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Der Technostaat plant seine Zukunft Technologiepolitik in Japan | APuZ 19/1988 | bpb.de

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APuZ 19/1988 Artikel 1 Politik und Wirtschaft in Japan Traditionelle Kooperationssysteme vor neuen Herausforderungen Der Technostaat plant seine Zukunft Technologiepolitik in Japan Die Dynamik des japanischen Arbeitsmarkts Zur Außen-und Sicherheitspolitik Japans

Der Technostaat plant seine Zukunft Technologiepolitik in Japan

Ivan Botskor

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Japans technologische Aufbruchstimmung hat mehrere Ursachen. Dazu gehören Institutionen und Erfahrungen, die das „japanische System von Innovationen“ ausmachen. Zu diesem Netzwerk technologischer Erneuerung gehört vor allem das stetige Kommunizieren über die technischen Herausforderungen in Betrieben, Instituten und Medien. Im historischen Rückblick beherrschen vier Faktoren die japanische Technologiepolitik: Starke Unterstützung der Zentralregierung. Schulung. Technologieimport und Kooperation zwischen Regierung und großen Industriekonzemen. Das Ministry of International Trade and Industry (MITI) nimmt bei der Identifizierung von zukunftsträchtigen Technologien eine Schlüsselrolle ein. Die japanischen Erfolge in den Computer-, Elektronik-und Kommunikationstechnologien sind auf diese langfristige Vorausplanung zurückzuführen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die stetige Neubewertungvon technologischen Prognosen und Trends. Die japanische Technologiepolitik befindet sich in einem Transformationsprozeß: Es wird größeres Gewicht auf die Grundlagenforschung gelegt sowie eine Internationalisierung angestrebt. Es ist beabsichtigt, eine größere Zahl amerikanischer und europäischer Wissenschaftler für japanische Forschungseinrichtungen zu gewinnen.

I. Einführung

Größere Forschungsprojekte in Japan Fünfte ComputerGeneration Hochleistungskeramik Industrieroboter Dreidimensioneile IC Telekommunikation Proteintechnologie Maschinen-verarbeitung 1982-1991 1981-1992 1983-1990 1981-1990 1986-1995 1986-1995 1986-1993 50 9 20 7 70 17 15 Projekt Zeitraum FuE-Kosten (Mrd. Yen)

Innovation und technologische Erneuerung sind eigentlich keine „neuen“ Themen, das allgemeine politische Bewußtsein ihrer langfristigen Bedeutung für die Volkswirtschaften aber ist heute zweifellos eine Neuerscheinung. Die technischen sowie die parallel dazu entstandenen sozialen Veränderungen sind endgültig als die wichtigsten Quellen wirtschaftlicher Dynamik, zwangsläufig jedoch gleichzeitig als Veränderungen, die Instabilität mit sich bringen, erkannt worden. Die Voraussetzung für Konkurrenzfähigkeit ist das technische Knowhow, und das nicht nur für einzelne Betriebe, sondern immer mehr auch für ganze Länder. Dabei besteht kein Zweifel, daß Japan das Industrieland ist, das in den letzten 30 Jahren bei der Beschleunigung der technischen Innovationsrate am erfolgreichsten war. Zahlreiche Indikatoren können diese Leitposition bestätigen

Welche sind die Institutionen und Erfahrungen, die für Japans Dynamik ausschlaggebend waren und es auch weiter sind? Das Wachstum der Produktivität und die parallel dazu vorhandene Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens basieren grundsätzlich auf einem Prozeß der technologischen Erneuerung. Auch neue Produkte, neue Methoden der Produktion, der Distribution und des Marketing gehören zu dieser Kategorie. Das Netzwerk der Institutionen im öffentlichen und privaten Sektor, deren Aktivitäten und Wechselwirkungen neue Technologien einführen, importieren, verändern und auch verbreiten, könnte als ein „nationales System der Innovation“ beschrieben werden. Nachfolgend wird versucht, die japanische Technologiepolitik als Teil dieses nationalen Innovationssystems in Ansätzen zu beschreiben.

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) der industrialisiertesten OECD-Staaten liegen in ihrem relativen Verhältnis zum Bruttosozialprodukt (BSP) ziemlich eng beieinander und verleiten zu einer allzu numerischen Bewertung der staat-liehenTechnologiepolitik. Diese Bewertung kann zu Trugschlüssen führen. Denn die wichtigsten Faktoren sind die Mechanismen der Verbreitung und Aufnahme technologischer Erneuerungen und nicht etwa die Forschungs-und Entwicklungsetats der Staaten oder Firmen. Zahlen lassen sich allerdings einfacher vergleichen, und die Stelle hinter dem Komma gibt so manchem Technologieverwalter das Gefühl, eine faß-und vergleichbare Technologiepolitik zu verfolgen. Auch sind die technologischen Schwerpunkte der Industrieländer nicht allzu breit gestreut: Alle legen großen Wert auf neue Werkstoffe, Mikroelektronik, Raumfahrt, Kommunikation usw. Die Verbreitung innovationsgeladener technischer Erneuerungen in der jeweiligen Wirtschaftswelt ist im Endeffekt jedoch mehr vom Ideenreichtum, von der Dynamik und von den Zukunftserwartungen abhängig als von technischen Details. Die Unternehmer sollten einen solchen Pfad der Innovation eigentlich freiwillig beschreiten und nicht durch staatliche Subventionen dazu gezwungen werden. Erfolgreiche Technologiepolitik bedeutet paradoxerweise vielleicht eher, eine verstärkte soziologische Kommunikation über Technologie auszulösen, als die Forschung und Entwicklung selbst zu fördern. In diesem Zusammenhang ist ein Vergleich zwischen bundesdeutschen und japanischen Medien frappierend: Japan kommuniziert über seine technologische Zukunft und ihre Möglichkeiten sehr intensiv und befindet sich in bezug auf diese Problematik in einer Art permanentem Gärungszustand.

