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Wird Österreichs Geschichte umgeschrieben? | APuZ 43/1988 | bpb.de

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APuZ 43/1988 München 1938: Illusion des Friedens Die „Reichskristallnacht": Der Judenpogrom vom November 1938 Die deutschen Juden und der Nationalsozialismus 1933-1939 Wird Österreichs Geschichte umgeschrieben?

Wird Österreichs Geschichte umgeschrieben?

Kommentar und Replik

/ 15 Minuten zu lesen

Zum Beitrag von Ernst Hanisch: „Widerstand in Österreich 1934-1945“ (B 28/88)

Es sei nicht übersehen, daß E. Hanisch sich in seinem Aufsatz über den Widerstand in Österreich um eine objektive Darstellung bemüht und Schlagworten ausweicht. Er gebraucht z. B. nicht den in der linken bis linksextremistischen politischen Literatur zum Anschlußjahr 1938 heuer in großem Ausmaß gebrauchten Ausdruck „Nazi“, wenn er Mitglieder oder Sympathisanten der NSDAP bzw.des Nationalsozialismus meint, obwohl in der englischen und französischen wie amerikanischen politischen Literatur, auch der wissenschaftlichen, dieser Ausdruck durchaus üblich ist, von jener in den kommunistisch oder — wie Jugoslawien — quasikommunistisch orientierten Staaten ganz abgesehen. Im Deutschen gehört der Ausdruck durchaus zu den meidenden Termini, richtiger-weise kann man nur das etwas holprige Wort „Nationalsozialisten“ gebrauchen. Und das tut Hanisch. Er erliegt insofern keinen Schlagworten. Er erliegt ihnen freilich leider in bezug auf den Ausdruck „Faschismus“ und „Faschisten“, wenn er sich mit dem Österreich zwischen 1918 und 1938, vor allem ab dem Jahr 1934 befaßt.

Er beurteilt den von ihm so genannten „sogenannten Autoritären Christlichen Ständestaat“ (mit der verfehlten Großschreibung, als ob es ein wissenschaftlicher Begriff wäre) als halbfaschistisch, und man muß schon froh sein, daß er ihn nicht als total faschistisch bezeichnet, wie seine linksextremistischen Gewährsleute dies so gerne tun Er benutzt den Ausdruck „Austrofaschismus“, durch Anführungszeichen kaum abgeschwächt, und übernimmt damit einen Ausdruck für ein politisches Phänomen, das es nie gegeben hat, wenn man darunter das ganze autoritäre Regime von 1933 bis 1938 versteht und nicht nur die Heim-wehr, die (nicht in allen Bundesländern) faschistisch war (im Sinne des italienischen Faschismus, der im Grunde allein diese Bezeichnung verdient). Einen Austrofaschismus hat es nie gegeben, wozu auf die Darstellung bei Fritz Bock hinzuweisen ist Linksextremistische, im Grund genommen von Grund auf antiösterreichische Arbeiten sogenannter Zeitgeschichtler vor allem in Vorarlberg, die nicht müde werden, die christlichsozialen Politiker der Zeit zwischen 1933 und 1938 als „Austrofaschisten“ hinzustellen, pflegen heute das autoritäre Ständestaatsregime und seine Verfechter wie Otto Ender, Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg als „austrofaschistisch“ anzuprangern Der tiefere Grund dafür liegt aber, was Hanisch teilweise wenigstens erkennt, darin, daß die zweifellos rücksichtslose Niederwerfung der sozialdemokratischen Revolte vom 12. Februar 1934 bei den „Linken“ ein Trauma hinterlassen hat, das bis heute nicht überwunden ist. Das Merkwürdige dabei ist, daß diese „Linken“, zu denen Ernst Hanisch gehört, kein Wort der Mißbilligung der ebenso rücksichtslosen Niederwerfung des nationalsozialistischen Aufstandes vom 25. Juli 1934 finden und sie so verurteilen, wie sie es verdient.

