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Die Unterdrückung des Prager Frühlings | APuZ 36/1992 | bpb.de

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APuZ 36/1992 Die Unterdrückung des Prager Frühlings Sowjetische Parteiherrschaft und Prager Frühling 1968 Polens Teilnahme an der Invasion in der Tschechoslowakei 1968 Die DDR und die Besetzung der Tschechoslowakei am 21. August 1968 Die DDR-Bevölkerang und der Prager Frühling

Die Unterdrückung des Prager Frühlings

Vojtech Mencl

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach der Niederlage der konservativen Führung der tschechoslowakischen Kommunisten Anfang Januar 1968 kam es im März zu einem erdrutschartigen Zerfall der neostalinistischen Machtverhältnisse. Presse-und Versammlungsfreiheit, Beseitigung von vielen in Verruf geratenen Repräsentanten -wodurch auch die Sowjetunion schwer getroffen wurde -und die schnelle Entwicklung zu einer bürgerlichen Gesellschaft charakterisierten die Lage 1968. Die Politik der neuen Parteiführung, die auf Reform des Systems setzte, gewann schrittweise Sympathien und Unterstützung in der Gesellschaft. Diese Entwicklung führte zur wachsenden Beunruhigung in der Sowjetunion, der DDR, in Polen, Bulgarien und später auch in Ungarn. Beim Dresdner Treffen im März 1968 schlugen die „Fünf" Verbündeten vor, Sowjettruppen in der Tschechosldwakei zu stationieren. Das wurde von der tschechoslowakischen Führung Parallel dazu verfolgte man den Plan der politischen und ideologischen „Normalisierung“ der Tschechoslowakei. Zur ersten Sitzung der „Fünf" kam es am 8. Mai 1968 in Moskau, und die Politiker -mit Ausnahme Kadars -waren sich darüber einig, daß in der Tschechoslowakei eine konterrevolutionäre Lage entstehe. Auf einer Sitzung Mitte Juli fiel der Beschluß zur Invasion. Die Invasion stieß nicht auf bewaffneten Widerstand und kann somit aus militärischer Sicht als Erfolg bezeichnet werden. Politisch ist sie gescheitert, weil sie nicht die Unterstützung der Prager Staats-und Parteiorgane sowie der Mehrheit der Bevölkerung -einschließlich der Kommunisten -gefunden hat. Von großer Bedeutung war die Erklärung der Regierung, der Nationalversammlung und der Mehrheit des Präsidiums der Kommunisten, die die Invasion als Verletzung des internationalen Rechts und somit als gesetzwidrig bezeichnete.

Die herrschende altstalinistische Machtelite in der Tschechoslowakei konnte seit Ende der fünfziger Jahre nur Mißerfolge verbuchen. Sie hatte nach dem XX. Parteitag der KPdSU die Möglichkeit verspielt, sich von den Repressionen des „harten Stalinismus“ zu distanzieren, und sich für eine Politik der Verheimlichung und sogar Rechtfertigung der Grausamkeiten der Staatspolizei entschieden. So verlor sie das Vertrauen der gebildeteren Schichten der Bevölkerung, die immer dringlicher die Demokratisierung der Verhältnisse im Lande forderte. Aus Angst vor „Revisionismus“ und „Liberalismus“ konzentrierte der Erste Parteisekretär und Präsident, Antonm Novotny, die Macht und die ideologische Zensur in seinen Händen.

Im Jahre 1960 wurden trotz heftigen Widerstandes die Kompetenzen der slowakischen Staatsorgane drastisch beschränkt, was zu einer Welle des Unmuts gegen Novotn^ führte und seine Position schwächte. Zur gleichen Zeit hatte Novotny -und das von ihm beherrschte Politbüro -die maximalistische Konzeption des dritten Fünfjahrplanes durchgesetzt, was in einer ökonomischen Katastrophe mündete Daraufhin verlor Novotny auch die Unterstützung der Industriemanager. 1967 entzündete sich ein Streit mit den Sprechern der Intelligenz, besonders mit dem Verband der Schriftsteller. Auch im Parteiapparat sank Novotnys Autorität. Auf dem Plenum des Zentralkomitees der tschechoslowakischen Kommunisten im Oktober 1967 löste Alexander Duböek mit seiner Kritik an Novotny und seiner Gruppe die politische Krise der Kommunistischen Partei aus. Mehr als ein Drittel der Mitglieder unterstützten Duböeks Reformkonzepte, ein Drittel blieb Novotny treu und die übrigen waren unentschieden. Der Streit nahm an Heftigkeit zu, und seine Lösung wurde zuerst auf Dezember 1967 und dann auf Januar 1968 vertagt. Von großer Bedeutung war, daß Novotn^, dem damals die Unterstützung Breschnews fehlte, die Polizei nicht gegen seine Gegner einsetzen konnte. Am 5. Januar 1968 wurde Duböek zum Vorsitzenden der Partei gewählt.

Für die weitere Beurteilung ist es wichtig, wie Novotnf seine Position verloren hatte. Die „Bruder-parteien“ mußte irritieren, daß Novotn^ erst nach scharfen Auseinandersetzungen im Zentralkomitee seines Postens enthoben wurde und die politischen Fehler unter seiner Führung öffentlich bekannt wurden. Man warf ihm Kabinettspolitik, konservativen Zentralismus und antidemokratisches Verhalten vor; just diese Politik hatten die „Bruderparteien“ jahrelang praktiziert.

