksbefragung abzusetzen; Schuschnigg akzeptierte um 11. 30 Uhr.

Um 13. 00 Uhr unterzeichnete Hitler die Weisung Nr. 1 für den Einmarsch am 12. März. Sollte es zum Widerstand kommen, so sollte dieser „mit größter Rücksichtslosigkeit durch Waffengewalt“ gebrochen werden 2. Wenige Minuten nach 13. 00 Uhr folgte dann das auf 17. 30 Uhr befristete zweite Ultimatum von Seyß-Inquart: Rücktritt des Kabinetts und Neubildung durch ihn. Fast gleichzeitig begann in den Städten und Ländern die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten; das alte Regime brach nahezu wiederstandslos zusammen. Als in dieser Situation diplomatische Anfragen in Paris. London und Rom deutlich machten, daß von dort keine Hilfe zu erwarten war. trat Schuschnigg um 16. 00 Uhr zurück. Dem folgte wenig später das 3. Ultimatum, diesmal an Bundespräsident Miklas: bis 19. 30 Uhr Ernennung von Seyß-Inquart zum neuen Bundeskanzler, andernfalls Einmarsch der deutschen Truppen. Während Miklas sich noch weigerte. das Ultimatum anzunehmen, kapitulierte Schuschnigg endgültig; er verabschiedete sich um 20. 00 Uhr über den Rundfunk von seinen Landsleuten und gab Ultimatum und Einmarschdrohung bekannt Das Bundesheer wurde angewiesen, daß bei einem Einmarsch deutscher Truppen „kein Schuß abzugeben“ sei und sich „die eigenen Truppen nach Osten zurückzuziehen hätten“.

Unabhängig von der Frage, wie sich die Truppen in Vorarlberg und Tirol „nach Osten“ zurückziehen sollten, lauten die viel interessanteren und oft gestellten Fragen: „Warum ist kein Befehl zum militärischen Widerstand gegeben worden?“ und „Was wäre dann geschehen?“ Die zweite Frage kann der Historiker nicht beantworten; die erste Frage kann ernsthaft wohl nur so beantwortet werden, daß in der konkreten Situation jenes 11. /12. März unmittelbar vor bzw. nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jede politische Grundlage für einen solchen Befehl bzw. für dessen Durchführung fehlte; und im übrigen wollte diese österreichische Führung kein „deutsches Blut“ vergießen.

In der Diskussion um einen möglichen Widerstand ist hier oftmals der Wunsch der Vater des Gedankens. Es gab keinen politischen Willen für einen solchen Schritt, es gab keine funktionsfähige Regierung mehr, die Truppe war von „illegalen Elementen“, sprich Nationalsozialisten, durchsetzt, und die Nationalsozialisten hatten praktisch schon die Macht im Lande übernommen. Am 11. März um 23. 00 Uhr wurde Seyß-Inquart dann von Miklas zum neuen Bundeskanzler ernannt. Obwohl der Sieg der österreichischen Nationalsozialisten damit vollständig war. änderte dies nichts an der von Hitler um 20. 45 Uhr unterzeichneten Weisung Nr. 2. am 12. März bei Tagesanbruch mit dem Einmarsch zu beginnen; die letzte Ungewißheit auf Seiten Hitlers wurde am späten Abend beseitigt, als aus Rom mitgeteilt wurde. Mussolini habe nichts gegen die Aktion

Jubel und Begeisterung der Österreicher beim Einmarsch der deutschen Truppen am Vormittag des 12. März übertrafen alle Erwartungen auf deutscher Seite und trugen mit zu Hitlers Entschluß bei.den Anschluß Österreichs sofort und vollständig durchzuführen, ohne die zunächst beabsichtigte Übergangsregelung abzuwarten. Seyß-Inquart blieb es vorbehalten, als letzten Akt seiner zweitägigen Kanzlerschaft am 13. März das Gesetz über die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ zu unterzeichnen, in dem der Artikel 1; „Österreich ist ein Land des Deutschen Reiches“ in fataler Weise an das Jahr 1918 erinnerte, obwohl doch alles ganz anders war.