Es berührt eigenartig, daß für Hanisch der „Austrofaschismus“ als „Halbfaschismus“ mit dem Jahr 1934 beginnt, offenbar mit der Niederwerfung des sozialdemokratischen Aufstandes und dem daraufhin ergangenen Verbot der'Sozialdemokratischen Partei und nicht schon mit dem Verbot der NSDAP und der Kommunistischen Partei im Jahre 1933 und der (künstlichen) sogenannten Selbstausschaltung des Nationalrates im März 1933. Hätte Hanisch das auch als Zeitzeugnis gedachte und anerkannte Buch des Verfassers „Bürgerkrieg in Österreich. Das 34er Jahr“ gelesen — er zitiert es auch wohlweislich nicht —, so würde er den „Autoritären Christlichen Ständestaat“ nicht erst im Jahr 1934 beginnen lassen. Dazu gibt es eine Vielzahl objektiver Werke, aber Hanisch zitiert grundsätzlich nur solche der heutigen politischen bzw. gesellschaftspolitischen Linken (einschließlich der Linkskatholiken, die ja oft genug „linker“ sind als die parteipolitische Linke), und so gewinnt seine Darstellung einen Anstrich, den manche wohl als eher unwissenschaftlich bezeichnen werden. Daß er mehr oder weniger konservative Literatur zum autoritären Regime 1933— 1938 wie auch zum Anschluß und derzeit danach fast ausnahmslos unerwähnt läßt, mahnt zur Vorsicht gegenüber seinen Thesen, wobei wir nicht rechtsextremistische Literatur meinen, die es neuerdings zum so-genannten Anschluß (der ja völkerrechtlich kein Anschluß, sondern eine mit militärischer Besetzung erfolgte Okkupation war) auf den Markt geworfen wurde, die aber ein objektiv urteilender Zeitgeschichtler dennoch, mit entsprechenden Warnvermerken, nicht unerwähnt lassen sollte. Aber vor allem die objektiven Darstellungen zum Ständestaat, zum Anschluß und zum Widerstand bleiben bei Hanisch stets dann unerwähnt, wenn sie nicht in sein der gesellschaftspolitischen Linken zugeordnetes zeitgeschichtliches Bild passen, wie etwa die Werke von Otto Ender, Hans Huebmer, Leopold Kunschak und vieler anderer Es kann zwar anerkannt werden, daß er die heute am meisten nach links driftenden Vorarlberger Zeitgeschichtler und ihre Publikationen unerwähnt läßt, aber eine gesamtösterreichische Darstellung erfordert es, daß auch die die politische Mitte haltende Literatur zum Anschluß und zur Zeit danach erwähnt wird.

Es ist anzuerkennen, daß Hanisch sich für die Kärntner Slowenen und ihre Bemühungen zur fraglichen Zeit einsetzt, aber er geht dabei nur auf die Partisanen und deren Kampfhandlungen gegen die NS-Herrschaft ein, nicht aber erwähnt er die so wichtige neue Literatur zur Entwicklung der Kärntner Slowenen und ihrer Haltung zum Dritten Reich aus der Feder von „christlichen“ Slowenen. Man gewinnt aus der Darstellung von Hanisch den Eindruck, daß es nur Partisanen (Koralm-Partisanen) unter den Slowenen gegeben hätte, die übrigens nicht gerade extrem österreichisch orientiert waren, sondern eher den Anschluß ganz Kärntens, mindestens aber Südkärntens an Tito-Jugoslawien anstrebten. Eine wirklich auch nur annähernd sachgerechte Darstellung der Stellungnahme der ethnischen Minderheiten (Volksgruppen) in Österreich zum Anschluß ist bei Hanisch nur am Rande zu finden.