Japans Technologiepolitik war und ist allerdings keine monolithische Konstante, sondern hat auch wichtige Veränderungen durchgemacht. Bereits als die Japaner sich lediglich ein beschleunigtes Einholmanöver der USA und europäischer Industrieländer in bestimmten Bereichen zum Ziel gesetzt hatten, war ihre Technologie-bzw. Industriepolitik sehr erfolgreich. Aus den damals angewandten Methoden vorschnell die „Von-Japan-lernen“ -Folgerung zu ziehen, wäre jedoch ein Irrtum. Diese Lektionen könnten vielleicht für ein Schwellenland wie Korea von praktischem Nutzen sein, den Entscheidungsträgem in entwickelten Industrieländern bie13 ten sie kaum brauchbare Modelle. Japans technologisches Niveau ist heute dem der Weltspitzengruppe ebenbürtig, und das Land ist daher mit ähnlichen Herausforderungen wie die USA und die europäischen Länder konfrontiert. Dementspre-chend ist die wichtigste Frage eigentlich nicht mehr historisch, sondern taktisch formulierbar: Welches sind heute in Japan die wichtigsten politischen Instrumente, um zukünftige Technologien zu fördern?

II. Historischer Rückblick

Es mag befremdlich klingen, doch im historischen Rückblick kann durchaus behauptet werden, daß Japan zu den ersten Ländern gehörte, die eine ausgesprochen breitangelegte „Technologie-Politik“ in der Praxis verwirklicht haben. Als 1853 die amerikanischen Kanonen der Flotte von Kommodore Perry das Land gewaltsam, aber nach den herrschenden imperialistischen Vorstellungen ausgesprochen gerecht, für den Welthandel eröffneten, versetzte dies Japan einen Schock. Trotz eines hohen Alphabetisierungsgrades der Bevölkerung (höher als in den damaligen europäischen Staaten) und einer raffinierten Handwerkstradition, von der kulturellen Vielfalt ganz zu schweigen, war das Land technologisch unterlegen und mußte sich dem Willen der Fremdmacht fügen.

Japan war dabei keineswegs eine Ausnahme — zahlreiche asiatische, afrikanische odersüdamerikanische Länder sind nicht etwa mit der Kultur, sondern zuerst mit der militärischen Spitze westlicher Technologien konfrontiert worden. Außergewöhnlich war jedoch die japanische Reaktion auf die erlittene „waffentechnologische“ Demütigung: Statt gegen diese neuen Technologien, die ja die Sozialordnung hätten verändern können. Widerstand zu leisten, befahlen die seinerzeit in Japan führenden Klassen, sozusagen „von oben“, deren programmatische Aufnahme. Historiker könnten argumentieren, daß die Eröffnung Japans zu einem Zeitpunkt kam, in dem das Shogunat zwangsläufig fallen und durch ein neues, progressives System ersetzt werden mußte. Das mag stimmen. Dennoch ist diese institutionalisierte vertikale Modernisierung eines Landes durch Assimilation fremder Technologien bei gleichzeitiger Erhaltung des Sozialgewebes weitgehend einmalig geblieben.

Nach der Meiji-Restauration 1867 versuchte Japan, vom Westen nicht nur militärische Technologien, sondern gezieltes Know-how auf breiter Ebene zu übernehmen. Das programmatische Erlernen neuer Techniken ebenso wie die Aneignung von Kenntnissen im gesamten Wissenschaftsbereich vollzog sich in zwei Generationen. Bereits 1905, in der Schlacht von Tsushima, gelang es der japanischen Flotte, mit modernen Waffen die zaristische Seeherrschaft im Pazifik zu brechen. Das darauffolgende Zeitalter des japanischen Imperialismus basierte auf dem industriellen und technischen Vorsprung des Landes gegenüber seinen Nachbarn, die entsprechend unterdrückt wurden. Diese Periode fand ihren Abschluß in der bitteren Niederlage, die den Zweiten Weltkrieg beendete.

Es war dies nicht nur eine materielle, sondern auch eine technologische Niederlage, vor allem in Gestalt der vom Gegner entwickelten und erstmals auf Japan abgeworfenen Atombomben. Der oft zitierte, von enormer Opferbereitschaft geprägte „Geist Japans“ war nicht in der Lage, der materiellen und technologischen Macht des Feindes stand-zuhalten.

Der Wiederaufbau nach dem Krieg (einer Zeit, in der nur 15 Prozent der industriellen Infrastruktur noch arbeitsfähig war) war zwar schwierig, erfolgte aber in der alten zentralistischen Tradition. Im Gegensatz zu Deutschland wurde in Japan dieser Zentralismus von der Siegermacht USA nicht gebrochen. Die Ministerien konnten langfristige Pläne entwerfen und in der autoritären Tradition in der Industrie-und Technologiepolitik immer stärker die Richtung angeben. Eine Richtung, die sich mittel-und langfristig offensichtlich als richtig erwiesen hat. Japans heutiger Wohlstand ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen.

Als im 18. Jahrhundert die erste industrielle Revolution in Großbritannien stattfand, verschaffte sich das Land einen beachtenswerten technologischen Vorsprung. Dieser war nicht nur mit einem rasanten Wachstum von Entdeckungen und wissenschaftlichen Aktivitäten verbunden, er ging auch mit neuen Methoden einher, um Produktion und Investition miteinander zu verbinden, ebenso wie präzedenzlose Methoden die Erfindungen mit unternehmerischen Anstrengungen verbanden. Als das Deutsche Reich und die Vereinigten Staaten Großbritannien einholten, basierte ihr Erfolg auch auf den institutioneilen Veränderungen des nationalen Innovationssystems. Es wurden neue Ausbildungssysteme für Ingenieure und Wissenschaftler eingeführt, und Forschung und Entwicklung nahmen in den Unternehmen eine wichtige Position ein.

III. Japanische Innovationssysteme

Dieser historische Vorspann soll gewissermaßen als Brücke dienen zu dem. was allem Anschein nach heute in Japan stattfindet: Zwischen Japan und der Welt entsteht eine technologische Lücke. Diese Lücke besteht nicht in der relativ besseren Qualität und Konkurrenzfähigkeit einzelner japanischer Produkte oder gar in der Skala von Forschungs-und Entwicklungsausgaben, sondern in den langfristigen Veränderungen der soziologischen und institutioneilen Strukturen. Ein bloßer Vergleich der quantitativen Erfolge zwischen dem einen oder anderen Industrieland würde die wichtigere qualitative Bedeutung des japanischen nationalen Systems der technologischen Innovation vernachlässigen. Die wichtigsten Richtlinien japanischer Technologiepolitik waren schon vor dem Ersten Weltkrieg offensichtlich: -Die japanische Zentralregierung war eine beachtliche Triebkraft für die Modernisierung der Wirtschaft.

