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Politische Bildung als Politikum — Ein unbewältigtes Problem. Rückblick und Ausblick eines Beteiligten nach zwanzig Jahren Streit | APuZ 51/1988 | bpb.de

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APuZ 51/1988 „Gewissenhafte Pflichterfüllung zum Wohle der Allgemeinheit“? Ein subjektiver Rück-und Ausblick auf 40 Jahre politische Bildung in der Bundesrepublik Deutschland Politische Bildung als Politikum — Ein unbewältigtes Problem. Rückblick und Ausblick eines Beteiligten nach zwanzig Jahren Streit Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und pädagogische Reflexion. Politische Bildung für Erwachsene Perspektiven politischer Bildung zwischen „Tagespolitik" und „Zukunftsaufgaben“. Demokratie-Lernen und Neue Werteerziehung in relativer Autonomie gegenüber Staat und Parteien

Politische Bildung als Politikum — Ein unbewältigtes Problem. Rückblick und Ausblick eines Beteiligten nach zwanzig Jahren Streit

Bernhard Sutor

/ 46 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Politische Bildung ist ein Politikum. Das damit den Politikern wie der politischen Didaktik gestellte Problem ist bis heute bei uns nicht befriedigend gelöst. Dies wird gezeigt in einem subjektiv gehaltenen Rückblick auf zwanzig Jahre Streit um politische Bildung. In der „emanzipatorischen Phase“ seit 1968 zerbrach der bis dahin bestehende Konsens über Grundlagen und Ziele politischer Bildung, weil diese mit parteilichen Vorstellungen von Gesellschaftsveränderung belastet wurde. Altemativkonzepte wurden von Politikern der anderen Seite nur halbherzig unterstützt. Die Konsensdiskussion der Didaktiker umging den Kern der Sache, nämlich die Frage nach der Bedeutung der gemeinsamen Verfassung für die Begründung politischer Bildung an öffentlichen Schulen. Pragmatisch werden dennoch heute weitgehend die Orientierung an den Wertgrundlagen der Verfassung und am Ziel der politischen Rationalität anerkannt. So verstandene politische Bildung steht jedoch heute angesichts unserer gegenwärtigen Grenzerfahrungen vor neuen Herausforderungen, an denen sich wiederum zeigt, daß das Verhältnis von Politik und politischer Bildung politisch und didaktisch ein ungelöstes Problem darstellt.

Es hat einen gewissen Sinn, am Ende des Jahres 1988 auf zwanzig Jahre politische Bildung und Streit um ihre Konzepte zurückzuschauen und eine Bilanz im Blick auf gegenwärtige Schwierigkeiten und künftige Aufgaben zu versuchen. Die Tatsache allerdings. daß der Deutsche Bundestag zuletzt im Herbst 1968 eine große Debatte über politische Bildung hatte und sich jetzt wieder auf eine solche vorbereitet, scheint mir noch keine hinreichende Begründung für eine solche Bilanz. Die politisch Verantwortlichen müssen wohl von Zeit zu Zeit und sollten möglichst häufiger, als das im Bundestag geschieht, über die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen politischer Bildung sprechen. Mehr jedoch als den Versuch, die Rahmenbedingungen zu verbessern, sollte politische Bildung von der Politik nicht erwarten; dies freilich muß sie erwarten und muß es auch immer wieder anmahnen. Aber der politische Pädagoge darf sich nicht darüber wundern, daß der Durchschnittspolitiker die Einrichtungen und Aktivitäten politischer Bildung kurzschlüssig unter dem Aspekt seines Partei-interesses und des Machterhalts zu sehen geneigt ist. Roman Herzog hat einmal auf die Klage über parteipolitische Frontenbildung im Bundesrat geantwortet, wenn man eine Katze in eine Scheune setze, solle man sich nicht darüber wundern, daß sie auf Mäusefang geht.

Politische Bildung ist ein Politikum, ebenso übrigens. wie es der Geschichtsunterricht immer gewesen ist, bis zu einem gewissen Grade auch der Deutschunterricht und in vielleicht weniger zugespitzter Form die öffentliche Schule überhaupt. Deshalb ist von Seiten der Politik das Wesentliche für politische Bildung geleistet, wenn es ihr gelingt, positive Rahmenbedingungen zu setzen und diese so zu gestalten, daß die Parteiinteressen ihre Grenze finden an den pädagogisch-didaktischen Erfordernissen wirklicher Bildung. Dazu allerdings bedarf es eines Konsenses aller Beteiligten, der in einer konfliktreichen pluralistischen Gesellschaft nicht schlechthin vorgegeben ist, sondern gewollt sein und gefunden werden muß. Ein solcher Konsens ist die entscheidende Rahmenbedingung politischer Bildung. Er kann nur gefunden und gepflegt werden im Zusammenwirken aller Beteiligten — der Politiker, der Träger politischer Bildung, der Fachwissenschaftler und Didaktiker. Das darin einbegriffene Problem ist bis heute bei uns ungelöst, weil es nicht gelungen ist, das Politische an der politischen Bildung als gemeinsame Aufgabe zu begreifen. Der Rückblick auf die letzten zwanzig Jahre ist sinnvoll, weil etwa um 1968 mit dem, was die einen Jugend-und Studentenunruhen, andere übertreibend Jugendrevolte, wieder andere Kulturrevolution nennen, eine neue Phase politischer Bildung in der Praxis wie in der theoretisch-didaktischen Diskussion begann. Die neuen Konzepte, die damals diskutiert, die Praxisformen, die mehr oder weniger gezielt erprobt wurden, können hier nicht dargestellt und charakterisiert werden. Wir müssen uns auch weiter unten mit einigen Beobachtungen und Wertungen begnügen. An dieser Stelle genügt zunächst die ganz wertfrei gemeinte Feststellung, daß mit den unter dem weiten und vagen Begriff der Emanzipation subsumierbaren neuen Konzepten politischer Bildung eine Diskussionsphase begann, die sich von den vorausgegangenen als eine Phase fundamentalen Streites unterscheidet. Der bis 1967/68 zwischen Schulpolitikem, Lehrern und Wissenschaftlern leidlich herrschende, freilich theoretisch zu wenig reflektierte und begründete Konsens über Ziele und Inhalte politischer Bildung zerbrach und mußte neu gesucht werden. Ob und wie weit er in den seitdem vergangenen zwanzig Jahren wieder gefunden wurde, ist zu fragen.

Bevor ich zu einigen Entwicklungen seither meine Beobachtungen vortrage, möchte ich den Einschnitt von 1967/68 in einer Hinsicht doch auch relativieren. Es gibt Leute, die aus einem wie immer motivierten Bedarf an einfachen Geschichtsbildern den Einschnitt von damals als einen demokratisch-politischen Neubeginn von der Substanz stilisieren, wie ihn der Neubeginn von 1948/49 darstellt, ja diesen sogar in gewisser Weise übertreffend. Willy Brandts emphatische Worte in seiner Regierungserklärung von 1969, wir müßten „mehr Demokratie wagen“ und man fange jetzt eigentlich erst richtig an, gelten manchen als eine Art Autoritätsbeweis für dieses Geschichtsbild, obwohl jene Regierungserklärung auch andere Nuancen und Akzente kennt, jedenfalls keinen Bruch mit den zwanzig Jahren deutscher Demokratie bis dahin signalisiert

Aber ganz gewiß war diese Erklärung Ausdruck einer Stimmungslage, aus der heraus viele damals meinten, das Bisherige abschätzig beurteilen oder gar verurteilen zu können. Unter das entsprechende Verdikt gerieten auch die Bemühungen politischer Bildung von 1949 bis 1968, die zwar unbestreitbar viele Defizite aufweisen, aber insgesamt doch das Verdienst haben, rechtlich-politisch und institutionell, fachlich, pädagogisch und didaktisch die Grundlagen entwickelt zu haben; übrigens auch damals — im Rahmen eines gemeinsamen demokratischen Wollens — streitig und kontrovers. Es ist Ausdruck von Realitätsverlust, die politische Bildung von 1949 bis 1968, wie geschehen, pauschal und einheitlich als „affirmative Phase“ der dann beginnenden „kritischen Phase“ abwertend gegenüberzustellen Diese Denkfigur wurde im Anschluß an den „Historikerstreit“ auch erneut auf die

Frage der sogenannten Vergangenheitsbewältigung angewandt. Erst der Umbruch von 1968 habe, so kann man hören, hier einen Durchbruch zu offener Auseinandersetzung gebracht, während für die Zeit davor das große Schweigen, die von Mitscherlich tiefenpsychologisch erklärte „Verdrängung“, die „Unfähigkeit zu trauern“ konstatiert wird Politisch werden solche einfachen Geschichtsbilder zu Lagertheorien, bewirken Polarisierung. Zum Inszenieren von Politik gehört dies unvermeidlich dazu. Zumal in Wahlkampfzeiten — und die sind immer — braucht man Abgrenzung und klare Fronten. Der politischen Bildung bekommen solche Lagertheorien schlecht, und eben dies können wir an dem. was mit dem Umbruch von 1968 begann, ablesen und lernen. Damit sollen die positiven Wirkungen des damals einsetzenden Streites, die Fortschritte, die er für die Formulierung didaktischer Konzepte und in der Intensivierung politischer Bildung auch brachte, nicht bestritten werden.

I. Rückblick: Polarisierung und Konsensbemühungen

Die Zeitschrift „Gegenwartskunde“ hat seit 1985 eine Reihe von Beiträgen anerkannter Fachleute „Zur Lage“ der politischen Bildung veröffentlicht. In der Melodie durchweg auf Moll gestimmt, lassen sie fast alle, wenn auch in unterschiedlicher Weise, erkennen, daß die Polarisierung, die Anfang der siebziger Jahre einsetzte, einen bis heute fortwirkenden Negativfaktor für die politische Bildung darstellt. Es seien zwei in ihrer Deutlichkeit besonders auffallende Urteile zitiert. Dieter Grosser sagt von den hessischen Rahmenrichtlinien, sie stellten „den übelsten Bärendienst dar, den Kulturpolitiker der politischen Bildung geleistet haben. Sie sind aber nur typisch für die verbreitete Verständnislosigkeit, mit der alle Parteien dieses schwierige und empfindliche Fach behandelten.“ Rolf Schörken sichtet Elemente solcher Verständnislosigkeit auf der anderen Seite des politischen Spektrums seit Mitte der siebziger Jahre und verdichtet sie zu einem Gesamtbild national-konservativer Gegenwehr gegen politische Aufklärung: „Der Versuch des neuen Patriotismus, sich wieder des bekannten

Instrumentariums zur Umgehung der Ratio und zum direkten Zugriff auf seelische Wirkungen zu bedienen, ist der schwerste Angriff auf die politische Bildung seit deren Bestehen.“ Übelster Bärendienst — schwerster Angriff. These und Antithese aus der Perspektive unterschiedlicher politischer Positionen; wobei hinzugefügt werden muß. daß bei Schörken. anders als bei Grosser, daraus wiederum eine Lagertheorie wird.

Repräsentativ für das Einordnen didaktischer Konzepte in politische Lager scheint mir folgende Aussage, die auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen formuliert wurde: „Der politische Unterricht über diesen zentralen Entscheidungsbereich (nämlich Partizipation, B. S.) ist daher alles andere als . Vorbereitung 1 und . Üben politischer Entscheidungen, sondern unmittelbares Konfliktfeld. Die Lehrer können ihn daher nicht nach einer beliebigen didaktischen Konzeption in freier Auswahl durchführen, sondern müssen sich für eine der grundsätzlichen Positionen entscheiden: Entweder Behr-mann, Sutor, Maier, Hennis, Assel, Andreae usw. oder Giesecke, Mollenhauer, Schmiederer, Hilligen, Fischer, von Friedeburg, von Oertzen u. a.“ Es wäre eine eigene historisch-politikwissenschaftliche Untersuchung wert, die Gründe für diese Polarisierung zu erheben. Wir müssen uns hier darauf beschränken, einige Linien und Positionen der damaligen Diskussion zu skizzieren und einen Blick auf die politischen Rahmenbedingungen zu werfen 1. Emanzipatorische Konzepte Emanzipatorische Konzepte politischer Bildung schossen in den Jahren nach 1968 wie Pilze aus dem Boden. Sie waren jedoch inhaltlich keineswegs einheitlich, was viele ihrer Kritiker, besonders in der parteipolitischen Polemik, geflissentlich übersahen. Dennoch hatten sie eine grundlegende formale Gemeinsamkeit, die zum pädagogischen und schulpolitischen Problem wurde. Emanzipatorische Erziehung bedeutet, Gesellschaftsveränderung in den Erziehungsprozeß, in die Bestimmung seiner Ziele und Inhalte einzuplanen. Nun hat der Gedanke im Blick auf die Geschichte der Bildungsidee seine Legitimität. Idee und Konzept der Menschenbildung wurden in der Aufklärung und im bürgerlichen Zeitalter als Kampfansage an Feudalismus, Absolutismus und Ständegesellschaft entwickelt, und auch die Arbeiterbewegung machte sie sich zueigen in ihrem Kampf gegen die kapitalistische Klassengesellschaft. Sie sind Ausdruck der Über-zeugung von gleicher Würde aller Menschen und von dem Recht auf freie Entfaltung über Standes-und Klassenschranken hinweg. Insofern enthält emanzipatorische Erziehung in Ursprung und Entfaltung gesellschaftsverändernde Implikationen.

Aber nach der Überwindung der Ständegesellschaft und nach der sozialen Zähmung des Kapitalismus im demokratischen Sozialstaat darf man nicht einfach alte Frontlinien in Gegenwart und Zukunft verlängern. Im Kontext einer pluralistischen, demokratisch verfaßten Gesellschaft führt solche naive Fortschreibung der Geschichte zur Parteilichkeit innerhalb des Spektrums politischer Positionen, wie sie im Rahmen der gemeinsamen Verfassung Platz haben, und zur Instrumentalisierung von Unterricht und Schülern. Die Frage nach Klassen-interessen und Klassenstrukturen ist in der Analyse unserer heutigen Gesellschaft sinnvoll nur noch als eine unter anderen. Es fehlt dieser Gesellschaft die eindeutige Klassenstruktur, weshalb denn auch Vertreter der kritischen Theorie das Fehlen eines „revolutionären Subjekts“ konstatierten. Ungeachtet dessen glaubten manche Didaktiker, zur Grundlegung politischer Bildung eine eindeutige historische Theorie gesellschaftlicher Entwicklung zu Hilfe nehmen zu müssen, und sie fanden diese entweder im orthodoxen Marxismus oder in der humanistisch-nichtdeterministischen Variante des Neomarxismus, die sich kritische Theorie nannte. Daraus wurden unterschiedliche Bildungskonzepte begründet, die über die Entwicklung kognitiver Strukturen und Verhaltensdispositionen beim Schüler hinaus der Veränderung des Bestehenden dienen sollten.

Am vorsichtigsten von den bekannteren Didaktikern scheint mir in der Übernahme solcher Vorstellungen Wolfgang Hilligen geblieben zu sein. Er nannte nur eine der drei „Optionen“, auf die sich politische Bildung nach ihm gründen soll, emanzipatorisch, nämlich die Überwindung struktureller Ungleichheiten Auch damit freilich ist ein an sich wünschbares Ziel allzu plakativ formuliert und werden die Möglichkeiten von Gesellschaftspolitik erheblich überschätzt. Der Sozialstaatlichkeit des Grundgesetzes wird eine Auslegung gegeben, die die ständige Aufgabe des Ausgleichs zwischen Freiheit und Gleichheit m. E. nicht angemessen erfaßt Es scheint bis heute nicht ganz gelungen, mit Hilligen zu einer konsensfähigen Klärung dieser Fragen zu kommen. Hilligen hat immer gemeint, die Kritiker seiner Position auf ein „formales“ Demokratieverständnis festlegen zu können, dem er ein „materiales“ Demokratieverständnis entgegensetzte. Es gibt aber im breiten Spektrum möglicher Verfassungsinterpretationen und Zielsetzungen politischer Bildung wohl kaum eine Position, die die Demokratie des Grundgesetzes rein formal interpretiert, ihre Verpflichtung auf materiale und sozialstaatliche Gehalte bestreiten würde; meine Intention jedenfalls war dies nie.

Zurückhaltend blieb auch Hermann Giesecke in der Formulierung seiner emanzipatorischen Zielsetzung. Zwar ersetzte er seit der 7. Auflage seiner Didaktik sein bis dahin liberales Konfliktverständnis durch eines, das an der kritischen Theorie orientiert war. Von daher kam er zu der Forderung, politische Bildung müsse sich orientieren an den „fortschrittlichen Implikationen“ des Grundgesetzes, das als Station auf dem Weg fortschreitender Demokratisierung zu verstehen sei. Politische Bildung müsse deshalb parteilich sein in dem Sinne, jeweils für die Schwächeren in dem letztlich strukturell bedingten Grundkonflikt der Klassen einzutreten. Aber damit war der eigenartige Anspruch erhoben, jeweils schon im vorhinein, bereits vor der Analyse eines Konflikts, aus der Theorie zu wissen, wer der Schwächere sei Bei Autoren wie Ernst-August Roloff und Wilfried Gottschalch begegnen uns neomarxistische Elemente in Verbindung mit psychoanalytischer Sozialisationstheorie. Beide zusammen werden zur Grundlage eines Konzepts politischer Bildung libertären und plebiszitär-demokratischen Charakters, in welchem die Frage nach der Notwendigkeit und der positiven Bedeutung normativer und institutioneller Voraussetzungen für individuelle Emanzipation wie für die gemeinsame Freiheit aller zu kurz kommt

Rolf Schmiederer kam auf den Spuren von Herbert Marcuse zu der Vorstellung von einer herrschaftsfreien Gesellschaft, die möglich geworden sei, weil die Knappheit der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung prinzipiell überwunden und also auch Herrschaft überwindbar sei. Seine Ziele lauteten daher Emanzipation und Demokratisierung, Ideologiekritik und Herrschaftsabbau

Von dem Autorenkollektiv um Hans-Jochen Gamm wurde politische Bildung schließlich streng marxistisch verstanden als ein Element des Klassenkampfes und als ein neben der eigentlichen Revolution nur sekundärer Beitrag zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft

Für vieles von dem. was damals in dieser Weise geschrieben wurde, haben wahrscheinlich die Autoren selbst heute nur noch ein müdes Lächeln übrig. Aber damals wurde es nicht nur ernsthaft diskutiert, sondern fand, man täusche sich nicht, bei großen Teilen der jüngeren Lehrerschaft erhebliche Resonanz. Verwunderlich war und ist an dem damaligen „emanzipatorischen“ Trend mehreres: Verwunderlich ist zunächst einmal, wie wenige Vertreter des Emanzipationskonzepts damals einsehen wollten, daß der Begriff der Emanzipation, einen Prozeß bezeichnend, weder formal noch inhaltlich geeignet war, ein oberstes und umfassendes Erziehungsziel auszudrücken; dies, obwohl nachdenklichere Vertreter kritischer Erziehungswissenschaft selbst ausdrücklich darauf hinwiesen

Für den Historiker und Politikwissenschaftler noch verwunderlicher ist die begriffliche und sachliche Unklarheit, mit der der Begriff der Emanzipation eingesetzt wurde. Vor allem blieb bei den meisten Autoren unklar, ob mit Emanzipation partielle Befreiungen gemeint seien im Sinne klassischer Emanzipationsbewegungen (Bürgeremanzipation, Judenemanzipation, Bauernbefreiung, Frauenemanzipation) mit dem positiv zu benennenden Ziel rechtlicher und politischer Gleichheit; oder ob im Sinne des sich selbst revolutionär und geschichtsphilosophisch verstehenden jungen Marx die totale kollektive Befreiung, die Überwindung einer jeden normativ-institutionellen Ordnung und damit von Staat und Politik überhaupt das Ziel sei Am verwunderlichsten scheint mir im nachhinein, daß linksliberalen Didaktikern wie Giesecke, Hilligen u. a. das Mitschwimmen in der neo-marxistischen Welle zeitweise offenkundig wichtiger war als die Weiterentwicklung der politischen Bildung im Gespräch mit denen, die sie meinten konservativ nennen zu müssen. Der Konsens wurde einem Modetrend geopfert, vielleicht auch der Eitelkeit des „Wir auch“ — aber politische Didaktik sollte nicht zum Laufsteg der Mode werden

Gewiß haben an den hessischen Rahmenrichtlinien, worauf Wolfgang Hilligen großen Wert legt, die Didaktiker der „ersten Garnitur“ in Hessen nicht unmittelbar mitgearbeitet. Aber nicht, weil dem Kultusministerium deren Richtung nicht gepaßt hätte, sondern weil ihm die große Klafki-Kommission, an der diese Didaktiker beteiligt waren, zu umständlich und zu langsam zu arbeiten schien. Die Ergebnisse sollten schneller auf den Tisch kommen und schneller umgesetzt werden; ehrgeizige Politiker wollten Emanzipation gleichsam von oben verordnen. Das Ziel war in den hessischen Rahmen-richtlinien sprachlich anders gefaßt, nämlich als Befähigung zu Selbst-und Mitbestimmung, wogegen selbstverständlich nichts einzuwenden ist, die jedoch an die Aufhebung ungleicher Lebenschancen geknüpft sei. Erst von dieser These her kam ein klassenkämpferischer Duktus in die Interpretation der zu behandelnden gesellschaftlichen Konflikte, von der wissenschaftstheoretisch und didaktisch nicht genügend durchdachten Integration der Fächer in eine „Gesellschaftslehre“ ganz abgesehen Mit den hessischen Rahmenrichtlinien erster Fassung wurde der Streit, bis dahin eine Sache von Theoretikern und Fachleuten, öffentlich und politisch. Die klarste und ehrlichste Aussage über die Gründe dieses Streites ist die eines der führenden Autoren der hessischen Rahmenrichtlinien, der, in öffentlicher Diskussion gefragt, wie er sich den Streit erkläre, schlicht und einfach antwortete: weil wir den Konsens aufgekündigt haben

Was dies bedeutete, wurde erst in jahrelanger, mühseliger Auseinandersetzung klarer. Die hessischen Rahmenrichtlinien erlebten vielfältige Änderungen und Uminterpretationen, vor allem aber bedurften sie, um sie im Land annehmbar zu machen, der Einbindung in den Kontext der gemeinsamen Verfassung, für die kein geringerer als ein ehemaliger Verfassungsrichter bemüht werden mußte. Vor diesem Hintergrund ist doch wohl die Frage berechtigt, die mir in den damaligen Auseinandersetzungen ständig übelgenommen wurde, ob nämlich die Orientierung an der gemeinsamen Verfassung nicht am Anfang der Arbeit hätte stehen müssen, sie ständig hätte begleiten müssen, wenn es denn um Curricula für das allgemeine öffentliche Schulwesen ging. Der Versuch solcher Orientierung hätte keineswegs daran gehindert, gesellschaftskritische Fragen in die Pläne einzubringen und soziale Gleichheit zum Thema zu machen 2. Alternativkonzepte: Politische Rationalität im Verfassungskonsens Der verbreitete Eindruck, es habe sich Mitte der siebziger Jahre ein geschlossenes „konservatives Gegenlager“ gegen die Emanzipationskonzepte gebildet, gründete sich bei Didaktikern wohl vor allem auf die sogenannte Gelbe Bibel (Politische Bildung. Grundlagen und Zielprojektionen für den Unterricht an Schulen, Stuttgart 1976). Tatsächlich jedoch muß man bei den Autoren nicht-emanzipatorischer Konzepte, noch stärker unterscheiden als auf der anderen Seite. Dazu zunächst einige Hinweise. Neben den an der „Gelben Bibel“ beteiligten Autoren sind eine ganze Reihe anderer zu nennen, die, ohne dem Emanzipationskonzept zu folgen, auch theoretisch-konzeptionell an der Weiterentwicklung politischer Bildung beteiligt waren. Es seien hier nur drei Namen genannt: Theodor Wilhelm mit seinen Versuchen einer zeitgemäßen Reformulierung des Partnerschaftskonzepts; Hans-Günther Assel mit mehreren Ansätzen zur Integration von Zielvorstellungen politischer Bildung, die in Spannung zueinander stehen; Günter C. Behrmann mit seinem Entwurf eines sozialkundlich-politischen Unterrichts

