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1968: Ein Laboratorium der nachindustriellen Gesellschaft? Zur Tradition der antiautoritären Revolte seit den sechziger Jahren | APuZ 20/1988 | bpb.de

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APuZ 20/1988 Artikel 1 1968: Ein Laboratorium der nachindustriellen Gesellschaft? Zur Tradition der antiautoritären Revolte seit den sechziger Jahren Der Mythos der „kritischen Generation“ Ein Rückblick 1968 — Die Antwort der CDU: Programmpartei Rebellion ist gerechtfertigt

1968: Ein Laboratorium der nachindustriellen Gesellschaft? Zur Tradition der antiautoritären Revolte seit den sechziger Jahren

Claus Leggewie

/ 33 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Jahr 1968 wurde zum „annus mirabilis“, weil sich in allen „drei Welten“ in Form von Revolten, Aufbrüchen und Generationswechseln dramatische Zuspitzungen ergaben, die den weltweiten Vormarsch eines nicht-autoritären, d. h. libertären und demokratischen Sozialismus versprachen. In den kapitalistischen Industriegesellschaften symbolisiert das geschichtsträchtige Datum ‘ 68 erstens den eruptiven, zum Teil gewaltförmigen Aufbruch (nicht nur) studentischer Protestgruppen mit sozialistischer Zielsetzung unterschiedlicher Spielart, zweitens einen langandauernden, eher „stillen“ kultur-evolutionären Prozeß des Bewußtseins-und Wertewandels bei größer werdenden Minderheiten. Nach zwanzig Jahren ist ‘ 68 endgültig Geschichte geworden. Es bleibt aber — zwischen Verklärurig und Denunziation, zwischen Normalisierung und Unversöhnlichkeit — eine Unsicherheit der Bewertung, wie die Folgen dieses markanten Einschnittes in der Nachkriegszeit zu bewerten sind. Eine nüchterne Analyse muß sich zunächst den , kairös‘ der Protestbewegung vergegenwärtigen; hier spielen (je länderspezifisch) Generationskonstellationen, die „Bildungsrevolution“ der sechziger Jahre und eine Konvergenz spezifischer Krisenlagen (Ende der Rekonstruktionsperiode, Legitimationsschwäche der politisch-administrativen Systeme, Vordringen immaterieller Werthaltungen) eine wichtige, sich gegenseitig verstärkende Rolle. Doch konnten sie nur zur Geltung kommen durch die Wirksamkeit spezieller Empörungsmotive, die in der Bundesrepublik in einer kombinierten und schockhaften Wahrnehmung der nationalsozialistischen Vergangenheit und des amerikanischen Vietnam-Debakels angelegt waren. Antifaschismus. Antiimperialismus und Antikapitalismus waren damit die Antriebsmotoren eines Protestes, der jedoch nicht nur intellektuell-analytisch inspiriert, sondern durch die Wiedereroberung der „Straße“, permanenten Aktionismus und Experimente „neuen Lebens“ (in kollektiven Wohnformen, Erziehungsprojekten etc.) praktisch orientiert war. Wo die Akteure in einem traditionellen Sinne programmatisch-revolutionär waren, ist von diesem Aufbruch wenig geblieben. '68 ist hingegen zum alltäglichen Bestandteil sozialer Wirklichkeit und damit selbst Tradition dort geworden, wo die Selbststeuerungs-und Selbstverwaltungspotentiale der „Lebenswelt“ nachhaltig gestärkt und dem Beteiligungs-und Selbstbestimmungsanspruch mündiger Bürger Rechnung getragen wurde. '68 ist insofern zu verstehen als ein „Laboratorium“ postindustrieller Verhältnisse, deren „genetischer Code“ seinerzeit nicht eindeutig determiniert war; seine Entwicklungspotentiale reichten vom Sozialliberalismus bis zum Terrorismus, vom offenen Republikanismus bis zur Fundamentalopposition, von liberal-libertären Selbstverwaltungsexperimenten bis zu neostalinistischen Reprisen. Jedenfalls liegen in den unfertigen Konzepten eines antiautoritären Sozialismus Optionen begründet, die sich auch für die Lösung der gegenwärtigen Dreifach-Krise (ökonomisch, politisch, kulturell) als interessant erweisen können. Voraussetzung ist. daß die Neue Linke ihren politischen Traditionalismus überwindet und das Projekt „ökologischer Demokratie“ (Ulrich K. Preuß) „hegemoniefähig“ macht. Die gegenwärtige Gemengelage politisch-kultureller Orientierungen quer durch die sozialstrukturellen Milieus und politischen Lager läßt dies durchaus als möglich erscheinen.

I. 1988/1968: Trajekt — Die Protestbewegung zwischen Historisierung und Aktualisierung

1968 ist heute ein fast magisches Datum. Die noch frischen und doch schon fremden Bilder und Originaltöne aus den sechziger Jahren, die Zeitgenossen wie Nachgeborene aus Anlaß der 20. Wiederkehr dieses Datums zu sehen und zu hören bekommen Demonstrantenketten. „Ho Tschi Minh“ -Rufe, Sirenen von Polizeifahrzeugen, brennende Autos und Barrikaden, münden immer noch in kontroverse Wertungen der damaligen Ideen und Ereignisse. ‘ 68 (wie das Kürzel heißt) gilt den einen fast als eine Art Sündenfall, den anderen geradezu als Erlösung. Zwischen Verklärung und Denunziation eine nüchterne Erklärung der Ursachen und Wirkungen dieser generationsmächtigen Geschichtserfahrung zu versuchen, ist nach zwei Dekaden höchste Zeit.

Die Jahreszahl 1968 markiert zunächst ereignisgeschichtlich eine Konvergenz von Prozessen in allen „drei Welten“, die man ohne Übertreibung „revolutionär“ nennen darf: Die „Tet-Offensive" des Vietcong hatte im Januar 1968 Saigon erreicht und die Niederlage des amerikanischen Imperialismus in Südostasien unter Beweis gestellt. Der „Sieg im Volkskrieg“ schien möglich. Sodann zeigte der „Prager Frühling“, daß „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ kein utopisches Hirngespinst war. Und im „Pariser Mai“ schließlich erwies sich die Möglichkeit revolutionärer Zuspitzungen in hoch-entwickelten kapitalistischen Industriegesellschaften und die Chance eines Bündnisses zwischen linker Intelligenz und wiedererstarkter Arbeiterbewegung.

Alle drei Prozesse endeten freilich in den bekannten Aporien und Debakeln. Gleichwohl symbolisiert „ 1968“ darüber hinaus auch einen längeren und nachhaltigen Prozeß beschleunigten sozialen und kulturellen Wandels, der so gut wie alle hoch-entwickelten kapitalistischen Industriegesellschaften mehr oder weniger betraf. Auch die Gesellschaften des „realexistierenden Sozialismus“ (z. B. Polen und die SSR) und der Dritten Welt (z. B. Senegal) wurden darin einbezogen. Lange vor 1968 ging dieser Wandel als inter-und transnationaler Diffusionsprozeß von den Vereinigten Staaten aus Überall erfolgte er überraschend und eruptiv, doch hatte er unterschiedliche Intensität und Dauer: Mal zog sich der Protest über mehrere Jahre hinweg (Bundesrepublik Deutschland von 1965 bis 1969), mal nahm er in relativ kurzen Zeiträumen zugespitzte, vorrevolutionäre Formen an (Frankreich, Mai—Juni 1968). Obwohl kein Monarch aufs Schafott geführt und keine Bastille resp. kein Winterpa-lais gestürmt wurde, 1968 also weder in die Reihe klassischer sozialer Revolutionen und Massenaufstände gehört, noch in direkter Wirkung ein politisches Regime (oder auch bloß eine Regierung) gestürzt wurde: „ 1968“ hat alle Chancen, als Quasi-Revolutionsdatum in die Annalen der Weltgeschichte einzugehen. Aber nur, so meine erste These, wenn 1968 als symbolischer Kulminationspunkt eines kultur-evolutionären Prozesses und somit als spektakulärer Ausdruck einer ansonsten eher „stillen Revolution“ verstanden wird. 1968 wäre damit weniger Nachhall klassischer sozialer Bewegungen der Industriegesellschaft als vielmehr Vorschein „postindustrieller“ sozialer und kultureller Aggregatzustände und zugleich Laboratorium „nachsozialistischer“ Konflikt-und Bewegungsformen

Diese Bewertung dürfte bei allen 68er-MeinungsParteien umstritten sein, sowohl bei den Akteuren, Mitläufern und „Nutznießern“ der Protestbewegung als auch bei jenen, die sich eher als „Opfer“ und Leidtragende betroffen fühlen. „La Revolution est un bloc“ (Clemenceau) — daß die Revolution als Ganzes annehmbar sei, war die weise Überzeugung französischer Republikaner seit Ende des 19. Jahrhunderts. Nachdem die Resultate der Französischen Revolution von 1789 zunächst jahrzehntelang in offenen und virtuellen Bürgerkriegsauseinandersetzungen umstritten geblieben waren (und es heute anläßlich der 200-Jahrfeier wieder ein wenig werden), konnten sie zu guter Letzt in einen nationalen Konsens überführt werden.

