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Amerika und Europa: Partner im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz | APuZ 51/1991 | bpb.de

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APuZ 51/1991 Amerika und Europa: Partner im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz Zurück in das nächste „amerikanische Jahrhundert“? Ferngelenkte Medienberichterstattung? Gefährdungen der Pressefreiheit in den USA Der Einfluß der Massenmedien auf die amerikanische Politik

Amerika und Europa: Partner im Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz

Charles Weston

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Umbrüche und Veränderungen im europäischen Staatensystem seit 1989 haben beiderseits des Atlantik eine lebhafte Debatte über die künftige Gestaltung des europäisch-amerikanischen Verhältnisses ausgelöst. Nach übereinstimmender Auffassung ist dieses Verhältnis für beide Partner auch in Zukunft von zentraler Bedeutung. Das gilt sowohl für die jeweiligen politischen und Sicherheitsinteressen, als auch für die wirtschaftliche Verflechtung. Die USA haben von Beginn an auf den europäischen Einigungsprozeß fördernd und hemmend eingewirkt. Einerseits lag es in ihrem eigenen Interesse, die Einigung der freiheitlich-demokratischen und marktwirtschaftlichen Staaten Europas voranzutreiben. Andererseits konzentrierte sich diese amerikanische Politik darauf, die politisch-strategische und wirtschaftliche Stellung der USA in Europa auch im Zuge der europäischen Integration auf eine Weise auszugestalten, die ihr ein Mitspracherecht sicherte. Im Rahmen des transatlantischen Verhältnisses kommt den deutsch-amerikanischen Beziehungen eine Schlüsselrolle zu. Die USA erwarten vom vereinten Deutschland zum einen die Übernahme größerer Verantwortung im Rahmen des weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Krisenmanagements. Zum zweiten ist zwischen europäischen Hauptstädten eine neue Lastenteilungsdiskussion im Hinblick auf Umfang, Art und Notwendigkeit von Finanzhilfe für die sich auflösende Sowjetunion und deren Republiken in Gang gekommen. Drittens beobachten Politiker in Amerika mit wachsender Aufmerksamkeit die Vorreiterrolle der deutschen und französischen Regierung, die EG möglichst bald zu einer politischen Union mit sicherheitspolitischen Kompetenzen zusammenzuführen. Viertens bestimmen handelspolitische Themen zunehmend die Tagesordnung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. In der umstrittenen Frage der Agrarsubventionen zeichnet sich inzwischen eine tragfähige Lösung in der Uruguay-Runde des GATT ab.

Die Frage nach dem Stand und den Entwicklungsperspektiven der amerikanisch-europäischen Beziehungen kann nur vor dem Hintergrund der Verschiebungen und Umwälzungen erörtert werden, die sich seit Ende der achtziger Jahre in der internationalen Politik vollziehen. Die Veränderungen betreffen Substanz und Struktur der internationalen Politik. Zentrale politische Kategorien wie „Macht“, „Sicherheit“ oder „Interesse“ unterliegen einem ebenso tiefgreifenden Bedeutungswandel wie die überkommenen Strukturen des internationalen Systems, insbesondere entlang der West-West-und der Ost-West-Achse. Der Nationalstaat als wichtigster Akteur des internationalen Staaten-systems gerät immer stärker in den Sog dynamischer Interdependenzgeflechte. Seine Kompetenz und Autorität werden zum einen durch die Verlagerung von Souveränität auf supranationale Entscheidungsträger und zum anderen durch die wachsende Bedeutung transnationaler Vorgänge und Gefährdungen (u. a. Überbevölkerung, Umweltbelastungen, Hunger und Armut, Wanderungsbewegungen und Flüchtlingsströme, weltweiter Drogenhandel, religiöser Fanatismus und Terrorismus, Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Raketentechnologie) ausgehöhlt Wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Konkurrenz, Kooperation und Integration verdrängen zunehmend militärisch-strategische Machtpolitik.

Diese tiefgreifenden Veränderungen in den Rahmenbedingungen der internationalen Politik, die nicht nur die weltpolitische Interessenformulierung und -Wahrnehmung der USA, sondern auch das Gefüge der amerikanisch-europäischen Beziehungen beeinflussen, lassen sich anhand von fünf Tatbeständen zusammenfassen:

1. Die Dynamik der internationalen Beziehungen beruht heute (zumindest in der West-West-und der Ost-West-Dimension) in erster Linie auf dem Tempo des politischen, sozio-ökonomischen und kulturellen Wandels; sie ergibt sich nicht mehr primär aus der Konkurrenz nationalstaatlicher Interessen. Risiken und Herausforderungen kreisen um die potentiellen Gefahren, die durch den rapiden gesellschaftlichen Wandel, insbesondere in Osteuropa und in den krisenträchtigen Regionen der Dritten Welt, entstehen.

2. Militärische Macht erscheint ungeachtet ihres wirksamen Einsatzes im Golf-Krieg derzeit eher als residuale denn als zentrale Kategorie der internationalen Politik. Sie leistet zwar einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung und zum Fortbestehen des Nationalstaates, vermag aber die neuen ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen nicht zu bewältigen.

3. Die gegenseitige Durchdringung von Staat und Gesellschaft im modernen Dienstleistungsstaat sorgt für eine engere Verzahnung von Innen-

und Außenpolitik und erhöht damit die Bedeutung wirtschaftlicher und sozialpolitischer Leistungen bei Bemühungen um politische Legitimität. 4. Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlich-technischer Leistungskraft und politischer Stabilität und Legitimität, aber auch militärischer Stärke, wirkte in den achtziger Jahren zunehmend auf den Ost-West-Konflikt ein und führte schließlich zu seiner Überwindung, weil sich die Sowjetunion als unfähig erwies, die wirtschaftlich-technische und politische Herausforderung durch den Westen zu bestehen. Systemsprengend wirkte der Zusammenhang zwischen der zur Entfaltung intensiver Wachstumspotentiale notwendigen Mobilisierung menschlicher Ressourcen und den Forderungen nach erweiterten individuellen Konsumchancen, Freiräumen und Beteiligungsmöglichkeiten. 5. Gestaltungsmacht in der internationalen Politik erwächst unter diesen Bedingungen wesentlich ausgeprägter als in der Vergangenheit aus wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und wissenschaftlich-technischem Erfindungsreichtum.