Die Mehrheit des Zentralkomitees war der Ansicht, daß es nicht bei der Wahl eines neuen Sekretärs bleiben sollte, sondern daß eine andere Politik erforderlich war. Die Mehrheit der Reformer beschloß, die politischen Kader auszuwechseln, um so die primitiven und ungebildeten Funktionäre aus den fünfziger Jahren loszuwerden. Von besonderer Bedeutung war die Entschlossenheit Duböeks und seiner Genossen, allen Repressionen, jedwedem Mißbrauch der Macht und allen Ungesetzlichkeiten ein Ende zu bereiten sowie der öffentlichen Meinung als einem maßgebenden Faktor des politischen Systems einen breiten Spielraum zu geben.

So setzte Anfang 1968 ein Wandel „von oben“ ein. Es wurde bald klar, daß für die beginnende Reform ein Programm unentbehrlich war. Die neue Parteiführung beauftragte Wissenschaftler der Akademie der Wissenschaften und der Hochschulen mit der Ausarbeitung eines Programmes, das im April 1968 als „Aktionsprogramm der KPTsch (Kommunistische Partei der Tschechoslowakei)“ angenommen wurde

Im März beschleunigten sich die Ereignisse; die Zensur wurde durchbrochen. Das, was bis jetzt verheimlicht worden war, insbesondere die Wahrheit über die fünfziger Jahre, kam ans Tageslicht. Hochrangige Partei-und Staatsfunktionäre mußten sich den Fragen der Vergangenheit und der Zukunft stellen. Auch der „Eiserne Vorhang“ war im Begriff zu zerbrechen. Diese Märzeruption der Presse-, Informations-und Versammlungsfreiheit war der wirkliche Beginn des Prager Frühlings. Die Parteiführung hatte diesen Prozeß durch Billigung des Aktionsprogramms unterstützt. Die Entwick­ lung zielte auf die Bildung eines neuen Konzeptes der gesellschaftlichen Beziehungen, das damals „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ genannt wurde.

Manchen Bürokraten und Konservativen wurde öffentliches Mißtrauen entgegengebracht, und sie verloren schrittweise ihre Positionen nicht nur in der Partei, sondern auch in der Nationalen Front, in den Gewerkschaften, im Staatsapparat, in der Armee und schließlich auch in den Sicherheitskräften. In der Gesellschaft entstand ein neues Klima. Dies zeigte sich bei den Maifeiern, bei denen Hunderttausende die neugewählten Repräsentanten der Partei-und der Staatsführung begrüßten.

Durch die Politik der neuen Führung gewann auch die Partei wieder an Autorität, was durch Meinungsumfragen bestätigt wurde. Während im Jahre 1967 nach damals geheimen Umfragen nur 23 Prozent der Bevölkerung Vertrauen in die Politik der Kommunistischen Partei hatten, äußerten sich 29 Prozent indifferent und 48 Prozent lehnten sie ab. Die Umfragen im Juni 1968 zeigten ein anderes Bild: 51 Prozent hatten Vertrauen, 33 Prozent waren indifferent und nur noch 16 Prozent lehnten die Politik der Regierung ab. Im Juni hätten in freien Wahlen 68 Prozent der Wähler -in der Slowakei sogar 73 Prozent -die Kandidaten-liste der Nationalen Front und 42 Prozent die selbständige Kandidatenliste der Kommunisten gewählt

Diese Veränderungen lösten bei den neostalinistischen Parteiführern der „Bruderparteien“ Mißfallen und Beunruhigung aus. Sie fürchteten, daß die alten Verbindungen zerbrechen könnten und dies den Einfluß der Sowjetführung schmälern würde. Der Sturz des alten Parteiapparats in der Tschechoslowakei, die Presse-und Versammlungsfreiheit, die demokratischen Wahlen in vielen gesellschaftlichen Organisationen und die Fortführung der Wirtschaftsreform untergruben die Macht, auf die sich die Hegemonie der Sowjetunion stützte. Auch der KGB verlor seinen Einfluß, weil viele Informanten ihre Positionen räumen mußten.