Neben Begeisterung. Jubel, Zustimmung, Hoffnung auf bessere Zeiten und viel Opportunismus gab es damals auch Österreicher, die mit dem. was da geschah, nicht einverstanden waren — auch wenn sie weitgehend unbemerkt blieben, denn Himmlers Schergen griffen schnell zu; was blieb, waren die Jubelbilder und Hitler auf dem Helden-platz. Und wo noch Skepsis war, wurde diese in den Wochen bis zur Volksabstimmung am 10. April unter einem bisher nicht dagewesenen Propagandafeldzug erstickt — nicht ohne Zutun der Österreicher selbst.

So begrüßten es die katholischen Bischöfe, „daß durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde“, und wollten „dieses Wirken für die Zukunft mit ihren besten Segenswünschen (begleiten)“; Kardinal Innitzer unterzeichnete mit „Heil Hitler“ Karl Renner erklärte am 2. April: „Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluß nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache; und diese betrachte ich als wahrhafte Genugtuung für die Demütigungen von 1918 und 1919, für St. Germain und Versailles ... Als Sozialdemokrat und somit als Verfechter des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen, als erster Kanzler der Republik Österreich werde ich mit . Ja'stimmen.“

Wer sollte als Katholik oder Sozialist bei solchen „Vorgaben“ noch mit „Nein“ stimmen? Entspre-chend war denn auch das Ergebnis. Auf die Frage: „Bist Du mit der am 13. März 1938 vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden und stimmst Du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler?“ gab es in Österreich 4. 453. 772 = 99. 73% Ja-Stimmen, 11. 929 Nein-Stimmen und 5. 776 ungültige Stimmzettel (in Deutschland 44. 362. 667 = 99, 02% Ja-, 440. 429 Nein-Stimmen; die Abstimmung galt gleichzeitig als Wahl zum Reichstag). Dabei ist wohl davon auszugehen, daß es Wahlfälschungen im großen Stil nicht gab — dies war unter den gegebenen Umständen in der Tat auch gar nicht nötig

Bei vielen Österreichern trat die Ernüchterung dann aber schon bald ein. Hitler hatte die österreichischen Nazis nie besonders gemocht, und so übernahmen Nationalsozialisten aus dem „Altreich“ führende Positionen in Österreich. Und daß im ersten Flugzeug, das am 12. März in Wien um 4. 30 Uhr landete, u. a. Heinrich Himmler. Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, sowie SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich. Chef des Sicherheitsdienstes (SD), gewesen waren, hatte auch seine Bedeutung: Bis Dezember befanden sich rd. 21. 000 Menschen in „Schutzhaft“; es gab systematischen Terror, Racheakte und schlimme antisemitische Ausschreitungen — auch dies war nur möglich, weil der Antisemitismus in Österreich tief verwurzelt war.

Der Name „Österreich“ und die Traditionen des Landes wurden schon bald ausgelöscht; aus Österreich wurde erst die „Ostmark“, dann „Alpen-und Donaugaue“; von der Höhe seiner reichen Kultur sank es in den Provinzialismus ab. Dies wollte von jenen, die am 10. April 1938 mit „Ja“ gestimmt hatten, wohl niemand, genausowenig wie sie Krieg wollten. Die meisten Österreicher taten in diesem Krieg zwar ihre „Pflicht“ bis zum bitteren Ende, aber für viele galt auch das, was der Sozialdemokrat und spätere österreichische Bundespräsident Adolf Schärf einem Vertreter des deutschen Widerstandes im Frühjahr 1943 sagte: „Der Anschluß ist tot, die Liebe zum Deutschen Reich ist den Österreichern ausgetrieben worden.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Max Domarus (Hrsg.). Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, Bd. I, Triumph, 2. Halbband 1935-1938, Wiesbaden 1973, S. 824.

