Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die wirtschaftliche Entwicklung Südkoreas | APuZ 36-37/1988 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 36-37/1988 Das „Land der Morgenstille“ — ein Brennpunkt der Weltpolitik Die Problematik der Wiedervereinigung Koreas aus der Sicht beider Staaten Die wirtschaftliche Entwicklung Südkoreas Die Demokratische Volksrepublik Korea im Vorfeld des Umbruchs

Die wirtschaftliche Entwicklung Südkoreas

Suck-kyo Ahn

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In politischer Hinsicht ist die Geschichte Koreas eine Folge unglücklicher Ereignisse: 30 Jahre japanische Kolonialherrschaft, der Koreakrieg, die Teilung des Landes und die Militärdiktatur. Im Falle Koreas gewinnt die wirtschaftliche Entwicklung eine zusätzliche Funktion, nämlich die Legitimation des Wirtschaftssystems zum einen und des diktatorischen politischen Systems zum anderen. Korea hat von Anfang an versucht, durch eine weltmarktintegrative Strategie die Industrialisierung voranzutreiben, und die Regierung hat vielseitige Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums eingesetzt. Korea leidet jedoch unter einer Reihe von strukturellen Ungleichgewichten und sozialen Konflikten, die ohne eine gesunde Ordnungspolitik und eine gesellschaftliche Demokratisierung kaum zu lösen sind.

I. Die Geschichte Koreas — ein Überblick

„Land der Morgenstille“, so wird Korea oft genannt. Betrachtet man jedoch die geopolitische Lage Koreas, so wird deutlich, daß die „Stille“ lediglich eine Wunschvorstellung der Koreaner ist. Korea bildet den Schnittpunkt, in dem der Expansionsdrang Japans mit den Interessen Chinas und der Sowjetunion kollidiert. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Japan von der amerikanischen Flotte gezwungen, seine Tore zu öffnen. Jahre später erschienen japanische Kanonenboote vor der koreanischen Westküste und zwangen ihrerseits Korea aus seiner hermetischen Abgeschlossenheit heraus. Danach haben die Japaner ihre politische und wirtschaftliche Einflußnahme auf Korea drastisch erhöht. Die daraus folgenden militärischen Auseinandersetzungen mit den Chinesen und den Russen endeten mit dem japanischen Sieg, womit 1910 die japanische Kolonialisierung Koreas begann.

Korea war jedoch nicht das Endziel Japans, sondern lediglich eine Ausgangsbasis für die Bildung einer „Großen Ostasiatischen Prosperitätszone“. Im Laufe der Zeit wurden die Japaner immer aggressiver und nach mehreren Siegen griffen sie Pearl Harbour an, wodurch der Krieg im Pazifik ausgelöst wurde. 1945 bezwangen die Amerikaner die Japaner durch den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki; damit endete eine 35jährige Kolonialisation Koreas durch Japan. Da die „Befreiung“ des Landes nicht aus eigener Kraft, sondern vielmehr als „Nebenprodukt“ eines fremden Kampfes erreicht wurde, war das nationale Selbstbewußtsein der Koreaner getrübt. Tatsächlich war die Befreiung der Beginn einer neuen Tragödie des Landes, unter der Korea bis heute leidet, und wohl noch lange zu leiden haben wird: 1945, am Ende des Krieges, hat Amerika eine „Verwaltungslinie“ quer durch Korea gezogen. Die Koreaner, die sich zum Zeitpunkt der Niederlage nördlich des 38. Breitengrades befanden, sollten unter russischer Kontrolle und die südlich davon unter amerikanischer Kontrolle stehen. Jedoch gaben sich die Siegermächte mit der bloßen Regelung des Kriegs-verbrechens nicht zufrieden, sondern haben Korea an ihre jeweilige Einflußzone gebunden: somit entstand ein sozialistisches und ein kapitalistisches System. Da der südkoreanische Vorschlag, das gesamte Korea zu einem demokratischen Staat unter der Aufsicht der Vereinten Nationen zu machen, wiederholt von Nordkorea abgelehnt wurde, fanden nur im südlichen Teil allgemeine Wahlen statt, durch die 1948 die südkoreanische Regierung unter Staatspräsident Syngman Rhee gebildet wurde. Solange jedoch der südliche Teil Koreas „unter dem kapitalistischen Joch und dem amerikanischen Imperialismus" litt, war er in den Augen Nordkoreas noch lange nicht „befreit“. Die Befreiung werde aber um so leichter, je schneller sie vonstatten ginge, deshalb sollte sie noch vor der vollen Bewaffnung des Südens stattfinden. So kam es 1950 zum Bruderkrieg, der drei Jahre lang dauerte und durch ein Waffenstillstandsabkommen vorläufig beendet wurde. Als Preis wurde die „Verwaltungslinie“ als eine Trennungslinie zementiert, mit der Folge, daß etwa zehn Millionen Koreaner von ihren im anderen Teil Koreas lebenden Familienmitglieder oder Verwandten getrennt wurden.

Seit der Teilung des Landes herrscht auf der Halbinsel ein kalter Krieg. Die politischen Führungen beider Staaten haben ständig versucht, in allen Lebensbereichen — vor allem aber im wirtschaftlichen — die Überlegenheit ihres eigenen Systems unter Beweis zu stellen. So gesehen gewinnt die wirtschaftliche Entwicklung im Falle Koreas eine zusätzliche ideologische Funktion, nämlich die Legitimation des jeweiligen Wirtschafts-und des dazugehörigen politischen Systems.

Die Ausgangsbedingungen in Südkorea waren dabei wesentlich ungünstiger als die im Norden. Nordkorea ist relativ reich an mineralischen Rohstoffen; hinzu kommt, daß die von den Japanern aufgebaute Energie-, Grundstoff-und Schwerindustrie im Norden konzentriert war. Noch bis zum Ende der fünfziger Jahre konnte Südkorea nur durch amerikanische Hilfeleistungen, die vorwiegend aus Überschußgetreide und Konsumgütern bestanden, überleben.

Präsident Syngman Rhee wurde nach mehr als 12 Jahren charismatischer Herrschaft durch eine Studentenrevolte gestürzt; danach wurde eine Übergangsregierung gebildet. Die Hoffnung auf Demokratie währte jedoch nur ein Jahr lang und wurde dann durch den von General Chunghee Park geführten Staatsstreich zunichte gemacht. Am Tag der Militärrevolte erklärte Park, daß er, sobald die revolutionäre Aufgabe erfüllt sei, unverzüglich einem „gewissenhaften“ Politiker die Macht überge33 ben und zum Militär zurückkehren werde. Weder fand er den gewissenhaften Politiker, noch betrachtete er die revolutionäre Aufgabe als erfüllt: Er blieb fast 20 Jahre lang an der Macht, bis er 1980 von dem Chef des Geheimdienstes erschossen wurde.

