Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Brauchen wir eine Politische Klasse? | APuZ 50/1991 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 50/1991 Artikel 1 Brauchen wir eine Politische Klasse? Leistungsgrenzen politischer Institutionen in Deutschland Der Deutsche Bundestag: Strukturprobleme und Reformperspektiven einer politischen Institution Politische Institutionen, Politikwissenschaft und politische Bildung. Überlegungen zu einem „aufgeklärten Institutionalismus“

Brauchen wir eine Politische Klasse?

Dietrich Herzog

/ 28 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Mit dem Begriff der Politischen Klasse wird seit Gaetano Mosca (1858-1941) die Gesamtheit der an der Staatsleitung beteiligten Personen und Gruppen bezeichnet. Dazu gehören die Regierungsmitglieder, die Parlamentsabgeordneten, in föderativen Systemen die Landesregierungen, die Spitzen der Ministerialbürokratie, die Leiter öffentlicher Betriebe und Körperschaften, die Parteivorstände sowie die Spitzenfunktionäre der Interessenverbände. Dabei ist es gleichgültig, ob ihre jeweiligen Meinungen im konkreten politischen Entscheidungsprozeß durchdringen oder nicht; wesentlich für die Begriffsbestimmung ist die regelmäßige Teilnahme an autoritativen Entscheidungen (Georges Burdeau). Die gegenwärtige Bedeutung der Politischen Klasse ergibt sich aus den Funktionsbedingungen moderner sozialstaatlicher Demokratien. Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung und Mobilisierung, eines wachsenden „Problemhaushaltes“ und gestiegener Erwartungen an die Steuerungsfähigkeit des Staates kommt der Politischen Klasse die Aufgabe zu, widerstreitende Interessen in gemeinwohlorientierte Handlungsstrategien umzusetzen. Das setzt zweierlei voraus: Einerseits die Wandlungs-und Anpassungsfähigkeit der Politischen Klasse durch personelle Erneuerung und intensive politisch-gesellschaftliche Kommunikation; andererseits ihre relative Stabilität und interne Kooperationsfähigkeit. Sichtet man daraufhin die Ergebnisse der neueren Elitenforschung, so waren bisher für die Politische Klasse der Bundesrepublik folgende Merkmale charakteristisch: -Eine im wesentlichen bereichsinteme Personalrekrutierung ohne häufigen Austausch zwischen politischen und gesellschaftlichen Bereichen; -eine starke Professionalisierung auch des parlamentarisch-gouvemementalen Personals; -ein weitgehender Grundkonsens nicht nur über die demokratischen „Spielregeln“, sondern auch in einigen wichtigen Politikfeldem („Westbindung“, soziale Marktwirtschaft, Tarifautonomie u. a.); -ein -entgegen landläufiger Meinung -durchaus vielfältiges Kommunikationsgeflecht zwichen den parlamentarischen Repräsentanten und den unterschiedlichen Gruppen der Wählerschaft; -die Existenz eines „strategischen Kerns“ in Gestalt einer dichten Kontaktstruktur zwischen den Führungsgruppen der Regierungen, des Bundestages, der Parteien und der Ministerialbürokratie. Trotz gelegentlicher Entscheidungsblockaden und mancher Skandale hat sich die Politische Klasse der Bundesrepublik, verglichen mit derjenigen in anderen Ländern, bisher als hinreichend handlungs-, kompromiß- und integrationsfähig erwiesen. Jedoch besteht immer die Gefahr, daß sie in eine Vielzahl rivalisierender, auf ihren eigenen Vorteil und den ihrer spezifischen Klientel bedachten Gruppen zerfällt. Zudem stellt sich die Frage, ob die Politische Klasse der Bundesrepublik in ihrer derzeitigen Verfassung den neuen innerdeutschen, europäischen und weltpolitischen Herausforderungen gerecht werden kann.

I. Begriffsklärung

Es ist sicher kein Zufall, daß der Begriff der „Politischen Klasse“, in Italien oder Frankreich seit langem gebräuchlich neuerdings auch in die deutsche Politikwissenschaft eingeht. Seit die in den Aufbau-Jahrzehnten der Bundesrepublik dominante „Pluralismus-Theorie" (über die Ausgleichsfunktion des freien Spiels politischer Kräfte) zweifelhaft geworden ist, nachdem ferner sich die marxistische Klassen-und Staatstheorie -nicht erst seit dem Zusammenbruch des „Realsozialismus“ -überholt hat, und da auch die sogenannte „Basis-Demokratie“ als Organisationsprinzip einer modernen Industriegesellschaft inzwischen als illusorisch erkannt werden muß, beginnt man in Deutschland zunehmend der Tatsache gewahr zu werden, daß „Regieren“ etwas anderes ist als „Interessenvermittlung“. Darüber hinaus signalisiert'die Wiederentdeckung des Begriffs der Politischen Klasse auch das Ungenügen an einem lediglich institutionenbezogenen Politikverständnis. Es wird deutlich, daß Institutionen nur in einem metaphorischen Sinne „handeln“, während sie tatsächlich erst über ihre (individuellen oder kollektiven) Repräsentanten, also die Mitglieder ihrer Leitungsgremien, aktionsfähig werden. Das trifft auch auf die politische Ordnung insgesamt zu. Innerhalb ihres verfassungsrechtlichen und institutionellen Gefüges ist es das Ensemble ihrer Akteure -also ihre politische Führungsschicht -, die sie handlungsfähig macht.

Wie allerdings diese Führungsschicht tatsächlich beschaffen ist, ob sie den Anforderungen einer modernen Demokratie gerecht wird, Vertrauen in der Bevölkerung zu gewinnen, akzeptable Lösungen öffentlicher Probleme zustande zu bringen und damit die politische Integration einer Gesellschaft zu gewährleisten, -das ist die Frage, die mit dem Begriff der Politischen Klasse aufgeworfen wird.

Tatsächlich ist dieser Begriff im wissenschaftlichen Sprachgebrauch noch immer unscharf, in der öffentlichen Diskussion häufig mit negativen Wertungen behaftet. „Hierarchisch“, „undemokra-tisch“, auch „korruptionsanfällig“ sind die gängigen Konnotationen. Das trifft gleichfalls auf den benachbarten „Elite“ -Begriff zu, über den es inzwischen eine ausufernde kritische Literatur gibt Indes sollten weder die umgangssprachliche Banalisierung, noch die polemische Ideologisierung davon abhalten, wissenschaftlich wichtige Begriffe auf ihren Wert für die Erkenntnis der sozialen Wirklichkeit zu überprüfen. Eben dafür ist der Begriff der Politischen Klasse geeignet. Lenkt er doch, besser als der allgemeinere „Elite" -Begriff, unsere Aufmerksamkeit nicht auf das diffuse Problem gesellschaftlicher „Machtverhältnisse“, sondern auf die konkrete Frage nach der Struktur und der Funktionsweise staatlicher Herrschaftsorganisation. Was also ist mit dem Begriff gemeint?

Orientiert man sich an einem der ersten Eliten-theoretiker der Neuzeit, an dem italienischen Juristen und Politologen Gaetano Mosca (1858-1941), so nimmt bei ihm der Begriff der Politischen Klasse einen geradezu zentralen Platz ein. Sein wichtigstes Buch, „Elementi di scienza politica“ gilt dem Bemühen nachzuweisen, daß alle Gesellschaften -unabhängig von ihrer staatlichen Verfassung, ihrem ökonomischen oder kulturellen Entwicklungsstand -von einer classe politica, später auch classe dirigente genannt, beherrscht werden. Sie „monopolisiere die Macht“ und „genieße deren Vorteile“.