  2. Die Wurzeln des Anschlußproblems reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, als es um die großdeutsche oder kleindeutsche Lösung der deutschen Frage ging — die im Jahre 1866 mit dem Sieg der Preußen über die Österreicher bei Königgrätz vorläufig beantwortet wurde. Aus Platzgründen kann dies hier nicht erörtert werden. Vgl. hierzu die Beiträge von Fritz Fellner und Michael Derndarsky in: Heinrich Lutz/Helmut Rumpler (Hrsg.), Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1982, S. 33— 59 und S. 92— 116, sowie Norbert Schausberger, Wurzelzonen der Anschlußfrage im 19. Jahrhundert, in: Österreich in Geschichte und Literatur, 23 (1979), S. 121 — 147. Die österreichischen Sozialdemokraten knüpften am Ende des Ersten Weltkrieges bewußt an diesem Punkt an. So forderte ihr intellektueller Führer, Otto Bauer, auf dem Parteitag am 31. 10. 1918, „den Anschluß dort zu suchen, wo wir ihn finden können, wo wir von Natur aus hingehören, und wo man uns nur künstlich vor Jahrzehnten abgetrennt hat — beim Deutschen Reich“. Zitiert bei Ludwig Brügel, Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie, Band 5, Wien 1925, S. 363.

  3. Eine ähnliche „Phasen“ einteilung bei Gerhard Botz. Der 13. März und die Anschlußbewegung. Wien 1978. S. 9. sowie ders.. Das Anschlußproblem (1918— 1945) — Aus österreichischer Sicht, in: Robert A. Kann/Friedrich E. Prinz (Hrsg.). Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch. Wien-München 1980. S. 179— 198. hier S. 184. und Ulrich Kluge. Der österreichische Ständestaat 19341938. Wien-München 1984. S. 127. Vgl. auch den profunden Aufsatz von Andreas Hillgruber. Das Anschlußproblem (1918— 1945) — Aus deutscher Sicht, in: R. A. Kann/F. E. Prinz. S. 161-178.

  4. Es hieß weiter in Artikel 2: „Besondere Gesetze regeln die Teilnahme Deutschösterreichs an der Gesetzgebung und Verwaltung des Deutschen Reiches sowie die Ausdehnung des Geltungsbereiches von Gesetzen und Einrichtungen der Deutschen Republik auf Deutschösterreich.“ Vgl. Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich. 1918. Nr. 45. S. 4f.

  5. Vgl. Hellmut Andies. Der Staat, den keiner wollte. Österreich 1918-1938. Wien 1962.

  6. Das Protokoll verzeichnet hier: „Die Versammlung erhebt sich. Stürmischer, langanhaltender Beifall und Hände-klatschen im Saal und auf den Galerien.“

  7. Vollständiger Text bei Gerhard A. Ritter/Susanne Miller (Hrsg.). Die deutsche Revolution 1918— 1919. Dokumente. Frankfurt 1968. S. 369f.

  8. Karl Renner. Denkschrift über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs und die Einsetzung der provisorischen Regierung der Republik. Wien 1945, S. 18f.

  9. Vgl. Otto Bauer. Acht Monate auswärtige Politik. Wien 1919.

  10. Vgl. hierzu auch E. März. Österreichische Bankenpolitik in der Zeit der großen Wende 1913— 1923. Wien 1981.

  11. Zur Gesamtproblematik vgl. die Beiträge von Helmut Konrad. Rudolf Kropf und Hanns Haas in: Helmut Konrad (Hrsg.). Sozialdemokratie und „Anschluß“. Historische Wurzeln. Anschluß 1918 und 1938. Nachwirkungen (Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung 9). Wien-München-Zürich 1978.

  12. Karl Stadler. Hypothek auf die Zukunft. Die Entstehung der österreichischen Republik 1918— 1921. Wien-Frankfurt-Zürich 1968. S. 68. Anzumerken ist dabei allerdings, daß die Sozialdemokraten auch dann noch weiter für den Anschluß waren, als klar war, daß es kein sozialistisches Deutschland geben würde.

  13. Auszug der Besprechung bei G. A. Ritter/S. Miller (Anm. 7). S. 370.

  14. Ebd.. S. 371.

  15. Vgl. Hermann Ullmann. Antriebe und Quellen der Anschlußbewegung. in: Staat und Volkstum. (1926). S. 15 ff.

  16. Stenographisches Protokoll der 3. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung für Deutschösterreich am 12. 3. 1919; Bericht Bauers über die Verhandlungen in Deutschland.

  17. Für diese Haltung gibt es zahlreiche Zeugnisse. So erklärte Außenminister Pichon schon am 29. 12. 1918, man werde die Macht Deutschlands entscheidend reduzieren und ihm die Möglichkeit nehmen, sich an den Österreichern für das schadlos zu halten, was es unwiderruflich verloren habe. Für die französischen Militärs blieb Deutschland auch nach der Niederlage noch für lange Zeit „wegen seiner materiellen und geistigen Verfassung und seiner zahlenmäßigen Überlegenheit über die demokratischen Länder Westeuropas eine furchtbare Bedrohung für die Zivilisation“ (Note von Marschall Foch an die alliierten Mächte, 10. 1. 1919; abgedruckt bei Iohannes Hohlfeld (Hrsg.), Dokumente der Deutschen Politik, Bd. 3, S. 8 ff.). In Deutschösterreich selbst agierten der französische Gesandte Allize und der französische Oberst Vyx mit diplomatischen und militärischen Intrigen sowie der Errichtung von eigenen Nachrichtenagenturen gegen den Anschluß; vgl. Walter Goldinger, in: Heinrich Benedikt (Hrsg.), Geschichte der Republik Österreich, München 1954, S. 96.

  18. Abgedruckt bei Heinz von Paller. Der großdeutsche Gedanke. Leipzig 1928. S. 150.

  19. Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich 1919. Gesetz Nr. 484.

  20. Nur durch Lebensmittelsendungen aus verschiedenen Ländern und durch zahlreiche andere Hilfsaktionen, insbesondere für Kinder, die das „Internationale Komitee für Reliefkredite“ organisierte, wurde Österreich vor dem Schlimmsten bewahrt. Vgl. hierzu Gustav Gratz/Richard Schüller. Der wirtschaftliche Zusammenbruch ÖsterreichUngarns. Die Tragödie der Erschöpfung. Wien-New Haven 1930.

  21. Vgl. Friedrich F. G. Kleinwaechter/Heinz von Paller (Hrsg.). Die Anschlußfrage in ihrer kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung. Wien-Leipzig 1930. S. 81.

  22. Vgl. hierzu Hermann Kuprian, Tirol und die Anschlußfrage 1918 bis 1921, S. 43- 74. in: Thomas Albrich/Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hrsg.), Tirol und der Anschluß. Voraussetzungen. Entwicklungen, Rahmenbedingungen 1918- 1938. (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Band 3). Innsbruck 1988.

  23. Zur Erinnerung an diese Abstimmung wurde 1923 am Rathaus der Stadt Salzburg eine Gedenktafel errichtet, „in unerschütterlicher Zuversicht, daß die verlorene Einheit des Vaterlandes wieder errungen werde“, wie die Inschrift besagte. Nach Kriegsende, wahrscheinlich schon 1945, wurde die Gedenktafel entfernt. Freundliche Mitteilung von J. Gassner vom Salzburger Museum Carolino Augusteum.

  24. Bereits am 11. 5. 1919 hatte in Vorarlberg eine Abstimmung stattgefunden, in der es um den Anschluß an die Schweiz gegangen war. Von 58 449 Wahlberechtigten hatten 47 208 (= 80. 8%) folgende Frage mit „Ja“ beantwortet: „Wünscht das Vorarlberger Volk, daß der Landesrat der Schweizerischen Bundesregierung die Absicht des Vorarlberger Volkes, in die schweizerische Eidgenossenschaft einzutreten. bekanntgebe und mit der Bundesregierung in Verhandlungen eintrete?“ Vgl. hierzu Werner Dreier, Vorarlberg und die Anschlußfrage 1918- 1938, in: Th. Albrich u. a. (Anm. 23). S. 183-220.

  25. Vgl. Kuprian (Anm. 23), S. 65.

  26. So Walter Goldinger. in: H. Benedikt (Anm. 17). S. 122.

  27. Die Krone sank auf den 15 000sten Teil ihres Goldwertes; so kostete z. B. ein Brot, für das man früher eine halbe Krone hatte zahlen müssen, jetzt 6 600 Kronen.

  28. In: H. Benedikt (Anm. 17). S. 126.

  29. Text der Protokolle im Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich vom 3. 12. 1922, S. 842.

  30. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 1925 meldeten 699 Betriebe Konkurs an. Vgl. Survey of International Affairs 1925, London 1926, S. 198.

  31. Vgl. Margaret M. Ball. Post-War German-Austrian Re-lations. The Anschluß Movement 1918— 1936, Stanford 1937. S. 59f. v

  32. Im Koalitionsvertrag war der Großdeutschen Partei ausdrücklich volle Freiheit in der Anschlußpropaganda zugebilligt worden. Vgl. Adam Wandruszka, in: H. Benedikt (Anm. 17). S. 387.

  33. Zitiert bei H. v. Paller (Anm. 18), S. 133.

  34. Ebd., S. 246.

  35. Hierzu kritisch Franz Mathis, Deutsches Kapital in Österreich vor 1938, in: Th. Albrich u. a. (Anm. 23), S. 435-452.

  36. So wurden dann auch die genannten Anschlußorganisationen insgeheim finanziert. Vgl. dazu Winfried R. Garscha. Die deutsch-österreichische Arbeitsgemeinschaft. Kontinuität und Wandel deutscher Anschlußpropaganda und Angleichungsbemühungen vor und kurz nach der nationalsozialistischen . Machtergreifung*, Wien-Salzburg 1984.

  37. Aufzeichnung Stresemanns vom 13. 1. 1925; zit. bei Fritz Fischer, Bündnis der Eliten. Zur Kontinuität der Machtstrukturen in Deutschland 1871 — 1945, Düsseldorf 1979, S. 76, und A. Hillgruber (Anm. 3), S. 164.

  38. Akten zur deutschen Auswärtigen Politik zit. (ADAP](B), Bd. I, Göttingen 1966, S. 727ff., und A. Hillgruber (Anm. 3), S. 164.

  39. Wien: Bericht vom 21. 11. 1929; Innsbruck: Bericht vom 30. 1. 1930. Vgl. F. G. Stambrook. The German-Austrian Customs Union Project of 1931. AStudyof German Methods and Motives, in: Journal of Central European Affairs. 31 (1961). S. 21. Vgl. auch Walter Wiltschegg. Die Heimwehr, Wien 1985.

  40. Text der Rede in G. Suarez. Briand. Sa vie — son oevre — avec son journal, Bd. 6. Paris 1952. S. 326f. Der Plan wurde am 17. Mai 1930den Regierungen von 26 Ländern zur Stellungnahme bis zum 15. Juli zugesandt.

  41. Akten der Reichskanzlei; Brüning I, S. 281.

  42. Ebd.. S. 283.

  43. Zitiert bei Wolfgang Ruge/Wolfgang Schumann. Die Reaktion des deutschen Imperialismus auf Briands Europaplan, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 20 (1972). S. 64.

  44. Staatssekretär v. Bülow am 19. 4. 1931. vgl. F. G. Stambrook (Anm. 40). S. 43f.; Peter Krüger. Die Außenpolitik der Republik von Weimar. Darmstadt 1985. S. 532. und die Arbeiten von Hans-Jürgen Schröder zu diesem Thema, u. a.: Die deutsche Südosteuropapolitik und die Reaktion der angelsächsischen Mächte 1929— 1933/34. in: Josef Becker/Klaus Hildebrand (Hrsg.). Internationale Beziehungen in der Weltwirtschaftskrise 1929— 1933. München 1980. S. 343-360.

  45. ADAP (B). XVI. Nr. 174.

  46. Vgl. hierzu Frank Wittendorfer. Industrie. Banken. Politiker und Verbände in Österreich im Widerstand gegen die Wirtschaftspolitik des Jahres 1931. Dargestellt am Beispiel des deutsch-österreichischen Zollunionsprojektes. Phil. Diss.. Innsbruck 1986. sowie Jürgen Nautz. Die österreichische Wirtschaft und die Anschlußfrage, in: Th. Albrich (Anm. 23). S. 385-402.

  47. Karl Renner. Österreich von der Ersten zur Zweiten Republik (nachgelassene Werke. II. Band). Wien 1953. S. 100.

  48. P. Krüger (Anm. 45). S. 533.

  49. Oswald Hauser. Der Plan einer deutsch-österreichischen Zollunion von 1931 und die europäische Föderation, in: Historische Zeitschrift 179. (1955) S. 92.

  50. So der damalige amerikanische Präsident Herbert Hoover.der das Projekt in seiner Bedeutung mit dem Zwischenfall von Sarajewo verglich. Herbert Hoover. Memoiren. Deutsche Ausgabe. Bd. III. Die große Wirtschaftskrise 1929-1941. Mainz 1954. S. 67.