Die Verbündeten waren der Ansicht, daß das tschechoslowakische Beispiel ansteckend sein und die Stabilität des ganzen sozialistischen Blocks -besonders die der DDR und Polens -bedrohen könnte. Der bulgarische Staats-und Parteichef Schiwkow äußerte sich wie folgt: „Was ist denn los? Wir verloren China, Albanien, die Lage in Jugoslawien, in Rumänien und auch in Kuba ist auch nicht gut. Wir dürfen keinen Schritt mehr weichen. Wir verstehen die Schwierigkeiten, welche unsere von außen erzwungenen Maßnahmen in der internationalen Bewegung haben werden. Was kann man machen?“ Und weiter: „Bringen wir die Tschechoslowakei auf den sozialistischen Weg zurück, stärken wir damit die Kräfte des Warschauer Paktes und die Kräfte das Sozialismus im Ganzen... Schlimmstenfalls, würde die Tschechoslowakei den Pakt verlassen, bedeutete dies eine große Bedrohung für die DDR, für Ungarn und Polen. Im Falle eines Krieges würden die Sowjet-Armeen nicht an deutsch-tschechoslowakischen Grenzen, sondern an tschechoslowakisch-sowjetischen Grenzen mit dem Feinde zusammenstoßen.“ Dann forderte er Breschnew auf: „Um die Lage in der tschechoslowakischen Republik zu ändern, die kommunistische Partei zu retten, müssen wir alle möglichen und unentbehrlichen Mittel anwenden, wenn es die Lage erfordert. Wenn es uns nicht gelingt, diese Entwicklung umzuwerfen, kommt es zu einer Katastrophe.“ Die Dokumente beweisen, daß ähnliche Befürchtungen seit März 1968 auch in Moskau existierten Daraus resultierte die Schlußfolgerung: Die tschechoslowakische Entwicklung muß unter Kontrolle gebracht und dem weiteren demokratischen Fortschritt Einhalt geboten werden. Seit Mitte März waren die Vorbereitungen im Gange. Für den 23. März wurde eine Sitzung der künftigen „Fünf“ -Sowjetunion, DDR, Polen, Ungarn, Bulgarien -mit den tschechoslowakischen Vertretern -Duböek, Cernik, Lenärt, Kolder, Bilak -nach Dresden einberufen. Breschnew, Ulbricht und Gomulka kritisierten die tschechoslowakische Entwicklung auf das schärfste. Sie erwarteten, daß die tschechoslowakische Delegation sich gezwungen sähe, der Stationierung eines Kontingents der Sowjetarmee zuzustimmen. Die tschechoslowakische Delegation lehnte dies jedoch ab Moskau ergriff aber schon bald weitere Maßnahmen, um seine Ziele zu erreichen. Am 24. April 1968 traf der Befehlshaber des Warschauer Paktes, Marschall Jakubowskij, in Prag ein. Er forderte das tschechoslowakische Oberkommando auf, die für den Herbst geplante Stabsübung „Schumawa“ (Böhmerwald) bereits im Mai und Juni durchzu-führen, und zwar in einem weitaus größeren Rahmen als geplant. Es sollten sich zwei sowjetische Divisionen und zahlreiche Einheiten aus Polen, Ungarn und der DDR daran beteiligen. Die Verhandlungen endeten mit einem Kompromiß, aber das Oberkommando des Warschauer Paktes übte weiterhin Druck dahingehend aus, die Übung „Schumawa“ nach seinen Vorstellungen durchzuführen.

Die Manöver -unter Teilnahme von zwei Divisionen des Warschauer Paktes -begannen am 25. Mai 1968; sie stellten eine politische Bedrohung dar und dienten als erste Vorbereitung für eine künftige Invasion. Nach dem offiziellen Übungsschluß am 30. Juni wurden die Einheiten nur sehr langsam abgezogen, und die letzten verließen die Republik am 3. August, gerade zu dem Zeitpunkt, an dem die Vorbereitungen für eine Invasion schon abgeschlossen waren.

Diese Machtdemonstration -so die Meinung Breschnews -sollte nicht nur in der tschechoslowakischen Führung, sondern auch in der Öffentlichkeit zur politischen Differenzierung beitragen. Die konservativen Kreise, die es bis jetzt nicht gewagt hatten, die demokratischen Reformen zu kritisieren, sollten auf diese Weise gestärkt werden.

Als ein weiterer Schritt Moskaus erfolgte die Einladung der tschechoslowakischen Führung nach Moskau. An den Verhandlungen nahmen Duböek, Üernik, Smrkovsky und Bilak auf tschechoslowakischer sowie Breschnew, Podgorny, Katuschew und Rusakow auf russischer Seite teil. Ursprünglich sollten Wirtschaftsthemen behandelt werden, aber tatsächlich ging es um die politische Lage in der Tschechoslowakei. Breschnew kennzeichnete sie als bedrohlich, als „die Etappe des Machtkampfes“, die sich auf der Basis „des Zerfalls der sozialistischen Kräfte entwickelt, wofür die Verantwortung die Führung der KPTsch trägt“. Er deutete an, daß die Sowjetunion nie bereit sein werde, die tschechoslowakische Grenze dem Westen zu überlassen, und die Tschechoslowakei müsse zur Kenntnis nehmen, daß sie „ein Bestandteil der Westgrenze der sozialistischen Welt“ sei. Er forderte eine politische Wende und den Eingriff gegen die „Konterrevolution“. Die Verhandlungen führten zu keinem Ergebnis

Drei Tage später -zum erstenmal ohne tschechoslowakische Teilnahme -trafen sich die War-schauer „Fünf“ in Moskau. Das Protokoll dieser Sitzung liegt in zwei Versionen vor Breschnew informierte über die Ergebnisse der Verhandlungen mit der tschechoslowakischen Delegation und äußerte dabei seine Empörung über die Maifeiern in Prag, die zeigten, daß die Konterrevolution das Übergewicht gewinne. Des weiteren kritisierte er die häufigen Kaderwechsel, die Lahmlegung des Apparats, den Zerfall der Sicherheitsorgane und der Armee -und behauptete, daß „Desorganisation in diesen Organen“ herrsche und die Republik „offene Grenzen“ habe; er kam zu der Schlußfolgerung: „Es genügen nur zwanzig amerikanische Panzer und es ist Schluß.“ „Es muß ihnen“, das heißt den tschechoslowakischen Kommunisten, „klar sein“, so Breschnew, „unter bestimmten Bedingungen wird es der KPdSU und der Sowjetunion nicht gleichgültig sein, was weiter passiert ... Auch die Andeutungen zum besseren gibt es.“ Kolders -Sekretär des Zentralkomitees -Beauftragung „mit der Vorbereitung der Sitzung der Parteisekretäre sei ein gutes Zeichen, weil gerade Kolder in jüngster Zeit die Lage richtig begriffen habe... Indra und Bilak stehen auf richtigen Positionen“. Breschnew äußerte die Hoffnung, daß es vielleicht möglich sei, für politische Veränderungen auch Smrkovsky und Üernfk zu gewinnen, um auf diese Weise Duböek und seine Anhänger zu isolieren.