Obwohl bei Mosca eine präzise Definition fehlt, geht aus seiner umfangreichen, mit zahlreichen historischen Beispielen belegten Abhandlung deutlich genug hervor, daß die Politische Klasse kein sozio-ökonomischer Status-, sondern ein politologischer Struktur-und Funktionsbegriff ist: Erbezeichnet die Gesamtheit der an der Staatsleitung beteiligten Personen und Gruppen. Zudem wird . das, was in einigen seiner Formulierungen recht pauschal, zum Teil auch machiavellistisch erscheint, doch wesentlich differenziert So muß eine Politische Klasse keineswegs immer eine in sich geschlossene Machtelite darstellen; sie kann auch, unter je besonderen historisch-gesellschaftlichen Bedingungen, in widerstreitende Fraktionen oder Cliquen zerfallen und damit regierungsunfähig werden. Sie kann das Wohl der Gesellschaft befördern, aber sie kann auch lediglich auf ihren eigenen Machterhalt aus sein, und sei es mit korrupten Praktiken. Dann stehen politische Ordnungen vor der Gefahr schwerer Krisen oder sogar abrupter Zusammenbrüche. Da man die politische Moral einer Führungsschicht zwar anmahnen, aber nicht einfach herbeischaffen könne, sah Mosca nur den Ausweg ständiger „Transformation“: Die Politische Klasse müsse sich, um ihren Aufgaben der Führung und gesellschaftlichen Integration gerecht zu werden, ständig personell durch Aufnahme neuer Kräfte aus der Gesellschaft regenerieren -ohne dabei aber als Handlungseinheit auseinanderzufallen.

In jüngster Zeit hat der französische Politologe George Burdeau solche Vorstellungen aufgegriffen und weiterentwickelt Nach ihm besteht die Politische Klasse „aus der Gesamtheit der Personen oder Gruppierungen, die, sieht man gänzlich von den von ihnen verfolgten Zielen ab, an den mit der politischen Autorität verknüpften Vorrechten teilhaben“. Diese zunächst wiederum an Statuskriterien, nämlich Privilegien orientierte Definition wird dann aber wesentlich erweitert. Die Autorität der Politischen Klasse ergäbe sich „aus der Funktion, die sie erfüllt“. Dabei sei „Autorität“, „Einfluß“ oder „Macht“ nicht mit „Erfolg“ ineins zu setzen. „Die politische Klasse besteht nicht nur aus solchen Personen, deren Meinung durchdringt. Sie setzt sich aus allen jenen zusammen, die in dem Bereich tätig sind, in dem die Entscheidungsfunktion ausgeübt wird.“ Insofern umfasse sie „nicht nur die Personen, die gewinnen, sondern alle, die spielen“. Zwar sage man nicht dasselbe, aber man „spreche dieselbe Sprache“. Es ist dieser Wettbewerbscharakter, zusammen mit der allerdings notwendigen „Einhaltung der Spielregeln“, der die „Existenz einer politischen Klasse mit dem demokratischen Prinzip der Volksgewalt in Einklang zu bringen vermag“.

Versucht man derartige Definitionen zu konkretisieren, so wird man die heutige Politische Klasse verstehen können als zusammengesetzt aus: den Regierungsmitgliedern, den Parlamentsabgeordneten, in föderativen Systemen den Landesregierungen, den Leitern staatlicher Betriebe und öffentlicher Körperschaften, den Spitzen der Ministerialbürokratie, den Mitgliedern politischer Beratungsgremien, den Vorständen der politischen Parteien sowie den Spitzenfunktionären der großen Interessenorganisationen.

Daß Individuen und Gruppen, die in einem regelmäßigen Handlungszusammenhang agieren, ein dementsprechendes Beziehungsgeflecht aufbauen und unterhalten, ist leicht verständlich. Daß sie aber im gesellschaftlich-politischen System eine, wie Burdeau behauptet, eigenständige, mit keiner anderen sozialen Kategorie identische „Klasse“ bilden, zudem eine für das demokratische System zentral wichtige, läßt sich nur anhand ihrer Systemfunktion bestimmen.

II. Struktur und Bedeutung der Politischen Klasse in der sozialstaatlichen Demokratie

Sowohl in der neueren Elitentheorie als auch in der empirischen Elitenforschung ist auffällig, daß man sich weit überwiegend an demokratisch-normativen Prämissen orientiert. Man fragt nach der Chancengleichheit des Zugangs zu Führungspositionen, nach der sozialen Repräsentativität von Führungsgremien, nach ihrer Responsivität gegenüber den Interessen der Bevölkerung oder generell nach der Vereinbarkeit von „Demokratie“ und „Eliten“. Das ist nach den autoritären Erfahrungen in Deutschland verständlich, trifft aber zum Teil auch auf andere Länder mit ungebrochener demokratischer Tradition zu. Und zweifellos ist diese normative Perspektive in der Politikwissenschaft unabdingbar, will sie den universalen Werten der freiheitlichen Demokratie verpflichtet bleiB ben und zugleich an der öffentlichen politischen Diskussion darüber teilhaben.

Jedoch gehört es gleichermaßen zu ihren Aufgaben, soziale Phänomene unter den Bedingungen der jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Zeit-umstände verstehbar zu machen. Die demokratie-theoretische Perspektive besteht dann darin, die Funktionsanforderungen einer demokratischen Herrschaftsordnung in einer je bestimmten historisch-soziologischen Entwicklungsphase zu bestimmen. Andernfalls entsteht die Gefahr, daß die unter ausschließlich normativen Prämissen gewonnenen Ergebnisse, Kritiken oder Reformanstöße unrealistisch bleiben, inpraktikabel sind oder sogar, so sie dennoch in Reformen münden, dysfunktional wirken.

Vergegenwärtigen wir uns deshalb die wichtigsten Funktionsbedingungen moderner sozialstaatlicher Demokratien, hier speziell der Bundesrepublik, und fragen wir daraufhin, welche Bedeutung der Politischen Klasse in diesen soziopolitischen Systemen zukommt. Von daher können wir dann, im dritten Teil, der Frage nachgehen, ob die Politische Klasse der Bundesrepublik jenen Herausforderungen der Zeit entspricht.

Ohne in diesem Themenzusammenhang eine detaillierte Gesellschaftsanalyse vornehmen zu können, sollen doch drei Funktionsbedingungen gegenwärtiger sozialstaatlicher Demokratien besonders hervorgehoben werden:

Erstens befinden sich die entwickelten Gesellschaften der Gegenwart in einem Prozeß zunehmender Differenzierung und Mobilisierung. Differenziert hat sich vor allem die Berufsstruktur. Die aus der Phase der industriellen Revolution stammende Klassenschichtung hat sich „entstrukturiert" Zwar sind soziale Ungleichheiten keineswegs verschwunden, jedoch verlaufen sie nicht mehr zwischen den Berufsklassen, sondern quer durch sie hindurch. Aus dem ehemaligen „Proletariat“ ist ein nach Einkommen, Sozialstatus und Bewußtsein differenzierter Teil der Arbeitnehmerschaft geworden

Noch größere Unterschiede weist die inzwischen größte Berufsschicht des „neuen Mittelstands“ der Angestellten und Beamten auf, bei der von einem eigenen „Klassenbewußtsein“ überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann. Statt der ehemals vorausgesagten „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ ist „Heterogenisierung“, also die Zunahme sozialer Unterschiede, das Merkmal der gegenwärtigen berufsstrukturellen Entwicklung. Ähnliches trifft auf die Konfessionen die Familienstrukturen oder die Organisationsmitgliedschaften zu. Nirgendwo haben sich die traditionellen gesellschaftlichen Institutionen vollkommen aufgelöst, jedoch haben sie sich in den letzten Jahrzehnten außerordentlich differenziert, und -was noch wichtiger ist -sie verlieren dabei ihre frühere Bindungskraft für die Individuen. Man spricht deshalb von einer die gesamte Gesellschaft durchziehenden „Individualisierung“ oder besser: von einer „Pluralisierung der Lebensstile“

Diese gesellschaftlichen Strukturwandlungen waren die wichtigste Voraussetzung für eine allgemeine Mobilisierung. Sie zeigt sich zum einen in den gesellschaftlichen Werthaltungen. Neben den traditionellen Werten wie Ordnung, Sicherheit, Fleiß usw. haben sich zunehmend sogenannte „post-materialistische“ Werte ausgeweitet, bei denen „Selbstverwirklichung“ oder „Mitbestimmung“ von zentraler Bedeutung sind was allerdings nicht unbedingt soziale Tugenden sein müssen, sondern auch eine „hedonistische Ethik“, also die Verfolgung egoistischer Ziele, bedeuten kann Die Herausbildung „alternativer Milieus“, insbesondere in den Großstädten, ist eine der offensichtlichen Folgen jenes Wertewandels.