Politisch ist er in jeder Hinsicht ein Diktator gewesen; wirtschaftlich konnte er dagegen beträchtliche Leistungen vorweisen. Dazu sagte er selbst: „Um den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen, kann sogar eine nicht-demokratische Notmaßnahme gerechtfertigt werden. ... Es liegt auf der Hand, daß die Bevölkerung heutzutage Hunger und Armut mehr fürchtet als totalitären Druck.“ Für ihn war ein autoritäres System eine der Vorbedingungen für die Industrialisierung des Landes. Offensichtlich ging er dabei davon aus, daß zwischen der Demokratisierung und der wirtschaftlichen Entwicklung ein „trade off“ -Verhältnis besteht, und daß zumindest in der Anfangsphase der wirtschaftlichen Entwicklung dem letzteren Ziel der Vorrang eingeräumt werden müsse.

Nach der Ermordung Präsident Parks glaubte man, daß die Zeit für eine Zivilregierung reif sei. Diese Hoffnungen gingen aber wiederum nicht in Erfüllung. General Chun Doo-Hwan, der damalige Chef des militärischen Sicherheitsdienstes, verhängte den Ausnahmezustand und riß die Macht an sich. Gleichzeitig wurde einer der einflußreichsten Oppositionsführer, Kim Dae-Jung, wegen seiner angeblich sozialistischen Gesinnung zum Tode verurteilt. Chuns Aufstieg kostete mehreren hundert Menschen in Gwangju das Leben. Trotzdem Chun immer wieder beteuerte, er werde nicht zum zweiten mal als Präsident kandidieren, nahm der Protest von Seiten der Studenten und der Bevölkerung ständig zu. Mitten in dieser Protestwelle, die inzwischen das ganze Land erfaßt hatte, wurde am 29. Juni 1987 plötzlich von Roh Tae-Woo, dem zweitstärksten Mann in der Regierungspartei, die sogenannte „Erklärung zur Demokratisierung des Landes“ abgegeben. Darin hat er die politische und gesellschaftliche Demokratisierung versprochen. Teile dieser Deklaration wurden realisiert. So hat er das bis dahin bestehende System der Präsidentschaft-wahl, wonach der Präsident zu einem beträchtlichen Teil durch von der Regierung selbst aufgestellte Delegierten gewählt wurde, abgeschafft. Gleichzeitig wurde der Oppositionsführer Kim Dae-Jung, der eigentlich zum Tode verurteilt, jedoch offensichtlich auf politischen Druck von Seiten der USA hin mehrmals begnadigt worden war, politisch voll rehabilitiert.

In einer freien Wahl wurde dann Roh als Präsident gewählt. Die Oppositionsparteien konnten sich nicht auf einen Kandidat einigen, obwohl es von vornherein klar war, daß sie zersplittert kaum eine Chance hatten. Die Oppositionsparteien insgesamt konnten jedoch bei der Parlamentswahl im Frühling dieses Jahres mehr als die Hälfte der Stimmen gewinnen, was sicher als Auftrag der Bevölkerung, die Macht der Regierung via Parlament effektiv zu kontrollieren, zu verstehen ist. Es ist der Opposition zum erstenmal seit der Regierungsbildung 1948 gelungen, im Parlament die Mehrheit der Stimmen zu erringen. Durch diese demokratische Wahl ist auch das Legitimationsproblem Präsident Rohs gelöst. Ist Korea also gut gerüstet für eine neue Runde der politischen Demokratisierung?

II. Die wirtschaftliche Entwicklung Südkoreas

Die weltwirtschaftlichen Änderungen während der ersten und zweiten Entwicklungsdekade hatten zur Folge, daß sich nicht nur das Nord-Süd Gefälle, sondern auch das „Süd-Süd Gefälle“ vergrößerte. Mit dem letzteren ist der steigende Wohlfahrtsunterschied zwischen den sogenannten Schwellenländern und den nicht-ölexportierenden Entwicklungsländern gemeint. Zu den asiatischen Schwellenländem gehören Hong Kong. Singapur, Taiwan und Südkorea. Kennzeichnend für ihre wirtschaftliche Entwicklung ist die Tatsache, daß der Export als Wachstumsmotor gewirkt hat.

Die exportorientierte Entwicklungsstrategie und die dadurch induzierte wirtschaftliche Entwicklung war lange ein Gegenstand heftiger Diskussion: Für das (neo-) liberale Lager lieferte es den empirischen Beweis seiner liberalen These, daß die internationale Arbeitsteilung auf Grund der komparativen Kostenvorteile auch den beteiligten Entwicklungsländern Nutzen bringt. Für die Dependenztheoretiker dagegen verursacht die Weltmarktintegration eine sozioökonomische Deformation des betreffenden periphären Landes.

Die rapide Industrialisierung der genannten asiatischen Länder genoß in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erhöhte Aufmerksamkeit. Expandierende Anteile der Schwellenländer auf den Märkten der Industrieländer verstärkten den Zwang zur Strukturanpassung in den Industrieländern. Das galt zum Beispiel für die Industriezweige Textilien, Stahl und Schiffbau. Seit dem Ende der siebziger Jahre sind jedoch die externen Rahmenbedingungen immer ungünstiger geworden: Mit dem Sinken der wirtschaftlichen Wachstumsrate in den Industrieländern stagniert auch der internationale Handel, zugleich wird der neue Protektionismus immer stärker. Somit wurde die Frage nach den Chancen und Risiken der weltmarktintegrativen Entwicklung der Schwellenländer erneut gestellt. Auch diese Herausforderung hat Korea gut überstanden. Er befindet sich jedoch in einer Phase, in der die kritische Reflexion der bisherigen Entwicklungsstrategien notwendig geworden ist, was übrigens eng mit dem innenpolitischen Umbruch zusammenhängt.