Von derartiger Traditionsfähigkeit sind die meisten Gesellschaften bezüglich ‘ 68 noch weit entfernt; vielmehr bleibt diese Zäsur politisch, publizistisch und sozialwissenschaftlich weiter umstritten und ihre „Anschlußfähigkeit“ für alle politischen Lager wird von den meisten Kontrahenten nachdrücklich verneint. Als Beleg kann man etwa jene Bewertung nehmen, die erst vor wenigen Jahren ein prominenter christdemokratischer Publizist in einflußreicher Position vomahm: „Hitler haben wir, wenn auch vielleicht noch nicht endgültig, bewältigt. Nicht bewältigt aber haben wir die Bewältigung Hitlers, wie sie zur Studentenrebellion von 1968 und zu den fundamentalen Umwertungen der Folgezeit geführt hat... Die Wende, die wir benötigen, besteht nicht darin, daß wir ein weiteres Mal 1933 oder 1945 verdauen, sondern daß wir den nachträglichen Ungehorsam gegen Hitler überwinden. Wir haben uns geschichtlich von uns selbst entfremdet und müssen nun versuchen, diese Entfremdung aufzuheben.“

Restauration des (angeblichen) Konsenses vor 1968 und Wiederverbindlichmachung der damals „umgewerteten“ Wertordnungen und Grundsätze ist hier also das direkt auf die Protestbewegung abzielende Motiv der politischen Wende. Demgegenüber haben sich einige Protagonisten von ‘ 68, (selbst-) ironisch „Veteranen“ genannt, wieder zusammengetan und in einer „ersten gnadenlosen Generaldebatte wider den Zeitgeist“ zur Rekonstruktion der antiautoritären sozialistischen Linken aufgerufen Solche Polarisierungen sind nicht auf die Bundesrepublik beschränkt. In Frankreich haben zwei allerneueste Philosophen das „ 68er Denken“ jüngst als „antihumanistisch“ entlarvt und die 68er Bewegung zum Vorläufer des heute grassierenden Individualismus und der gesellschaftlichen Desintegration gemacht; auch dagegen erhob sich Widerspruch, um Ideen und Impulse des Pariser Mai zu retten

Selbst in Geschichtswerken, die den Anspruch erheben, als Standardwerke gelesen zu werden und die von daher eigentlich etwas mehr pluralistische „Ausgewogenheit“ vertrügen, überwiegen Ranküne und Ressentiment. In einem jüngst erschienenen Werk legen renommierte Zeithistoriker völlige Unversöhnlichkeit gegenüber einer Bewegung an den Tag. die sie wider besseres Wissen in die Nähe totalitärer und antidemokratischer Strömungen in der deutschen Geschichte rücken. Die Autoren kultivieren zudem die These von der Verführung eines großen Teils der (akademischen) Jugend durch intellektuelle Roßtäuscher, was letztlich nur zur „Endstation Terror“ (Hermann Lübbe) führen konnte. Eine solche Zuspitzung, die das Jahr 1968 ganz im Zerrbild der „Rote Armee Fraktion“ und des späteren Terrorismus betrachtet, deckt sich übrigens auf eine paradoxe Weise mit linksradikalen Auffassungen, die die Protestbewegung der sechziger Jahre ebenso aus der verdunkelten Perspektive des „Deutschen Herbstes“, also in der Kontinuität staatlicher Repression und „autonomer“ Gegengewalt, mißverstehen

Gegen solche von allen Seiten kommende Absicht der „Revision“ und interessierten Aktualisierung muß man deutlich Stellung nehmen und die Protest-bewegung der sechziger Jahre durch Historisierung objektivieren, zugleich aber auch ihre Ideen und Impulse (selbst-) kritisch auf Veraltung, möglicherweise aber auch auf überraschende Aktualität befragen. Im Abstand von nunmehr zwanzig Jahren — ‘ 68 ist von uns bald so weit entfernt wie die NS-Zeit für die „ 68er“ — sollte dies möglich sein, da 1968 nun wirklich Geschichte geworden ist und überdies eine Generation ins Erwachsenenalter tritt, die von jenen „Ereignissen“ in keiner Weise mehr direkt persönlich betroffen und enragiert sein kann. 1968, so meine zweite These, ist im Laufe der Zeit „traditionsfähig“ geworden, insofern bestimmte seinerzeit noch extrem minoritäre Konzepte „neuen Lebens“ und „neuer Politik“ sich im Resonanzraum eines generalisierten Wertewandels verallgemeinert haben und darüber hinaus — nebst zahlreichen und schmerzlichen „Holzwegen“ — die 68er-Bewegung uneingelöste Impulse in sich trägt, die (recht verstanden) Auswege aus der gegenwärtigen politischen und kulturellen Krise zeigen können und dabei keineswegs mehr auf die politische (extreme) Linke allein zugeschnitten sein müssen, mit anderen Worten kulturhegemoniale Potenz besitzen.

Historisierung ist nun aber mehr als jene „Erinnerungen“, die derzeit über das Publikum hinweggehen und allzu stark auf ereignisgeschichtliche Details und biographische Kontinuitäten und Kehrtwendungen kapriziert sind: Jener ist Minister, dieser ein tragischer Fall geworden, ein dritter wiederum ist sich eisern treu geblieben... 1968 als „Roman einer Generation“ ergibt noch keine Historiographie, sondern bleibt in die Gegenwart verstrickt und mit triumphalen oder verleumderischen Zügen überdeckt. Anzustreben ist vielmehr eine Sozialgeschichte politischer Widerstandsideen und politisch-kultureller Hegemonialkonzepte, die sich aktualisierender ebenso wie musealer Betrachtung entzieht: Das 68er Denken ist heute weder völlig antiquiert noch unvermittelt aktuell, wie die ideologiepolitischen Aktivitäten beider Seiten unterstellen. Im Wettstreit liegen heute zwei geistige Strömungen, die man durchaus als „Zwillingsgeburt“ der sechziger Jahre ansehen kann: Der soge-nannte Neokonservatismus und der libertäre Entwurf einer „ökologischen Demokratie“.

Der Neokonservatismus ist als „Paradigma“ bezeichnet worden, „in dem kulturelle Grundvorstellungen. sozialphilosophische Menschenbilder, sozialwissenschaftliche Theoriestücke und empirische Beschreibungen zu politischen Argumenten verdichtet sind“ und das als Deutungsmuster „für große Teile der an öffentlicher Wirkung interessierten Sozialwissenschaftler und der auf sozialtheoretische Legitimation bedachten politischen Eliten mentalitätsprägend geworden ist“ a). Die Ideen von ‘ 68 hatten, vor der „Tendenzwende“, ähnlichen Rang und vergleichbare Brisanz für die älteren „Paradigmen“ des technokratischen Konservatismus und der Sozialdemokratie, die in den sechziger Jahren an die (ökonomischen, ökologischen, politisch-institutionellen) Grenzen ihrer Legitimität gestoßen waren. Das 68er Denken und der Neokonservatismus (der in vieler Hinsicht ja ein 'Seoliberalismus ist) waren die sich parallel entwickelnden und miteinander konkurrierenden Antworten auf diese Doppelkrise, aus der weder die reaktionäre Bekräftigung vormoderner Werte und Institutionen noch affirmativer Modernisierungstraditionalismus herausführen konnten.

Die Denkanstöße und Bewegungsimpulse von ‘ 68 sind natürlich weder „Patentrezepte“ für „alternatives“ Krisenmanagement, noch sind sie einer simplen Generalrepetition würdig. Die antiautoritäre Revolte war vielmehr, so meine dritte These, ein „Laboratorium“ postindustrieller Entwicklungstypen, deren „genetischer Code“ noch nicht eindeutig determiniert war und sozusagen links liegengelassen wurde; die Experimente wiederaufgenommen, käme es nun auf eine zeit-und situationsgemäße Neukombination der 68er Anstöße an, die — um im Bild vom sozialen und politischen Laboratorium zu bleiben — obsolete „Prototypen“ entgültig abschreibt, vielversprechende Projekte jedoch bis zur „Serienreife“ voranbringt.

Die Zielrichtung solcher Projekte hat ein SDS-„Veteran“, Ulrich K. Preuß, mit dem Begriff „ökologische Demokratie“ angegeben. Als Ziel angestrebt wird damit — im Unterschied zum noch sehr traditionellen Gesellschafts-und Staatsverständnis der 68er Linken — eine „Kultur der Heterogenität (Verschiedenheit), des Dissenses und des Experiments als Elementen einer sozialen . Diversität“, die ihrerseits die genetischen und kulturellen Verschiedenheiten der Individuen reflektiert, eine Vielfalt von Austauschbeziehungen ermöglicht und insofern ein . soziales Ökosystem“ konstituiert“

II. 1968 — der Kairos der antiautoritären Protestbewegung

Die mittellange Welle der nationalen und internationalen Proteste aufeine einzige Jahreszahl zusammenschrumpfen zu lassen, entspricht der Wahrnehmung jener „Bresche“ (Edgar Morin), die die Revoltierenden damals in die historische Normalität und Kontinuität eingehauen haben. Im chronologisch-objektiven Strom der Geschichte haben sie an der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt (kairös) eine Zäsur markiert, die in dieser Weise weder vorher noch nachher historisch möglich war 1968 fokussiert also raum-und zeitspezifische Empörungsmotive am „Ende der Nachkriegszeit“ (Ludwig Erhard), die durch die massenmedial verallgemeinerte Wahrnehmung eines katalysierenden Ereignisses (Vietnam-Krieg) international synchronisiert wurden und sich gegenseitig verstärkten Dabei schloß die überwiegend, aber nicht ausschließlich von Studenten und Schülern getragene und von Intellektuellen artikulierte Protestbewegung der sechziger Jahre aktionstypologisch und ideengeschichtlich an eine bereits ältere Protestgeschichte an. Sie mündete in die fortgesetzte Widerstandshistorie der „neuen sozialen Bewegungen“. Zäsur und Zeitfluß. Krisenmoment und Kontinuität von '68 müssen also gleichermaßen bedacht werden, wenn man nun die Ursachen der Protestbewegung näher untersucht. Ich greife hier zunächst auf verschiedene sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze zurück. 1. Das „Generationsparadigma“