Wie wenig sachgerecht Hanisch vorgeht, zeigt, daß er den längst schon erschienenen dritten Band über Glaise-Horstenau von Peter Broucek unerwähnt läßt und trotz sonstiger Anerkennung von Wilhelm Wolfs posthum erschienenem Buch „Hundert Jahre Österreich“ behauptet, daß Wilhelm Wolf in diesem Buch „den österreichischen katholischen Antisemitismus als abstoßendes Erbe ... mitschleppt“, was nun wirklich nicht der Fall ist. Zweifellos wird Hanisch der Persönlichkeit von Wilhelm Wolf nicht gerecht, denn dann müßte er auch erwähnen, daß Wilhelm Wolf nie Mitglied der NSDAP wurde und nach seiner dreitägigen Ministerschaft in der Regierung Seyß-Inquart sich schon relativ bald auf die Insel Lopud in der Adria begab, um über seine Zugehörigkeit zu den gesamtdeutsch-orientierten Katholiken in Österreich nachzudenken und von dort dann mit der deutlichen Distanzierung von der NSDAP und auch vom Anschluß zurückkehrte. Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, mit Wilhelm Wolf sehr oft in dessen Wohnung in der Wiener Hofburg in einem kleinen Kreis zusammenkam, zu dem Paula von Preradovich ebenso wie Ernst Molden gehörten — also Personen, die nach den Nürnberger Rassengesetzen zu eliminieren waren —, um dort von der Philosophie her den Nationalsozialismus zu bekämpfen, weiß, daß derartige Behauptungen, wie sie Hanisch aufstellt, nicht den Tatsachen entsprechen. Dies ist auch publiziert, nur geht Hanisch auf diese Publikationen nicht ein.

Darüber hinaus fällt auf, daß Ernst Hanisch offenkundig kein objektiver Beurteiler des Katholizismus in Österreich ist, denn seine Kritik an dem Buch von Maximilian Liebmann über Kardinal Innitzer ist keineswegs berechtigt. Schon früher hat Ernst Hanisch über den österreichischen Katholizismus zwischen Anpassung und Widerstand 1938— 1945 geschrieben; er erwähnt aber in keiner Weise die zum Teil geradezu großartige Widerstandsführung durch die österreichischen Katholi- ken. Nicht wird auch erwähnt, daß in der Zeit des Dritten Reiches überall in Österreich, solange dies noch nicht gänzlich verboten war, die Fronleichnamsprozessionen einen ungeheuren Zulauf hatten, der nur durch den politischen Widerstand erklärbar war, wobei z. B. in Klagenfurt die Gegen-kundgebungen der NSDAP kläglich scheiterten und keine Teilnehmer fanden.

Zu erwähnen wäre auch, daß Ernst Hanisch auf Seite 43 behauptet, die . Brückenbauer* — womit er offenbar auch Wilhelm Wolf meint — hätten an strategisch entscheidenden Stellen die Unabhängigkeit Österreichs untergraben und bis 1945 dem NS-System gedient. Natürlich stützt sich Hanisch dabei im wesentlichen nur auf die heutige linksextremistische, betont antideutsche Zeitgeschichtsschreibung mit ihren Vertretern aber schon längst weiß man, daß die sogenannten Brückenbauer, womit die gesamtdeutsch orientierten Katholiken Österreichs in der Zeit 1918 bis 1938 gemeint sind, schon sehr bald nach dem erfolgten Anschluß sich mit Entsetzen vom NS-System trennten.

Hanisch sieht eine Widerstandstätigkeit in Österreich nur von linker Seite (Kommunisten und Sozialdemokraten) als gegeben an, die konservative, sehr starke Widerstandsbewegung 0 5 wird von ihm bagatellisiert und die ebenfalls konservative Widerstandsbewegung W-Astra völlig verschwiegen, obwohl gerade diese beiden Widerstandsbewegungen einschließlich der Gruppe um Roman Scholz in erster Linie den Nationalsozialismus bekämpften und vor allem Hitler eliminieren wollten, dies auch unter Anwendung von Waffengewalt. Dazu wäre auch noch zu bemerken, daß gerade diese Widerstandsgruppen mit jenen um Schlabrendorff, Stauffenberg und von Halem sehr aktiv zusammenarbeiteten.