Vor diesem Hintergrund wird im folgenden versucht, Entwicklungsstrategien und wirtschaftliche Leistungen Koreas darzustellen. Im anschließenden Teil wird dann ein kurzer Überblick über die wirtschaftliche und politische Demokratisierungsbewegung in der Sechsten Republik gegeben. 1. Ausgangsbedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung Zwar ist Südkorea arm an Rohstoffen, doch verfügt es über einige soziokulturelle, für die Industrialisierung des Landes günstige Voraussetzungen, was nicht selbstverständlich für ein Entwicklungsland ist. In diesem Zusammenhang sind unter anderem folgende Faktoren zu nennen: — der relativ hohe Bildungsstand der Bevölkerung:

Bereits am Anfang der sechziger Jahre lag das Bildungsniveau, gemessen an der Alphabetenquote oder am Anteil der Absolventen höherer Schulen, in Südkorea eindeutig höher als beim Durchschnitt der Entwicklungsländer. Dies hat erstens zur Steigerung der Arbeitsproduktivität beigetragen, zweitens konnte damit die im Zuge der Industrialisierung steigende Nachfrage nach qualifizierten Führungskräften befriedigt werden und drittens wurde dadurch eine hohe vertikale und horizontale Mobilität der Arbeitskräfte ermöglicht. Es war keine Seltenheit. daß die Bauern fast all ihr Vermögen, oft einschließlich ihres Grundstückes veräußerten, um das Studium ihrer Kinder zu finanzieren. Bei sehr niedrigen Einkommen — das pro-Kopf Einkommen lag 1962 bei 86 US-Dollar — war also die „investive consumption“ in „human Capital“ weit verbreitet. — die relativ egalitäre Einkommens-und Vermögensverteilung: Korea hat bereits in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre eine Agrarreform durchgeführt und die Höchstgrenze des Landbesitzes auf drei ha begrenzt. Diese günstige Verteilung, zusammen mit der hohen sozialen Mobilität, hat wohl wesentlich dazu beigetragen, die mit dem schnellen Wirtschaftswachstum verbundenen sozialen Friktionen auf ein Minimum zu beschränken. — die relativ gut ausgebaute administrative Infrastruktur: Wie im konfuzianistischen Kulturraum, zum Beispiel in China, generell üblich, verfügte auch Korea bereits während der Yi-Dynastie über ein für damalige Verhältnisse recht gut ausgebautes Verwaltungssystem. Damals war das Endziel vieler Gelehrter von höchstem Ansehen, in die Beamten-laufbahn einzusteigen, wozu sie eine strenge staatliche Prüfung bestehen mußten. Das Verwaltungssystem wurde dann während der japanischen Kolonialzeit zum Zwecke der politischen und sozialen Kontrolle noch weiter ausgebaut. Seit Anfang der sechzigerJahre konnte die Militärregierung also auf Grund dieser administrativen Infrastruktur ihre entwicklungspolitischen Maßnahmen bis zur letzten Verwaltungseinheit reibungslos durchsetzen und bis hin zu ihrer Implementation steuern. — die kulturelle und ethnische Homogenität: Sie hat zur Wahrung sozialer Affinität und damit zur Sicherung sozialer Stabilität beigetragen. 2. Die Rolle des Staates in der wirtschaftlichen Entwicklung Wie bereits angedeutet wurde, setzte die Regierung Parks die höchste Priorität auf die wirtschaftliche Entwicklung. Dazu bediente sie sich verschiedener wirtschaftspolitischer Förderungsinstrumentarien, die wie folgt systematisiert werden können:

Erstens: Maßnahmen zur Beeinflussung der wirtschaftlichen Denk-und Verhaltensweisen der Bevölkerung.

Dazu gehören verschiedene moralische und materielle Anreize bzw. Sanktionen. Exemplarisch zu nennen ist das sogenannte „New Village Movement“ in den ländlichen Gebieten, das später auch in den Industrieunternehmen ausgebaut wurde. Unter dem Motto der Selbsthilfe versuchte man. die Arbeitskräfte während der betriebsfreien Jahreszeiten für die Errichtung der sozioökonomischen Infrastruktur kleineren Umfangs in den Dörfern zu mobilisieren. Materielle Anreize wie die Besorgung von Zement, Bauteilen und -geräten zu subventionierten Preisen wurden gekoppelt mit selbst erbrachten Leistungen.

Vom Gesichtspunkt der sektoralen Allokation der Ressourcen konnte diese Bewegung verstanden werden als eine Maßnahme, die die Lebensbedingungen der ländlichen Bevölkerung verbessern sollte, und zwar durch die Mobilisierung der unausgenutzten Arbeitskräfte bei minimalem Input von Kapital, das hauptsächlich in den sekundären und in den tertiären Sektor geleitet wurde. So wurde während der ersten drei Fünfjahresplanperioden wesentlich weniger als geplant in die Landwirtschaft investiert: Während der ersten Fünfjahresperiode (1962— 1966), in der die jährliche reale Wachstumsrate bei 7, 8 Prozent lag, betrug der Anteil der Investitionen in die Landwirtschaft lediglich 8, 7 Prozent; geplant waren 17, 4 Prozent. Während der zweiten Fünfjahresperiode (1967— 1971), in der die durchschnittliche Wachstumsrate bei 10, 5 Prozent lag, betrug der Anteil 11, 5 Prozent und blieb damit deutlich unter der geplanten Höhe von 16, 3 Prozent. Diese Tendenz blieb auch in den darauffolgenden Jahren bestehen

Rückblickend kann man wohl mit Recht behaupten, daß die staatlichen Anreizsysteme dazu beigetragen haben, die passive Denk-und Verhaltensweise der ländlichen Bevölkerung, die sich davor mit ihrem statisch-traditionellen Lebensstil begnügt hatte, zu brechen. Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele für die Anreiz-und Sanktionsmechanismen zur Steigerung wirtschaftlicher Leistungen, worauf hier jedoch nicht näher eingegangen wird

Zweitens: Einflußnahme auf die Allokation der Ressourcen, und zwar zum einen zwischen den öffentlichen und privaten Sektoren und zum anderen zwischen den binnenmarkt-und den exportorientierten Sektoren.

Im Zusammenhang mit den öffentlichen Gütern und Dienstleistungen sind zunächst die Sicherung politischer und sozialer Stabilität zu nennen. Wie bereits erwähnt wurde, besteht kein Zweifel daran, daß in der Vergangenheit ein äußerst autoritäres System herrschte: Gewerkschaftliche Tätigkeit wurde de facto nicht zugelassen, jede Kritik gegen die Regierungspolitik wurde gewaltsam unterdrückt, und erst recht jegliche Kritik an dem System selbst. Die dadurch ermöglichte politische und soziale Stabilität, zusammen mit der Disziplin der Arbeiterschaft, hat jedoch zur Anregung der Investitionsneigung privater Unternehmen und damit zur Förderung der Kapitalakkumulation beigetragen.