  51. Adolf Hitler. Mein Kampf. 548. -552. Auflage. München 1940. S. 1.

  52. ADAP (D). I, S. 52 („Hoßbach-Protokoll“). Vgl. auch A. Hillgruber (Anm. 3), S. 171.

  53. In der Sitzung am 4. März hatten nacheinander sowohl Präsident des Nationalrates. Renner, als auch die Vizepräsidenten ihre Ämter niedergelegt, um in ihrer jeweiligen Fraktion mitstimmen zu können. Der Ministerrat hatte drei Tage später beschlossen, mit Hilfe des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahre 1917 autoritär zu regieren. Eine neue Sitzung des Nationalrates wurde nicht mehr einberufen, das Kabinett regierte von nun an mit Notverordnungen. die Presse wurde unter Vorzensur gestellt, der Republikanische Schutzbund für aufgelöst erklärt.

  54. ADAP(C). I. S. 483 f. Siehe hierzu auch den Beitrag von Josef Nussbaumer. Die Tausend-Mark-Sperre vom Mai 1933 und der Tiroler Fremdenverkehr, in Th. Albrich u. a. (Anm. 23). S. 307-330.

  55. Zuvor war schon das Zeigen der Hakenkreuzfahne verboten worden; der „Hitler-Gruß“ wurde mit zwei Monaten Gefängnis bestraft.

  56. Das Wiener Landesgericht hatte am 14. Juli 1927 drei „Frontkämpfer“ freigesprochen, die am 30. Januar 1927 im burgenländischen Schattendorf zwei Angehörige des Republikanischen Schutzbundes der Sozialdemokraten erschossen hatten, obwohl der Staatsanwalt die Geschworenen aufgefordert hatte, die Angeklagten schuldig zu sprechen, wenn auch „die moralische Verantwortung für die Ereignisse auf dem Schutzbund laste“. Bei den Demonstrationen am 15. 7. 1927 gab es 89 Tote. 660 Schwer-und 1 000 Leichtverletzte.

  57. Beilage zur Arbeiter-Zeitung. Wien. 26. 7. 1977.

  58. Vgl. hierzu: Das Jahr 1934: 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974 (Wissenschaftliche Kommission des Theodor Körner-Stiftungsfonds und des Leopold Kunschak-Preises zur Erforschung der österreichischen Geschichte der Jahre 1927— 1938). hrsg. v. Ludwig Jedlicka/Rudolf Neck. Wien 1975.

  59. G. Botz (Anm. 3). S. 188.

  60. Zum Juli-Putsch siehe vor allem: Gerhard Jagschitz. Der Putsch. Die Nationalsozialisten im Juli 1934 in Österreich. Graz 1975. Ferner: Österreich 1927— 1938. Protokoll des Symposiums in Wien vom 23. -28. 10. 1972. hrsg. v. L. Jedlicka/R. Neck. Wien 1973 (darin in erster Linie die Beiträge von K. Stuhlpfarrer. Österreichs außenpolitische Lage 1934; L. Jedlicka. Die Ära Schuschnigg; G. Jagschitz. Bundeskanzler Dollfuß und der Juli 1934); Gottfried-Karl Kinder-mann. Hitlers Niederlage in Österreich. Bewaffneter NS-Putsch. Kanzlermord und österreichischer Abwehrsieg von 1934. Hamburg 1984.

  61. Hans-Adolf Jacobsen. Nationalsozialistische Außenpolitik 1933— 1938. Frankfurt-Berlin 1968. S. 436; A. Hillgruber (Anm. 3). S. 169; Norbert Schausberger. Der Anschluß, in: Erika Weinzierl/Kurt Skalnik (Hrsg.). Österreich 1918— 1938. Geschichte der Ersten Republik. Bd. 1. Graz-Wien-Köln 1983. S. 518.

  62. Vgl. Franz Müller. Franz von Papen und die deutsche Österreichpolitik in den Jahren 1934— 1938. in: Th. Albrich, u. a. (Anm. 23). S. 357-384.

  63. Mussolini am 6. 1. 1936 gegenüber Botschafter U. v. Hassell. Vgl. Esmonde Robertson. Zur Wiederbesetzung des Rheinlandes 1936. in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 10 (1962). S. 189.