Ein zweiter Mobilisierungsprozeß zeigt sich in den Verhaltensweisen. Schon in den sechziger Jahren vermerkten die Sozialforscher einen Aktivitätsschub in allen westlichen Gesellschaften. Man sprach von einer „partizipatorischen Revolution“ Diese Bereitschaft zur politischen Partizi-pation, die von Unterschriftensammlungen und Demonstrationen über Teilnahme an Bürgerinitiativen bis zu mehr oder weniger gewaltsamen Aktionen reichen kann, hat sich in allen Demokratien ausgeweitet Daran beteiligen sich allerdings nicht alle Sozialgruppen in gleicher Weise. Es sind vielmehr häufiger die Jüngeren und die besser Ausgebildeten. Das kann dazu führen, daß gerade die höheren Statusgruppen ihre Interessen laut-stärker zu äußern und gegebenenfalls eher durchzusetzen vermögen falls die politisch verantwortlichen Kräfte sich bei ihren Entscheidungen vor allem an derartigen Meinungsäußerungen orientieren würden.

Schließlich ist in diesem Zusammenhang auf Veränderungen im Wahlverhalten aufmerksam zu machen. Wie in anderen Demokratien schrumpft die Stammwählerschaft der Parteien auch in der Bundesrepublik. Zunehmend mehr Wähler sind bereit, sich von Wahl zu Wahl unterschiedlich zu entscheiden, eventuell aus Protest der Wahl fernzubleiben oder gegebenenfalls neuen, auch radikalen Parteien ihre Stimme zu geben

Beide Wandlungsprozesse -die gesellschaftliche Differenzierung und politische Mobilisierung -haben nun für unser Thema eine besondere Bedeutung: Sie besagen zum einen, daß zunehmend differenziertere gesellschaftliche Bedürfnisse entstehen und als politisch zu berücksichtigende Interessen geäußert werden; sie besagen zum anderen aber auch, daß sich die Interessengegensätze vervielfachen, was nichts anderes heißt als: Zunahme gesellschaftlicher Spannungen oder sogar öffentlich ausgetragener Konflikte Nicht nur werden dadurch zwangsläufig immer neue Probleme auf die staatliche Agenda gesetzt, sondern es entstehen auch zunehmend mehr (kleinere oder größere) gesellschaftliche Konfliktsituationen, vor deren Lösung sich die politische Führungsschicht gestellt sieht

Zu dieser sich aus dem Gesellschaftswandel ergebenden Vielfalt sozialer Spannungen kommt hinzu, daß in den letzten Jahrzehnten auch neuartige, äußerst komplexe und langfristige Probleme aufgetaucht sind. Dazu gehören die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen (Ökologie), die Kontrolle technologischer Entwicklungen (z. B.der Gentechnologie), die Absicherung und ständige Anpassung der sozialen Leistungssysteme, der Abbau des Nord-Süd-Gegensatzes, der umwelt-verträgliche Umbau ganzer Wirtschaftszweige, die europäische Einigung und anderes mehr. Alle diese neuartigen Probleme der Gegenwart haben nicht nur komplexe, bisher noch wenig bekannte Ursachen und Verläufe, sondern ihre Lösung -so es denn für sie überhaupt definitive „Lösungen“ gibt -bedarf langfristiger nationaler Strategien und häufig auch schwieriger internationaler Kooperation. Sie stellen die politische Führungsschicht vor neuartige Anforderungen, die in den tradierten Systemen demokratischer Politikgestaltung noch unbekannt waren. Ihre Bewältigung bedarf neben (nationaler und internationaler) Anpassungen des Institutionensystems auch entsprechender Qualifikationen und neuartiger Handlungsformen des politischen Führungspersonals.

Schließlich ist in unserem Zusammenhang auf die Wandlungen der Struktur und der Funktionen des modernen Staates hinzuweisen. Hinlänglich bekannt sind die Tendenzen zur Zentralisierung und Bürokratisierung, die Ausdehnung wohlfahrtsstaatlicher Regelungen, der zunehmende Bedarf langfristiger Planungen, die zunehmende „Internationalisierung“ staatlicher Entscheidungen usw. Hinzu kommen nun aber auch fundamentale Veränderungen in der Struktur des gesamten politischen Prozesses. Noch immer ist man daran gewöhnt, die wichtigsten Institutionen des demokratischen Staates -Parlament und Regierung (einschließlich der Ministerialbürokratie) -alsautoritative „Spitze“ des gesamten soziopolitischen Systems anzusehen.

Jedoch wird diese Vorstellung immer weniger realistisch -übrigens ebenso wie die andere Annahme, wonach der demokratische Staat lediglich eine Art Clearing house für den Ausgleich gesellschaftlicher Interessen sei. Vielmehr muß man ihn in der Gegenwart, wie bereits Hermann Heller weitsichtig formuliert hatte als „Aktzentrum“ oder „Machtkern“ verstehen. Er ist im Ensemble der politisch-gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen zu einer Art primus interpares geworden. Das heißt nicht, daß er auf das „Monopol legitimen physischen Zwanges“ (Max Weber) verzichten kann. Doch ist dies in der Gegenwart eher eine Handlungsreserve. Wichtiger ist seine Fähigkeit zur Gesellschaftssteuerung geworden. Dabei sind die Beziehungen des Staates zu den anderen gesellschaftlichen Einheiten nicht länger hierarchisch, sondern retikulär, also in Form eines kommunikativen Netzwerkes zwischen Zentrum und Peripherie zu verstehen

Zwar kann der Staat legitimerweise auf sein Machtpotential zurückgreifen und autoritative Regelungen auch gegen Widerstand durchsetzen. Jedoch führen staatliche Entscheidungen nur dann zu gesellschaftlich akzeptablen und zudem gemeinwohlorientierten Problemlösungen, wenn möglichst viel Sachkompetenz autonomer gesellschaftlicher Gruppen eingeholt und ihre Kooperationsbereitschaft weitgehend gewährleistet wurde. In diesem Sinne wandelt sich, wie Fritz W. Scharpf formuliert, „die hierarchische Relation zwischen Staat und . Steuerungsobjekten 4 zu einem Verhandlungssystem, in dem es statt um Befehl und Gehorsam um beiderseits konsensfähige Lösungen geht“

Zieht man derartige, hier zwar nur kurz skizzierte, tatsächlich jedoch tiefgreifende Veränderungen der Gesellschaftsstruktur, des öffentlichen „Problemhaushalts“ und der Staatsfunktionen während der letzten drei bis vier Jahrzehnte in Betracht, so ergibt sich daraus zwingend die Frage, wie in einer solchen Situation die politische Führungsschicht beschaffen sein muß, um jenen Herausforderungen gerecht werden zu können Das heißt, konkreter formuliert: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit eine sich sozialstrukturell und institutionell differenzierende, international verflochtene, unter zunehmendem Problemdruck stehende politische Ordnung zu einer gestaltenden Handlungskoordination gelangen kann