Gewinnträchtige Investitionen der privaten Wirtschaft wurden ferner durch den Ausbau der wirtschaftlichen Infrastruktur gefördert. Insbesondere während der siebziger Jahre wurde die Priorität öffentlicher Investitionen auf den Sektor „Social Overhead Capital“ gelegt. So lag der Anteil der Investitionen in diesem Sektor an den gesamten öffentlichen Investitionen während der ersten und zweiten Fünfjahresperiodejeweils bei 65, 4 (geplant 49, 4) und 63, 1 Prozent (geplant: 53). Während der dritten Fünfjahresperiode betrug er 58, 7 Prozent Die Infrastruktur war dadurch gekennzeichnet, daß sie in erster Linie den exportierenden Unternehmen zugute kam. Das Straßennetz zum Beispiel wurde entlang der Linie, die Industriezonen und Hafenstädte wie Pusan und Inchon verbindet, stark konzentriert.

Zwar arm an Rohstoffen, doch ausgestattet mit den genannten guten soziokulturellen Voraussetzungen und mit dem starken politischen Engagement für eine positive wirtschaftliche Entwicklung, begann Korea, sich zu industrialisieren, und zwar durch die konsequente Verfolgung weltmarktintegrativer Strategien. 3. Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Förderung der Exporte Der Erfolg der exportorientierten Entwicklungsstrategie hängt generell von internen und externen Rahmenbedingungen ab, wobei die internen Faktoren wiederum in institutionelle Förderungspolitik und sonstige nationalwirtschaftliche Gegebenheiten unterteilt werden können.

Bereits in ihrer Anfangsphase gewann die Exportförderung in Korea eine entscheidende Bedeutung.

Dabei gibt es mehrere Gründe für die Exportorientierung: Der eine hängt mit der Nichtverfügbarkeit bestimmter Güter, wie zum Beispiel bestimmter Agrarprodukte und vor allem Rohstoffe, die aus natürlichen Gründen, oder aber bestimmter Kapitalgüter, die aus technischen Gründen nicht im eigenen Lande zu bekommen sind, zusammen. Der andere hängt mit der aktiven Nutzung der komparativen Kostenvorteile zusammen. In diesem Zusammenhang sind folgende Tatbestände wichtig: Erstens: Während es sich bei den Exporten der meisten Entwicklungsländer um Primärgüter, d. h. Agrarprodukte oder Rohstoffe handelt, gewannen im koreanischen Falle die industriellen Fertigprodukte von Anfang an herausragendeBedeutung.

Vermutlich war dies für Korea insofern von Vorteil, als, verglichen mit Agrarprodukten, die Industrie-güter — zumindest während der sechziger und Anfang der siebziger Jahre — weniger den Nachfrage-und Angebotsschwankungen ausgesetzt waren. Oder, was das Angebotsverhältnis betrifft, könnte man davon ausgehen, daß bei den landwirtschaftlichen Produkten naturbedingte Mengen-und damit auch Preisschwankungen kaum zu vermeiden sind, während es bei den industriellen Produkten eher möglich ist, durch Einsatz von wirtschaftspoliti-sehen Aktionsparametern die Angebotsmenge bzw.deren Steigerungsrate auf dem Weltmarkt zu steuern.

Zweitens: Während die anderen Entwicklungsländer, vor allem die lateinamerikanischen Länder, am Anfang den Weg der Importsubstitution gegangen sind, spielte dieser für Korea bis Mitte der siebziger Jahre nur eine untergeordnete Rolle. Statt dessen hat sich Korea relativ früh auf den Export konzentriert. Angenommen, daß die häufig vorgetragene These, der Mißerfolg der Importsubstitutionsstrategie in den lateinamerikanischen Ländern beruhe zum Beispiel auf dem hohen Kapital-und Devisen-bedarf einerseits und der begrenzten internen Marktgröße, die die Ausnutzung der „economies of scale" verhindere andererseits, stimmt, so konnte Korea jedenfalls mit seiner frühen Hinwendung zur Exportstrategie diese Fehler vermeiden.

Zur Förderung der Exporte setzte die Regierung seit Anfang der sechziger Jahre eine Reihe von steuer-und kreditpolitischen Maßnahmen ein: Gewährung von Exportkrediten, Befreiung der exportierenden Unternehmen von der „business activity tax“, Senkung der Einkommensteuer um etwa 30 Prozent für die durch Export erzielten Gewinne, Gewährung von verbilligten Krediten für Anlageinvestitionen und für zusätzlichen Kapitalbedarf bei der Transformation der Marktstrategie von der Binnenmarkt-zur Exportorientierung sowie der Zulassung des progressiven Abschreibungsverfahrens.

Die koreanische Regierung hat diese Förderungsmaßnahmen je nach der Situation auf dem Weltmarkt flexibel eingesetzt, und zwar durch Variation der Steuer-und Zinssätze der an die exportierenden Unternehmen vergebenen Kredite. So wurde zum Beispiel der begünstigte Zinssatz von 13, 87 Prozent im Jahre 1960 auf acht Prozent im Jahre 1963 reduziert. Im gleichen Jahr lag der Zinssatz bei kommerziellen Geschäftsbanken bei etwa 17 Prozent. Die Förderung der Exporte gewann ab Mitte der sechziger Jahre an Bedeutung, weil seitdem die bilateralen und multilateralen „soft Ioans“ drastisch abgenommen und der Anteil der kommerziellen Darlehen rapide zugenommen hat. Der Zinssatz für Exportkredite etwa wurde 196 auf 5 und 1967 weiter auf sechs Prozent reduziert. Berücksichtigt man den Tatbestand, daß der Marktzinssatz 1967 bei 26 Prozent lag, und selbst bei diesem Zinssatz ein Nachfrageüberhang auf dem Kapitalmarkt bestand, so kann man sich gut vorstellen, welche Begünstigungen den Exportunternehmen gewährt wurden, indem man ihnen den Zugang zum Kapitalmarkt durch massive Zinssubventionen 5) erleichterte.

Zusätzlich wurde den Exporteuren das Recht eingeräumt, Anlagemaschinen und Halbfabrikate steuerfrei zu importieren. Ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wurde dieses Recht auch den Unternehmen, die ihre Produkte als Inputgüter den exportierenden Unternehmen liefern — das „local L/C“ —, gewährt. Dagegen wurden die Rohstoff-und Halbfabrikatimporte der binnenmarktorientierten, meistens kleinen und mittleren Unternehmen entweder mit hohen Importtarifen belastet oder gar nicht erst erlaubt.

Um den Erfolg dieser Förderungsmaßnahmen gewährleisten und besser kontrollieren zu können, wurden gleichzeitig auch eine Reihe von institutioneilen Vorkehrungen getroffen. Beispielhaft zu nennen ist eine Art von konzertierter Aktion zwischen Vertretern der Regierung — einschließlich des Präsidenten selbst — und Vertretern der Unternehmen. Sie trafen vierteljährlich zusammen, um auf Grund der Lageanalyse zusätzliche Maßnahmen zur Erreichung der am Anfang einesjeden Jahres aufgestellten Exportziele zu ergreifen. Gab es Probleme, so dauerte es nur wenige Wochen, bis neue Maßnahmen erdacht und eingesetzt wurden. Dabei ging es um technische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Beseitigung der administrativen „red tapes“, aber auch um so wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen wie die Änderung des Zinssatzes oder der Wechselkurse. Ein Phänomen, das man sich in einem demokratischen System, in dem Interessengegensätze zwischen einzelnen Ressorts, aber auch zwischen verschiedenen Interessengruppen vorhanden sind, kaum vorstellen kann.

Inwieweit die einzelnen Förderungsmaßnahmen zur Steigerung der Exporte beigetragen haben, läßt sich schwer abschätzen. Jedenfalls stieg der Export von 1961 bis 1976 jährlich real um 33 Prozent. Von 1977 bis 1987 lag die Steigerung bei etwa 28 Prozent. Damit stieg der Anteil der Exporte am Bruttosozialprodukt von 8, 5 Prozent im Jahre 1965 auf über 40 Prozent im Jahre 1987 6).

Zur rapiden Steigerung der Exporte trugen nicht nur die genannten Förderungsmaßnahmen, sondern auch andere nationale und internationale Faktoren bei. International erreichten die Industrieländer unter dem Bretton-Woods-System eine in der früheren Geschichte nie dagewesene Wachstumsrate. Die Expansion auf den Märkten der Industrieländer war daher auch für Korea relativ leicht. Zu erwähnen sind ferner die durch den Vietnamkrieg induzierten Exportmöglichkeiten von Gütern und Dienstleistungen. Die Energiekrise 1973/74 verursachte für Korea, das hundertprozentig auf den Ölimport angewiesen ist, zwar zusätzliche Devisenausgaben, es gelang Korea aber, im Bausektor große Aufträge von den OPEC-Ländern zu erhal-ten, wodurch der Schock der Ölpreiserhöhungen weitgehend neutralisiert werden konnte.

National konnten die exportierenden Unternehmen in der verarbeitenden Industrie bis Anfang der siebzigerJahre mit dem „unlimited labour supply", also mit dem unbegrenzten Arbeitsangebot aus dem Agrarsektor rechnen Gesamtwirtschaftlich bedeutete das. daß die Opportunitätskosten der sektoralen Faktorwanderung gleich Null sind, so daß die dadurch induzierte Wertschöpfung in der verarbeitenden Industrie einen Wachstumsgewinn darstellt. Mit der fortschreitenden Abwanderung der Arbeitskräfte aus dem Agrarsektor erreichte man jedoch bald einen Punkt, an dem der Faktor Arbeit in diesem Sektor knapp wurde. Damit nahm unausweichlich der Druck auf die Lohnsteigerung und zugleich auf die Preise der Agrarprodukte zu. Dieser Zustand trat etwa Anfang der siebziger Jahre ein.

Dies bedeutete dann wiederum für die Unternehmen der verarbeitenden Industrie, daß sie zwecks Gewinnung zusätzlicher Arbeitskräfte höhere Lohnanreize anbieten mußten. Die Lohnkostensteigerunggefährdete jedoch, so die Argumente der Wirtschaftspolitiker, die Wettbewerbsfähigkeit koreanischer Produkte auf dem Weltmarkt, zumal der Anteil der arbeitsintensiven leichtindustriellen Produkte am gesamten Export immerhin relativ hoch war. Daraufhin versuchte die Regierung, das bestehende „double pricing“ -System auszuweiten. Dabei kauft die Regierung Getreide von den ländlichen Haushalten zu einem Preis, der der Steigerung der Produktionskosten angepaßt ist, und verkauft es zu einem niedrigeren, subventionierten Preis. Beabsichtigt wurde mit dieser Preissubvention unter anderem, durch die Stabilisierung des Getreidepreises die Lebenshaltungskosten der Arbeiter zu mindern und damit auf ihr Drängen eine Lohnsteigerung zu mildern.

Zum anderen wurde das „double-pricing“ -System durch flankierende lohnpolitische Maßnahmen ergänzt. So wurde die bestehende Tarifautonomie abgeschafft, indem man den Arbeitnehmerorganisationen das Recht der kollektiven Verhandlung und des Streikens entzog. Stattdessen appellierte man an eine harmonische Zusammenarbeit zwischen den Tarifpartnern, an ein Überzeugungssystem. das offensichtlich auf der traditionell-konfuzianistischen Philosophie fußt. Danach wird sowohl Hingabe und Treue der Gruppenmitglieder als auch partriarchalische Fürsorge und Schutz von Seiten der Gruppenleiter als Tugend gepriesen. Ein weiterer in diesem Zusammenhang wichtiger Aspekt der konfuzianistischen Verhaltensethik besteht in der Forderung nach Mäßigung auch, oder vor allem, bei der Befriedigung der materiellen Bedürfnisse. Somit besteht zwischen diesen Verhaltensnormen und denen des Utilitarismus, wonach ungehemmte Verfolgung bzw. Maximierung der egozentrischen Interessen zugleich zur Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt beiträgt, ein deutlicher Unterschied. Das oberste Gebot des Konfuzianismus ist die Herstellung und Erhaltung der Harmonie innerhalb einer Organisation, angefangen von der Familie über das Unternehmen bis hin zum Staat. Dieser mehr oder weniger statische Gleichgewichtsgedanke steht auch in Kontrast zu der europäischen Geschichtsphilosophie Hegelscher Prägung, wonach die Geschichte als Fortschritt menschlichen Freiheitsbewußtseins auf der Grundlage von These, Antithese und Synthese aufgefaßt wird.

Bezüglich unseres Themas stellt sich sofort die Frage, worin die wirtschaftliche Dynamik Koreas begründet ist. Eine der plausibelsten Antworten ist in der seit den Nachkriegsjahren bestehenden Wertantinomie bzw. dualen Verhaltensnormen zu finden, und zwar zwischen den politischen und wirtschaftlichen Elitegruppen auf der einen, und der allgemeinen Bevölkerung, einschließlich der Arbeitnehmer. auf der anderen Seite. Während sich die Manager und Führungskräfte sehr schnell den Geist des Kapitalismus, der Korea als eine der Bedingungen der Befreiung von derjapanischen Kolonialherrschaft von Außen aufgelegt wurde, zu eigen gemacht haben, dominierten bei der breiten Masse der Bevölkerung die Werte der absoluten Hingabe, Loyalität und Mäßigung hinsichtlich ihrer materiellen Forderungen. Dieses duale Wertsystem hat zur Akkumulation des produktiven Kapitals entscheidend beigetragen. 4. Importsubstitution in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Bis Mitte der siebziger Jahre konzentrierte sich Korea auf Exporte von Produkten der Leichtindustrie wie Textilien, Bekleidung und Elektroartikel. Das entsprach den damals gegebenen Faktorverhältnissen, wodurch eben komparative Kostenvorteile auf dem Weltmarkt erzielt werden konnten. Ab Mitte der siebziger Jahre hat Korea jedoch versucht. auch die Schwerindustrie wie zum Beispiel Stahl, Schiffbau, Maschinen, Elektrik/Elektronik und die chemische Industrie zu fördern. Ausgelöst wurde diese industrielle Umstrukturierung zunächst dadurch, daß die Handelspartner Koreas nach der Energiekrise 1973 ihre protektionistischen Handelspraktiken insbesondere gegenüber den arbeitsintensiven Produkten verstärkt haben, so daß es nötig wurde, die eigene industrielle Struktur zu modernisieren. Daneben sah sich Korea dem Wettbewerbsdruck der Niedriglohn-Länder Thailand, Indonesien und den Phillippinen ausgesetzt. Es wurde somit immer schwieriger, die bestehenden Wettbewerbsvorteile zu erhalten.

Gleichzeitig gerieten die traditionell guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten während der siebziger Jahre ins Wanken. Bereits Anfang der siebziger Jahre hatte die amerikanische Regierung unter der sogenannten „Nixon-Doktrin“ etwa ein Drittel ihrer Streitkräfte aus Korea abgezogen. Präsident Carter drohte Korea wegen der Verletzung der Menschenrechte, die restlichen Truppen zurückzuziehen. Daraufhin sah sich Korea gezwungen, seine eigene Verteidigungsindustrie aufzubauen.

Den strategischen Industrien wurden nun umfangreiche Förderungsmaßnahmen zuteil, wie sie bis dahin nur dem Exportsektor gewährt worden waren. Derenorme Kapitalbedarf konnte jedoch nicht allein durch die inländische Kapitalbildung befriedigt werden. Dies führte zum einen zur Expansion der inländischen Geldmenge und zum anderen zu einer erheblichen Steigerung der Auslandsschulden. Gleichzeitig häuften sich gegen Ende der siebziger Jahre die wirtschaftlichen Probleme der bisherigen Entwicklungspolitik. Im Zuge der massiven Förderung der Exporte und der strategischen Industrien verschärfte sich das strukturelle Ungleich-gewicht. Untersuchungen zeigen, daß während der ersten Hälfte der siebziger Jahre der Konzentrationsgrad wirtschaftlicher Macht ständig zugenommen hat. Dies ist sicher eine Folge der diskretionären Maßnahmen, die speziell einer kleinen Anzahl von Unternehmen zukamen. Man glaubte, daß dadurch Erfolg und Effizienzkontrolle eher gewährleistet würden als bei Einbeziehung einer größeren Anzahl von Unternehmen. Die diskretionäre Kreditvergabe habe ferner „partial mutuality" zwischen der Regierung und den privaten Großunternehmen geschaffen. Für die kleinen und mittleren Unternehmen dagegen war es äußerst schwierig, Banken-kredite aufzunehmen. Sie waren daher auf den informellen Kapitalmarkt angewiesen, wo der Zinssatz weit höher lag. So entstanden in bestimmten Lebensmittelbereichen Engpässe mit der Folge struktureller Preissteigerung. In dieser Situation beschleunigten die Geldmengenexpansion und die massiven Investitionen in die strategischen Industrien mit ihren langen Amortisationsperioden die ohnehin hohe Preissteigerung. Erschwerend hinzu kam der zweite Ölpreisanstieg im Jahre 1979, der die Produktionskosten der Unternehmen beträchtlich erhöht und die Handelsbilanzdefizite vergrößert hat. Was den Wechselkurs betrifft, so blieb der nominale Wechselkurs im Zeitraum 1975 — 1979 fast konstant, was real eine Aufwertung von etwa 24 Prozent bedeutete. Dadurch wurde die Wettbewerbsfähigkeit einheimischer Unternehmen abgeschwächt.

Steigende Produktionskosten, verbunden mit dem Rückgang der Importnachfrage auf dem Weltmarkt, führten die koreanische Wirtschaft in eine Stagflation. Im Jahre 1980 wurde zum erstenmal seit dem Beginn der ersten Fünfjahresperiode eine negative Wachstumsrate von 4, 7 Prozent verzeichnet. 5. Die wirtschaftliche Entwicklung seit Anfang der achtziger Jahre Seit Anfang der achtziger Jahre war erste Priorität der Wirtschaftspolitik die Preisstabilität. So wurde die Geldmenge, deren jährliche Steigerungsrate zwischen 1979— 1982 bei etwa 27 Prozent lag, in den darauffolgenden Jahren ständig reduziert, und zwar von 19. 5 Prozent im Jahre 1983 auf 12 Prozent im Jahre 1984. Die Regierung hat, in Verbindung mit dieser restriktiven Geldpolitik, auch eine Reihe von Sparmaßnahmen beschlossen, als deren Folge dann der Anteil des Haushaltsdefizites am Bruttosozialprodukt, der 1981 noch 4, 6 Prozent betrug, auf 1, 6 Prozent im Jahre 1983 verkleinert werden konnte. Dies waren mutige Schritte der neuen Regierung von Präsident Chun, denn die Stabilisierungspolitik lief mindestens kurzfristig Gefahr, der politischen Popularität zuwiderzulaufen. Und schließlich hat die Regierung im Bereich der Einkommenspolitik versucht, durch die Einführung von Lohnleitlinien die Inflation zu bekämpfen. Danach sollte die durchschnittliche Lohnsteigerung jährlich etwa acht Prozent nicht übersteigen. In Anbetracht der hohen Preissteigerung Anfang der achtziger Jahre und der jährlichen Steigerungsrate der Arbeitsproduktivität in der verarbeitenden Industrie von etwa 12 Prozent kann eine solche Einkommenspolitik sicher nicht als „verteilungsneutral" angesehen werden. In den westlichen Industrieländern hat solche „moral suasion“ bekanntlich kaum verbindliche Kraft, für den koreanischen Fall dagegen hat sie de facto imperativen Charakter. So wurde zum Beispiel denjenigen Unternehmen, die die staatlichen Lohnleitlinien nicht einhielten, der Zugang zum Kapitalmarkt erheblich erschwert.