Die Frage nach der österreichischen Nation hat im Widerstand in Österreich in den konservativen Gruppen kaum zur Diskussion gestanden, wenn man davon absieht, daß selbstverständlich die meisten dieserWiderstandsgruppen die alsbaldige Wiederherstellung eines unabhängigen und selbständigen Österreich wünschten. Zu berücksichtigen ist hierbei aber, daß der sogenannte Anschluß gerade in der Nachbarschaft, nämlich in Ungarn wie auch in anderen Nachbargebieten einschließlich Italiens sehr positiv beurteilt wurde, was auch nicht gerade dazu diente, den Widerstand in Österreich zu stärken.

Nicht begreiflich also ist, daß Ernst Hanisch den sehr aktiven, wenn auch nur teilweise erfolgreichen österreichischen Widerstand in seinen Beziehungen zu anderen Widerstandsgruppen außerhalb des Deutschen Reiches verschweigt. Daß es unter dem noch heute lebenden Dr. Max von Riccabona aus Feldkirch in Paris die Widerstandsgruppe Entraide Autrichien gab (nach der Besetzung von Frankreich kam Riccabona ins Konzentrationslager Dachau), die Aktion Dobretsberger, die Aktionen Richard Redler in Kanada, die sehr konkreten Querverbindungen zur konservativen französischen Resistance im besetzten Paris (u. a. durch den Verfasser dieses Kommentars) — all dies wird, obwohl durchaus längst dokumentarisch belegt, völlig verschwiegen.

Um nochmals auf die Frage der österreichischen Nation zurückzukommen, so stellt Ernst Hanisch dar, daß es eine österreichische Nation gebe, die erst während des Widerstandes gegen das Dritte Reich sich gebildet habe. Schon auf den ersten Blick muß man aber dazu bemerken, daß es eine österreichische Nation nur dann gibt, wenn man darunter eine Konsensualnation, also eine Staats-nation (Summe der Staatsbürger) versteht. Es muß immer wieder betont werden, daß es keine deutsche Nation gibt, was der Verfasser dieser Darstellung wiederholt — auch in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ — betont hat, selbst wenn die soge-nannten Redner an die deutsche Nation etwas anderes dartun.

Auf das so grundlegende Verhältnis zwischen Bund und Ländern, das auch zu Fragen des Widerstandes und solchen der sogenannten österreichischen Nation von entscheidender Bedeutung ist, geht E. Hanisch in diesem Zusammenhang nicht ein. Zur heutigen Republik haben sich die ehemaligen im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder vereinigt, dies in einer völlig souveränen Art und Weise, und zwar auch unter Teilnahme der Sudetenländer deutscher Sprach-und Volkszugehörigkeit sowie der Südtiroler. Die alemannischen Vorarlberger haben beispielsweise mit dem bajuwarisch orientierten Österreichertum oder mit den in Kärnten sich auswirkenden fränkischen Gruppen oder mit dem erst seit kurzem überhaupt zu Österreich gehörigen Salzburg historisch nur sehr wenig zu tun. Hier von einer österreichischen Nation zu sprechen, ist nur möglich, wenn man die Nation als das sieht, was ihr in der völkerrechtlichen Terminologie zukommt, nämlich die Summe der den Staat bildenden oder auch ihn bejahenden Staatsbürger, aber keineswegs eine ethnische Gemeinschaft. Bei dieser ganzen Sachlage kann man nicht davon sprechen, daß — auch wenn da und dort und vor allem von Hanisch das immer wieder behauptet wird — über Nacht eine österreichische Nation im ethnischen Sinne zwischen 1938 und 1945 entstanden sei. Natürlich ist es durchaus möglich, daß es zu einer solchen ethnischen österreichischen Nation kommt und die Österreicher eines Tages, soweit sie deutschsprachig sind, gar nicht mehr dem deutschen Volk zugehören. Historische Beispiele wie z. B. hinsichtlich der Niederländer zeigen, daß das möglich ist und auch die schweizerische „Willensnation“ läßt hier nachdenklich werden. Sicherlich gibt es die wohl selbstverständliche Bemühung um eine österreichische Konsensualnation und deren Anerkennung nach den leidvollen Jahren der Okkupation durch das Deutsche Reich im März 1938 — eine Konsensualnation, an die viele nicht geglaubt hatten; der von Hanisch so sehr abgelehnte autoritäre Ständestaat hatte von 1933 bis 1938 gerade darum erbittert gekämpft (und nicht die Sozialdemokraten, wie die Renner-Erklärung vom 3. April 1938 zum Anschluß deutlich machte). Aber die These von Ernst Hanisch, daß es eine eigene österreichische Nation im ethnischen Sinne gebe, ist noch immer unrealistisch, trotz mancher derartiger Gedankengänge wie etwa in der Zeitschrift „Die österreichische Nation“.

Das zwar von Ernst Hanisch nicht erfundene, von ihm aber in den Rang eines Glaubensartikels erhobene Schlagwort vom Austrofaschismus und von der heutigen Notwendigkeit einer österreichischen Antifaschismus-Bewegung, derzeit verkörpert im völlig überflüssigen Propagandabetrieb um das Wiener Mahnmal gegen Krieg und Faschismus des kommunistischen Künstlers Alfred Hrdlicka, wurde wohl am präzisesten ins rechte Lot gerückt durch Alexander Vodopivec einen der bedeutendsten, allerdings christlich-konservativen Zeitgeschichtler im heutigen Österreich.

Nichts gegen Ernst Hanisch und seine Forschungen, die beachtlich sind. Aber: Österreich besteht nicht nur aus Linkssozialisten und Kommunisten und ein Kampf — heute — gegen den Austrofaschismus ist sinnentleert. Objektive Abwägungen sind im wissenschaftlichen Bereich wichtiger als politische Glaubensartikel.

Prof. Dr. Theodor Veiter, Feldkirch

Österreichs Geschichte soll dem internationalen wissenschaftlichen Standard gemäß geschrieben werden

Von Karl R. Popper habe ich gelernt: Kritik ist das Salz der Wissenschaft; sie ist für den Kritisierenden keine Schande, sondern eine Ehre; sie hilft ihm exakt zu denken, Widersprüche zu vermeiden, differenzierter zu formulieren.