Noch hat die deutsche und internationale Eliten-forschung darauf keine begründeten Antworten bereit. Jedoch lassen sich anhand der politologischen Steuerungstheorie zumindest einige Hypo-thesen entwickeln. Dabei ist der Begriff der Steuerungskapazität von zentraler Bedeutung. Diese erhöht sich nicht durch Zentralisierung (oder sogar Personalisierung) von politischer Entscheidungsmacht. Zwar sind derartige Tendenzen in fast allen entwickelten Demokratien immer wieder zu beobachten, ganz besonders in den neuen Demokratien Osteuropas und in vielen Entwicklungsländern. Jedoch kann ein staatliches Entscheidungszentrum -auch bei bestmöglicher Qualifikation seines Personals und effizienter Technik der Informationsverarbeitung -immer nur in begrenztem Maße Sachkompetenz ansammeln. Es ist auf die intensive Kommunikation mit „externer Kompetenz“ angewiesen, die natürlicherweise in den verschiedensten Institutionen und Gruppen des gesamten soziopolitischen Systems vorhanden ist. Zudem kann, wie die politologische Steuerungstheorie zeigt, nur dann eine problemlösungsorientierte „Handlungskoordination“ stattfinden, wenn jene gesellschaftlichen Einheiten (Institutionen, Gruppen und eben auch Bürgerinitiativen usw.) einen je eigenen Handlungs-und Verantwortungsspielraum haben, also eine (relative) Autonomie. Das heißt, hierarchische Befehlsstränge sind für die Funktionsfähigkeit komplexer demokratischer Ordnungen unangebracht. Statt dessen wird, zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“, Kommunikation unabdingbar Wobei Kommunikation in einem weiten Sinne zu verstehen ist; sie umfaßt die (wechselseitige) Vermittlung von Sachwissen, aber auch von Interessen, Zielvorstellungen, Ansprüchen, Werten, sogar die Äußerung von Protest oder möglichen Sanktionsdrohungen Für die Mitglieder der politischen Führungsschicht bedeutet das, daß Kommunikation (im genannten Sinne) zu ihren vorrangigen Aufgaben gehört.

Dazu kommt nun aber notwendigerweise ein Zweites: Soll der staatlich-gesellschaftliche Vermittlungsprozeß nicht in einem endlosen Meer unverbindlicher Kommunikation versinken, so ist Strategieentwicklung und Entscheidungshandeln der politischen Führungsschicht unabdingbar. Und hier nun kann, anstelle des unbestimmten Begriffs der „Führungsschicht“, wiederum der Begriff der Politischen Klasse aufgegriffen werden. Denn jetzt geht es um die Fähigkeit aller am staatlichen Entscheidungsprozeß unmittelbar Beteiligten, Gegensätze offen zu artikulieren, aber auch friedlich auszugleichen. Es geht um ihre grundsätzliche Kooperationsfähigkeit.

Diese ist in einer demokratischen Ordnung immer gefährdet; wobei nicht in erster Linie an individuelle Unfähigkeit, Profilierungssucht oder Machtanmaßung gedacht ist. Vielmehr befinden sich die Mitglieder der Politischen Klasse -die Individuen wie die einzelnen Führungsgruppen -in einer ständig prekären Situation: Sie sind einerseits Repräsentanten unterschiedlicher, gewöhnlich gegensätzlicher Partikularinteressen, seien dies die Interessen ihrer Wähler, ihrer Partei oder bestimmter Gruppen und Organisationen, denen sie, aus machtpolitischen oder ideologischen Gründen, selbstverständlich verpflichtet sind. Andererseits kommt ihnen aber auch die Aufgabe zu, eine kollektive Handlungsstrategie zu entwickeln und dabei gesellschaftliche Interessen auszugleichen sowie'die Bedürfnisse derer zu berücksichtigen, die nicht zur eigenen Klientel gehören, gegebenenfalls „unpopuläre“ Entscheidungen herbeizuführen usw. Das bedeutet Kompromißfindung, Koalitionsbildung und problemorientierte Konfliktregulierung. Dafür sind, bei allen sachlichen und ideologischen Gegensätzen, intensive Kooperationsbeziehungen innerhalb der Politischen Klasse notwendig, die ihrerseits nur auf einem gemeinsamen Verantwortungsbewußtsein, einem esprit de corps beruhen können. Steuerungstheoretisch formuliert: Eine Politische Klasse gewinnt Handlungsfähigkeit nicht allein aus (externer und interner) Kommunikation, sondern zusätzlich aus einer eigenen „Autonomie“ als kollektive Handlungseinheit. Eine solche kollektive Identität der Politischen Klasse ist in der Realität moderner Demokratien freilich immer nur unvollständig So können in- teme Machtrivalitäten die Handlungsfähigkeit lähmen, wie das, seit Moscas Zeiten, für die italienische classe politica charakteristisch ist. Zudem kann, unter bestimmten historisch-soziologischen Bedingungen, ein „strategisches Zentrum“ entweder ganz fehlen oder es kann sich auf demokratisch nicht-repräsentative Teile der Politischen Klasse verlagern, z. B. auf die Ministerialbürokratie

Was läßt sich, unter diesen Gesichtspunkten, über die Politische Klasse der Bundesrepublik Deutschland sagen? Welche Anzeichen deuten auf ihre Integration, welche auf ihren Zerfall hin?

III. Die Politische Klasse der Bundesrepublik

Nimmt man die in den vergangenen Jahren von einem zunehmend kritisch-nachforschenden Journalismus aufgedeckten Fälle politischer Korruption zum Maßstab, so scheint sich ein Zerfall der Politischen Klasse, zumindest eine Aushöhlung ihrer Moral anzudeuten. Auffällig sind zudem in jüngster Zeit -in einigen Politikfeldern -beträchtliche Entscheidungsunsicherheiten oder sogar längerfristige Entscheidungsblockaden Ob derartige Erscheinungen allerdings generelle Aussagen über den Zustand der Politischen Klasse in Deutschland zulassen, ist fraglich. Jedenfalls reicht die bloße Addition politischer Skandale und verzögerter Entscheidungen, selbst wenn man sie gegen tatsächlich erfolgreiche Strategien aufrechnen würde, dafür nicht aus. Aktuelle Ereignisse müssen vor dem Hintergrund struktureller Bedingungen interpretiert und beurteilt werden

Eine Bedingung, die im 19. Jahrhundert -am Beginn der Demokratisierung -die Einheitlichkeit der politischen Führungsschicht bewirkt hatte, nämlich ihre Herkunft aus der Oberklasse, ist in der Gegenwart entfallen. Besitz, Adelspatente oder „Honoratioren“ -Status sind gegenwärtig keine wesentliche Rekrutierungsbasis mehr Zwar spiegelt das Sozialprofil der bestellten wie auch der gewählten Führungsgruppen keineswegs auch nur annähernd die soziale Schichtung der Gesellschaft wider; in Deutschland wie in den anderen Demokratien sind Angehörige der oberen Mittelschicht und bestimmter Berufe, sind Männer und Angehörige der mittleren Altersgruppen weit überproportional in Führungspositionen vertreten Auchgibt es in Deutschland nicht jene besonderen Ausbildungsinstitutionen, wie sie in Frankreich (grands ecoles') oder in Großbritannien (Universitäten von Oxford und Cambridge) den Führungsnachwuchs speziell qualifizieren, aber auch gesellschaftlich separieren. In einem gewissen Sinne war in Deutschland traditionell die juristische Ausbildung dafür eine Art Ersatz, jedoch beginnt das „Juristenmonopol“ abzubröckeln, besonders in den parlamentarischen, aber auch bereits in den administrativen Führungsgruppen Bei zwar insgesamt steigender „Akademisierung“ differenzieren sich doch die Ausbildungsgänge. Im Zuge des Generationswechsels, der Differenzierung des gesamten Ausbildungssystems und durch die Repräsentanz neuer Sozialgruppen im parlamentarischgouvernementalen Bereich sind auch neue, teils ökonomisch-technische, teils sozialwissenschaftlich-pädagogische Bildungsqualifikationen relevant geworden