Die gängige Rede vom „typischen 68er“.den die Massenmedien und die Nachgeborenen schon phänotypisch identifizieren zu können glauben und den die Konsumwerbung fest ins Visier genommen hat, verweist auf mögliche kollektive, stabile Einstellungsmuster und Handlungsorientierungen der betreffenden Geburtsjahrgänge zwischen ca. 1940 und 1950, die durch ihren Schimpf-bzw. Ehrentitel „ 68er“ eine Aura ewiger Jugendlichkeit besitzen. Konsistent wäre ein solches Generationsparadigma, wenn sich ein soziodemographischer Generationstypus durchgehalten hätte: Bei den heute 40-bis 50jährigen wären dann immer noch generationsspezifische Werte. Attitüden und Optionen (z. B. auch im Wahlverhalten) anzutreffen und. in die Zukunft verlängert, bei den Rentnern und Pensionären nach der Jahrtausendwende wären spezifische Muster des Altwerdens zu vermuten. Hypothesen zu historisch-politischen Sozialisationsmustern von Generationen sind empirisch noch nicht hinreichend erforscht. Gleichwohl wird man zumindest zwei Merkmale notieren können, die die 68er Generation auszeichnen: Sie war die erste „echte“ Nachkriegs-und nachfaschistische Generation, die von persönlicher Verstrickung in die Katastrophe des Nationalsozialismus, des Weltkriegs (und auch des Stalinismus) frei, von deren psycho-politischer Verarbeitung jedoch um so intensiver betroffen war. Die 68er Generation erlebte also erstens besonders stark die „Ungnade später Geburt“. Zweitens durchlebte sie im Stadium der frühen politischen Sozialisation eine historisch ungewöhnlich lange Phase des Friedens und relativen materiellen Wohlstands, die allerdings unter der permanenten Drohung nuklearer Zerstörung stand und von andauernder Friedlosigkeit an der Peripherie der Weltgesellschaft begleitet war. Verglichen mit der heutigen Situation der (akademischen) Berufsanfänger hatte diese Generation (als letzte) einen überwiegend reibungslosen Einstieg in das Erwerbsleben und schritt auch noch auf der Karriere-leiter relativ zügig ins heutige „Establishment“, sofern hier nicht direkte oder indirekte Berufsverbote dazwischenkamen

Aus beiden Generationserfahrungen resultierte eine auch politisch anspruchsvolle Haltung, die sich von der politischen „Skepsis“ und instrumenteilen Wiederaufbauorientierung unterschied, die vorherigen Jugendgenerationen zugeschrieben worden ist. Diese auch als „Reideologisierung" und „Linksverschiebung“ zu deutende Entwicklung nahm ganz verschiedenartige Elemente auf und amalgamierte sie:

— solche eines radikalen, subkulturell fundierten Modernismus und Hedonismus;

— solche einer auf Verwirklichung westlicher Demokratie- und Freiheitsideale abzielenden Bürgerrechtsbewegung

— und solche einer angestrebten „Vollendung des Demokratisierungsprozesses“ unter sozialistisch-kommunistischen Vorzeichen. * Die Protestbewegung trug international das Etikett einer Neuen Linken. Ihre Argumentationsformen waren zwar — dem geistesgeschichtlichen Hintergrund wie dem Aktualitätsbezug nach — noch „alteuropäischer“ Natur und ihre Argumentationshorizonte noch ganz industriegesellschaftlich; aber die innere Dynamik der Infragestellung bestehender Herrschafts-und Gesellschaftsstrukturen reichte über beides hinaus.

Weil einiges für den Generationsbefund spricht (vor allem bei den meinungsbildenden Teilen) und weil die (damals noch vielköpfigere) Familie als zentrale Konfliktarena antiautoritären Protests in Erinnerung geblieben ist, könnte man die These vom Generationskonflikt als Auslöser der Revolte vertreten: Die „ewige“ Auflehnung Jugendlicher gegen ihre Eltern sei zeittypisch nach links ausgeschlagen und habe eher unpolitisch-private Protest-formen (unkonventionelle Moden, Musik und Manieren der Jugendsubkulturen) durch gesellschaftskritisches Totalengagement „aufgeladen“. Eine solche Vermutung wird gefördert durch die (oftmals plastischen) Lebensgeschichten einzelner Vertreterinnen der Studentenbewegung: Hier demonstrierte der Sohn eines Oberstaatsanwaltes mit NS-Vergangenheit, dort die Tochter eines sozialdemokratischen Polizeipräsidenten... Solche stilisierten Szenarien beginnen mit eindrucksvollen Belegen familiärer, besonders väterlicher Repression und enden in Feststellungen anhaltender Entfremdung. In der Selbstdarstellung von späteren RAF-Mitgliedem spielt dieses Motiv der gewaltförmigen Entladung verweigerter „Anfrage“ (Christian Geissler) an die Nazi-Väter in befreienden Taten eine wichtige Rolle.

Repräsentative Studien über die Herkunft und Entwicklung von 68er Akteuren sowie die sozialisationstheoretische Gegenhypothese von der „vaterlosen Gesellschaft“ (Alexander Mitscherlich) widersprechen jedoch dieser zugespitzten Deutung: Das spätödipale Szenario, ausgemalt im (keineswegs ganz frei erfundenen) Märchen von der „Generation, die auszog, das Fürchten zu lernen“, bietet nämlich nur begrenztes Anschauungsmaterial für das „abweichende Verhalten“ von Zigtausenden (wobei in international vergleichenden Studien diese typisch deutsche Generationenkonstellation ohnehin zurücktreten müßte). Solche Studien belegen eher, daß Generationsspannungen weniger Auslöser denn Folge politischen Engagements waren. das seinerseits eine weite Strecke mit liberalen bis linken Dispositionen „daheim“ im Einklang stand und diese radikalisierte. Opposition. Protest und politisch-kultureller Nonkonformismus waren Resultat „ganz normaler“ Erziehungsprozesse, die noch wenige Jahre zuvor mit einiger Wahrscheinlichkeit zu eher „angepaßten“ Überzeugungen und Handlungsdispositionen geführt hätten.

Autoritärer oder permissiver Erziehungsstil an sich war ebensowenig Auslöser oder Verstärker radikalen Protestverhaltens — gleich, ob man nun von der anhaltenden Vorherrschaft „starker“ Elternfiguren oder bereits, wie wohl eher zutreffend, von einer weitgehend „vater-(und mutter) losen Gesellschaft“ ausgeht, in der die Familie ihre traditionelle, auch gegen totalitäre Vereinnahmung oder spätkapitalistische Manipulation des Individuums widerständige Funktion verloren hatte. Die Protestbewegung ist somit auch Reflex eines familien-soziologisch diagnostizierbaren Wandels gewesen, und es war kein Zufall, daß Sozialisations-, Erziehungs-und Bildungsangelegenheiten sich um 1968 ganz besonderer öffentlicher Aufmerksamkeit und Veränderungsbereitschaft erfreuten. 2. Das „Studentenparadigma“

Die Vorkämpfer der Protestbewegung haben sich stets gegen die einschränkende Bezeichnung „Studentenbewegung“ gewehrt Unbestritten ist natürlich, daß die Hochschulen Aktionszentren waren und Studenten, vor Schülern und Lehrlingen, in allen öffentlichkeitswirksamen Aktionen und ganz besonders in der Theorie den Ton angaben. Außerhalb der Hochschule spielten Intellektuelle, darunter viele Angehörige des akademischen „Mittelbaus“ (Assistenten, Hilfskräfte) besonders aus den geistes-und sozialwissenschaftlichen Fakultäten, eine exponierte „Vordenker“ -Rolle. Das Milieu der „Massenuniversität“ war damit ohne Zweifel der Vermittlungsort zwischen „protestbereiten“ Individuen und gesamtgesellschaftlichen Problemlagen.

Doch ist es zu kurz gegriffen, subjektive oder objektive Merkmale dieses Milieus allein für die besondere Protestbereitschaft studentischer Jugend geltend zu machen: Kritik an den sich verschlechternden Studienbedingungen, Antizipation späterer akademischer Arbeitslosigkeit und Statusunsicherheit, Abwehr der Indienstnahme wissenschaftlich-technischer Intelligenz für Kapitalverwertungsinteressen, aber auch die „Priestertrug“ -These, wie sie bei einem bestimmten Typus der Intellektuellen-Schelte von rechts anzutreffen ist, gehen in diese Richtung. All diese Motive wären aber mit den Mitteln einer — wie auch immer gearteten — Hochschul(gegen) reform zu bearbeiten gewesen. Das zunehmende „Überschießen“ ausbildungsbezogener Protestanlässe über den Campus hinaus zeigt aber, daß die Universitäten eher ein Exerzierfeld bereits ausgeprägter Gesellschaftskritik und symbolisches Ziel von weiterreichendem Protest waren. Studenten, Assistenten. Intellektuelle ließen sich eben nicht auf hochschul-und kulturpolitische Reformen verpflichten und einschränken, auch wenn dies später ihr primäres Betätigungsfeld sein mochte.

In der Bundesrepublik sind die protestierenden Studenten oftmals als Totengräber der verdienstvollen deutschen Universität karikiert worden; dabei waren sie, ironischerweise, in mancher Hinsicht eher Verteidiger des klassischen Kommilitonenideals, das zwischen Studenten und Professoren nur graduelle Unterschiede gelten ließ und beide auf staats-ferne und zweckentiastete Wahrheitssuche verpflichtete. Daß dieses durch Reedukationsziele angereicherte und aktualisierte Humboldtsche Ideal nicht der Wirklichkeit entsprach, erfuhren sie täglich. Ihre Forderung nach Hochschulautonomie und Demokratisierung der Universität, vertreten im Zweifrontenkampf gegen „Ordinarienwillkür“ und technokratische „Staatsaufsicht“ für die „Freiheit von der Manipulierung durch gesellschaftliche Partikularinteressen“ (SDS-Denkschrift 1961) und verfochten in Experimenten der „Kritischen Universität“ oder des „Aktiven Streiks“, war gemeint als ein Rettungsversuch der Universitäten als Foren kritischer Öffentlichkeit und Reflexion Heute, da sich die Hochschulen in Selbstverwaltungsbürokratie und verschiedenen Formen der Privatisierung aufzureiben drohen, muß dieser (oftmals ungestüme) Versuch in einem ganz anderen Licht gesehen werden, als es angeblich der „Freiheit der Wissenschaft“ dienende Standesbünde immer noch suggerieren. Nach einer (gelegentlich vandalischen) „heißen Phase“ des Studentenprotestes 1968/69 verabschiedeten sich die kritischen Studenten aus der Alma mater — ein „Abschied für länger“, wie sich herausgestellt hat.

Studentenbewegung war die Protestbewegung insofern, als sich im Hochschulmilieu dank der beson-deren Soziallage des akademischen Nachwuchses, der Homogenität der Studenten-Rolle und der hohen Reflexivität bestimmter Fachbereiche (heute ist diese eher bei den Naturwissenschaften zu finden!) latent ausgeprägte politische Protestmotive in einem Prozeß sekundärer politischer Sozialisation zuspitzen und aktualisieren konnten. Doch war die Protestbewegung mehr als das, nämlich eine von Studenten und „Massenintellektuellen“ aktivierte, breitere soziale und politische Bewegung, die bald aus den Hochschulen hinausdrängte und das Bündnis zum einen mit den wissenschaftlich-technischen Professionellen und dem liberalen Bürgertum, zum anderen mit den Organisationen und Akteuren der Arbeiterbewegung suchte.

Die Protestbewegung der sechziger Jahre ist somit nicht allein individual-oder gruppenpsychologisch als „Jugendprotest“ oder „Studentenrevolte“ zu interpretieren, sondern als Nukleus einer politisch-sozialen Bewegung, deren „strategische“ Gruppen einem noch diffusen, ungerichteten Strukturbruch und Wertewandel spätkapitalistischer Gesellschaften Subjektcharakter verliehen und eine Richtung zu geben versuchten. 3. Das „Krisenparadigma“

Ihre Kritiker haben die Protestbewegung eine „ideologiepolitische Bewegung zur Aufdeckung von Legitimationsschwächen eines Systems“ (Hermann Lübbe) genannt: Nicht die gescheiterte, weil verschleppte oder verweigerte Lösung von Problemen, sondern der Schwund von Verbindlichkeiten, Motivation und Identität hätte hochentwickelte Industriegesellschaften in die Situation gebracht, in der die „Provokateure“ von der Wirksamkeit ihrer Provokation überzeugt sein konnten. „Die antiautoritäre Bewegung... war selbstverständlich keine Bewegung gegen autoritäre Bedrückung, sondern eine Bewegung der Abschüttelung von Resten einer Autorität, die ihrer selbst nicht mehr sicher ist.“

Eine solche Deutung stellt freilich Ursache und Wirkung auf den Kopf. Denn es war in der Tat nicht allein (und sozusagen mutwillig und aus heiterem Himmel) Vertrauen geschwunden, sondern auch die Funktionsfähigkeit der Wachstumsökonomien und ihrer politischen Institutionen; beides zusammen konnte dann als Legitimationskrise des Spätkapitalismus interpretiert werden, weil die (in der Bundesrepublik genauso wie in Frankreich) spürbare Unterbrechung der „dreißig glorreichen Jahre“ (Jean Fourastid) zwischen 1945 und 1975 Realität war: Sinkende Wachstumsraten und Stagnationstendenzen, wachsende Beschäftigungsprobleme und Finanzierungslücken der öffentlichen Haushalte kündigten bereits Mitte der sechziger Jahre, in einem Ambiente unendlich scheinender Wohlstandsmehrung, das spätere Ende des „kurzen Traums immerwährender Prosperität“ (Burkhart Lutz) an, der ja nicht von intellektuellen Miesmachern herbeigeredet worden ist. Nicht deswegen, weil jugendliche „Provokateure“ Respektspersonen, Institutionen und den common sense lächerlich machten, ist es zu dieser Glaubwürdigkeitsschwäche gekommen, sondern weil die monomane Ausrichtung auf Wachstum, Konsum und Vergeudung normativ bestimmend war für „postkonventionelle“ Industriegesellschaften (womit übrigens. auf eine ganz unausgegorene Weise, auch spätere „Sinnfragen“ antizipiert waren, die sich nach der ökologischen Dämmerung derselben stellten).

In den sechziger Jahren traten tatsächlich drei Krisenphänomene gemeinsam auf: Das wirtschaftliche Wachstum kam ins Stocken, die politisch-institutionellen Grundlagen der westlichen liberalen Demokratien unterlagen einem „Involutionsprozeß“ (Johannes Agnoli), und nach der Befriedigung vieler materieller Sicherheitsbedürfnisse begann ein Prozeß der Verschiebung von Werthierarchien zugunsten „postmaterialistischer“ Orientierungen. In diesem Zusammenhang erschienen die überkommenen Muster der Lebensgestaltung als unerwünschte Restriktionen von Selbstverwirklichungschancen, und „die Gesellschaft“ meldete wachsenden Autonomiebedarf gegenüber Staat und politischer Klasse an, ebenso „das Individuum“ gegenüber gemeinschaftlichen Ordnungsgefügen.

Die Legitimationskrise der sechziger Jahre war mithin eine Reaktion auf das Auseinanderklaffen von technokratischer Supermodernisierung (alle heute gegen viele Widerstände verwirklichten großtechnischen Projekte sind damals erdacht und vorbereitet worden) und konservativer Lebenswelt — im Adenauerschen „CDU-Staat“ ebenso wie in „Opas Frankreich“ zu Zeiten Charles de Gaulles Das von studentischen Protestgruppen, Publizisten, Schriftstellern und sonstigen „Meinungsführern“ artikulierte Unbehagen überlappte sich hier mit der Veränderungsbereitschaft größer werdender Bevölkerungsteile, die sich am wenig partizipativen und arkan-politischen Stil der „Kanzlerdemokratie“ (oder auch des Neobonapartismus der Fünften Republik) stießen.

Technokratische, auch linkstechnokratische Lesarten nahmen dieses „Unbehagen“ als Anstoß eines Readjustierungs-und Reformprojekts, d. h. sie interpretierten die Verweigerungen und Aufstands-keime als Signale eines zu kurz gekommenen Modemisierungsbedarfs Wo moderne Gesellschaften politisch und sozial „blockiert“ sind, bedarf es eben einer im Extremfall jähen Korrektur durch Außenseiter, um die Deblockierung einzuleiten. Die diagnostizierten Modernisierungsdefizite wurden dann so beschrieben, daß die Techno-bzw. Kapitalstruktur und die Alltagskultur nicht übereinstimmten; daß Demokratisierung und Industrialisierung nicht mehr synchron liefen oder daß die politische Demokratie nun durch die wirtschaftliche

III. Auf 1968 hin: Auschwitz — Vietnam Das Skandalon der Protestbewegung

1. „Unser Auschwitz“: Empörungsmotive aus der Vergangenheit Die vehemente Entlarvung des „hilflosen Antifaschismus“ (W. F. Haug), wie das „Bewältigungs" niveau der nationalsozialistischen Vergangenheit in den sechziger Jahren charakterisiert worden ist, hat man zu Recht als wesentliches Antriebselement der westdeutschen Protestbewegung bezeichnet. In seiner Rede im Berliner Reichstagsgebäude 1983 hat oder eine Demokratisierung „aller Lebensbereiche“ zu flankieren sei. Ein solcher Ansatz, der den Protest objektiviert und für die Selbstanpassungskapazität moderner Systeme funktionalisiert, argumentiert indessen bereits aus der Kenntnis der Nachgeschichte von ‘ 68, in der etwa die sozialliberale Koalition in der Bundesrepublik antiautoritäre Impulse in „Strukturreformen“ verwandelte oder in Frankreich das große Tarifwerk des Grenelle-Abkommens anachronistische Überbleibsel der sozialen und industriellen Beziehungen mit einem Schlag außer Kraft setzte bzw. auch dort einen sozialliberalen Reformismus nach vom brachte. 1968 erhält in dieser Deutung also die Funktion, Energien der „Lebenswelt“ aus dem Gefängnis konservativer Institutionen und Normen freigesetzt zu haben. Man wird sagen können, daß dies tatsächlich eine Wahrheit jenes Prozesses ist.der sich „hinter dem Rücken“ der enrages vollzog, aber auch, daß diese systemische Selbstmodernisierung nicht aufgegangen ist. Die systemtheoretische Objektivierung der Protestbewegung wird den speziellen Empörungsmotiven der Protestbewegung nicht gerecht.