  64. N. Schausberger (Anm. 62). S. 518.

  65. ADAP (D). Bd. I. S. 231 ff.

  66. Vgl. N. Schausberger (Anm. 62), S. 741. Zum Juli-Abkommen vgl. Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976, hrsg. v. Ludwig Jedlicka/Rudolf Neck, Wien 1977.

  67. Vgl. hierzu Dieter Stiefel, Utopie und Realität: Die Wirtschaftspolitik des Ständestaates, in: Th. Albrich u. a. (Anm. 23), S. 403-434.

  68. N. Schausberger (Anm. 62), S. 522 f. Zu dieser Thematik die detaillierte Arbeit von Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. Der Anschluß, Wien-München 1978. Zur Gesamtproblematik: Anschluß 1938. Protokoll des Symposiums in Wien am 14. und 15. März 1978, hrsg. v. Rudolf Neck/Adam Wandruszka, Wien 1981. Vgl. hierzu auch Dietmar Petzina, Die deutsche Wehrwirtschaftsplanung und der Anschluß Österreichs, in: Th. Albrich u. a. (Anm. 23), S. 453-480.

  69. ADAP I. Dok. Nr. 31. S. 47-52.

  70. Vgl. N. Schausberger (Anm. 62). S. 530.

  71. Vgl. Franz Danimann (Hrsg.). Finis Austriae. Österreich. März 1938. Wien-München-Zürich 1978. S. 49.

  72. Graf Ciano. Tagebücher 1937/38. Hamburg 1949. S. 123.

  73. In fast allen Arbeiten über den Anschluß wird darauf verwiesen, daß in verschiedenen entlegenen Kleingemeinden Österreichs die von Schuschnigg angesetzte Volksbefragung tatsächlich abgehalten worden sei. weil man von den Ereignissen am 11. und 12. März noch nichts gewußt habe, und daß im Vergleich zum 10. April völlig diametrale Ergebnisse erzielt worden seien, einmal 100% für ein unabhängiges Österreich und einmal 100% für den Anschluß. Als erster hat davon Kurt Schuschnigg. Im Kampf gegen Hitler. Die Über-windung der Anschlußidee. Wien 1969. S. 313. berichtet und dabei die Tiroler Gemeinde Tarrenz genannt. Solche Abstimmungen haben nachweislich nicht stattgefunden; dennoch hält sich diese Legende hartnäckig. Vgl. hierzu kritisch Gerhard Botz. Schuschniggs geplante „Volksbefragung“ und Hitlers „Volksabstimmung“ in Österreich. Ein Vergleich, in: Anschluß 1938 (Anm. 69). S. 220-243.

  74. Ausführliche Darstellungen bei N. Schausberger (Anm. 62). S. 534; Erwin Schmidl. März 1938. Der deutsche militärische Einmarsch in Österreich. Wien 1987.

  75. Zitiert bei F. Danimann (Anm. 72). S. 53f.

  76. IMT, XXXIV, S. 336.

  77. Wiener Zeitung. 12. 3. 1938.

  78. Hitlers emphatische Antwort, er werde ihm dies „nie vergessen . . . Nie. nie. nie. was immer geschehen mag“ (IMT. XXXI. S. 368f.). führte zu dem Gerücht. Mussolini habe Hitler als „Morgengabe“ die Rückgabe Südtirols zugesagt. Vgl. hierzu Günther Pallaver. „Ihr Deutsche, gebt uns Brüdern Raum/Da wir nach Norden schreiten.“ Eine großdeutsche Lösung für Südtirol?, in: Th. Albrich u. a. (Anm. 23), S. 221-270.

  79. Faksimile in: Anschläge. Politische Plakate in Deutschland 1900— 1970. hrsg. v. Friedrich Arnold. Ebenhausen 1972. Nr. HO.

  80. Neues Wiener Tagblatt, 2. 4. 1938.

  81. Politische Plakate (Anm. 80), Nr. 111.

  82. Vgl. hierzu auch Thomas Albrich. „Gebt dem Führer euer Ja!“ Die NS-Propaganda in Tirol für die Volksabstimmung am 10. April 1938. in: ders. u. a. (Anm. 23), S. 505-538.

  83. Adolf Schärf, Erinnerungen aus meinem Leben, Wien 1963, S. 267.

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