Was die Manöver „Schumawa“ betrifft, so betonte Breschnew, daß diese auch zur Besserung der Lage in der tschechoslowakischen Armee führen könnten, in der „jetzt völliger Zerfall herrsche“. „Sie sei unfähig, zu repressiven Eingriffen gegen politische Gegner benützt zu werden.“ Breschnew meinte, eine Demonstration der Stärke der Verbündeten „würde auch auf die Arbeiter und auf die konterrevolutionären Elemente Eindruck machen“.

Die sowjetischen Bemühungen fanden, wie Breschnew bemerkte, weniger Verständnis bei den Kommunisten der westlichen Länder. Luigo Longo, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens, z. B. erklärte „in der Tschechoslowakei geht es um einen Demokratisierungsprozeß und dort braucht man keine Hilfe“. Ähnlich wie Breschnew äußerte sich Ulbricht: „Die Konterrevolution zeigte sich am besten bei der Maifeier, was das Resultat der langjährigen Fehler in der Tschechoslowakei war.“ Die tsche-choslowakische Entwicklung werde auch von der „westdeutschen SPD durch ihre Ostpolitik angeregt“. Duböek, so Ulbricht, sei „ein ganz hoffnungsloser Mensch“, der nicht begreife, daß „die Rolle der Intelligenz zum Nachteil der Arbeiterklasse“ steige. Was die Manöver betrifft, meinte Ulbricht, sie sollten möglichst bald beginnen und die Soldaten sollten mit der Bevölkerung diskutieren, um auf diese Weise „dem Teil der Arbeiterklasse und der Gruppe, die sich in der KPTsch als Gegengewicht gegen Konterrevolution herauskristallisierte, Hilfe zu leisten“. Ähnlich sprach Gomulka: „Die Tschechoslowakei dürfen wir nicht verlieren, es ist nötig, den Kampf gegen Revisionismus und Konterrevolution zu führen; es bleibt keine Zeit mehr, wir müssen uns beeilen ... wenn wir nicht die zuständigen Schritte unternehmen, vergehen ein bis zwei Jahre und die Tschechoslowakei wird eine bourgeoise Republik unter dem Mantel des Sozialismus sein.“ „Man will hier ein Mehrheitsparteiensystem einführen“, entsetzte sich Gomulka. „Auf diese Weise würde das System der bourgeoisen Diktatur mit sozialistischem Anstrich entstehen“, so Gomulka. Die Hauptgefahr drohe „von rechts“, behauptete er, und davon müsse die tschechoslowakische Führung ausgehen.

Schiwkow stimmte mit den Vorrednern überein. Nach Kadars Meinung handelte es sich in der Tschechoslowakei nicht um eine konterrevolutionäre Entwicklung, sondern um einen Prozeß, in dem die für die tschechoslowakischen Bedingungen geeigneten Formen gesucht würden. Eine militärische Intervention nach ungarischem Muster komme nicht in Frage, meinte er. Mit den Manövern war aber auch er einverstanden.

Die Tagung der „Fünf“ gelangte zu folgenden Vereinbarungen: Die „gesunden Kräfte“ in der KPTsch seien zu unterstützen, rechte und revisionistische Elemente müßten demaskiert und den „gesunden Kräften“ müsse mit allen Mitteln geholfen werden, in der engeren Führung der Kommunistischen Partei die Mehrheit zu gewinnen. Während der Manöver sollten Stützpunkte innerhalb des Sicherheits-, Militär-und Parteiapparats errichtet werden. Käme es in der tschechoslowakischen Gesellschaft zum offenen Konflikt, sollte mit allen inneren und äußeren Kräften eingegriffen und auf diese Weise das neostalinistische System gerettet werden.

Der zunehmende Druck von außen blieb nicht ohne Folgen für die inneren Verhältnisse der Republik. Zuerst kristallisierten sich neue Koalitionen in der Parteiführung heraus. Von der ursprünglich vereinigten Anti-Novotny-Opposition trennte sich im Mai die konservative Fraktion um Bilak, Indra, Kolder und Lenärt. Sie blieb aber in der Minderheit, was sich auf der Plenarsitzung des Zentralkomitees Ende Mai zeigte. Man machte zwar rhetorische Zugeständnisse an Breschnew in einigen Resolutionen, diese fanden aber keine Mehrheit. Im Gegenteil, die Mehrheit des Zentral-komitees beschloß, den außerordentlichen Parteitag Anfang November einzuberufen. Auch die Konservativen votierten dafür, in der Hoffnung die Kongreßvorbereitungen manipulieren zu können; dies gelang jedoch nicht. In demokratischen Delegiertenwahlen waren meistens die Reformer erfolgreich, was bedeutete, daß auf dem Parteitag eine progressive Parteiführung und ein demokratisches Zentralkomitee gewählt werden würden.

In dieser Situation entschied die Sowjetführung, den Druck zu erhöhen. Am Juni 1968 übergab der sowjetische Botschafter in Prag, Tscherwonjenko, Duböek eine persönliche Botschaft Breschnews, die nicht nur die Kritik, sondern auch eine kategorische Aufforderung enthielt, den Kongreß zu manipulieren. „Finden Sie die richtigen Lösungen und treffen Sie die nötigen Maßnahmen, die den Erfolg dieses bedeutungsvollen Parteitages sicherstellen“, so Breschnew. Er lud dabei Duböek zu einem geheimen Treffen in Tatra oder in Uschhorod ein und versprach ihm Hilfe falls dieser sich entscheiden würde, gegen „das zweite sich formierende Parteizentrum“ einzugreifen. Duböek hat das Angebot mit der Begründung abgelehnt, er habe im Juni keine Möglichkeit, sich freizumachen

Nach der Veröffentlichung des Appells „ 2000 Worte“ vom 27. Juni, der zur Unterstützung des Reformkurses aufforderte, entschloß sich Breschnew am 4. Juli, eine Sitzung der „Fünf“ nach Warschau einzuberufen und dazu auch das Präsidium der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei einzuladen. Tscherwonjenko hat über den Brief Breschnews -noch vor seiner Abgabe an die offiziellen Organe der Partei -einige konservative Repräsentanten in der Hoffnung informiert, daß auch von dieser Seite Druck auf Duböek ausgeübt werden könnte.

Der Mehrheit des Präsidiums war klar, daß sie in Warschau auf der Anklagebank sitzen würden. Sie stellten einen Gegenantrag, in dem sie zweiseitige Verhandlungen vorschlugen und eine Zusammenkunft der Repräsentanten aller Parteien auf dem September-Parteitag in Prag anregten 11. Breschnew wies diesen Vorschlag kategorisch zurück und berief für den 14. und 15. Juli eine zweite Beratung der „Fünf“ ein. Hier sollte eine definitive Entscheidung über die „tschechoslowakische Frage“ fallen. Das vollständige Protokoll dieser Beratung ist noch nicht zugänglich, aber der wichtige Text des Breschnew-Referates befindet sich in unserem Archiv. Dieses Referat wurde nicht nur auf der Sitzung der „Fünf“, sondern auch nachher auf der geheimen Sitzung des Zentralkomitees der KPdSU am 17. Juli gebilligt

In Warschau wurden ihm zufolge die Grundsätze des Szenarios zur Unterdrückung des Prager Frühlings angenommen. Breschnew behauptete, Duböeks Führung „hat versagt, weil sie im Zusammenhang mit dem Appell , 2000 Worte 4 keine administrativen und repressiven Maßnahmen ausgeübt hatte“. Auf diese Weise entstand, so Breschnew, „eine Krise und die Gefahr des Verlustes derTschechoslowakei“. Das würde „zur Unterhöhlung der Positionen des Sozialismus in Europa führen“. Duböeks Entwurf, der auf dem bilateralen Treffen der Parteipräsidien behandelt wurde, bezeichnete er als eine Taktik, um Zeit zu gewinnen und die Verbündeten vor die Realität des Wandels des politischen Systems in der Tschechoslowakei zu stellen. Wenn zur Zeit des Dresdner Treffens und vielleicht noch bis Anfang Mai die Hoffnung bestand, die inneren Kräfte könnten die Lage stabilisieren, so gibt es „jetzt keinen Zweifel mehr. Wir müssen eingreifen, bevor es zu spät ist“

Vor allem, betonte Breschnew, sei es nötig, sich mit einem gemeinsamen Brief nicht an Duböek und nicht nur an das Präsidium des Zentralkomitees zu wenden, sondern direkt an das Plenum des Zentral-komitees, um dieses zum Eingreifen gegen die Konterrevolution aufzufordern. Den Entwurf des schon vorher vom Präsidium der KPdSU gebilligten Briefes hat Breschnew den anderen Beteiligten der Sitzung in Warschau vorgelegt. Wenn der Brief vom Zentralkomitee der tschechoslowakischen Kommunisten akzeptiert werde, meinte Breschnew, wäre es möglich, weitere Forderungen zu spezifizieren, durch die man einen Umbruch und eine Wende der Verhältnisse im Präsidium des Zentral-komitees und in der Republik erreichen könnte. Würde die Führung der Kommunistischen Partei den Brief ablehnen und keine Garantie geben, werde es nötig sein, „sich um die Mobilisierung der »gesunden Kräftein der Partei zu bemühen und sich an solche Kräfte zu wenden, die die Initiative für die Erneuerung der führenden Rolle der Partei und die Normalisierung der Lage im Lande ergreifen könnten“. Mit einer solchen Gruppe, so Breschnew, könnte man sich treffen und ihr „unsere Bereitschaft zur Hilfe und Unterstützung sichern“. Diese Hilfe werde geleistet „bei der ersten Aufforderung der tschechoslowakischen Genossen oder auch in dem Falle, daß die Lage ein solches Verfahren erfordert oder es für die tschechoslowakischen Genossen aus irgendwelchen Gründen schwierig sein werde, um die Hilfe zu bitten“

Breschnew formulierte in seinem Referat auch zum ersten Mal die sogenannte Theorie der beschränkten Souveränität, besser bekannt unter dem Namen „Breschnew-Doktrin“: „Wenn die Fragen so weit sind und es um das Schicksal der ganzen tschechoslowakischen Partei und der sozialistischen Errungenschaften geht, dann schätzen wir solch eine Entwicklung als direkte Bedrohung für die Weltposition des Sozialismus und für alle Länder ein. Das Bestreben, sich gegen eine solche Entwicklung zu stellen, kann man nicht als eine Einmischung in innere Angelegenheiten verstehen.“ Und in einem anderen Absatz fügte er hinzu: „Es ist bis jetzt nie geschehen, daß dort, wo der Sozialismus den Sieg errungen und sich fest auf eigene Beine gestellt hat, die kapitalistischen Ordnungen wieder herrschen können. Dazu war es nie gekommen und dazu wird es nie kommen.“

Duböeks Führung wurde über die Warschauer Sitzung nicht fortlaufend informiert. Duböek forderte den sowjetischen Botschafter Tscherwonjenko auf, den „Fünf“ in Warschau den tschechoslowakischen Vorschlag zu übergeben, keinen Entschluß ohne tschechoslowakische Partizipation anzunehmen und nicht zu publizieren, daß sich die Sitzung mit den tschechoslowakischen Problemen beschäftigt hatte. Gleichzeitig schlug er Breschnew ein Treffen der Parteiführungen in Koschitze für Ende Juli vor

Dessen ungeachtet hat die Warschauer Sitzung den Brief angenommen. Er ist am 16. Juli um 9. 30 Uhr von Tscherwonjenko Duböek und Gemfk laut vorgelesen und übergeben worden. Dazu hat er gesagt, daß die kategorische Aufforderung der „Fünf“ „eine Rückkehr zu den Maitagungsresolutionen des ZK“ und „der Eingriff gegen antisozialistische Kräfte“ sei

Breschnews Annahme, der Warschauer Brief werde eine innere Krise im Plenum der tschechoslowakischen Kommunisten entfesseln, erwies sich als falsch. Der Parteivorstand hat am 18. Juli einen ablehnenden Standpunkt eingenommen, den er gemeinsam mit dem vollen Text des Warschauer Briefes am nächsten Tag in der tschechoslowakischen Presse veröffentlichen ließ. Kurz darauf fand die Plenarsitzung des Zentralkomitees statt. Diese Sitzung, an der eine Reihe der Kongreßdelegierten teilnahm, hat den Standpunkt des Präsidiums einstimmig bestätigt. Die Meinungsumfrage aus diesen Tagen zeigte, daß damit 93 Prozent der Bevölkerung einverstanden waren

Zu diesem Zeitpunkt wurde in Moskau über die Invasion grundsätzlich entschieden. Das zeigt auch die Tatsache, daß mehrere ungarische, polnische und ostdeutsche Streitkräfte in Kampfbereitschaft versetzt wurden Der tschechoslowakische Abwehrdienst hatte schon Anfang Mai massive Truppenbewegungen festgestellt, aber Ende Juli häuften sich auch die Verschiebungen der Luft-und Truppeneinheiten Diese Umstände zeigten, daß drei Einheiten von 165000 Soldaten, 4600 Panzern und 25 Flugregimentern in Bereitschaft standen und es zur Invasion nach dem 25. Juli kommen konnte

Die sowjetisch-tschechoslowakischen Verhandlungen in Öiemä vom 29. Juli bis 1. August und das folgende Treffen mit den „Fünf“ in Bratislava vom 2. bis 3. August waren ein Ablenkungsmanöver. Man muß aber auch in Betracht ziehen -und das bestätigen auch Stenogramme dieser Gespräche -, daß die Sowjets die tschechoslowakische Führung zu einer Reihe von Verpflichtungen zwingen wollten, insbesondere zu Kaderwechseln. Nach Breschnews Meinung sollten führende Persönlichkeiten wie J. Pelikan, Leiter des Fernsehens, Z. Heizlar, Leiter des Rundfunks, und Ö. Cfsaf, Sekretär des Zentralkomitees mit Verantwortung für die Massenmedien, unbedingt abgesetzt werden. Die kommunistische Parteiführung hatte versprochen, dies zu erwägen. Breschnew forderte weiterhin ultimativ die Ausgliederung der Staatssicherheit mit V. Salgoviö an der Spitze, der eng mit dem KGB zusammenarbeitete, aus dem Innenministerium. Die Eingriffe in die Massenmedien und Salgoviös Ernennung sollten das Recht der Sowjets, sich in die tschechoslowakischen Verhältnisse einzumischen, bestätigen und auch auf diese Weise die sowjetische Hegemonie demonstrieren. Sie sollten aber auch in der tschechoslowakischen Öffentlichkeit den allgemeinen Widerstand hervorrufen, der leicht in Demonstrationen und Zusammenstöße übergehen könnte.

Es sollte eine Atmosphäre entstehen, die eine Invasion unter dem Vorwand rechtfertigen würde, daß es unvermeidlich sei, der tschechoslowakischen Führung gegen die Konterrevolution zu Hilfe zu eilen.

Breschnew beabsichtigte mit Salgoviös Ernennung, daß dieser in Prag einen Polizeiputsch veranstalten sollte. In der Nacht vom 20. auf den 21. August sollte ein Brückenkopf für umfangreiche Fallschirmjägeroperationen der sowjetischen Sonder-truppen geschaffen werden, die zur Okkupation der Parteiorgane, der Regierung, der Massenmedien usw. bestimmt worden waren. Salgoviös Plan entsprechend, ist es zwar zu einem Putsch gekommen, aber er war bei weitem nicht von der Bedeutung und dem Umfang, mit dem in Moskau gerechnet wurde

Der Aufstand der Staatspolizei sollte den Weg für einen politischen Umsturz bahnen, der sich laut des in Warschau gebilligten und später in Moskau und in der sowjetischen Botschaft ausgearbeiteten Szenarios am 20. August in Prag abspielen sollte Die Konservativen im Parteipräsidium planten, in der Sitzung am Nachmittag des 20. August die Mehrheit zu gewinnen und die Kaderwechsel im Präsidium des Zentralkomitees sowie in der Regierung rasch durchzuführen. Die neue Regierung sollte danach von Präsident Svoboda bestätigt werden. Die neugebildete Staats-und Parteiführung sollte den militärischen Eingriff nicht nur als Realität anerkennen, sondern auch eine Erklärung herausgeben, die die Hilfe der verbündeten Armeen gegen die Konterrevolution mit Dank gutheiße. Die scharfen Säuberungen in den politischen und den Parteiorganen sollten als Anfang der „Normalisierung“ der Lage in der Tschechoslowakei folgen. Dieser Plan scheiterte. Der Vorschlag der Konservativen, das Präsidium des Zentralkomitees solle zuerst den Situationsbericht und Breschnews Brief an Duböek vom 16. August verhandeln, wurde nicht akzeptiert. Um elf Uhr nachts kam die Nachricht von der Invasion. Trotz der Bemühung der Konservativen -Bilak, Kolder, Rigo und Svestka -hat die Mehrheit des Präsidiums -Barbfrek, Duböek, Cermk, Kriegei, Piller, Smrkovsky und Spaöek -eine Resolution verabschiedet, die klarstellte, daß es zur Invasion „ohne Kenntnis des Präsidenten der Republik, des Vorsitzenden des Parlaments, des Regierungschefs, des ersten Parteisekretärs und der tschechoslowakischen Organe“ gekommen sei. Von großer Bedeutung war folgende Erklärung: „Das Präsidium des ZK ist der Ansicht, daß dieser Akt nicht nur den Grundsätzen der Beziehungen unter den sozialistischen Staaten entgegensteht, sondern auch die Grund-normen des internationalen Rechtes verletzt... Alle führenden Repräsentanten von Staat, Partei und nationaler Front bleiben in ihren Stellen, in die sie laut Gesetz und Normen gewählt worden sind.“ Das Präsidium beschloß, die Nationalversammlung, die Regierung und das Plenum des Zentralkomitees einzuberufen

Kurz nach Mitternacht wurden die führenden Repräsentanten der Partei, der Regierung und der Nationalversammlung verhaftet: Duböek, Cermk, Kriegei, Smrkovsky, Spaöek, Simon u. a. Die Regierung trat ohne ihren Premier zusammen und lehnte die Okkupation ab. Inzwischen versuchten die Konservativen, Präsident Svoboda zu überzeugen, er solle eine neue Regierung bilden, was dieser aber zurückgewiesen hat. Kurz darauf trat die Nationalversammlung zusammen und erklärte die Okkupation als gesetzwidrig. Schon am 22. August fand im Prager Maschinenbetrieb der vom Stadtausschuß der Partei einberufene außerordentliche XIV. Parteitag der KPTsch statt. Dieser verurteilte die Invasion, proklamierte einen kurzen Generalstreik und wählte neue Parteiorgane, in denen die Konservativen ihre Positionen verloren.

Breschnew kennzeichnete den XIV. Parteitag der Kommunistischen Partei als Beweis der Existenz eines parallelen Machtzentrums. Die „Fünf“ waren sich darüber einig, daß sie diesen Parteitag nie anerkennen würden

Aus militärischer Sicht war die Invasion erfolgreich. Den Luftlandetruppen gelang es innerhalb weniger Stunden, alle politisch und strategisch wichtigen Punkte in Prag zu besetzen. Die Invasion in die Republik wurde von Norden, Nordwesten und von Süden durchgeführt. Während des Vormittags des 21. August wurde das ganze Gebiet der Republik von Militäreinheiten der Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens okkupiert. Die DDR-Truppen beteiligten sich nur symbolisch

Politisch war die Invasion jedoch ein Mißerfolg. Den Kollaborateuren gelang es nicht, den Rundfunk zu beherrschen, und kurz nach Mitternacht des 21. August wurde die Resolution des Partei-präsidiums gesendet. Das war das Signal zum Volksaufstand. Obwohl die Bevölkerung keine Waffen benutzte, gingen die Okkupationstruppen mit aller Härte vor. Der Protest der Bevölkerung war unbeschreibbar: Das Hauptgebäude des Rundfunks wurde von Sowjets besetzt, aber es wurde von Nebengebäuden weiter gesendet, das Fernsehen strahlte seine Sendungen aus verschiedenen kleinen Studios aus, Zeitungen wurden herausgegeben, Hunderttausende von Menschen waren auf den Straßen und protestierten; sie verlangten die Rückkehr der in die Sowjetunion verschleppten tschechoslowakischen Repräsentanten

Die Sowjetführung stand vor der Wahl, entweder die Diktatur mit Gewalt durchzusetzen oder einen Kompromiß mit den bestehenden Macht-und Gesellschaftsstrukturen zu suchen. Trotz Ulbrichts und besonders Gomulkas Widerstand kamen die „Fünf“ in komplizierten Beratungen zu der Schlußfolgerung, daß es nötig sei, mit Duböeks Führung ins Gespräch zu kommen.

Die Parteiführung der Sowjetunion trat mit den tschechoslowakischen Repräsentanten in Kontakt, aus den Verhandlungen resultierte das sogenannte „Moskauer Protokoll“. Danach sollten die Okkupationstruppen in einem bestimmten Zeitraum die Republik räumen. Die tschechoslowakische Führung sollte den XIV. Parteitag annullieren und die sowjetischen Forderungen aus Ciemä in Kraft setzen

Die „Fünf“ trafen sich zu einer letzten Sitzung in Moskau am 27. August Manche Redner konstatierten, die politische Lage in der Tschechoslowa-kei sei schlimmer als vor dem 21. August. Man beschloß, stufenweise die Machtpositionen zu erobern und den Umsturz zu vollenden. Einigkeit herrschte auch darüber, daß die Sowjettruppen ständig im Lande stationiert werden müßten. Besonders Ulbricht betonte, entweder müsse die Sowjetarmee auf Dauer in der Tschechoslowakei bleiben, oder das Land werde früher oder später aus dem Warschauer Pakt austreten.

Das Moskauer Protokoll war für die tschechoslowakischen Reformpolitiker ungünstig. Schrittweise setzte Moskau seine Pläne durch. Mit Gewalt und Druck gelang es, mit den heimischen Kollaborateuren die Lage schrittweise zu stabilisieren.

Die Tschechoslowakei war ein Land mit günstigen Bedingungen für eine demokratische Umgestaltung und die Überwindung des neostalinistischen Systems. Die Repräsentanten der „Fünf“ beschlossen, durch die Intervention den Prager Frühling zu ersticken. Sie versperrten dadurch auch den Weg für künftige Reformen in ihren Ländern. So sollte es weitere 20 Jahre dauern, bis sich demokratische Strukturen im gesamten Ostblock durchsetzen konnten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ota Sik, Strukturwandel des Wirtschaftssystems in den osteuropäischen Ländern, Zürich 1971; Jiff Kosta, Abriß der sozialökonomischen Entwicklung der Tschechoslowakei, Frankfurt/M. 1987.

  2. Zur Analyse des Aktionsprogramms vgl. H. Gordon Skilling, Czechoslovakias Interrupted Revolution, Princeton 1976, S. 338L

  3. Vgl. Jaroslav Piekalkiewitz, Public Opinion Polling in Czechoslovakia 1968-69, New York 1972, S. 143, 242.

  4. Archiv der Kommission der Föderalregierung der Tschechoslowakei für die Analyse der Ereignisse der Jahre 1967-70 (AK), Fond S-I, S. 3-4, chiffrierte Nachricht Sofia-Moskau.

  5. AK-S-III, S. 2-5: Moskauer Treffen der fünf Bruderländer, Breschnews Referat.

  6. Vgl. AK-4-2, S. 3-4: Das Gespräch der Mitarbeiter der Kommission mit Oldfich Cerm'k.

  7. Vgl. AK-S-III: Protokolle der Verhandlungen der tschechoslowakischen Delegation in Moskau vom 4. bis 5. Mai 1968, S. 20f.

  8. AK-P-M-8 (polnische Version); AK-S-III-6 (sowjetische Version).

  9. Vgl. die sowjetische Version AK-S-III-6: Breschnew, S. 18-24, Ulbricht, S. 18-24, Kadar, S. 24-32, Schiwkow, S. 32-36 und Gomulka, S. 36-42. Breschnews Schlußwort, S. 42-51. In der polnischen Version fehlt Kadars Rede.

  10. Vgl. AK-S-II-47: Tscherwonjenko nach Moskau vom 8. 7. 68, chiffriert.

  11. Vgl. AK-S-III-42: Tscherwonjenko nach Moskau vom 11. 6. 68, chiffriert.

  12. AK-S-III-4: Breschnews Referat vor dem Plenum des Zentralkomitees der KPdSU: Resultate des Warschauer Treffens der fünf Bruderländer.

  13. Ebd., S. 20.

  14. Ebd., S. 22.

  15. Ebd., S. 23.

  16. Ebd., S. 24.

  17. Vgl. AK-S-II-24: Tscherwonjenko nach Moskau, vom 13. 7. 68, chiffriert.

  18. AK-S-II-25: Tscherwonjenko nach Moskau vom 17. 7. 68, chiffriert.

  19. Vgl. Josef Beöväf, V^sledky Setfenf vefejnöho mm 8nf v CSSR, v lätech 1968-69, Bd. 1, S. 15; Bd. 2, S. 5.

  20. Vgl. Rüdiger Wenzke, Prager Frühling, Prager Herbst, Berlin 1990, S. 18 ff.

  21. Vgl. Jaromfr Navrätil u. Kollektiv, Vojäci a Praiskä jaro, Praha 1990, S. 33.

  22. Vgl. ebd., S. 48.

  23. Vgl. AK-S-III-19: Verhandlungen in Tschernä, Bd. I. u. II.

  24. Vgl. AK-B-Kutnohorsky.

  25. Vgl. AK-M-1: Kadars Nachricht vom 23. 8. 1968 für die gemeinsame Sitzung des Präsidiums des ZK und des Ministerrates der MVR über die Moskauer Verhandlungen zwischen dem 18. und 21. 8. 1968.

  26. Vgl. Historie a vojenstvf, JG XI 1991, No. 1, S. 155. Vollständiger Text des Breschnew-Briefes.

  27. Vgl. VSemu lidu Ceskoslovenskö socialistickä republiky, in: Rok sedesäty osmy v usnesem'ch a dokumentech ÜV KSC, Praha 1969, 8. 297.

  28. Vgl. AK-P-I, S. 8-9: Das polnische Protokoll der Moskauer Verhandlungen vom 18. bis 27. August 1968.

  29. Vgl. J. Navrätil (Anm. 21), S. 32f., 43f.

  30. Vgl. Sedm praiskych dnü 21-27. srpna 1968, Prag 1968.

  31. Den Text des Protokolls vgl. in: P. Tigrid La chute irresistible d’A. Duböek, Paris, S. 239f.

  32. Das Protokoll dieses Treffens vgl. AK-S-III-12.

Weitere Inhalte

Vojtßch Mencl, Dr., geb. 1923; Rektor der Militärpolitischen Akademie; Ende 1969 abberufen und degradiert; seit 1989 Vorsitzender der Kommission der Regierung der CSFR für die historische Analyse der Ereignisse von 1968.