Hermann Lübbe dieses tiefliegende Motiv der Empörung als „eine zunächst theoretische, dann aber auch politisch-moralische Delegitimierung der zur Frühgeschichte der Bundesrepublik gehörenden Versuche, die nationalsozialistische Vergangenheit ins politische Gegenwartsbewußtsein zu heben“, verurteilt. Lübbe, Jahrgang 1926, verteidigt dagegen das Verfahren, mit dem seine eigene Generation nach 1945 den Nationalsozialismus „bearbeitet“ hat und das er treffend mit dem Begriff „kommunikatives Beschweigen“ umschreibt: In „Verhältnissen nicht-symmetrischer Diskretion“ (nämlich zwischen Opfern und Tätern) sei es bis zur Revolte „weniger wichtig (gewesen), woher einer kommt, als wohin er zu gehen willens ist“

Aus diesem im Grunde zustimmungsfähigen Satz spricht die Verletzung einer nach-und unstrittig antinationalsozialistischen Generation, die man später die der „Flakhelfer“ genannt hat. Ihr machten in den sechziger Jahren und seither in eher wachsender Unnachgiebigkeit „spätgeborene“ Angehörige der APO-Generation den Vorwurf, sich erstens niemals ausreichend mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt und zweitens braune Anteile, personeller wie ideologischer Art, im bundes-republikanischen Gemeinwesen wissentlich inkorporiert zu haben — eine Vorhaltung, die jeden Älteren, der die Frühgeschichte der Bundesrepublik erlebt und mitgestaltet hat, kränken kann. Dennoch war die dahinterstehende Ambition, die Bundesrepublik unter Bruch des diskreten „Beschweigens“ in antifaschistischer Absicht sozusagen noch einmal zu gründen, keinesfalls ein Anschlag zu ihrer „Delegitimierung". Wenn ein Mentor der Protestbewegung schon 1959 (angesichts eines neu aufkeimenden Antisemitismus) erklärt hatte, er „betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie“ und wenn ein prominenter Studentenführer mehr noch als die atemberaubenden Wahlerfolge der NPD in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre den „Faschismus in der Struktur“ (Rudi Dutschke) der bundesrepublikanischen Gesellschaft anklagte, dann geschah dies eher aus Sorge um diese Republik denn aus antidemokratischer Zerstörungsneigung.

Es ist heute unbestritten, daß die damals wiederbelebte Faschismustheorie (besonders sowjetmarxistischer Prägung) große Schwächen und Blindstellen aufwies und daß der ubiquitär entgrenzte Faschismusvorwurf mit taktischen Momenten überfrachtet war. daß also der 68er Antifaschismus seinerseits eine Menge problematischer Seiten besaß. Aber der Gewinn dieser neuerlichen Thematisierung der nationalsozialistischen Vergangenheit — besonders unter sozioanalytischen Gesichtspunkten — kann schwerlich bestritten werden, und es ist nicht im mindesten einzusehen, warum diese wachgehaltene Erinnerung an Auschwitz, aber auch an den Zusammenhang von Nationalsozialismus und kapitalistischer Krise als „Verletzung“ der bundesrepublikanischen Rumpfnation eingestuft wird.

Aus Sorge über ein Nachleben totalitärer Tendenzen in der Demokratie opponierte die Protestbewegung gegen die „formierte Gesellschaft“ (Rüdiger Altmann), suchte sie politische Bündnisse gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze, veranstaltete sie die Anti-Springer-Kampagne und nahm sie „die Straße“, den öffentlichen Raum, in Besitz. Daß sie hierbei die relative Standfestigkeit der Zweiten Republik gelegentlich unterschätzte und in Akte defensiver Überdramatisierung verfiel, war kaum zu vermeiden. Wichtiger scheint mir, daß dieser republikanische Substitutionalismus notwendig war, um Demokratie als Prozeß in der Bundesrepublik gegen immanent antidemokratische Regressionstendenzen zu ermöglichen. Am 2. Juni 1967, nach dem tödlichen Pistolenschuß auf den Studenten Benno Ohnesorg, „begann der langfristig möglicherweise erfolgreiche Versuch, die Bundesrepublik republikanisch und demokratisch zu begründen, nachdem sie bis dato nur oder doch überwiegend ein Produkt der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches und der Fremdbestimmung der Siegermächte gewesen war und noch ist“ (Ekkehart Krippendorff). In dieser resümierenden Feststellung artikuliert sich der republikanische Anspruch der Protestbewegung ebenso wie die unausgetragenen Ambivalenzen der politisch-kulturellen wie politisch-institutionellen „Westbindung“ Nachkriegs-deutschlands 2. . und Vietnam und . . Empörungsmotive in der Gegenwart Das „antifaschistische“ Engagement trug gewiß zur anhaltenden Entfremdung der Protestgeneration vom politischen Establishment bei, wozu übrigens auch das keineswegs leichtfertige Abrücken dieser SDS-Kader von der sich allzu glatt zur Volkspartei entwickelnden Sozialdemokratie zählt. Diese Prozesse gegenseitiger Distanzierung (und Feinderklärung) werden oft als deutsche Besonderheit gesehen. doch läßt sich zeigen, daß analoge, gleichfalls „beschwiegene" Vergangenheitsereignisse auch andernorts zum aktuellen Skandalen wurden. Dies zeigt das französische Beispiel der in einem kaum weniger prekären ideologiepolitischen Akt geborenen „Schild-und Schwert-Theorie“, die Kollaborateure und Widerständler post festum in ein vergleichbares Diskretionsverhältnis gerückt hatte. Diese Konstruktion wurde in den sechziger Jahren durch politische, literarische und filmische Kritik* unhaltbar, besonders weil sich die Bürgerkriegs-frontstellung von 1940 an (Marschall Petain versus General de Gaulle) reaktualisierte. Die Beteiligung von Franzosen an der Judenvernichtung und die Kontinuität der extremen Rechten wurde nun ein (zunächst von Ausländem aufgebrachtes) Thema.

Für die 68er in Frankreich besonders relevant war dabei die „Lehre“ (Pierre Vidal-Naquet), die das Engagement zugunsten der algerischen Befreiungsbewegung zwischen 1954 und 1962 darstellte. Von hier führte personell wie programmatisch ein direkter Weg zu dem zentralen Politisierungsmotiv der sechziger Jahre überhaupt: dem Widerstand gegen die amerikanische Intervention in Indochina und den Vietnam-Krieg. Die Protestbewegung war nicht allein „antifaschistisch“, sie war in der Konsequenz auch antiimperialistisch

Mehr als das marginal gebliebene „Algerienprojekt“ der westdeutschen Linken schlug die Lektüre eines in Algerien aktiven Theoretikers. Frantz Fanon, in der Bundesrepublik ein und schuf die „abstrakte Präsenz der Dritten Welt in den Metropolen“ (Oskar Negt). Es war kein Zufall, daß sich die ersten Demonstrationen in westdeutschen Großstädten und vor allem in West-Berlin auf diesen Umstand bezogen und Auslöser der „heißen Phase“ des Protestes die Anti-Schah-Demonstration vom 2. Juni 1967 mit dem bereits erwähnten Resultat war. Die APO hatte nicht nur der festgefahrenen „deutschen Frage“ den Rücken zugewandt; sie entprovinzialisierte die politische Debatte aus den Frontstellungen des Ost-West-Konflikts und begründete auch von daher ihren Anspruch. Neue Linke zu sein. Die nachfaschistische Bundesrepublik hatte sich ein abstraktes Gewalttabu verordnet; der Vietnam-Krieg, aber auch theoretische Analysen von der Art Fanons zeigten nun schockhaft, daß ein globaler Gewaltkontext vorhanden war und eine neue politisch-moralische Herausforderung sich stellte.

Dieses weltgesellschaftliche Faktum struktureller wie akuter Gewalt ins Bewußtsein gehoben zu haben und — notabene — durch weltweiten Protest das Vietnam-Debakel der USA mit herbeigeführt zu haben, gehört gleichermaßen zu dem heute kaum noch zu bestreitenden Gewinn der 68er Bewegung. Aus den antiimperialistischen Komitees, Zirkeln und Gruppen (darunter vielen kirchlichen) hat sich seither eine der breitesten neuen sozialen Bewegungen formiert. Wenngleich diese oft genug in sektiererische Haltungen abgerutscht ist und bisweilen einem unerträglichen, völlig verselbständigten Gewaltmythos unterliegt, ist der „Internationalismus“ gleichwohl eine der Botschaften der sechziger Jahre, an denen es unter keinesfalls gelinderten Gewaltverhältnissen in den Nord-Süd-Beziehungen festzuhalten gilt. „Antiimperialismus“ dieser Art ist dabei nicht zu verwechseln mit dem kruden Antiamerikanismus und Antijudaismus der „Stadtguerilla“, deren paranoide „Opfer“ haltung und desperate Militanz eher an den Konkurrenzimperialismus z. B.der deutschen Rechten gemahnt

Antifaschismus und Antiimperialismus, die beiden zentralen Empörungsmotive der 68er also, waren vermittelt in einem dritten „Anti": Beide Übel entsprangen ja der theoretischen Analyse nach vor allem der widersprüchlichen Dynamik und Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Produktionsweise. Dem Studium und der Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus waren folglich eine Legion theoretischer Analysen gewidmet, die an die verschiedenen Schulen und Traditionsstränge des Sozialismus bzw. Marxismus anschlossen. Daß Kapitalismus. Marktwirtschaft und Profitmaximierung heutzutage wieder unverblümt gefeiert werden, sich darüber hinaus aber auch bei 68em eines erheblich besseren Ansehens erfreuen, stellt vielleicht weniger die prinzipielle Berechtigung der Kapitalismuskritik in Frage als ein zentrales Manko des 68er Denkens heraus: daß es nämlich weitgehend steril blieb bei der Hervorbringung alternativer ökonomischer und gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen, die zwischen „wildem Kapitalismus“ und „Planwirtschaft“ auf Dritte Wege wiesen

IV. 1968— 1988: Tradition — Die Ideen der Protestbewegung

Die „Ideen von ‘ 68" bilden keine geschlossene (revolutionäre oder reformistische) Programmatik der Gesellschaftsveränderung. Zu verschiedene Vorhaben sind in sie eingegangen, und zu undeutlich waren viele Ziele und Begründungen, manches blieb im Stadium fixer Ideen und „Traumtänzerei“ (Fritz Teufel). Die sozialen Utopien einer nachkapitalistischen. nichtautoritären Gesellschaft waren immer in Aktionen und Kampagnen verwoben, weil sich der „neue Mensch“ und die „neue Geschichte“ (Rudi Dutschke) im Verweigern und Aufbegehren selbst erst herauskristallisieren konnten. Voluntaristische und exemplarische Aktion würden, so war die Vorstellung, die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen. Zu einer Programmfestschreibung ist es auch deswegen nicht gekommen, weil die Protestbewegung als relativ diffuses Gebilde im Verhältnis zu früheren sozialen Bewegungen kein organisierendes Zentrum besaß; gleichwohl waren die außerparlamentarischen Oppositionen der sechzigerJahre noch stärker zentralisiert und institutionalisiert, mehr als die späteren amorpheren Partei „neuen sozialen Bewegungen“ der siebziger Jahre.