-Identifizierung von Ausbildung und Schulung als Schlüsselelemente für die Modernisierung.

-Erhebliche Anstrengungen, um die besten Technologien aus dem Ausland zu importieren und. wenn möglich, sie zu verbessern.

-Enge Kooperation zwischen Regierung und großen Industriekonzemen.

Alle Studien über die japanische Industrialisierung betonen diese vier Aspekte. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Politik kaum für Handels-produkte angewandt: Die Prioritäten des japanischen Militarismus waren Stahl. Schiffbau. Flugzeug-und Waffenindustrien. In diesen Bereichen wurde, wenn auch zu sehr hohen Kosten, eine eigene japanische Technologie entwickelt Nach dem Zweiten Weltkrieg verdichteten sich diese Tendenzen und konzentrierten sich auf Handelsobjekte; sie wurden von gesellschaftlichen Veränderungen begleitet, die ihre Wirkung noch verstärkten. Die folgenden Abschnitte sollen die wichtigsten Beiträge von Regierung und privater Hand darstellen, die das japanische nationale Innovationssystem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum effektivsten machten. Es wird versucht, diese Mechanismen nicht tabellarisch zu ordnen, sondern die spezifischen Eigenschaften des japanischen Innovationssystems zu betonen. 1. Das „berüchtigte“ MIT!

Das Ministry of International Trade and Industry (MITI) wurde für manche amerikanischen Kritiker zum Symbol für die „Unfairness“ der japanischen Wirtschaftskonkurrenz. Das mit dem Prädikat „notorius“ (berüchtigt) versehene MITI soll dieser Interpretation zufolge als die eigentliche graue Eminenz hinter dem industriellen Erfolg Japans stehen. Diese extrem vereinfachte Darstellung des MITI ignoriert, neben anderen Faktoren, den sehr wichtigen Beitrag japanischer Unternehmen, die ihr Schicksal selbst lenkten. Zweifelsohne lieferten jedoch die Beamten des MITI dazu Visionen einer technologischen Zukunft. Sie machten aus Japan den Technostaat, der er heute ist und immer stärker wird. Die eigentliche ökonomische Funktion dieses Ministeriums wurde von einem hohen Beamten des MITI wie folgt dargestellt: „Die eigentliche Grundphilosophie hinter der Industriepolitik Japans ist das Prinzip der freien Konkurrenz auf dem Markt. Unsere Hauptaufgabe ist es, Maßnahmen auszudenken, um den Ideenreichtum und die Vitalität von privaten Individuen und Firmen durch eine maximale Effizienz des Markt-mechanismus zu nutzen. Es gibt jedoch auch Probleme, die von den einzelnen Firmen oder dem Marktmechanismus nicht gelöst werden können.

Eines dieser Probleme ist das der öffentlichen Güter und Dienstleistungen, wie zum Beispiel sozialem Kapital und industrieller Infrastruktur. Das Angebot dieser Elemente kann nicht durch den Marktmechanismus entstehen. Das zweite Problem ist die Umweltverschmutzung und die Notwendigkeit, eine harmonische Beziehung zu anderen Ländern zu unterhalten. Diese Art von Problem kann, um das Marktgerüst zu festigen, sogar zu einer ganz neuen Politikformulierung zwingen. Ein drittes Problem ist. langfristig gesehen, die Bewerkstelligung einer optimalen Ressourcenverteilung — auch das ist durch den Marktmechanismus nicht möglich. In diesem Bereich kann und sollte die Industriepolitik eine wichtige Rolle spielen.“

Der letzte Punkt in dieser klaren Selbstdarstellung des MITI ist für die Technologiepolitik Japans von großer Tragweite. Die leitende Hand des MITI hat einen beachtlichen Einfluß auf die langfristigen strukturellen Veränderungen der japanischen Wirtschaft. Diese Richtlinien wurden aufgrund von Schätzungen über die Entwicklung von technologischen Neuerungen und ihre relative Bedeutung ei-ner Technologie gegenüber einer anderen bestimmt. Die klassische ökonomische Theorie, wonach Japan seine niedrige Lohnstruktur für den Ausbau von arbeitsintensiven Industrien, wie zum Beispiel der Textilindustrie ausnützen sollte, wurde von den MITI-Beamten nach dem Krieg nicht akzeptiert. Im Gegenteil, die Ingenieure befürworteten eine erhöhte Effizienz und Innovation in der Produktion. Sie dachten in dynamischen Kategorien: Ihre politischen Blaupausen waren so gestaltet, um den Start in eine neue Ökonomie zu ermöglichen, anstatt einfach den besten Nutzen aus den vorhandenen Ressourcen zu ziehen „Seit dieser Zeit sehen die MITI-Beamten . die Promotion der entwickeltsten Technologien für den größten potentiellen Weltmarkt* als ihre Schlüssel-funktion an. Das MITI war in dieser Hinsicht schon früher als die Wirtschaftsministerien in Nordamerika oder Europa, die sich zumindest in den siebziger und achtziger Jahren für langfristige Technologiepolitik nicht verantwortlich fühlten, anders strukturiert und wurde von ganz anderen Vorstellungen der komparativen Kosten geleitet.“

Obwohl die Verantwortung des MITI für die Förderung fortschrittlicher Technologien seit Ende des Zweiten Weltkrieges akzeptiert wurde, hat sich die Bereitschaft, für diese Verantwortung auch gerade zu stehen, verändert. Im Ausland ist dadurch oft Unklarheit über die Rolle des MITI (und der japanischen Regierung) bei der Förderung technologischer Innovation entstanden. Eine japanische Studie trennt zwischen fünf verschiedenen Perioden: Wiederaufbau (1945 — 1959), schnelle Wachstums-periode (1960— 1969), Periode der qualitativen Konsolidierung (1970— 1979) und seit 1980 eine neue Periode der Kenntnis der intensiven Wirtschaft.

Die starke Förderung der Schwerindustrie in den sechziger Jahren wurde schon 1971 gebremst und eine „Umlenkung in die Kenntnis intensiver industrieller Struktur“ zur Schonung der Umwelt befürwortet. Nur zwei Jahre später bestätigte die Ölkrise die Blaupause des MITI und trafJapan eben wegen der schon vorhandenen Abkehr von den Schorn-Steinindustrien nicht so hart.

Die Rolle des MITI bei technologisch anspruchsvollen Industrien bestand bis Anfang der siebziger Jahre in einer Identifizierung von zukunftsträchtigen Industrien, Ausarbeitung von finanziellen und technischen Hilfen und der Sicherung eines konkurrierenden Oligopols derjapanischen Industrien in dieser Branche. In dieser Periode wurde in Japan praktisch keine ausländische Konkurrenz mittels tarifärer oder anderer Restriktionen zugelassen. Der japanische Konsument hat die hohen Preise in dieser Lernperiode immer bezahlt, gleichzeitig wurde jedoch vom MITI Druck ausgeübt, um die Produktionskosten zu verringern und dadurch internationale Konkurrenzfähigkeit zu erhalten. Als dieser Punkt erreicht wurde, waren Qualität, Preis und (zum Erschrecken der weltweiten Konkurrenz) auch Produktionsmenge einer globalen Marktkonkurrenz durchaus gewachsen.

Eines der wichtigsten Instrumente der Technologie-politik des MITI waren und sind der Aufbau von Forschungsgemeinschaften in technologischen, als zukunftsträchtig eingestuften Bereichen. Daß Spitzenfirmen, die eigentlich Konkurrenten sind, sich zur Entwicklungsforschung zusammenschließen, ist für andere Industrieländer heute noch eine merkwürdige Vorstellung. Der individualistische Westen kann in Friedenszeiten nur mühsam solche Forschungsgemeinschaften bilden. Auch auf Seiten der japanischen Firmen sind solche MITI-Vorschläge nicht immer willkommen. Um jedoch auch nur den Hauch des Verdachts, „für Japans Zukunft etwas nicht zu leisten“, zu vermeiden, beteiligen sich die Unternehmen fast immer an den Vorhaben. Auf diese Art wurde eine wichtige technologische Infrastruktur in Bereichen wie EDV, Mikroelektronik und Automatisierung geschaffen. Forschungsgemeinschaften wie das „Fünfte-Computer-Generations-Programm“ oder neuerdings die „Forschungsgemeinschaft für Supraleitfähigkeit“ werden vom MITI, wenn nicht direkt, so doch indirekt aufgebaut. In letzterer sind sogar ausländische Unternehmen willkommen — ein neues Zeichen der Internationalisierung. Die Rolle des MITI erstreckt sich nicht nur auf die Funktion als Hebamme bei der Geburt neuer Industrien, sondern auch als amtlieher Sterbehelfer für Industrien, die innerhalb der vom MITI festgestellten Strukturveränderungen in Japan keine Zukunft mehr haben. Es ist schwerer. Unternehmen zur Kontraktion zu bewegen als ihnen zur Expansion zu verhelfen, aber volkswirtschaftlich und soziologisch ist es einfacher, dies in geregelter Weise, das heißt ohne Pleiten und Massenentlassungen zu tun. MITI kann sich auch irren: Ein Teil dieser heute sterbenden Industrien war vor 20 Jahren als Sieger ausgewählt worden, die ÖlB krise jedoch hat alle Extrapolationen zunichte gemacht 2. Informationstechnologie Seit Anfang der siebziger Jahre lag der Schwerpunkt der japanischen Technologiepolitik in der Förderung der Entwicklung einer sogenannten Informationsindustrie. Diese Technologien wurden von den Planem der Regierung als die strategischen Industrien für Japan identifiziert. Zu dem Gesamtprogramm zählen Computer, mikroelektronische Komponenten, Software und seit Anfang der achtziger Jahre auch die Kommunikationsmedien. Der Aufbau der japanischen Computerindustrie bedeutete für die Regierung nicht nur harte Arbeit, sondern auch große Subventionen. Dennoch war Japan. im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern, in denen die heimische Computerindustrie ebenfalls mit großen Staatshilfen gefördert wurde, erfolgreich. Die Regierung kaufte für Universitäten und staatliche Laboratorien nurjapanische Computer, auch wenn diese nicht die geeignetsten waren. 1961 wurde die JECC (Japan Electronic Computer Corporation) kreiert, die japanische Computer der sieben heimischen Hersteller kaufte, um sie auf dem Markt in Konkurrenz zu IBM zu leasen. In den ersten zehn Jahren kaufte JECC immerhin japanische Computer im Wert von mehr als sieben Mrd. US-Dollar. Diese Politik ergänzte die eigentliche Triebkraft der japanischen Computerhersteller, so daß 1977 die letzten Subventionen und auch Schutz-wälle abgebaut werden konnten. Von allen Industrieländern ist Japan das einzige, in dem IBM weniger als 50 Prozent des Marktes beherrscht (27 Prozent)

Die enorme Wichtigkeit von Halbleitern als Schlüsselkomponenten nicht nur für Computer, sondern auch für zahlreiche andere Produkte, wurde von der Regierung erkannt. Hier erfolgte der schon klassische Aufbau einer Forschungsgemeinschaft unter der Aegide des MITI: 1976 wurde das VLSI (Very Large Scale Integrated Circuit) -Projekt gestartet, dessen Ziel es war, einen Megabitspeicher in einen DRAM-Chip zu integrieren. Zur Forschungsarbeit aufgefordert wurden Fujitsu, Hitachi, Mitsubishi, NEC und Toshiba, dieselben Firmen, die 1970 eine Vorstufe dieser Entwicklung durchgemacht hatten. Hundert Forscher aus diesen Firmen und dem MITI Electrotechnical Laboratory arbeiteten in dem gemeinsamen Forschungsinstitut.

Circa 74 Mrd. Yen wurden ausgegeben (rund 40 Prozent davon staatlich); als 1979 die Ziele erreicht waren, wurde das Projekt beendet. Der zeitliche Vorteil, aber auch der Lernvorteil, den dieses Entwicklungsvorhaben der japanischen Technologieforschung brachte, können gar nicht stark genug betont werden Sogar Siemens, für die Entwicklung des 1-Megabit-DRAM-Chips vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) stark gefördert, hat im Endeffekt Toshiba diese Technologie vor zwei Jahren abgekauft.