Nach sozialer Herkunft, Ausbildung und Berufserfahrung wird die Politische Klasse der Bundesrepublik also insgesamt eher heterogener. Bei allen genannten Einschränkungen wird der Zugang zu Elitenpositionen vielfältiger und zugleich im großen und ganzen offener. Das geht auch aus den bisherigen Untersuchungen über Karrieremuster und Professionalisierungsprozesse hervor Danach wird das Führungspersonal in den verschiedenen Sektoren der Politik, der öffentlichen Verwaltung, der Wirtschaft oder der Großverbände überwiegend bereichsintern rekrutiert, was innerhalb der Bereiche zu einer Homogenisierung der fachlichen Qualifikation führt. Das ist zum Beispiel auch im Bereich der parlamentarisch-gouvernementalen Führungsschicht der Fall, wo längere, spezifisch politische Karrieren (über innerparteiliche und öffentliche Wahlämter) zur Herausbildung einer eigenen Berufsgruppe, nämlich der der „Berufspolitiker“, beiträgt Wobei diese Form je bereichs-interner Führungsrekrutierung und -qualifikation auch bewirkt, daß Unterschiede in den Einstellungen und Werthaltungen, wie sie üblicherweise aus dem sozialen Herkunftsmilieu oder aus dem Ausbildungsgang herrühren, gleichsam abgeschliffen werden. Es entstehen zwar in sich relativ homogene, jedoch voneinander separierte professionelle Arenen.

Die bekannte Tatsache, daß das cross-over, die Personalrotation zwischen den Führungsrängen der verschiedenen politisch-gesellschaftlichen Sektoren in Deutschland, verglichen z. B. mit den USA, sehr selten ist, ist nur ein anderer Aspekt des gleichen Tatbestandes. Ralf Dahrendorf hat dafür in den sechziger Jahren den Begriff des Eliten-„Kartells“ eingeführt. Die Führungsgruppen der verschiedenen politisch-gesellschaftlichen Bereiche seien gegeneinander abgeschottet, seien sich untereinander fremd, einig nur in dem Bemühen, die bestehende Machtverteilung zu bewahren. Jedoch geht die Zeit weiter, und mit ihr nicht nur die gesellschaftliche Entwicklung, sondern auch die wissenschaftliche Forschung. So genügt es nicht, die Gestalt und Funktion einer Politischen Klasse allein nach der sozialen oder beruflichen Herkunft ihrer Teil-Eliten zu beurteilen. Hinzu kommt zweierlei: erstens das Ausmaß gemeinsamer Werthaltungen, Rollenverständnisse und Politikziele; zweitens die Struktur interner und externer Kommunikationsbeziehungen.

Was den Bereich der politischen Einstellungen betrifft, so hat die vergleichende Forschung wiederholt festgestellt, daß -in den etablierten Demo-kratien -die Akzeptanz demokratischer Grundwerte und Verfahrensregeln in der Politischen Klasse stärker ist als in der Bevölkerung insgesamt, während andererseits die konkreten politischen Zielvorstellungen im Elitenbereich weiter auseinander liegen als in der Wählerschaft Das trifft auch auf die Bundesrepublik zu Sieht man von einigen Repräsentanten fundamentalistischer oder ideologisch-dogmatischer Parteigruppierungen ab so sind in der soziopolitischen Führungsschicht insgesamt demokratische und liberale Werte (Rechtsstaatlichkeit, Mehrparteiensystem, Akzeptanz der parlamentarischen Opposition, Meinungsfreiheit, Kompromißbereitschaft usw.) deutlicher präsent als in der Bevölkerung. Darüber hinaus zeigen alle Untersuchungen der letzten Jahrzehnte, daß zwischen den Teil-Eliten ein weitgehender Konsens auch in einigen substantiellen Politikfeldern existiert (z. B. „Westbindung“ der Bundesrepublik, Europäische Einigung, soziale Marktwirtschaft, Tarifautonomie u. a.).

Das ist um so wichtiger, als konkrete Streitfragen -man denke gegenwärtig z. B. an die Asyl-Problematik oder an das Thema „Abtreibung“ -typischerweise in der Politischen Klasse stärker akzentuiert werden als in der Bevölkerung. Solche Gegensätze zwischen den Führungsgruppen können bis zu einer Polarisierung der politischen Lager führen. Das ist in einer Demokratie, in der alle Parteien und Gruppen auf die öffentliche Unterstützung ihrer Ziele angewiesen sind, unvermeidlich. Und derartige, öffentlich ausgetragene Inter-Eliten-Konflikte sind zudem unabdingbar für die öffentliche Artikulation gegensätzlicher Standpunkte, für die Klärung strategischer Alternativen und für die Legitimation von Entscheidungen. Um so mehr gewinnt ein Grundkonsens innerhalb der Politischen Klasse an Bedeutung, nicht nur über die demokratischen Regeln der Konfliktaustragung, sondern möglichst auch in einem größeren Sektor nicht-kontroverser inhaltlicher Strategien.

Ob dieser bisher vorhandene Grundkonsens trotz wachsenden Problemhaushalts auch in Zukunft erhalten bleibt, muß dahingestellt werden. Jedoch ist er eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit und damit auch für die integrative Funktion der Politischen Klasse. Er ermöglicht das friedliche Austragen politischer Konflikte -sei es in Form von Kompromissen, sei es durch Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen. Es war das Fehlen eines solchen Grundkonsenses in der Politischen Klasse der Weimarer Republik, was zur Desintegration der Gesellschaft, zur Funktionsunfähigkeit von Parlament und Regierung und damit letztlich zur Auflösung der ersten deutschen Demokratie beitrug Es gehört zu den tragischen Erfahrungen der Gegenwart, daß die Zerstrittenheit, ja Feindseligkeit innerhalb der Führungsschichten in vielen Ländern Separatismus begünstigt oder sogar den Bürgerkrieg anfacht.

Neben der Kongruenz allgemeiner Wertvorstellungen sind auch bestimmte Verhaltensmuster für die Handlungsfähigkeit der Politischen Klasse ausschlaggebend. Dazu gehören zum einen die „vertikalen Kommunikationsbeziehungen“ also dieKommunikation zwischen dem Führungspersonal und den vielfältigen Gruppen der Gesellschaft. Ausmaß, Intensität und Bedeutung derartiger Kontaktbeziehungen sind bisher noch kaum systematisch analysiert worden. Jedoch unterstützen die vorhandenen Forschungsergebnisse nicht die in den Medien häufig verbreitete These von der „Abgehobenheit“ der Politischen Klasse in der Bundesrepublik. Jedenfalls für ihren parlamentarischen Teil -die Bundestagsabgeordneten -gilt, daß entgegen landläufiger Meinung die Kontakt-beziehungen mit der Wählerschaft, mit gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen außerordentlich häufig und vielfältig sind Neuere Untersuchungen haben zudem nachgewiesen, daß die Intensität der „Wahlkreiskommunikation“ in direktem Zusammenhang mit der Kongruenz politischer Zielvorstellungen zwischen Politikern und Bevölkerung steht. Sie „trägt zu einem beachtlichen Teil dazu bei, die Distanz zwischen Abgeord-neten und Bürgern und die Distanzen innerhalb der Parteilager von Abgeordnetengruppen und Wählern zu verringern“ Das ist für den direkten wechselseitigen Informationsfluß zwischen Wählern und Gewählten wichtig. Es trägt zur demokratischen Responsivität politischer Führungsgruppen bei und verbessert -durch Erweiterung ihrer Entscheidungsgrundlagen -zugleich ihre politische Handlungsfähigkeit

Was die „horizontalen Kommunikationsbeziehungen“ betrifft, so haben die bisherigen Untersuchungen ein dichtes Netz regelmäßiger Kontakte zwischen den verschiedenen Teil-Eliten der Politischen Klasse zutage gebracht Das läßt auf intensive Prozesse des internen Meinungsaustausches und der Abklärung unterschiedlicher Standpunkte schließen. Interessanter noch ist die -von der empirischen Forschung systematisch dokumentierte -Tatsache, daß innerhalb des gesamten Kommunikationsnetzes ein „strategisches Zentrum“ existiert, wo gleichsam „die Fäden zusammenlaufen“: in den parlamentarisch-gouvemementalen Führungsgruppen, also in den Fraktionsvorständen, der Regierung und den politischen Spitzen der Ministerialbürokratie. Hier liegt offensichtlich der Kem der Politischen Klasse.

Das ist nicht selbstverständlich. Sieht man ganz von den zahlreichen diktatorischen, theokratischen und anderen nichtdemokratischen Ordnungen ab, so kann sich auch in demokratischen Regimen das „strategische Zentrum“ auf nichtlegitimierte Personengruppen (Militär, Wirtschaft, Kirche, bestimmte Verbände, „Graue Eminenzen“ usw.) verlagern. Gerade angesichts der Tatsache, daß in den modernen Demokratien starke gesellschaftliche Machtpotentiale existieren, ist es für die Funktionsfähigkeit und Legitimität demokratischer Ordnungen von besonderer Bedeutung, daß das strategische Steuerungszentrum dort liegt, wo öffentliche, durch Wahl legitimierte Verantwortlichkeit gegeben ist.

In diesem Zusammenhang ist ein weiteres Ergebnis der Elitenforschung zu erwähnen, nämlich die fortgeschrittene, vermutlich zunehmende „Integration“ politisch-parlamentarischer und administrativer Führungsspitzen. Trotz der bereits erwähnten unterschiedlichen, jeweils bereichsinternen Personalrekrutierung und -qualifizierung in den Bereichen Politik und (Ministerial-) Bürokratie sind beide Bereiche, jedenfalls in ihren Spitzen, näher aneinandergerückt. Das zeigt sich sowohl in den politischen Einstellungen und Werthaltungen als auch im Rollenverhältnis und in den Verhaltensweisen Die Leitungsebene der Ministerialbürokratie ist gleichsam „politischer“ geworden, die parlamentarische „bürokratischer“, wobei sich letzteres unter anderem auch in der starken Fach-spezialisierung der Abgeordneten zeigt. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Gewaltentrennung und Machtkontrolle wie auch hinsichtlich einer möglichst unparteiischen Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung nicht unproblematisch Jedoch kann man andererseits auch vermuten, daß jene parlamentarisch-administrative „Integration“ die Steuerungsfähigkeit des strategischen Kerns der Politischen Klasse erhöht.

IV. Resümee

Brauchen wir also eine Politische Klasse? Folgt man den vorangegangenen Überlegungen, fällt die Antwort nicht schwer. Angesichts einer sich zunehmend differenzierenden, neue Ansprüche generierenden Gesellschaft ist eine hinreichend konsensuale, handlungsfähige Politische Klasse unabdingbar. Ihre Aufgabe, die Probleme der Zeit nicht nur zu benennen, sondern auch in gesamtgesellschaftliche Handlungsstrategien umzusetzen, kann niemand sonst übernehmen. Das auch erwartet die Wählerschaft, quer durch ihre parteipolitischen Lager. Daß sich die Politische Klasse der Bundesrepublik Deutschland zu einer kompakten, herrschsüchtigen „Machtelite“ verfestigt, ist unwahrscheinlich. Jedenfalls solange eine aufmerksame und aktive Öffentlichkeit als kritischer Partner fungiert. Eher schon besteht, wie in allen Demokratien, die Gefahr, daß die Politische Klasse in eine Vielzahl rivalisierender, auf ihren eigenen Vorteil und den ihrer spezifischen Klientel bedachten Gruppen zerfällt. Bisher waren, trotz aller publikumswirksamen Kassandra-Rufe, die Leistungen der Politischen Klasse der Bundesrepublik Deutschland so schlecht nicht -jedenfalls gemessen an den historischen Belastungen der deutschen Geschichte und im Vergleich mit vielen anderen Ländern. Bei allen internen Konflikten, Entscheidungsverzögerungen und Skandalen hat die Politische Klasse doch ihren gewichtigen Anteil am Aufbau einer insgesamt stabilen, anpassungsfähigen demokratischen Ordnung. Inzwischen freilich tauchen bereits neue Herausforderungen am Zeithorizont auf, die sich aus der „Europäisierung“ der deutschen Politik und aus den globalen Problemen der „einep Welt“ ergeben. Ob die deutsche Politische Klasse, in ihrer bisherigen Verfassung und nach möglichen Veränderungen im Zuge der deutschen Einigung, diesen Herausforderungen der Zukunft gerecht werden kann, bleibt eine offene Frage.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch findet man dafür vergleichsweise die Begriffe „establishment" oder „power elite" (Machtelite).

  2. Vgl. u. a. Otto Stammer, Das Elitenproblem in der Demokratie, in: Schmöllers Jahrbuch, 71 (1951), S. lff.; Dieter Oberndörfer/Wolfgang Jäger (Hrsg.), Die neue Elite. Eine Kritik der kritischen Elitentheorie, Freiburg 1975; Wilfried Röhrich (Hrsg.), Demokratische Elitenherrschaft. Traditionsbestände eines sozialwissenschaftlichen Problems, Darmstadt 1975; ders., Eliten und das Ethos der Demokratie, München 1991.

  3. Zuerst 1896, dann, wesentlich verändert, in zweiter Auflage 1923 erschienen. Deutsche Übersetzung unter dem Titel „Die herrschende Klasse. Grundlagen der politischen Wissenschaft“, München 1950.

  4. Eine einfühlsame Interpretation des Moscaschen Gesamt-werkes findet man bei Ettore A. Albertoni, Mosca and the Theory of Elitism, Oxford 1987.

  5. Vgl. insbesondere seinen Aufsatz „La classe politique“ (1958), in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die politische Klasse“ erschienen in: W. Röhrich (Anm. 2), S. 251-266.

  6. Vgl. Peter A. Berger, Entstrukturierte Klassengesellschaft? Klassenbildung und Strukturen sozialer Ungleichheit im historischen Wandel, Opladen 1986.

  7. Vgl. Joseph Mooser, Abschied von der „Proletarität", in: Werner Conze/Rainer Lepsius (Hrsg.), Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1983.

  8. Vgl. zusammenfassend Joachim Matthes (Hrsg.), Sozialer Wandel in Westeuropa, Frankfurt 1979; Dieter Oberndorfer u. a. (Hrsg.), Wirtschaftlicher Wandel, religiöser Wandel und Wertewandel, Berlin 1984.

  9. Vgl. Klaus R. Allerbeck/Wendy J. Hoag, Jugend ohne Zukunft? Einstellungen, Umwelt, Lebensperspektiven, München 1986.

  10. Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt 1986.

  11. Wolfgang Zapf u. a., Individualisierung und Sicherheit. Untersuchungen zur Lebensqualität in der Bundesrepublik Deutschland, München 1987.

  12. Grundlegend dazu Ronald Inglehart, The Silent Revolution, Princeton 1977; ders., Kultureller Umbruch, Frankfurt 1989; Helmut Klages/Peter Kmieciak (Hrsg.), Wertewandel und gesellschaftlicher Wandel, Frankfurt 19822.

  13. Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt 1975, S. 363.

  14. Vgl. Gabriel Almond/Sidney Verba, The Civic Culture, Princeton 1963.

  15. Vgl. Samuel H. Bames/Max Kaase et al., Political Action. Mass Participation in Five Western Democracies, Beverly Hills-London 1979; speziell mit Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland s. Kendall L. Baker et al., Germany Transformed. Political Culture and the New Politics, Cambridge, Mass., 1981.

  16. Darauf haben schon Sidney Verba und Norman H. Nie (Participation in America. Political Participation and Social Equality, New York 1972) hingewiesen. In Deutschland ist dieser demokratietheoretisch heikle Zusammenhang bisher noch nicht untersucht worden.

  17. Die Wahlforschung ist gerade in der Bundesrepublik außerordentlich gut entwickelt. Aus der Fülle der Untersuchungen ist vor allem auf die von Max Kaase und Hans-Dieter Klingemann herausgegebenen Sammelbände zu verweisen, die jeweils aus Anlaß der Bundestagswahlen 1980, 1983 und 1987 publiziert worden sind: Wahlen und politisches System, Opladen 1983; Wahlen und politischer Prozeß, Opladen 1986; Wahlen und Wähler, Opladen 1990.

  18. Darauf hat, am Beispiel der amerikanischen Gesellschaft, Samuel P. Huntington hingewiesen: Postindustrial Politics. How Benign Will It Be?, in: Comparative Politics, (1973/74) 6, S. 163-191.

  19. Es ist bemerkenswert, daß die wichtigsten Untersuchungen über die technologischen, ökonomischen und sozialen Wandlungen zur „postindustriellen Gesellschaft“ bisher noch kaum Aussagen über die Konsequenzen dieser Veränderungen für die politisch-staatliche Organisation enthalten. Vgl. D. Bell (Anm. 13); ders., Die Zukunft der westlichen Welt. Kultur und Technologie im Widerstreit, Frankfurt 1976.

  20. Eine wichtige Institutionenreform war z. B. die Einrichtung parlamentarischer Enquete-Kommissionen (1969).

  21. Vgl. Hermann Heller, Staatslehre, Leiden 1934.

  22. Vgl. Helmut Willke, Entzauberung des Staates. Überlegungen zu einer sozietalen Steuerungstheorie, Königstein/Ts. 1983. Zur neueren Staatstheorie außerdem: Hans-Hermann Hartwich, Die Suche nach einer wirklichkeitsnahen Lehre vom Staat, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46-47/87, S. 3-19; Joachim Jens Hesse, Aufgaben einer Staatslehre heute, in: Jahrbuch zur Staats-und Verwaltungswissenschaft, Bd. 1, Baden-Baden 1987, S. 55-87; Eric A. Nordlinger, On the Autonomy of the Democratic State, Cambridge, Mass., 1981; Dieter Fürst, Die Neubelebung der Staatsdiskussion -Veränderte Anforderungen an Regierung und Verwaltung in westlichen Industriegesellschaften, in: Jahrbuch zur Staats-und Verwaltungswissenschaft, Bd. 1, Baden-Baden 1987.

  23. Fritz W. Scharpf, Verhandlungssysteme, Verteilungskonflikte und Pathologien der politischen Steuerung, in: Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 19 (1988), S. 70. Zur politologischen Steuerungstheorie außerdem: Amitai Etzioni, The Active Society. A Theory of Societal and Politi-

  24. In unserem Zusammenhang braucht auf die These von der „Unregierbarkeit“ moderner Demokratien nicht weiter eingegangen zu werden. Noch vor kurzem heftig diskutiert, ist sie wohl inzwischen als wenig aufschlußreich erkannt worden (vgl. Joachim Heidorn, Legitimität und Regierbarkeit. Studien zu den Legitimitätstheorien von Max Weber, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas und der Unregierbarkeitsforschung, Berlin 1982.) Als unregierbar haben sich gerade die angeblich „fortschrittlichen" Systeme des „Realsozialismus“ erwiesen. Desgleichen kann hier auf die Erörterung sogenannter „Krisentheorien“ verzichtet werden, die ebenfalls in den siebziger Jahren eine wissenschaftliche Konjunktur erlebten (s. unter anderem Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfurt 1972; Martin Jänicke [Hrsg. ], Herrschaft und Krise, Opladen 1973.) Unter steuerungstheoretischen Gesichtspunkten bestehen Krisen aus einer Anhäufung ungelöster Probleme. Die „Krisenforschung“ befaßt sich mit ihren Ursachen, vernachlässigt jedoch die Erforschung der Bedingungen für ihre Bewältigung.

  25. Vgl. Hans-Dieter Klingemann/Richard Stöss/Bemhard Weßels (Hrsg.), Politische Klasse und politische Institutionen, Opladen 1991, insbes. S. 28-35.

  26. Der Begriff „Funktionsfähigkeit“ bleibt im wissenschaftlichen Sprachgebrauch häufig recht unbestimmt. Nur im Rahmen der Systemtheorie hat er eine spezielle Bedeutung. Hier jedoch wird er verstanden als Fähigkeit eines soziopolitischen Systems zur Problem-Erkennung und Problem-Lösung.

  27. Auf die Bedeutung von Kommunikation, speziell für die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages in einer repräsentativen Demokratie, hat überzeugend hingewiesen Heinrich Oberreuter, Parlament und Öffentlichkeit, in: Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.), Politik und Kommunikation -Über die öffentliche Meinungsbildung, München 1979.

  28. Vgl. Dietrich Herzog, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Repräsentation?, in: Dietrich Herzog/Bemhard Weßels (Hrsg.), Konfliktpotentiale und Konsensstrategien. Beiträge zur politischen Soziologie der Bundesrepublik, Opladen 1989.

  29. In einem grundlegenden Aufsatz hat der amerikanische Soziologe Edward Shils darauf hingewiesen, daß man in einer modernen sozialstaatlichen Demokratie immer mit dem Zerfall der politischen Führungsschicht in eine Vielzahl konkurrierender Teil-Eliten rechnen muß. Das aber hebe die Bedeutung einer handlungsfähigen Politischen Klasse nur um so deutlicher hervor: „Self-confidence and a measure of internal solidarity, determination of will, and a capacity to know when to compromise and when not to compromise are qualities that were nurtured by the System of political classes. These are still of the utmost importance in political life.“ Edward Shils, The Political Class in the Age of Mass Society: Collectivistic Liberalism and Social ‘Democracy, in: Moshe M. Czudnowski (Hrsg.), Does Who Govems Matter? Elite Circulation in Contemporary Societies, DeKalb, 111., 1982, S. 13-32.

  30. Dieser Begriff ist aus einem bisher noch wenig beachteten, jedoch grundlegenden Werk von Suzanne Keller adaptiert. Nach ihrer Auffassung kann sich in einem demokratischen System eine „herrschende Klasse“ (ruling class) nicht herausbilden, wohl aber gäbe es regelmäßig im Gesamt der politisch-gesellschaftlichen Führungsgruppen eine „strategische Elite“. Suzanne Keller, Beyond the Ruling Class. Strategie Elites in Modem Society, New York 1963.

  31. Das trifft auf sogenannte consociational democracies (Konkordanz-oder Proporz-Demokratien) zu, für die das politische System der Schweiz ein Beispiel ist.

  32. So hatte sich in verschiedenen historischen Phasen der französischen Republik das eigentliche Machtzentrum vom Parlament, von der Regierung bzw. vom Präsidenten auf die haute administration verlagert. Vgl. Pierre Birnbaum, Les sommets de l’Etat. Essai sur l'lite du pouvoir en France, Paris 1976.

  33. Auffallende und eine breite Öffentlichkeit beunruhigende Beispiele dafür sind in jüngster Zeit die Entscheidungsunsicherheit der Politischen Klasse während des Golf-Krieges, in den ersten Phasen des Zusammenbruchs der DDR, aber auch noch während des Einigungsprozesses, sowie derzeit bei der Behandlung der Asyl-Problematik.