In der Bundesrepublik sind vor allem der „Sozialistische Deutsche Studentenbund“ (SDS) (nebst weiteren politischen Studentenverbänden) und die „Republikanischen Clubs“ (RC) (auch diese ergänzt durch andere politische Vereinigungen) als Ideenträger zu nennen. Daneben spielten Taschenbuchreihen. Zeitschriften („Das Argument“, „Kursbuch“, „neue kritik“, „diskus“, „alternative“), Theoriezirkel, autonome Projekte einer „kritischen Universität“ etc. eine bedeutende Rolle, für die ihrerseits eine zumeist unorthodoxe, lebendige Bezugnahme auf ältere Theoretiker des „westlichen Marxismus“ (Jean Paul Sartre, „Frankfurter Schule“. Herbert Marcuse. Andr Gorz u. a.) und sozialistische bzw. kommunistische Traditionsbestände von den Frühsozialisten bis zur Dritten und Vierten Internationale konstitutiv war

Ganz wesentliches Selbstdefinitionsmerkmal der Protestbewegung war ihre antiautoritäre Zielset-zung. Auch hier scheint wieder das Anti-Denken vorzuherrschen, doch enthält der versuchte Abschied von der „autoritären Persönlichkeit“ durch die Einübung neuer Generations-und Geschlechterverhältnisse und der Kampf gegen den „autoritären Staat“ (in asymmetrischer Weise) jenes soziokulturelle und politische Modernisierungspotential, das „ 1968“ bis heute wirksam und interessant macht. Hier liegen die „positiven“ Transformationsansätze, die über das defensive „weg mit...“ hinausreichen, ohne in einem schlechten Sinne selbst wieder autoritär Vorgaben zu machen.

Asymmetrisch nenne ich dieses Potential deshalb, weil — so schließlich meine vierte These — die sozialen und kulturellen Impulse zur Veränderung der konservativen „Lebenswelt“ und damit der kultur(r) evolutionäre Zug der Protestbewegung eindeutig stärker und weitreichender waren als ihr politisch-institutionelles Innovationspotential. Die Perspektive gesellschaftlicher Selbstverwirklichung und Selbstverwaltung war bei den Antiautoritären stärker ausgeprägt als ihr politisches Gestaltungsvermögen.

Diese These mag überraschen — bedenkt man den Innovationsschub, den die Protestbewegung zugunsten wohlfahrtsstaatlich-massendemokratischer Reformen ausgelöst hat, oder die Langzeitwirkung in Form der Spaltungslinien „neuer Politik“ und nicht zuletzt der Herausbildung grün-alternativer Parteikonstellationen. Jürgen Habermas hat hier kürzlich von einem durch die Kulturrevolte ausgelösten „Prozeß der Fundamentalliberalisierung" gesprochen Doch war dieses „mehr“ an Demokratie, Liberalität der politischen Kultur, Bürgerbeteiligung an Planungsentscheidungen etc. im Sozialliberalismus sehr viel staatsvermittelter, als es dem antiautoritären, und das heißt libertären Selbstverständnis entsprach; die gegenwärtige Verflüssigung der politischen Zuordnungen — am deutlichsten ablesbar am Typus des „intelligenten Wechselwählers“ — deutet gerade auf das schließlich offenkundig gewordene Defizit an politisch-institutioneller Alternativgestaltung hin. 1. „Neues Leben“

Was die soziale und kulturelle Dimension anbetrifft, konzentrierten sich die Experimente „neuen Lebens“ vor allem in den kollektiven Wohn-und Erziehungsprojekten der sechziger Jahre, deren Vorbilder den Subkulturen der Vereinigten Staaten entnommen waren. Sie waren auf Selbstveränderung der Individuen gerichtet und sollten sich modellhaft „gesamtgesellschaftlich“ verallgemeinern. Die spielerisch-verfremdenden Regelverletzungen provozierten neben einem hohen Maß an Abwehr und Widerstand eine verwickelte Imitationspraxis, so daß ä la longue in der Tat eine über marginale Gruppen („Kommunarden“, „freaks“, „Hippies“, „Provos“) hinausreichende Bewußtseinsänderung die Folge sein konnte. Dies war umso leichter möglich, als zwanzig Jahre nach Kriegsende auf der Basis eines noch nie dagewesenen materiellen Reichtums und schrumpfender Arbeitszeiten eine latente Bereitschaft zum „Wertewandel“ in breiten Kreisen bestand. Übernommen wurden von den „ausgeflippten“ Subkulturen weder die (mehr proklamierte als gelebte) sexuelle Libertinage noch der explizite Anspruch. Kommunen seien die „adäquaten Einheiten zur Führung des Klassenkampfes“ (Bernd Rabehl). Wohl aber haben sich seither in moderater Form sowohl in den dominant gebliebenen Erziehungseinrichtungen (Familie. Kindergärten. Schulen) als auch in den bald massenhaft etablierten Altemativprojekten (Wohngemeinschaften. ‘Kinderläden.freie Schulen) Utopien der „hedonistischen Linken“ teilverwirklicht, so daß man von der Absorption minoritärer „Pilotprojekte“ — vermittelt durch relevante Minderheiten — in die Mehrheitskultur und einer deutlichen Neuzentrierung des common sense sprechen kann. Diese beschränken sich mittlerweile keineswegs mehr auf die begüterten bürgerlichen Mittelschichten, sondern haben längst die proletarischen Lebenszusammenhänge erreicht (und zu ihrer Auflösung beigetragen!).

Der Anspruch auf Selbstveränderung polarisierte nicht allein die Normalgesellschaft, sondern führte auch in den linken „Avantgarden“ zu einem exemplarischen Konflikt: Anders als in der Traditionslinken. in der mittelalte berufstätige Männer dominierten und die die Teilung in „privat“ und „öffentlich“ faktisch respektierte, machten die Antiautoritären das im spätkapitalistischen Zusammenhang „verratene“ Private in einem antifunktionalen Affekt. als Unmittelbares, selbst zum politischen Thema und Kampfplatz. Alle nur denkbaren (Herrschafts-) Verhältnisse zwischen Generationen und Geschlechtern wurden zum Experimentierfeld einer nicht-autoritären Praxis. Ais „Sozialismus in einem Haus“ ironisierten linke Kritiker dieses Vorhaben — was war eine befreite soziale und sexuelle Kommunikation in synthetischen Großfamilien gegen einen den ganzen Globus umspannenden Befreiungsprozeß der Völker? Die Gegenfrage lautete dann: Was war dieser ohne die Vorab-Revolutionierung der Revolutionäre?

Daß mittlerweile der Abschied von der „geliebten Revolution“ (Daniel Cohn-Bendit) genommen worden ist. veranlaßt viele Akteure von 1968.den Sieg in dieser Niederlage zu ignorieren. Er besteht, wie gesagt, darin, daß die Gesellschaften zahlreiche antiautoritäre Impulse der Revolte angenommen haben und etwa im westlichen Deutschland die „autoritäre Persönlichkeit“ als Sozialcharakter eindeutigzurückgetreten ist. Diesen Erfolg zu verteidigen, heißt nicht bloß, liberalere Erziehungsstile auf den verschiedenen Ebenen gegen die im Zeichen der „Wende“ vorgenommene Schulgegenreform und ein neokonservatives „rollback" zu schützen, sondern auch das allzu simple Konzept der „Selbstverwirklichung“ einer verfeinerten Dialektik von Autorität und Autonomie auszusetzen. „Autorität“ ist. autonomiefähigen Individuen gegenüber, ebenso vergänglich wie unvermeidlich 2. „Neue Politik“

Was die politisch-institutionelle Dimension von 1968 anbelangt, so schwankte die Protestbewegung damals zwischen einer republikanisch-bürgerrechtlichen Defensiv-und einer linksradikalen Offensiv-strategie. Sie legte äußerst kritische Diagnosen des Zustands der liberalen Demokratien, der parlamentarischen Repräsentationsfunktion und der Außerkraftsetzung von Kontrollfunktionen durch Pressekonzentration, korporatistische Vertretung von Großinteressen und Volksparteienmonismus vor — ohne dabei übrigens unbedingt antiparla-mentarisch zu sein. Man wird eher sagen können, daß die Neue Linke in ihrem melancholisch getönten Aparlamentarismus auf der Einlösung verfassungsmäßiger Bürgerrechte und Demokratieprinzipien insistierte, bevor sie angesichts des tatsächlichen Zustands der Verfassungswirklichkeit in darüber hinausreichende sozialistisch-kommunistische Transformationskonzepte einstieg. Das von vielen APO-Vertretern vorgeschlagene rätedemokratische Modell — in Frankreich in der Folge des Mai ‘ 68 von der „deuxieme gauche“, also der linkssozialistischen Partei PSU bzw. Gewerkschaft CFDT auch unter dem Stichwort „autogestion“ in die Diskussion gebracht — belegt die Ambivalenz der damaligen „Fundamentalopposition“. Denn modern verstanden enthält dieser Selbstverwaltungssozialismus eine Menge partizipatorischer Impulse, die dem autoritären Verwaltungsstaat bzw.der politischen Technokratie Kompetenzen entziehen und dem mündigen Bürger das Politische zurückgeben. Als Dezentralisierungs-, Mitbestimmungs-und Selbstverwaltungsforderung ist der libertäre Anstoß von ‘ 68 überaus aktuell und implizit in allen Diskussionen über Bürgerbeteiligung, Volksabstimmung und Kommunalisierung der Politik präsent. Doch die sich „proletarisierende" Protestbewegung rekurrierte damals zunehmend auf autoritäre, staatssozialistische Modelle, die die dialektische Einheit von Sozialismus und Demokratie mißachteten. Die Begeisterung vieler Antiautoritärer ausgerechnet für die chinesische Kulturrevolution — entstanden aus deren Kritik an der Teilung von Hand-und Kopfarbeit — und damit für ein hypertotalitäres politisches Regime belegt diesen selbst-verschuldeten Rückfall in politischen Traditionalismus.

Die Neue Linke in ihrer Avantgardemanier hatte zu wenig Zutrauen in die Selbstgestaltungsfähigkeiten der Gesellschaft und in die Entwicklungschancen nachliberaler Regimeformen; dies bedingte ihre latente Neigung zu autoritären, ja zu erziehungsdiktatorialen Lösungen, die nur ihrer politischen Schwäche wegen nicht die Chance bekamen, sich praktisch zu verwirklichen. Der unzeitgemäße Avantgardismus der späten Protestbewegung deutet aufein Manko von Beginn an hin: Dem sozialen, ästhetischen und übrigens auch technischen Modernismus entsprach ein politisch-institutioneller Traditionalismus, der letztlich für die politische Er-folglosigkeit der Neuen Linken verantwortlich ist. Aus der erwähnten „Durchmischung“ politischer Milieus und Einstellungen profitieren vorerst aller-orts die liberal-konservativen Vertreter der politischen „Mitte“, alliiert mit einem rabiaten Neoliberalismus angelsächsischen Typs. Dessen Gesellschaftstheorie, unverhohlener Besitzindividualismus und Leistungsideologie, greift die Befreiungswünsche der Menschen auf; das beste Exempel für diese Verdrehung ist die heute gängige Kritik am sozialdemokratischen Wohlfahrts-und Sozialstaat, die nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung mit dem libertären Antietatismus und der Bürokratie-kritik von links übereinstimmt.

Da der selbst altgewordenen Linken (bisher) aber ein massenattraktives Alternativkonzept fehlt, rückversichern sich Bürger als Wähler in einer Periode gegenwärtig eindeutig ansteigender Lebensrisiken und sozialer Unsicherheiten beim juste milieu der „Wende“ -Regierungen> die ihnen den Anschein politischer Initiative und Führung erwecken. Von ihnen wird vor allem wirtschaftspolitische Kompetenz erwartet, das heißt aber unter anderem Besitzstandswahrung aus den „goldenen Jahren“ und, vertrackterweise, Garantie von Freiheits-und Beteiligungserrungenschaften, die oftmals „ 68er Erbschaft“ darstellen. Aus diesem Verschiebungsprozeß hat sich im Lauf der letzten beiden Dekaden die widersinnig erscheinende Koexistenz „rot-grüner“ mit „schwarzen“ Gefühlen, Einstellungen und Erwartungen ergeben, die die heute wohl schon dominierenden Wertgemengelagen in spätkapitalistischen Gesellschaften und den Eindruck zunehmender „Unübersichtlichkeit“ erzeugen

Die „Bewährungsprobe“ der 68er Tradition bestünde also darin. „Individualismus“ als hegemoniales Konzept anders zu bestimmen, als dies gegenwärtig in der schleichenden, gleichwohl forcierten sozialen Atomisierung und der rasanten Fragmentierung der Öffentlichkeit der Fall ist, also gegen die sozialdarwinistischen Kampfregeln und unkontrollierten „privaten“ Machtkonzentrationen in den westlichen Industriegesellschaften. Nichts Geringeres als die Rekonstruktion des Sozialen und die Erneuerung des Politischen stehen auf der Tagesordnung. Zu larmoyanter Resignation besteht dabei genausowenig Anlaß wie zu selbstzufriedenem Spätsiegertum.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Beispiele aus 1987/88 (wobei ‘ 68 hier und im folgenden immer für die Jahre um 1968 steht): ‘ 68 als Fernsehereignis: Die Wiederholung von Roman Brodmanns Film über den 2. Juni 1967 „Der Polizeistaatsbesuch“, mit anschließender Diskussion in den III. Programmen der ARD. 1. Juni 1987, oder Daniel Cohn-Bendits vierteilige Serie „Wiedersehen mit der Revolution“, zunächst im französischen Fernsehen, dann in den Dritten ARD-Programmen im Frühjahr 1987 (auch als Buch erschienen: „Wir haben sie so geliebt, die Revolution“, frz. Paris 1986. dt. Frankfurt 1987). '68 als Radioereignis: Z. B. die laufende „Zeitzeichen“ -Serie in WDR 2. SFB und NDR. jeweils am 11.des Monats, neben einschlägigen Features. ‘ 68 als Memoiren-und Romanstoff: Z B. Hanns-Josef Ortheil, Schwerenöter. München-Zürich 1987. oder Volkhard Brandes. Wie der Stein ins Rollen kam, Frankfurt 1988. ‘ 68 schließlich als Titelstory z. B. im Spiegel (Autor: W. Bittorf). Nr. 14/1988 ff., ähnlich in Newsweek, LEspresso usw. Beeindruckend auch die Fotographien von 68. z. B. von Michael Ruetz, Schwarz-Weiß, I. Reportage-Fotos der späten sechziger Jahre, Nördlingen 1986.

  2. Vgl. zum Beginn des „Mobilisationszyklus“ in den Vereinigten Staaten etwa H. Kitschelt, Zur Dynamik neuer sozialer Bewegungen in den USA, in: K. W. Brand (Hrsg.), Neue soziale Bewegungen in Westeuropa und den USA. Ein internationaler Vergleich, Frankfurt-New York 1985. S. 248— 305. Zur Protestgeschichte der Bundesrepublik neuerdings Lothar Rolke, Protestbewegungen in der Bundesrepublik. Eine analytische Sozialgeschichte sozialen Widerspruchs, Opladen 1987.

  3. Diese These wird bei Alain Touraine entfaltet, vgl. Le communisme utopique. Le mouvement de Mai 68, Paris 1968, und zuletzt L’aprs-socialisme, Paris 1980, sowie (zusammen mit M. Wieviorka/F. Dubet) Le mouvement ouvrier, Paris 1984.

  4. Ludolf Herrmann, Hitler, Bonn und die Wende. Wie die Bundesrepublik ihre Lebenskraft zurückgewinnen kann, in: Die politische Meinung. (1983) 204. S. 13 ff.; vgl. auch schon ältere Kritiken der APO, z. B. E. K. Scheuch (Hrsg.). Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft. Köln 1968. Dazu Claus Leggewie. Der Geist steht rechts. Ausflüge in die Denkfabriken der Wende. Berlin 1987. Ein abschreckendes Beispiel unversöhnlicher Denunziation linker Intellektueller ist zuletzt Lothar Ulsamer, Zersetzen — zersetzen — zersetzen. Zeitgenössische Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt, Eßlingen 1987.

  5. Vgl.den Kongreßbericht „Prima Klima“, hrsg. von Helmut Schauer. Hamburg 1987. Sehr differenzierte Analysen der Protestbewegung haben u. a. Klaus Hartung. Versuch, die Krise der antiautoritären Bewegung wieder zur Sprache zu bringen, in: Kursbuch (1977) 48. S. 14ff., und Wolfgang Kraußhaar. Kinder einer abenteuerlichen Dialektik, in: Subversive Aktion. Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern. Frankfurt 1976. S. 9 ff., vorgelegt. Vgl. ferner T. Fichter/S. Lönnendonker. Kleine Geschichte des SDS. Berlin 1977; J. Miermeister/J. Staadt. Provokationen. Darmstadt 1980. und ders.. Rudi Dutschke (Rowohlts Bildmonographien). Reinbek 1986; Che Shah Shit. Die sechziger Jahre zwischen Cocktail und Molotow. Berlin 1984 und Reinbek 1986.

  6. L. Ferry/A. Renaut. Antihumanistisches Denken. Gegen die französischen Meisterphilosophen, frz. Paris 1985. dt. München 1987; dies.. 68— 86. Itineraires de l’individu, Paris 1987; dagegen C. Castoriadis. Les mouvements des annees soixante. in: Pouvoirs, (1986) 39; vgl. auch G. Lipovetsky, L’Ereduvide. Essai sur l’individualisme contemporain. Paris 1983. Ich beziehe im folgenden die französische 68er-Geschichte und -Debatte am Rande mit ein. konzentriere mich aber im wesentlichen auf Rezeption und Debatte in der Bundesrepublik.

  7. Vgl. Bd. 4 der repräsentativen „Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, hrsg. von Klaus Hildebrand. Von Erhard zur Großen Koalition 1963— 1969. Stuttgart — Wiesbaden 1984. bes.den Abschnitt „Vom Geist der Zeit: Zwischen . juste milieu’ und neuer Unruhe“ von K. D. Bracher, S. 417 ff.; Hermann Lübbe, Endstation Terror. Rückblick auf lange Märsche, Stuttgart 1978. Siehe zum anderen: Die alte Straßenverkehrsordnung. Dokumente der RAF mit Beiträgen von W. Pohrt, K. H. Roth u. a., Berlin 1986, sowie kritisch O. Kallscheuer/M. Sontheimer (Hrsg.). Einschüsse. Besichtigung eines Frontverlaufs zehn Jahre nach dem Deutschen Herbst. Berlin 1987. a) Helmut Dubiel. Was ist Neokonservatismus?, Frankfurt 1985. S. 11.

  8. Ulrich K. Preuß. Die Zukunft der Demokratie. Vortrag auf dem „Prima Klima-Kongreß“ 1986. erweitert in: Jahrbuch “ 86 des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Sensbachtal 1987. S. 147-160.

  9. Vgl. E. Morin/C. Lefort/C. Castoriadis, La Breche. Premieres rflexions sur les Evenements. Paris 1968.

  10. Zum konstitutiven Charakter des Dritte-Welt-Protestes vgl. etwa R. Dutschke u. a.. Die Rebellion der Studenten. Reinbek 1968. sowie die nachgelassenen Texte von Dutschke: Mein langer Marsch, Reinbek 1980; Geschichte ist machbar, Berlin 1980; Die Revolte, Reinbek 1983; ferner H. J. Krahl. Konstitution und Klassenkampf. Frankfurt 1971 u. ö.; J. Horlemann/P. Gang. Vietnam — Analyse eines Exempels. Frankfurt 1966. P. Gäng/R. Reiche, Modelle der kolonialen Revolution. Frankfurt 1967, H. Hamon/P. Rot-man. Generation. Bd. 1, Les annees de rve, Paris 1987.

  11. Vgl. zur „politischen Generation“ jetzt H. Fend, Sozial-geschichte des Aufwachsens. Frankfurt 1988. und als Biographiematerial P. Mosler, Was wir wollten, was wir wurden, Reinbek 1977. sowie B. Vesper, Die Reise. Romanessay, Frankfurt 1977. Zum folgenden vgl. K. Allerbeck, Soziologie radikaler Studentenbewegungen. München —Wien 1973; A. Mitscherlich, Die vaterlose Generation. München 1964; M. Horkheimer. Autorität und Familie in der Gegenwart, in: Festschrift für Theodor Litt, Düsseldorf 1960, S. 87 ff.; J. Bopp, Vatis Argumente. APO-Generation und heutige Jugend, in: Kursbuch, (1979) 58, S. 1 ff.

  12. Z. B. R. Dutschke in: Geschichte ist machbar. Berlin 1980, S. 129 ff. Vgl. auch J. Habermas. Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt 1969, S. 137 ff.

  13. Siehe dazu etwa Hochschule in der Demokratie. Denkschrift des SDS. 1961/1965 2. und Universität und Widerstand. Versuch einer Politischen Universität in Frankfurt. Frankfurt 1968. sowie St. Leibfried. Wider die Untertanen-fabrik, Köln 1967,

  14. H. Lübbe, Endstation Terror (Anm. 7), S. 42; siehe auch D. Bell, Die Zukunft der westlichen Welt. Kultur und Technologie im Widerstreit, Frankfurt 1976. Zur Legitimationskrise seinerzeit v. a. C. Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt 1972. zum folgenden B. Lutz, Der kurze Traum immerwährender Prosperität, Frankfurt 1984. und J. Fourasti, Les trente glorieuses, Paris 1979.

  15. Zum „CDU-Staat“ siehe die gleichnamige Sammelanalyse. hrsg. von G. Schäfer/C. Nedeimann. München 1967, und schon vorher die rororo aktuell-Bände, hrsg. von M. Walser (Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?. Reinbek 1961), H. W. Richter (Plädoyer für eine neue Regierung oder Keine Alternative. Reinbek 1965) sowie W. Jens (Politik ohne Vernunft oder Die Folgen sind absehbar. Reinbek 1965). Grundlegend auch P. Brückner/J. Agnoli, Die Transformation der Demokratie. Frankfurt 1967; dazu ders.. Zwanzig Jahre danach: Die Transformation der Demokratie. in: Prokla, (1986) 62. S. 7 ff., und andererseits C. Offe, Zwischen Bewegung und Partei. Die Grünen in der politischen „Adoleszenzkrise“?, in: O. Kallscheuer (Hrsg.) Die Grünen — Letzte Wahl?, Berlin 1986, S. 40 ff.

  16. Siehe z. B. M. Crozier. La socit bloque, Paris 1964. oder auch R. Debray. Modeste contribution aux ceremonies officielles du dixieme anniversaire, Paris 1978.

  17. „Unser Auschwitz“ war der Titel eines Essays von Martin Walser in: Kursbuch. (1965) 1; H. Lübbe. Es ist nichts vergessen. aber einiges ausgeheilt. Der Nationalsozialismus im Bewußtsein der deutschen Gegenwart, in: FAZ vom 24. 1. 1983. S. 9; Lübbe nimmt Bezug auf W. F. Haug. Der hilflose Antifaschismus. Frankfurt 1967 u. ö.

  18. Th. W. Adorno. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?, in: Eingriffe. Frankfurt 1963, S. 126; zum folgenden vgl. D. Claussen, Grenzen der Aufklärung. Zur gesellschaftlichen Geschichte des modernen Antisemitismus. Frankfurt 1987. und D. Diner (Hrsg.) Ist der Nationalsozialismus Geschichte?. Frankfurt 1987. sowie C. Leggewie. Antifaschisten sind wir sowieso, in: Die ZEIT, (1988) 8.

  19. E. Krippendorff. Die Deutschen sind nicht mehr, was sie waren, in: Der Spiegel, (1987) 23. S. 34.

  20. „und Vietnam und“ war der Titel eines Essays von Peter Weiss 1968; vgl. außer der in Anm. 10 angegebenen Literatur noch F. Fanon, Die Verdammten der Erde, Frankfurt 1966, und die ersten Jahrgänge von Kursbuch und Argument sowie W. Balssen/K. Rössel, „Hoch die internationale Solidarität“. Zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik, Köln 1986; zum Verhältnis „SPD und SDS“ vgl. jetzt die gleichnamige Studie von Tilman Fichter, Opladen 1988.

  21. Grundlegend D. Diner. Imperialismus. Universalismus, Hegemonie. Zum Verhältnis von Politik und Ökonomie in der Weltgesellschaft, in: I. Fetscher/H. Münkler (Hrsg.) Politikwissenschaft, Reinbek 1985, S. 326 ff.

  22. Ansätze dazu in den Publikationen von Th. Schmid (Hrsg.), Die Linke neu denken. Acht Lockerungen. Berlin 1984; Das pfeifende Schwein. Über weitergehende Interessen der Linken, Berlin 1985; Das Ende der starren Zeit, Berlin 1985; Befreiung von falscher Arbeit. Thesen zum garantierten Mindesteinkommen. Berlin 1987 2. Vgl. zum libertär-ökosozialistischen Ansatz aus der Neuen Linken heraus auch Andr Gorz, Wege ins Paradies. Berlin 1983. Zuletzt dazu: Freibeuter, (1988) 35.

  23. Das Verhältnis der Studentenbewegung zur Theorie behandeln J. Bopp. Geliebt und doch gehaßt, in: Kursbuch. (1984) 78, S. 121 ff., und O. Kallscheuer, Das . System des Marxismus'ist ein Phantom. Für den theoretischen Pluralismus der Linken, in ebda., (1977) 48. S. 59 ff.

  24. Jürgen Habermas. Der Marsch durch die Institutionen hat auch die CDU erreicht, in: Frankfurter Rundschau vom 11. März 1988, S. 1. In diesem Tenor auch Habermas’ einstiger Assistent und 68er Kontrahent Oskar Negt (Frankfurter Rundschau vom 23. April 1988). im ersten Interview einer Gesprächs-Serie. Siehe auch den Beitrag Ulf Fink in diesem Heft.

  25. Zu den antiautoritären „Quellen“ s. außer der bereits angegebenen Literatur: Subversive Aktion. Der Sinn der Aktion ist ihr Scheitern, Frankfurt 1978; R. Reiche. Sexualität und Klassenkampf. Frankfurt 1968; Kommune 2. Versuch der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums. Berlin 1969; R. Langhans/F. Teufel, Klau mich. Berlin 1968, sowie die Auseinandersetzungen von Peter Brückner (Anm. 15) und Heide Berndt in: Kursbuch. (1967) 17.

  26. In diesem Sinne R. Sennett. Autorität. Frankfurt 1986. und W. Gottschalch. Das Autoritäre im Antiautoritären, in: Freibeuter. (1986) 29, S. 48 ff. Zur Diskussion um die Persistenz bzw. Überholung autoritärer Charakter-und Persönlichkeitsstrukturen vgl. einerseits T. Schmid (Anm. 22). andererseits die Aufsätze von W. Kraußhaar und M. Brumlik in: H. Dubiel (Hrsg.). Populismus. Frankfurt 1987.

  27. Als ein Beleg unter vielen das „Gespräch über die Zukunft“ mit R. Dutschke, B. Rabehl und Chr. Semler, in: Kursbuch, (1968) 14, S. 146 ff. Geschichtsphilosophisch stand die Neue Linke um 1968 noch eindeutig in der progressistischen Tradition der sozialen Utopien. Hierin liegt ihre

  28. Dazu etwa H. Hanolka, Schwarzrotgrün. Die Bundesrepublik auf der Suche nach ihrer Identität, München 1987.

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Claus Leggewie, Dr. disc. pol., geb. 1950; Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen und Publizist. Veröffentlichungen u. a.: Siedlung, Staat und Wanderung. Das französische Kolonialsystem in Algerien, Frankfurt—New York 1979; Kofferträger. Das Algerien-Projekt der Linken im Adenauer-Deutschland, Berlin 1984; Der König ist nackt. Ein Versuch, die Ära Mitterrand zu verstehen, Hamburg 1986; Der Geist steht rechts. ’ Ausflüge in die Denkfabriken der Wende, Berlin 19872.