Auch die an der „Gelben Bibel“ beteiligten Autoren sind wissenschaftstheoretisch nicht auf einen Nenner zu bringen. Dieter Grosser orientierte sich in seiner Bestimmung der möglichen fachwissenschaftlichen Grundlagen und Grenzen politischer Bildung am kritischen Rationalismus Manfred Hättich ist Schüler von Arnold Bergsträsser und folgt einem „praktischen“ Verständnis von Politikwissenschaft, die in Unterscheidung und Zuordnung von Wissenschaft und Wertorientierung, von Sach-und Sinnrationalität Probleme des Zusammenlebens in und zwischen Gesellschaften zu erörtern habe. Hättich hat den Zielbegriff der politischen Rationalität als möglicherweise konsensfähig 1975 in die Diskussion gebracht, wobei er ohne allzu ehrgeizige theoretische Exerzitien „rollensoziologisch“ ansetzte bei dem Tatbestand, daß der demokratische Staatsbürger ständig über Politik Meinungen äußere und räsonniere, von der Politik also zum Urteilen herausgefordert sei. Der rollen-theoretische Ausgangspunkt führt hier jedoch nicht zur Vorstellung eines rein passiv-rezeptiven Bürgers. vielmehr wird er verknüpft mit der Fähigkeit des Subjekts, sich kognitiv-aktiv gegenüber der Umwelt zu verhalten; weshalb politische Bildung darauf angelegt sein soll, durch Steigerung politischer Rationalität Partizipation zu ermöglichen und zu verbessern Dies war denn auch Hättichs zentraler Beitrag zur „Gelben Bibel“. Dabei war ihm und seinen Mitautoren immer selbstverständlich, daß es um die Verbindung von Zweck-und Wert-rationalität und um die Entwicklung der entsprechenden Kriterien gehen müsse. Politische Rationalität blieb in diesem Ansatz deshalb weder eine Leerformel noch wollte sie ein technokratisch-instrumentelles oder ein intellektualistisch verkürztes Politikverständnis propagieren.

Ich selbst habe 1970/71, völlig unabhängig von meinen späteren Mitstreitern, allerdings in Orientierung an „praktischer“ Politikwissenschaft im Sinne der Bergsträsser-Schule, eine Didaktik des politischen Unterrichts entwickelt, deren zentrale Ziel-formulierung „gewissenhafte Urteilsbildung“ lau-tete. Stärker als Hättich habe ich dabei auch philosophische Begründungen eingearbeitet, weil ich, gerade mit kritischem Blick auf manche konservative Aversionen gegen Politikunterricht in der Schule, den Versuch machen wollte, die Tradition europäischen philosophisch-politischen Denkens für unser heutiges Politikverständnis fruchtbar zu machen. Es sollte deutlich werden, daß das Politische in Schule und Bildungsverständnis kein Fremdkörper bleiben darf, vielmehr zentral dazugehört Zugleich sollte in Auseinandersetzung mit emanzipatorischen Konzepten politischer Bildung deutlich werden, daß es nicht nur eine kritische Theorie der Gesellschaft gibt.

Ich halte den Politikbegriff, wie er in meinen Veröffentlichungen seither aus der reformulierten aristotelischen Praxis-Philosophie und aus der personalen Anthropologie entwickelt ist, für ausgesprochen kritisch, und zwar im wesentlichen aus zwei Gründen: Erstens, weil er politische Ordnungen, Konzepte und Entscheidungen mißt an unserer europäischen Überzeugung von vorgegebener Menschenwürde, die es verbietet, den Menschen zum Mittel für Zwecke zu machen — der Angelpunkt im Konzept des freiheitlichen Verfassungsstaates; zweitens, weil er Politik nicht als technokratischen Vollzug theoretisch erkannter Gesetzmäßigkeiten begreift, sondern als gemeinsames, dialogisch-kommunikatives und konfliktträchtiges Suchen nach den besseren oder zumindest nach den zumutbaren und erträglichen Lösungen in strukturell gegebenen Zielkonflikten. Entgegen den Behauptungen mancher meiner Kritiker bleibe ich dabei, daß dieses Konzept thematisch keines unserer heutigen gesellschaftlichen Grundprobleme ausschließt und dem Unterricht keinerlei Frageverbote auferlegt, vielmehr den denkbar weitesten Horizont eröffnet für die Pro-Contra-Auseinandersetzung

Die Polarisierung unter den Politikdidaktikem der siebziger Jahre hat, soweit sie nicht einfach parteipolitisch bedingt war, nach meinem Dafürhalten ihren Hauptgrund in der Weigerung der Anhänger der kritischen Theorie, zu akzeptieren — oder muß man sogar sagen, in ihrem Unvermögen, zu verstehen? —, daß es mehr als nur eine kritische Theorie der Gesellschaft gibt. Die Anhänger der kritischen Theorie brauchten offenbar die Zweiteilung in „traditionell“ und „kritisch“ und verbauten so Verständigungsmöglichkeiten. Bei orthodoxen Marxisten ist ein solches dichotomisches Denken verständlich. Aber wer sich an kritischer Theorie orientieren will — was ihm unbenommen ist —, der müßte auch die

Berührungspunkte zwischen kritischer Gesellschaftstheorie und praktischer Philosophie kennen, zumal da kein geringerer als Jürgen Habermas in seiner Kritik am deterministisch-objektivistischen Marxismus ausdrücklich auf die alten aristotelischen Unterscheidungen von Praxis und Poiesis, von Interaktion und Arbeit zurückgreift

Damit ziele ich nicht auf vorschnelle Harmonisierung. Es bleiben zentrale Unterschiede zwischen kritischer Theorie und der Art und Weise, wie man im Sinne praktischer Philosophie an gesellschaftlich-politische Probleme herangeht. Die kritische Theorie hält mit Marx an der Kategorie der Totalität der Gesellschaft fest, die in ihrer historischen Entwicklung erkannt werden und durch Erkenntnis zugleich verändert werden soll. Sie hält, ebenfalls mit Marx, fest an einem Primat der „sozio-ökonomischen Basis“ zur Erklärung von Politik. Ich halte beide Positionen für akzeptabel und für komplementär mit anderen Ansätzen verwendbar, wenn man sie im Theoretischen nicht zu Totalerklärungen verabsolutiert und im Praktischen aus ihnen kein Freund-Feind-Schema entwickelt. Beide Verabsolutierungen scheinen mir übrigens unvereinbar mit dem Geist der kritischen Theorie, wie er bei ihren Begründern (Horkheimer und Adorno) als „negative Philosophie“ leitend gewesen ist. Ich habe mich immer gewundert, wie „affirmativ“ manche Anhänger und Umsetzer kritischer Theorie in der Politikdidaktik mit ihr umgegangen sind, und habe in dem seinerzeitigen Streit schon früh auf die Bedingungen aufmerksam gemacht, unter denen unterschiedliche theoretische Ansätze in der Begründung und für die Praxis politischer Bildung komplementär nutzbar seien

Die „Gelbe Bibel“, an der sich dann 1976 der Streit neu entzündete, folgte formal zwei Intentionen: Erstens sollten auf Bitten der beiden damaligen Kultusminister (Hans Maier und Bernhard Vogel) theoretisch-sozialwissenschaftliche Grundlagen für die Entwicklung von Lehrplänen in Bayern und Rheinland-Pfalz formuliert werden. Diese Absicht entsprang einer gemeinsam empfundenen Problem-lage und enthielt auch das Ziel, einigen konservativen Widerstand gegen politische Bildung durch Präsentation eines allseitig akzeptablen Konzepts zu überwinden. Zweitens entwickelte sich daraus im Laufe der Arbeit an dem Text die Absicht, ein Konzept vorzulegen, das als möglicherweise konsensfähig in der Fachwelt und in der politischen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden sollte. Aus diesem Grunde haben sich, als der fertige Text vorlag, die Kultusminister der übrigen unionsregierten Länder als Herausgeber dem Vorhaben angeschlossen. Es heißt in deren Vorwort ausdrücklich: „Von der fachwissenschaftlichen und politischen Diskussion, die es anregen wird, erhoffen wir uns Versachlichung und letztlich Konsens.“

Diese Hoffnung hat getrogen, wie allseits bekannt ist. Möglicherweise war die gemeinsame Veröffentlichung durch die Minister der Union in der damaligen Situation ein politisch-taktischer Fehler. Auch muß man leider sagen, daß der Versuch, mit der „anderen Seite“ ins Gespräch auf der Basis dieses Textes zu kommen, von seinen Herausgebern nicht den genügenden Nachdruck erhielt. Man blieb weder gegenüber den Kollegen von der SPD noch gegenüber den Verächtern politischer Bildung in den eigenen Reihen genügend „am Ball“. So blieb das Echo auf die Schrift in der politischen Öffentlichkeit enttäuschend, wenn man von anfänglicher Aufmerksamkeit der großen Tageszeitungen absieht. Mindestens ebenso enttäuschend verlief jedoch die Diskussion, soweit man von einer solchen überhaupt sprechen kann, in der Fachöffentlichkeit. Nicht die Bereitschaft zum Fachgespräch, sondern Gesprächsverweigerung und Verunglimpfung bestimmten das Bild. Ein prominenter Kritiker der anderen Seite verstieg sich zu der, übrigens ohne Begründung vorgetragenen, Behauptung, die Schrift sei verfassungswidrig. Name und Belegstelle seien hier zu seinen Gunsten verschwiegen. Im übrigen gab es Mißverständnisse, Fehlinterpretationen und leider auch dümmlich zu nennende Kommentare

Die teilweise aggressiv ablehnenden Reaktionen auf unsere Schrift erklären sich wohl auch aus unserem Versuch, mit Hilfe der Fundamentalnormen und der Prinzipien des Grundgesetzes einen Wert-bezug zu formulieren, aus dem politische Bildung an den öffentlichen Schulen Leitlinien gewinnen könne in der Auseinandersetzung mit den Problemen, wie sie sich aus unserem wissenschaftlichen, sozialen und politischen Pluralismus ergeben. Pluralismus und Konsens, Konflikt und Kompromiß schienen uns unentbehrliche Grundkategorien politischer Bildung. Entsprechend lautete das inhaltliche Ziel unserer Schrift: „Das folgende Konzept zielt auf kritikfähige Identifikation mit den Werten und Normen der Verfassung auf der Basis rationalen Urteilens.“ Das Zeitklima war einem solchen Versuch nicht gewogen. Man sah in uns Wortführer der „Tendenzwende“, die von Politikern in Dienst genommen seien, unbotmäßige Lehrer an die Kette der Verfassung zu legen.

Vielleicht konnten unsere Kritiker damals nicht sehen, daß unsere Verbindung von Verfassungsbezug und politischer Rationalität gerade darauf zielte, politischer Bildung den nötigen Freiraum der Auseinandersetzung mit Konflikten und umstrittenen Fragen zu sichern; freilich im Rahmen einer gemeinsamen Wertorientierung der gesamten Gesellschaft, wie sie, auf das nötige Minimum beschränkt, in der gemeinsamen Verfassung ihren Ausdruck findet. Dabei war es keineswegs unsere Vorstellung, daß diese Wertorientierung dem Unterricht unbefragt und axiomatisch vorgegeben sei. Vielmehr heißt es bei uns ausdrücklich: „Die grundlegenden Wertbezüge der Verfassung müssen dialogisch und interpretierend dem Verständnis des Schülers als Hilfe zur Identifikation erschlossen werden.“

Dieses im Verfassungskonsens entwickelte Rationalitätskonzept politischer Bildung wurde schulpolitisch nun aber auch von denen, die es initiiert oder begrüßt hatten, nur halbherzig durchgesetzt. Es gibt dafür sehr verschiedenartige Gründe, die freilich nicht durchweg „aktenkundig“ sind, sondern aus Beobachtung und aus der Interpretation von Politikeräußerungen erschlossen werden müssen. Neben der starken Lobby der traditionellen Schulfächer, die dem Politikunterricht keinen Raum ließ, drängen sich einem vor allem zwei Hauptmotive des Widerstandes auf, die eng miteinander verbunden sind: Erstens saß das alte, aus einer konservativen Bildungstradition stammende Vorurteil gegen Politik in der Schule noch allzutief und wurde durch die neuen Verdachtsgründe, die die öffentliche Auseinandersetzung seit Anfang der siebziger Jahre lieferte, noch einmal erheblich bestärkt. Insofern hat die „emanzipatorische Welle“ der politischen Bildung in der Tat einen Bärendienst erwiesen. Zweitens führte die Orientierung an traditionellen Bildungsvorstellungen bei den Gegnern des Politikunterrichts zu dem populären, auch parteipolitisch nützlichen Ruf „Zurück zur Geschichte!“. Dabei wurde allenthalben der falsche, nur für Hessen zutreffende Eindruck erweckt, Politikunterricht oder Gesellschaftslehre hätten sich auf Kosten des Geschichtsunterrichts breitgemacht. Unser Konzept jedenfalls war nirgends gegen den Geschichtsunterricht formuliert oder gar auf dessen Kosten durchgesetzt worden. Aber die sonderbare Vorstellung, Sozialkunde sei „Sozialistenkunde“, der nur mit gediegenem Geschichtsunterricht zu widerstehen sei, war bei konservativen Politikern und ihren Anhängern weitverbreitet. Demgegenüber hatte der Versuch, über eine positive Zuordnung und gegen-seitige Ergänzung von Geschichts-und Politikunterricht nachzudenken, kaum eine Chance.

Ein weiteres Indiz für die Unfähigkeit mancher konservativer Kritiker, sich einem positiven Konzept politischer Bildung zu öffnen, war die pauschale'Polemik gegen „Konfliktpädagogik“ und „Konfliktdidaktik“. Gewiß hatte es in bezug auf den Stellenwert des Konflikts in Erziehung und Unterricht überzogene Vorstellungen gegeben. Aber zwischen den nachdenklichen Pädagogen und den Fachdidaktikern politischer Bildung war nie umstritten, daß Konflikte einen wichtigen und unumgänglichen Unterrichtsgegenstand darzustellen hätten. Der Streit bezog sich vielmehr auf die Deutung und Bewertung von Konflikten und auf die Zuordnung von Konflikt, Kompromiß und Konsens. Eigentlich ging es also um das Politikverständnis, weshalb die Polemik gegen „Konfliktdidaktik“ zur Klärung wenig beitragen konnte.

Es gibt also Gründe genug dafür, weshalb die unserem Konzept wohlgesonnenen Politiker Interesse und Initiative verloren. Das in der „Gelben Bibel“ vorformulierte Konzept politischer Bildung wurde am stärksten in Rheinland-Pfalz, abgeschwächt auch in Niedersachsen und nur rudimentär in Bayern in Richtlinienarbeit umgesetzt. Auswirkungen auf den Unterricht hat es am ehesten auf der Sekundarstufe II erlangt. Auf der Sekundarstufe I war dies schon deshalb nicht möglich, weil man nirgends bereit war, das entsprechende Stundendeputat einzuräumen. So blieben etwa die in Rheinland-Pfalz am Beginn der Lehrplanarbeit in Aussicht gestellten zwei mal zwei Wochenstunden in der Sekundarstufe I aus, und generell bleiben bis heute die unionsregierten Länder, was den Stundenanteil des Faches betrifft, hinter den SPD-Ländern zurück. Dabei bildet Bayern einen bemerkenswerten Sonderfall, das „Schlußlicht“ in der Stundenzahl für Sozialkunde, weil das Fach Mitte der siebziger Jahre durch die Einführung von „Wirtschaft und Recht“ halbiert und wichtiger Themen beraubt wurde. Ein richtiges Anliegen, nämlich die Bereiche Wirtschaft und Recht in den allgemeinbildenden Schulen zum Zug kommen zu lassen, wurde hier auf den falschen Weg gebracht; falsch deshalb, weil die Stundentafeln weiter zersplittert wurden in einstündige Fächer, und weil die für „Wirtschaft und Recht“ entwickelten Lehrpläne gekennzeichnet sind durch eine Flucht aus der Politik in eine relativ beliebige „Kunde“

Symptomatisch für die hier nur grob skizzierte Entwicklung, für das Versanden unserer Bemühungen um die Durchsetzung eines konsensfähigen Konzepts politischer Bildung, aber auch für das Erlahmen der theoretischen Diskussion war der Tatbestand, daß die von uns 1980 vorgelegte Fortschreibung des gemeinsamen Konzepts der „Gelben Bibel“ in der Fachöffentlichkeit kaum noch, von den alten Auftraggebern gar nicht mehr registriert wurde 3. Verkrampfte Konsensdiskussion Die Mitte der siebziger Jahre zwischen Didaktikern der politischen Bildung geführte Konsensdiskussion wird nachträglich perhorresziert, wenn ein Kritiker von , Konsensübereifer* und von politischer Bildung als . Konsensmaschine* spricht. Darin scheint mir sowohl die damalige Situation als auch die Intention der am Gespräch Beteiligten verkannt Mir scheint vielmehr, die Diskussion wurde zu verkrampft, mit zu wenig Gelassenheit und deshalb auch nicht gründlich genug geführt. Dies sei am sogenannten Beutelsbacher Konsens verdeutlicht.

Die Landeszentrale Baden-Württemberg hatte 1976 eine Reihe von Didaktikern zu einer Tagung eingeladen, auf der diese ihre unterschiedlichen Vorstellungen von politischer Bildung vortrugen und miteinander verglichen. Der als Ergebnis des damaligen Gesprächs festgehaltene Konsens wird meines Erachtensformal überschätzt, von manchen durch ständige Berufung auf ihn geradezu zum Fetisch erhoben; er wird inhaltlich unterschätzt, weil seine drei Bestandteile auf Voraussetzungen beruhen. über die man sich hätte verständigen müssen. Formal wird der Konsens schon deshalb überschätzt. weil er gar nicht von den Gesprächsteilnehmern auf der Tagung, sondern im Anschluß daran von einem kritischen Beobachter formuliert wurde. Hans Georg Wehling hat sich zweifellos ein Verdienst erworben, indem er aus seinem subjektiven Eindruck von den Gesprächen als einen möglichen Konsens zwischen den Beteiligten drei Regeln für den Politikunterricht formulierte: Das Verbot der Indoktrination (Überwältigungsverbot); das Gebot der Berücksichtigung wissenschaftlicher und politischer Kontroversen; das Gebot, die Schüler ihre eigenen Interessen analytisch in den Unterricht ein-bringen zu lassen Dies sind sicher ungemein wichtige formale Konsensregeln für die politische Bildung in einer pluralistischen Gesellschaft, aber daß solche formalen Prinzipien allein nicht ausreichen zur Orientierung des Unterrichts an öffentlichen Schulen, zeigte die Nachfolgetagung, auf der der Versuch gemacht wurde, die unterschiedlichen Konzepte politischer Bildung am Thema Familie’ vergleichend vorzustellen

Ich bin keineswegs ein Verächter des Formalen. Wo inhaltliche Übereinstimmungen fehlen, sind die formalen um so notwendiger und hilfreicher. Manfred Hättich hat in diesem Zusammenhang die hilfreiche Unterscheidung von Verfahrens-, Ordnungsund Wertekonsens eingeführt und mit Recht darauf hingewiesen, eine Gesellschaft könne mit zunehmendem Dissens in Wertfragen um so eher leben, wenn der Verfahrens-und der Ordnungskonsens gegeben seien Aber es gibt im Sozialen keine völlig inhaltsleeren, rein formalen Regeln von schlüssiger Evidenz. Formale Regeln sind ihrerseits begründet in der Selbstevidenz materialer Gründe.

Und eben an dieser Stelle, so scheint mir, beginnt die Unterschätzung des sogenannten Beutelsbacher Konsenses. Warum soll denn, so muß gefragt werden, Indoktrination nicht sein? Warum sollen Kontroversen zur Sprache und die Interessen der Schüler zum Zuge kommen?

Im Gespräch begründen wir die drei formalen Forderungen des Konsenses zweifellos mit Hinweisen auf pädagogische und anthropologische Vorstellungen wie Mündigkeit als Erziehungsziel, Würde des Menschen und Recht auf freie Entfaltung u. ä. Anders ausgedrückt: Wir bringen materiale, inhaltliche Gründe ins Spiel, die Überzeugung von Werten, die uns unaufgebbar scheinen. Selbstverständlich führt der Versuch, solche materialen Gründe genauer zu benennen und ihrerseits zu begründen, wiederum zu Divergenzen, letztlich zu dem, was Philosophen heute die „Aporie der Letztbegründung“ nennen. Aber bis zu diesem Punkt muß das Gespräch geführt werden, wenn wir wirklich tragfähigen Konsens wollen. Erst dann wird deutlich, daß wir — gerade weil wir in Letztbegründungen keine Gemeinsamkeit haben — auf gleichsam vorletzte gemeinsame Wertüberzeugungen angewiesen sind, die mehr sind als formale Regeln. Die formalen Regeln sind unabdingbar notwendig, aber wir müssen versuchen, sie als Ausdruck eines einer pluralistischen Gesellschaft gemeinsamen Sinnkonzeptes des Zusammenlebens zu interpretieren. Diese ständig notwendige Konsensfindung ist nicht wissenschaftlich leistbar und deshalb für die politische Bildung auch nicht durch eine sich streng wissenschaftlich verstehende Didaktik. Das Problem ist primär eines der Gesellschaft und nicht der Wissenschaft

Damit wird aber auch klar, was mit der Berufung aufdie gemeinsame Verfassung in der Konsensfrage gemeint ist. Von manchen meiner damaligen Gesprächspartner wurde mein Versuch, die Verfassung in der Konsensfrage zu bemühen, mit auffälligem Schweigen übergangen, von anderen beharrlich mißverstanden, nämlich als Versuch, die Diskussion durch Einführung einer höheren Autorität zu beenden oder eine „einseitige“ Auslegung der Verfassung verbindlich zu machen Gemeint war aber von mir die Einführung der Verfassung in das Konsensgespräch als ein Schritt der „praktischen Vernunft“, der sich aus dem Scheitern der „theoretischen Vernunft“ in der Frage der Letztbegründung gemeinsamer Werte zwingend ergibt, nämlich als Rückgriff auf das, was von der Gesellschaft praktisch zur Bewältigung ihres Pluralismus und ihrer Konflikte gemeinsam gelebt wird. Ich sehe bis heute nicht, auf welche andere Grundlage man politische Bildung an den allen Gruppen der Gesellschaft dienenden öffentlichen Schulen stellen will. Selbstverständlich ist auch die Verfassung weitgehend eine formale Ordnung, und ihre Normen stellen häufig Kompromißformeln aus einer bestimmten historisch-politischen Situation dar, sind unterschiedlich begründ-und auslegbar und geben Raum für sehr unterschiedliche politische Konzepte. Dennoch drückt sich in der Verfassung, und zwar genauer in ihren fundamentalen Normen, ihren tragenden Prinzipien und ihrem Institutionengefüge ein Konzept des Miteinander in Konflikten aus, ein Sinnkonzept, das für die Gewinnung von Zielen politischer Bildung fruchtbar gemacht werden kann.

Ich habe in diesem Sinne seinerzeit als Minimalkonsens für die politische Bildung, der mir quantitativ ausreichend und qualitativ tragfähig schien, folgendes vorgeschlagen: — Konsens über die Grundnormen, wie sie in Art. 1 und 20 GG formuliert sind, und über die entsprechenden institutionellen und prozessualen Regeln, die das Bundesverfassungsgericht zur Beschreibung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammengefaßt hat; — Konsens über die damit vorausgesetzten Grundwerte (personale Menschenwürde als Grundlage, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden als Ziele der Politik), nicht jedoch über deren Begründung oder Herleitung; — Konsens über die diesen Werten, Normen und Regeln entsprechenden Verhaltensweisen

Ich warte immer noch darauf, daß meine Kritiker mir sagen, was daran so gefährlich, so „affirmativ“, den Politikunterricht einengend sein soll. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß politische Bildung ganz im Gegenteil durch diese Orientierung dreierlei gewinnt: erstens ein positives Verhältnis zur gemeinsamen Verfassungsordnung, ohne daß diese zu sehr inhaltlich-programmatisch und damit parteilich in Anspruch genommen würde zweitens ein kritisches Potential zur Beurteilung bestehender Verhältnisse, Ordnungen, konkreter Entscheidungen — ein Kritikpotential, das allen Gruppen zumutbar bleibt; drittens einen Schutz gegen überzogene Forderungen hinsichtlich der Wertbindung des Unterrichts und damit einen Raum pädagogischer Freiheit, weil die Wertgrundlagen der Verfassung, wie oben schon betont, nicht als unbefragbare Dogmatik dem Unterricht zugrunde gelegt werden sollen, sondern als Orientierungshilfen in das Gespräch, in die Suche nach Maßstäben und in die Frage nach tragfähigen Wertüberzeugungen eingebracht werden sollen

Im übrigen erscheint es seit Anfang der achtziger Jahre in allen Bundesländern als selbstverständlich, die Richtlinien für den Politikunterricht nicht nur äußerlich und formal, sondern auch in einer gewissen inhaltlichen Orientierung an die Verfassung anzubinden Sicher gibt es dabei Unterschiede in der Akzentuierung; aber diese offenbar als unumgänglich notwendig erkannte Orientierung offizieller Richtlinien an Verfassungswerten wäre vielleicht erheblich besser gelungen, wenn meine fach-didaktischen Kollegen das Gespräch über Art und Weise und Tragweite dieser Orientierung nicht so beharrlich verweigert hätten. Schließlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, daß kein geringerer als Jürgen Habermas im „Historikerstreit“ den von Dolf Sternberger geprägten Begriff des Verfassungspatriotismus übernommen und dazu gemeint hat, unsere Bindung an universalistische Verfassungsprinzipien sei der einzige Patriotismus, der uns dem Westen nicht entfremde Praktisch-politische Vernunft scheint doch eine Chance zu haben, trotz der Erfahrungen, die man allerdings auch mit dem Historikerstreit machen konnte.

Ohne Zweifel sind nach wie vor die politisch-kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen sich praktisch-politische Vernunft im Streit um politische Bildung durchsetzen könnte, nicht sonderlich günstig. Ich stimme diesbezüglich Thomas Ellwein zu, der einerseits auf das geringe Maß an Gelassenheit hingewiesen hat, mit dem bei uns Streitfragen ausgetragen werden, sowie auf den Mangel an Fundamentalkonsens andererseits unter den streitenden Politikern und Richtungen Besonders deutlich wurde dies Anfang der achtziger Jahre am Scheitern einer gemeinsamen Empfehlung der KMK in Sachen Friedenserziehung und Sicherheitspolitik.

Seit dem Harmel-Bericht von 1967 war man sich im westlichen Bündnis darin einig, daß die auch militärisch angelegte Sicherheitspolitik Bedingung der Möglichkeit weiterführender Friedenspolitik sei, und darin stimmen unsere traditionellen Parteien trotz aller Unterschiede und Streitfragen, die es auf diesem Feld gibt, durchaus bis heute überein. Dennoch war die KMK nicht in der Lage (oder nicht Willens!), eine gemeinsame Empfehlung zustande-zubringen, in der Sicherheitspolitik und Friedenserziehung in einen sinnvollen Bezug zueinander gebracht worden wären. Eine solche Empfehlung hätte keineswegs die mit dem Bezug gegebenen Probleme zudecken müssen, und selbst wenn es nicht ohne einige glättende Kompromißformeln abgegangen wäre, so wäre dies doch für unsere Schulen allemal besser gewesen als der so entstandene Eindruck, in den SPD-regierten Ländern wolle man eine reichlich politikferne Friedenserziehung, in den unionsregierten Ländern eine Festlegung auf die gegenwärtige Sicherheitspolitik ohne umfassendere Friedensperspektive.

Wieder einmal zeigte sich aber auch an diesem Streit, wie in der aufgeregten Diskussion über die Schule allgemein und über den Politikunterricht im besonderen ein erhebliches Maß an Überschätzung der Möglichkeiten und der Wirksamkeit von Schule und politischer Bildung herrscht. Ausgerechnet die politisch für die Schule Verantwortlichen wollen durchweg immer noch nicht sehen, daß die anderen Kräfte in unserer Gesellschaft erzieherisch im Positiven wie im Negativen stärker sind als die Schule. Für die politische Bildung ist dies allen voran die Politik selbst, vor allem der Stil, in dem sie gemacht wird, sowie ihre Vermittlung durch die Medien. Demgegenüber kann die Schule allenfalls ein Stück politischer Propädeutik versuchen, nämlich die Klärung von Vorstellungen und Begriffen, den Erwerb von Grundkenntnissen, von Kategorien und Methoden des Umgangs mit politischen Phänomenen und der Artikulation von Meinungen und Überzeugungen in Streitfragen und im Gespräch. Aber selbst dieses wenige kann die Schule nur leisten, wenn man den Gegenstand in sie einläßt, ihn nicht ängstlich aus ihr verbannen zu müssen glaubt — er wäre dann in unangemessener Weise doch in ihr anwesend —; wenn man also der Schule Zeit und Raum gibt zur rationalen Auseinandersetzung mit Politik, was zugleich heißt, daß diese dort Gegenstand gemeinsamen Nachdenkens ist, nicht Aktions-oder gar Agitationsfeld.

II. Ausblick: Neue Herausforderungen für politische Rationalität

Im Rückblick kann man heute feststellen, daß manches als selbstverständlich anerkannt wird, was im Pulverdampf seinerzeitiger Schlachten als gefährliche Machination angeblicher Gegner des Fort-schrittes verdächtigt wurde. Das emanzipatorische Pathos hat sich verbraucht, der auf technisch-zivilisatorischen Fortschrittsglauben gegründete Optimismus ist bei vielen in Resignation umgeschlagen. Angesichts neuer Probleme und Grenzerfahrungen, angesichts sozialer „Bewegungen“, die Politik „aus dem Bauch“ machen, das Heil in radikalen Lösungen suchen oder einfach „aussteigen“ wollen, erfreut sich der Ruf nach Rationalität, nach Verstärkung der Reflexion in politischer Bildung, nach Einübung politischen Urteilens an Wertkonflikten vielseitiger Anerkennung und Betonung

Diese Feststellungen sind kein Plädoyer für selbst-zufriedene Rückkehr zu alten Konzepten. Unsere gesellschaftliche und politische Landschaft hat sich in den letzten zwanzig Jahren grundlegend verändert. Das Konzept der Vermittlung politischer Rationalität durch politische Bildung sieht sich neu herausgefordert, auch in Frage gestellt. Es muß sich in Auseinandersetzung mit neuen Problemen neu bewähren.

Die Veränderung der politischen Landschaft, die neuen Erfahrungen und Probleme, um die es heute geht, brauchen hier nicht ausgebreitet zu werden. Es sei nur kurz erinnert an allgemein Bekanntes, an die Umwelt-und Ökologieproblematik; an die Frage nach dem Weltfrieden, an Dritte Welt und Entwicklung/soziale Gerechtigkeit; an neue Techniken, ihre Möglichkeiten und Gefahren. Das Gemeinsame all dieser Probleme scheint mir faßbar in dem Begriff Grenzerfahrungen: Erfahrungen von Grenzen in einer eng gewordenen Welt, in der die Staaten und Völker in eine zunehmende Interdependenz geraten. Es ist die Frage, ob es gelingt, mit entsprechender Politik darauf zu antworten.

In einige Teilfragen zerlegt, heißt dies:

— Wir können durch industrielle Technik unsere Lebensgrundlagen zerstören. Welche Vorkehrungen muß die Politik treffen, damit Ökologie zu einem selbstverständlichen Teil der Ökonomie wird, ohne diese zu erdrosseln?

— Wir können durch Massenvernichtungswaffen die Menschheit zerstören. Wie kann politisch Krieg überwunden werden, so daß das Prinzip innerstaatlicher Friedenssicherung unter freiheitlichen Bedingungen analog weltweit wirksam wird?

— Fast eine Milliarde Menschen lebt in absoluter Armut, es drohen weltweite Verteilungskämpfe, ein Klassenkampf zwischen Nord und Süd von weltweiter Ausdehnung wird vorstellbar. Wie können politisch die Idee und die Elemente sozialstaatlicher Ordnung und gerechterer Verteilung der Güter weltweit wirksamer gemacht werden (wobei es nicht nur um die Verteilung von Vorhandenem geht, sondern um die Ermöglichung von Produk23 tion und Partizipation für große Massen der Bevölkerung)? — Wir können wissenschaftlich-technisch unsere biologische Evolution umsteuern bis hin zur Menschenzüchtung. Welche Grenzen müssen politisch um der personalen Menschenwürde willen gesetzt werden, ohne daß die Freiheit des Denkens und der Wissenschaften sowie die positiven Möglichkeiten neuer Techniken aufgehoben werden?

Die Frage, ob und wie politische Bildung auf diese Probleme reagieren kann, wird inzwischen viel diskutiert. Wir setzen hier voraus, daß folgende Wege ausscheiden:

— Regression in irrational-aktionistische Konzepte der Flucht aus den gegebenen Zielkonflikten;

— Ersetzung eindringlicher Problemanalyse und Urteilsbildung durch Unheilsprophetie (der politische Pädagoge soll weder die Rolle des Naturfreaks noch die des Apokalyptikers spielen);

— Entpolitisierung durch Flucht in regional, national und traditionell fixierte Identitäten.

Es werden folgende Fragen in der Didaktik politischer Bildung inzwischen diskutiert bzw. müssen intensiver diskutiert werden:

— Braucht politische Bildung neue Inhalte?

— Braucht politische Bildung eine stärkere Methodisierung und Handlungsorientierung?

— Wie kann politische Bildung im Zeitalter der Massenmedien und angesichts ihrer Bedeutung für die Vermittlung (Verkürzung, Emotionalisierung) von Politik medienpädagogisch intensiviert werden?

— Wie muß das Verhältnis von geschichtlicher und politischer Bildung bestimmt werden und wie kann insbesondere der Politikunterricht den für das Verständnis von Politik notwendigen zeitgeschichtlichen Kontext und das Gespräch zwischen den Generationen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen vermitteln?

— Wo liegen die Schwierigkeiten und möglicherweise Grenzen politischer Rationalität angesichts der neuen Probleme?

Der uns hier gesetzte Rahmen erlaubt es nicht, die genannten Fragen ausführlicher zu erörtern. Dies muß an anderer Stelle geschehen. Ich begnüge mich hier damit, gleichsam thesenartig zu jeder der genannten Fragen eine Aussage zu formulieren, die zumindest die Richtung andeutet, in der meines Erachtens tragfähige Antworten auf die einzelnen Fragen gesucht werden können. An jeder dieser Fragen zeigt sich im übrigen in je spezifischer Weise, daß in der Tat das Verhältnis von Politik und politischer Bildung ein ungelöstes Problem ist.

Der Ruf nach neuen Inhalten politischer Bildung überzeugt mich nicht recht. Es ist eine alte Erkenntnis politischer Didaktik, daß im Unterricht der Ordnungs-, der Prozeß-und der Inhalts-bzw. Ziel-aspekt des Politischen (also polity, politics, policy)

zusammen gesehen werden müssen. Bevor man, jedenfalls für Rahmenrichtlinien oder Lehrpläne, die Notwendigkeit neuer Inhalte proklamiert, wäre dafür Sorge zu tragen, daß Richtlinien und auch didaktische Konzepte genügend weit formuliert sind, damit sie nicht ständig und in beinahe zyklischem Wechsel den Themen der öffentlichen Diskussion nachlaufen müssen. Sie müssen vielmehr einen Unterricht ermöglichen und empfehlen, der an den gegenwärtigen Problemen das prinzipiell Politische kategorial und methodisch begreifbar macht, übrigens auch im Sinne der bescheidenen Zielsetzung, die für Schulen mit ihren begrenzten Möglichkeiten und im Blick auf die Schüler der Sekundarstufe I geboten ist. Der Ruf nach der Umschreibung eines Grundwissens und nach der Konzentration des Unterrichts auf dessen Vermittlung ist ja nicht durchweg falsch, wenn man auch den Nicht-Fachleuten und den Politikern, die ihn oft in Abwehr weitergehender Ansprüche erheben, sagen muß, daß Schule in der Wahrnehmung der Aufgabe politischer Bildung am allerwenigsten auf das alte Pauk-und Lemsystem zurückfallen darf. Die kognitiv-kategoriale, die kommunikativ-dialogische und die moralisch-affektive Dimension politischer Bildung müssen gemeinsam in der Auseinandersetzung an repräsentativ gewählten Gegenständen des Politischen zur Entfaltung kommen können. Daß die Wahl dieser Gegenstände bis zu einem gewissen Grad dem Wechsel der öffentlichen Themen folgen sollte, versteht sich dann von selbst

Damit ist auch bereits eine erhebliche Skepsis angedeutet gegenüber Konzepten und Vorschlägen, die in verstärkter Methoden-und Handlungsorientierung des Politikunterrichts die Lösung — sei es für die alte Zieldiskussion, sei es für die neueren Probleme — sehen wollen. Ich bestreite nicht, daß unserer politischen Bildung ein stärkeres Methodenbewußtsein und auch Methodentraining gut täte. Wenn aber etwa unter Stichworten wie , Schülerexperiment 4, , forschend-entdeckendes Lernen 4 oder „praktische Übungen 4 eine methodische Weiterentwicklung der sozialwissenschaftlichen Schulfächer in Analogie zu den naturwissenschaftlichen Fächern gefordert wird, dann muß doch gefragt werden, wie weit diese Analogie trägt Das Soziale ist kein Naturbestand, sondern geht aus geschichtlich-gesellschaftlicher Praxis hervor, wird als Kultur tradiert, unterliegt ständiger Veränderung. Seine Grundlage ist von intentionaler Art, und diese Eigenart kennzeichnet zentral das Politische. Das wichtigste Mittel der Politik ist die Sprache, und es wäre deshalb verfehlt, dem Politikunterricht Methoden zu verordnen, die das Begreifen der und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen politischer Sprache nicht mehr gewährleisten. Im übrigen überzeugt es nicht, wenn heute eine methodenorientierte Politikdidaktik in Gegensatz zu den bisher entwickelten Konzepten gebracht wird; bei näherem Zusehen zeigt sich, daß die „Methodenorientierung“ unausgesprochen sowohl ein bestimmtes Grundverständnis von Politik als auch Kategorien zu dessen Erschließung voraussetzt

Was die tnedienpädagogische Seite politischer Bildung betrifft, so kann hier nur auf die Dringlichkeit der Aufgabe aufmerksam gemacht werden. Nicht als ob auf diesem Feld nicht auch bisher in Theorie und Praxis vieles versucht worden wäre. Auch geht die Aufgabe natürlich weit über die Fachgrenzen des Politikunterrichts hinaus. Dieser kann wegen seiner geringen Stundenzahl derzeit bei weitem nicht in notwendigem Maß die Aufgabe politischer Medienerziehung erfüllen, die ihm zukommt. Zu einem schwerwiegenden Versäumnis wird dies heute vor allem deshalb, weil inzwischen das Fernsehen für die große Masse der Bürger das vorherrschende Instrument der Politikvermittlung geworden ist, dem sich Hörfunk und Druckmedien ein Stück weit in Reduzierung des Politischen auf Schlagzeilen und Reizworte, auf Oberfläche und Stimmungen angepaßt haben. Der demokratische politische Prozeß ist jedoch angewiesen auf ein Mindestmaß an Analyse von Sachverhalten und abwägender Urteilsbildung. Politikunterricht hätte einzuüben, wie man dies im kritisch-vergleichenden Umgang mit den Medien, im ständigen Sichbewußtmachen des medialen Charakters unserer Informationen erreichen kann. Aber die Verantwörtlichen geben dem Unterricht dazu nicht den Raum

Vielleicht weniger in der didaktischen Theorie, aber jedenfalls in der Schulpraxis ist auch das Verhältnis von Geschichts-und Politikunterricht nach wie vor ein ungelöstes Problem. Die von konservativer Seite zu Recht abgewehrte totale Integration der Fächer war das eine Extrem, das heute vorherrschende beziehungslose Nebeneinander ist das andere. Der Geschichtsunterricht ist von sich aus so wenig gegen ideologischen Mißbrauch gefeit wie der Politikunterricht. Ein in Lehrplänen offiziell verordnetes „Geschichtsbild“, das den Pluralismus unserer Traditionen und Deutungen verdecken würde, wäre ebenfalls ideologischer Mißbrauch. Identitätsfindung kann von der Schule allenfalls erleichtert und ermöglicht, keinesfalls erzwungen und verordnet werden. Die Bedeutung und mögliche Leistung des Geschichtsunterrichts für unser Selbstverständnis als demokratisch verfaßte Gesellschaft und für die historische Ortsbestimmung unserer Gegenwart muß differenzierter bestimmt werden, als es die Worthülsen mancher Politiker von den angeblichen „Lehren der Geschichte“ — als lägen diese einfach zutage — auch nur ahnen lassen.

Nicht zuletzt auch wegen seiner unersetzlichen Bedeutung für politische Bildung muß Geschichtsunterricht ein selbständiges Schulfach sein. Aber früher als derzeit müßte ihm ein Politikunterricht zur Seite treten, der unseren demokratischen Staat in seiner Genese, seiner politischen Grundsituation, seinem Verfassungsgefüge und seinen Problemen dem Schüler der Sekundarstufe I vorstellt. Dies müßte also ein Politikunterricht im zeitgeschichtlichen Kontext sein — derzeit ein Desiderat, das sich um so spürbarer als schweres Defizit zeigt, je mehr die Bundesrepublik Deutschland selbst schon Geschichte besitzt. Wieso eigentlich sollen sich Schüler der 6. bis 8. Jahrgangsstufe, also 12-bis 14jährige, mit griechischen, römischen und mittelalterlichen Kulturen und Ordnungsformen befassen (sie sollen es!) — ihren eigenen Staat dagegen, seine Geschichte, seine Verfassung und Politik aber erst viel zu spät in der Abschlußklasse kennenlemen? Noch kein Richtlinienautor konnte das plausibel erklären, und die Schulpolitiker sehen das Problem offenbar gar nicht

Die stärkste Herausforderung für das hier verfochtene Rationalitätskonzept politischer Bildung liegt zweifellos in den eingangs skizzierten neuen Grenzerfahrungen. Sie wecken — zumal bei der nachwachsenden Generation — verbreitet Zweifel am Vermögen politischer Vernunft und führen zu den Ausbrüchen von Irrationalität, wie wir sie vielfältig erleben, weil die Verhältnisse selbst ein Stück Irrationalität repräsentieren. Von Dieter Grosser und Walter Gagel sind die daraus für die politische Bildung folgenden Schwierigkeiten aufje eigene Weise herausgearbeitet worden anläßlich einer Tagung, die die Landeszentrale Baden-Württemberg in Wiederaufnahme der Konsens-Diskussion Ende 1986 veranstaltete Bei Grosser stand im Mittelpunkt das Problem zunehmender Komplexität der Sachprobleme, mit denen Politiker konfrontiert werden — eine Komplexität, die im Unterricht nicht mehr angemessen zu reduzieren und zu bewältigen sei. Gagel sieht den Konsens der Demokraten bedroht und die Gefahr neuer Polarisierungen auf uns zukommen, weil die Politik die Probleme des technisch-ökonomischen Wandels nicht mehr beherrsche, vielmehr in Abhängigkeit von Entscheidungen gerate, die an anderen Stellen in Wissenschaft und Wirtschaft gefällt würden und die Politik dann vor ungeahnte Folgeprobleme stellen.

Ich will diese Probleme gewiß nicht verharmlosen. Dennoch bleibt zu fragen, ob die beschriebenen Phänomene so neu sind, wie die Autoren meinen. Gewiß ist der Politikunterricht überfordert, wenn er die komplexen Sachprobleme etwa der Konjunktur-oder Arbeitsmarktpolitik bis in die heute vor-findbaren Verästelungen und Verfeinerungen der wissenschaftlichen Konjunkturtheorien verfolgen soll. Aber auch wenn Fachleute dies getan haben, bleiben ihre Meinungen im Politischen kontrovers.

Das heißt aber doch, daß das Politische an diesen komplizierten Fragen gerade nicht in Sachfragen für Fachleute, sondern in Fragen, die mit unseren Meinungen, Interessen und Überzeugungen zu tun haben, zum Ausdruck kommt.

Es war und bleibt ein zentrales Anliegen didaktischer Konzepte, die mit Kategorien des Politischen arbeiten, den Normalbürger zu befähigen, das Politische an den Sachfragen zu erkennen und sich an der Diskussion darüber kompetent zu beteiligen. Der Normalbürger braucht kein Konjunkturtheoretiker zu sein, um zu erkennen, daß und warum die Arbeitgeberseite zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit andere Mittel vorschlägt als die Arbeitnehmer-seite. Das Problem, welches bleibt, besteht darin, daß das Politische alle Sach-und Sozialverhältnisse durchdringt und insofern immer vielfältig mit Sachund Fachfragen durchmischt ist.

Zu Walter Gagels Problembeschreibung wäre zu fragen, ob denn Politik je in der Lage gewesen ist, das Ganze der wissenschaftlich-technischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu steuern. Sie stand immer vor Folgeproblemen, deren Ursachen außerhalb ihrer spezifischen Zuständigkeit lagen. Die wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Entscheidungen, die zu dem führten, was wir die industrielle Revolution nennen, fielen weitgehend außerhalb der Politik. Sie konfrontierten die Politik aber dann mit der „Sozialen Frage“. Neu sind, wie gesagt, die oben beschriebenen Grenzerfahrungen. Um so wichtiger ist es freilich, sich bewußt zu machen, daß keine Instanz — weder in unserer Gesellschaft noch irgendwo in der Welt — zu einer Gesamtsteuerung fähig ist.

Erst wenn wir begreifen, daß wir in dieser Weise als Individuen und als Gruppen im wahrsten Sinne des Wortes „ausgesetzt“ sind, kann auch die Einsicht wachsen, daß Politik den neuen Herausforderungen auf die Dauer nur gewachsen sein wird, wenn es gelingt, sie entschiedener als bisher über Sachrationalität und partikulare Interessen hinaus an Sinnrationalität, das heißt am Gemeinwohl unserer eigenen Gesellschaft ebenso wie am Weltgemeinwohl zu orientieren. Je größer, je umfassender und schwieriger unsere politischen Probleme werden, um so höher wird unser Bedarf an politisch-praktischer Vernunft, an Fähigkeiten demokratisch-politischer Partizipation und Kommunikation sowie an Solidarität, die die eigene Interessengruppe, die eigene Partei und auch die eigene Nation überschreitet. Nachdrücklicher, als es unsere Diskussionen von Anfang der siebziger Jahre ahnen ließen, macht uns der Druck der Probleme heute klar, daß Politik und damit auch politische Bildung über unsere Interessen-und Überzeugungskonflikte hinaus autgemeinsame Wertorientierungen angewiesen sind. Da aber der pädagogische Sinn von Wertorientierungen im Unterricht nicht auf den kognitiven Bereich zu beschränken ist, da es also nicht nur um das Erkennen von Wertfragen und um intellektuelle Wertklärungsprozesse geht, vielmehr im Unterricht auch entsprechende Verhaltensdispositionen angebahnt werden sollen, ist es mir um so unverständlicher, daß ein so bedeutender Didaktiker wie RolfSchörken seinem Bild von dem „neuen Patriotismus“, dem er die „Umgehung der Ratio“ vorwirft, auch gleich in Bausch und Bogen nicht nur die sogenannten Sekundärtugenden, sondern auch die Primärtugenden einverleibt Die sogenannten Primärtugenden, in der klassischen Ethik Kardinaltugenden genannt — nämlich Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit (Zivilcourage) und Maß — erweisen sich bei genauerem Nachdenken als politisch höchst rele-vant. Und wenn Schörken dem konservativen Ruf nach Gefühlsbindungen die „Goldwährung“ unserer verfassungsgarantierten Freiheiten entgegenstellt, dann sollte er auch in der Lage sein zu erkennen, daß demokratische Institutionen und Bürger-tugenden einander entsprechen und sich gegenseitig stützen müssen Politische Bildung braucht politische Ethik

Auf der Verbindung des neuzeitlichen Freiheitsdenkens und seiner politisch-institutionellen Forderungen mit der alteuropäischen Überzeugung, daß der Mensch prinzipiell fähig sei zur Tugend, das heißt zum Erkennen und zum Tun des Besseren in der konkreten Situation, beruht unsere politische Kultur. Zu ihrer Pflege und Verbesserung sind wir durch die eingangs beschriebenen neuen Probleme und Grenzerfahrungen aufs höchste herausgefordert. Zu dieser Pflege beizutragen, ist die zentrale Aufgabe politischer Bildung. Herauszuarbeiten, wie diese Aufgabe im einzelnen in pädagogischer und wissenschaftlicher Verantwortung wahrgenommen werden kann, ist Sache der Fachdidaktik.

Die entsprechenden wissenschafts-und schulpolitisehen Rahmenbedingungen müssen von den verantwortlichen Politikern gesichert werden. Sie werden dies nur können, wenn sie sich endlich davon freimachen, politische Bildung entweder sträflich zu vernachlässigen, gar zu mißachten, oder von ihr zuviel zu erwarten (was immer auch die Versuchung impliziert, sie für die eigene Richtung in Dienst nehmen zu wollen).

Schließlich muß der politische Pädagoge den dringenden Wunsch äußern, die politischen Repräsentanten des Gemeinwesens möchten genügend intensiv über die Wirkung ihres eigenen politischen Stils auf die politische Kultur der Gesellschaft und besonders auch auf die junge Generation nachdenken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt. Eingeleitet und kommentiert von Klaus von Beyme, München 1979. S. 251 ff.

  2. Vgl. etwa Rolf Schmiederer. Zwischen Affirmation und Reformismus. Politische Bildung in Westdeutschland seit 1945, Frankfurt 19742.

  3. Zu diesem Komplex demnächst in der Didaktischen Reihe der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg ein Sammelband, der sich mit dem Historikerstreit unter Aspekten der politischen Bildung befaßt.

  4. Dieter Grosser, Politische Bildung heute: Chance für einen Neubeginn?, in: Gegenwartskunde. (1985) 2. S. 137 ff., hier S. 141.

  5. Rolf Schörken. Symbol und Ritual statt politischer Bildung?. in: Gegenwartskunde. (1987) 3. S. 289 ff., hier S. 297.

  6. Emst-August Roloff. Erziehung zur Politik. Band 2. Göttingen 1974. S. 159. Hervorhebung im Original.

  7. Selbstverständlich gab es auch damals nicht nur Dissens und Polarisierung, wie unten noch deutlicher werden wird. Aber der damalige Dissens ist doch erheblich unterschätzt bei Klaus Günther, „Spielregel-Demokratie“ im Widerstreit. Politische Bildung auf dem Weg zu mehr Dissensfähigkeit?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 51— 52/86. S. 3 ff. Die von Günther gezeichneten Typen des „regeltreuen Bürgers“ einerseits, des über den Status quo hinausdenkenden Bürgers andererseits scheinen mir in dieser einfachen Gegenüberstellung realitätsfeme Konstrukte.

  8. Vgl. Wolfgang Hilligen, Zur Didaktik des politischen Unterrichts I, Opladen 1975, S. 175 ff.

  9. Ausführlicher dazu Bernhard Sutor, Neue Grundlegung politischer Bildung. Band I: Politikbegriff und politische Anthropologie, Paderborn 1984. S. 138 ff.

  10. Vgl. Hermann Giesecke. Didaktik der politischen Bildung. Neue Ausgabe, München 1972, S. 117 ff.; ferner Bernhard Sutor/Hermann Giesecke, Zur Parteilichkeit politischer Bildung, in: Materialien zur Politischen Bildung, (1974) 4. S. 85 ff.

  11. Vgl. Emst-August Roloff. Erziehung zur Politik. 3 Bände, Göttingen 1972 ff.; Wilfried Gottschalch. Zur Soziologie der politischen Bildung, Frankfurt 1970.

  12. Vgl. Rolf Schmiederer. Zur Kritik der Politischen Bildung, Frankfurt 1971.

  13. Hans-Jochen Gamm (Hrsg.). Erziehung in der Klassen-gesellschaft, München 19724; dort vor allem die Thesen zur emanzipatorischen Erziehung. S. 151 ff., und Franz Heinisch zur politischen Bildung. S. 155 ff.

  14. Vgl. Klaus Schaller, Einführung in die Kritische Erziehungswissenschaft. Darmstadt 1974. S. 71; ferner W. Hilligen (Anm. 8). S. 184 f.

  15. In dieser Hinsicht bleibt auch W. Hilligen (Anm. 8) S. 285 ff. undeutlich; vgl. B. Sutor (Anm. 9). S. 124 ff.

  16. Die spätere Apologie kann bemerkenswerte Formen annehmen. So interpretiert Wolfgang Hilligen den Vorwurf der „Linkslastigkeit“ gegen bestimmte Richtlinien zum „Linksverdacht“ um, der aus der politisch-taktischen Interessenlage der CDU nach 1969 zu erklären sei. Freilich räumt er dann sofort im nächsten Satz ein. die hessischen Rahmenrichtlinien von 1972 hätten höchst fragwürdige, „illiberale“ Einseitigkeiten enthalten; W. Hilligen. Politische Bildung — im cultural lag?, in: Politische Bildung. (1986) 3. S. 9.

  17. Die Literatur zum Streit über die hessischen Rahmen-richtlinien ist riesig. Vgl. Herbert Kühr. Politische Didaktik. Königstein 1980. S. 156 ff.

  18. So Hartmut Wolf auf einer Podiumsdiskussion in Berlin 1973. Vgl. auch Helmut Hartwig, Curriculumrevision im Legitimationszusammenhang. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 100, Curriculum-Entwicklungen zum Lemfeld Politik, Bonn 1974, S. 29 ff.

  19. In der Entwicklung der „Politik“ -Richtlinien in Nordrhein-Westfalen liefen die Dinge etwas anders, obwohl es auch Parallelen zu den hessischen Rahmenrichtlinien gab. Das Konzept war wissenschaftlich und didaktisch viel durchdachter und anspruchsvoller. Aber auch dort folgte man lieber einer spezifischen Gesellschaftstheorie als dem gemeinsamen Verfassungsverständnis, setzte den Leitbegriff Emanzipation fanfarenhaft an die Spitze, um hinterher das Ganze künstlich an die Verfassung anzubinden. Vgl. H. Kühr (Anm. 17). S. 174 ff.

  20. Theodor Wilhelm, Traktat über den Kompromiß. Zur Weiterbildung des politischen Bewußtseins, Stuttgart 1973; ders., Jenseits der Emanzipation. Pädagogische Alternativen zu einem magischen Freiheitsbegriff, Stuttgart 1975; Hans-Günther Assel, Ideologie und Ordnung als Probleme politischer Bildung. München 1970; Günter C. Behrmann u. a., Geschichte und Politik. Didaktische Grundlegung eines kooperativen Unterrichts, Paderborn 1978; dort Behrmann selbst S. 109 ff.

  21. Vgl. Dieter Grosser. Politische Bildung. Reihe „Kompendium Didaktik“, München 1977.

  22. Vgl. Manfred Hättich, Rationalität als Ziel politischer Bildung, München 1977.

  23. Vgl. Bernhard Sutor, Didaktik des politischen Unterrichts. Eine Theorie der politischen Bildung, Paderborn 1971/19732.

  24. Das Konzept ist weiterentwickelt, in seinen theoretischen Grundlagen und in den unterrichtspraktischen Folgerungen breiter entfaltet in meiner Neuen Grundlegung politischer Bildung, 2 Bände, Paderborn 1984.

  25. Vgl. Jürgen Habermas. Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Neuwied 1963 und Frankfurt 1971; Bernhard Claußen. Kritische Politikdidaktik. Opladen 1981. hier u. a. S. 79; Band I meiner „Neuen Grundlegung“ (Anm. 9), S. 37 ff.

  26. Vgl. Bernhard Sutor. Plädoyer für einen pluralen Ansatz in den Curricula politischer Bildung, in: Heft 100 der Schriftenreihe der Bundeszentrale (Anm. 18), S. 11 ff.

  27. Politische Bildung. Grundlagen und Zielprojektionen für den Unterricht an Schulen, von Dieter Grosser u. a.; hrsgg. von W. Braun u. a., Stuttgart 1976, hier S. 3.

  28. Die bis dahin erschienenen wichtigeren Stellungnahmen sind registriert im Anmerkungsteil meines Aufsatzes: Konsens und Dissens in der politischen Bildung, in: Materialien zur Politischen Bildung. (1977) 4, S. 104 ff.

  29. Politische Bildung (Anm. 27), S. 7.

  30. Ebda.. S. 13.

  31. Es soll nicht überbewertet werden, verdient aber doch eine Anmerkung, daß Autoren der „Gelben Bibel“ Arbeitshefte für den Politikunterricht in Bayern in der Regel zweimal umschreiben oder jedenfalls verändern müssen, bis sie die Gnade der ministeriell beauftragten Gutachter finden, zur Zulassung empfohlen zu werden. Meßlatte bei der Prüfung ist der „Curriculare Lehrplan“, der auf der „Gelben Bibel" fußen sollte, das heißt auf Text und Konzept eben dieser Autoren.

  32. Vgl. Heinrich Oberreuter (Hrsg.). Freiheitliches Verfassungsdenken und Politische Bildung. Stuttgart 1980.

  33. Vgl.den in Anm. 7 genannten Aufsatz von Klaus Günther. Die Ratschläge, die Günther dort der politischen Bildung für mehr Dissensfähigkeit glaubt geben zu müssen (S. 13), gelten in der politikdidaktischen Literatur als Selbstverständlichkeiten.

  34. Vgl. Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.). Das Konsensproblem in der politischen Bildung, Stuttgart 1977; die Formulierungen von Wehling dort S. 179 f.

  35. Vgl. Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Die Familie in der politischen Bildung — Konsens auf dem Prüfstand der Praxis. Stuttgart 1980.

  36. Manfred Hättich, Das Konsensproblem in der Demokratie, in: Konflikt und Integration II. Akademiebeiträge zur Lehrerbildung, Band 2, München 1978. S. 77 ff.

  37. So auch G. C. Behrmann (Anm. 20), S. 191.

  38. So Kurt G. Fischer, Überlegungen zum Problem der . Richtziele 1 des politisch-gesellschaftlichen Unterrichts, in: W. Northemann (Hrsg.), Politisch-gesellschaftlicher Unterricht in der Bundesrepublik, Opladen 1978. S. 27 ff.

  39. Vgl. Rolf Schmiederer in der 3. Auflage des von K. G. Fischer hrsgg. Sammelbandes: Zum aktuellen Stand der Theorie und Didaktik der Politischen Bildung, Stuttgart 1978, S. 191; Walter Gagel, Politik — Didaktik — Unterricht. Eine Einführung in didaktische Konzeptionen des politischen Unterrichts, Stuttgart 1979, S. 118 ff., wo das Referat verbunden ist mit wichtigen Hinweisen auf methodische Probleme der Verfassungsinterpretation, aber auch mit sonderbaren Wertungen, so etwa, wenn mir ein „altliberaler“ Demokratiebegriff zugeschrieben wird.

  40. Vgl. Bernhard Sutor. Verfassung und Minimalkonsens. Die Rolle des Grundgesetzes im Streit um die politische Bildung, in: S. Schiele/H. Schneider (Hrsg.), Das Konsensproblem (Anm. 34), S. 152 ff., hier S. 163.

  41. Es dürfte einsichtig sein, daß ich mit meinen Vorschlägen die Verfassung für die Zielorientierung politischer Bildung viel weniger in Anspruch nehme, als dies die oben genannten emanzipatorischen Konzepte etwa von Giesecke und von Roloff taten. Dies muß auch gegen Klaus Günthers Interpretation in seinem Aufsatz (Anm. 7), S. 12, betont werden. Es ist mir völlig unerfindlich, worin er bei mir eine Strategie der Maximierung des (Minimal-) Konsenses begründet sehen will.

  42. Dies ist von mir in allen Veröffentlichungen zu dem Thema seit 1971 betont worden. Vgl. etwa in meiner Didaktik von 1971 (Anm. 23). S. 125 ff. und S. 279 f.

  43. Vgl. Klaus Rothe, Didaktik der Politischen Bildung. Hannover 1981, S. 56 ff.

  44. Jürgen Habermas, in: Historikerstreit. München 19874. S. 75.

  45. Vgl. Thomas Ellwein. Politische Bildung zwischen Scylla und Charybdis. in: Gegenwartskunde. (1985) 4, S. 393 ff.

  46. Vgl. etwa Walter Gagel, Die neuen sozialen Bewegungen als Herausforderungen des politischen Unterrichts, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 50/84, S. 35 ff.; ders.. Betroffenheitspädagogik oder politischer Unterricht?, in: Gegenwartskunde, (1985) 4. S. 403 ff.; ders., Von der Betroffenheit zur Bedeutsamkeit — Der Zusammenhang zwischen subjektiver und objektiver Betroffenheit als Erkenntnisprozeß, in: Gegenwartskunde. (1986) 1, S. 31 ff.; Hans Tietgens, Zur Lage der außerschulischen politischen Bildung, in: Gegenwartskunde, (1987) 4, S. 433 ff.; Hans-Hermann Hartwich. Politische Bildung und Politikwissenschaft im Jahre 1987, in: Gegenwartskunde. (1987) 1, S. 5 ff. Mit Schmunzeln lese ich dort (S. 16): „Mir scheint ein Ziel besonders wichtig zu sein, das ich sehr allgemein hier die . Balancefähigkeit 1 nennen möchte. Notwendig ist die Fähigkeit des abwägenden, nach Balance suchenden Urteils.“ Hat doch derselbe Autor seinerzeit in Kritik an den von mir mitgestalteten Lehrplanentwürfen für Rheinland-Pfalz den Versuch der dialektischen Verschränkung von Prinzipien in der Ziel-formulierung (Emanzipation und Integration, Anpassung und Widerstand, Denken in Alternativen und Mut zum Parteiergreifen . . .) als profillose Anpassung kritisiert; vgl. Hans-Hermann Hartwich, Demokratieverständnis und Curriculumrevision. in: Gegenwartskunde. (1973) 2, S. 141 ff., hier besonders S. 144.

  47. Zur Diskussion über neue Inhalte vgl. Wolfgang Geiger, Sozialkunde aufdem Weg in die Irrelevanz?, in: Gegenwartskunde. (1986) 1. S. 5 ff.; Walter Gagel. Neue Inhalte der politischen Bildung in der Schule? Ergebnisse einer Umfrage. in: Gegenwartskunde, (1988) 1. S. 5 ff. Von meiner oben formulierten Überlegung her kann ich Gagel eher zustimmen als Geiger; aber auch was bei Gagel an „neuen“ Themenstichworten auftaucht, ist im Rahmen eines hinlänglich weit gefaßten Konzepts politischer Bildung nicht durchweg neu. Vgl. meinen Beitrag „Aufgabenfelder“ im Handbuch zur politischen Bildung, hrsgg. von W. Mickel/D. Zitz-laff, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Band 264. Bonn 1988. S. 123 ff.

  48. Vgl. Michael Dorn/Herbert Knepper, Wider das allmähliche Entgleiten der Schüler und der Wirklichkeit. Plädoyer für eine Kurskorrektur in der Praxis sozialwissenschaftlich-politischer Unterrichtsfächer, in: Gegenwartskunde, (1987) 2, S. 149 ff.

  49. Dies gilt besonders für Bernd Janssen. Wege politischen Lernens. Frankfurt 1986; ders., Lehr-und Lernwege für den Politikunterricht, in: Erfahrungsorientierte Methoden der politischen Bildung. Schriftenreihe der Bundeszentrale, Band 258. Bonn 1988, S. 62 ff. Die von Janssen dort vorgestellten „Lemwege“ sind gar nicht nur als „Methoden“ diskutierbar, weil sie Kategorien (Schlüsselfragen) des Politischen enthalten und in unterschiedlichen Phasenstrukturen des Unterrichts zur Anwendung bringen wollen, wie sie in den älteren didaktischen Konzepten seit Mitte der sechziger Jahre entwickelt und diskutiert wurden. Methodik ersetzt nicht Didaktik, sondern ist einer ihrer Bestandteile.

  50. Vgl.den Beitrag „Medien in der politischen Bildung“ von Wilhelm Frenz im Handbuch zur politischen Bildung (Anm. 47), S. 359 ff.

  51. Vgl. Karl-Ernst Jeismann, . Identität'statt . Emanzipation'? Zum Geschichtsbewußtsein in der Bundesrepublik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20— 21/86, S. 3 ff.; Bernhard Sutor, Politische Bildung als Allgemeinbildung im geschichtlichen Kontext, in: S. Schiele/H. Schneider (Hrsg.), Konsens und Dissens in der politischen Bildung, Stuttgart 1987. S. 178 ff.

  52. Beide Beiträge in dem in Anm. 51 genannten Sammelband von Schiele und Schneider: Dieter Grosser, Schwierigkeitsgrade beim Urteilen über Politik, S. 165 ff.; Walter Gagel, Didaktische Probleme angesichts des technisch-ökonomischen Wandels — Barrieren für einen Konsens?, S. 102 ff.

  53. Vgl. R. Schörken (Anm. 5).

  54. Vgl.den Band II meiner „Neuen Grundlegung“ (Anm. 9), S. 62 ff. und S. 78 ff.; ferner Bernhard Sutor, Die Kardinaltugenden — Erziehungsziele politischer Bildung?, Eichstätter Hochschulreden 21, München 1980.

  55. Vgl. Wolfgang Hilligen, Zum Beitrag der Ethik für den politischen Unterricht, in: Gegenwartskunde, (1988) 3, S. 391 ff. Leider läßt der Autor in seinem insgesamt erhellenden Beitrag zunächst einmal seiner Neigung allzusehr die Zügel schießen, partout Neues sagen zu wollen, was ihn hindert, anderswo Gesagtes angemessen wahrzunehmen. Es ist Hilligen ja völlig zuzustimmen, wenn er angesichts der weltweiten Probleme die entsprechende Rekonstruktion der Postulate und Prinzipien der klassischen Ethik fordert. Aber man darf doch nicht übersehen, daß diese Rekonstruktion seit Jahrzehnten im Gange ist. Im christlichen Strang der traditionellen Ethik sind Begriffe wie Weltgemeinwohl, Weltfriedensordnung, weltweite Solidarität Chiffren für diese Diskussion. Man darf auch die überlieferte Lehre vom „gerechten Krieg“ nicht mit dem neuzeitlichen jus ad bellum des Staates gleichsetzen. Ferner ist der Prozeß der Ablösung der Lehre vom gerechten Krieg durch eine solche vom gerechten Frieden etwa im katholisch geprägten Bereich christlicher Ethik seit Pius XII. im Gange. Direkt falsch ist es, von der „traditionellen Ethik“ zu behaupten, ihre Grundsätze hätten sich „auf Regelungen für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Strukturen . . ., die einer gerechten Beteiligung aller entgegenstehen“, nicht ausgewirkt (S. 398). Wie sehr bis heute noch in der didaktischen Diskussion aneinander vorbei geredet wird, zeigt eine andere Stelle bei Hilligen. Anhänger der traditionellen Ethik und der praktischen Philosophie, so Hilligen, hätten nicht selten verkannt, „daß Spannungen, ja Widersprüche unvermeidlich zu jeder Ethik gehören: Liebe ist nicht immer gerecht, Wahrheit nicht liebevoll, Gerechtigkeit schränkt die Freiheit ein. Wer diese Spannungen verkennt, neigt dazu, sich gegen die Bearbeitung von Konflikten und Interessen im politischen Unterricht auszusprechen“ (S. 396). Ich muß sagen, da stockt mir doch ein wenig der Atem, wenn ich hier von Hilligen das Credo meiner Didaktik formuliert sehe, nachdem ich einige Seiten zuvor die beiläufige Bemerkung gelesen habe: „Ausführlich auf die praktische Philosophie, allerdings ohne nach neueren Begründungen zu fragen, hat sich Sutor (1973, 1984) bezogen“ (S. 392). In Hilligens Literaturverzeichnis tauchen meine beiden Titel, auf die er sich hier bezieht, nicht auf. Gespräch unter Didaktikern?

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Bernhard Sutor, Dr. phil., geb. 1930; Professor für Politikwissenschaft (Didaktik der Sozialkunde und Christliche Soziallehre) an der Katholischen Universität Eichstätt. Veröffentlichungen u. a.: Politik und Philosophie, Mainz 1966; Didaktik des politischen Unterrichts, Paderborn 1971, 2. Auflage 1973; Grundgesetz und politische Bildung, Hannover-Mainz 1976; (Hrsg.) Politik. Lehr-und Arbeitsbuch, Paderborn 1979, 2. Auflage 1987; Neue Grundlegung politischer Bildung, 2 Bände, Paderborn 1984; zahlreiche Aufsätze und Beiträge zur politischen Didaktik, zur politischen Philosophie und Ethik.