Die Preissteigerung konnte mit Hilfe dieser wirtschaftspolitischen Maßnahmen fühlbar gedämpft werden: Die Inflationsrate von 29 Prozent im Jahre 1980 wurde 1982 auf sieben Prozent und 1986 weiter auf drei Prozent reduziert. Gleichzeitig mit dem Rückgang der Inflation konnte auch der Zinssatz der Geschäftsbanken gesenkt werden: So wurde der Zinssatz von 24, 5 Prozent im Jahre 1980 auf 10 Prozent im Jahre 1986 gesenkt, und blieb in den darauffolgenden Jahren fast konstant. Mit der sich anbahnenden Preisstabilisierung konnte ein sicherer Realzins, der in den früheren Jahren negativ war. gewährleistet werden. Dadurch hofften die Wirtschaftspolitiker. die inländische Kapitalbildung steigern zu können, was tatsächlich geschah. Gleichzeitig begann die koreanische Wirtschaft, den gewohnten Kurs des wiederum exportinduzierten hohen Wachstums einzuschlagen. Während Korea früher vorwiegend einfache Produkte der Leichtindustrie exportierte, zeigt seit Anfang der achtziger Jahre der Anteil der relativ „know-how“ -intensiven Produkte — wie Autos, Elektrogeräte, Halbfabrikate sowie Maschinen — am gesamten Export deutlich steigende Tendenz. Diese für die wirtschaftliche Entwicklung wichtige strukturelle Transformation der Exportgüter und damit der inländischen Produktionsstruktur wurde dadurch möglich, daß die japanische Wettbewerbsfähigkeit auf dem amerikanischen Markt wegen der Aufwertung ihrer Währung gegenüber dem US-Dollar beträchtlich geschwächt wurde. Zwar wurde auch die koreanische Währung seit 1986 gegenüber dem US-Dollar aufgewertet, jedoch nicht in dem Maße wie der japanische Yen, so daß Korea gegenüber Japan Wettbewerbsvorteile erzielen konnte. So stieg der koreanische Export von 1980 bis 1987 von 17, 2 Mrd. US-Dollar auf 45 Mrd. US-Dollar, und der Anteil des Leistungsbilanzüberschusses am Bruttosozialprodukt liegt bei neun Prozent. In den letzten beiden Jahren betrug die jährliche Wachstumsrate über zwölf Prozent.

Durch den steigenden Leistungsbilanzüberschuß ist es Korea nunmehr möglich geworden, seine Auslandsschulden zurückzuzahlen. Während der letzten zwei Jahre hat Korea Schulden in Höhe von über zehn Mrd. US-Dollar beglichen, und damit reduzierten sich die Schulden bis Ende 1987 auf etwa 35 Mrd. US-Dollar. In diesem Jahr wird mit einer weiteren Rückzahlung von über fünf Mrd. US-Dollar gerechnet. Sofern Korea auch in den nächsten Jahren einen Handelsbilanzüberschuß erzielen kann, wird es voraussichtlich in der Lage sein, das Schuldenproblem endgültig zu lösen. Diese optimistische Einschätzung scheint auch deshalb begründet, weil Korea seit 1986 die für das geplante Wachstum nötigen Investitionen allein durch inländische Ersparnisse finanzieren konnte. Mit steigendem Realzins stieg nämlich die inländische Sparquote ständig an: 1987 lag sie bei 33 Prozent, während die Investitionsquote 28 Prozent betrug. In diesem Zusammenhang ist vielleicht die Annahme gerechtfertigt, daß Korea nunmehr eine Wachstumsschwelle erreicht hat, die es ermöglicht, den gesamtwirtschaftlichen Kapitalbedarf durch Mobilisierung der inländischen Sparbildung zu befriedigen.

III. Wirtschaftliche und politische Demokratisierung als Aufgabe der sechsten Republik

1. Soziale Konflikte und wirtschaftliche Demokratisierung Es besteht kein Zweifel, daß Korea innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes bemerkenswerte wirtschaftliche Leistungen erzielt hat. Koreas Bruttosozialprodukt hegt heute an 23. Stelle in der Welt, und sein Handelsvolumen sogar an 12. Stelle. Nach Angabe der Weltbank gehört Korea zu jener Gruppe von Ländern, deren Einkommensverteilung relativ gerecht ist. Und durch den beträchtlichen Leistungsbilanzüberschuß wird der ausländische Schuldenberg immer kleiner. Die Arbeitslosenrate beträgt etwa 3, 5 Prozent.

Bei allen gesamtwirtschaftlichen Leistungen birgt Korea jedoch ein hohes Maß an sozialem Konflikt-stoff. So wurden im Zuge der Demokratisierungswelle im Sommer 1987 etwa 3 500 Streikfälle und im Frühjahr 1988 über 700 Arbeitsauseinandersetzungen registriert. Dies bedeutet, daß die bisher immer unterdrückte Unzufriedenheit der Arbeitnehmer doch sehr groß ist. Hinzu kommt die Tatsache, daß auch das Arbeitsethos sich langsam ändert. Während es sich bei den früheren Arbeitnehmern um Arbeitskräfte, die hauptsächlich aus dem traditionellen. landwirtschaftlichen Sektor zugewandert sind, handelte, besteht die neue Generation der Arbeitnehmer aus denjenigen, die sich in den städtischen Gebieten relativ anspruchsvollen Ausbildungen unterzogen haben. Von daher sind sie selbstbewußter geworden; sie verlangen nicht nur Beschäftigung und Einkommen, sondern wollen als gleichberechtigte Sozialpartner anerkannt werden. Im Zuge der sozialen Konflikte blieb die Regierung überraschend neutral, was in der Vergangenheit nicht denkbar gewesen wäre. Alleingelassen vom staatlichen Schutz ihrer Interessen sind die Unternehmen nunmehr gezwungen, die anstehenden Konflikte auf dem Wege der Verhandlung zu regeln, was sie nicht gewohnt sind. Es ist nur zu hoffen. daß die Unternehmer inzwischen gelernt haben. daß der Faktor Arbeit mehr ist als ein rein physischer Inputfaktor der Produktion. Je schneller sie ihre Denk-und Verhaltensweise umstellen, um so eher wird man die mit offenen Konflikten verbundenen unnötigen sozialen Kosten sparen können. Und dabei wird die Politik der neuen Regierung. die die Autonomie sozialer Interessengruppen wesentlich erweitert hat.den Prozeß der industriellen Demokratie sicher beschleunigen.

Auch in ordnungspolitischer Hinsicht wurde bereits der Weg zu weniger Staat und mehr Markt eingeschlagen. Die neue Regierung scheint sich bewußt zu sein, daß zwar der „starke Staat“ zur Forcierung der Industrialisierung beigetragen, aber zugleich die strukturellen Ungleichgewichte verursacht und vertieft hat. Die Gefahr erkennend, daß diese Un-gleichgewichte die allokative Effizienz und damit das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen können, hat die Regierung eine Reihe von „Deregulierungsmaßnahmen“ eingesetzt. So versucht die Regierung, die früher nicht gewährleistete Autonomie der Zentralbank institutionell zu sichern, zugleich ist der sogenannte „policy Ioan“ für bestimmte Industrien fast beseitigt. Auch die staatliche Kontrolle des unlauteren Wettbewerbes und der Kartellbildung wurde noch verschärft. In ordnungspolitischer Hinsicht ist somit ein eindeutiger Trend in Richtung soziale Marktwirtschaft erkennbar. 2. Korea auf dem Wege der politischen Demokratisierung Wie am Anfang erwähnt, wurde während der sechziger und siebziger Jahre die Meinung vertreten, daß man für die Industrialisierung des Landes ein autoritäres System brauche. Heute wagt niemand mehr, eine solche Parole zu vertreten. Im Gegenteil, von der politischen Führung, einschließlich des Präsidenten Roh, wird wiederholt betont, daß wirtschaftliche Entwicklung und politische Demokratisierung einander bedingen, so daß das eine nicht ohne das andere realisiert werden kann. Heutzutage ist in Korea kein Wort so beliebt wie das Wort „Demokratie“.

Hat Korea eine sichere Chance, eine Demokratie zu werden? Die Chance ist zwar wesentlich größer als in der Vergangenheit, Korea hat aber noch einen dornreichen Weg vor sich. Viele Machtpositionen, insbesondere im Militär, haben Vertraute des ehemaligen Präsidenten Chun inne; sie vertreten eine harte Linie, so daß der Spielraum des neuen Präsidenten zumindest kurzfristig noch recht begrenzt ist. Wenn in dieser Situation die Bevölkerung, insbesondere die Opposition, ungeduldig ist und Unruhe stiftet, so daß die Position der demokratisch gesinnten Gruppe in der Regierungspartei geschwächt wird, kann dadurch die Demokratisierung des Landes erheblich verzögert werden. Nicht zuletzt hängt also die politische Demokratisierung wesentlich vom „verantwortungsbewußten“ Handeln der Oppositionsparteien ab. Ihnen ist es während der letzten 40 Jahre erspart geblieben, in parlamentarischen Diskussionen rationale Entscheidungen zu treffen.

Die neue Regierung hat während der letzten Monate Mut und politische Weitsicht bewiesen, indem sie auf die flutartigen Forderungen der Opposition eingegangen ist. So hat die Regierung sich bereit erklärt, unter anderem die Gwangju-Bewegung als demokratisch anzuerkennen und das damalige Vorgehen im Sonderausschuß des Parlaments untersuchen zu lassen sowie die angebliche Korruption während der fünften Republik, einschließlich der Machenschaften der Familie Chuns zu untersuchen und die bestehenden Gesetze, die der Demokratisierung im Wege stehen, zu revidieren.

Auch das weltpolitische Tauwetter zwischen den Großmächten, wie es sich in der Unterzeichnung des INF-Vertrages und in Chinas Reformpolitik zeigt, wird das Seine tun. Insbesondere nach Gorbatschows Rede in Wladiwostok ist das Interesse der Sowjetunion am asiatischen Pazifik merklich gestiegen. Nachdem sie bis dahin jede gemeinsame Geste der Vereinigten Staaten, Japans und Koreas als listige militärische Allianzbildung interpretiert hat, zeigt die Sowjetunion in neuerer Zeit reges Interesse an einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit diesen Staaten. Auch China bekundet sein Interesse an einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Korea. Eine Studie des renommierten Shanghaier Instituts für Sozialwissenschaften betont die Bedeutung der Bildung eines wirtschaftlichen Wachstumsgürtels im Pazifik, welcher die chinesische Ostküste, Korea und Japan verbinden soll. Die aktive Nordpolitik der neuen koreanischen Regierung wird sicher den Manövrierspielraum Koreas vergrößern. Und nicht zuletzt werden die Olympischen Spiele in Seoul das Selbstbewußtsein Koreas fördern. Das Korea von heute scheint also allen Grund zum Optimismus zu haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitiert in: E. S. Mason/M. J. Kim/K. S. Kim/D. C. Cole, The Economic and Social Modernization of the Republic of Korea, Cambridge 1980, S. 251.

  2. S. Suh, Policies for Industrialization and Regional Development, in: S. J. Park/T. Shin/K. Z. Zo (Hrsg.), Economic Development and Social Change in Korea, Frankfurt-New York 1980, S. 122.

  3. Um nur die Mannigfaltigkeit des Anreizsystems zu demonstrieren, sei hier noch ein recht triviales Beispiel genannt: Während der siebziger Jahre genossen nur die Unternehmen, die eine bestimmte Exporthöhe erzielt hatten, das Privileg, einen ausländischen Pkw für ihren privaten Besitz importieren zu dürfen.

  4. S. Suh (Anm. 2), S. 125.

  5. P. L. Jones/Il Sakong. Government, Business and Entrepreneurship in Economic Development: The Korean Case, Cambridge 1980, S. 58.

  6. Economic Planning Board, Major Statistics of Korean Economy, Seoul 1986, S. 218.

  7. C. H. Fei/G. Ranis. A Model of Growth and Employment in the Open Dualistic Economy: The Case of Korea and Taiwan, in: The Journal of Development Studies, (1975) 2.

Weitere Inhalte

Suck-kyo Ahn, Dr. rer. pol., geb. 1945: Studium der Germanistik an der staatlichen Universität von Seoul (B. A.); der Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg (Diplom-Volkswirt); ebendort Promotion; Lehrstuhlinhaber und Leiter der Forschungsabteilung des „Institute for Sino-Soviet Studies“ an der Hanyang Universität in Seoul. Veröffentlichungen u. a.: Sozio-ökonomische Auswirkungen ausländischer Privatinvestitionen in Südkorea, Mainz-München 1980, sowie zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften.