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Familie und Beruf | APuZ 17/1993 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 17/1993 Alter -Ruhestand -Generationsvertrag? Pluralisierung und Polarisierung der Lebensformen in Deutschland Die Bedeutung von Partnerbeziehungen für die Qualität der Familienerziehung Familie und Beruf

Familie und Beruf

Klaus-Jörg Ruhl

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts forderten Politiker aller Parteien und die Kirchen wiederholt ein Verbot der Frauenerwerbstätigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen die katholische Kirche und konservative Politiker die günstige Gelegenheit, ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen. Dem aus Kirchensicht fortschreitenden Entchristianisierungsprozeß des Ehe-und Familienlebens wurde von der katholischen Kirche ein Programm der Rechristianisierung der westdeutschen Gesellschaft entgegengesetzt. Von der ersten Bundesregierung, einer konservativ-bürgerlichen Koalition, wurde einerseits Nichteinmischung des Staates in die inneren Angelegenheiten der Familie erwartet, andererseits sollte der Staat die Familie durch materielle Hilfeleistungen in ihrer Selbstständigkeit stärken: Die geforderte wirtschaftliche Unterstützung sollte die Mütter von einer Arbeitsaufnahme abhalten oder sie zur Aufgabe der Erwerbstätigkeit bewegen. Wichtigster Ansprechpartner der Anfang der fünfziger Jahre gegründeten Familienverbände war das 1953 eingerichtete Bundesfamilienministerium. Minister Franz-Josef Wuermeling sah seine Aufgabe vor allem darin, durch ein staatliches Hilfsprogramm die Stabilität der Familien zu sichern. Ziel dieser in der Kontinuität konservativer Familienpolitik verwurzelten Politik war es, den Geburtenschwund und die Berufstätigkeit von Müttern einzudämmen. Dazu sollte auch das in der 2. Legislaturperiode 1953/57’verabschiedete Kindergeldgesetz beitragen. Die in dieser Zeit stetig steigende Müttererwerbstätigkeit wurde seitens der katholischen Kirche, aber auch von konservativen Wissenschaftlern massiv und mit zum Teil unseriösen Mitteln bekämpft. Die familienpolitischen Maßnahmen des Bundesministeriums und die Maßnahmen der katholischen Kirche waren insofern von Erfolg gekrönt, als eine Beeinflussung des generativen Verhaltens der Westdeutschen gelang; sie sind jedoch gescheitert im Hinblick auf eine Eindämmung der Müttererwerbstätigkeit.

Weibliche Erwerbstätigkeit und katholische Kirche in den fünfziger Jahren

I Die Motive der Gegner der Frauenerwerbsarbeit

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als Frauen zunehmend in den industriellen Arbeitsprozeß einbezogen wurden, forderten männliche Arbeitskollegen, Politiker aller Parteien und die Kirchen wiederholt ein Verbot der Frauenerwerbstätigkeit. Die männlichen Arbeitskollegen empfanden die berufstätige Frau als bedrohliche Konkurrenz. Sie fürchteten um ihre Arbeitsplätze, weil den Frauen bei gleicher Arbeit niedrigere Löhne als den Männern bezahlt wurden. Deswegen kam es auch innerhalb der Arbeiterbewegung zu heftigen Auseinandersetzungen. Einzelne Genossen befürworteten generell die Abschaffung der industriellen Frauenarbeit. Andere reagierten daraufmit dem Argument, daß man die arbeitslosen Frauen dann scharenweise in die Prostitution treiben würde. Auch standen der Realisierung dieser Forderung ökonomische Gründe entgegen: Viele Arbeiterhaushalte waren auf den Mitverdienst der Ehefrau angewiesen. Trotzdem konnten die Stimmen in der Arbeiterbewegung nie ganz zum Schweigen gebracht werden, die eine Beschränkung, wenn nicht sogar ein Verbot der Frauenarbeit forderten.

Auch im konservativen Lager sprach man sich gegen die Frauenarbeit aus, wenn auch aus anderen Motiven: Die erwerbstätige Frau paßte nicht ins konservative Familienbild, dem zufolge die Frau in die Familie gehört, um ihren „natürlichen“ Aufgaben wie Fortpflanzung, Kindererziehung und Haushaltsführung nachzukommen. Wenn sich bei den Konservativen keine Mehrheit für ein Verbot der Frauenerwerbsarbeit fand, dann lag das im wesentlichen daran, daß aufgrund gesamtwirtschaftlicher Erfordernisse, und darunter ist in erster Linie der Arbeitskräftemangel zu verstehen, auf die weibliche Arbeitskraft nicht ohne weiteres verzichtet werden konnte.

Nach der Jahrhundertwende spielten dann bevölkerungspolitische Motive bei der Forderung nach Einschränkung der Frauenerwerbsarbeit eine Rolle. Es war Ärzten und Nationalökonomen aufgefallen, daß sich das generative Verhalten der Deutschen verändert hatte. Konservative Politiker griffen die Untersuchungsergebnisse auf und entwarfen ein Schreckensszenario, wonach den Deutschen der „Volkstod“ bevorstände. Sie forderten eine Einschränkung der weiblichen Erwerbstätigkeit und plädierten gleichzeitig für einen Familienlohn bzw. für Kindergeld, damit Ehefrauen nicht gezwungen seien, aus wirtschaftlicher Not eine Berufstätigkeit aufzunehmen

Die Kirchen sahen schließlich in der Berufstätigkeit der Frau eine Gefahr für die Stabilität der Familie. Es war vor allem die katholische Kirche, die sich für Familienbeihilfen einsetzte, die den verheirateten, erwerbstätigen Ehemännern gezahlt werden sollten, um den Ehefrauen die Berufsaufnahme zu ersparen. So wurde etwa in der Enzyklika „Rerum Novarum“ Leos XIII. vom 15. Mai 1891 ein Lohn verlangt, der den Arbeiter sowie seine Frau und seine Kinder ernähren könne Den Bemühungen der Kirche war vor 1933 kein Erfolg beschieden, weil der Weimarer Staat für soziale Maßnahmen keine Mittel bereitstellen konnte und die Industrieunternehmen sich gegen die Zahlung eines Familienzuschlages wehrten. Während des „Dritten Reiches“ wurden den unterprivilegierten Familien zwar Erleichterungen gewährt aber die von den Nationalsozialisten praktizierte Familienpolitik war nicht im Sinne der Kirche.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ergab sich nach Ansicht der katholischen Kirche und konservativer Politiker die günstige Gelegenheit, ihren Forderungen mehr Nachdruck zu verleihen, «da Kriegsleid und Nachkriegselend die deutsche Bevölkerung gegenüber konservativen Werten einerseits empfänglicher gemacht hatten und andererseits über Jahre hinweg eine bürgerlich-konservative Regierung we- sentlich die soziale und wirtschaftliche Wirklichkeit mitbestimmte.

II. Rechristianisierungsprogramm der Kirche

Nach Ansicht der katholischen Kirche waren Not und Elend nur bedingt verantwortlich für die Krise der Nachkriegsfamilie, die sich in einem exorbitanten Anstieg der Scheidungsrate niederschlug. Die wahren Gründe für die Destabilisierung der Institution Familie, so ließ die Kirche verlauten, lägen tiefer. Verantwortlich sei der fortschreitende Prozeß der Entchristianisierung des Ehe-und Familienlebens, der vorangetrieben werde durch die materialistische Einstellung der Menschen gegenüber vorehelichem und außerehelichem Geschlechtsverkehr, gegenüber gewollt kinderlosen Ehen und gegenüber der Ehescheidung.

Der Materialismus, der seine stärkste Ausprägung im Nationalsozialismus erfahren habe, habe aber nachdrücklich seine Untauglichkeit bewiesen. Nach den Jahren der Abkehr von Gott sei es Gebot der Stunde, zu den christlichen Werten und Idealen zurückzukehren und Ehe und Familie wieder in die Lage zu versetzen, ihren Aufgaben als Reproduktions-und Erziehungsstätte gerecht zu werden. Pater Urban Plotzke, der sich eingehend mit der Nachkriegsehe, mit ihren „sittlichen Schwächen und ihrer Heilung“ beschäftigte, meinte dann auch: „Die Ehe ohne die Grundlage der Religion ist wie ein Baum, dem die Feuchtigkeit und Nährkraft des Bodens entzogen ist.“ Und weiter: „Die Religion ist der natürliche und unentbehrliche Mutterboden des gesunden und harmonischen Ehe-und Familienlebens.“

Die Rechristianisierung der westdeutschen Gesellschaft wurde von der katholischen Kirche zum Programm erhoben und seit Kriegsende aktiv propagiert. Den Anfang machten die bayerischen Bischöfe. Nach ihrer ersten Zusammenkunft nach Kriegsende am 28. Juni 1945 erklärten sie: „Ein durch und durch christliches Volk müssen wir wieder werden.“ Sie forderten: „Die Familie muß wieder ein unantastbares, gottgeweihtes und gottgesegnetes Heiligtum werden.“ Und weiter: „Die Reinheit des Lebens, die Heiligkeit und Unauflöslichkeit der Ehe müssen wieder über alles hochgehalten werden.“ „Dann“, so stellten sie schließlich fest, „dürfen wir hoffen, daß neues Leben ersteht aus den Trümmern und Ruinen und daß wir mit Gottes Hilfe ein neues christliches, glückliches Deutschland aufbauen können.“

Die Kirche beließ es nicht bei Appellen. Sie ging dazu über, in Hirtenbriefen und Kirchentagsresolutionen, in Entschließungen der Vertretertagungen und in Vorträgen der Katholischen Sozialen Woche, aber auch in direkten Aktionen den Politikern Handlungsanweisungen und Forderungskataloge zu unterbreiten. So setzte sie die konservativen Abgeordneten im Parlamentarischen Rat unter Druck, den Schutz der Ehe, der Familie und das Elternrecht im Grundgesetz zu verankern. Was von der ersten Bundesregierung, einer konservativ-bürgerlichen Koalition, erwartet wurde, das trug der Würzburger Bischof Julius Döpfner auf einer öffentlichen Kundgebung im Plenarsaal des Bundeshauses Ende September 1951 vor. Der Staat, so der Bischof, soll „die Familie als Ursprungszelle der menschlichen Gesellschaft achten“, „die bedrohte Familie schützen und die Selbständigkeit der Familie fördern“ Konkret hieß das: Die Kirche verbat sich einerseits die Einmischung des Staates in die inneren Angelegenheiten der Familie, verpflichtete aber andererseits den Staat, durch Hilfestellungen die Familie in ihrer Selbständigkeit zu stärken, und zwar im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips, das besagt, daß der Staat zu Hilfeleistungen verpflichtet sei, wenn die Familie in Not gerate.

Aus Döpfners Darlegungen über die staatlichen Hilfsmaßnahmen für die Familie kristallisierten sich schließlich drei Forderungen heraus, die von der Kirche in den nächsten Jahren mit Beharrlichkeit erhoben wurden. An erster Stelle stand die Wiederherstellung der väterlichen Autorität in der Familie dann wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen für kinderreiche Familien und schließlich die Rückkehr der berufstätigen Mütter in die Familie. Die beiden letzten Punkte waren eng miteinander verknüpft: die wirtschaftliche Unterstützung sollte die Mütter von einer Arbeitsaufnahme abhalten oder sie zur Aufgabe einer Erwerbstätigkeit bewegen.

III. Familienverbände, Bundesfamilienministerium und Kindergeldgesetzgebung

Die katholische Kirche konnte ihre Forderungen stellen, sie konnte sie auch anmahnen, sie konnte sie aber nicht eigenständig durchsetzen, denn sie verfügte über Macht nur im moralischen Sinn. Da die Politiker der Christlich Demokratischen Union (CDU), der Christlich-Sozialen Union (CSU) und des Zentrums, die ihr nahestanden, ihr Hauptaugenmerk auf die Bewältigung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus im Vereinigten Wirtschaftsgebiet und in der Bundesrepublik Deutschland richteten, befürworteten sie die Gründung von Familienverbänden, die als Interessenverbände der Familie konzipiert, die Belange der Kirche gegenüber den Politikern durchsetzen und das kirchliche Rechristianisierungsprogramm aktiv unterstützen sollten

Zwischen 1950 und 1954 wurden mehrere Familienorganisationen gegründet. Zunächst der Deutsche Familienverband, dessen Führungsriege den Ehrgeiz besaß, den Deutschen Familienverband zu der einzigen Familienorganisation in der Bundesrepublik aufzubauen. Dieser Verband nahm Kontakt mit der katholischen Kirche auf, um sich ihre Unterstützung zu sichern. Der Meinungsaustausch verlief für den Familienverband jedoch enttäuschend. Die katholische Kirche, die zunächst Interesse signalisiert hatte, war nicht bereit, den Deutschen Familienverband zu unterstützen. Sie favorisierte die Gründung eines eigenen Familienverbandes, der wenige Monate nach Abbruch der Gespräche aus der Taufe gehoben wurde.

Die katholische Kirche konnte sich nicht mit dem Deutschen Familienverband einigen, weil es unterschiedliche Ansichten über die politische Ausrichtung und den organisatorischen Aufbau des Verbandes gab. Ein Familienverband, der die Unterstützung der Kirche haben wollte, durfte nicht „politisch und konfessionell neutral“ sein, und es genügte nicht, seine Organisation im wesentlichen auf der Unterstützung wichtiger Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aufzubauen. Die katholische Kirche forderte konfessionelle Gebundenheit und eine aggressive Mitgliederwerbung, denn über die Mitglieder wollte sie direkten Einfluß auf die Familie nehmen

Nach Gründung des Familienverbandes der KatholikenDeutschlands sah sich die evangelische Kirche, die der aufkommenden Familienbewegung zunächst distanziert gegenüberstand, aus Gründen der Parität gezwungen, ihrerseits einen Familienverband ins Leben zu rufen, der, so war es vorgesehen, Einfluß auf „Gesetzgebung und Verwaltungspraxis im familiengünstigen Sinne“ nehmen sollte.

Wichtigster Ansprechpartner der Familienverbände und Relaisstation ihrer familienpolitischen Forderungen war das Bundesministerium für Familienfragen, das im Oktober 1953 eingerichtet wurde. Dem Bundesministerium wurde die Aufgabe zugeteilt, die Belange der Familie in der Steuer-, Wirtschafts-und Sozialpolitik zu wahren, den familiengerechten Wohnungsbau unter vordringlicher Berücksichtigung größerer Familien zu verstärken, den Familiengedanken in der Öffentlichkeit zu schützen und zu fördern und bei der Schaffung eines Ehe-und Familienrechts, das der besonderen Funktion von Mann und Frau in der Ehe Rechnung tragen sollte, mitzuwirken

Wichtigster Tätigkeitsbereich des Familienministeriums in den fünfziger Jahren war mithin die Öffentlichkeitsarbeit, die dazu diente, den Familien-gedanken zu propagieren. In Vorträgen und Diskussionen vor Verbänden, Organisationen und sonstigen Zusammenschlüssen trugen die Mitarbeiter des Ministeriums die Leitgedanken der Familienpolitik vor, schrieben für Zeitungen und Fachzeitschriften Aufsätze und Abhandlungen und standen für Interviews zur Verfügung -allen voran: der Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling.

I In enger Anlehnung an die katholische Soziallehre unterteilte Wuermeling Familienpolitik in einen inneren und einen äußeren Bereich. Für den inneren Bereich waren die Kirchen und die Familien-verbände verantwortlich; sie sollten über ihre Organisationen im Rahmen seelsorgerischer und fürsorgerischer Maßnahmen die Gesundung der Familie von innen herbeiführen. Für den äußeren Bereich fühlte der Minister sich verantwortlich. Seine Aufgabe sah er darin, durch ein staatliches Hilfsprogramm die äußere Stabilität der Familie zu sichern. Dabei, so Wuermeling, „gehe es vor allem um äußere und materielle Dinge, deren Verwirklichung aber tragende Voraussetzung für rechtes Leben der Familie“ sei.

Wuermeling erklärte aber auch, daß „Familienpolitik kein Zweig der heilenden Fürsorge in den negativen Wechselfällen des Lebens (sei)“, womit er ausdrücken wollte, daß Familienpolitik nicht als Teil der Sozialpolitik zu gelten habe. Denn die von ihm geforderten finanziellen Hilfen waren nicht dafür vorgesehen, die soziale Not der Familien mit Kindern in den unteren Sozialschichten zu lindem. Das sollte auch weiterhin Aufgabe der Sozialfürsorge und der Volkswohlfahrt bleiben. Vielmehr sollten die finanziellen Zuwendungen den Geburtenschwund und die Berufstätigkeit von Müttern eindämmen. Auch wenn Wuermeling sich während seiner Amtszeit mit Vehemenz gegen den Vorwurf zur Wehr setzte, er betreibe Bevölkerungspolitik und versuche den Arbeitsbereich der Frau auf den Haushalt zu reduzieren, war er mit seiner Programmatik fest verwurzelt in der Kontinuität konservativer Familienpolitik.

Die Diskussion um das Kindergeld setzte in der 1. Legislaturperiode 1949/53 ein. Gesetzentwürfe wurden von der SPD, der CDU/CSU und dem Zentrum vorgelegt. Während die SPD das Kindergeld aus Mitteln des Bundeshaushalts bestreiten wollte, sahen die Entwürfe der CDU/CSU und des Zentrums ein neu zu schaffendes Verwaltungssystem mit einer besonderen Familienausgleichskasse vor. Bundesregierung und Arbeitgeberverbände stritten eine Zeitlang darüber, wer für die Kindergeldzahlungen aufkommen sollte. Die Bundesregierung sah sich aufgrund finanzieller Engpässe im Bundeshaushalt zu Zahlungen nicht in der Lage, und die Arbeitgeberverbände wollten die Finanzierung der Kinderbeihilfen in einer Phase des wirtschaftlichen Aufbaus nicht übernehmen. Monate später, die Konjunktur lief immer schneller, befürchteten die Arbeitgeber dann, Kinderbeihilfen könnten die Frauen, die dringend im Arbeitsprozeß gebraucht wurden, von der Arbeitsaufnahme abhalten, und sie warnten vor den negativen Folgen, die das Kindergeld auf die Selbsthilfefunktion der Familie ausüben könnte.

Der Streit um die geeignete Organisationsform wurde vorerst in der 2. Legislaturperiode 1953/57 durch das Kindergeldgesetz vom November 1954 beendet, als die CDU/CSU-Fraktion ihren Gesetzentwurf mit knapper Mehrheit gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen durchbrachte Mit der Verabschiedung des Kindergeldgesetzes war ein zentrales Anliegen der Familienschützer in den christlichen Parteien, in der katholischen Kirche und in den Familienverbänden in Erfüllung gegangen. Wurde nun aber mit dem Kindergeld im Rahmen der familienpolitischen Offensive auch erreicht, was damit beabsichtigt war? Änderte sich das generative Verhalten der Westdeutschen, gab es in der Folgezeit mehr Kinder? Und vor allem: Konnte die Müttererwerbstätigkeit erfolgreich eingedämmt werden?

IV. Bestrebungen gegen die Müttererwerbstätigkeit

Seit der Währungsreform im Jahre 1948 nahm der Anteil der erwerbstätigen Frauen mit Kindern unter 14 Jahren ständig zu. Umfragen nannten auch die Gründe warum Mütter berufstätig waren. Die meisten Mütter gingen arbeiten, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Mütter gingen aber auch arbeiten, um die schulische und berufliche Ausbildung ihrer Kinder zu gewährleisten, oder sie wollten mit ihrem Beitrag den Lebensstandard der Familie verbessern. Hinter dieser Einstellung verbarg sich der Wille zum sozialen Wiederaufstieg der durch Kriegs-und Nachkriegsentwicklung deklassierten Familien und der jungen Familien. Die Umfragen machten aber auch deutlich, daß ein Großteil der Mütter bereit gewesen wäre, ihre Berufstätigkeit aufzugeben, wenn die finanzielle Situation dies zugelassen hätte Die katholische Kirche beobachtete den Anstieg der Müttererwerbstätigkeit, der, wie sie meinte, ihr Rechristianisierungsprogramm gefährdete, mit zunehmender Sorge. Auch wenn ihr bekannt war, warum die Mütter einer außerhäuslichen Tätigkeit nachgingen, so lehnte sie doch aus prinzipiellen Gründen die Müttererwerbstätigkeit ab. Denn „die Berufstätigkeit der verheirateten Frau“, so die Kölner Kirchenzeitung, „wirkt ehezersetzend und, weil sie in höchstem Grade kinderfeindlich ist, volks-und kulturzersetzend. Sie entseelt das Heim, das nun den Mann nicht mehr für die Mühe des Tages belohnt und für neue Arbeit stärkt, das den Kindern nicht mehr das warme Nest ist, nicht mehr Ort der Geborgenheit und Hafen letzter Zuflucht in der Liebe der Mutter. Die Frau betrügt sich um ihre besten Lebenswerte. Sie löst die Menschen aus den ursprünglichen, von der Natur selbst gewollten Bindungen.“

Da die katholische Kirche den berufstätigen Müttern nicht ihre außerhäusliche Tätigkeit verbieten konnte, versuchte sie, die Frauen unter moralischen Druck zu setzen, und das erfolgte in Hirtenbriefen, Predigten und in Artikeln in den verschiedenen Kirchenzeitungen, aber auch in Veranstaltungen kirchlicher Organisationen. Sie wies die Frauen auf ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter hin, deren Vernachlässigung letztlich die Familie und insbesondere die Kinder zu spüren bekämen, was ja wohl nicht Absicht, aber mit der Berufsaufnahme die unausweichliche Folge wäre. Konservative Soziologen und Pädagogen, Publizisten und Ärzte unterstützten das Anliegen der Kirche. Sie wurden nicht müde, die negativen Seiten der Müttererwerbstätigkeit herauszustellen, indem sie die gesundheitlichen und seelischen Risiken auflisteten, die der berufstätigen Mutter, den Kindern und der Familie insgesamt bevorstünden.

Der Göttinger Frauenarzt Heinz Kirchhoff schreckte nicht davor zurück, ein Horrorszenarium zu entwerfen, um seine Behauptung zu stützen, daß die Erwerbstätigkeit zu seelischen und körperlichen Störungen und letztlich zur Minderung der weiblichen Reproduktionsfähigkeit führe Seiner Ansicht nach hätten Mädchen, die bereits in der Pubertäts-und Postpubertätsphase eine Berufstätigkeit aufnahmen, nicht nur mit Störungen des Menstruationsrhythmus und mit dem völligen Erlöschen der monatlichen Blutungen zu rechnen, sondern auch mit vielseitigen krankhaften Veränderungen, die über eine schmerzhafte Menstruation bis hin zum Zurückbleiben des Gebärmutter-wachstums reichten. Die Folgen wären Fehl-und Frühgeburten, und der Gynäkologe weiter: „Nicht selten kann es durch fehlende oder ungenügende Eibildungen zur Sterilität kommen.“

Kirchhoffs Resümee lautete dann auch: Die außer-häusliche Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern müßte verboten werden Sein Stuttgarter Kollege Franz Bauer sekundierte ihm: Vom Standpunkt des Arztes aus sprächen genügend Gründe gegen die außerhäusliche Berufsarbeit der Gattin und Mutter. Denn „durch die Doppelbelastung droht der Frau der Verlust ihrer protrahierten Jugendlichkeit und die Frühinvalidität“

Nicht weniger drastisch warnten Soziologen und Pädagogen vor den Gefahren, denen eine Familie ausgesetzt sei, der eine erwerbstätige Mutter angehöre. Die Doppelbelastung der Frau mit Beruf und Haushalt, so die Wissenschaftler, führe zur Über-belastung; Streitereien wären unausweichlich, schließlich die Scheidung. Auch sei die Erziehung der Kinder bei Abwesenheit der Mutter nicht mehr gesichert und damit die seelische Entwicklung der Kinder in Gefahr. Vorprogrammiert seien die Folgen der seelischen „Unterernährung“: zunächst Gemütsarmut, dann Abfall der schulischen Leistungen, schließlich Verwahrlosung. Mahnend verwiesen sie auf die drei Millionen Schlüsselkinder, die wegen fehlender Aufsicht herumlungerten. • Es dauerte oft Jahre, bis seriöse Wissenschaftler und Statistiker nachweisen konnten, daß die vertretenen Behauptungen falsch waren oder daß es sich um Halbwahrheiten handelte. Das galt etwa für die Zahlen der ganz oder teilweise sich selbst überlassenen Kinder, die sogenannten Schlüsselkinder. Jahrelang wurden Angaben über unbeaufsichtigte Kinder kolportiert, die maßlos übertrieben waren, aber genau den Effekt erzielten, der beabsichtigt war: Die erwerbstätigen Mütter gerieten in den Verdacht, lieb-und herzlos zu sein und nur den Erwerb von Luxusgütem im Sinn zu haben

Konkrete Zahlen über das Ausmaß der unzulänglich betreuten Kinder wurden erst 1964 veröffent-licht Nur relativ wenige Kinder erwerbstätiger Mütter waren einen Teil des Tages oder den ganzen Tag unbetreut: Zum Erhebungszeitpunkt waren es 7000 Kinder unter sechs Jahren (davon 6000 den ganzen Tag unbetreut) und 170000 Kinder zwischen sechs und 14 Jahren (hier gab es wegen des Schulbesuchs praktisch keine gahztägig un-betreuten Kinder). In der Gruppe der Schulpflichtigen nahm die Zahl der (halbtags) unbetreuten Kinder mit dem Alter zu; so waren 38000 der Sechs-bis unter Zehnjährigen und 132000 der Zehn-bis unter Vierzehnjährigen nach Schulschluß sich selbst überlassen.

Die konservativ eingestellten Wissenschaftler kritisierten nicht nur die Müttererwerbstätigkeit, sie machten sich auch Gedanken darüber, wie den erwerbstätigen Müttern geholfen werden könnte, aber nicht in dem Sinne, wie den Frauen ihre außerhäusliche Arbeit erleichtert, sondern unter dem Aspekt, wie die Müttererwerbstätigkeit verhindert werden könnte. So wurde dann auch der Ausbau von Kindergärten, Krippen und Tagesheimen abgelehnt. Denn „Kind und Mutter gehören von Natur aus zusammen“ und sie begrüßten die Entscheidung der Kölner Stadtverordneten, keine Kinderkrippen zu errichten, um „den Müttern nicht noch Vorschub (zu) leisten, ihre Kinder abzustellen“

Als Maßnahmen gegen die Müttererwerbstätigkeit wurden einerseits pädagogisch-präventive Vorkehrungen vorgeschlagen, wie etwa die Erziehung der Jugend zur Familie. Ziel dieser Erziehungsmaßnahmen sollte „das Wecken von Mutter-und Vateridealen und von Opfergesinnung (sein), um nicht später vor den Alltagsanforderungen des Haushalts und der Familie leichtfertig zu fliehen“ Um die „Flucht“ der Frau von ihrem häuslichen Arbeitsplatz zu stoppen, sollte die männliche Jugend auf die häusliche Mitarbeit gelenkt werden, „mit der später der Ehemann dazu beiträgt, seiner Frau das Interesse und die Freude an der Hausarbeit zu erhalten“ Geschirrabtrocknen, Teppichklopfen und Einkäufen sollten nicht länger als Zumutung eingestuft und als „Weiberarbeit“ abqualifiziert werden. Auch sollte der Jugendliche „die Befähigung zur echten Wirtschaftsführung“ erlernen, um über die „Aktivierung des Sparwillens“ der „Erwerbstätigkeit (seiner Ehefrau) als solcher zu begegnen“

Weiterhin wurde angeregt, in der Mütterberatung und in der Ehevorbereitung verstärkt auf die Probleme der Müttererwerbstätigkeit hinzuweisen und die Frauen mit aller Deutlichkeit auf die gesundheitlichen und familienschädigenden Aspekte aufmerksam zu machen, die mit der Aufnahme einer Berufstätigkeit für Frau, Familie und Kind verbunden wären

V. Kindergeldnachbesserung und Wuermelings Erfolgsbilanz

Als weitere Maßnahme gegen die Müttererwerbstätigkeit wurde andererseits ein finanziell-offensives Vorgehen vorgeschlagen, und dazu gehörte in erster Linie die Kinderbeihilfe, von deren Wirkung Wissenschaftler und katholische Kirche gleichermaßen überzeugt waren Wenn die Kinderbeihilfen aber greifen sollten, dann mußten sie, und darüber herrschte unter den konservativen Wissenschaftlern und Publizisten Einigkeit, so reichlich bemessen sein, daß die Mütter nicht aus wirtschaftlicher Not zur Arbeitsaufnahme gezwungen waren.

Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Das Kindergeldgesetz, das nach jahrelangen Querelen zwischen den Parteien Ende 1954 den Bundestag passierte, war enttäuschend. Kritik wurde dann auch sofort laut an den viel zu geringen Beihilfebeträgen. Die deutschen Bischöfe meldeten sich mahnend zu Wort: „Der Anfang ist gemacht, wenn auch das bisher Erreichte noch keineswegs genügt.“ Und weiter: „Es sollte das Bemühen aller Kräfte sein, auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiter fortzuschreiten.“

Kritik wurde auch laut an der Regelung, Kindergeld erst ab dem dritten Kind zu gewähren. Im Rahmen der Bemühungen, den Geburtenanstieg zu fördern, sei diese Regelung, so hieß es, gerade noch vertretbar, aber es sei doch sehr fraglich, ob damit auch das Kernproblem, die soziale Not der Familie und der damit verbundene Zwang der Mutter zur Erwerbstätigkeit, gelöst werde.

Nachdem die erste Euphorie über den Abschluß des Kindergeldgesetzes, die von Christdemokraten und Familienverbänden gleichermaßen geschürt wurde, verflogen war kehrte Ernüchterung ein. Wortreich tröstete Familienminister Wuermeling seine Zuhörer über das „bescheidene Ergebnis“ hinweg, indem er einerseits darauf hinwies, daß die finanziellen Hilfen des Staates sich ja nicht nur auf das Kindergeld beschränkten, und andererseits erklärte, mit dem Kindergeldgesetz sei erst ein Anfang gemacht worden, es gälte nun, die Kindergeldleistungen zügig auszubauen Seine Hoffnungen sollten sich erfüllen: Der Bundestag erhöhte bis 1961 zweimal das Kindergeld.

Mitte 1961 zog Wuermeling, seit acht Jahren im Amt, Bilanz über sein Wirken als Familienminister. Er konnte mit dem Erreichten zufrieden sein, sein staatliches Hilfsprogramm für die Familie, das in konzertierter Aktion mit der katholischen Kirche und den Familienverbänden zustande gekommen war, ließ sich durchaus sehen Neben den Kindergeldleistungen gab es Hilfen zum Bau von Familieneigenheimen mit Familienzusatzdarlehen, niedrig verzinslichen Darlehen, Wohnungsbeihilfen und verbilligten Bankdarlehen im Rahmen der Aktion „Junge Familie“; steuerliche Vergünstigungen bei der Geburt von Kindern, Steuerfreibeträge und steuerliche Begünstigungen für Kinder, die wegen ihrer Schul-und Berufsausbildung auswärtig untergebracht werden mußten.

VI. Kirchliche Maßnahmen zur Stabilisierung der Familie

Wuermeling hatte das Seine für den äußeren Bereich der Familienpolitik getan, für den inneren waren die katholische Kirche und die Familienverbände zuständig, und diese waren nicht weniger erfolgreich in ihrem Bemühen, die bundesrepublikanische Gesellschaft im Sinne des Rechristianisierungsprogramms auf christliche Werte, christliche Moral und Familiensinn einzustimmen. Jedoch beschränkte sich diese moralisch-propagandistische Offensive im wesentlichen auf den katholischen Teil der Bevölkerung, mithin auf etwas weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung, die, soweit es sich um Strenggläubige handelte, unter Anleitung der Kirche auf Distanz zu den Protestanten ging.

Die katholische Kirche bemühte sich unablässig, ihre moralischen Postulate unter den Katholiken durchzusetzen, sie zur Richtschnur im Leben des einzelnen zu machen. Sie nahm sich kraft ihrer moralischen Autorität das Recht heraus, sittliche Normen in allen gesellschaftlichen Bereichen einzuführen und die Menschen auf ihre Einhaltung festzulegen. Im Bereich der Politik beschränkte sie sich auf gelegentliche Ermahnungen an die Adresse der Politiker, in der Kultur versuchte sie Maßstäbe zu setzen und Maßregeln durchzusetzen. In Teilbereichen betätigte sie sich als Zensor, weil sie glaubte, Schaden abwenden zu müssen. Das galt etwa für den Bereich der Filmkunst, die wegen ihrer sinnlichen Direktheit und manipulativen Beeinflussung das besondere Mißtrauen weckte.

Direkte Aktionen gegen Filmtheater und Spielfilme, wie gegen den Film „Die Sünderin“ mit Hildegard Knef im Jahre 1951, waren die Ausnahme, aber verbale Proteste gegen einzelne Filme die Regel. Nur wenige Zelluloidstreifen fanden die Gnade der Katholischen Filmselbstkontrolle, deren Filmbesprechungen in Schaukästen vor den Kirchen den Gläubigen Auskunft gaben, ob es für die einzelnen Familienmitglieder vertretbar war, die in den örtlichen Filmtheatern angelaufenen Spielfilme anzusehen. Im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Saubere Leinwand“ fanden nur Spielfilme christlich-normativen Inhalts freundUche Aufnahme, Heimatfilme im allgemeinen auch, aber schon die Darstellung eines Ehebruchs erregte den Mißmut der gestrengen Zensoren.

Auch im Bereich der Literatur legte die Kirche fest, was erlaubt war. Nicht erlaubt war Erotisches in Schrift und Bild, gefördert wurden Bücher über die Familie Die Produktion dieser Bücher stieg vom Beginn der fünfziger Jahre Jahr für Jahr an und erreichte um 1960 ihren Höhepunkt. Es gabAufklärungsbücher Bücher zur Vorbereitung auf die Ehe , Bücher über den Sinn der Ehe und der Familie , Bücher über die Krisen in der Ehe und solche, wie man diese Krisen überwindet Auch wenn mit diesen Büchern, die ihre Ergänzung in zahllosen Broschüren und Zeitschriften-aufsätzen fanden, die Absicht verfolgt wurde, den Familiengedanken zu stärken und die Mehrkinder-Familie zu verklären, so waren sie (wenn sich die Autoren nicht gerade auf wort-und trostreiche Allgemeinplätze, was nicht selten vorkam, beschränkten) gegenüber den realen Problemen durchaus aufgeschlossen und boten immer „neue“ Lösungsmöglichkeiten zur Beilegung von krisenhaften Lebenssituationen an, die im wesentlichen auf den Verzicht der Frau auf die Arbeit zugunsten der Familie hinausliefen.

Direkte Einflußnahme der Kirche auf die Familie erfolgte in Gesprächen, Kursen und Veranstaltungen. So wurden Jugendliche auf ihre spätere Rolle in Beruf (Jungen) und im Haushalt (Mädchen) eingestimmt; Verlobte fanden in besonderen Vorbereitungskursen und Mütter in der Mütterberatung Auskunft und Hilfe in allen Lebensfragen und natürlich auch Unterstützung in der Kinderpflege und in der Erziehung Massiv wurde gegen die Müttererwerbstätigkeit Stellung bezogen, und die verheiratete Frau auf ihre „segensreiche“ Rolle innerhalb der Familie verwiesen. Die Berufstätigkeit wurde der Frau im allgemeinen nicht untersagt, aber die Hinführung zu hauswirtschaftlichen Berufen gefördert und Edith Steins Longseller „Die Frau in Ehe und Beruf“ zur Lektüre empfohlen.

Die kirchlichen Einrichtungen beließen es aber nicht bei Hilfestellungen in Lebensfragen, sie halfen auch in Not geratenen, weil arbeitslosen, Familienvätern bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes, und sie unterstützten kinderreiche Familien durch stundenweise Aushilfe oder auch länger beim Ausfall der Mutter durch Krankheit. Sie halfen auch mit Sach-und Geldspenden

Diese Kombination aus staatlicher Hilfe, seelsorgerischem Beistand und propagandistisch gefördertem Familienidyll führte vor dem Hintergrund einer expandierenden Wirtschaft, die Sicherheit und Zukunft versprach, und damit einer Perspektive, wie sie seit Jahren nicht mehr bestand, zu dem bevölkerungspolitischen Erfolg, den sich die konservativen Parteien und die katholische Kirche erwünschten. Denn nach 1955 war ein deutlicher Anstieg bei den Eheschließungen und den Geburten festzustellen.

Ohne Zweifel war es gelungen, das generative Verhalten der Westdeutschen zu verändern, zumindest aber „positiv“ zu beeinflussen. Hingegen erwiesen sich alle Bemühungen -sieht man einmal von Einzelfällen ab -, die Müttererwerbstätigkeit einzudämmen, als wirkungslos. So stieg zwischen 1950 und 1962 die Zahl der außerhäuslich erwerbstätigen Frauen um 19 Prozent, die Zahl der erwerbstätigen verheirateten Frauen, die keine Kinder unter 14 Jahren hatten, um 57 Prozent -aber die Zunahme bei den erwerbstätigen (verheirateten und nicht verheirateten) Müttern mit Kindern unter 14Jahren betrug 184 Prozent. 1950 waren 417000 Mütter in abhängiger Stellung (außer der Forst-und Landwirtschaft) erwerbstätig, 1962 sogar schon 1, 3 Millionen Mütter (+ 314Prozent). Ihre Zahl hatte sich damit in zwölf Jahren mehr als verdreifacht

VII. Das Scheitern der kirchlich-konservativen Bemühungen

Woran lag es nun, daß die konservativen Strategien gegen die Müttererwerbstätigkeit erfolglos blieben? Welche Gründe lassen sich auflisten? Zunächst einmal fiel das Kindergeld viel zu gering aus, um „Wirkung“ zu erzielen, und auch dann, als es erhöht und auf das zweite Kind ausgeweitet wurde, konnte die wirtschaftliche Situation der Familien mit Kindern dadurch nur unwesentlich, verbessert werden. Der Zwang vieler Mütter zur Mitarbeit blieb bestehen, wenn die Familie nicht Not leiden, wenn gewisse Anschaffungen -lebensnotwendige, aber auch solche, die den Lebensstandard verbesserten -getätigt werden und wenn die Ausbildung der Kinder gewährleistet sein sollte

Für die bürgerlich-konservative Koalitionsregierung war das Problem der arbeitenden Mütter jedoch eher ein Randproblem; sie konzentrierte Energie und Haushaltsmittel auf zentrale Probleme, und dazu gehörte in erster Linie die Wirtschaft, deren Produktivkraft nach Ansicht der Vertreter einer sozialen (aber doch liberal-individualistischen) Marktwirtschaft um den Bundes-wirtschaftsminister Ludwig Erhard letztlich der politischen und gesellschaftlichen Stabilität der Bundesrepublik zugute kam. Da der Bund nicht über die erforderlichen Mittel verfügte oder sie nur über die Streichung von Subventionen hätte erhalten können, wälzte er zwar einerseits die Finanzierung des Kindergeldes auf die Wirtschaft ab, aber andererseits durfte die Belastung wiederum nicht so hoch ausfallen, daß dadurch die Wirtschaft in ihrem Investitions-und Handlungsspielraum eingeengt worden wäre. Das Ergebnis war dann auch ein Kindergeldgesetz, das die Bundesregierung und die Wirtschaft akzeptieren konnten, aber nicht die katholische Kirche und die Familienpolitiker

Noch ein zweiter Punkt muß in Betracht gezogen werden. Als sich der Wirtschaftsaufschwung nach 1950 fortsetzte, war alsbald der Arbeitskräfte-markt ausgedünnt. Die Wirtschaft richtete daraufhin ihren Blick auf die weibliche Arbeitsreserve. In der Folgezeit gehörten die Wirtschaftsverbände zu den heftigsten Kritikern des Kindergeldes, auch weil sie zunächst glaubten, sie hätten mit zu hohen Eigenbelastungen zu rechnen, vor allem aber, weil sie befürchteten, Kindergeldzahlungen könnten die Frauen an der Aufnahme einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit hindern. Wirtschaftstheoretiker, die diesen Verbänden nahe-standen, waren es dann auch, die die Warnung in die öffentliche Diskussion einbrachten, Familien-beihilfen würden der Familie die Eigenverantwortung nehmen.

Diese Befürchtung erwies sich als gegenstandslos, weil erstens die Kinderbeihilfen nicht vor, 1955 zur Auszahlung gelangten, und zu diesem Zeitpunkt befand sich schon der größte Teil der Mütter in der Erwerbstätigkeit. Zudem fiel zweitens das Kindergeld viel zu gering aus und kam auch erst ab dem dritten Kind zur Zahlung; und der in Frage kommende Empfängerkreis machte nur einen kleinen Prozentsatz der arbeitsfähigen Frauen aus. Und schließlich drittens: Die Unternehmen konnten bei anhaltender Konjunktur mit Löhnen locken, die das Kindergeldangebot in den Schatten stellten.

Nicht von ungefähr forderten wiederholt die katholische Kirche und ihr nahestehende Wissenschaftler, die Wirtschaftsverfassung müsse geändert werden. Sie konnten sich aber nicht durchsetzen, denn die Wirtschaftsverfassung des modernen Industriestaates Bundesrepublik Deutschland war stärker als die katholische Kirche und die Familienverbände, die sich mit der moralischen Aufrüstung der Familie begnügen mußten. Da sich die Familienpolitik aber im wesentlichen nur an den katholischen Bevölkerungsteil wandte -und das wäre als ein weiterer Grund für däs Scheitern ihres Anliegens zu nennen -, fühlte sich auch nur ein Teil der Frauen von den Vorhaltungen der Kirche angesprochen. Vor allem waren es aber ökonomische Überlegungen und Operationen im Zeichen der wirtschaftlichen Rekonstruktion, die dem konservativen Versuch im Wege standen, die Müttererwerbstätigkeit einzudämmen und eine Familienidylle jenseits der industriellen Wirklichkeit aufzubauen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Klaus-Jörg Ruhl, Zwischen völkischer und konservativer Ideologie. Familienpolitik in Deutschland (1913-1963), in: Jost Dülffer/Bernd Martin/Günter Wollstein (Hrsg.), Deutschland in Europa. Kontinuität und Bruch. Gedenkschrift für Andreas Hillgruber, Berlin 1990, S. 375.

  2. Vgl. Gustav Gundlach (Hrsg.), Die sozialen Rundschreiben Leos XIII. und Pius XL, Paderborn 1933, S. 43.

  3. Vgl. Klaus-Jörg Ruhl, Die nationalsozialistische Familienpolitik (1933-1945). Ideologie -Maßnahmen -Bilanz, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, (1991) 8, S. 482-485.

  4. Urban Plotzke, Ehe und Familie im Spiegel unserer Zeit. Überlegungen und Erfahrungen, Berlin 1949, S. 70.

  5. Ebd., S. 77. .

  6. Dokumente deutscher Bischöfe. Band 1: Hirtenbriefe und Ansprachen zur Gesellschaft und Politik 1945-1949. Bearb. von Wolfgang Löhr, Osnabrück 1985, S. 31.

  7. Ebd., S. 32.

  8. Julius Döpfner, Die Kirche als Hüterin der Familie, in: Breitesten Schichten Eigentum an Wohnung zu schaffen, das ist heute die Aufgabe. Referate und Reden des Altenberger Treffens, o. O. o. J., S. 82-88.

  9. Vgl. Klaus-Jörg Ruhl, Hierarchie oder Anarchie? Der Streit um die Familienrechtsreform in den fünfziger Jahren, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 45/92, S. 31 ff.

  10. Vgl. Max Wingen, Der gesellschaftspolitische Wert der Familienverbände, in: Politisch-Soziale Korrespondenz, 13 (1964) 14, S. 7-9.

  11. Niederschlag der Besprechung der Dechantenkonferenz vom 27. November 1952 betr. Familienbund deutscher Katholiken, in: Kirchlicher Anzeiger der Erzdiözese Köln, 92 (1952), S. 466-470.

  12. Vgl. Neue Bundesminister über ihre Aufgaben. Erste Interviews im Nordwestdeutschen Rundfunk, in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung, 2 (1953) 203, S. 1694.

  13. Vgl. Franz-Josef Wuermeling, Familienpolitik ist Staats-politik, Europa stirbt, wenn unsere Familien nicht gesunden -Stetig wachsende übrige Welt, in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung, 3 (1954) 174, S. 1534-1537.

  14. Vgl. Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen (Kindergeldgesetz) vom 13. November 1954 (Bundesgesetzblatt 1954, S. 333).

  15. Vgl. Rhea Maxson, Warum sind Frauen erwerbstätig?, Bad Godesberg 1952.

  16. Vgl. Gertrud Jaeke, „.... anstatt sich um die Kinder zu kümmern.“ Erwerbstätige Mütter -arbeiten sie aus Drang nach Luxus oder aus Not/Ergebnisse einer Untersuchung, in: Christ und Welt, 13 (1960) 49, S. 15.

  17. Ist Mutter nicht da?, in: Kirchenzeitung (Köln), (1952), S. 103.

  18. Vgl. Heinz Kirchhoff, Die Belastung der berufstätigen Frau und die damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren, in: Ärztliche Mitteilungen, (1961) 23, S. 1304-1311.

  19. Ebd., S. 13O 8.

  20. Vgl. Heinz Kirchhoff, Referat auf der Tagung der Internationalen Organisation der Familienverbände 1961 in Madrid, auszugweise veröffentlicht in: Die Familie, (1962) 2, S. 17-18.

  21. Franz Bauer, Die berufstätige Frau als Gattin und Mutter in der Sicht des Arztes, in: Gesundheitsfürsorge, 6 (1956) 5, S. 107-114, hier: S. 114.

  22. Vgl. Luise Kölmel, Schlüsselkinder, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, 101 (1954) 8, S. 292-293.

  23. Vgl. Hermann Schubnell, Die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern und die Betreuung ihrer Kinder, in: Wirtschaft und Statistik, (1964) 8, S. 444-456.

  24. Robert Scholl, Was tun wir gegen die zunehmende Berufsarbeit der Mütter?, in: Blätter der Wohlfahrtspflege, (1955), S. 137-139.

  25. Otto Speck, Zur pädagogischen Problematik der Erwerbstätigkeit von Müttern, in: Jugendwohl, (1957), S. 137.

  26. Otto Speck, Was sollte ich den ganzen Tag bei meinem Kind? Zum Problem der Kinder berufstätiger Mütter, in: Unsere Jugend, (1953), S. 151.

  27. Ebd.

  28. Leo Herbert Haller, Die Erwerbstätigkeit deutscher Mütter, in: Unsere Jugend, (1958), S. 268.

  29. Vgl. ebd.

  30. Vgl. J. David, Familienzulagen. Was sie sind und was sie wollen, in: Priester und Arbeit, (1952) 4, S. 170-178.

  31. Wortlaut der Stellungnahme der deutschen Bischöfe zur Frage der Vierzigstundenwoche und zur Frauenarbeit, in: Informationsdienst der Arbeitsgemeinschaft der katholischen deutschen Frauen, (1956) 2, S. 17.

  32. Vgl. Elisabeth Glücksmann-Lüdy, Wem hilft das Kindergesetz in seiner heutigen Fassung? Wem hilft es nicht?, in: Neues Beginnen, (1954) 12, S. 197-198.

  33. Vgl. Franz-Josef Wuermeling, Familienpolitik oder staatliche Kinderfürsorge? Eine Probe auf die sittliche Kraft, uns neuen Vermassungstendenzen zu widersetzen, in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung, (1956) 2, S. 11-12.

  34. Vgl. Bundesgeschäftsstelle der CDU (Hrsg.), Die Familienpolitik der CDU/CSU, in: Rednerdienst, Oktober 1963.

  35. Vgl. Der Christ in Ehe und Familie. Hinweise auf empfehlenswerte Bücher und Schriften über Ehe und Familie. Im Auftrage des Familienbundes der deutschen Katholiken zusammengestellt von Josef Eger, Augsburg 1956.

  36. Vgl. F. X. Hornstein/A. Faller (Hrsg.), Handbuch für Ehefragen, München 1950.

  37. Vgl. H. Bachmann (Hrsg.), Der ewige Ring. Ein Lesebuch für Braut-und Eheleute, Freiburg 1954.

  38. Vgl. H. Wirtz, Vom Eros zur Ehe. Die naturgetreue Lebensgemeinschaft, Heidelberg 1958.

  39. Vgl. H. Portmann, Das bedrohte Sakrament. Gedanken zur Ehekrise der Gegenwart, Kevelaer 1950.

  40. Vgl. Krechei, Bedeutung und Durchführung des Ehe-seminars, in: Mitteilungen für die Seelsorge im Bistum Trier, (1955), S. 50-57.

  41. Vgl. E. Dold, Die Familienpflegerin, in: Oberrheinisches Pastoralblatt, 57 (1956), S. 161-174.

  42. Vgl. H. Schubnell (Anm. 23), S. 450.

  43. Vgl. Helga Schmucker, Die ökonomische Lage der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Tatbestände und Zusammenhänge, Stuttgart 1961, S. 60-63.

  44. Vgl. Fritz Emil Bünger, Familienpolitik in Deutschland, Berlin 1970, S. 99.

Weitere Inhalte

Klaus-Jörg Ruhl, Dr. phil, geb. 1945; Privatdozent am Historischen Seminar der Universität Freiburg. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Frauen in der Nachkriegszeit 1945-1963, München 1988; Frauenarbeit und Gewerbeaufsicht in Nordrhein-Westfalen 1945-1950, in: Vierteljahrschrift für Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, (1992) 4.