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Zur Außen-und Sicherheitspolitik Japans | APuZ 19/1988 | bpb.de

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APuZ 19/1988 Artikel 1 Politik und Wirtschaft in Japan Traditionelle Kooperationssysteme vor neuen Herausforderungen Der Technostaat plant seine Zukunft Technologiepolitik in Japan Die Dynamik des japanischen Arbeitsmarkts Zur Außen-und Sicherheitspolitik Japans

Zur Außen-und Sicherheitspolitik Japans

Joachim Glaubitz

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Grundlagen japanischer Außen-und Sicherheitspolitik haben sich seit Jahrzehnten nicht prinzipiell verändert. Wegen seiner hohen Außenabhängigkeit, bedingt durch das Fehlen eigener Rohstoff-und Energieträger, bleibt Japan auf sichere Seeverkehrsrouten angewiesen und ist an einer möglichst konfliktfreien Welt interessiert. Verfassung und öffentliche Meinung verbieten der Regierung den Aufbau eines angemessenen Militärpotentials. Somit ist Japans Sicherheit von einem dauerhaften Bündnis mit den USA abhängig. Trotz ernster Friktionen in den Handels-und Wirtschaftsbeziehungen gibt es zu diesem Bündnis keine realistische Alternative. Das Verhältnis zur Sowjetunion, die als stärkste potentielle Bedrohung wahrgenommen wird, ist durch ein Territorialproblem belastet, für das in naher Zukunft keine Lösung zu erkennen ist. Dieser Zustand beeinträchtigt auch den Handel, zumal die Regierung in Tokyo gegenüber Moskau die Untrennbarkeit von Politik und Wirtschaft vertritt. Hingegen haben sich seit ihrer Normalisierung 1972 die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen zu China dynamisch entwickelt und Japan zu dessen wichtigstem externen Partner für die Modernisierungspolitik werden lassen — trotz gelegentlicher Irritationen, die mit Japans Neigung zur Retuschierung seiner unheilvollen Expansion auf dem asiatischen Kontinent Zusammenhängen. Dieses Problem betrifft gleichermaßen Japans Verhältnis zu Korea und den ASEAN-Staaten. Obwohl als Wirtschaftspartner für diese Länder unentbehrlich, würde eine politische Führungsrolle Japans in der Region auf vehemente Ablehnung stoßen. Sowjetische Machtentfaltung in Asien hat Japan in den achtziger Jahren die Unteilbarkeit der Sicherheit des Westens erkennen lassen. Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Westeuropa bleibt jedoch noch weit hinter der erwünschten Intensität zurück.

I. Einleitung

„Es ist meiner Überzeugung nach notwendig, daß wir in aller Deutlichkeit Japan als ein Land herausstellen. das einen Beitrag zur internationalen Völkergemeinschaft leistet und daß Japans Wohlstand und Stärke der Welt zum Nutzen gereicht. In diesem Sinne habe ich die Absicht, die japanische Außenpolitik in Übereinstimmung mit den fundamentalen Richtlinien weiter zu verfolgen, die bisher entwickelt worden sind.“ Mit diesen Worten leitete Ministerpräsident Noboru Takeshita den außenpolitischen Teil seiner Regierungserklärung vom 27. November 1987 ein.

Zu den „fundamentalen Richtlinien“ der japanischen Außenpolitik gehört seit zwei Jahrzehnten, daß die Außenbeziehungen des Landes in einer möglichst konfliktfreien Umgebung zu gestalten sind. Die Erfahrungen, die Japan bei der tiefgreifenden Umgestaltung der internationalen Beziehungen in Ostasien gegen Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre machen mußte, scheinen bis heute nachzuwirken. Damals befand sich Japan in außenpolitischer Stagnation und sicherheitspolitischer Ratlosigkeit. Ministerpräsident Tanaka beendete diese Situation und legte mit der Normalisierung der Beziehungen zu China die Grundlage für eine aktive Außenpolitik. Japans Lage im Schnittpunkt der Interessen der beiden Weltmächte und Chinas, das Gewicht seiner Wirtschaft und die noch unbestimmte Gesamtsituation der Region gaben seiner künftigen Entwicklung eine über den asiatisch-pazifischen Raum hinausreichende Wirkung.

Für ein Verständnis dieser Problematik scheint die Kenntnis der grundlegenden Bedingungen japanischer Außen-und Sicherheitspolitik hilfreich. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben zwar in Europa ihre Einflußsphären klar abgegrenzt und teilweise auch vertraglich fixiert; für den gesamten asiatischen Raum — vom Nahen bis zum Femen Osten — steht eine ähnliche Festlegung jedoch noch aus. Sie wird, falls sie überhaupt erreichbar ist, bis zum Ende dieses Jahrhunderts besten-falls in Teilräumen verwirklicht werden können; denn eine Regelung ist hier nicht nur von den beiden Weltmächten USA und Sowjetunion abhängig. Die Mitsprache Chinas und möglicherweise auch Japans wird erforderlich sein.

Auch in Asien sind es vor allem aus Staatenteilungen entstandene Instabilitäten, von denen Unsicherheit ausgeht: die Folgeprobleme des Vietnam-konflikts, die Gegensätze auf der koreanischen Halbinsel, das Schicksal Taiwans, das als Relikt eines unbeendeten Bürgerkriegs einer Lösung harrt. Dies sind kritische Punkte in einer Region, von deren politischem Zustand die Sicherheit Japans in hohem Maße abhängt. Japan hat seit der Niederlage von 1945, der ersten in seiner Geschichte, ein gebrochenes Verhältnis zu seiner Tradition und zu seinen Nachbarn in Ost-und Südostasien, die unter dem japanischen Imperialismus zu leiden hatten.

Die ersten eindrucksvollen Erfolge des japanischen Wirtschaftsaufschwungs nach dem Kriege waren eher Ausdruck eines unreflektierten Willens zur Selbstbehauptung als eines organischen Wiederaufbaus. Die innere Unsicherheit wurde durch spektakuläre Wachstumsraten verdeckt. Es bedurfte 1971 nur weniger grundsätzlicher Korrekturen der amerikanischen Asien-und Wirtschaftspolitik, um Japan von „Nixon shocks“ sprechen zu lassen und die Unselbständigkeit seiner Außenpolitik und die Anfälligkeit seiner vom Export in die USA besonders abhängigen Wirtschaft bloßzulegen. Unter den führenden Industrienationen ist heute wohl kaum eine in ihrer wirtschaftlichen und politischen Stabilität so außenabhängig und damit verwundbar wie Japan. Das fast völlige Fehlen eigener Rohstoff-und Energiequellen und die enge politische und wirtschaftliche Bindung Japans an die USA — eine Folge der Entwicklung der internationalen Lage in Ostasien nach 1945 — sind die zentralen Ursachen für die Außenabhängigkeit des Landes mit all ihren außen-und sicherheitspolitischen Konsequenzen.

Die amerikanisch-sowjetische Rivalität, die sich nach 1945 auch in Ostasien rasch herausbildete, wurde teils von Japan mit Geschick genutzt, teils zwang sie die USA zur Änderung ihrer Politik: Der einstige Kriegsgegner der Vereinigten Staaten ent33 wickelte sich rasch zu einem engen Verbündeten, der sich alle Mühe gab. mit dieser Allianz die Sowjetunion so wenig wie möglich zu provozieren. Das Ergebnis dieser Politik war für Japan ein hohes Maß an innerer und äußerer Sicherheit zu außerordentlich geringen Selbstkosten.

Ein wesentlicher Impuls für das Zustandekommen des amerikanisch-japanischen Bündnisses war der Korea-Krieg (1950 bis 1953), mit dem der Ost-West-Gegensatz einen dramatischen Höhepunkt erreichte. Zusammen mit dem Friedensvertrag von San Francisco trat 1952 ein amerikanisch-japanischer Sicherheitsvertrag in Kraft, der in seiner revidierten Form von 1960 bis heute die Grundlage der Außen-und Sicherheitspolitik Japans bildet. In diesem Vertrag vereinbarten beide Seiten Konsultationen in Fragen der Sicherheit und des Friedens im Femen Osten und verpflichteten sich zu Gegenmaßnahmen für den Fall eines bewaffneten Angriffs auf die unter japanischer Verwaltung stehenden Gebiete. Da Japan zu jener Zeit noch ohne eigene Streitkräfte war, fiel die Verpflichtung einer Verteidigung Japans und damit die Erfüllung des Vertrags den USA zu. Aus diesem Grunde wurde den USA im Sicherheitsvertrag die Nutzung von Land-, Luft-und Marinestützpunkten auf japanischem Boden zugesagt Der Vertrag lief erstmals 1970 aus und verlängert sich seitdem automatisch um jeweils ein Jahr. Anders als die Bundesrepublik ist Japan also nur durch ein bilaterales Bündnis gesichert. Ein weiteres grundlegendes Element japanischer Außen-und Sicherheitspolitik wird durch die Nachkriegsverfassung Japans von 1947 definiert. Diese Verfassung, deren Entwurf amerikanischen Ursprungs ist. enthält im Artikel neun den Verzicht Japans „auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und die Androhung oder Ausübung von militärischer Gewalt als ein Mittel zur Regelung internationaler Streitigkeiten“. Weiter heißt es, daß zur Erreichung dieses Zweckes Land-, See-und Luftstreitkräfte sowie andere Kriegsmittel nicht unterhalten werden und ein Kriegsführungsrecht des Staates nicht anerkannt werde Wenn Japan dennoch heute „Selbstverteidigungsstreitkräfte“ aller drei Waffengattungen unterhält, so rechtfertigt es deren Existenz mit dem Hinweis auf das in der Charta der Vereinten Nationen jedem Staat zustehende Recht auf Selbstverteidigung. Es hat jedoch sehr lange gedauert, bis die Streitkräfte (Sollstärke: 250 000 Mann) vom japanischen Volk akzeptiert wurden. Umfragen zeigen noch immer, daß eine eventuelle drastische Ausweitung dieser aus Freiwilligen bestehenden Armee keine Unterstützung in der Bevölkerung fände.