Obwohl die japanischen Regierungshilfen finanziell für die Hochtechnologieindustrie eher kleinere Subventionen blieben, ist das allgemeine Interesse und die Beteiligung der Regierung an diesen Projekten sehr groß. Die Informationsindustrie kann als der bisher größte Erfolg der Technologiepolitik des MITI angesehen werden. Auch darf die Öffentlichkeitsarbeit, die solche „Überzeugungsprozesse“ begleitet, nicht ignoriert werden. MITI betont, daß seine Technologiepolitik grundsätzlich „sanft“ sei, da sie positive Rahmenbedingungen erzeuge, die dann von den Unternehmen freiwillig verfolgt würden.

Das hier kurz dargestellte Verfahren beinhaltet einen enormen Zeit-und Organisationsaufwand Zuerst muß Klarheit über ein Zukunftsszenario geschaffen werden, für das viele Experten befragt, detaillierte Szenarien für das weitere Vorgehen durchdacht und Kontakte zu den interessierten Unternehmen aufgebaut werden müssen. Im Idealfall ist die ursprünglich von der Regierung aufgebrachte Hilfe nur als erster Anstoß gedacht: Die erreichten Zwischenerfolge bei der gemeinsamen Forschung überzeugen die Unternehmen und spornen sie zu noch mehr Investitionen an. Besonders wichtig im Bereich der Mikroelektronik war. daß mehrere gleichrangige Konzerne kooperierten bzw. stark konkurrierten — in Deutschland wäre dies undenkbar. 3. Der umgekehrte Maschinenbau Technologiepolitik könnte, genau wie die Ökonomie, in eine Mikro-sowie eine Makrotechnologiepolitik getrennt werden. Die Auswertung von Prognosen, Analysen von Entwicklungen, Förderung von neuen Methoden von Seiten der Regierung gehören sicherlich zum Makrobereich. Dem Mikrobe-reich muß jedoch eine japanische Eigenschaft, der „umgekehrte Maschinenbau“ zugeordnet werden. Das ursprüngliche Ziel des „umgekehrten Maschinenbaus“ in Japan lag in den Aufnahme-und Verbesserungsmethoden, die verwendet wurden, um die importierten Technologien anzuwenden. Grundsätzlich versucht man. nach genauer Studie eines fertigen ausländischen Produktes, dieses ohne ursprüngliche Pläne oder Blaupausen herzustellen. Die sehr breite Anwendung des „umgekehrten Maschinenbaus“, das heißt, den Produktionsprozeß nach dem Produkt zu entwickeln, hat weitreichende Konsequenzen für die japanischen Innovationssysteme gehabt. 1. Japanische Ingenieure und Industriearbeiter haben sich angewöhnt, die gesamte Herstellung als einheitliches System zu betrachten und dementsprechend Produkt-und Produktionsprozeßentwicklung als integrierte Einheit zu sehen. Die Fähigkeit, das ganze Produktionssystem neu zu gestalten. wurde für viele japanische Industrien zur Quelle des Konkurrenzvorteils (Schiffbau. KfZ oder Konsumelektronik). Um Qualität und Produktivität zu steigern, machten die japanischen Unternehmen weniger radikale Veränderungen als vielmehr viele kleine Verbesserungen. 2. Japanische Ingenieure und Unternehmer machen es sich zunehmend zur Routine. Fabriken auch als Laboratorien zu verwenden. Die Arbeit der Forschungs-und Entwicklungsgruppe ist eng mit der der Produktionsingenieure verbunden, zum Teil kaum von dieser zu unterscheiden. Das ganze Unternehmen wird in diese Lernprozesse einbezogen und der sowieso schon starke horizontale Informationsfluß dadurch weiter verstärkt. 3. Der umgekehrte Maschinenbau zwang in der Automobil-und Maschinenbauindustrie zu einer sehr engen Zusammenarbeit mit den Lieferanten.

Die meisten Studien über Innovationsmanagement in Westeuropa und den USA zeigen, daß der häufigste Grund für die Erfolglosigkeit in mangelhafter Kooperation zwischen Forschung, Entwicklung, Produktion, Management und Marketing liegt. Vor diesem Hintergrund zeigt der integrative Effekt des „umgekehrten Maschinenbaus“ in allen diesen Stufen den beachtlichen Vorteil für japanische Unternehmen. 4. Ausbildung und Schulung Die Verwirklichung von Konzepten wie das der „Fabrik als Laboratorium“ ist eng mit gesellschaftlichen Veränderungen verknüpft. Eine wichtige Säule war ein breit angelegtes und sehr anspruchsvolles Ausbildungssystem, aber auch eine Entwicklung, die tätigkeitsbedingte soziale Unterschiede in den Fabriken auflöste: Der Angestellte wurde zum Arbeiter und umgekehrt. Das japanische Ausbildungssystem geht zumindest unter zwei wichtigen Aspekten weiter als das in Deutschland:

— Eine, relativ gesehen, größere Anzahl von jungen Leuten genießt eine höhere Ausbildung, insbesondere in Wissenschafts-und Ingenieurkarrieren. — Ausmaß und Tiefe der Ausbildung in den Betrieben wird, ungeachtet des steigenden Ausbildungsniveaus der Graduierten, weiter ausgebaut. Der generell hohe Ausbildungsgrad der Bevölkerung dient einer breiten Akzeptanz von technologischen Innovationen. 5. Technologische Voraussagen Japan hat seit dem Zweiten Weltkrieg seine Investitionen in Forschung und Entwicklung schneller erhöht als jedes andere OECD-Land. Der „Output“ der japanischen Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft zeigt, daß die investierten Ressourcen mit mehr Effizienz verwendet wurden als in anderen Ländern. Dabei könnte argumentiert werden, daß das nationale System von Innovation in Japan institutionell, unternehmerisch und gesellschaftlich in diese technologische Richtung weist. Zweifelsohne ist eine sehr wichtige Eigenschaft dieser technologischen Systeme die rechtzeitige (und korrekte!) Identifizierung der Schlüsselbereiche, die als zukunftsträchtig gelten. Bei falschen Zuordnungen von Zukunftsbereichen könnten automatisch riesige Fehlinvestitionen und Ressourcenmißbrauch entstehen. Es ist klar, daß ein wesentlicher Bereich der japanischen Technologiepolitik-Planung die vernünftige Voraussage von bedeutsamen Entwicklungstendenzen ist, und zwar nicht nur technologisch, sondern auch wirtschaftlich und sogar gesellschaftlich. Zukunftsprognosen sind wichtiger Arbeitsstoff für ministerielle Technokraten und Unternehmensplaner.