Von der Kritik Theodor Veiters kann man drei Schichten abheben: eine erste Schicht, die von Unterstellungen, vagen politischen Zuschreibungen, ressentimentvollen, vor allem auch von innervorarlbergischen Querelen geprägt ist. Auf dieser Ebene werde ich nicht antworten. Festzuhalten ist allerdings, daß Theodor Veiter eine These meines Beitrags ungewollt bestätigt, die These nämlich, wie wenig professionell die Zeitgeschichtsforschung in Österreich ausgerichtet ist, wie sehr wissenschaftliche Laien, die ihre Rolle als Zeitzeugen mit der Rolle des Wissenschaftlers verwechseln, häufig die Diskussion bestimmen. Eine zweite Schicht besteht aus Kritikpunkten, die ich akzeptieren kann, die mir vielleicht auch weiterhelfen. Die dritte Schicht machen Kontroversen aus, die unterschiedliche Bezugsfelder betreffen, die verschiedene Lösungen ermöglichen, die aber alle im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses bleiben. 1. Theodor Veiter hat recht. Ich hätte sein Buch „Das 34er Jahr. Bürgerkrieg in Österreich“ (Wien 1984) zitieren sollen. Er hat aber unrecht, wenn er meint, ich hätte sein Buch nicht gelesen. Veiter moniert des weiteren, daß ich den dritten Band der Erinnerungen von Edmund Glaise von Horstenau nicht zitiere. Ich bin nun einmal der altmodischen Ansicht, daß ein Autor nur das zitieren darf, was er wirklich gelesen hat. Der dritte Band des großangelegten Erinnerungswerkes ist im Frühjahr 1988 erschienen. Veiter wird mir wohl zubilligen, daß ein Aufsatz, der am 8. Juli 1988 erscheint, einige Monate früher geschrieben werden muß. Zu diesem Zeitpunkt war das Buch noch nicht am Markt. Daß ich zahlreiche andere Werke zum „Ständestaat“ nicht erwähnt habe, hat einen sehr einfachen Grund: Der „Ständestaat“ als solcher war nicht mein Thema, nur ein Hinweis auf die zusammenfassende Diskussion (Anm. 13 meines Beitrags) war angebracht. Allerdings mutet es schon recht merkwürdig an, wenn mein Kritiker Rechtfertigungsschriften von wesentlichen Trägern des „Austrofaschismus“ wie die von Otto Ender und Leopold Kunschak als „objektive Darstellungen“ bezeichnet. Welchen Sinn es im übrigen haben soll, in einer wissenschaftlichen Publikation rechtsextreme Pamphlete zu erwähnen, muß mir Th. Veiter erst noch erklären.

Für die persönlichen Informationen über die Person Wilhelm Wolfs bin ich meinem Kritiker dankbar. Er muß aber das erwähnte Buch „Hundert Jahre Österreich. Politik und Dichtung“ (Salzburg 1940) schon vor sehr langer Zeit gelesen haben, sonst wären ihm (hoffe ich zumindest) die eindeutig antisemitischen Charakterisierungen des Hofmannsthal-Kreises doch wohl noch im Gedächtnis (z. B. auf Seite 99).

Daß der kurze Absatz über die slowenischen Partisanen höchst unzureichend ist, weiß niemand genauer als der Verfasser. Mir ging es lediglich darum, diese sensible Materie zumindest in den Grundrissen zu skizzieren. Im übrigen zeigt sich gerade beim Partisanenproblem, wie ideologisch fragmentiert die bisherigen Darstellungen allesamt sind. 2. Der Typus der Herrschaft, der sich in Österreich ab 1933 entwickelt hat, wird seit mehr als fünfzig Jahren kontrovers diskutiert. Das hängt mit politischen und ideologischen Grundüberzeugungen zusammen, die nicht einfach über Bord zu werfen sind. Jede der verwendeten Typenbezeichnungen „Ständestaat“, „autoritäres Regime“, „Austrofaschismus“ oder „Klerikofaschismus“ ist problematisch und charakterisiert das österreichische Herrschaftssystem dieser Zeit nur unzureichend; obendrein hat sich das System auch laufend verändert. Hier ist die Diskussion so festgefahren, daß auf dieser Ebene kein Fortschritt zu erwarten ist. Weiterkommen werden wir nur, wenn die empirische Forschung stärker forciert wird. Weder sind die Herrschaftsträger genau identifiziert, noch liegen gehaltvolle Analysen der politischen Eliten vor, noch wissen wir genügend über die ökonomischen Interessenslagen: Welcher Teil der österreichischen Wirtschaft unterstützte Dollfuß, welcher setzte auf die deutsche Option und aus welchen Gründen usw.? Die von Veiter verlästerten Vorarlberger Zeitgeschichtier haben zumindest regional zu dieser Frage neue Erkenntnisse erbracht (z. B. Harald Walser, Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933-1938, Wien 1983).

Daß die Niederwerfung des NS-Putschversuches vom Juli 1934 von seifen der Heimwehr teilweise brutal geschah, ist unbestritten. Kein Verständnis habe ich allerdings für die Gleichsetzung des Februar 1934 mit dem Juli 1934. In dem einen Fall ging es um die Verteidigung der Demokratie, im anderen Fall um die Etablierung der NS-Herrschaft in Österreich — das ergibt doch wohl einen gravierenden Unterschied. Ebenso unbestritten ist die Widerstandsleistung österreichischer Katholiken. Ich habe in meinem Beitrag doch herausgehoben, daß die Konservativen (mehrheitlich Katholiken) mit 44, 5 Prozent die zweitstärkste Gruppe des österreichischen Widerstands stellten. Diese Tatsache darf jedoch nicht dazu führen, die Kooperationsversuche der katholischen Kirche mit dem NS-Regime zu übersehen und die verheerende Wirkung der katholischen „Brückenbauer" auszuklammem. Wenn Veiter ausgerechnet von mir die Berücksichtigung der Zentrum-Peripherie-Spannungen einfordert, dann wird jeder Kenner der österreichischen Historiographie der letzten zehn Jahre nur lächeln können. Ich verzichte auf eine Aufzählung meiner diesbezüglichen Arbeiten.

Interessanter (und auch aktueller) ist das Thema „Widerstand und österreichische Nationsbildung". Die deutschen Kollegen werden sich gewiß wundem, wenn aus Vorarlberg apodiktisch verkündet wird: Es gibt keine deutsche Nation! Wie dem auch sei — ich jedenfalls habe nie einen ethnischen Nationsbegriff verwendet, wie mir Veiter unterstellt. Ich bin stets von einer (sozial-wissenschaftlich inspirierten) „Nationsbildung“ in der Gefolgschaft von Karl W. Deutsch, Stein Rokkan und Emst Gellner ausgegangen, einer Nationsbildung, die als offener Kommunikations-und Mobilisierungsprozeß konzipiert ist. Diese Nationsbildung kann in die eine Richtung gehen, in die Richtung einer „deutschen“ Nation, sie kann aber auch stoppen, umkehren und in eine andere Richtung, sprich: in die österreichische, gehen. Für ein solches Konzept ist die „deutsche“ ethnische Herkunft der meisten Österreicher, die Verwendung der „deutschen“ Sprache, ein Faktor unter anderen. Einstieg emphati Für einen solchen ist auch eine -sche Ablehnung der jahrhundertelang gemeinsamen „deutschen“ und „österreichischen“ Geschichte im alten Reich und im Deutschen Bund unnötig, wenn gleichzeitig auch die gemeinsame österreichisch-tschechische, österreichisch-ungarische, österreichisch-polnische etc. Geschichte mitberücksichtigt wird. Die aufgeregte Reaktion einiger österreichischer Historiker über die Einbeziehung Österreichs in das „Deutsche Historische Museum“ in Berlin ist so notwendig wie ein Kropf. (Auch mir wäre allerdings ein Standort Frankfurt/M. lieber als ausgerechnet Berlin!)

Selbstverständlich kann ein so komplizierter Prozeß wie eine Nationsbildung nicht über Nacht gelingen (auch nicht in der nationalsozialistischen Nacht), wie mir Veiter unterschiebt. Was ich behauptet habe, war lediglich, daß der Widerstand ein, d. h. also nicht der einzige Nukleus der österreichischen Nationswerdung darstellt. Mehr nicht. Von einem Kritiker sollte man doch verlangen dürfen, daß er den kritisierten Text zumindest genau liest.

Mit dem letzten Satz der Veiterschen Kritik jedenfalls stimme ich voll überein: „Objektive Abwägungen sind im wissenschaftlichen Bereich wichtiger als politische Glaubensartikel.“

Prof. Dr. Ernst Hanisch, Salzburg

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Margit Scherb/Inge Morawetz (Hrsg.), Der un-heimliche Anschluß, Wien 1988; s. ferner die Auswahlbibliographie bei Emmerich Tälos/Emst Hanisch/Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938— 1945, Wien 1988. -

  2. Fritz Bock, Das Schicksalsjahr 1934, Wien 1983; vgl. ferner Franz Goldner, Dollfuss im Spiegel der US-Akten, St. Pölten 1979; Julius Eder, Kanzler Dollfuß. Seine österreichische Sendung, Wien 1933.

  3. Meinrad Pichler/Harald Walser, Die Wacht am Rhein. Alltag in Vorarlberg während der NS-Zeit, Bregenz 1988; Markus Barnay, Die Erfindung des Vorarlbergers, Bregenz 1988; Werner Bundschuh/Harald Waler, Dornbirner Stattgeschichten, Dornbirn 1987, mit der Behauptung, die Stütze der austrofaschistischen Diktatur sei die katholische Kirche gewesen.

  4. Theodor Veiter, Das 34er Jahr. Bürgerkrieg in Österreich, Wien 1984.

  5. Kurt Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlußidee, Wien 1969; Hans Huebmer, Österreich 1918— 1938, Wien (o. J., vermutlich 1947); Leopold Kunschak, Österreich 1918— 1934, Wien 1934; Hans Huebmer, Dr. Otto Ender, Dornbirn 1957; Otto Ender, Die neue österreichische Verfassung, Wien 1934, dazu noch ein Kommentar-Band; ungewöhnlich informativ und auch für die österreichische Quellenlage wichtig ist das von Ernst Hanisch nicht erwähnte Werk von Rolf Zaugg-Prato, Die Schweiz im Kampf gegen den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich 1918— 1938, Bern 1982, mit grundlegender, damals kompletter Literaturübersicht.

  6. Peter Broucek, Ein General im Zwielicht. Die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau, Bd. 3; Deutscher Bevollmächtigter General in Kroatien und Zeuge des Untergangs des „Tausendjährigen Reiches“, Wien 1988.

  7. Wilhelm Wolf, Hundert Jahre Österreich. Politik und Dichtung, hrsg. von Berta Wolf, Salzburg 1940.

  8. Maximilian Liebmann, Theodor Innitzer und der Anschluß. Österreichs Kirche 1938, Graz 1988; Maximilian Liebmann und Mitautoren, 1934 — 1938. Konflikt und Versöhnung, in: Christliche Demokratie, Wien, Sonderheft, 1984. Es sei nicht übersehen, daß es sehr unseriöse Publikationen zu Innitzer und zur Kirche zwischen 1933 und 1939 bzw. 1945 gibt, beispielsweise Viktor Reimann, Kardinal zwischen Hitler und Rom, Wien 1967, oder Karlheinz Deschner, Mit Gott und dem Führer, Köln 1988, die bei Hanisch unerwähnt bleiben.

  9. Vgl. etwa die Zusammenstellung in: 1938, Wien 1988.

  10. Vgl. Theodor Veiter, Bibliographie zur Südtirolfrage 1945- 1983, Wien 1984, Fortsetzungsband im Erscheinen.

  11. Theodor Veiter, Deutschland, deutsche Nation und deutsches Volk. Volkstheorie und Rechtsbegriffe, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/73. Darin wird die These vertreten, daß es keine deutsche Nation gebe, da Nation ein politischer Begriff sei, ebenso aber auch keine österreichische Nation, die Prof. Hanisch unter Verkennung der juristischen Komponente, obzwar in Einklang mit der sonstigen „linken“ österreichischen politischen Literatur von heute so-sehr herauszuarbeiten sucht. Siehe auch Theodor Veiter, Deutschland und das deutsche Volk als Rechtsbegriffe, in: Internationales Recht und Diplomatie, (1967), S. 21 — 36.

  12. Alexander Vodopivec, Dialektik des Antifaschismus, Leitartikel in den „Vorarlberger Nachrichten“ vom 30. /31. Juli 1988.

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