Wirtschaftliches Wachstum stellt diejenigen Werte bereit, auf die sich die Bestrebungen der Weltbevölkerung heute hauptsächlich richten:

Sicherung der Grundbedürfnisse, materieller Wohlstand und Lebensqualität. Diese wirtschaftlich-technische Gestaltungsmacht unterliegt jedoch anderen Gesetzmäßigkeiten als traditionelle, auf militärischer Stärke beruhende Macht.

Ihre Ressourcen entstehen erstens zu einem beträchtlichen Anteil aus dem Zusammenspiel grenzüberschreitender Interaktionen wirtschaftlicher Akteure (z. B. Unternehmen) in internationalen Märkten. Zweitens beruht diese Form der Gestaltungsmacht auf intensiven, wenn auch ungleichgewichtigen, gegenseitigen Abhängigkeiten wirtschaftlich-technischer und politischer Art, deren Beeinträchtigung schwer überschaubare Kosten verursachen müßte Wirksam mobilisieren läßt sich Gestaltungsmacht nur über systematische politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit auf zwischenstaatlicher Ebene. Dabei werden klare Rangordnungen der politischen Zielsetzungen von Staaten überlagert und verdrängt durch zwischenstaatliche Kooperation und Konkurrenz mit vielfältigen Verknüpfungen von Problembereichen und wechselnden Prioritäten.

I. Gestaltungskonzepte im Widerstreit: Europäische Union versus Weltordnungsidee

Wichtiger Bestandteil und Katalysator des Strukturwandels im internationalen System sind die grundlegenden Veränderungen im europäischen Staatensystem, die seit 1989 beiderseits des Atlantik eine lebhafte Debatte über die künftige Gestaltung des amerikanisch-europäischen Verhältnisses ausgelöst haben. Nach übereinstimmender Auffassung ist dieses Verhältnis auch künftig für beide Seiten von überragender Bedeutung. Das gilt sowohl für die jeweiligen politischen und Sicherheitsinteressen als auch für die wirtschaftliche Interdependenz und kulturelle Verflechtung.

Die Vereinigten Staaten haben seit Beginn der europäischen Integration, die sich zunächst auf Westeuropa bezog und seit Ende der achtziger Jahre auch die Staaten Mittel-und Osteuropas einbezieht, eine zugleich fördernde wie hemmende Rolle gespielt Zum einen trafen die USA die strategische Grundentscheidung, den Zusammenschluß und die Einigung der freiheitlich-demokratischen, marktwirtschaftlich orientierten europäischen Staaten im wohlverstandenen Eigeninteresse zu unterstützen. Andererseits zielte die amerikanische Politik darauf ab, die politisch-strategische Stellung der USA in Europa auch im Zuge der europäischen Einigung auszubauen, damit ihr Recht auf Mitsprache und Mitgestaltung gewahrt blieb.

Die europäische Integration vollzieht sich als dialektischer Prozeß innerstaatlich und innereuropäisch. Auch die amerikanische Mitwirkung folgt diesem Entwicklungsmuster. Auf der einen Seite herrscht in Washington die Auffassung vor, die Einigung Europas bewirke eine Befriedung und Stabilisierung des Kontinents, der Amerika in zwei Weltkriege verstrickt hatte. Die wirtschaftliche und politische Integration Europas, insbesondere Frankreichs und Deutschlands, erzeugt eine gegenseitige Abhängigkeit, Interessenverflechtung und Transparenz, die Kriege zumindest im EG-Rahmen unmöglich macht. Nach den großen Opfern der beiden Weltkriege lagen wirksame Friedens-und Stabilitätsgarantien in Europa auch im amerikanischen Interesse. In der Wahrnehmung Washingtons mindert ein geeintes und gestärktes Europa nicht nur die Last der amerikanischen Rolle als Friedensstifter und Schutzmacht in Europa es wäre darüber hinaus in der Lage, ein höheres Maß an weltpolitischer und weltwirtschaftlicher Verantwortung zu übernehmen und damit die USA zu entlasten. Andererseits läßt sich nicht bestreiten: Ein sich wirtschaftlich und politisch zusammenschließendes Europa schwächt die wirtschaftliche Stellung und den politischen Einfluß der Vereinigten Staaten auf dem alten Kontinent.

An der Wiege des europäischen Integrationsprozesses standen demgemäß auch zwei strukturbildende politische Ordnungsentwürfe: Auf der einen Seite der Einigungsimpuls mit dem Ziel der Europäischen Union und zum anderen die amerikanische . Weltordnungsidee.

II. Neue Rollenbestimmung beiderseits des Atlantik

Die beiden entscheidenden neuen Rahmenbedingungen der internationalen Politik bezogen auf Europa -die demokratischen Umbrüche in Mittel-und Osteuropa und die Perspektive des europäischen Binnenmarktes mit der Wirtschafts-, Wäh-rungs-und Politischen Union -verleihen dem alten Kontinent eine neue Gestalt. Der westliche Teil Europas wirkt wegen seiner wirtschaftlichen Leistungskraft als Magnet auf den östlichen. In dem Maße, in dem sich der Binnenmarkt nicht nur vertieft, sondern auch erweitert, wird man in Zukunft den Begriff vom transatlantischen Verhältnis neu fassen müssen. 1. Die wirtschaftliche Dimension Gerade die veränderten internationalen Rahmenbedingungen machen sichtbar, daß sich das transatlantische Beziehungsmuster nicht auf die militär-und sicherheitspolitische Dimension reduzieren läßt. Vielmehr hat sich als Teil der amerikanisch-europäischen Binnenstruktur eine transatlantische Mehrfachbindung herausgebildet. Sie betrifft zum einen gemeinsame Werte, zum anderen eine Mischung aus gleichgerichteten und konkurrierenden Wirtschafts-und Handelsinteressen. Die Gemeinsamkeiten rücken um so mehr ins Bewußtsein, desto stärker die mittel-und osteuropäischen Staaten ihre „diktatorischen Altlasten“ abstreifen und sich an den freiheitlichen Regierungsund Wirtschaftsformen des Westens orientieren. Dennoch hat die viel beschworene Wertegemeinschaft Entfremdungen -wie die Vergangenheit zeigt -nicht verhindern können. Sie hat aber mit dazu beigetragen, sie einzuhegen und auszubalancieren.