Dieser Sachverhalt hat den japanischen Regierungen über Jahrzehnte die Möglichkeit gegeben, dem Druck der USA auf eine Erhöhung des japanischen Verteidigungsbeitrags nur zögernd nachzugeben. 1984 wendete Japan nur ein Prozent seines Bruttosozialprodukts für Verteidigungszwecke auf, die Bundesrepublik Deutschland jedoch 3, 3 Prozent. In absoluten Zahlen heißt das. daß die Bundesrepublik mit einer nur halb so großen Bevölkerung wie Japan rund 20 Milliarden US-Dollar. Japan hingegen 12 Milliarden US-Dollar ausgab. Diese Relation hat sich trotz einer gewissen Erhöhung der japanischen Verteidigungsaufwendungen bis 1987 nicht wesentlich verändert

So lassen sich zusammenfassend folgende Faktoren als grundlegend für die Gestaltung der Außenbeziehungen und der Sicherheit Japans feststellen: nahezu völliges Fehlen eigener Rohstoffe und Energieträger bei gleichzeitig hohem Industrialisierungsniveau; zweiseitige Bündnisbeziehungen ausschließlich mit den USA; verfassungsmäßig begrenzte Verteidigungsfähigkeit.

II. Die Beziehungen Japans zu den USA

Aus dieser Lage ergibt sich zwangsläufig, daß Japans Sicherheit vom Funktionieren seines Bündnisses mit den USA abhängt. Das Verhältnis zu Amerika ist die Grundlage der japanischen Außenpolitik. Es sind die Vereinigten Staaten, die mit ihrer Militärmacht in der Lage sind, die sich über Tausende von Seemeilen erstreckenden Versorgungsrouten Japans zu schützen. Die Hauptversorgungsgebiete Japans mit Energieträgern und Rohstoffen sind der Nahe Osten, Südostasien, Nord-und Südamerika und Australien. Obwohl es unwahrscheinlich ist, daß die Verbindungslinien zu diesen weit gestreuten Gebieten gleichzeitig und in gleichem Maße bedroht werden, so ist doch die Abhängigkeit Japans von der einen oder der anderen Region in der Versorgung mit bestimmten Rohstoffen zum Teil sehr hoch, so daß auch partielle Unterbrechungen der Handelswege zu erheblichen Störungen führen können. Dies gilt insbesondere für den wichtigsten Energieträger, das Erdöl, das Japan 1985 noch immer zu 68, 8 Prozent aus dem Nahen Osten und zu fast 17 Prozent aus Südostasien bezog Bei Kohle sind die drei wichtigsten Lieferländer Australien, Kanad Prozent aus dem Nahen Osten und zu fast 17 Prozent aus Südostasien bezog 5). Bei Kohle sind die drei wichtigsten Lieferländer Australien, Kanada und die USA, bei Eisenerz Australien. Brasilien und Indien 6) -In allen Fällen erfolgt die Versorgung über lange Seetransportrouten. die aus sehr unterschiedlichen Gründen bedroht werden können, zu deren Schutz aber Japan technisch und von seiner Verfassung her außerstande ist. Der Krieg zwischen dem Iran und Irak liefert ein anschauliches Beispiel für ein solches Szenario. Hier schützen Schiffe der US-Kriegsmarine auch japanische Öltanker.

Auf Grund der Verletzbarkeit seiner Lebensadern sieht sich Japan gezwungen, seine Beziehungen zu anderen Ländern möglichst konfliktfrei zu halten. „Friedenspolitik nach allen Seiten“ lautete bis Ende der siebziger Jahre die Devise japanischer Außenpolitik. Dieser Grundsatz hat die japanischen Regierungen vor manches schwierige Balance-und Anpassungsproblem gestellt. So sah sich Japan zum Beispiel im Herbst 1973 gezwungen, seine bis dahin neutrale Haltung im arabisch-israelischen Konflikt zugunsten einer einseitigen Unterstützung der arabischen Position aufzugeben. Die hohe Abhängigkeit vom arabischen Öl — damals noch über 80 Prozent — forderte ihren Preis. Generell aber läßt sich sagen, daß sich Japan in Krisen, die die USA oder die westliche Welt als Ganzes betrafen, stets für eine Unterstützung Washingtons entschieden hat. Die Geiselnahme von Teheran 1978 lieferte ein überzeugendes Beispiel: Trotz der damals noch relativ hohen Abhängigkeit Japans von iranischem Öl schloß sich Tokyo den amerikanischen Maßnahmen gegen den Iran an. Auch beim Einmarsch der Sowjets in Afghanistan oder bei der Verhängung des Kriegsrechts in Polen folgte die japanische Regierung der amerikanischen Sanktionspolitik gegen die Sowjetunion.

Dennoch ist Japans Verhältnis zu den USA auch mit Problemen belastet, die sich vor allem in den achtziger Jahren verschärft haben. Sie betreffen in erster Linie den beiderseitigen Handel. Ende der siebzigerJahre wickelte Japan rund 25 Prozent seines Exports und circa 18 Prozent seines Imports mit den USA ab. Daraus ergab sich 1979 für Japan ein Handelsbilanzüberschuß von rund sechs Milliarden US-Dollar. Diese Relation hat sich bis in die zweite Hälfte der achtziger Jahre dramatisch zu Japans Gunsten bzw. zum Nachteil der Vereinigten Staaten entwickelt. Das Ungleichgewicht im japanisch-amerikanischen Handel bot 1986 folgendes Bild: 38, 5 Prozent der japanischen Exporte gingen in die USA, aber nur 23 Prozent seiner Einfuhren bezog Japan aus den USA. Damit erwirtschaftete Japan allein aus dem Handel mit den Vereinigten Staaten einen Überschuß von 51, 4 Milliarden US-Dollar 7). Strukturell hat sich Amerika zunehmend zu einem Rohstoff-, Nahrungsmittel-und Energielieferanten entwickelt, während die japanischen Exporte in die USA vor allem aus Produkten der elektronischen-, optischen-und der Autoindustrie bestehen. Bemerkenswert ist schließlich, daß sich trotz eines zwischen Herbst 1985 und Herbst 1987 um 40 Prozent gegenüber dem Yen abgewerteten Dollars bislang kein nennenswerter Rückgang des amerikanischen Handelsbilanzdefizits mit Japan erkennen läßt.