In Japan wird sehr viel Energie darauf verwendet, Zukunftsmodelle in vielen möglichen Varianten durchzurechnen. Prognosen darüber, wie das Land, die Präfekturen oder die Firmen in zehn oder mehr Jahren aussehen könnten, werden in die heutige Planung durchaus ernsthaft einbezogen. Seit 1969 führt das Wissenschafts-und Technologieamt umfangreiche Befragungen von Wissenschaftlern über die Erwartungen in den nächsten 30 Jahren durch. Die Auswertung dieser Umfragen dient nicht nur als Grundlage für die Technologiepolitik der Regierung, sondern gleichzeitig auch als Orientierungshilfe für die Industrie. 6. Technologische Prognosen: Im Jahr 2014 — Künstliches Auge für Blinde Im Auftrag des japanischen Amts für Wissenschaft und Technologie ist im Herbst 1987 die vierte Expertenumfrage durchgeführt worden mit dem Ziel, für die kommenden Jahre fundierte Prognosen über die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen im Lande zu erstellen. Der seit 1971 alle fünfJahre vorgelegte Fragenkatalog ist weltweit der umfangreichste, dessen Ergebnisse der Regierung und Industrie als Rückkopplungsinformation dienen. Für die jüngste Erhebung sind zwei Jahre lang die Meinungen von 3 000 Experten in 1 071 Bereichen gesammelt worden.

Daß die nachfolgende Auswahl der wichtigsten Voraussagen keineswegs als bloße Science-fiction-Spekulation abgewertet werden sollte, beweisen die Prognosen der ersten Umfrage aus dem Jahre 1971: heute sind sie zu 70 Prozent bereits eingetroffen.

Ein Blick über den Zeit-Horizont 2003 * Künstliches Ohr wird konstruiert.

* Anti-Virus-Medikamente allgemein in 1993 * Überschreibbarer optischer Speicher Gebrauch.

wird vermarktet. 2004 * Raumfahrzeug beginnt Geschäftsbetrieb. * Supraleitfähiges Material mit Temperatur von flüssigem Stickstoff (77K) wird * Erfolgreiche Vorhersage von Vulkanausbrüchen hergestellt. mehrere Tage im voraus.

1996 * Maschinen können miteinander kommunizieren. * Wachstum von Krebs innerhalb der Zellen nun rückgängig zu machen.

* Erfindungen für geschützte Computer 2006 * Erfindung von künstlichen Organen, die vollendet. menschliche anatomische Elemente verwenden. 1997 * Ein Heilmittel für AIDS gefunden.

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ins Japanische erfährt breite Anwendung in Büros. 2007 * Erdbeben der Stärke 7. 0 auf der Richter-Skala Organtransplantationen wie in den können mehrere Tage vorhergesagt USA. werden.

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wird entwickelt.

2008 * Raumfahrt-Tourismus wird Wirklichkeit. * Roboterschwestem sorgen für Bettlägerige und Alte.

2009 * Der Mechanismus des Krebswachstums * Dauerhafte künstliche Zahnwurzeln werden aufgeklärt.

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2010 * Wasser-Kraftstoff-Auto entwickelt.

2000 * Supercomputer, die 10 Mrd. Rechnungen pro Sekunde durchführen können, werden * Vorbeugemaßnahmen gegen Alters-schwachsinn eingeführt. verfügbar.

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2002 * Maßnahmen werden entwickelt, um das 2013 * Altersschwachsinn nun behandelbar.

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zu verhindern. 2014 * Künstliches Auge entwickelt.

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IV. Japans Beitrag zur Grundlagenforschung

In der Geschichte seiner industriellen Vergangenheit hat Japan bewiesen, daß der Ursprung eines bestimmten Ergebnisses aus Forschung und Entwicklung keineswegs von Bedeutung ist. Wichtig ist vielmehr, dessen Wachstumsbereich zu erkennen und bei der Umsetzung dieser Ideen in industrielle Produkte über einen langen Atem zu verfügen. Offensichtlich war und ist es für die japanische Industrie zum Teil wirtschaftlicher, das Grundlagenwissen aus dem Ausland zu beschaffen, als es selbst zu entwickeln. Allerdings dürfte das inzwischen verbreitete internationale Bewußtsein über die enorme Bedeutung von Forschungsergebnissen den in der Vergangenheit freizügigen Transfer von Technologie (vor allem aus den USA) einigermaßen bremsen. Deshalb wird in japanischen Regierungskreisen versucht, Staat und Industrie zu höheren Anstrengungen im Bereich der Grundlagenforschung zu motivieren. So ist bereits das vom Amt für Wissenschaft und Technologie herausgegebene Weißbuch 1983 „Zum Aufbau einer neuen Technologie für das 21. Jahrhundert“ ein langes Plädoyer für mehr Grundlagenforschung. Es wird dort behauptet. Japan habe „noch nicht das Niveau anderer Industrieländer erreicht, um selbständig neue industrielle Technologien zu entwickeln“. Diese Fähigkeit, so das Weißbuch, ist stark von den breit angelegten Ergebnissen in der Grundlagenforschung abhängig, ein Bereich, in dem „der Beitrag Japans als Mitglied der internationalen Gemeinschaft klein ist“.

Die Firmen betreiben vornehmlich eine Forschung und Entwicklung, die sich schnell in Produkten (oder deren Verbesserung) niederschlägt. Dabei werden, sehr zum Nachteil für Europa und die USA, 95 Prozent der wissenschaftlichen und technischen Veröffentlichungen nur auf japanisch verfaßt. Denn zu Unrecht nehmen die meisten westlichen Forscher nach wie vor an, daß alles, was in einer für sie unverständlichen Sprache geschrieben ist. zwangsläufig unwichtig sein muß.

Das Ergebnis ist eine immer breiter werdende Informationsschere zugunsten Japans: Währendjapanische Wissenschaftler Zugang zu sämtlichen Informationen aus dem Ausland haben, profitieren Europäer und Amerikaner nur von einigen wenigen Übersetzungen aus dem Japanischen. Akut wird dieser Informationsmangel bei der angewandten Technologie: In diesem Bereich sind die Japaner überhaupt nicht darauf erpicht, freiwillig Übersetzungen zu liefern.

Experten zufolge bereitet Japan eine neue technologische Innovationswelle vor.deren Ergebnisse auch für andere Industrieländer von Interesse sein werden. Diese Welle, so die Ansicht von Fumio Kodama von der Saiama-Universität, wird sich eher in der kreativen Kombination von bereits vorhandenen als in der Erfindung grundsätzlich neuer Technologien niederschlagen.

Zu der Reihe von Hinweisen, die diese Theorie unterstützen, gehört die Wortschöpfung „Mechatronics“: die technologische Fusion von integrierter Mikroelektronik und Präzisionsmechanik bei einem Produkt. Zahlreiche an „Mechatronics“ orientierte Produkte, wie beispielsweise Werkzeugmaschinen, Videorecorder oder Industrieroboter, sind bereits stark in der japanischen Produktionspalette repräsentiert. Kodama zufolge liegt die Stärke japanischer Unternehmen in der erfolgreichen Kooperation von verschiedenen, auf unterschiedlichen Gebieten spezialisierten Industrien, um ein innovatives Produkt zu entwickeln. Darüber hinaus, so Kodama weiter, investieren japanische Firmen in die Erforschung von Bereichen, die außerhalb der eigenen Produkte liegen, in der Hoffnung auf die nicht selten zustande gekommenen „Querbefruchtungen“

Japan baut heute immer mehr auf Forschungskapazitäten: Staatliche und private Institutionen verfügen über bessere und modernere Ausrüstung und Finanzierung. Europäer und Amerikaner sind sich jedoch noch keineswegs hinreichend bewußt, daß es in Japan schon heute sowohl in technologischer als auch in wissenschaftlicher Hinsicht viel zu lernen gibt. Der technische und wissenschaftliche Austausch qualifizierter Wissenschaftler verläuft eindeutig zugunsten Japans. Nicht etwa, weil es an Stipendien fehlt, sondern weil es oft an europäischen oder US-Kandidaten mangelt. Naturwissenschaftler und Ingenieure, die der japanischen Sprache mächtig sind, gibt es in Europa (in den USA ändert sich dies bereits) sehr wenige. Dabei ist es jedoch höchste Zeit, Japans technologische Bedeutung realistisch wahrzunehmen und nicht weiter auf den historischen europäischen Lorbeeren auszuruhen.

V. Der Schatten des Techno-Nationalismus

Die rasante Entwicklung Japans in wichtigen Bereichen der Forschung und Entwicklung hat das Bewußtsein der meisten Europäer noch nicht erreicht — noch spukt in zu vielen Köpfen das vereinfachende Urteil, daß Japaner „nur kopieren können“. In den USA hat sich das bereits geändert, denn Japans organisierte, großangelegte Forschungskampagnen und die oft damit verbundenen Erfolge ängstigen viele Amerikaner: Es wird befürchtet, daß Japan nicht nur die industrielle, sondern auch die wissenschaftliche Oberhand gegenüber den USA gewinnen könnte. Die „Japan bashing“ -Reaktion, von Robert Reich als Techno-Nationalismus beschrieben, wird seitens der USA als ein neuer Versuch gewertet, die Früchte amerikanischer Forschung im Land zu behalten und die Verwendung dieser Ergebnisse für das Ausland (speziell Japan) erheblich zu erschweren. Es ist das auf die Technologie angewandt alte Argument des „free ride“ Japans (das seine wirtschaftlichen Vorteile angeblich auf Kosten der US-Verteidigung erreicht hat). Die Einstellung der USA ist in letzter Zeit sehr viel konkreter geworden: So waren zum Beispiel im Juli 1987 auf einer Konferenz über Supraleitfähigkeit in Washington Ausländer nicht willkommen; auch der Versuch einer japanischen Organisation, Grundlagenforschung an der Rockefeller Universität zu finanzieren, wurde abgelehnt.

Der empfindlichste Bereich ist der der Mikroelektronik, bei der der japanische Vorsprung, wie erwähnt, nicht von ungefähr kommt, da die militärische Komponente sehr hoch ist. Das wissenschaftliche Beratungsamt für das Pentagon errechnete, daß bei den 25 wichtigsten mikroelektronischen Technologien die Japaner bei 13 voraus, bei sieben gleich und nur bei fünf hinter der US-Technologie stehen. Reich schätzt sogar, daß heute 40 Prozent aller integrierten Schaltungen, die das Pentagon verwendet, aus Japan kommen. Noch besorgniserregender ist der anerkannte japanische Vorsprung in der Optoelektronik, dem Kommunikationssystem der Zukunft. Der Anfang der siebziger Jahre in einem Positionspapier des MITI stehende Satz, daß „Mikroelektronik in Zukunft so wichtig sein wird wie heute das Öl“, klang damals zu dramatisch — rückwirkend gesehen, klingt er heute prophetisch.

Das weltweite Interesse an der Supraleitfähigkeit zeigt insbesondere die Dynamik, die in Japan ausgelöst worden ist. Die vorhandene japanische technologische Infrastruktur funktioniert bei einem so weittragenden Thema sehr effektiv und ist innerhalb Japans sehr integrativ. Das MITI hat die vorhandenen Mittel für die Forschung von Supraleitfähigkeit innerhalb eines Jahres versiebenfacht, trotzdem bleibt der absolute Betrag gering (circa 45 Mio. DM). Der wichtigste Faktor ist nach wie vor die geballte Forschungskraft der privaten Industrie, die Interesse, trainierte Forscher und genügend Liquidität besitzt.

VI. „Wir müssen unsere Technologiepolitik ändern“

Am Anfang dieses Berichtes wurde behauptet, daß das japanische Innovationssystem im Vergleich mit den konkurrierenden Industrieländern das erfolgreichste war und ist. Diese Feststellung bedeutet keineswegs, daß die Japaner selber die vorhandenen Mechanismen kritikfrei betrachten — im Gegenteil, es wurden bereits mehrere Mängel festge-stellt. Mängel, die zum Teil zu einer Veränderung der staatlichen und privaten Forschungsmethoden und -ziele führten. „Japan kann nicht mehr nur Grundlagenforschungsergebnisse aus dem Ausland verwenden“: So oder ähnlich lauteten in letzter Zeit immer wie-21 der Untertitel in japanischen Zeitungsartikeln oder Zeitschriften Dieser dringende Appell befürwortet einen breiten Einstieg in „ziellose“ Grundlagenforschung, denn nur so kann der komplexe Horizont des Ideenreichtums gepflegt werden. Merkwürdigerweise scheint diese Tendenz in Japan genau in die entgegengesetzte Richtung als in der Bundesrepublik zu laufen, wo eine höhere Anwendungsorientiertheit die Tagesparole ist. Japanische Staatslaboratorien, aber auch die Forschungszentren privater Unternehmen sind immer mehr bemüht. Ausländer (mit Präferenz vielleicht Amerikaner) aufzunehmen, um zu beweisen, daß sie aktiv „internationalisieren“ und bereit sind, die vor Jahren im Ausland aufgenommenen Lehren jetzt zurückzugeben. Wie schon erwähnt, ist die Anzahl ausländischer Forscher, die dieses Angebot annehmen können, relativ gering: Japan wird als Arbeitsland noch mit dem Schwierigkeitsgrad „hoch“ eingestuft. Zum einen, weil Japanisch als Fremdsprache kaum gelehrt wird und zum anderen, weil die Japaner selbst trotz guten Willens eine unzureichende Infrastruktur für ausländische Forscher anbieten

Der japanische Stolz war nach der Nachricht, daß Tonegawa 1987 den Nobelpreis für Medizin gewonnen hatte, etwas angeschlagen, da er ihn eigentlich für seine Arbeit in den USA erhalten hatte. Tonegawa wurde in seiner Kritik an der Universitätsforschung in Japan besonders deutlich: Das tief eingefleischte Senioritätsprinzip läßt den jungen und aktiven Forschem keine Chance, sich selbst etwas aufzubauen. Sie müssen ein Schattendasein hinter den älteren, würdigeren „Sensei“, den Lehrern, führen und nicht wenige wählen, um der fachlichen Frustration zu entgehen, die keineswegs einfache „wissenschaftliche“ Emigration in die USA, Kanada oder Europa.

Die großen Pläne von „Wissenschaftszentren“, wie zum Beispiel das von Tsukuba nördlich von Tokyo, sind nicht leicht zu verwirklichen: Die soziale Infrastruktur ist erheblich schwieriger zu planen als Laborgebäude. Darüber hinaus ist die mächtige japanische Bürokratie eine schwere Last für staatliche Laboratorien. Das Ersetzen oder die Modernisierung von Laborgeräten bedeutet meist einen Spießrutenlauf, daher ist ein chronischer Mangel an Laborausrüstungen für fast alle Universitäten charakteristisch. Eine Umfrage der Chemischen Gesellschaft Japans kam Ende 1987 zu dem Ergebnis, daß 50 Prozent aller Chemiker in japanischen Universitäten über einen Mangel an Laborausrüstungen klagen. die mehr als zehn Mio. Yen kosten würden. Das Bildungsministerium betrachtet Forschung nur als eine der verschiedenen Kategorien, die vom jährlichen Haushalt bestritten werden müssen. Für technisches Personal ist beträchtlich weniger Geld vorhanden als in Europa oder den USA. so daß führende Forscher gezwungen sind. Routinewartungen oder Putzarbeiten eigenhändig durchzuführen. „Die Universitäten in Japan produzieren viel weniger wichtige Ergebnisse als die amerikanischen“, behauptet mit Recht der Vizepräsident von Hitachi, Hiroshi Watanabe.

Entsprechend stiften japanische Konzerne mehr Spenden an amerikanische Universitäten (mehr als 40 Lehrstühle allein an das Massachusetts Institut of Technology, MIT) als an japanische Universitäten Japans Sprung in die breitangelegte Grundlagenforschung wird sich nicht einfach gestalten. Für seine systematische Verwirklichung muß noch ein breiter nationaler Konsensus gefunden werden, bis das ganze Land bereit ist, die Kosten zu tragen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. H. Grupp/O. Hofmeyer, A Technometric Model for the Assesment of Technological Standards and their Application toselected Technology-Intensive Products, in: Technological Forecasting and Social Change, 30 (1986), S. 123-137.

  2. I. Yamauchi, Long Range R & D [Research & Development], in: C. Freeman (ed.), Design, Innovation and Long Cycles in Economic Development, London 1986, S. 169185. P

  3. S. Fukukawa, Features of the Industrial Policy of Japan, Vortrag vor dem Club Franco-Japonaise, 1982.

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  5. C. Freeman, Technology Policy and Economic Performance: Lessons from Japan. London-New York 1987.

  6. K. Koshiro, Japans Industrial Policy for New Technologies, Center for International Trade Studies, Yokohama National University, Yokohama 1985.

  7. H. Patrick, Japans High Technology Industries, Tokyo 1986.

  8. K. Imai, Japan’s High Technology Industries, in: H. Patrick (ed.), Japan’s Industrial Policy for High Technology Industry, Washington 1986.

  9. G. Gregory, Japanese Electronics Technology: Enterprise and innovation, Tokyo 1985.

  10. H. P. Renkel. Technologietransfer-Management in Japan, Bergisch-Gladbach—Köln 1985.

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  12. I. Botskor. Technostaat Japan — ein Testfall für den gesamten Globus?, Stuttgart—Wien 1986.

  13. Nikkei Magazine vom 21. Januar 1988, S. 1.

  14. Scientific and technical Cooperation Between Japan and Selected EC Member States — Survey and Present Status, Ostasien-Institut, Bonn 1986.

  15. International Exchange of Scientists in Japan — Nomura Institute Study for the STA, 1986.

  16. Nikkei Magazine vom 25. November 1987, S. 1.

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