  34. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß durch den Beitritt der neuen ostdeutschen Länder zur Bundesrepublik auch deren Führungsschicht verändert wurde. Darüber gibt es zur Zeit noch keine systematischen Untersuchungen. Einen ersten Einblick in die Veränderungen vermittelt Hans-Ulrich Derlien, Regimewechsel und Personalpolitik. Beobachtungen zur politischen Säuberung und zur Integration der Staats-funktionäre der DDR in das Berufsbeamtentum, Universität Bamberg 1991. Schließlich ist zu bedenken, daß sich die politische und gesellschaftliche Ordnung zur Zeit noch in einer Übergangsphase befindet. So ist noch nicht abzusehen, in welcher Form sich das Parteiensystem konsolidieren wird, ob plebiszitäre Verfahren eingeführt werden usw. Solche Veränderungen der Verfassung und der politischen Kräfte-verhältnisse können auch die Struktur und die Funktion der Politischen Klasse verändern.

  35. Vgl. Heinrich Best, Die Männer von Bildung und Besitz. Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49, Düsseldorf 1990; Dietrich Herzog, Karrieremuster von Abgeordneten in Deutschland -früher und heute, in: Politik als Beruf?, hrsg. vom Deutschen Bundestag, Bonn 1979; Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965.

  36. Sozialstatistische Untersuchungen über die Zusammensetzung der verschiedenen politisch-gesellschaftlichen Führungsgruppen findet man in großer Zahl, so z. B. für die Bundesrepublik in: Viola Gräfin Bethusy-Huc, Die soziologische Struktur deutscher Parlamente, Diss. Bonn 1958; Hans-Ulrich Derlien/Renate Mayntz, Bundeselite 19701987, Manuskript, Universität Bamberg 1991; Adalbert Hess, Zusammensetzung und Sozialstruktur des Bundestages, in: Hans-Heinz Schneider/Wolfgang Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1989; Ursula Hoffmann-Lange/Helga Neumann/Bärbel Steinkemper. Konsens und Konflikt zwischen Führungsgruppen in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1980; Heino Kaack, Die personelle Struktur des 9. Deutschen Bundestages. Ein Beitrag zur Abgeordnetensoziologie, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl), 12 (1981); Emil-Peter Müller, Daten zur Struktur des XI. Deutschen Bundestages, Köln 1987 (vom selben Autor auch mehrere Untersuchungen über frühere Wahlperioden); Wolfgang Zapf, Wandlungen der deutschen Elite. Ein Zirkulationsmodell deutscher Führungsgruppen 1919-1961, München 1965.

  37. Vgl. Bärbel Steinkemper, Klassische und politische Bürokraten in der Ministerialverwaltung der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1974; H. -U. Derlien/R. Mayntz (Anm. 36).

  38. Zur akademischen Ausbildung der parlamentarischen Repräsentanten der neuen sozialen Bewegungen, namentlich der Grün-Alternativen, vgl. Helmut Fogt, DIE GRÜNEN in den Parlamenten der Bundesrepublik -Ein Soziogramm, in: ZParl, 14 (1983); ders., Die Mandatsträger der GRÜNEN -Zur sozialen und politischen Herkunft der alternativen Parteielite, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/86, S. 16-33. Durch die deutsche Einigung hat sich das Berufs-profil der politischen Führungsschicht zusätzlich differenziert. Obwohl darüber zur Zeit noch keine systematischen Untersuchungen vorliegen, scheinen theologische und naturwissenschaftliche Berufsqualifikationen im Vordringen zu

  39. Vgl. Dietrich Herzog, Politische Karrieren -Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen, Opladen 1975.

  40. Vgl. Dietrich Herzog, Der moderne Berufspolitiker. Karrierebedingungen und Funktion in westlichen Demokratien, in: Eliten in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart

  41. Vgl. Robert Putnam, The Comparative Study of Political Elites, Englewood Cliffs, N. J„ 1976.

  42. Vgl. Ursula Hoffmann-Lange u. a. (Anm. 36); dies., Eliten und Demokratie in der Bundesrepublik, in: Max Kaase (Hrsg.), Politische Wissenschaft und politische Ordnung, Opladen 1986; Dietrich Herzog/Hilke Rebenstorf/Camilla Werner/Bernhard Weßels, Abgeordnete und Bürger, Opladen 1990.

  43. Man denke an extremistische Abgeordnete der GRÜNEN in ihrer frühen Entwicklungsphase oder an die gegenwärtigen Parlamentarier der PDS.

  44. Das ist das zentrale Thema von Karl-Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Demokratie. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, Villingen 1955.

  45. Dieser Begriff der „vertikalen Kommunikationsbeziehungen“ ist ein konzeptioneller Notbehelf. Er suggeriert ein autoritär-hierarchisches Verhältnis zwischen „oben“ und „unten“, während es sich in modernen, komplexen demokratischen Ordnungen, wie weiter oben erläutert, gewöhnlich um ein (laterales) Beziehungsgeflecht zwischen einem „Zentrum“ und den verschiedenen gesellschaftlichen Einheiten handelt, die ihrerseits mehr oder weniger Autonomie, eigene Sachkompetenz und zum Teil beträchtliche Eigenmacht besitzen.

  46. Empirische Nachweise darüber in: D. Herzog u. a. (Anm. 42).

  47. Bernhard Weßels, Abgeordnete und Bürger: Parteien und Wahlkreiskommunikation als Faktoren politischer Repräsentation, in: H. D. Klingemann/R. Stöss/B. Weßels (Anm. 25), S. 356.

  48. Die Bedeutung dieser inhaltlichen, auf politische Zielvorstellungen bezogenen „Repräsentativität“ politischer Führungsgruppen für ihre gesamtgesellschaftliche Steuerungskapazität ist von der klassischen Elitentheorie, so z. B. von Mosca, noch nicht gesehen worden.

  49. Vgl. U. Hoffmann-Lange u. a. (Anm. 36); dies., Eliten in der Bundesrepublik Deutschland, Habilitationsschrift, Universität Mannheim 1990, im Erscheinen.

  50. Vgl. P. Birnbaum (Anm. 32). Nach historischen Phasen ausgeprägter Spaltung („dissociation") hat gegenwärtig in Frankreich wieder eine starke „Fusion“ parlamentarischer und bürokratischer Machtträger eingesetzt.

  51. Vgl. Bärbel Steinkemper, Klassische und politische Bürokraten in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1974; Kenneth Dyson, Die westdeutsche „Parteibuch“ -Verwaltung, in: Die Verwaltung, 12 (1979); Hans-Ulrich Derlien, Soziale Herkunft und Parteibindung der Beamtenschaft, in: Der Bürger im Staat, 36 (1986), S. 39-44; ders. /R. Mayntz; Margot Fälker, Demokratische Grundhaltungen und Stabilität des politischen Systems: Ein Einstellungsvergleich von Bevölkerung und politisch-administrativer Elite in der Bundesrepublik, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), 32 (1991), S. 71-91. Für den internationalen Vergleich s. Joel Aberbach/Robert D. Putnam/Bert A. Rockmann, Bureaucrats and Politicians in Western Democracies, Cambridge, Mass., 1981.

  52. Kritisch dazu Klaus Seeman, Die Politisierung der Ministerialbürokratie in der Parteiendemokratie als Problem der Regierbarkeit, in: Die Verwaltung, 13 (1980), S. 137-156.

Weitere Inhalte

Dietrich Herzog, Dr. phil., geb. 1931; 1945 -1949 kaufm. Lehre in Staßfurt, danach Studium in Halle und an der FU Berlin; seit 1973 Professor für Politische Wissenschaft an der FU Berlin und Mitglied des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung. Veröffentlichungen u. a.: Klassengesellschaft ohne Klassenkonflikt. Eine Studie über W. Lloyd Warner und die Entwicklung der neueren amerikanischen Stratifikationsforschung, Berlin 1965; Politische Karrieren -Selektion und Professionalisierung politischer Führungsgruppen, Opladen 1975; Politische Führungsgruppen -Probleme und Ergebnisse der modernen Elitenforschung, Darmstadt 1982; (Hrsg, zus. mit August Pradetto und Helmut Wagner) Revolution und Rekonstruktion: Der Aufbau freiheitlicher Demokratien in Ostmitteleuropa, FU Berlin 1991.