Aus dieser Situation erklärt es sich, daß im amerikanischen Kongreß die Stimmen, die protektionistische Maßnahmen gegen Japan fordern, immer lauter werden. Dies umso mehr, als sich Japans Verteidigungsausgaben im Vergleich mit anderen westlichen Industriestaaten weiterhin bescheiden ausnehmen. Die anti-japanische Stimmung im Kongreß wurde weiter angeheizt, als im Sommer 1987 bekannt wurde, daß Toshiba Machine Co. unter eindeutiger und wissentlicher Verletzung der Exportbeschränkung gegenüber kommunistisch regierten Staaten zwischen 1981 und 1984 computergesteuerte Metallbearbeitungsmaschinen in die Sowjetunion geliefert hatte. Damit sind die Sowjets in der Lage, die Schiffsschrauben ihrer Unterseeboote so präzise zu bearbeiten, daß die akkustischen Ortungsgeräte der USA und der anderen NATO-Staaten außerstande sind, sowjetische U-Boote zu erkennen. Das amerikanische Repräsentantenhaus schätzt den dadurch entstandenen Schaden für die USA auf 30 Milliarden US-Dollar und fordert von Japan eine entsprechende Kompensation sowie Aussperrung sämtlicher Toshiba-Produkte vom amerikanischen Markt für einen bestimmten Zeitraum. Toshiba und anderen in die Angelegenheit verwickelten Unternehmen wird vorgeworfen, ohne das geringste Gefühl der Solidarität mit dem Westen nach Profit zu streben 8). Angesichts dieser Entwicklung ist es schwierig vorauszusagen, ob es der amerikanischen Administration weiterhin gelingen wird, die Probleme des Handels und der Verteidigungsbeziehungen voneinander getrennt zu halten. Es gehört ohne Frage zu den Leistungen Yasuhiro Nakasones, der von November 1982 bis Ende Oktober 1987 das Amt des Premierministers innehatte, daß es ihm und seiner Regierung gelungen ist. die jahrelang üblichen amerikanischen Forderungen nach größeren Verteidigungsanstrengungen abzuschwächen. Mitte 1985 lobte US-Verteidigungsminister Weinberger den unproblematischen Zustand der amerikanisch-japanischen Verteidigungsbeziehungen und hob hervor, daß beide Seiten erkannt hätten, was zu tun sei Diese Bemerkungen Weinbergers standen in Kontrast zu einer Resolution des US-Senats, die Japan aufforderte, seinen Verpflichtungen nachzukommen und seine Verteidigungsanstrengungen bis zum Ende des Jahrzehnts zu erhöhen. Unter diesen Verpflichtungen versteht man im amerikanischen Kongreß, daß Japan die materiellen Voraussetzungen schaffen sollte, um den japanischen Luftraum und die Seeverkehrsrouten bis zu einer Entfernung von 1 000 Seemeilen (1 852 km) von Tokyo aus gerechnet verteidigen zu können

Das Pentagon konnte den Druck aus dem Kongreß abwehren. Es nannte nicht nur den japanischen Verteidigungshaushalt 1986 „ausgewogen“, sondern bewertete auch die 1976 verfaßten Grundzüge des Nationalen Verteidigungsprogramms, das allen weiteren japanischen Haushaltsplänen zugrunde liegt, als positiv

Der Nachfolger Weinbergers. Verteidigungsminister Carlucci, äußerte sich auch zum japanischen Verteidigungsbudget für 1988 positiv, das mit einem Zuwachs von 5, 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 30 Milliarden US-Dollar festgelegt worden war. Carlucci erklärte, daß Japan den amerikanischen Streitkräften von allen Verbündeten die beste Unterstützung in der Welt gewähre und daß 100 Millionen US-Dollar mehr für die militärischen Einrichtungen der USA in Japan zur Verfügung gestellt würden; somit erreiche die jährliche Unterstützung für die US-Streitkräfte 2. 5 Milliarden US-Dollar. was pro Kopf des amerikanischen Militär-personals in Japan 45 000 US-Dollar ausmache und damit weltweit das beste Unterstützungsprogramm eines Gastlandes bedeute

Man gewinnt den Eindruck, als setze sich in Washington allmählich die Einsicht durch, daß ein Japan, das nur zu begrenzten Verteidigungsleistungen imstande ist, nicht mehr nur negativ beurteilt werden kann. Äußerungen hochrangiger amerikanischer Politiker ist zu entnehmen, daß die USA und die Länder Asiens ein Anwachsen der militärischen Stärke Japans bis zu einem Punkt, wo es sich aus eigener Kraft gegen konventionelle und nukleare Angriffe schützen könnte, nicht begrüßen würden Es widerspricht dieser Haltung nicht, daß das Netz derjapanisch-amerikanischen Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung seit Mitte der siebziger Jahre immer dichter geworden ist. Eher das Gegenteil ist richtig, denn Zusammenarbeit bedeutet zwangsläufig immer auch Einfluß des dominierenden Partners auf den weniger starken Partner und damit eine subtile Form der Kontrolle. Dies läßt sich an einem Beispiel illustrieren, das die japanische Rüstungsindustrie betrifft. Die seit einigen Jahren im Verteidigungsministerium in Tokyo erörterte Frage nach einem Kampfflugzeug für die neunziger Jahre stellte Japan vor die Entscheidung, entweder diesen Flugzeugtyp selbst zu entwickeln oder aber ein amerikanisches Produkt einzuführen und für die japanischen Bedürfnisse zu modifizieren.

Washington war an der zweiten Lösung interessiert, ebenso das japanische Finanz-und Außenministerium. Die japanische Industrie, das Verteidigungssowie das Handels-und Industrieministerium (MITI) traten dagegen für eine Eigenentwicklung ein. Das riesige Handelsungleichgewicht und die COCOM-Verletzungen durch Toshiba beeinflußten jedoch schließlich die Entscheidung zugunsten einer japanisch-amerikanischen Entwicklung. Das Flugzeug mit der Bezeichnung FSX soll auf der Grundlage der bereits vorhandenen F-16 von General Dynamics entwickelt werden. Die Entscheidung, eine der letzten, aber vielleicht strategisch bedeutsamsten der Regierung Nakasone, fiel im Oktober 1987

Im Vorfeld der Entscheidung sollen hohe amerikanische Beamte angedeutet haben, daß eine eigene japanische Entwicklung mit Artikel neun der japanischen Verfassung unvereinbar wäre Die amerikanischen Beweggründe für diese Argumentation sind vielschichtig, sie lassen aber auch die Grenzen der Bewegungsmöglichkeiten Japans in seiner Verteidigungspolitik erkennbar werden. Nicht unterschätzt werden darf wohl das amerikanische Inter-esse, Japan so lange wie möglich aus dem lukrativen Flugzeuggeschäft herauszuhalten, nachdem die USA auf anderen Märkten schon erhebliche Einbußen haben hinnehmen müssen.

Die japanische Rüstungsindustrie hat diese Entscheidung natürlich bedauert. Ein Berater der Firma Mitsubishi Heavy Industries wurde mit der folgenden Bemerkung zitiert: „Wenn wir uns diese Gelegenheit jetzt entgehen lassen, werden sich unsere technischen Spezialisten in alle Winde zerstreuen, und Japan wird nie wieder eine Chance bekommen, sein eigenes Kampfflugzeug zu bauen.“ Die neue japanisch-amerikanische Maschine soll in der zweiten Hälfte der neunzigerJahre eingeführt werden. Geplant ist eine Stückzahl von 120 bis 130. Die Kosten des Vorhabens werden auf über eine Trillion Yen (circa sieben Milliarden US-Dollar) veranschlagt Der Auftrag des FSX besteht in erster Linie im Abfangen feindlicher Maschinen; doch hat der vorgesehene Aktionsradius von über 830 km bereits eine Diskussion über die Vereinbarkeit mit dem strikt defensiven Charakter der japanischen Streitkräfte ausgelöst

Ein wichtiges Feld japanisch-amerikanischer Zusammenarbeit ist die Technologie. Hier vereinbarten beide Seiten Ende 1983 den Transfer japanischer militärisch relevanter Technologie in die USA und bemühen sich seitdem um eine Konkretisierung dieses Abkommens. Bislang sollen nur drei Transferabkommen zustandegekommen sein: Zwei betreffen die Schiffbautechnologie und eines die image-formende Technologie für Lenkwaffen. Letzteres könnte allerdings der Toshiba-Affäre zum Opfer fallen

So läßt sich für die japanisch-amerikanischen Beziehungen feststellen, daß einer äußerst gespannten Lage im bilateralen Handel eine im ganzen positiv verlaufende enge Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik gegenübersteht. Doch auch diese Zusammenarbeit hat Grenzen, die sich aus den tragischen Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki mit Kernwaffen erklären. Daraus ergibt sich das Paradox, daß Japan zwar die abschreckende Wirkung amerikanischer Kernwaffen als Teil seiner Sicherheit in Anspruch nimmt, es aber ablehnt, diese Waffen auf seinem Territorium zu dulden. 1968 hat die regierende Liberaldemokratische Partei die „Drei Grundsätze des Kernwaffenverzichts" (hikaku-sangensoku) formuliert. Danach lehnt es Japan ab, Kernwaffen herzustellen, zu besitzen oder einzuführen

Der letztgenannte Grundsatz ist nicht unproblematisch, denn er steht in einem gewissen Widerspruch zum Verteidigungsbündnis mit den USA. Um die Sicherheit im Femen Osten und im Pazifik zu gewährleisten. ist es unverzichtbar, daß Kriegsschiffe der Siebten US-Flotte gelegentlich amerikanische Marinebasen an Japans Küsten anlaufen. Dieses Recht ist den USA im Sicherheitsvertrag zugestanden. Man kann allerdings davon ausgehen, daß diese Schiffe nicht selten entweder nuklear getrieben (im Falle von U-Booten) oder mit Kernwaffen bestückt sind. Nach amerikanischer Praxis wird letzteres weder bestätigt noch dementiert. Es ist darum nicht unwahrscheinlich, daß von Zeit zu Zeit — ohne Kenntnis derjapanischen Öffentlichkeit — Kernwaffen in japanische Hoheitsgewässer eingeführt werden und damit der dritte der Grundsätze des Kernwaffenverzichts verletzt wird.

Es scheint jedoch, als ob dies keine negative Wirkung auf das Ansehen der USA in der japanischen Bevölkerung hat. Einer Umfrage vom Herbst 1986 zufolge hegen 67, 5 Prozent der Befragten starke Sympathie für Amerika — ein Wert, der allerdings in den vergangenen zehn Jahren meist noch um fünf bis acht Prozent höher lag. Der Stand der Zusammenarbeit mit den USA wird von über 60 Prozent als gut, von rund 24 Prozent als verbesserungswürdig betrachtet. Nur 5, 5 Prozent der befragten Japaner sprachen sich für eine Reduzierung der Beziehungen zu den USA aus Noch verfügt Amerika in der japanischen Bevölkerung über ein großes Potential an Vertrauen und Wohlwollen. Für Tokyos Außenpolitik ist diese Grundlage unerläßlich; denn in absehbarer Zeit gibt es für Japan keine realistische Alternative zur amerikanischen Sicherheitsgarantie.

III. Die Beziehungen Japans zur Sowjetunion

Ein ganz anderes Bild bietet Japans Verhältnis zur anderen Weltmacht, der Sowjetunion. Nach der Aussöhnung zwischen Tokyo und Peking wird die Sowjetunion als einzige Quelle einer Bedrohung derjapanischen Inseln und ihrer weltweiten Verbindungswege wahrgenommen. Dies hat eine Reihe von historischen und aktuellen Gründen.

In Japan ist nicht vergessen, daß die Sowjetunion noch am 8. August 1945, zwei Tage nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima, Japan unter Bruch eines Neutralitätspaktes den Krieg erklärte und sich somit an den Forderungen der kriegführenden Mächte gegenüber Japan beteiligen konnte. Moskau hat dann allerdings den Friedensvertrag von San Francisco abgelehnt, der im September 1951 von 47 Staaten, darunter neben den USA auch England und Frankreich, unterzeichnet wurde. Der damalige sowjetische Außenminister Gromyko forderte die gleichberechtigte Teilnahme der Volksrepublik China an der Vertragskonferenz und stellte eine Reihe von Abänderungs-und Zusatzanträgen. Dies hatte zur Folge, daß bis heute ein Friedensvertrag zwischen Japan und der Sowjetunion noch aussteht. Beide Staaten haben lediglich in einer Gemeinsamen Erklärung im Oktober 1956 den Kriegszustand als beendet erklärt, die diplomatischen Beziehungen wiederaufgenommen und vereinbart, Verhandlungen über den Abschluß eines Friedensvertrags zu führen

Das Haupthindernis für den Abschluß eines Friedensvertrags ist bis heute ein Territorialproblem, dessen Lösung alle Regierungen in Tokyo bisher als Voraussetzung für einen Friedensvertrag fordern. Es handelt sich dabei um den Anspruch Japans auf drei Inseln und eine kleine Inselgruppe am Südende der Kurilen, die 1945 von der Sowjetunion besetzt wurden und seitdem als sowjetisches Territorium betrachtet werden. Mit dem ersten japanisch-russischen Vertrag von 1855 war die Grenze zwischen Japan und Rußland nördlich der umstrittenen Inseln festgelegt worden. Auch bei allen späteren Grenzveränderungen sind diese Inseln stets japanisch geblieben. Historisch gesehen, ist der Anspruch Tokyos gerechtfertigt. Aber im Friedensvertrag von San Francisco, zu dessen Signataren die Sowjetunion allerdings nicht gehört, hat Japan „auf alle Rechte, Titel und Ansprüche auf die Kurilen-Inseln“ verzichtet. Es wird jedoch nicht gesagt, zu wessen Gunsten der Verzicht erfolgt

Die Sowjetunion bekundete in der Gemeinsamen Erklärung von 1956 ihre Bereitschaft, Japan nach Abschluß eines Friedensvertrags zwei der vier Inseln, nämlich die kleine Habomai-Gruppe und Shikotan, zurückzugeben. Sie widerrief allerdings diese Zusage bereits nach vier. Jahren, und zwar anläßlich der Revision des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrags von 1960. Damals verband Moskau die Rückgabe von Habomai und Shikotan mit dem Abzug sämtlicher ausländischer, das heißt amerikanischer Streitkräfte von japanischem Territorium. Inzwischen hat die Sowjetunion auch diese Position geräumt. Auf dem 25. Parteitag der KPdSU bezeichnete Parteichef Breshnew die Territorialansprüche Japans Parteitag der KPdSU bezeichnete Parteichef Breshnew die Territorialansprüche Japans als „unbegründet und illegitim“. Es handele sich um eine Nachkriegsgrenze zwischen der Sowjetunion und Japan, und Nachkriegsgrenzen seien unveränderbar. Darum existiere ein Territorialproblem zwischen beiden Staaten überhaupt nicht 24). Dies ist die Position Moskaus seit Anfang der siebziger Jahre. Daran hat sich auch unter Gorbatschow nichts geändert, und es gibt wenig begründete Aussicht auf eine Kompromißbereitschaft der Sowjetunion in dieser Frage 25). Auch die japanische Seite ist in ihrer Forderung unnachgiebig. Die Regierungen in Tokyo beharren auf der Rückgabe aller vier Inseln als Voraussetzung für den Abschluß eines Friedensvertrags. Die „kleine Lösung“, also die Rückgabe von Habomai und Shikotan, wie 1956 von der Sowjetunion offeriert, würde heute in Tokyo nicht akzeptiert werden.

Dieses skizzierte Territorialproblem reduziert die Chancen für eine grundlegende Verbesserung der japanisch-sowjetischen Beziehungen auf ein Minimum. Hinzu kommt die Verstärkung der sowjetischen Militärmacht im Fernen Osten und im asiatisch-pazifischen Raum seit Ende der sechziger Jahre. Die Sowjetunion hat ihre Streitkräfte im asiatischen Teil des Landes zunächst als Reaktion aufden sich verschärfenden Konflikt mit China verstärkt. Seit Ende der siebziger Jahre jedoch scheint der Ausbau ihrer Militärmacht im Hinblick auf die amerikanische Militärpräsenz in diesem Raum und als Reaktion auf die immer enger werdende Zusammenarbeit zwischen China, den USA und Japan zu erfolgen

Ein unübersehbares Phänomen dieses Ausbaus ist die massive Erweiterung der sowjetischen PazifikFlotte. die 1975 rund 750 Schiffe mit einer Gesamt-tonnage von 1, 2 Millionen Tonnen zählte und damit mehr als ein Viertel der sowjetischen Kriegsmarine ausmacht. 1985 zählte sie bereits 835 Schiffe mit circa 1. 78 Millionen Tonnen und ist zur größten der vier sowjetischen Flotten geworden. Die Sowjetunion hat zwei ihrer insgesamt vier Flugzeugträger im Pazifik stationiert. Basishafen ist Vladivostok. Ferner verfügt die sowjetische Pazifik-Flotte über die technischen Voraussetzungen zu amphibischen Angriffsoperationen. Allein der Zuwachs dieser Flotte zwischen 1975 und 1985 ist doppelt so groß wie die Gesamttonnage der japanischen maritimen Selbstverteidigungsstreitkräfte Zeitlich parallel mit dieser Entwicklung läuft eine drastische Modernisierung der sowjetischen Luftstreitkräfte. Heute gehören 80 Prozent der im Femen Osten stationierten sowjetischen Kampfflugzeuge der dritten Generation, also der modernsten Version an: MiG23. MiG-27, SU-24. Dazu kommen moderne Bomber und die Stationierung von etwa 160 Mittelstrekkenraketen des Typs SS-20 Schließlich schob sich die sowjetische Militärmacht seit Mitte 1978 auch auf die umstrittenen Inseln im Norden Japans vor, errichtete auf den drei größten Inseln Stützpunkte und stationierte dort Streitkräfte in Divisionsstärke

Angesichts dieser Lage überrascht es nicht, daß sich in Japan allmählich ein Gefühl der Bedrohung durch die Sowjetunion entwickelt hat. Umfragen zufolge antworteten 1981 auf die Frage nach einer militärischen Bedrohung durch die Sowjetunion 55, 2 Prozent mit Ja, mit Nein 36, 4 Prozent. 1985 antworteten 80. 2 Prozent mit Ja und 16 Prozent mit Nein Doch ist dieses Bedrohungsgefühl offenbar nicht ausreichend, um einen prinzipiellen Wandel in der japanischen Verteidigungspolitik herbeizuführen. Bei flüchtiger Betrachtung liegt der Schluß nahe, daß Japan und die Sowjetunion ideale Wirtschaftspartner wären: hier ein hochindustrialisiertes Land auf höchstem technologischem Niveau, aber ohne Rohstoffe und Energieträger; dort ein unterentwikkeltes Land mit riesigen unerschlossenen Rohstoffreserven. Die Sowjetunion verweist gern auf die damit verbundenen Chancen für Japans Wirtschaft, aber die japanischen Wirtschaftskreise sind zurückhaltend, nachdem die Euphorie über eine starke japanische Beteiligung an der Erschließung Sibiriens Mitte der siebziger Jahre verflogen ist. Die technischen und finanziellen Risiken sind beträchtlich, und schwankende sowjetische Lieferzusagen, insbesondere bei Erdöl, taten ein übriges, um die japanischen Erwartungen zu dämpfen.

Hinzu kommt ein politischer Faktor. Die Sowjetunion strebt ein langfristiges offizielles Wirtschaftsabkommen mit Tokyo an, durch das sie Zugang zu zinsniedrigen Krediten der halbstaatlichen Export-Import Bank erhielte. Die japanische Regierung lehnt ein derartiges Abkommen ab, solange sich die sowjetische Seite nicht kompromißbereit in der Territorialfrage zeigt. Der Grundsatz, dem die Regierung in Tokyo hier folgt, lautet „Einheit von Politik und Wirtschaft“. Moskau hingegen möchte Japans finanzielles, technologisches und organisatorisches Potential ohne politische Zugeständnisse nutzen. Daraus erklärt sich, daß die Sowjetunion im japanischen Außenhandel eine sehr geringe Rolle spielt. 1982 hatte der japanisch-sowjetische Handel einen Anteil von lediglich zwei Prozent am gesamten Außenhandel Japans; 1985 war dieser Anteil auf 1, 36 Prozent geschrumpft Dennoch gehört Japan nach der Bundesrepublik und Finnland zu den drei wichtigsten westlichen Handelspartnern der Sowjetunion.

Die Wiederbelebung des diplomatischen Verkehrs und des politischen Dialogs seit dem Amtsantritt Gorbatschows hat auf beiden Seiten Hoffnungen auf eine Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen geweckt. Dazu haben auch die von dem neuen Machthaber im Kreml angekündigten Wirtschaftsreformen beigetragen sowie die sowjetische Offerte zur Bildung von Gemeinschaftsunternehmen (joint ventures). Zwar ist es inzwischen zur Gründung eines ersten japanisch-sowjetischen „joint venture“ gekommen, das. in der Nähe von Irkutsk gelegen, jährlich 90 000 cbm Schnittholz herstellen soll; aber eine deutliche Belebung der Wirtschaftsbeziehungen ist bisher unterblieben. Dies hat mehrere Gründe, die zum Teil für den Ost-West-Handel generell charakteristisch sind: Durch die gesunkenen Rohöl-und Rohstoffpreise sind die Deviseneinnahmen der Sowjetunion stark zurückgegangen und die Importmöglichkeiten reduziert. Außerdem hat Japan bereits bis weit in die neunziger Jahre hinreichende Lieferverträge für Rohstoffe und Energieträger mit anderen Ländern abgeschlossen, so daß wenig Kapazität für eine Ausweitung des Handels mit der Sowjetunion bleibt. Aus diesen Gründen ist der Spielraum für Veränderungen aufbeiden Seiten gering. Zu diesen strukturellen Problemen ist Mitte 1987 noch die Toshiba-Affäre gekommen, die die japanische Wirtschaft veranlaßt hat. ihre Exporte in die Sowjetunion und in andere kommunistisch regierte Länder sehr viel restriktiver zu handhaben

Die japanische Politik gegenüber der Sowjetunion war nie eine nur bilaterale Angelegenheit: Sie hatte und hat sowohl das sowjetisch-amerikanische als auch das sowjetisch-chinesische Verhältnis zu berücksichtigen. Besonders in den siebziger Jahren, während der Phase der raschen Annäherung zwischen den USA, Japan und China, hat die Sowjetunion, die damals noch in einen scharfen Konflikt mit China verwickelt war, das Zustandekommen einer Allianz zwischen Tokyo und Peking befürchtet. Die chinesische Führung hat damals viel dazu beigetragen, diese Befürchtung zu nähren. Sie unterstützte sogar vor den Vereinten Nationen die Territorialforderung Japans gegenüber der Sowjetunion Es ist leicht einzusehen, daß dies die japanisch-sowjetischen Beziehungen noch mehr belastete. Als Mitte der siebziger Jahre China darauf hinarbeitete, mit Japan einen Friedens-und Freundschaftsvertrag zu schließen, versuchte die Sowjetunion mittels diplomatischen Drucks. Drohungen und militärischer Machtdemonstration, Japan vom Abschluß dieses Vertrags abzubringen. Dieser Versuch scheiterte. Am 12. August 1978 unterzeichneten die Außenminister Chinas und Japans in Tokyo den Vertrag. Die sich daran anschlie-ßenden Äußerungen der Politiker beider Seiten ließen erkennen, daß man in Tokyo großen Wert darauf legte, die Sowjetunion zu beschwichtigen; man betonte, der Vertrag richte sich nicht gegen ein drittes Land. China hob dagegen die „Bedrohung aus dem Norden“ hervor und ließ keinen Zweifel daran, daß der Vertrag sich gegen das Hegemoniestreben der Sowjetunion im asiatisch-pazifischen Raum wende

Die konservativen japanischen Politiker haben nicht ohne Genugtuung die sowjetkritischen Solidaritätsbekundungen aus Peking zur Kenntnis genommen, obwohl einigen von ihnen klar war, daß China damit im Grunde eine Annäherung zwischen Japan und der Sowjetunion zu verhindern suchte. Diese Problematik trat in dem Maße zurück, in dem sich China und die Sowjetunion ab 1982 allmählich wieder näherkamen und ihre praktischen Beziehungen weitgehend normalisierten. Die Entwicklung der sowjetisch-chinesischen Beziehungen wird in Tokyo mit großem Interesse verfolgt; denn die Wiederherstellung eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen den beiden kommunistischen Nachbarn wäre für Japans Außenpolitik eine schwere Belastung. Sie wäre wahrscheinlich Anlaß für rechtskonservative Kreise, intensiver und überzeugender als heute eine massive Aufrüstung Japans zu fordern.

Die Sowjetunion hat ein Image in der japanischen Bevölkerung, in dem sich die historisch gewachsenen Vorbehalte und aktuellen Probleme widerspiegeln. In völligem Kontrast zu den USA erreicht die Sowjetunion bei Umfragen in Japan eine äußerst niedrige positive Bewertung, sie liegt im allgemeinen zwischen sieben und acht Prozent, während der Anteil derer, die keine Sympathie gegenüber der Sowjetunion hegen, bei einer Umfrage 1986 83, 9 Prozent betrug Dies sind seit Jahrzehnten stabile Werte. Das sowjetische Ansehen in Japan könnte sich verbessern, wenn es Bewegung in der Territorialfrage gäbe. Der in Aussicht gestellte Besuch Gorbatschows — es wäre der erste eines sowjetischen Parteichefs in Japan seit Kriegsende — enthält theoretisch dafür eine Chance. Sicher ist zumindest, daß eine Rückkehr der Sowjetunion zu ihrem Vorschlag von 1956 die japanische Öffentlichkeit spalten und die Regierung in Tokyo vor ein Dilemma stellen würde.

IV. Die Beziehungen Japans zur Volksrepublik China

Obwohl auch China ein kommunistischer Staat ist, unterscheidet sich das Verhältnis von Japan zum Nachbarstaat China stark von dem zur Sowjetunion. Japan sieht in China in erster Linie das Ursprungsland der eigenen Kultur. Die bis heute in der japanischen Sprache verwendeten Schriftzeichen sind aus China übernommen worden. Da Schrift in Ostasien eine umfassendere kulturelle Bedeutung hat als im Abendland, ist dies nicht nur ein formaler Aspekt. Darüber hinaus trägt auch die japanische Gesellschaft bis heute unübersehbare Spuren chinesischen Einflusses. Es ist das Bewußtsein kultureller Gemeinsamkeit, das Japan mit China verbindet. Hinzu kommt eine — vor allem in der älteren Generation der Japaner — erkennbare Scham über das. was Japan in seiner imperialistischen Phase seit dem Ende des 19. Jahrhunderts China angetan hat. Kulturelle Solidarität und schlechtes Gewissen bilden die Grundlage für Japans Haltung gegenüber dem chinesischen Nachbarn, dessen kommunistischer Charakter aus dieser Perspektive als sekundär empfunden wird. Im September 1972 hat Japan die VR China diplomatisch anerkannt. Dieser Schritt erfolgte unter dem Druck der überraschenden amerikanisch-chinesischen Annäherung, die im Geheimbesuch Henry Kissingers, des damaligen Sicherheitsberaters des amerikanischen Präsidenten, im Juli 1971 in Peking und dem folgenden Besuch des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon in China im Februar 1972 ihren Ausdruck fand.

Am Ende dieses amerikanisch-chinesischen Gipfel-treffens war im Shanghai-Kommunique ein Prinzip chinesischer Politik formuliert, das später auch für Japans Beziehungen zu China Bedeutung erlangen sollte: das Prinzip der Ablehnung jeglicher Vorherrschaft (Antihegemonismus). Japan war um die Jahreswende 1971/72 und in den folgenden Monaten bestrebt, seine Beziehungen zu China zu verbessern. Die diplomatische Zurücksetzung hinter die USA hatte die Führung in Tokyo schockiert und sie umso bereiter gemacht. Chinas Normalisierungsbedingungen zu erfüllen:

— die Anerkennung der Regierung der VR China als einzige legale chinesische Regierung;

— die Anerkennung Taiwans als untrennbarer Bestandteil des Territoriums der VR China;

— die Annullierung des zwischen Japan und der Regierung Tschiang Kaischek 1952 geschlossenen Friedensvertrags.

Japan hat sich diesen Forderungen gebeugt. Für die Annullierung des Friedensvertrags wählte der japanische Außenminister eine Pressekonferenz in Shanghai. Dieser nicht alltägliche Umgang mit einem Vertrag des Völkerrechts hat nicht einmal ein kritisches Echo in Japan gefunden — weder in der Presse noch in der Fachliteratur der Völkerrechtler. Diese Vorgänge enthüllen einen Grundzug in Japans Haltung gegenüber China: Wohlverhalten oder Nachgeben bis zur Willfährigkeit. Die japanischen Massenmedien — voran die großen Tageszeitungen — schwenkten damals auf einen China gegenüber unkritischen Kurs der Berichterstattung um. Geschickt angesetzter Druck aus Peking hat diesen Prozeß beschleunigt

Japans Politik gegenüber China bietet kein grundsätzlich anderes Bild als das Verhalten der Medien. Viele Beispiele belegen das; eines davon ist das Zustandekommen des Friedens-und Freundschaftsvertrags. Der Abschluß dieses Vertrages wurde bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Tokyo und Peking vereinbart; aber erst 1975 begannen Vorverhandlungen für den Vertrag. Bald zeichnete sich ein ernstes Hindernis ab: die sogenannte Anti-Hegemonie-Klausel. In dieser Klausel, die erstmals im Shanghai-Kommuniqud erschien, wird neben dem eigenen Hegemonieverzicht die Zurückweisung des Hegemoniestrebens dritter Staaten oder Staatengruppen ausgesprochen. Der Hauptadressat dieser Klausel ist die Sowjetunion. China forderte die Aufnahme dieser Klausel auch in den Friedens-und Freundschaftsvertrag, doch Japan widersetzte sich zunächst, denn es befürchtete, dadurch stärker in den Gegensatz zwischen Peking und Moskau hineingezogen zu werden. China beharrte auf seiner Forderung, und Japan akzeptierte schließlich.

Ein anderes Beispiel ist Nakasones Besuch beim Schrein der Kriegstoten. Am 15. August 1985, dem 40. Jahrestag des Kriegsendes, besuchte der Premierminister in Begleitung fast aller Kabinettsmitglieder als erster japanischer Regierungschef seit Kriegsende in offizieller Funktion den Yasukuni-Schrein in Tokyo, der den 2, 4 Millionen Kriegstoten des Landes gewidmet ist. Da seit 1978 im Schrein-Buch auch die Namen von 14 nach 1945 als Kriegsverbrecher hingerichteten Politikern und Generälen aufgeführt werden, hat der Besuch dem japanischen Premierminister Kritik im Ausland — namentlich in China — eingetragen Obwohl Nakasones Schrein-Besuch in der japanischen Bevölkerung überwiegend positiv aufgenommen worden war, unterließ er weitere Besuche „mit Rücksicht auf die Reaktion der Nachbarländer“. Aus der Umgebung von Premierminister Takeshita verlautete bereits ebenfalls, er werde sich in dieser Frage vorsichtig verhalten, da er kein neues Problem in den Beziehungen zu China zu schaffen wünsche

Japans lascher Umgang mit seiner jüngeren Vergangenheit hat China wiederholt Anlaß zu Kritik gegeben. So zwang chinesischer Protest, der gegen Texte in Geschichtslehrbüchem für Mittelschulen gerichtet war, die japanischen Behörden zu einer Korrektur der Darstellungen, die das Vorgehen Japans auf dem asiatischen Festland verharmlosten. Im ganzen aber ist das japanisch-chinesische Verhältnis seit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen solide und auf eine für beide Seiten nützliche Zusammenarbeit abgestellt. In einer Reihe von politischen Bereichen haben Japan und China gemeinsame Interessen. Das gilt für die regionalen Konflikte in Afghanistan und Indochina, für eine Lösung der koreanischen Frage ohne Destabilisierung der Gesamtlage, für den Abbau der sowjetischen Mittelstreckenraketen aus Asien sowie für eine Zurückhaltung gegenüber Gorbatschows asienpolitischen Initiativen. Außerdem sieht China den japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag als ein stabilisierendes Element in Asien an und billigt Japan ebenso wie jedem anderen Staat das Recht zu, Streitkräfte zur eigenen Verteidigung zu unterhalten. Schließlich ist noch Chinas Unterstützung für den japanischen An. sprach auf die sowjetisch besetzten Inseln im Norden Japans zu erwähnen.

Von besonderer Bedeutung für das sich modernisierende China, aber auch von beträchtlichem Nutzen für Japan, sind die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Japan hat sich stets darum bemüht — selbst in den zwei Jahrzehnten des amerikanischen China-Embargos —. auf privater Ebene mit der Volksrepublik Handel zu treiben. Auch zu dieser Zeit hat es China vorzüglich verstanden, Druck auf die japanische Wirtschaft auszuüben, indem es den Handel mit denjenigen Firmen ablehnte, die gleichzeitig Wirtschaftsbeziehungen zu Taiwan unterhielten. Peking handelte nach dem Grundsatz der Einheit von Politik und Wirtschaft; ein Prinzip, das Japan damals gegenüber China ablehnte, jedoch gegenüber der Sowjetunion bis heute praktiziert.

Mit der Normalisierung der japanisch-chinesischen Beziehungen ergab sich auch eine neue Grundlage für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Das Volumen des japanischen China-Handels stieg von zwei Milliarden US-Dollar 1973, dem ersten Jahr nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, auf 15, 5 Milliarden US-Dollar 1986 an. Das bedeutete, daß in diesem Jahr 28, 9 Prozent aller chinesischen Importe aus Japan kamen und 15, 4 Prozent der chinesischen Ausfuhren nach Japan gingen, das immerhin vier bis fünf Prozent seines Außenhandels mit China abwickelt Peking achtet jedoch gewissenhaft darauf, daß der Handel einigermaßen ausgeglichen bleibt, was allerdings aus strukturellen Gründen kaum zu erreichen ist. Trotz dieser Begrenzung wird Japan auf lange Sicht Chinas wichtigster Wirtschaftspartner bleiben, gefolgt von den USA und der Bundesrepublik. Auch in Japans offizieller Wirtschaftshilfe rangiert China mit einem Anteil von 8, 2 Prozent an erster Stelle

Folgende Leitlinien bestimmen die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Japan und China:

— keine militärische Zusammenarbeit mit China betreiben zu wollen, — keine Interessen anderer Entwicklungsländer Chinas wegen zu opfern, — die Zusammenarbeit mit China in Einklang mit den USA und Westeuropa betreiben zu wollen. Zweifellos ist Japan für Chinas Modernisierung unverzichtbar; gleichzeitig aber ist Japan an guten Beziehungen gerade zu diesem Nachbarn interessiert. Es kann sich nicht leisten, dieses Verhältnis in eine Krise geraten zu lassen. Das weiß man in Peking und nutzt es gelegentlich.

Dieser im ganzen positiv zu bewertende Komplex der Beziehungen zwischen den beiden bedeutendsten Ländern in Ostasien findet auch einen entsprechenden Niederschlag in der öffentlichen Meinung Japans. In der bereits zitierten Umfrage von 1986. in der die japanischen Sympathien für verschiedene Länder ermittelt wurden, rangierte China mit 68. 6 Prozent der positiven Antworten sogar noch knapp vor den USA. Dies war keineswegs immer der Fall. Während der „Kulturrevolution“ lag der Anteil der Sympathisanten für China unter zwei Prozent. Ein dramatischer Meinungsumschwung zugunsten Chinas ist mit der Normalisierung der Beziehungen 1972 feststellbar. Von da an wachsen in der japanischen Bevölkerung die Sympathien für den großen Nachbarn stetig.

V. Die Beziehungen Japans zu Korea

Durch die Vergangenheit noch schwerer belastet als im Falle Chinas ist das Verhältnis Japans zu Korea. Nach der Annexion 1910 stand das Land bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs unter harter japanischer Kolonialherrschaft. Erst 1965, also zwanzig Jahre danach, konnten Tokyo und Seoul einen Normalisierungsvertrag schließen und diplomatische Beziehungen aufnehmen. Um eine Verbesserung der Beziehungen hat sich vor allem Premierminister Nakasone verdient gemacht. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im November 1982 nahm er Kontakt zu Präsident Chun Doohwan auf und stattete Südkorea im Januar 1983 einen Besuch ab. Es war der erste offizielle Besuch eines japanischen Regierungschefs seit 1965. Mit dem Ziel, das Klima zwischen beiden Staaten zu verbessern, gewährte Japan Südkorea einen Kredit in Höhe von umgerechnet vier Milliarden US-Dollar, wovon 1, 85 Milliarden US-Dollar als zinsniedrige offizielle Entwicklungshilfe gewährt wurden

Aufgrund dieser Entwicklungen kam es im September 1984 zum ersten offiziellen Besuch eines koreanischen Staatsoberhaupts in Japan. Präsident Chun wurde vom japanischen Kaiser empfangen, der in der seiner Stellung angemessenen Zurückhaltung sein „Bedauern“ über die „unglückliche Vergangenheit“ in den Beziehungen der beiden Länder zum Ausdruck brachte. Es war die erste Entschuldigung auf dieser Ebene.

Angesichts der schwierigen Bemühungen um Wiedergutmachung wird die Empörung verständlich, die sich in Korea erhob, als im Herbst 1986 Nakasones Erziehungsminister Fujio in einem Interview die Ansicht vertrat, Korea sei gleichermaßen für seine Annexion durch Japan verantwortlich, denn der koreanische König habe 1910 einen entsprechenden Vertrag unterzeichnet. Daraufhin entließ Nakasone seinen Erziehungsminister. Aber wieder waren die alten Wunden aufgerissen, und der Aussöhnungsprozeß hatte einen Rückschlag erlitten. Dieser Vorfall zeigt, wie empfindlich das japanisch-koreanische Verhältnis noch immer ist.

Die Beziehungen zwischen diesen beiden Nachbarn haben natürlich auch eine sicherheitspolitische Dimension. Schon 1969 haben die USA und Japan in einem gemeinsamen Kommunique festgestellt, daß die Sicherheit Südkoreas lebenswichtig („essential“) für die Sicherheit Japans sei. Die Regierung in Tokyo ist bemüht, alles zu tun, was eine „friedliche Koexistenz“ der beiden koreanischen Teilstaaten fördert. So unterstützt sie eine Doppelrepräsentation der beiden Staaten in der UNO ebenso wie das Konzept einer Anerkennung von Süd-und Nordkorea durch China, die Sowjetunion, die USA und Japan. Eine verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen Japan und Südkorea ist durch die belastende Vergangenheit noch immer ausgeschlossen. Unerklärtes Ziel japanischer Politik ist es, den Status quo auf der koreanischen Halbinsel bei gleichzeitiger Reduzierung der Spannungen zu erhalten. Eine Wiedervereinigung Koreas, unabhängig vom politischen System, kann nicht im Interesse Tokyos liegen.

VI. Die Beziehungen Japans zu den ASEAN-Staaten

Politisch und strategisch von Bedeutung für Japan sind die Länder des asiatisch-pazifischen Raumes, und zwar die Region Südostasien und die Inseln des Südpazifik. Durch beide Räume laufen wichtige Versorgungsrouten Japans; außerdem sind die nichtkommunistischen Staaten Südostasiens, die Mitglieder der Association of South-East Asian Nations (ASEAN) bedeutende Rohstofflieferanten des hochindustrialisierten Inselreiches und Abnehmer seiner Fertigwaren. 1986 importierte Japan aus Südostasien im Werte von rund 30 Milliarden US-Dollar und exportierte dorthin für über 41 Milliarden US-Dollar. Bei dem daraus ersichtlichen Un-gleichgewicht setzt die Kritik der ASEAN-Staaten an. Seit Jahren fordern sie eine größere Bereitschaft des japanischen Marktes, Erzeugnisse ihrer Industrien aufzunehmen, und drängen auf eine breite Vermittlung von technischem Know-how. Sie wollen nicht nur Rohstofflieferanten sein.

Eine wichtige Initiative gegenüber diesem Raum war die Reise von Premierminister Fukuda 1977 durch Südostasien. In einer Rede in Manila, die etwas voreilig als „Fukuda-Doktrin“ bezeichnet wurde, faßte er die künftige Politik seines Landes gegenüber Südostasien in folgenden Punkten zusammen: Verzicht auf eine Rolle als Militärmacht; Hinwendung zu den Ländern der Region nicht nur unter wirtschaftlich-materiellen Vorzeichen, sondern aufder Grundlage eines „Verstehens von Herz zu Herz“, Partnerschaft mit ASEAN auf der Basis der Gleichheit und schließlich gegenseitiges Verstehen mit den Staaten Indochinas

Alle nachfolgenden Regierungschefs haben dieser Region große Aufmerksamkeit geschenkt. Premierminister Takeshita setzte einen Akzent, indem er seine erste Auslandsreise in seinem neuen Amt im Dezember 1987 nach Manila zur Gipfelkonferenz der ASEAN-Staaten unternahm. Erneut bekräftigte er Japans Verzicht auf eine militärische Rolle und kündigte an, daß seine Regierung für die Weiterentwicklung des privaten Sektors in den einzelnen ASEAN-Staaten und zur Förderung der regionalen Kooperation im Verlaufe von drei Jahren Finanzhilfe im Umfange von zwei Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellen werde. Gute Beziehungen mit ASEAN bezeichnete Takeshita als „eine der Säulen der Außenpolitik Japans“

Japans Bemühungen sind nicht geringzuschätzen, aber auch die Schwierigkeiten, die das Land mit seiner insularen Mentalität auf dem Wege zu größerer Internationalität zu überwinden hat, sind nicht klein. Als sich infolge der Ereignisse in Indochina im Herbst 1978 ein Flüchtlingsstrom in alle Welt ergoß, hätte dies eine Herausforderung der von Tokyo so oft verkündeten Friedensliebe und Bereitschaft zu guter Nachbarschaft sein müssen. Das offizielle Tokyo ist dieser Herausforderung ausgewichen. Es wehrte sich mit fadenscheinigen Gründen wie der Eigentümlichkeit japanischer Lebens-und Eßgewohnheiten, Sprachbarrieren und Bevölkerungsdichte dagegen, einer angemessenen Zahl von Indochina-Flüchtlingen unbefristeten Aufenthalt zu gewähren. Im April 1980 verfügten lediglich insgesamt 420 Flüchtlinge aus Indochina über eine Erlaubnis zum ständigen Aufenthalt in Japan, doch befanden sich davon nur 138 tatsächlich im Lande

Japans Interesse am Pazifik, zumal am Südpazifik, trat bereits 1980 durch einen Besuch von Premierminister Ohira in Australien und Neuseeland zutage, ist aber erst in jüngster Zeit in politische Formeln gegossen worden. Außenminister Kuranari benutzte im Januar 1987 eine Reise nach Australien, Neuseeland, auf die Fidschi-Inseln, nach Vanuatu und Papua-Neuguinea dazu, um die politische und wirtschaftliche Unterstützung seines Landes für die südpazifische Inselwelt zu artikulieren. In einer Rede auf Fidschi, die sogleich zur „Kuranari-Doktrin“ stilisiert wurde, erklärte der Außenminister, Japan wolle seine wirtschaftliche Macht zur Förderung von Frieden und Demokratie im Pazifik einsetzen. Dabei sollen auf keinen Fall die unabhängigen und autonomen Initiativen einzelner Länder behindert werden. Zweitens unterstützt Japan die bereits vorhandenen Vereinbarungen über regionale Zusammenarbeit und anerkennt die politische Bedeutung des South Pacific Forum, des Zusammenschlusses der Staaten des Südpazifik. Drittens will Japan dazu beitragen, die politische Stabilität der Region zu erhalten und das Hineintragen neuer Spannung in die Region nicht unterstützen. Viertens erklärt sich Japan bereit, der Region so viel Hilfe wie möglich zukommen zu lassen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen. Schließlich will Japan das wechselseitige Verstehen der pazifischen Staaten fördern und dem Austausch unter den jungen Menschen, insbesondere unter den künftigen politischen Führern, besonderes Augenmerk schenken Obwohl in Kuranaris Rede auf die Sowjetunion nicht Bezug genommen wird, besteht kein Zweifel daran, daß Japans Initiative auch eine Reaktion auf das verstärkte Interesse Moskaus an diesem Raum ist. Die heftige Kritik des sowjetischen Parteiblatts an Kuranaris Darlegungen deutet darauf hin, daß die Sowjetunion die japanischen Bemühungen als Hindernis für ihre eigenen Pläne versteht.

VII. Die Beziehungen Japans zu Westeuropa

Außer den Vereinigten Staaten spielt Westeuropa in Japans Außenpolitik, vor allem aber in seiner Außenwirtschaftspolitik, eine wichtige Rolle. Auch hier beklagen Japans Handelspartner ein wachsendes Ungleichgewicht. Das Handelsbilanzdefizit der EG mit Japan erreichte 1986 16, 68 Milliarden US-Dollar. Komplizierte Verfahren zur allmählichen Abschwächung dieses Problems haben bislang noch keine spürbare Wirkung gezeigt.

Daneben ist ein Interesse Japans an verstärkten politischen Beziehungen zu Westeuropa erkennbar. Dies ist vor allem Premierminister Nakasone zuzuschreiben. Er hat sich nachdrücklich für den Ausbau der trilateralen Zusammenarbeit zwischen Nordamerika, Westeuropa und seinem Land engagiert und keinen Zweifel daran gelassen, daß sich Japan dieser Gemeinschaft — Nakasone sprach von „common values“ — zugehörig fühlt. Auf dem Gipfeltreffen der westlichen Industrienationen 1983 in Williamsburg hat Japans Regierungschef dann auch die sicherheitspolitische Erklärung mit-unterzeichnet. in der die Unteilbarkeit der Sicherheit des Westens zum Ausdruck kommt. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß Nakasones Nachfolger Takeshita von dieser Politik abrücken wird. Dies ist umso weniger wahrscheinlich, als Takeshitas Außenminister Uno zur Nakasone-Fraktion in der LDP gehört. Diese Umstände sprechen für eine kontinuierliche Weiterführung des bisherigen außenpolitischen Kurses.

Diese Entwicklung ist letzten Endes auch das Ergebnis sowjetischer Asienpolitik. Ohne den Einmarsch in Afghanistan und die sowjetische Unterstützung für die Invasion Vietnams in Kambodscha, ohne die massive Streitkräfteverstärkung der Sowjetunion im Fernen Osten und den vorrangigen Ausbau der sowjetischen Pazifikflotte hätte Japan wenig Anlaß gehabt, sich auch sicherheitspolitisch den westlichen Vorstellungen anzuschließen. Es besteht die berechtigte Hoffnung, daß die japanisch-westeuropäischen Beziehungen künftig noch enger werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Japanische Botschaft und die Japanischen Generalkonsulate in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Neues aus Japan, (1987) 313, S. 3; Japan Times vom 28. November 1987.

  2. Text des Sicherheitsvertrages in: J. A. S. Grenville. The Major International Treaties 1914— 1973, London 1974. S. 287-289.

  3. W. Röhl. Die japanische Verfassung. Frankfurt—Berlin 1963. S. 98.

  4. Am 28. Dezember 1987 billigte die japanische Regierung den Haushalt für 1988. in dem 3. 7003 Trillionen Yen (circa 28 Milliarden US-Dollar) für die Verteidigung vorgesehen sind. Dies sind 1, 013 Prozent des geschätzten Bruttosozialprodukts.

  5. Keizai Koho Center (Hrsg.), Japan 1987. An International Comparison, Tokyo 1987, S. 64.

  6. Asahi Shimbun vom 4. Juli 1987; Daily Summary of Japanese Press (DSJP) vom 11. — 13. Juli 1987, S. 6— 7. Die schwankenden amerikanischen Angaben über die Einschätzung des Schadens ließ allerdings bald Vermutungen über andere Motive der Vorwürfe Washingtons aufkommen. Dazu Kazuhisa Ogawa. Japan is not alone in violating CO-COM. in: Summaries of Selected Japanese Magazines. Oktober 1987, S. 21— 30. Japanische Fassung in: Bungei Shunju, Tokyo, September 1987.

  7. Asahi Evening News vom 11. Juni 1985.

  8. Asahi Evening News vom 14. Juni 1984.

  9. Zur ersten Aussage dieses Absatzes vgl. Asahi Evening News vom 18. Januar 1986 und vom 21. Februar 1986.

  10. Japan Times vom 1. Januar 1988.

  11. Japan Times vom 19. Januar 1986; Far Easter Economic Review vom 10. September 1987. S. 40.

  12. Asahi Evening News vom 9. November 1987.

  13. Süddeutsche Zeitung vom 27. Januar 1988.

  14. Far Eastern Economic Review vom 15. Oktober 1987, S. 38.

  15. Tokyo Shimbun vom 5. Oktober 1987; DSJP vom 14. Oktober 1987, S. 1-2.

  16. Tokyo Shimbun vom 23. Oktober 1987; DSJP vom 31. Oktober bis 2. November 1987.

  17. Far Eastern Economic Review vom 10. September 1987. S. 37.

  18. Vgl. Nihon-gaiköshi-jiten (Lexikon zur Geschichte der japanischen Außenpolitik), Tokyo 1979, S. 804.

  19. Sörifu-köhöshitsu (Informationsbüro beim Amt des Premierministers) (Hrsg.), Seron-chösa (Meinungsforschung), Tokyo 1987, S. 72 ff.

  20. Pravda vom 20. Oktober 1956.

  21. Vgl. J. A. S. Grenville (Anm. 2), S. 283-286.

  22. Einer Meldung von Kyodo News Service zufolge (vgl. Japan Times vom 22. Februar 1988) soll sich Georgij Arbatov in dem Sinne geäußert haben, daß die Sowjetunion bereit sei, mit Japan jede Frage zu erörtern. Arbatov ist Direktor des Instituts für USA und Kanada und einer der Berater Gorbatschows. Die japanische Presse nahm die Bemerkung zum Anlaß, dahinter sogleich eine sowjetische Bereitschaft zur Diskussion des Territorialproblems zu vermuten. Ob dieser etwas voreilige Optimismus durch die Wirklichkeit bestätigt wird, bleibt abzuwarten. Die Erfahrung lehrt, daß in dieser Sache aus dem Kreise der akademischen Berater der sowjetischen Führung gelegentlich nichtkonformistische Gedanken geäußert werden, die in der politischen Praxis keine Entsprechung finden.

  23. Vgl. Hisahiko Okazaki. A Grand Strategy for Japanese Defense. Lanham 1986, S. 101 ff.

  24. Eine detaillierte-Zusammenstellung der Zuwächse bei den einzelnen Typen von Unter-und Überwasserschiffen für den Zeitraum 1974— 1984 findet sich in: Research Institute for Peace and Security (Hrsg.). Asian Security 1985. Tokyo 1985. S. 54.

  25. Defense of Japan 1985. Tokyo o. J., S. 27f.

  26. Asian Security 1979. S. 43.

  27. Tsuyoshi Hasegawa (ed.). The Soviet Union Faces Asia: Perceptions and Policies. Sapporo 1987. S. 64.

  28. Autorenkollektiv, SSSR-Japonija, Problemy torgovoeconomiceskich otnoäenij (Die ÜdSSR und Japan: Probleme der Handels-und Wirtschaftsbeziehungen), Moskau 1984, S. 192.

  29. Auf der elften gemeinsamen Sitzung der bilateralen Komitees für Wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 27. Januar bis 2. Februar 1988 in Tokyo bekundeten beide Seiten ihr Interesse an einer Ausweitung des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Gleichzeitig verlautete aber, daß der sowjetisch-japanische Handel 1987 um 20 Prozent gesunken sei. Siehe Summary of World Broadcasts. The Far East 0061, A 2/1 vom 29. Januar 1983.

  30. Peking Review vom 5. Oktober 1973, S. 13.

  31. Dazu Joachim Glaubitz. Der chinesisch-japanische Friedens-und Freundschaftsvertrag, in: Europa-Archiv. (1978) 20. S. 649-658.

  32. Seron-chösa (Meinungsforschung) (Anm. 21). S. 75.

  33. Dazu Joachim Glaubitz. Japan im Schatten der amerikanisch-chinesischen Kontakte, in: Europa-Archiv, (1972) 3. S. 101-110.

  34. Siehe den kritischen Artikel in Beijing Review vom 2. September 1985, S. 12, sowie die ausführliche Dokumentation zum japanischen Massaker in Nanking 1937, in: ebda., $. 15-21.

  35. Asahi Evening News vom 4. Januar 1988.

  36. Sekai Shh vom 28. Juli 1987, S. 12 ff.

  37. Far Eastem Economic Review vom 10. März 1988.

  38. Far Eastem Economic Review, vom 27. Januar 1983, S. 13-14.

  39. Japan Times vom 19. August 1977.

  40. International Herald Tribune vom 16. Dezember 1987.

  41. Far Eastem Economic Review vom 2. Mai 1980, S. 37.

  42. Japan Times vom 15. Januar 1987.

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