Wirtschaft, Handel und Währung als Strukturelemente des transatlantischen Beziehungsgefüges waren lange Zeit mit den sicherheitspolitischen Interessen verknüpft. Den Vereinigten Staaten kam dabei eine doppelte Rolle zu. Sie nahmen zum einen Funktionen als militärische Schutz-und Ordnungsmacht wahr, zum anderen spielten sie bis zu Beginn der siebziger Jahre auch eine bestimmende Rolle im wirtschafts-, währungs-und handelspolitischen Bereich. Ebenso waren sie in der Lage, aus ihrer sicherheitspolitischen Führungsrolle wirtschafts-und handelspdiftischen Nutzen zu ziehen Trotz der gegenseitigen Abhängigkeit der Bereiche Sicherheit sowie Wirtschaft/Handel gelang es den Europäer auf ökonomischem, fi-nanzund währungspolitischem Gebiet, sich allmählich von den USA zu emanzipieren und zu einer gleichwertigen Wirtschaftsund Handelsmacht sowie zu einem ebenbürtigen Konkurrenten heranzuwachsen. Diese Strukturveränderung im transatlantischen Verhältnis vollzog sich als Ergebnis erfolgreicher amerikanischer Politik, die seit dem Zweiten Weltkrieg darauf abzielte, das zerstörte Europa aufzubauen.

Die USA und die westeuropäischen Staaten stehen aber nicht nur in einem Konkurrenzverhältnis, sie sind auch miteinander verzahnt. Amerika bliebe selbst nach dem militärischen Rückzug wirtschaftlich in Europa präsent, wie auch Europa in den USA engagiert bleibt. Die gegenseitigen Direktinvestitionen zeigen deutlich die interkontinentale Verklammerung beider Regionen Wenngleich der transpazifische Handel der Vereinigten Staaten doppelt so groß ist wie der transatlantische, wird dadurch lediglich eine kommerzielle Verbindüng hergestellt, während Investitionen die Volkswirtschaften miteinander verklammern. 60 Prozent der amerikanischen Gesamtinvestitionen entfallen auf die westeuropäischen Industriestaaten, und allein 40 Prozent der US-Auslandsinvestitionen werden in der EG getätigt. Knapp die Hälfte aller Firmenaufkäufe in der EG werden von Amerikanern vorgenommen -insgesamt gibt es also eine enge Verflechtung zweier annähernd gleich starker und großer Wirtschafts-und Handelspartner.

Beschleunigt wird die Gewichtsverschiebung in den transatlantischen Wirtschafts-und Handelsbeziehungen durch den sich auflösenden Ost-West-Konflikt. Die sicherheitspolitische Vormachtstellung der USA ist nicht mehr geeignet, die Europäer wirtschafts-und handelspolitisch mit dem Hinweis auf die sowjetische Bedrohung unter Druck zu setzen. Hinzu kommt die Dynamik des europäischen Integrationsprozesses sowie die Öffnung gegenüber den Reformstaaten Mittel-und Osteuropas.

Die Geschichte der amerikanischen Anpassung an die wachsende Bedeutung der europäischen wirtschaftlichen Integration ist ein klassisches Beispiel für die Wirkung objektiver Faktoren in der internationalen Politik. Trotz der anfangs kritischen Haltung Amerikas gegenüber dem europäischen Binnenmarkt-Programm nahm das Thema „Euro-pa 92“ rasch einen wichtigen Platz auf der wirt-Schaftsund handelspolitischen Tagesordnung der USA ein. Es beflügelte den amerikanischen Unternehmergeist, zumal die US-Wirtschaft im großen europäischen Binnenmarkt neue Export-und Investitionschancen sieht. Die deutsche Einheit und die Magnetwirkung der EG auf die EFTA und Mittel-und Osteuropa haben eine beträchtliche Verstärkung des amerikanischen Interesses an Europa bewirkt Hinzu kam die wachsende Einsicht, daß Freihandelszonen in Nord-und Mittelamerika sowie die Aufsplitterung in Regionalblökke keine lohnenswerte Alternative zum offenen multilateralen Handelssystem des GATT bilden. Außerdem liegt die kooperative Ausgestaltung des Handels-und Mächtedreiecks Nordamerika, Japan, Europa durch gegenseitige Öffnung der Güter-und Kapitalmärkte sowohl im nationalen als auch im Weltordnungsinteresse der Vereinigten Staaten.

Neben diesen kooperativen und integrativen Aspekten in den Handelsbeziehungen zwischen USA und EG gibt es Konfliktpotentiale in drei Sachbereichen:

Im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT ist der transatlantische Streit um die Stützung des Agrarsektors eines der wichtigsten Hindernisse für eine schnelle Kompromißlösung. Die amerikanische Sensitivität im internationalen Agrarhandel erklärt sich einerseits aus dem hohen Anteil landwirtschaftlicher Produkte an den gesamten Exporterlösen und andererseits aus den komparativen Vorteilen in der Erzeugung landwirtschaftlicher Güter Während die US-Regierung zunächst einen völligen Abbau aller Agrarsubventionen bis zum Jahre 2000 festschreiben wollte, war die EG zu solch weitreichenden Maßnahmen nicht bereit. Einig ist man sich über das allgemein formulierte Ziel einer substantiellen und schrittweisen Verringerung der Agrarsubventionen.

Eine andere Kontroverse in den transatlantischen Handelsbeziehungen entspringt den europäischen Bemühungen um den Aufbau einer international wettbewerbsfähigen Flugzeugindustrie. Die Subventionen für das Airbus-Projekt stoßen in den USA auf scharfe Kritik, während europäische Befürworter der staatlichen Hilfen auf die erheblichen staatlichen Subventionen hinweisen, welche die beiden Weltmarktführer Boeing und McDon-nel-Douglas über Rüstungsaufträge erhalten.

Im Sektor Telekommunikation werfen die USA der EG vor, durch protektionistische Regelungen amerikanischen Herstellern den Zugang zum europäischen Markt zu erschweren.

Angesichts der gewachsenen Macht-und Interessengruppen gestaltet sich die Durchführung von im Inland unpopulären Maßnahmen zur Förderung des Freihandels und zur Verstärkung der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung zunehmend schwieriger. Zudem sprechen manche Anzeichen dafür, daß die EG das durch die Verwirklichung des Binnenmarktes neu gewonnene Vertrauen und Selbstbewußtsein nicht zu weitreichenden Liberalisierungsschritten nutzen will, sondern eher zu einer härteren Haltung gegenüber den USA und Japan 2. Die außen-und sicherheitspolitische Dimension Während Europa und die USA in der Wirtschaftsund Handelspolitik als zwei ebenbürtige Partner gleichgerichtete und konkurrierende Interessen verfolgen, gilt EG-Europa auf außen-und sicherheitspolitischem Feld keineswegs als gleichwertiger Akteur. Nicht nur nach amerikanischer Auffassung hat die außenpolitische Harmonisierung in der EG ihre Bewährungsprobe noch zu bestehen. Nachdem sie in der Golf-Krise erhebliche Schwächen zeigte, stellt sie die östliche Nachbarregion der EG vor große Herausforderungen. Erfolg und Scheitern der EG-Diplomatie gegenüber den ethnischen Konflikten und Grenzstreitigkeiten in Jugoslawien, der Sowjetunion und anderen potentiellen osteuropäischen Krisenherden werden die amerikanische Einschätzung der internationalen Bedeutung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit entscheidend bestimmen.

Die politische und militärische Struktur des atlantisch-westeuropäischen Kooperationsverbundes und Sicherheitssystems hat sich seit 1989 grundlegend verändert:

-Deutschland hat seine staatliche Einheit wiedererlangt und bleibt nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation Mitglied der Atlantischen Allianz. Damit ist eine innenpolitische Auseinandersetzung über die Legitimität der NATO beendet worden, die in der Bundesrepublik bis in das Jahr 1990 hineinreichte. An diese Stelle ist eine Diskussion über die Reform der NATO getreten. -Die Vereinigten Staaten bleiben mit sowjetischer Zustimmung in Europa gebunden. Es handelt sich dabei nicht nur um einen diploma-tischen Triumph, sondern um eine politische Veränderung von weitreichender Bedeutung, -Begleitet von der Auflösung der alten Sowjetunion ist ein grundlegend neues Verhältnis zwischen den USA und der „Union souveräner Republiken“ wie auch zwischen NATO und Moskau entstanden. Ebenso haben sich die osteuropäischen Staaten weitgehend demokratisiert und streben möglichst enge Beziehungen zu Westeuropa und den Vereinigten Staaten an -dazu zählt auch das starke Interesse an einer Assoziierung und späteren Mitgliedschaft in ehemals „feindlichen“ westlichen Organisationen wie der Europäischen Gemeinschaft, der Westeuropäischen Union (WEU) oder der NATO. -Die wichtigste Veränderung betrifft jene, die durch Verträge mit beträchtlicher politischer Bindungswirkung programmiert ist. Es handelt sich dabei um die strategische Entflechtung, d. h.den vollständigen Rückzug der Sowjetunion hinter eigene Grenzen, und zwar unter vertraglichen Bedingungen, die jede Rückveränderung dieser Situation ausschließen Damit hat sich die militärische und politische Lage wesentlich zugunsten Westeuropas verändert, während gleichzeitig in den Staaten Mitteleuropas ein Sicherheitsvakuum entstanden ist.

Als Antwort auf diese sicherheitspolitischen Entwicklungen sind in NATO, WEU, EG und KSZE Reformen eingeleitet worden, die eine Überprüfung des bisher geltenden Prinzips der Aufgaben-teilung und -abgrenzung zwischen diesen Organisationen und Institutionen notwendig machen. Es stellt sich die Frage, wie das Verhältnis zwischen diesen Organisationen und Foren neu geregelt werden kann, ohne daß zuviel Reibungsverluste entstehen und ohne daß westliche Sicherheitspartner wie die USA ausgegrenzt werden Derzeit konkurrieren diese Organisationen um ihre Rolle im künftigen europäischen Sicherheitssystem.

Die entscheidenden Fragen lauten: Wer kann Stabilität gewährleisten? Welches sind die Organisationen und Institutionen, die angesichts neuer grenzüberschreitender Gefährdungen (Nationalitätenstreit, Minderheitenprobleme, Grenzstreitigkeiten, Flüchtlingsströme und Wanderungsbewegungen, Umweltbelastungen, wirtschaftliche Dauerkrisen und politische Instabilität in Europa, Verbreitung von Massenvemichtungswaffen und Raketentechnologie außerhalb Europas) Sicherheit vermitteln und zu friedlichem Wandel und politischer Konfliktregelung beitragen können? Als Problemlösungsinstanzen und Stabilitätsproduzenten sind jene Institutionen und Foren gefordert, denen bei der Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsstrukturen zu einer euro-atlantischen Gemeinschaft eine maßgebliche Rolle zufällt.

Den wichtigsten gesamteuropäischen Organisationsprozeß im Bereich der Sicherheitspolitik stellt die KSZE dar. Vom Abschluß der Helsinki-Konferenz im Jahre 1975 bis zur Verabschiedung der Charta von Paris für ein neues Europa 1990 ist ein außerordentlich vielgestaltiges System der Kommunikation und Kooperation in Europa entwickelt worden, das unter Einbeziehung der USA und Kanadas gesamteuropäische Sicherheit in hohem Maße zu entwickeln und zu stabilisieren vermag. Die friedens-und integrationsstiftende Funktion der KSZE liegt darin, daß sie ein institutionelles Gerüst für die gesamteuropäische Abstimmung und Zusammenarbeit in den sechs Sachbereichen Sicherheit, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, Menschen-und Minderheitenrechte, Umwelt und Kultur errichtet hat. Die KSZE erfüllt darüber hinaus im Zusammenwirken mit EG und NATO eine Dach-und Klammerfunktion, weil sie die europäische Bindung und Verantwortung Mittel-und Osteuropas, insbesondere der Sowjetunion, stärkt.

Die KSZE soll zu einem tragfähigen gesamteuropäischen Sicherheitsrahmen ausgebaut werden. Allerdings bleibt die KSZE mit 38 Mitgliedstaaten, der Möglichkeit des Vetos durch einen einzigen Staat und ohne handlungs-und durchsetzungsfähige Exekutive auf absehbare Zeit mit strukturellen Schwächen belastet, die ihre Wirksamkeit einschränken.

Die Europäische Gemeinschaft bildet einen weiteren Stützpfeiler der europäischen Friedens-und Sicherheitsordnung. Der Prozeß der europäischen Integration hat in den achtziger Jahren eine qualitativ neue Stufe erreicht. Mit dem Binnenmarkt-Programm und der Perspektive der Wirtschafts-, Währungs-und Politischen Union hat die EG zusätzlich an Ausstrahlungskraft gewonnen.

Da die Europäische Gemeinschaft nicht das gesamte Europa umfaßt, muß sie auch anderen europäischen Ländern offenstehen. Dies gilt nicht nur für die sieben EFTA-Staaten, die ab 1993 zusammen mit der EG einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bilden sondern auch für die Länder Mittel-, Ost-und Südosteuropas, sofern sie die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür erfüllen. Ein wichtiger Schritt ihrer EG-Anbindung besteht in einer Öffnung des EG-Markts und in einer EG-Assoziierung, die Polen, die CSFR, Ungarn, Bulgarien und die baltischen Staaten anstreben. Die EG ist für die Sowjetunion und die osteuropäischen Staaten zum wichtigsten Partner bei der umfassenden Modernisierung ihrer Volkswirtschaften geworden. Neben ihrer Rolle als wirtschaftliche Stütze der transatlantischen Zusammenarbeit und Verknüpfung gilt die EG als wichtigste Anlaufstelle für die Eingliederung der post-kommunistischen Reformstaaten in die wirtschaftliche und politische Neugestaltung Europas. Die Zwölfergemeinschaft kann geradezu als Modell für staatenübergreifende Strukturen dienen, und zwar deshalb, weil sie supranationale Integrationsprozesse bewußt mit der Pflege der Vielfalt nationaler Kulturen und Traditionen verbindet.

Unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Interessen und ausgeprägte Status-und Prestigebedürfnisse haben bisher allerdings die Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Außen-und Sicherheitspolitik behindert. Gerade Instabilität, Krisen und kriegerische Konflikte in Ost-, Südosteuropa und europäischen Nachbarregionen zeigen, wie vordringlich ein stärkeres außen-und sicherheitspolitisches Profil der EG mit der Fähigkeit zur Krisenvorsorge, -Steuerung und -beilegung ist.

Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit innerhalb Westeuropas hat bisher eine Reihe von Aufgaben erfüllt. Neben der nunmehr entfallenen Abschreckungsfunktion gegenüber dem Warschauer Pakt besteht eine andere wichtige Aufgabe in der Sicherung bündnisinterner Stabilität und der Machtbalance unter den Allianzmitgliedern, wobei die Kontrolle und Einbindung der Bundesrepublik Deutschland eine besondere Rolle spielte. Zusätzliche politische Funktionen nimmt die sicherheitspolitische Zusammenarbeit Westeuropas gegenüber den Vereinigten Staaten wahr. Sie dient der stabilitätsfördernden und friedenserhaltenden sicherheitspolitischen Verkoppelung Nordamerikas mit Europa und sichert Westeuropa Einflußmöglichkeiten auf die Gestaltung amerikanischer Außen-und Sicherheitspolitik.

Maßgebliche Bedeutung kam dabei immer einer engen Abstimmung zwischen Bonn und Paris zu.

Die breit angelegte deutsch-französische Zusammenarbeit im Rahmen der WEU, der EG bzw.der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) wird in der Bundesrepublik als Angelpunkt einer neuen europäischen Ordnung angesehen. Der deutsch-französische Vorstoß in Richtung auf eine gemeinsame Verteidigungsidentität zielt auf eine Bündelung sicherheitspolitischer Aufgaben bei der WEU mit Bindungen sowohl an die Europäische Politische Union als auch an die NATO Ferner taucht die WEU im Angebot Genschers und des amerikanischen Außenministers an die Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts zu einer Mitarbeit in den Konsultationsmechanismen der NATO und zur Gründung eines Kooperationsrates auf In der Regel soll dieses Gremium auf der Botschafterebene zusammenkommen, von Zeit zu Zeit auch als Treffen der Außenminister stattfinden. Den osteuropäischen „Liaisonländern“ sollen nach den Vorstellungen Bakers und Genschers auch andere NATO-Gremien offenstehen, etwa der Politische und der Wirtschaftsausschuß sowie die Planungssitzungen zum Zivil-und Umweltschutz.

Ungarn, Polen, die CSFR und auch die Sowjetunion haben dem Gedanken einer Zusammenarbeit mit dem westlichen Bündnis zugestimmt. Die transatlantische Verknüpfung, die europäische Integration und das Zusammenwirken mit dem Osten sollen Halteseile bilden. Die Kürzel KSZE, NATO, EG mit künftig assoziierten mittelosteuropäischen Staaten, Europarat und WEU stehen für eine vielfältige Verschränkung. Die Veränderung des Sicherheitsbegriffs vom Militärischen zum vorwiegend Politischen und Wirtschaftlich-Sozialen bei der Demokratisierung des Ostens verleiht der Vorstellung eines arbeitsteiligen Kooperationsverbunds der KSZE-Mitgliedstaaten und der sich aus der Sowjetunion lösenden Republiken Gewicht. Es geht sowohl um den Aufbau eines dichteren Konsultationsnetzes im Verhältnis NATO, WEU, EPZ als auch um eine deutlichere Kompetenzabgrenzung zwischen den einzelnen Institutionen. Die Arbeitsteilung zwischen der atlantischen und der westeuropäischen Ebene wird insofern erleichtert, als sich die meisten EG-Staaten nicht veranlaßt sehen, eine eigene Verteidigungsgemeinschaft außerhalb oder neben der NATO aufzubauen. Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Atlantischer Allianz und WEU liegt keinesfalls im gesamtwestlichen Sicherheitsinteresse. Das Verhältnis zwischen NATO und WEU ist vielmehr komplementärer Natur. Die WEU kann als europäischer Pfeiler der NATO oder als Brücke zwischen westlicher Allianz und EG dienen. In Krisen sollte die WEU alle NATO-Mitglieder konsultieren und nach Absprache die Berechtigung erhalten, ihre der NATO unterstellten Truppen für friedenssichemde Operationen außerhalb des Bündnisgebietes einzusetzen. Eine Bündelung europäischer Kräfte kommt dem amerikanischen Interesse an einer Lastenteilung in der westlichen Allianz entgegen

Eine sich erneuernde und stärker politisch ausgerichtete NATO wird in den neunziger Jahren eine Reihe unverzichtbarer Funktionen wahrnehmen müssen: -als Sicherheitsgarant, Friedensgestalter, Stabilitätsproduzent, Beratungs-und Abstimmungsinstrument bei der Errichtung einer dauerhaften europäischen Friedens-und Sicherheitsordnung; -als wichtigste Legitimationsgrundlage und geeigneter Rahmen für die feste politische Anbindung Nordamerikas an Europa. Allein die USA sind in der Lage, das militärische Potential und den geostrategischen Vorteil der nuklearen Weltmacht Sowjetunion/Rußland auszugleichen. Die Vereinigten Staaten bleiben eine politische Ordnungsmacht in Europa, die Instabilitäten in der europäischen Staatenwelt entgegenwirken kann

-als Rahmen für die Einbindung deutscher Streitkräfte in gemeinsame Verteidigungsstrukturen. Die NATO stellt einen integrationsstiftenden militärischen und politischen Verbund bereit, der einem Abgleiten der Sicherheitspolitik in die nationalstaatliche Isolation vorbeugt; -als Instrument militärischer und politischer Risiko-und Sicherheitsvorsorge bleibt die NATO eine Rückversicherung gegen einen Rückfall in die Remilitarisierung der Ost-West-Beziehungen; -als Organisation, welche die sich in einem Sicherheitsvakuum befindlichen Staaten Mittel-und Osteuropas in transatlantische Konsulta-

tions-und Kommunikationsprozesse einzubinden vermag;

-als Forum, das die Politik Europas und Amerikas gegenüber Krisenherden und Gefährdungen (Regionalkonflikte im Nahen und Mittleren Osten, Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Raketentechnologie)

außerhalb des Bündnisgebiets aufeinander abstimmt.

Die westliche Allianz wird nicht mehr die bestimmende Institution in Europa darstellen -sie bildet ein wichtiges Element in einer arbeitsteiligen institutioneilen Verbundstruktur. Künftig geht es nicht mehr um die Wahrnehmung von Sicherheitspolitik in einer Institution, sondern in einem Netzwerk sich ergänzender Institutionen. Gerade der Golfkrieg, also ein Nicht-NATO-Fall, hat verdeutlicht, daß rasche und wirksame Reaktionen des Westens davon abhängen, ob die NATO als Rückversicherung bestehen bleibt als der Rahmen, in dem politischer Rückhalt gewährt und Infrastruktur, Logistik und vieles andere verfügbar bleiben. Deutschland kommt in den Bemühungen um eine Erneuerung der transatlantischen Beziehungen eine Schlüsselrolle zu.

III. Zukunftsaufgaben im deutsch-amerikanischen Verhältnis

Die neue Rolle Deutschlands auf der internationalen Bühne wird in Zukunft immer stärker die bilateralen deutsch-amerikanischen Beziehungen beeinflussen. Die Bundesrepublik Deutschland ist international gefordert: Von der Bundesrepublik wird zum einen die Übernahme größerer Verantwortung im Rahmen des weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Krisenmanagements erwartet.

Zum zweiten ist innerhalb des Westens und speziell im deutsch-amerikanischen Verhältnis eine neue Lastenteilungsdiskussion im Hinblick auf Umfang, Art und Notwendigkeit von Finanzhilfe für die sich auflösende Sowjetunion und deren Republiken in Gang gekommen. Drittens beobachten Politiker in Amerika mit wachsender Aufmerksamkeit die Vorreiterrolle der deutschen und der französischen Regierung, die EG möglichst bald zu einer politischen Union mit sicherheitspoli-tischen Kompetenzen zusammenzufügen. Viertens beeinflussen handelspolitische Differenzen, insbe-. sondere die Frage des freien Welthandels und offener Weltmärkte, zunehmend die transatlantischen bzw.deutsch-amerikanischen Beziehungen. In der umstrittenen Frage der Agrarsubventionen zeich9 net sich inzwischen eine tragfähige Lösung in der Uruguay-Runde des GATT ab

Die Bundesrepublik Deutschland wird als Partner und engster europäischer Verbündeter der USA aufgrund ihrer geographischen Lage, ihres gestiegenen politischen Gewichts und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in wachsendem Maße von Washington gefordert werden. Das versteht die amerikanische Regierung unter „partnership in leadership“ Diese Führungsrolle als Partner anzunehmen und auszufüllen, daran muß sich die Bundesrepublik erst noch gewöhnen. Die Annahme dieser Herausforderung beinhaltet jedoch gleichzeitig eine große Chance, die internationale Politik in Zukunft entscheidend mitgestalten zu können. Vor diesem Hintergrund stellen sich für die Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen drei Strukturprobleme und wesentliche Aufgaben:

Erstens geht es darum, die Sicherheitspartnerschaft und Wertegemeinschaft unter veränderten weltpolitischen Rahmenbedingungen lebensfähig zu erhalten. In der Sicherheitspolitik achten die USA sehr darauf, wie die Diskussionen in Europa zum Thema WEU und NATO geführt werden. Kernfrage ist in diesem Zusammenhang, ob sich vor allem französische Vorstellungen durchsetzen können, die WEU zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsagentur auszubauen, die in Konkurrenz zur NATO treten könnte. In einer Rede während seines USA-Besuchs im September 1991 machte Bundeskanzler Kohl deutlich, daß es für Deutschland nicht akzeptabel sei, europäische Sicherheitsstrukturen zu schaffen, die in der Substanz eine Schwächung der transatlantischen, sprich der amerikanischen Komponente, zulassen Die NATO ist und bleibt die politische und militärische Organisation, durch die für Europa am wirkungsvollsten Frieden und Sicherheit gewährleistet werden kann.

Die Vereinigten Staaten halten eine stärkere Beteiligung der Bundesrepublik an den Bemühungen um die Bewahrung politischer Stabilität und die Förderung friedlicher Konfliktlösungen auch außerhalb des NATO-Gebietes für angemessen. Ansatzweise nimmt Deutschland in Abstimmung mit den USA seine gestiegene weltpolitische Verantwortung in verschiedenen Regionen und Problemfeldern wahr:

-Gemeinsam mit den Vereinigten Staaten verfolgt die Bundesrepublik das Ziel, für Kambodscha eine dauerhafte Friedensregelung innerhalb des vom UN-Sicherheitsrat vorgegebenen Rahmens zu verwirklichen. -Deutschland beteiligt sich an den westlichen Bemühungen, die Volksrepublik China und Nordkorea für Grundsatzfragen wie Menschenrechte und Nichtverbreitung von ABC-Waffen und Raketen zu gewinnen. -In Mittel-und Lateinamerika hat Deutschland wichtige Beiträge zur Wahlbeobachtung in Nicaragua und El Salvador geleistet und fördert durch seine Entwicklungshilfepolitik wirtschaftliche Gesundung, politische Stabilität, den Umweltschutz und die Bekämpfung des Drogenproblems. -In Afrika hat die Bundesrepublik eine wichtige Rolle übernommen, indem sie Hilfe zur Selbsthilfe bei der Bekämpfung von Hunger, Armut und Überbevölkerung leistet. Darüber hinaus stellen die politischen Stiftungen in Deutschland einer Reihe von afrikanischen Staaten Ressourcen, Know-how und Personal zur Verfügung. -Die politische Rückendeckung sowie die umfangreiche Finanzhilfe und logistische Unterstützung Deutschlands waren entscheidende Faktoren für die Vertreibung Iraks aus Kuwait und für den Schutz Israels während des Golf-krieges

Gerade im Hinblick auf Finanz-und technische Hilfen für die Sowjetunion und deren Republiken ist -wie im Golfkrieg -eine stärkere Internationalisierung der Lastenteilung unumgänglich. Deutschland kann keineswegs die Rolle des alleinigen Zahlmeisters in der Welt übernehmen. Die Bundesrepublik hat den Reformprozeß in Mittel-, Ost-und Südosteuropa seit 1989 mit mehr als 90 Milliarden Mark unterstützt; 56 Prozent aller Hilfen für die Sowjetunion und 32 Prozent aller Leistungen für die Staaten des früheren Ostblocks sind von Bonn finanziert worden. Dabei ist die Bundesrepublik nach Regierungsaussagen bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gegangen Gleichwohl beteiligt sie sich mit der EG, den USA und Japan an weiteren multilateralen Anstrengungen. Die zweite Herausforderung der transatlantischen, und damit auch der deutsch-amerikanischen Beziehungen besteht darin, die wirtschaftliche Verflechtung für die ständige Vertiefung der politischen Bindungen zu nutzen. Der deutsche Exportweltmeister benötigt den riesigen Markt des amerikanischen Kontinents für Absatz, Investitionen und wirtschaftliche Arbeitsteilung. Amerika braucht umgekehrt den deutschen Fürsprecher im europäischen Binnenmarkt, wenn es eine einflußreiche Stellung im neuen Europa behalten will. Die atlantische Zeitenwende vollzieht sich also dadurch, daß die Partnerschaft vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts abgelöst werden kann durch eine Interessengemeinschaft der Stabilitätsproduzenten und Problemloser

Die dritte Herausforderung der deutsch-amerikanischen Beziehungen liegt darin, die kulturelle Dimension des transatlantischen Verhältnisses wiederzuentdecken. Wer nach den Ursachen für die aktuellen Eigenheiten deutsch-amerikanischer Kulturbeziehungen forscht, wird auf ein Geflecht von Gründen treffen, dessen wesentliche Faktoren demographischer Natur sind. In den Vereinigten Staaten verändert sich das Bevölkerungsgefüge durch das Verschwinden der Kriegs-und Nachkriegsgeneration einerseits, durch Zuwanderung und generatives Verhalten von asiatischen und hispanischen Minderheiten andererseits. In den sechziger Jahren waren noch etwa vier Fünftel aller Amerikaner europäischen Ursprungs, zu Beginn des nächsten Jahrtausends bestenfalls noch eine knappe Mehrheit, und im Jahre 2010 werden die Amerikaner europäischer Abstammung eine Minderheit bilden. Diese Verschiebungen in der ethnischen Zusammensetzung der US-Bevölkerung können für die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht ohne gravierende Folgen bleiben. Der intensive Handel mit Japan und Südostasien sowie der rasch wachsende Anteil von Afro-Amerikanern, Latinos und Asiaten an der US-Bevölkerung sorgen für eine zunehmende Westund Süd-orientierung der Vereinigten Staaten.

Dieser Abwendung von Europa will auch die Bundesrepublik durch eine Erweiterung deutsch-amerikanischer Austausch-und Kulturprogramme entgegenwirken. Im September 1991 wurde in Kalifornien, wo bereits über die Hälfte aller Studienanfänger asiatischer und hispanischer Abstammung ist, an der Universität Berkeley ein „Zentrum für deutsche und europäische Studien“ eröffnet Ähnliche Einrichtungen, die jährlich mit 1, 5 Millionen Mark finanziert werden, bestehen schon an der Harvard-Universität in Boston und an der Georgetown-Universität in Washington.

Dem Ziel eines Abbaus wechselseitiger Informations-und Wissensdefizite dienen ferner vielfältige Initiativen, die die deutsche und amerikanische Regierung in jüngster Zeit ergriffen haben. Dazu zählen u. a. die Gründung einer RIAS-Stiftung, die Informationsund Austauschprogramme mit den fünf neuen Bundesländern fördern soll. Zielgruppen bilden dabei Journalisten aus den Print-und elektronischen Medien, Medienexperten und Studenten. Das deutsch-amerikanische Austauschprogramm für junge deutsche politische Führungskräfte und Kulturschaffende ist auf die neuen Bundesländer ausgedehnt worden; dies gilt auch für das Fullbright-Programm, in dessen Rahmen ein breit angelegter Wissenschaftleraustausch stattfindet.

Ergänzt werden diese Anstrengungen durch eine Erweiterung des seit den fünfziger Jahren bestehenden Jugend-und Schüleraustausches mit Kultur-und Bildungsprogrammen. Die Übergabe von Bibliotheksbeständen aufgelöster militärischer Stützpunkte der USA in der alten Bundesrepublik an Bibliotheken in den neuen Bundesländern, die Errichtung eines Amerika-Hauses in Leipzig und die bereits erwähnten Programme verfolgen das Ziel, durch Informationsvermittlung und Vertrauenswerbung ein wirklichkeitsgetreues Bild Amerikas zu zeichnen.

Wer über die Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen nachdenkt, der muß die junge Generation in den Mittelpunkt seiner Überlegungen rücken. Naturgemäß fehlt dieser Generation auf beiden Seiten des Atlantiks die Erfahrung, die zu den grundlegenden Weichenstellungen der internationalen Politik nach dem Zweiten Weltkrieg geführt hat. Die Weitergabe solcher Grundkenntnisse geschieht nicht durch abstrakte Theorien. Sie erfolgt vor allem durch persönliches Vorbild und durch die Chance, sich eine eigene Anschauung zu verschaffen und einen eigenen Erfahrungshorizont aufzubauen. Deshalb liegt in der Förderung des Jugendaustausches die beste Zukunftsinvestition für die Vertiefung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses.

Auf dem Weg zur Verwirklichung des Ziels einer ausgereiften Werte-und Lerngemeinschaft zwischen Deutschen und Amerikanern wartet erhebliche Arbeit beiderseits des Atlantiks. Die westliche Welt aber braucht einen Erneuerungsschub dieser Art. Das Ziel rechtfertigt beträchtliche Anstrengungen und begründete Zuversicht, denn die Bundesrepublik Deutschland und Amerika sind auch in Zukunft aufeinander angewiesen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Hanns W. Maull, Japan, Deutschland und die Zukunft der internationalen Politik, in: Jochen Thies/Günther Van Well (Hrsg.), Auf der Suche nach der Gestalt Europas. Festschrift für Wolfgang Wagner, Bonn 1990, S. 171; Manfred Wöhlcke, Globale Gefährdungen in den Entwicklungsländern, in: Außenpolitik, 42 (1991) 3, S. 251 ff.

  2. Vgl. H. W. Maull (Anm. 1), S. 181; Zbigniew Brzezinski, Selective Global Commitment, in: Foreign Affairs, 70 (1991) 4, S. 1-20.

  3. Vgl. Günther van Well, Die europäische Einigung und die USA, in: Europa-Archiv, 46 (1991) 18, S. 527.

  4. Vgl. Horst G. Krenzler/Wolfram Kaiser, Die Transatlantische Erklärung: Neue Grundlage für das Verhältnis von EG und USA, in: Außenpolitik, 42 (1991) 4, S. 367.

  5. Vgl. Bernd W. Kubbig (Hrsg.), Transatlantische Unsicherheit. Die amerikanisch-europäischen Beziehungen im Umbruch, Frankfurt/M. 1991.

  6. Vgl. Reinhard Rode, Transatlantische Wirtschaftsbeziehungen zwischen gemeinsamen Interessen und Konflikt, Stuttgart 1990, S. 74.

  7. Vgl. G. V. Well (Anm. 3), S. 532.

  8. Vgl. Peter Mayer/Hermann Sautter, Die Wirtschaftsbeziehungen der USA mit den OECD-Ländern, in: W. P. Adams/E. -O. Czempiel/B. Ostendorf/K. L. Shell/P. B. Spahn/M. Zöller (Hrsg.), Länderbericht USA I, Bonn 1990, S. 675.

  9. Vgl. ebd., S. 676.

  10. Vgl. Uwe Nerlich, Deutsche Sicherheitspolitik und Konflikte außerhalb des NATO-Gebiets, in: Europa-Archiv, 46 (1991) 10, S. 305.

  11. Vgl. Peter Schmidt, Konkurrenten oder Partner? NATO, WEU, EG und die Bemühungen um eine Reorganisation der Sicherheitspolitik in Westeuropa, SWP-AP 2702, Juni 1991, S. 7.

  12. Vgl. James Baker, The Euro-Atlantic Architecture: From West to East, in: U. S. Policy Information and Texts (USPIT) vom 18. Juni 1991, S. 19ff.

  13. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23. Oktober 1991, S. 1.

  14. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 17. Oktober 1991, S. 1; International Herald Tribune (IHT) vom 21. Oktober 1991, S. 8.

  15. Vgl. USPIT vom 4. Oktober 1991, S. 33 ff.

  16. Vgl. Lothar Brock/Mathias Jopp/Peter Schlotter, Getrennt oder gemeinsam? Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Westeuropa und die USA, in: B. W. Kubbig (Anm. 5), S. 230.

  17. Vgl. Uwe Nerlich, Einige nichtmilitärische Bedingungen europäischer Sicherheit, in: Europa-Archiv, 46 (1991) 19, S. 548.

  18. Vgl. U. Nerlich (Anm. 10), S. 307.

  19. Vgl. IHT vom 24. Oktober 1991, S. 1L

  20. Robert M. Kimmitt, Partner in der Führung: Dje Notwendigkeit stärkeren Engagements, in: Amerika Dienst vom 11. September 1991, S. 1-6. Vgl. auch Joseph S. Nye, Bound To Lead. The Changing Nature of American Power, New York 1990.

  21. Vgl. Bulletin der Bundesregierung, Nr. 102 vom 20. September 1991, S. 812.

  22. Vgl. R. M. Kimmitt (Anm. 20). S. 5.

  23. Vgl. FAZ vom 16. September 1991, S. 6.

  24. Vgl. Werner Weidenfeld, Notwendig ist eine strategische Antwort, in: Der Tagesspiegel vom 18. April 1991, S. 5.

  25. Vgl. FAZ vom 10. September 1991, S. 7.

Weitere Inhalte

Charles Weston, Dr. phil., geb. 1951; Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Kommunikationswissenschaften an der American University, Washington, D. C., der University of Colorado, Boulder, sowie an den Universitäten Regensburg und München; von 1987-1991 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Universität Passau; seit 1991 Referent für Außenpolitik in der CSU-Landesleitung, München. Veröffentlichungen u. a.: Die erzwungene „Partnerschaft“. Möglichkeiten und Grenzen strategischer Rüstungskontrolle am Beispiel des SALT-Prozesses von Johnson bis Reagan, München 1987; zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften.