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Sozial-liberale Umweltpolitik Von der Karriere eines neuen Politikbereichs | APuZ 47-48/1989 | bpb.de

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APuZ 47-48/1989 Sozial-liberale Umweltpolitik Von der Karriere eines neuen Politikbereichs Die Umweltpolitik der konservativ-liberalen Regierung Eine vorläufige Bilanz Die Entwicklung der internationalen Umweltpolitik und des Umweltrechts durch internationale und europäische Organisationen Artikel 1

Sozial-liberale Umweltpolitik Von der Karriere eines neuen Politikbereichs

Edda Müller

/ 32 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Umweltschutz gehört heute zu den etablierten Politikbereichen. Die Grundlagen für die erstaunliche Karriere des noch jungen Politikbereichs wurden zwischen 1969 und 1982 während der Regierungszeit der sozial-liberalen Koalition gelegt. In Abhängigkeit von den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen lassen sich dabei deutlich drei Phasen der Umweltpolitik unterscheiden: In der Phase zwischen 1969 und 1974 bestimmte der Regierungsapparat weitgehend des Geschehen. Er sorgte für die programmatische, institutionelle und rechtliche Ausdifferenzierung des neuen Politikbereichs und die Mobilisierung der öffentlichen Meinung. Zwischen 1974 und 1978 zwangen ökonomische Restriktionen den Umweltschutz in eine defensive Position. Die Politisierungsphase des Umweltschutzes begann 1978 mit dem Eintreten der GRÜNEN in die Parteien-Konkurrenz um Wählerstimmen. Sie führte zu einer Stärkung der Umweltinteressen in den etablierten Parteien und eröffnete Regierungen wie Verwaltungen neue Handlungsmöglichkeiten.

I. Einleitung

Der Umweltschutz ist in der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von nur zwei Jahrzehnten zu einem Schlüsselthema der Politik geworden. Die Grundlage für die erstaunliche Karriere eines neuen Politikbereichs wurde in den Jahren 1969 bis 1982 während der Regierungszeit der sozial-liberalen Koalition gelegt. Für die Erfolge dieser Politik gibt es heute ebenso viele Väter wie Schuldzuweisungen für Mißerfolge und Versäumnisse. Politiker und Parteien wetteifern um die Urheberschaft für die beste Umweltprogrammatik. Industrie und Gewerkschaften bemühen sich, das Bremser-Image abzustreifen. Für die öffentliche Meinung steht fest, daß nur der Druck der Basis — von Medien, Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbänden — den politisch-administrativen Apparat in Bewegung gebracht hat. Welche Rolle haben die an der Umweltpolitik beteiligten Akteure bei der Implementation und Ausdifferenzierung der Umweltpolitik tatsächlich gespielt und welcher Handlungsspielraum stand den für den Umweltschutz innerhalb der sozial-liberalen Regierungskoalition Verantwortlichen zur Verfügung, um umweltpolitische Programme zu konzipieren und gegen Widerstände durchzusetzen?

Im November 1969 stellte erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland eine Koalition aus SPD und FDP mit einer knappen Mehrheit von nur acht Mandaten im Bundestag die Bundesregierung.

Bereits wenige Tage nach der Regierungsbildung wurden durch Erlaß des Bundeskanzlers die notwendigen Organisationsentscheidungen für die Wahrnehmung der Umweltaufgaben innerhalb der Bundesregierung getroffen. Der Bundesminister des Innern erhielt aus dem Bundesministerium für Gesundheit die Aufgaben Luftreinhaltung, Lärm-bekämpfung. Wasserreinhaltung und Abfallbeseiti-gung. Das Bundeskanzleramt richtete eine Gruppe Umweltangelegenheiten ein. Eine Konzentration der Umweltaufgaben wurde damit jedoch nicht bewirkt. Vielmehr verblieben wichtige Teilaufgaben des Umweltschutzes in sechs weiteren Ressorts. Die Verantwortung für Erfolge und Mißerfolge der Umweltpolitik trug in den Augen der Öffentlichkeit trotz dieser Kompetenzzersplitterung in der Folgezeit der Bundesminister des Innern.

Es mag als symptomatisch für die politische Prioritätensetzung der SPD zu Beginn der sozial-liberalen Regierungskoalition angesehen werden, daß der der SPD angehörende Bundeskanzler (bis 1974 Willy Brandt, danach Helmut Schmidt) dem kleineren Koalitionspartner FDP die Schwerpunktaufgaben des Umweltschutzes überließ. Die FDP stellte von 1969 bis 1982 den vor allem für den technischen Umweltschutz zuständigen Bundesinnenminister. Für den Naturschutz war in dieser Zeit ebenfalls ein FDP-Minister zuständig. Er war als Landwirtschaftsminister zugleich für einen wichtigen Verursacherbereich von Umweltbelastungen verantwortlich. Das als „Gegenspieler“ zum Umweltschutz wichtige Wirtschaftsressort war bis zu den Wahlen 1972 in den Händen der SPD, danach wurde es bis zum Ende der Koalition von der FDP geleitet.

Für den Handlungsspielraum der Umweltpolitik war auch die parteipolitische Konstellation im Bundesrat von größter Bedeutung. Von Anfang an hatten dort CDU-bzw. CSU-geführte Landesregierungen die Mehrheit. Bis 1972 wurde der Einfluß der CDU bzw. CSU allerdings dadurch abgeschwächt, daß die FDP in einigen Landesregierungen als Koalitionspartner der Regierung angehörte und somit auf das Abstimmungsverhalten der jeweiligen Landesregierung im Bundesrat Einfluß nehmen konnte.

Das institutionelle Handlungsgefüge wurde — im Laufe der sozial-liberalen Regierungszeit zunehmend — überdies von den Harmonisierungszwängen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft geprägt. Ab 1973 — nach der Verabschiedung des 1. Umweltprogramms der EG — mußte insbesondere für die für den Warenverkehr relevanten Umweltvorschriften innerhalb der EG ein Konsens gefunden werden.

Neben diesen das eigentliche Entscheidungssystem betreffenden Faktoren hing der Erfolg der sozialliberalen Umweltpolitik von den allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräften ab. Zwischen 1969 und 1982 kam es hier zu deutlichen Kräfteverschiebungen. Ich unterscheide deshalb im folgenden drei zeitliche Phasen der UmWeltpolitik: — die Phase von 1969 bis 1974, in der der Regierungsapparat weitgehend das Geschehen bestimmte; — eine Phase von 1974 bis 1978 mit starken ökonomischen Restriktionen, die Regierung und Verwaltung zu einer defensiven Umweltpolitik zwangen; — eine Erholungsphase von 1978 bis 1982, in der durch soziokulturelle Veränderungen eine „Politisierung“ der Umweltpolitik bewirkt und Regierung und Verwaltung neue Handlungsspielräume eröffnet wurden.

II. 1969 — 1974: Aktive Politikgestaltung

Die Aufnahme des Schutzes der Umwelt in den sozial-liberalen Katalog innerer Reformen läßt sich weder durch den Druck der öffentlichen Meinung noch den einer akuten Krisensituation erklären. Sie war auch nicht das Ergebnis parteipolitischer Programmdiskussion. Es spricht vielmehr einiges dafür, daß der Umweltschutz von außen gleichsam in die Bundesrepublik „importiert“ wurde. Vorbild war die sich in diesen Jahren etablierende Umweltpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika. Zudem hatten einige internationale Organisationen, insbesondere der Europarat und die Vereinten Nationen, durch Konferenzen und Resolutionen das Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt 1. Aufbau des neuen Politikbereichs durch die Verwaltung Mit der Aufnahme des Umweltschutzes in ihr Regierungsprogramm hatte die Bundesregierung 1969 der Ministerialverwaltung den Auftrag erteilt, den Umweltschutz institutionell und programmatisch auszugestalten. Adressat dieses Auftrags war in erster Linie das Bundesministerium des Innern. Durch interministerielle Koordinierungsgremien sollten die innerhalb der Bundesregierung verstreuten sonstigen Umweltaufgaben mit den im Bundesministerium des Innern entwickelten Programmen und Maßnahmen zusammengefügt werden. Zu diesem Zweck wurden noch 1970 ein Kabinettausschuß für Umweltfragen (Umweltkabinett) sowie ein Abteilungsleiterausschuß Bund (StALA-Bund) eingerichtet. Vorgesehen war, daß Leitlinien und Reichweite der Umweltpolitik unter Vorsitz des Bundeskanzlers im Umweltkabinett beschlossen und zuvor im StALA-Bund zwischen den Ressorts abgestimmt wurden. Dies veranlaßte wiederum die meisten Ministerien, zwischen 1970 und 1973 Koordinierungsreferate für Umweltfragen einzurichten und damit eigenen Sachverstand für Umweltschutz zu entwickeln.

Im Bundesministerium des Innern wurde der Umweltschutz zwischen 1970 und 1974 organisatorisch und personell kontinuierlich ausgebaut. Die Zahl der Mitarbeiter konnte annähernd verdoppelt werden. Auch die dem Bundesministerium des Innern zur Verfügung stehenden Mittel für Umweltforschung stiegen von 6, 3 Mio. DM auf 52, 4 Mio. DM im Jahre 1974 an. Hinzu kamen erhebliche Zuschußmittel, insbesondere für Wasserreinhaltungsmaßnahmen im Rahmen des Rhein-Bodensee-Programms und des ERP (European Recovery Programme) -Kreditprogramms für Umwelt-schutzmaßnahmen.

Ab 1971 baute der Bundesminister des Innern auch außerhalb des Ministeriums zielstrebig institutionelle „Hilfstruppen“ für den Umweltschutz auf. Er errichtete 1971 den unabhängigen Rat von Sachverständigen für Umweltfragen und legte 1974 mit dem Umweltbundesamt die Basis für einen eigenen Verwaltungsunterbau für die wissenschaftliche Unterstützung bei der Umsetzung seines Umweltprogramms. Darüber hinaus errichtete er 1971 als Forum des Informations-und Meinungsaustauschs zwischen den in Verwaltung, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft am Umweltschutz Beteiligten die Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen (AGU). Auch die Zusammenarbeit mit den Bundesländern wurde organisiert. Im Oktober 1972 trat erstmals die Konferenz der für Umweltfragen zuständigen Minister und Senatoren des Bundes und der Länder — Umweltministerkonferenz (UMK) — in Berlin zusammen. Die UMK war unter jährlich wechselndem Vorsitz bis Mitte der siebziger Jahre — unabhängig von der parteipolitischen Couleur der Länderumweltminister — ein Ort „konzertierter Aktion“ der Umweltminister gegen die Wirtschaftsminister der jeweiligen Kabinette. Vorbereitet wurden die Beschlüsse der UMK durch einen Ständigen Bund-Länder-Abteilungsleiter-Ausschuß für Umweltfragen.

Noch bevor in den übrigen Bundesressorts der Umweltschutz richtig Fuß fassen konnte, ging die Umweltabteilung des Bundesministeriums des Innern daran, die Umweltprogrammatik zu formulieren und die ersten konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Zusammen mit der Gruppe Umweltangelegenheiten des Bundeskanzleramtes erarbeiteten einige wenige Beamte des Bundesministeriums des Innern unter hohem Zeitdruck zunächst ein Sofortprogramm zum Umweltschutz dessen Zweck in erster Linie die Mobilisierung der öffentlichen Meinung war. In dem schließlich am 29. September 1971 vom Bundeskabinett verabschiedeten Umweltprogramm wurden Leitlinien der Umweltpolitik entwickelt, die noch heute unverändert Gültigkeit haben.

Richtschnur der Umweltpolitik sollten das Vorsorge-, Verursacher-und Kooperationsprinzip werden. Unerwünschte Nebenwirkungen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen sollten rechtzeitig erkannt und durch weit vorausschauende Umweltplanung vermieden werden können. Die Bundesregierung wollte ihr Programm in enger Kooperation mit den Bundesländern, internationalen Gremien, der Wirtschaft und den gesellschaftlichen Gruppen verwirklichen. In allen Teilen der Bevölkerung sollte das Umweltbewußtsein geweckt und gestärkt sowie Bürgerinitiativen unterstützt werden

Im Maßnahmenteil des Programms wurden neben der Ankündigung einer Reihe von Gesetzgebungsvorhaben insbesondere in den Bereichen Wasser-und Luftreinhaltung einige wenige konkrete Ziele formuliert: — Bis 1985 sollten das Abwasser von rd. 90 Prozent der Bevölkerung durch biologische oder gleichwertige Kläranlagen gereinigt sowie — die Abgase von Kraftfahrzeugen mit Ottomotoren schrittweise bis 1980 auf ein Zehntel der Durchschnittswerte von 1969 verringert werden

In seinem allgemeinen Tenor — insbesondere der Einschätzung möglicher wirtschaftlicher und finanzieller Restriktionen — spiegelte das Umweltprogramm den „Zeitgeist“ zu Beginn der sozial-liberalen Reformära wieder. Technischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum galten als grundsätzlich mit den Zielen der Umweltpolitik vereinbar. Der Umweltschutz sollte der Wirtschaft „neue Ziele setzen“ und diese zu einem „umweltorientierten Verständnis“ ihrer Aufgabe anhalten. Obwohl die Notwendigkeit betont wurde, öffentliche Umweltschutzmaßnahmen auf die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft abzustimmen, war das Programm insgesamt von einer optimistischen Einschätzung der finanziellen Realisierbarkeit des für notwendig gehaltenen Umstrukturierungsprozesses geprägt.

In der Rückschau erscheint es erstaunlich, daß es den Verfassern des Umweltprogramms im Bundesministeriums des Innern gelang, die Bundesregierung auf die anspruchsvollen Programmziele festzulegen. Möglich wurde dies aufgrund verschiedenster Faktoren: Von den für die Programmarbeiten engagierten bzw. von ihren laufenden Referatsaufgaben freigestellten Programmschreibern wurde die Aufgabe als intellektuelle Herausforderung begriffen. Sie hatten die amerikanischen Programm-ansätze studiert und formulierten die allgemeinen Teile des Programms weitgehend unbeeinflußt von taktischen Durchsetzungsüberlegungen und eigenen Zuständigkeits-und Handlungsschranken. Trotz vieler Abstimmungszwänge im Detail konnten sie in einem „intellektuellen Freiraum“ operieren, den ihnen die Unterstützung des Bundesinnenministers Genscher sicherte.

Politische Rückendeckung erhielten die Verfasser des Umweltprogramms auch aus dem Bundeskanzleramt. In seiner zweiten Regierungserklärung vom Januar 1973 wertete Bundeskanzler Brandt den Umweltschutz noch weiter auf, indem er dem „Recht auf eine menschenwürdige Umwelt“ Verfassungsrang beimaß Darüber hinaus profitierten die Programmarbeiten vom allgemeinen Re-formklima in der Regierung. Die Verteidiger etablierter Aufgabenbereiche und Interessen im „Apparat“ verhielten sich angesichts des Richtungswechsels in der allgemeinen Regierungspolitik abwartend. Die Vertreter der Industrie hatten ihre Interessen in die Arbeiten der für die Arbeit am Umweltprogramm gebildeten Projektgruppen einbringen können und dort z. B. im Bericht zur „Reinhaltung der Luft“ weitreichende Problembeschreibungen und Maßnahmenvorschläge mitbeschlossen Die Charakterisierung der Aufschwungphase von Reformkonjunkturen durch Stephan Ruß-Mohl beschreibt durchaus zutreffend die Situation des Umweltschutzes zu Beginn der siebziger Jahre: „Von der erstarkenden Reformallianz in die Sündenbockrolle gedrängt, vermögen die Problemverursacher . . . wenig auszurichten. Unter dem Eindruck der Machtverschiebungen wird es allenfalls gelingen, ihre . Schlachtreihen* neu zu ordnen und die — oftmals schwierige — Definition der eigenen Interessenlage . . . voranzutreiben.“

Um in der Umweltpolitik aktionsfähig zu werden, mußte die Bundesregierung Anfang 1970 durch eine Grundgesetzänderung ihre Kompetenzgrundlage erweitern. Sie benötigte für die beantragte Übertragung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Wasserwirtschaft, Naturschutz und Landschaftspflege die Zustimmung des Bundesrates. Dieser stimmte zwar der Bundeskompetenz für Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung und Abfallwirtschaft zu, beschränkte den Bund jedoch in den Bereichen Wasserwirtschaft, Naturschutz und Landschaftspflege auf die Rahmengesetzgebung. Auf dieser Kompetenzgrundlage wurden zwischen 1971 und 1974 das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm und das Benzinblei-Gesetz (1971), das Abfallbeseitigungsgesetz und das DDT-Gesetz (1972), das Bundes-Immissionsschutzgesetz und das Gesetz über Umweltstatistiken (1974) verabschiedet. Daneben wurden zahlreiche Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen, so z. B. die für die Verminderung von Luftverunreinigungen durch die Industrie bedeutsame 1. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft — TA Luft von 1974 2. Rolle des Bundestages und der politischen Parteien Der Deutsche Bundestag trug Anfang der siebziger Jahre durch eine Reihe von Großen und Kleinen Anfragen sowie öffentlichen Anhörungen mit dazu bei, das neue politische Thema bekanntzumachen. Es gab im Bundestag quer durch die Fraktionen eine Reihe von Abgeordneten, die im Rahmen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft (IPA) bereits in den sechziger Jahren sich in Fragen der Luftreinhaltung und des Gewässerschutzes engagiert hatten. Der politische Mobilisierungseffekt dieser Aktivitäten war damals jedoch gering, da die IPA als überparteiliches Gremium keine parteipolitischen Profilierungsinteressen verfolgen konnte. Die Programmatik der Parteien wurde durch die Arbeit der IPA daher nicht beeinflußt. Obwohl die SPD im Wahlkampf 1961 mit dem Slogan „Blauer Himmel über der Ruhr“ die Umweltproblematik aufgegriffen hatte, gab es 1969 in keiner Partei Ansätze eines umweltpolitischen Programms. In den Wahlkämpfen 1965 und 1969 hatte der Umweltschutz keine Rolle gespielt

Im Bundestag verlagerte sich die Arbeit zum Umweltschutz daher sehr rasch hinter die Türen der Ausschüsse, wobei die wesentlichen Umweltgesetze vor allem im Innenausschuß beraten wurden. Die der IPA angehörenden Umweltexperten des Parlaments bewirkten hier insbesondere bei den Beratungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wesentliche Verbesserungen der Regierungsvorlage. Der Einfluß der IPA ging ab Mitte der siebziger Jahre jedoch spürbar zurück. Maßgebend hierfür mag gewesen sein, daß die hohe Konsensfähigkeit und Überparteilichkeit des Umweltthemas es für Parlamentarier zunehmend uninteressant werden ließ, hier ein Betätigungsfeld zu suchen. Dies wurde durch die Ausdifferenzierung des Politikfeldes durch die Ministerialverwaltung und das Anwachsen des Umweltsachverstandes innerhalb der Bundesregierung noch verstärkt. Insgesamt läßt sich für die Phase 1969 bis 1974 daher konstatieren, daß die Bundesregierung für ihre Umweltpolitik im Bundestag zwar eine freundliche Aufnahme fand, jedoch keine durchgreifende politische Mobilisierung bewirkt wurde.

Die in den nächsten Jahren von den Parteien vorgelegten Umweltprogramme profitierten weitgehend von den Programmarbeiten der Ministerialbürokratie. Als erste Partei legte die FDP 1971 ein Umweltprogramm vor die CDU folgte 1972 und die SPD im Jahre 1975 Die CSU machte erst 1976 in ihrem Grundsatzprogramm Aussagen zum Umweltschutz In den Grundaussagen unterschieden sich die Programme nur marginal. Dieser Konsens bewirkte eine Neutralisierung und Entpolitisierung des Umweltschutzes, was sich z. B. darin äußerte, daß Umweltfragen in den Wahl-kämpfen 1972 und 1976 nur am Rande und wenig kontrovers diskutiert wurden 3. Rolle der gesellschaftlichen Kräfte Das öffentliche Problembewußtsein über die Umweltgefahren, wie es sich in Meinungsumfragen, der Presseberichterstattung, den Aktivitäten von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden ausdrückt, ging den staatlichen Umweltaktivitäten nicht voraus, sondern entwickelte sich weitgehend parallel zu den staatlichen Bemühungen. Nach einer Umfrage von Infas war im September 1970 der Begriff „Umweltschutz“ nur 41 Prozent der Befragten bekannt; nach der Vorlage des Umweltprogramms im November 1971 konnten sich bereits 92 Prozent der Befragten unter Umweltschutz etwas annähernd Richtiges vorstellen Auch die Ende der sechziger Jahre entstehende Bürgerinitiativbewegung griff — von Ausnahmen wie der Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms, die 1966 bereits 15 000 Mitgliederzählte, abgesehen — erst in den siebziger Jahren verstärkt Umweltthemen auf. Zum Zusammenschluß der Bürgerinitiativen auf Bundesebene kam es 1972 mit der Gründung des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). An der Gründungsversammlung in Frankfurt nahmen Beamte des Bundesministeriums des Innern teil; die Reisekosten für die „privaten“ Teilnehmer der Veranstaltung waren aus Mitteln der Verbändeförderung des Bundesministeriums des Innern finanziert worden

In der Berichterstattung von Presse. Rundfunk und Fernsehen waren Umweltthemen zwar bereits vor 1969 in Einzelaspekten behandelt worden, als umfassendes Thema schlug sich der Umweltschutz auch in der Presse jedoch erst parallel zu den Aktivitäten der Bundesregierung nieder Nach 1970 stieg die Zahl der Beiträge zu Umweltfragen in den Medien stark an, wobei sich die politische Entwicklung und die Presseberichterstattung wechselseitig verstärkten Einen besonderen Widerhall fanden vor allem Veröffentlichungen wie der Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums

Insgesamt läßt sich der Stellenwert der gesellschaftlichen Kräfte für den umweltpolitischen Entscheidungsprozeß ähnlich beurteilen wie der der politischen Rahmenbedingungen. Die Umweltpolitik konnte sich von einer breiten Sympathie und Zustimmung in der Gesellschaft getragen fühlen; inwieweit diese ausreichen würde, die Konfliktfähigkeit der Umweltpolitik in der Auseinandersetzung mit widerstreitenden Interessen zu stärken, sollte sich erst später erweisen. 4. Rolle der wirtschaftlichen Kräfte 1969 hatte die Bundesrepublik Deutschland gerade ihre erste größere Nachkriegsrezession (vom Winter 1966/67) überwunden. Die Politik glaubte, mit dem erfolgreich erprobten Instrumentarium der antizyklischen Globalsteuerung auch künftig das Auf und Ab der Konjunkturzyklen steuern zu können. Die angekündigte Umweltpolitik wurde in Wirtschaftskreisen grundsätzlich positiv aufgenommen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) unterstrich in seinem Jahresbericht 1969/70 das Vorsorgeprinzip: „Unsere Umweltpolitik kann sich — soll sie ihr Ziel erreichen — nicht in der Durchsetzung der bislang versäumten Maßnahmen, z. B. zum Schutz der Gewässer und der Luft erschöpfen; sie muß darüber hinausgehend gleichzeitig sicherstellen, daß bei allem, was wir in Produktion und Konsum heute und morgen unternehmen, auch die sich hieraus ergebenden Folgen im Interesse einer weitmöglichen Verhinderung künftig eintretender Nachteile schon jetzt berücksichtigt werden.“

Der BDI unterstützte auch das Verursacherprinzip, ermutigte die öffentliche Hand aber gleichzeitig, Umweltausgaben notfalls auch über Kredite zu finanzieren Ebenso wie die staatliche Ebene schufen die Spitzenverbände der deutschen Industrie erst einmal die organisatorischen Voraussetzungen für ihre Beschäftigung mit Umweltfragen: 1969 wurde beim Deutschen Industrieinstitut eine „Studiengruppe für Umweltschutz“ eingerichtet; 1970 die Kommission „Industrie und Umwelt“ aus den Vorständen der bereits bestehenden Ausschüsse „Wasser und Abwasser“, „Industrielle Immissionsfragen“ und „Fragen der Abfallbeseitigung“ beim BDI gebildet, die sich mit Grundsatzfragen der Umweltpolitik beschäftigen sollte. 1972 richtete der BDI einen Umweltausschuß aus Vertretern der verschiedenen Industrieverbände ein. Der Deutsche Industrie-und Handelstag (DIHT) bildete 1971 einen „Arbeitskreis für Umweltschutz“, der 1978 um einen Umweltausschuß aus den regionalen Gliederungen des DIHT ergänzt wurde.

Bei den deutschen Gewerkschaften fand die allgemeine Umweltprogrammatik zu Beginn der siebziger Jahre ebenfalls Zustimmung. Die Gewerkschaft IG-Metall veranstaltete im April 1972 den ersten großen Umweltkongreß in der Bundesrepublik Einen Monat später verabschiedete der DGB-Bundesausschuß Leitsätze zum Umweltschutz Darin wurden qualitatives Wachstum und Umweltschutz als gesellschaftliche Gestaltungsaufgaben bezeichnet, die zunehmend in den Vordergrund der gewerkschaftlichen Arbeit rückten.

Auch die Gewerkschaften schufen sich eine organisatorische Basis für die Wahrnehmung von Umweltschutzaufgaben: 1970 wurde beim DGB-Bundesvorstand in der Abteilung Gesellschaftspolitik ein Sachbearbeiter für Umweltschutz bestellt. Im selben Jahr entstand der Arbeitskreis „Sachbearbeiter für Umweltfragen“ beim DGB-Bundesvorstand, dem die Umweltschutzsachbearbeiter der Einzelgewerkschaften angehörten.

Industrie und Gewerkschaften standen dem Umweltschutz aufgeschlossen gegenüber. Künftige Zielkonflikte deuteten sich jedoch bereits an. als der BDI auf die Notwendigkeit der Wettbewerbsneutralität von Umweltschutzmaßnahmen sowie der Harmonisierung der Umweltpolitik in der Europäischen Gemeinschaft hinwies und der DGB staatliche Ausgleichsmaßnahmen für den Fall forderte, daß durch Umweltschutz Arbeitsplätze gefährdet würden. Die Gründe für diese grundsätzlich positive Haltung gegenüber der Umweltpolitik lagen zum einen in der günstigen Wirtschaftssituation, zum anderen aber auch in der weitgehend noch sehr allgemeinen, programmatisch und volkswirtschaftlich geführten Diskussion, bei der einzelwirtschaftliche sektorale Verteilungsprobleme noch nicht ins Blickfeld rückten.

III. 1974— 1978: „Eiszeit“ der Umweltpolitik

Zwischen 1974 und 1978 sorgten die wirtschaftlichen, politischen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen dafür, daß die Umweltpolitik sich weitgehend in der Verteidigung des Status quo erschöpfte. 1. Wirtschaftsrezession Eingeleitet wurde der Klimawechsel in der Umweltpolitik durch die Ölkrise des Winters 1973/74 und die darauf folgende Wirtschaftsrezession. Die allgemeine Krisenstimmung nach dem Ölembargo und Ölpreisanstieg veranlaßte das Bundeskanzleramt, Vertreter der Industrie und der Gewerkschaften im Juni 1975 zu einer Klausurtagung einzuladen, um das Verhältnis von Wirtschaft und Umweltschutz neu zu bestimmen. Industrie und Gewerkschaften brachten dort gemeinsam drei Problembereiche auf die Tagesordnung, die die umweltpolitische Auseinandersetzung in den kommenden Jahren bestimmen sollten. Kritisiert wurde, daß — Investitionen in einer Höhe von etwa 50 Mrd. DM aufgrund zu strenger Umweltauflagen im Genehmigungsverfahren gestaut seien;

— Umweltschutzauflagen die Energieversorgungin der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten sowie — wegen der allgemeinen Überforderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Arbeitsplätze bedroht seien.

Die Umweltverwaltung erhielt den Auftrag, die Verordnung über die Grundsätze des Genehmigungsverfahrens nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz mit dem Ziel zu novellieren, die Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen sowie kostenträchtige Gesetzgebungsvorhaben zeitlich zu „strecken“. Unter dem Druck der Energiewirtschaft, der IG-Bergbau und Ener-gie und der um die Arbeitsplätze im Ruhrgebiet besorgten Landesregierung von Nordrhein-Westfalen erteilte das Bundeskabinett im November 1977 dem Bundesministerium des Innern schließlich den Auftrag, das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die TA Luft zu novellieren sowie den Entwurf einer Rechtsverordnung zur Festlegung des Standes der Technik bei Großfeuerungsanlagen vorzulegen. Die Interessen des Umweltschutzes und die Erfordernisse von Beschäftigung und wirtschaftlichem Wachstum sollten dabei gegeneinander abgewogen werden 2. Bürgerinitiativen und Berührungsängste der Politiker In das Jahr 1974 fällt auch der Kanzlerwechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt. Er markiert gleichzeitig das Ende der Reformphase und den Beginn des Krisenmanagements der sozial-liberalen Regierungspolitik Das politische und gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik wurde in den Jahren bis 1978 jedoch nicht nur durch die schlechte Wirtschaftslage, sondern auch durch Terroranschläge und zum Teil gewalttätige Demonstrationen gegen den Bau von Kernkraftwerken erschüttert. Diese Ereignisse schadeten dem Umweltschutz in doppelter Weise. Sie absorbierten zum einen die Aufmerksamkeit und Konfliktbereitschaft des für die innere Sicherheit zuständigen Bundesinnenministers. Sie schufen zum anderen im politischen Raum eine negative Stimmung gegen „Basisbewegungen“, zu denen auch die Bürgerinitiativbewegung für den Umweltschutz gezählt wurde. Dies führte in allen Parteien, insbesondere aber auch in der FDP — die zuvor weitgehend als Umweltpartei firmierte — dazu, daß der Umwelt-flügel in die Defensive gedrückt und die Vertreter von Wirtschaftsinteressen gestärkt wurden. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen charakterisierte die politischen Rahmenbedingungen vor 1978 deshalb wie folgt: „Seit einigen Jahren erwecken die Parteien in der Öffentlichkeit . . .den Eindruck, als scheuten sie grundsätzliche Diskussionen und seien bestrebt, im Erfolgsschema der Jahre bis 1973 einfach fortzufahren, während breite Bevölkerungskreise deutlich verunsichert sind und bei aktiven Minderheiten neue Perspektiven und Wertsetzungen im Gespräch sind.“ 3. Defensivstrategie der Verwaltung Zwischen 1975 und 1978 wickelte die Bundesregierung im wesentlichen ein bereits 1974 auf den Weg gebrachtes Gesetzgebungsprogramm ab. Insbesondere die Ministerialverwaltung des Bundesministerium des Innern war dabei weitgehend auf sich gestellt. Die Aufmerksamkeit des Bundesinnenministers war durch den Terrorismus weitgehend absorbiert. Außerdem war der FDP-Innenminister in seiner Partei durch das Erstarken des Wirtschaftsflügels immer mehr ins Abseits geraten. Dabei erwies es sich als besonders prekär, daß der Bundeswirtschaftsminister als Hauptkontrahent des für den Umweltschutz zuständigen Bundesinnenministers ebenfalls der FDP angehörte, so daß die SPD, deren starker Gewerkschaftsflügel Umweltfragen eher skeptisch gegenüberstand, keine großen Anstrengungen unternehmen mußte, um das Umwelt-engagement des kleineren Koalitionspartners zu bremsen. Den Beamten im Bundesministerium des Innern blieb daher nichts anderes übrig, als den erreichten Stand der Umweltschutzgesetzgebung und Umweltschutzprogrammatik gegen Abschwächungstendenzen zu verteidigen, im übrigen aber Konflikten — wenn möglich — aus dem Weg zu gehen.

Im Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden konnten daher zwar noch die bereits zuvor regierungsintern vorbereiteten Gesetzgebungsvorhaben: 1975 das Waschmittelgesetz, 1976 die Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz, das Abwasserabgabengesetz und das Bundesnaturschutzgesetz. Insbesondere beim Abwasserabgabengesetz mußten jedoch erhebliche Abstriche vom ursprünglichen Referentenentwurf in Kauf genommen werden. Während ursprünglich eine sofortige Abgabe in Höhe von 25 DM. die ab 1980 auf 40 DM ansteigen sollte, vorgesehen war, sah das Gesetz erst ab 1981 eine Abgabe in Höhe von 12 DM mit einer stufenweisen Anhebung auf 40 DM bis zum Jahr 1986 vor

Typisch für die Ausweichstrategie der Ministerialverwaltung war es, daß 1977 wegen der Blockade im gesetzgeberischen Bereich in der Abfallwirtschaft erstmals das Instrument der „freiwilligen Vereinbarungen“ mit der Wirtschaft eingesetzt wurde. 1977 kam es zu Absprachen zwischen dem Bundesministerium des Innern, der Erfrischungsgetränke-Industrie und dem Handel über die Begrenzung der Einweg-Verpackungen und die Verwertung von Altglas Bedeutsam für die Begrenzung des Umweltschutzes auf die Rolle des Reparateurs und seinen mangelnden Einfluß auf die Umweltbelastungen verursachenden Politikbereiche war das Scheitern des Gesetzgebungsvorhabens zur Prüfung der UmweltVerträglichkeit öffentlicher und privater umweltrelevanter Fachplanungen. Auch die Reichweite des Bundesnaturschutzgesetzes, das als Querschnittsgesetz landschafts-und naturschutzbezogene Maßnahmen hätte kontrollieren können, blieb weit hinter den Erwartungen zurück

Zu den Durchsetzungsschwierigkeiten innerhalb der Bundesregierung gesellte sich eine zunehmend schwierigere Abstimmungssituation mit den Bundesländern. Das Abstimmungsverhalten in der Umweltministerkonferenz wurde zunehmend parteipolitisch geprägt, wobei die Oppositionsparteien auf Bundesebene hier in der Mehrheit waren. Hinzu kamen Restriktionen aus dem Bereich der Europäischen Gemeinschaften, die u. a. verhinderten, daß der Bundesminister des Innern das im Umweltprogramm von 1971 formulierte Ziel, die Autoabgase bis 1980 auf zehn Prozent der Durchschnittswerte von 1969 zu verringern, durchsetzen konnte.

Restriktionen machten sich auch bei den personellen Ressourcen bemerkbar. Im Bundesministerium des Innern wie auch im für den Naturschutz zuständigen Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten blieb der Personalbestand für Aufgaben des Umweltschutzes bzw.des Natur-schutzes und der Landschaftspflege bis Mitte 1978 in etwa auf dem Niveau von 1974, obwohl mit dem Anwachsen der personellen und fachlichen Kapazitäten vor allem im Bereich der ökonomischen Interessenverbände und den Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaft sich der Verhandlungsaufwand gegenüber den Anfängen der Umweltpolitik vervielfacht hatte. Dagegen profitierte der technische Umweltschutz — und hier insbesondere der Gewässerschutz — seit 1974 finanziell von der verschlechterten Wirtschaftslage, die die Bundesregierung vor allem in den Jahren 1974, 1975 und 1977 dazu veranlaßte, mit verschiedenen Konjunkturförderungsprogrammen die Inlandsnachfrage anzuregen. Der Umweltschutz profitierte von diesen Programmen in einer Größenordnung von 1, 7 Mrd. DM für Aufgaben der „Wasserwirtschaftlichen Zukunftsvorsorge“ Knapp 1 Mrd. DM wurde außerdem für Maßnahmen zur „rationellen und umweltfreundlichen Energieverwendung“ zur Verfügung gestellt

Als besonderen Erfolg empfanden die Beamten des Bundesministeriums des Innern die Tatsache, daß es ihnen gelang, die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu verhindern. Diese war von der Energiewirtschaft insbesondere mit dem Ziel betrieben worden, den Bau von Kraftwerken in den Ballungsgebieten zu erleichtern. Durch hartnäckiges Filibustern, die Veranstaltung großer öffentlichkeitswirksamer Sachverständigenanhörungen und die Eröffnung einer der Energiewirtschaft unangenehmen zweiten Verhandlungsfront über die Festlegung von Emissionsgrenzwerten für alte Großfeuerungsanlagen gelang es dem Bundesministerium des Innern, sich in der regierungsinternen Auseinandersetzung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft soweit durchzusetzen, daß der schließlich vorgelegte Regierungsentwurf wegen seiner komplizierten Durchführungsbestimmungen für den Verwaltungsvollzug im Bundesrat scheiterte. Als hilfreich hatte sich dabei für die Umwelt-schützer im Bundesministerium des Innern die Unterstützung des Naturschutzes im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erwiesen Die Ministerialverwaltung hatte damit unter Beweis gestellt, daß sie angesichts widriger politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen zwar aktiven Umweltschutz nicht betreiben konnte, jedoch stark genug war, um mit Erfolg eine Verhinderungsstrategie zu betreiben.

IV. 1978— 1982: Die Machtpolitik kommt ins Spiel

Trotz weitgehend unverändert schlechter ökonomischer Rahmenbedingungen veränderte sich das politische Klima für den Umweltschutz ab 1978 grundlegend. Entscheidende Durchbrüche im Umwelt-schütz konnten dennoch nicht erzielt werden, weil die Ministerialverwaltung die Tragfähigkeit der öffentlich demonstrierten Konfliktbereitschaft der Politiker skeptisch beurteilte und in ihren auf Vorsicht und Konfliktvermeidung basierenden Verhandlungsroutinen verharrte. 1. Die „Grünen“

Im Juni 1978 erhielten neue „Grüne Parteien“ bei den Landtagswahlen in Niedersachsen 3. 9 Prozent und in Hamburg 4, 4 Prozent der Stimmen. Dies reichte zwar nicht aus, um in die Landtage einzuziehen, es bewirkte jedoch, daß die FDP unter der Fünf-Prozent-Grenze blieb und in den Landtagen daher nicht mehr vertreten war. Obwohl die etablierten Parteien der „Ein-Punkte-Partei" keine Überlebenschance gaben, erkannten sie jedoch ein neues Wählerpotential, daß bei knappen Mehrheiten für die Erfolgsaussichten der großen Parteien ausschlaggebend und für die von der Fünf-Prozent-Hürde bedrohte FDP existenzbedrohend sein konnte. Meinungsumfragen bestätigten sie in dieser Auffassung. EMNID ermittelte im Juni 1978 für die „Grüne Partei“ ein Sympathiepotential von 57 Prozent der Befragten Die Forschungsgruppe Wahlen gab im Frühsommer 1980 das Wählerpotential für „Grüne Parteien“ mit 15 Prozent an

Das neue Gewicht, das die „etablierten“ Parteien ab 1978 dem Umweltschutz gaben, führte zu einer regen Programmtätigkeit. Im Dezember 1979 legte die CDU ihr neues „Umweltpolitisches Programm“ vor Im April 1980 übergab die CSU ihre Umweltschutzvorstellungen in einem Positionspapier „Umweltpolitik in den 80er Jahren“ der Öffentlichkeit Die FDP verabschiedete 1981 auf ihrem Kölner Parteitag das „ökologische Aktionsprogramm“ -Im Mai 1981 legte die SPD ihr Papier „Ökologische Orientierungen“ vor. Obwohl die Grünen bei den Bundestagswahlen 1980 nur 1, 5 Prozent der Stimmen erhielten, konnten sie insgesamt ihre Position weiter ausbauen. Am Ende der sozial-liberalen Koalition waren sie in sechs Landtagen (Bremen. Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Hamburg und Hessen) vertreten. Bei den Bundestagswahlen im Herbst 1983 erreichten sie 5, 6 Prozent der Stimmen und zogen mit 27 Mandaten in den Bundestag ein. 2. Bürgerproteste Unterstützt von den Medien hat die Bundesregierung seit Beginn der siebziger Jahre trotz völlig unzureichender Finanzmittel (die Verbändeförderung verfügte jährlich über etwa 1 Mio. DM, die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit waren ab 1977 mit pro Jahr etwa 1, 5 Mio. DM sehr bescheiden ausgestattet) mit Erfolg versucht, das Umweltbewußtsein in der Bevölkerung zu schärfen und die Umweltverbände als ihre potentiellen Verbündeten gegen die Wirtschaftsverbände zu stärken. Gleichwohl wurde sie Ende der siebziger Jahre von der Tatsache überrascht, daß das Umweltbewußtsein sich in einer zunehmenden Unzufriedenheit mit der Umweltpolitik und den Leistungen der „etablierten“ Parteien niederschlug. Eine Minderheit, die jedoch in großen Teilen der Bevölkerung Sympathie genoß, stellte zunehmend die Frage nach der Richtigkeit geltender Grundpositionen in der Gesellschaft. Gefragt wurde nach den Grenzen des Wirtschafts-und Energiewachstums, den Gefahren der modernen Technik für eine humane Lebensgestaltung und eine demokratisch verfaßte Gesellschaft Es gelang nun der Bundesregierung nicht mehr, das Protestpotential mit den bewährten Instrumenten des Kooperationsprinzips, d. h. mit den formalisierten Verfahren der Verbände-beteiligung bei der Gesetzesvorbereitung zu kanalisieren. Insbesondere die amorphe Organisationsstruktur der Bürgerinitiativen erschwerte die gewünschte Integration in das geordnete politisch-administrative Entscheidungsverfahren, statt dessen meldeten sich die Bürgerinitiativen immer mehr mit öffentlichen Aktionen zu Wort.

Auch die Medienberichterstattung wurde zunehmend kritischer und drängte die Umweltpolitik dazu, den Worten nunmehr auch Taten folgen zu lassen. Themen dieser Zeit waren die Gefahren der Chemie, ausgelöst durch die Veröffentlichung von „Seveso ist überall“ die Asbestproblematik, als Folge einer Veröffentlichung des Umweltbundesamtes und das Waldsterben. Die offizielle Umweltpolitik geriet zunehmend in die Position des Zauberlehrlings, der die Geister, die er gerufen hatte, nicht mehr los wurde. 3. Wirtschaftsinteressen in der Defensive Ab 1978 begann sich die Umweltpolitik allmählich aus der wirtschaftlichen Umklammerung zu lösen. 1978 und 1979 erklärten noch die verbesserten Wirtschaftsdaten — mit Wachstumsraten von 3, 5 bzw. 4 Prozent und Rückgang der Arbeitslosenquote auf 3, 7 Prozent — den neuen relativen Handlungsspielraum der Umweltpolitik. Die offensivere Gangart des Umweltschutzes verstärkte sich aber ab 1980 noch, obwohl die Wirtschaftskonjunktur inzwischen einem neuen Tief entgegensteuerte. Bis 1982 schrumpfte das Bruttosozialprodukt um 1, 2 Prozent, die Arbeitslosenquote stieg auf 7, 6 Prozent an, die Zahl der Arbeitslosen näherte sich der Zwei-Millionen-Grenze.

Für die Umkehr der Fronten zwischen Ökonomie und Ökologie waren daher nicht ökonomische, sondern politische Daten ursächlich. Im politischen Raum trat an die Stelle der pauschalen Negativeinschätzung der Vereinbarkeit der umweit-und arbeitsmarktpolitischen Ziele zunehmend die Hoffnung, durch Umweltschutz in der Volkswirtschaft insgesamt, einen neuen Innovations-und Investitionsschub auszulösen sowie die Arbeitsmarktprobleme in den Griff zu bekommen.

Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft reagierten nun defensiver und differenzierter auf die Forderungen des Umweltschutzes. Das deutliche Anwachsen der Umweltschutzindustrie bewirkte, daß die Industrie den Vorwurf der Beeinträchtigung der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsziele durch den Umweltschutz zurücknahm und statt dessen negative sektorale Auswirkungen in den Vordergrund der Diskussion rückte. Aufgeschreckt durch die Ankündigung einer neuen Umweltprogrammatik, mit der die „ökologische Wende“ eingeleitet werden sollte, versuchten die Industrieverbände ihrerseits auf die Grundsatzdiskussion Einfluß zu nehmen. Sie forderten den Einsatz neuer marktwirtschaftlicher Instrumente, mit denen der „eigenverantwortliche Handlungsspielraum“ der Unternehmen genutzt und das „bedenkliche Anwachsen der Umweltschutz-Verwaltung“ verhindert werden könnte

Auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund zeichnete sich ein Umdenken ab. 1977 legte der DGB-Bundesvorstand Vorschläge zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung vor, in denen er eine Forcierung des qualitativen Wachstums durch vermehrte Anstrengungen im Umweltschutz forderte Der DGB und insbesondere die IG-Chemie unterstützten in diesen Jahren die Umweltschützer offensiv bei den anstehenden Gesetzgebungsvorhaben — dem Chemikaliengesetz, der Störfall-Verordnung und dem Gesetz gegen Umweltkriminalität Ebenso fand die inzwischen in den Medien intensiv geführte Auseinandersetzung über die Gefährlichkeit chemischer Stoffe und die Krebsgefahr die Gewerkschaften auf der Seite der Umweltschützer. In einer Abwehrhaltung verharrten dagegen weiterhin die IG Bergbau und Energie und die IG-Metall, die insbesondere durch die Luftreinhaltepolitik Arbeitsplätze bedroht sahen. 4. Die Verwaltung in der Bremserrolle Die neue machtpolitische Dimension des Umweltschutzes und die Konkurrenz im politischen Raum bewirkten, daß sich die Verwaltung nun plötzlich mit politischen Profilierungsinteressen konfrontiert sah. Regierungspolitiker der SPD ergriffen in der öffentlichen Diskussion nun — nach der langen Zeit der Sprachlosigkeit — für den Umweltschutz Partei Der der FDP angehörige Bundesinnenminister Baum zeigte sich in regierungsinternen und externen Auseinandersetzungen zunehmend konfliktbereit. Er drängte die Verwaltung zur Vorlage eines neuen „Ökologieprogramms“, in dem der Anspruch der Umweltpolitik auf Mitsprache bei der Formulierung der Ziele der Umweltbelastungen verursachenden Politikbereiche untermauert werden sollte. Die „ökologische Wende“ sollte den Umschwung der lediglich Umweltschäden reparierenden Umweltpolitik zu einer echten Umweltvorsorge-Politik einleiten. 1979 griff der Bundesinnenminister ein weiteres heißes Eisen an, indem er die Automobilindustrie aufforderte, sich nicht länger gegen die Entwicklung abgas-und lärmarmer Fahrzeuge zu sträuben

Angesichts dieses Konfliktkurses des Bundesinnenministers riet die Ministerialverwaltung, die nicht nur innerhalb der Bundesregierung, sondern auch in der Auseinandersetzung mit wichtigen Interessenverbänden erhebliche Durchsetzungsprobleme vorhersah, dem Bundesinnenminister eher zur Vorsicht. Sie fürchtete, den neuen Konfliktkurs nicht erfolgreich durchstehen zu können. So kam es zwar bis 1982 zur Verabschiedung weiterer wichtiger Umweltgesetze und Rechtsverordnungen (1980 Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, Chemikaliengesetz, Phosphathöchstmengen-Verordnung und Störfall-Verordnung, 1982 Klärschlamm-Verordnung); der durch den politischen Konkurrenzdruck erzeugte größere Handlungsspielraum wurde jedoch nicht voll genutzt.

Die Arbeiten am „Ökologischen Aktionsprogramm“ wurden nach langwierigen Ressortverhandlungen schließlich einer Sachverständigen-kommission übertragen. In der Autoabgaspolitik wurden anstelle eines offensiven Vorgehens innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Spitzengespräche mit der Automobilindustrie vereinbart. Auch bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, mit der angesichts der Diskussion über das Waldsterben die SO 2-und Stickstoffoxidemissionen aus Kraftwerken vermindert werden sollten, wurde der Durchbruch erst kurz vor dem Ende der sozial-liberalen Koalition erreicht, als — entgegen der Empfehlung der Verwaltung — in einer Sitzung des Umweltkabinetts am 1. September 1982 deutlich schärfere Grenzwerte vereinbart wurden.

Die bremsende Rolle der Verwaltung in dieser Phase läßt sich zum einen aus ihren negativen Erfahrungen in den vorausgegangenen Jahren erklären, zum anderen blieb das neue politische Engagement auf der Ressourcenebene weitgehend folgenlos. Erst im Juli 1982 kam es im Bundesministerium des Innern zu einer „Hilfsaktion“ für die überlasteten Umweltschützer, indem entschieden wurde, daß die Abteilung Umweltschutz durch 14 Mitarbeiter anderer Abteilungen des Hauses vorübergehend unterstützt werden sollte. Dies geschah allerdings in einer Zeit, in der die Ministerialverwaltung durch die generelle Klimaverschlechterung innerhalb der Koalition bereits erheblich verunsichert war. Hinzu kam. daß die Konfliktstrategie zwischen dem von der FDP geführten Wirtschafts-und dem Innenressort unvermindert andauerte und sich das neue Engagement der SPD im Umweltschutz im Verhalten der SPD-geführten Ressorts in den interministeriellen Verhandlungen nicht niederschlug.

V. Zusammenfassung und Ausblick

Die sozial-liberale Umweltpolitik hat nicht nur ein weitgefächertes Gesetzgebungsinstrumentarium geschaffen, sie hat insbesondere dort, wo sie mit ihren eigenen Mitteln zur Verbesserung der Umweltsituation unmittelbar beitragen konnte, auch deutliche Erfolge erzielt. Nur geringen bzw. keinen Einfluß hatte sie dagegen jedoch auf die Entwicklung in wichtigen Verursacherbereichen für Umweltbelastungen — wiez. B.der Verkehrs-und der Agrarpolitik. Sie konnte hier den Vorsorge-grundsatz. d. h. die Vermeidung von Umweltschäden an der Quelle ihres Entstehens nicht durchsetzen Die weitgehende Einflußlosigkeit auf die Verursacherbereiche von Umweltbelastungen teilt die deutsche Umweltpolitik allerdings mit den Um-weltpolitiken anderer westlicher Industrieländer, so daß die Defizite der Aufbauphase des Umweltschutzes nicht an dem sicherlich auch in Zukunft schwer einlösbaren Ziel der Umweltvorsorge gemessen werden sollen. Aus den Erfahrungen der Aufbauphase der Umweltpolitik lassen sich jedoch einige Lehren ziehen über die Bedingungen, unter denen anspruchsvolle Umweltziele nicht nur formuliert, sondern auch durchgesetzt werden können, die für die heutige und künftige Umweltpolitik von Bedeutung sind. 1. In einer pluralistischen Gesellschaft, in der der Regierungsapparat ständig mit einer Vielzahl widersprüchlicher Interessen konfrontiert wird, können Fortschritte im Umweltschutz nur erreicht werden, wenn die Umweltinteressen einen wesentlichen Faktor im Konkurrenzkampf um die Macht darstellen. Die Geschichte des Umweltschutzes in der Zeit der sozial-liberalen Koalition zeigt zwar die große Bedeutung der Qualität der Programmformulierung und Entscheidungsvorbereitung durch die Ministerialbürokratie, sie verdeutlicht zugleich aber auch die Grenzen eines allein auf abstrakte politische Zielvorgaben und Sachkompetenz angewiesenen Handlungsprogramms der Verwaltung. Die Verwaltung ist kein monolitischer Block, sondern sie ist in den verschiedenen Ressorts und Zweigen der Verwaltung ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Interessen und Machtverteilung. Die für den Umweltschutz Verantwortlichen in der sozial-liberalen Bundesregierung waren daher so lange erfolgreich, wie die Gegeninteressen im Apparat noch keinen mächtigen Fürsprecher gefunden hatten. Sie waren zu einer aktiven Politikgestaltung nicht mehr in der Lage, als die Aufmerksamkeit der Politik durch andere Ziele absorbiert war und erhielten erst dann neue Handlungsspielräume, als die um die Macht konkurrierenden Parteien erkannten, daß ihre Leistungen für die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt wahlentscheidend sein könnten.

Eine Analyse der Rolle der Parteien bei der Entstehung der Umweltpolitik vermittelt aufschlußreiche Erkenntnisse über die Willensbildung und politische Steuerungsfunktion des deutschen Parteiensystems. Beide große Volksparteien — die SPD ebenso wie die CDU/CSU — waren während der siebziger Jahre zu einer klaren politischen Aussage und Prioritätensetzung zugunsten der Umwelt nicht in der Lage. Zwar unterstützten sie in einer allgemeinen Weise die Ziele des Umweltschutzes; als es aber darum ging, für die Umweltinteressen gegen die Interessen der Wirtschaftsverbände oder der Gewerkschaften Partei zu ergreifen, unterstützten sie ihre traditionelle Klientel und ignorierten einen möglichen Werte-und Meinungswandel in ihrer Wählerschaft. Erst die Wahlerfolge der „Grünen“ machten die Parteien sensibel für veränderte Präferenzen bei einem nicht unerheblichen Teil der Wählerschaft.

Die FDP war im Vergleich zu den Volksparteien zunächst in einer besseren Position. Sie hatte durch den Richtungswechsel 1969 einen Teil ihrer Stamm-wählerschaft eingebüßt und setzte auf neue Wähler-schichten in derjungen aufstrebenden, gut ausgebildeten Generation. Unbelastet durch die Rücksichtnahme auf eine — ohnehin nicht vorhandene — große heterogene Anhänger-und Wählerschaft konnte sie programmatisch ein neues Thema besetzen und durch die Übernahme der Umweltaufgaben in der Bundesregierung auch personell gestalten. In der Regierungsarbeit zeigte sich jedoch, daß die grundsätzliche Offenheit der FDP für neue Themen ihre Grenzen an den tradierten Kräften des Wirtschaftsliberalismus fand. Da die FDP gleichzeitig die für den Umwelt-und Naturschutz zuständigen Minister wie auch den Wirtschaftsminister stellte, blockierte sie in der Regierungsarbeit faktisch die Realisierung ihrer eigenen fortschrittlichen Umweltprogrammatik. Der wirtschaftsliberale Flügel der FDP war im übrigen auch die treibende Kraft für den Koalitionswechsel hin zur CDU/CSU, so daß es nicht erstaunt, daß die FDP nach der „Wende“ 1982 auf ein Regierungsamt in der Umweltpolitik verzichtete und die Führungsrolle in der Umweltpolitik an die CDU/CSU abgab.

Im Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland kommt letztlich den „Grünen“ das entscheidende Verdienst zu, die gesellschaftlich zwar vorhandenen, aber politisch zunächst einflußlosen Umweltinteressen durch die Beteiligung an den Wahlen zu einem machtpolitischen Faktor gemacht zu haben. Die politische Bedeutung der „Grünen“ für die Umweltpolitik liegt dabei paradoxerweise nicht in ihrer unmittelbaren Beeinflussung der Politikinhalte. sondern in der Stärkung der Umweltschutzanhänger in den traditionellen Parteien.

Nachdem der Umweltschutz als ein für die Macht-erhaltung und Machtbeschaffung wichtiger Faktor des politischen Konkurrenzkampfes erkannt worden ist, wird es deshalb für die Umweltpolitik auch in Zukunft wichtig sein, die Öffentlichkeit z. B. durch den Ausbau der Öffentlichkeitsbeteiligung in Verwaltungsverfahren sowie die Veröffentlichung interner Daten über den Zustand der Umwelt als Legitimationsressource zu stärken. 2. Eine zweite Einsicht läßt sich aus dem Rückblick auf die umweltpolitischen Entscheidungsprozesse während der sozial-liberalen Koalition gewinnen. Es ist die Erkenntnis, daß die Ministerialbürokratie zwar — um wirksam neue Konzepte durchsetzen zu können — der politischen Rückendeckung bedarf, die Politik aber auch umgekehrt auf die Ministerialbürokratie angewiesen ist, um über punktuelle Überraschungserfolge hinaus dauerhafte Umwelt-verbesserungen zu erzielen. Politische Zielvorgaben leiten sich zumeist ab von Problemwirkungen und -symptonen, sie können — angesichts der häufig komplexen und schwer durchschaubaren Problemursachen — in der Regel aber der Verwaltung kein konkretes Handlungsprogramm vorgeben. Für die Ausarbeitung dieser Handlungsprogramme ist die Politik auf die Ministerialverwaltung angewiesen. Die Bedingungen hinsichtlich der angemessenen Organisation und der ausreichenden Ressourcen für die Arbeit der Verwaltung sind für die Umsetzung politischer Zielvorgaben deshalb von größter Wichtigkeit.

Die sozial-liberale Koalition hatte sowohl hinsichtlich der Organisation des Umweltschutzes als auch der Ressourcenausstattung keine optimalen Arbeitsbedingungen geschaffen. Die Umweltzuständigkeiten waren aufzahlreiche Ressorts verteilt und erzwangen einen hohen Abstimmungsaufwand, der — wie das Schicksal des Ökologieprogramms beweist — für die Formulierung umfassender Umweltprogramme hinderlich war. Gerade in der Phase eines erhöhten Konfliktniveaus wurde die Verwaltung nicht in die Lage versetzt, dem vermehrten Verhandlungsaufwand durch einen Zuwachs an Personal und Sachverstand Paroli bieten zu können. Als besonders problematisch erwies sich in der „Eiszeit“ des Umweltschutzes die Tatsache, daß der für den Umweltschutz hauptsächlich zuständige Bundesinnenminister durch andere Konfliktthemen seines Ressorts völlig absorbiert wurde und in den Verhandlungen seiner Beamten als Konfliktschlichter praktisch ausfiel. Durch die Schaffung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sind inzwischen in dieser Hinsicht Verbesserungen erzielt worden.

3. Eine dritte Lehre betrifft den Stellenwert der ökonomischen Rahmenbedingungen: Förderlich oder hinderlich für die Umweltpolitik ist weniger die objektive Wirtschaftslage, als vielmehr die subjektive Einschätzung des Verhältnisses von Wirtschaft und Umweltschutz. Hier läßt sich in den achtziger Jahren ein grundlegender Wandel beobachten. Angesichts unverändert hoher Arbeitslosen-zahlen und struktureller Probleme in traditionellen Industriebereichen wird der Umweltschutz zunehmend als eine Chance für die Erneuerung der Wirtschaftsstruktur empfunden. Während Investitionen in den Umweltschutz in den siebziger Jahren lediglich als unproduktive Kosten begriffen wurden, werden heute z. B. die durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die Novellierung der TA Luft ausgelösten Investitionen in Höhe von 50 Mrd. DM als ein gesamtwirtschaftlich positiver Beitrag zur Ankurbelung der Wirtschaft gewertet. Der Industriesektor tritt nunmehr nicht mehr als einheitlicher Block gegen mehr Umweltschutz auf. Die Umweltschutzindustrie meldet sich auch im umweltpolitischen Entscheidungsprozeß selbstbewußt zu Wort und sieht in der Verschärfung — z. B.der Wasserreinhaltungsgesetzgebung oder der Abfallgesetzgebung — die Chance für neue Absatzmärkte. Nach wie vor ist dieser Markt allerdings durch sogenannte end-of-the-pipe-Technologien sowie das Angebot an Meß-, Analyse-und Regel-technik charakterisiert, während die zur Realisierung einer Vermeidungsstrategie erforderlichen integrierten Techniken, mit denen die Produktionsprozesse insgesamt umweltverträglicher gestaltet werden können, die Ausnahme darstellen.

Insgesamt läßt sich konstatieren, daß die Rahmenbedingungen für die Umweltpolitik sich in den achtziger Jahren deutlich verbessert haben, so daß bei anhaltendem Druck der öffentlichen Meinung und konsequenter Nutzung des wirtschaftlichen Innovationspotentials für die Umweltpolitik die Chance besteht, die Umweltbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland weiter schrittweise zu verbessern. In den Vordergrund der umweltpolitischen Bemühungen wird deshalb zunehmend die internationale und europäische Zusammenarbeit rücken, da angesichts der Interdependenz der Umweltprobleme und der Wirtschaftsmärkte durchgreifende Umweltverbesserungen nicht allein im nationalen Maßstab bewirkt werden können. Auf die Europäische Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten der EG kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Überträgt man die Erfahrungen der deutschen Umweltpolitik auf die Entscheidungsprozesse der Europäischen Gemeinschaft, so läge eine deutliche Stärkung der Mitspracherechte der Bürger und des direkt gewählten Europäischen Parlaments gegenüber dem Einfluß der europäischen Regierungen sicherlich im Interesse einer erfolgreichen künftigen europäischen Umweltpolitik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der folgende Beitrag basiert auf einer umfangreichen empirischen Untersuchung zum Einfluß von Organisationsstrukturen auf den umweltpolitischen Entscheidungsprozeß; vgl. Edda Müller. Innenwelt der Umweltpolitik. Sozial-liberale Umweltpolitik — (Ohn) Macht durch Organisation?, Opladen 1986.

  2. Der Europarat verkündete 1968 eine Wassercharta und eine Charta zur Luftreinhaltung und erklärte 1970 zum Europäischen Naturschutzjahr. Die UNESCO veranstaltete 1968 in Paris das Internationale Symposium „Mensch und Biosphäre“. 1969 fand in Neu Delhi ein Kongreß der Internationalen Union zum Schutz der Natur und der natürlichen Ressourcen statt. Vgl. Günter Küppers u. a., Umweltforschung — die gesteuerte Wissenschaft?, Frankfurt 1978, S. 122.

  3. Vgl. Sofortprogramm der Bundesregierung zum Umweltschutz, BMl-Reihe „betrifft“ 3, Bonn 1970.

  4. Vgl. Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971, in: BMI (Hrsg.), Umweltschutz. Das Umweltprogramm der Bundesregierung, mit einer Einführung von Hans-Dietrich Genscher. Stuttgart u. a. 1972.

  5. Vgl. ebd.

  6. Vgl. ebd.

  7. Vgl. ebd.

  8. Vgl. ebd.

  9. Vgl. Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung. 6/1973, S. 51.

  10. Vgl. Materialien zum Umweltprogramm der Bundesregierung. Schriftenreihe des Bundesministeriums des Innern 1. Bonn 1971, S. 20ff.

  11. Stephan Ruß-Mohl. Dramaturgie politischer Reformen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 26/82. S. 10.

  12. Vgl. Umweltbericht * 76. Fortschreibung des Umwcltprogramms der Bundesregierung vom 14. Juli 1976 mit einer Einführung von Werner Maihofer. Stuttgart u. a. 1976. S. 228 ff.

  13. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU). Umweltgutachten 1978. hrsg. vom BMI als BT-Drs. 8/1938, Tz. 1400.

  14. Vgl. Freiburger Thesen der FDP zur Gesellschaftspolitik. Beschlossen auf dem FDP-Parteitag vom 25. -27. Oktober 1971 in Freiburg. Vierter Teil: Umweltpolitik, hrsg. von der FDP-Bundesgcschäftsstelle, Bonn 1971.

  15. Vgl. Konzept der CDU für Umweltvorsorge vom 27. Oktober 1972, hrsg. von der CDU-Bundesgeschäftsstelle. Bonn

  16. Vgl. Thesen zur sozialdemokratischen Umweltpolitik. Vorgelegt vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Bonn 1975.

  17. Vgl. Grundsatzprogramm, hrsg. von derCSU-LandcsIcitung. München 1976.

  18. Vgl. SRU (Anm. 13). Tz. 1428.

  19. Vgl. ebd.. Tz. 1423.

  20. Vgl. E. Müller (Anm. 1), S. 88.

  21. Vgl. G. Küppers u. a. (Anm. 2), S. 114.

  22. Vgl. SRU (Anm. 13), Tz. 1413.

  23. Vgl. Dennis Meadows/Donella Meadows/Erich Zahn/Peter Milling/Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart 1972.

  24. Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Jahresbericht 1969/70. Köln 1970, S. 40.

  25. Vgl. ebd.. S. 42. 44.

  26. IG Metall (Hrsg.), Aufgabe Zukunft, Qualität des Lebens. Band 4 Umwelt. Beitrag zur 4. internationalen Arbeitstagung der IG Metall. Frankfurt 1973. I

  27. Vgl. Leitsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Umweltschutz. in: Gewerkschaftliche Monatshefte, (1972) 9, S. 588-594.

  28. Vgl. BMI-Umwelt, Informationen des Bundesministers des Innern zur Umweltplanung und zum Umweltschutz. H. 59, 1977, S. 29f.

  29. Vgl. Horst W. Schmollinger, Veränderung und Entwicklung des Parteiensystems, in: Gert-Joachim Glaeßncr u. a. (Hrsg.). Die Bundesrepublik in den siebziger Jahren — Versuch einer Bilanz. Opladen 1984. S. 32— 53.

  30. SRU (Anm. 13). Tz. 1484.

  31. Vgl. Karl-Heinrich Hansmeyer. Die Abwasserabgabe als Versuch einer Anwendung des Verursacherprinzips in: Otmar Issing (Hrsg.). Ökonomische Probleme der Umweltschutzpolitik. Schriften des Vereins für Socialpolitik. N. F. Band 91. Berlin 1976. S. 65-97.

  32. Vgl. Günter Hartkopf/Eberhard Bohne. Umweltpolitik 1. Grundlagen, Analysen und Perspektiven, Opladen 1983. S. 186.

  33. Vgl. E. Müller (Anm. 1), S. 335 ff.

  34. BT-Drucksache 8/270, S. 12.

  35. Vgl. E. Müller (Anm. 1). S. 112.

  36. Vgl. ebd.. S. 271 ff.

  37. Vgl. Rainer-Olaf Schultze. Nur Parteiverdrossenheit und diffuser Protest? Systemfunktionalc Fehlinterpretationen der grünen Wahlerfolge, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen. (1980) 2, S. 293-313. S. 308.

  38. Vgl. Gerd Langguth. Der grüne Faktor,. Von der Bewegung zur Partei?, Osnabrück-Zürich 1984, S. 36.

  39. Umweltpolitisches Programm der CDU. beschlossen vom Bundesparteiausschuß der CDU am 10. November 1979, hrsg. von der CDU-Bundcsgeschäftsstelle. Bonn 1979.

  40. Umweltpolitik in den 80er Jahren. Positionspapicr der CSU, hrsg. von der CSU-Landesleitung. München 1980.

  41. Umweltpolitik für die 80er Jahre — Ökologisches Aktionsprogramm. Beschlossen auf dem 32. Ordentlichen Bundesparteitag der FDP in Köln vom 29. — 31. 5. 1981. hrsg. von der FDP-Bundesgeschäftsstelle. Bonn 1981.

  42. Ökologische Orientierungen der SPD vom 9. November 1981. Vorgelegt von der vom Parteivorstand eingesetzten Kommission für Umwcltfragcn und Ökologie unter Vorsitz von Volker Hauff, hrsg. vom Vorstand der SPD. Bonn 1981.

  43. Vgl. Hans-Joachim Fietkau. Bedingungen ökologischen Handelns. Gesellschaftliche Aufgaben der Umweltpsychologie. Weinheim-Basel 1984, S. 102.

  44. Egmont Koch/Fritz Vahrenholt. Seveso ist überall — Die tödlichen Risiken der Chemie. Köln 1978.

  45. Vgl. Umweltbundesamt (UBA) (Hrsg.), Luftqualitätskriterien — Umweltbelastungen durch Asbest und andere faserige Feinstäube. UBA-Bcrichte 7. Berlin 1980.

  46. BDI. Jahresbericht 1979/80, Köln 1980. S. 156.

  47. Vgl. Vorschläge zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung. hrsg. vom DGB-Bundesvorstand. Düsseldorf 1977.

  48. Vgl. Gerd Albracht, Umweltschutz und Arbeitnehmerinteressen, in: Alternative Umweltpolitik, Argument Sonder-band AS 56, Berlin 1981. S. 22-38. S. 35.

  49. Vor allem Volker Hauff — zunächst als Minister für Forschung und Technologie, ab 1980 als Bundesverkehrsminister — entwickelte sich zum „Umweltminister“ der SPD in der Bundesregierung.

  50. Vgl. BMI-Umwelt, H. 71, Bonn 1979, S. 5.

  51. Zum Zustand der Umwelt am Ende der sozial-liberalen Koalitionsregierung vgl. Edda Müller, Umweltpolitik der sozial-liberalen Koalition, in: Zeitschrift für Umwelt, (1984) 2, S. 115— 141, sowie Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt 1984, Berlin 1984.

Weitere Inhalte

Edda Müller, Dr. rer. publ., geb. 1942; Studium der Politikwissenschaft; Referatsleiterin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherkeit. Veröffentlichungen u. a.: Innenwelt der Umweltpolitik. Sozial-liberale Umweltpolitik — (Ohn) Macht durch Organisation?, Opladen 1986; (zus. mit Detlef Bischoff und Uwe Saager) Verwaltung und Politik, Köln 1982; Konzeptionen und Umsetzungsstrategien der Projektgruppe Regierungs-und Verwaltungsreform zur Verbesserung der internen Ministerialorganisation, Schriftenreihe des Vereins für Verwaltungsreform und Verwaltungsforschung, Nr. 10, Teil I, Bonn 1987.